Ein Leben voller Staunen: Anne Devillard im Gespräch mit Hans-Peter Dürr und Sue Dürr
Von Anne Devillard
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Über dieses E-Book
1929 geboren, erlebte Hans-Peter Dürr die Gräuel des Zweiten Weltkrieges als Teenager und damit unmittelbar. Welche entscheidenden Folgen hatte diese Erfahrung auf seine Jugend und sein späteres Leben? Welche Lebensphilosophie zog er aus dieser Zeit? Welche Botschaft möchte er jungen Menschen heute vermitteln?
Das vorliegende Buch, das im Gespräch mit dem Erkenntnistheoretiker aber auch Forschungskritiker entstand, gibt Einblick in das Leben eines großen Wissenschaftlers und Denkers, eines Zweiflers und Mahners, jedoch letztlich unerschrockenen Optimisten.
Dabei wird eines besonders deutlich: Es sind die Begegnungen und Gespräche mit anderen Menschen, der gegenseitige Austausch und die Öffnung füreinander, die Hans-Peter Dürrs Weltsicht und Leben geprägt haben. Und so kommen in diesem Buch auch Hannah Arendt, Edward Teller, Werner Heisenberg, Michael Gorbatschow, Ben Zander oder auch Richard Baker Roshi zu Wort – in besonderem Maße jedoch Hans-Peter Dürrs Lebensgefährtin Sue.
"Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau", so ein bekannter Spruch. Im Falle von Hans-Peter Dürr ist es stimmiger zu fragen: Welche starke Frau steht an seiner Seite? In Betrachtung ihres gemeinsamen Lebens wird erstmals ersichtlich, welch großen Einfluss Sue Dürr auf die Weltsicht und Haltung dieses außergewöhnlichen Menschen und unverbesserlichen Weltverbesserers genommen hat.
Hans-Peter Dürrs Biografie verdeutlicht die Kunst, selbst aus schweren Zeiten ein kluges Leben abzuleiten. Ein Leben in großem Respekt vor dem anderen, jedoch mit Hingabe und Willen zur Veränderung.
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Buchvorschau
Ein Leben voller Staunen - Anne Devillard
Anne Devillard
im Gespräch mit
Hans-Peter Dürr und Sue Dürr
Ein Leben voller Staunen
Anne Devillard: Ein Leben voller Staunen. Gespräche mit Hans-Peter Dürr und Sue Dürr
© Copyright der deutschen Ausgabe 2013 Driediger Verlag
Umschlaggestaltung: Devin, design@major-movez.de
ISBN: ePUB: 978-3-932130-38-0
Alle Rechte vorbehalten.
BUCH
Hans-Peter Dürr ist nicht nur einer der renommiertesten Quantenphysiker unserer Zeit, er ist mit seinen 84 Jahren auch sozio-politisch und ökologisch immer noch sehr engagiert – und er ist trotz seiner Berühmtheit sehr menschlich geblieben. Als Kriegskind erlebte er die Schrecken des Zweiten Weltkriegs unmittelbar. Welche entscheidenden Folgen hatte die Kriegs- und Nachkriegszeit auf seine Jugend und sein späteres Leben? Welche Lebensphilosophie zog er aus dieser Zeit? Welche Botschaft möchte er den jungen Menschen von heute vermitteln?
Diese Fragen beantwortete er in einem langen Gespräch mit Anne Devillard.
„Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau", so ein bekannter Spruch. Im Falle von Hans-Peter Dürr ist es stimmiger zu fragen: Welche starke Frau steht an seiner Seite? Denn Sue Dürr, die Amerika verlassen hat, um mit ihm nach Deutschland zu kommen, hat keineswegs ihre Selbstständigkeit aufgegeben, sondern sie hat Hunderte von Menschen für Volkstänze begeistert und engagiert sich bis heute für die Gestaltung einer besseren Welt.
Sue Dürr nahm sich auch Zeit und sprach lange mit Anne Devillard über ihr bewegtes Leben.
AUTORIN
Anne Devillard, in Paris aufgewachsen, Magister in Germanistik an der Pariser Sorbonne, ist dem spirituell interessierten Publikum in Deutschland seit vielen Jahren bekannt. Sie lebt seit 1980 in München. Seit 1989 ist sie Chefredakteurin der renommierten naturheilkundlichen Zeitschrift Natur & Heilen und Moderatorin auf internationalen Kongressen über ganzheitliche Medizin, Wissenschaft und Spiritualität. Ihr Bestseller „Heilung aus der Mitte – Werde der, der du bist", im Driediger Verlag erschienen, regt ein großes Interesse bei der deutschen und französischen Leserschaft an.
