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Die Yaqui: Indigener Widerstand und ein vergessener Völkermord
Die Yaqui: Indigener Widerstand und ein vergessener Völkermord
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eBook376 Seiten4 Stunden

Die Yaqui: Indigener Widerstand und ein vergessener Völkermord

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Über dieses E-Book

Paco Ignacio Taibo II zeichnet in diesem Buch ein umfassendes Porträt der Yaqui, ihrer Geschichte und Kultur und schildert den 42 Jahre währenden bewaffneten Kampf der indigenen Guerilla-Einheiten um Land und Freiheit gegen den Zugriff der mexikanischen Regierung. Mit der Rekonstruktion ihrer Geschichte hebt er darüber hinaus einen vergessenen Genozid ins Bewusstsein. Seine engagierte Recherche löste in Mexiko eine Historikerdebatte über die verschwiegenen Grundlagen der modernen mexikanischen Geschichte aus.
SpracheDeutsch
HerausgeberAssoziation A
Erscheinungsdatum16. Feb. 2017
ISBN9783862416196
Die Yaqui: Indigener Widerstand und ein vergessener Völkermord

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    Buchvorschau

    Die Yaqui - Paco Ignacio Taibo II

    heranzurücken.

    1.

    Eine Handvoll Erde in der Luft

    (GESCHICHTEN VOR DER GESCHICHTE)

    Die Chronisten setzen gern ein Datum für den ersten Kontakt: Es ist das Jahr 1533, als eine kleine Expedition von spanischen Eroberern unter der Führung von Diego de Guzmán in ein von Yaqui-Indigenen bewohntes Gebiet vorstieß. Laut Spicer handelte es sich sehr wahrscheinlich um eine Gruppe von Sklavenhändlern.

    Vito Alessio Robles erzählt: »Die Eroberer trafen auf eine große Menge von Indios, die mit Händen Erde in die Luft warfen, ihre Bögen spannten und wild gestikulierten.« Und dass einer von ihnen – zweifellos ihr Anführer –, der »sich durch seinen sonderbaren Putz auszeichnete, der durch die Perlenmuscheln glänzte, von denen seine Bekleidung übersät war, vortrat, mit seinem Bogen eine lange Linie auf dem Boden zeichnete, sich darauf kniete, die Erde küsste und dann, wieder im Stehen, zu sprechen begann und ihnen sagte, sie sollten umkehren und die Linie nicht überschreiten, denn wenn sie sie überschritten, würden sie alle sterben«.

    Offenbar hörten die Spanier nicht darauf und versuchten weiterzugehen, worauf die Indigenen mehrere von ihnen gefangen nahmen und sie an Händen und Füßen fesselten. Da befahl Guzmán, die Kanone abzufeuern und die Kavallerie zu mobilisieren. Die Yaqui zogen sich kämpfend zurück und nahmen weitere Spanier in einem Hinterhalt gefangen. Schließlich musste die Expedition nach Nueva Galicia zurückkehren.

    Vermutlich geschah all dies auf einer kleinen Erhebung, auf der später das Zentrum von Tórim errichtet wurde. Doch die Chronik des ersten Kontakts, so schillernd sie auch sein mag, ist falsch. Denn die Yaqui hatten schon zuvor eine Gruppe Spanier gefangen genommen, die auf einem Floß gekommen waren. Sie massakrierten sie und nahmen ihnen Nägel und Decken ab, die Nuño Beltrán de Guzmáns Männer später fanden. Interessanterweise deuteten einige Chronisten die Tatsache, dass der Kriegshäuptling der Yaqui Hände voller Erde in die Luft warf, als magischen Akt. Wobei jeder Bogenschütze dies damit erklären könnte, dass er die mögliche Ablenkung der Pfeile durch den Wind berechnen wollte.

    Es vergingen viele Jahre, bis Hauptmann Diego Martínez de Hurdaide, nachdem er die Ocoronis im heutigen Norden von Sinaloa »befriedet« und mit den Mayo einen Friedensvertrag unterzeichnet hatte, 1609 an den Río Yaqui kam, wo sich ihm die Krieger dieses merkwürdigen Stammes, die aggressiv ihre Region verteidigten, in den Weg stellten. Ein Jahr später kehrte Martínez de Hurdaide mit 40 spanischen Soldaten und 2.000 Mayo- und Pima-Indigenen ins Yaqui-Territorium zurück und wurde dennoch geschlagen. Hartnäckig sammelte er weitere 2.000 Indigene und 50 spanische Soldaten zu Pferd um sich und wurde erneut mit einem Pfeilhagel und dem Ruf empfangen: »Töte uns nur, wir sind viele.«

    Nach dem Scheitern der militärischen Invasion tauchten um 1613 die Priester auf. Merkwürdigerweise schienen die Mayo die Missionare gut aufzunehmen. Schon bald gründete Pedro Méndez die erste Mission. Aus jesuitischen Quellen geht hervor, dass sich mehr als 3.000 Menschen innerhalb von 14 Tagen taufen ließen [!] – wobei der Erzähler dieser Geschichte gern Zeuge gewesen wäre. Was für eine Zeremonie war das? Welche Religion nahmen die Mayo an? Wer war der neue Gott und wie und in welcher Sprache wurde er ihnen erklärt? In 14 Tagen?

    Schon bald begannen regional organisierte Mayo in sieben Dörfern missionarisch aktiv zu werden. Ihre Nachbarn, die Yaqui, betrachteten das Phänomen neugierig und schickten Delegationen (Spicer schreibt, dass sich etwa 100 Yaqui an den Erkundungsausflügen beteiligten). Nur vier Jahre später, 1617, tauchten am Ufer des Río Yaqui die ersten Jesuiten auf, Andrés Pérez de Rivas und Tomás Basilio. Laut Spicer, der seine Information auf jesuitische Quellen stützt, beeindruckten diese durch »ihre guten Absichten und ihre Spiritualität«. Tatsache ist, dass in den folgenden drei Jahren circa 30.000 Yaqui getauft wurden.

    In den Legenden der Yaqui kam vor der Ankunft der Jesuiten ein Pfahl, der zu ihnen sprach, den aber niemand verstand. Schließlich gelang es ihnen, ihm ein paar verständliche Sätze zu entlocken: »Der uns taufen wird, kommt zu uns.« Die Jesuiten schenkten dem sprechenden Pfahl keine große Beachtung, doch ohne ihn hätten sie nicht so leicht zu den Yaqui vordringen können.

    Um 1623 reorganisierten sich die Yaqui-Gemeinden unter dem Einfluss der Jesuiten. So schlossen sich die ursprünglich etwa 80 kleinen Dörfer zu zunächst elf und schließlich acht Dörfern zusammen, in denen sich jeweils eine Mission befand – mit Opata-Indigenen als Verwaltern: Vícam (Pfeilspitze), Pótam (Beutelratte oder Maulwurf); Bácum (gestautes Wasser), G(H)uiribis (Vogel), Ráhum (mit der Egge bearbeitetes Land), Benale (hispanisiert Belem) (Abhang), Tórim (Ratte) und Cócorit (Chilistrauch).

    Als Gegenleistung dafür, dass sie sich ihrem Gott unterwarfen, zeigten sich die Jesuiten tolerant gegenüber dem Synkretismus religiöser Zeremonien, bei dem sich Elemente des katholischen Kultes mit Ritualen der Yaqui verbanden. Dass die drei Elemente der Yaqui-Weltanschauung, Himmel, innere Welt und Erde, oder Sonne, Mond und Sterne, ohne zu verschwinden in die Heilige Dreieinigkeit übertragen wurden – eine ziemlich regelwidrige Übertragung –, vermittelt eine gute Vorstellung davon, wie die Jesuiten agierten. Daher kommen die Kreuze, die im Zentrum der Dörfer das religiöse Panorama der Yaqui beherrschen, und zwar nicht nur eines, sondern drei. Und wenn manche sie als Anspielung auf die drei Kreuze von Golgotha sehen (Dismas und Gestas, die gekreuzigten Räuber, haben ebenfalls ihren Platz auf der Welt), sind sie für die Indigenen eine Referenz an Sonne, Mond und Venus. Und so spricht man fortan in der Welt der Yaqui von anderen Trilogien: von den drei Marias Jesus‘ (Mutter, Maria Magdalena und die Mutter des Kleophas), bis hin zu Mais, Wild und Peyote.

    So wurde eine Welt außerordentlicher synkretistischer Komplexität geschaffen, die die Verschiedenheit der Yaqui und die starke Kraft ihrer Identität integriert und verstärkt. Die Taufe verhinderte oder veränderte nicht die insgeheime Verehrung von Quetzalcóatl, von dem es heißt, er sei der Gott der Yaqui, brachte ihnen aber den Gottesdienst bei, verbot das Opfern von Menschen und Tieren, verbannte Krieg, Diebstahl und Mord und verbot außerdem, dass die Opfergaben aus anderem als Blumen und Brot bestanden.

    Wollte jemand die sonderbare religiöse, traumhafte (die Welt des Zaubers betritt man durch den Traum) und mythische Welt der Yaqui erklären, die aus der Fusion entstand und durch den Katholizismus mit einem Firnis überzogen wurde, so müsste man die Aussage eines von ihnen heranziehen: »Uns gefällt es so, weil es gut ist.«

    Sängerinnen gehörten zu den Ritualen, der Tanz des Wildes und andere Jagdtänze, bei denen auch ihre Identifikation mit der Erde zelebriert wurde – doch wunderbarerweise nahmen nicht die Jäger die Rolle des Subjekts ein, sondern das Wild –, magische Tänze mit freier rhythmischer Interpretation.