Vorwort der Autorin
VORWORT
Das letzte Jahrtausend ist mit einem Jahrhundert der Extreme zu Ende gegangen. Folgenschwere Wirtschaftskrisen, verheerende Kriege und unvorstellbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit stehen einer politischen Neuordnung und einer weitgehenden Befriedung Europas, bahnbrechenden wissenschaftlichen Entdeckungen sowie einem rasanten technischen Fortschritt gegenüber.
Wie kein anderer steht Hans-Peter Dürr als ein Zeuge dieses Jahrhunderts, das als Vermächtnis auch unser gegenwärtiges, von globalen Krisen gerütteltes Leben bestimmt. Und wie kein anderer steht der Kernphysiker, Schüler Werner Heisenbergs und dessen Nachfolger als Direktor am Max-Planck-Institut für Physik für einen großen wissenschaftlichen Erkenntniswillen, auch wenn er zugleich als Vordenker einer wissenschafts- und forschungskritischen Strömung gilt.
Neben seiner Offenheit für erkenntnistheoretische Fragestellungen und seinem gesellschaftspolitischen Engagement ist es wohl auch jene Gegensätzlichkeit, die seine Person so faszinierend macht. Das vorliegende Buch, das aus einem langen Gespräch mit dem Quantenphysiker entstand, gibt jedoch nicht nur Einblick in sein Leben als renommierter Wissenschaftler und Denker, sondern auch als Privatmensch.
Hans-Peter Dürr, 1929 in Stuttgart geboren, erlebte als Teenager die Schrecken des Zweiten Weltkrieges – sie setzten seiner als glücklich empfundenen Kindheit eine jähe Zäsur. Offen und mit viel menschlicher Wärme, ja einer Art Staunen über persönliche Schicksale und das Leid dieser Zeit schildert er die eigenen familiären Verhältnisse, seinen zurückgezogenen und arbeitsamen, aber vom Krieg gebrochenen Vater, die resolute und tapfere Mutter und seine Geschwister.
Es ist die Sicht eines noch ganz introvertierten Jungen, seine Erlebnisse als Aushilfe in einer Bäckerei, beim Bau eines Luftschutzbunkers, in den Bombennächten von 1944 und in amerikanischer Gefangenschaft. Es ist auch die Auseinandersetzung mit dem Thema kollektiver Schuld. Noch lange Zeit nach Ende des Krieges hatte Hans-Peter Dürr mit niemandem über seine Erlebnisse gesprochen, fühlte er nur Wut und traute keinem Erwachsenen über den Weg.
Die Begegnung mit Werner Heisenberg und die Gespräche mit Hannah Arendt während seiner Promotion in Berkeley öffneten ihm die Augen für die größeren Zusammenhänge und gaben wesentliche Impulse für seinen weiteren Lebensweg. Aus dem in sich gekehrten Jungen wurde mit den Jahren und im Austausch mit Persönlichkeiten wie Michail Gorbatschow, Raimon Panikkar oder dem Zen-Meister Richard Baker Roshi ein leidenschaftlich engagierter Mann.
Hans-Peter Dürr hat seine Wut in etwas Positives verwandeln können und die Angst vor der eigenen Ohnmacht angesichts der Komplexität einer undurchschaubaren Welt mit dem Vertrauen auf ein großes Ganzes relativiert. In der Störung das Lebendige zu sehen, den eigentlichen kreativen Moment, das hat er schmerzhaft gelernt. Dazu gehört auch der Mut, Fehler zu machen und sich diese einzugestehen. Nur Computer machen keine Fehler. Doch auf falsche Fragen richtige Antworten zu geben, das kann nach seiner Meinung nur der Mensch.
In diesem Sinne kann uns Hans-Peter Dürr wenn auch keine einfachen, so doch Antworten geben. Seine Biografie verdeutlicht die Kunst, selbst aus schweren Zeiten ein kluges Leben zu gestalten. Ein Leben in großem Respekt vor dem anderen, jedoch mit Hingabe und Willen zur Veränderung. Egal, ob in großen oder kleinen Schritten, aber im Bewusstsein der Verantwortung, die jeder Einzelne trägt.
Und sei es nur im gegenseitigen Austausch, im Gespräch, in der Öffnung füreinander. Auf die Leute zuzugehen, mit ihnen in Dialog zu treten, ist nach seiner Erfahrung eines der schönsten Geschenke, die Menschen einander machen können. In gewisser Hinsicht soll das folgende Gespräch mit ihm ein Geschenk sein, ein Angebot zur Kommunikation.
Ursprünglich sollte es nur ein Buch mit und über Hans-Peter Dürr werden. Doch dann in der Begegnung mit seiner Frau Sue bei den monatlichen Volkstanzabenden bei ihnen zu Hause lernte ich eine Frau voller Temperament und Lebensfreude kennen. So kam mir die Idee, Sue einen gesonderten Teil zu widmen und beide Persönlichkeiten nacheinander sprechen zu lassen.
Bei berühmten Männern spricht man oft von der Frau, die hinter ihnen steht und sie stark macht. Im Falle von Sue Dürr möchte ich gern von einer Frau sprechen, die an der Seite ihres Mannes steht und gemeinsam mit ihm durchs Leben geht. Ihre Lebenslust, ihr Gestaltungswille und Engagement sind der einleuchtende Beweis.
Was die Welt im Innersten zusammenhält, ist keine Frage der Physik.
Anne Devillard, im Mai 2013
PROLOG
Dieses Bild wird mir immer in Erinnerung bleiben: als zum 80. Geburtstag von Hans-Peter Dürr der gesamte Festsaal, animiert von Sue Dürr, anfing zu tanzen. Alt und Jung vollzogen unter den Anweisungen von Sue und im Takt der Musik die Etappen ihres gemeinsamen Lebens. Es gab russische Volkstänze, die von den Aufenthalten Hans-Peters in Russland und seinen Begegnungen mit den dortigen Physikern zeugten, exotische Tänze für Hans-Peters und Sues Zeit in Amerika, armenische Tänze für ihre Reisen nach Indien, bayerische Tänze für die Zeit, als sich die Familie in Bayern niederließ – und bis heute blieb.
Mit ihrer Kraft und natürlichen Begeisterung forderte Sue die Gäste zum Tanz auf und berührte sie tief im Herzen.
Alles war an diesem Abend sehr bewegend. Hans-Peter, der in seinem schönen Anzug so feingliedrig wirkte und so viel Herz und Bescheidenheit ausstrahlte, als er mit Sue an seinem Arm in den Festsaal marschierte. Und die vier Kinder, Rosemarie, Mike, Carolyn und Pitt – wie sie zu Ehren ihres Vaters eine unvergessliche Vorführung veranstalteten, mit vielen Sketchen, Liedern, Filmen aus ihrer Kindheit und natürlich Musik. Auch drei Schwestern Hans-Peters waren anwesend, wie er selbst mit inzwischen ergrautem Haar und in festlicher Tracht. Sie waren sehr besorgt um ihren Peter, dass er sich nicht übernimmt. Eine der Schwestern, Christl, präsentierte ein selbstkomponiertes musikalisches Werk über die wichtigsten Ereignisse im Leben ihres Bruders, begleitet von Rosemarie und Carolyn auf der Gitarre. Alles war sehr originell, künstlerisch, humorvoll.
Auf der Rückfahrt von der Geburtstagsfeier nach München glänzten die Blätter der Bäume golden und bunt im Licht der Oktobersonne. Und ich dachte: „Der Herbst des Lebens ist auch eine wunderschöne Zeit!"
Danke euch, Hans-Peter und Sue, dass es euch gibt!
ERSTER TEIL
IM GESPRÄCH
MIT HANS-PETER DÜRR
1. Glückliche Kindheit – Jugend im Krieg
KAPITEL 1
Glückliche Kindheit – Jugend im Krieg
Hans-Peter, Sie haben auf Ihrem Lebensweg bislang schon viel erlebt, das interessant ist zu erfahren. Lassen Sie uns beginnen mit Ihrer Kindheit und Ihrer Jugend. Als ich Ihr Buch „Warum es ums Ganze geht" gelesen habe, war ich sehr betroffen von dem, was Sie als Jugendlicher durchgestanden haben. Durch den Krieg waren Sie mit extremen Situationen konfrontiert. Inwieweit haben diese Kriegserlebnisse Ihren Überlebenswillen gestärkt und dazu beigetragen, diese unglaubliche Lebensenergie, die man von Ihnen kennt, zu entwickeln?
Es ist eigentlich eine komische Sache: In Kriegszeiten wird man einerseits sehr herausgefordert, andererseits erfährt man eine gewisse Abstumpfung, denn man kann nicht alle Erlebnisse in der Tiefe erleben. Der Mensch ist so gebaut, dass er schlimme Ereignisse verdrängen kann. Das heißt nicht, dass er überhaupt nichts wahrnimmt, sondern er nimmt das wahr, was direkt zum Überleben wichtig ist. Da ist er auf überraschende Weise intelligent. Hinterher ist er erstaunt, wie er das geschafft hat, und wundert sich: „Das ist mir eigentlich unverständlich." Es ist also eine gewisse Angstlosigkeit, die dazu führt, dass man überlebt. Ich denke zum Beispiel an die Erfahrung, als ich in einer Stadt wie Stuttgart, die gerade bombardiert worden war, mithelfen musste, verschüttete Menschen aus den Luftschutzkellern ihrer brennenden Häuser zu befreien, und Tote abzutransportieren. Wenn ich zurückdenke, ist mir eigentlich nur noch in Erinnerung geblieben, wie erstaunt ich war, dass ich als Fünfzehnjähriger eine erwachsene Person allein tragen konnte. Eine völlig nebensächliche Sache im Grunde. Ich wunderte mich darüber, dass ein Jugendlicher so kräftig sein kann, um eine erwachsene verkohlte Leiche allein zu tragen. Man kann natürlich erwähnen, dass ein verbrannter Körper nicht so schwer ist wie ein normaler. Aber allein die Tatsache, dass einem überhaupt solche Dinge durch den Kopf gehen, während das Übrige so dunkel ist, ist eigenartig. Leichen zu transportieren – das habe ich einfach gemacht, weil ich aufgefordert worden bin, es zu tun.
Krieg ist Krieg. Das charakterisiert eigentlich auch die Zeit meiner Jugend. Wenn man mich fragt, was in meiner Jugend vorgegangen ist, habe ich das Gefühl, dass mein Leben aus verschiedenen Leben besteht, die hintereinander abliefen, jeweils mit einem großen Einschnitt, bei dem man sich fragt: „Handelt es sich eigentlich noch um dasselbe Leben?"
Wenn Sie mich also fragen, was zunächst in meiner Kindheit passiert ist, dann war es eine wunderbare Kindheit: In der Großfamilie Dinge zusammen tun, Theaterstücke zusammen spielen. Das haben wir dann später in meiner eigenen Familie übernommen. Meine Frau Sue und meine Kinder haben den gleichen Enthusiasmus fürs Theaterspielen entwickelt. Musik war ebenfalls wichtig, und dazu kam das Tanzen. Obwohl alles so ärmlich war, haben wir tolle Musik gemacht. Wir unternahmen auch Bergtouren, dann fuhren wir immer mit der ganzen Familie zu der Schwester meines Vaters. Ich glaube, das hatte einen finanziellen Hintergrund, denn sie hatte ihren Mann verloren, und wir haben sie mit Geld etwas unterstützt. So besuchten wir seine Schwester jeden Sommer im Allgäu. Ihre engen Räume füllten wir mit vielen Betten neben- und übereinander. Das hat uns immer großen Spaß gemacht. Es gab auch die vielen Wandertage, ganz egal, ob die Sonne schien oder nicht, und ob es regnete oder nicht.
Ja, meine Kindheit war wunderbar, aber sie ging nur bis 1939. Ich war damals zehn Jahre alt.
Wir waren sechs Kinder. Mein Vater kam aus ganz einfachen Verhältnissen, sein eigener Vater war Konditor in Leutkirchen im Allgäu. Mein Vater hat es schwer gehabt, weil er sein Geld selber verdienen musste. Er wollte studieren, aber sein Vater konnte es nicht bezahlen, und so musste er Nachhilfestunden geben. Dass er ein hartes Leben gehabt haben musste, erfuhr ich jedes Mal, wenn meine Mutter uns in Schutz nehmen wollte und sagte. „Die Kinder haben es heute ganz schwer