    Die Jesuiten gaben den Namen in der Cahita-Sprache zusätzlich katholische Namen, sodass die Dörfer vermutlich hießen: La Asunción de Ráhum, Santísima Trinidad de Pótam, Nuestra Señora de Vícam und so weiter – wenn auch die Yaqui diesen Wechsel offenbar ignorierten und die Umbenennung keine Früchte trug.

    Einen tiefgreifenderen Wandel bewirkten die Beiträge der Jesuiten zur Ökonomie: der Anbau von Weizen und Apfelsinen, der Einsatz von Ochsen und Eseln, in geringerem Maß von Pferden und Rindern, und dazu kommen Werkzeuge aus Eisen, das Rad, der Pflug und die Arbeitswoche von sechs Tagen. Die Welt der Yaqui blühte auf durch die neuen Kenntnisse, die neuen Techniken für die traditionelle Jagd nach Wild, für das Sammeln von Honig, für den Gebrauch der Indigopflanze zum Färben und die Ausbeutung der Salinen.

    Wahrscheinlich übten die Jesuiten auch Einfluss auf die Regierungsform aus, indem sie alte Traditionen mit moderneren mischten und sich auf die Dörfer stützten, die sie in Viertel aufteilten, die eng durch freundschaftliche Beziehungen verbunden waren und in denen es so etwas wie Versammlungen gab, die einen gobernador wählten.

    173 Jahre lang hielt das an, was Margarita Nolasco als gewalttätige kulturelle Einmischung beschrieb und »jesuitische Intoleranz« nannte, für Cécile Gouy-Gilbert aber die virtuose Schranke war, die die Yaqui isoliert hielt und sie mit einem Schutzschild gegen die spanischen Lehnsherren und Ausbeuter von Bodenschätzen ausstattete.

    Beides mag stimmen, aber 1767 vertrieb Karl III. die Jesuiten aus allen Gebieten der spanischen Kolonie, und am 14. Juli erließ Juan de Pineda, Gouverneur der Provinzen Sonora und Sinaloa, mit einiger Verspätung die entsprechenden Befehle, weil sich die Verfügungen aus Mexiko-Stadt verzögert hatten.

    Mit der Vertreibung der Jesuiten aus Neu-Spanien verschwand der »Schutzschild«. Doch von dem intensiven Kontakt blieben die acht Dörfer, die Kollektivität des Landeigentums, eine blühende Landwirtschaft und eine synkretistische Version, die man nicht Katholizismus, sondern die neue Religion der Yaqui nennen könnte. Eine Religion, die eingehüllt in katholische Rituale von Missionaren und Nonnen, die es ab und zu dorthin verschlug, akzeptiert wurde und die die Sintflut, den Erzengel Gabriel, den Gründer der acht Dörfer, und einen Bogen im Himmel miteinander verschmolzen. So blieb eine komplexe Liturgie mit Tänzen, Festen und mit von Göttern bevölkerten Bergen. Alles auf den Anspruch auf das Territorium ausgerichtet. Wie José Velasco sagen sollte. »Yaqui und Territorium sind eins.«

    In den folgenden 250 Jahren nach dem Verschwinden des »jesuitischen Schutzschilds« kam es zu mehr als 200 kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Yaqui und der spanischen Kolonie und später den ersten Regierungen des unabhängigen Mexikos, die unter den trügerischen Lichtern des Fortschritts und vereint in der Mentalität des Raubs nie den Willen der Yaqui nach Autonomie verstehen wollten.

    Als Mexiko im Jahre 1821 unabhängig wurde, waren die Yaqui tatsächlich der vollen Überzeugung, dass ihre acht Dörfer entlang des Flusses von heiligen Propheten einschließlich des Erzengels Gabriel gegründet worden seien und dass das alles in einem »Testament« geschrieben stehe, das ihnen der König von Spanien übergeben würde, damit kein Zweifel bestünde, dass das Land ihnen gehörte, um kollektiv bearbeitet, statt abgetreten, aufgeteilt oder von anderen in Besitz genommen zu werden.

    1825, 1826 und 1832 rief Juan Ignacio Juzcanea gegen die Invasionen und Plünderungen und für die Gründung einer indigenen Nation der Yaqui, Mayo und Opata zu den Waffen. Er wurde auch Juan de la Cruz Banderas oder Bandera genannt, weil er ein Leintuch trug, von dem er behauptete, Moctezuma persönlich habe es ihm gegeben.

    Mit der Jungfrau von Guadalupe als Standarte unternahmen die Aufständischen von ihrer Basis in Ráhum aus ungefähr 2.000 Ausfälle und griffen die umliegenden Dörfer, Haziendas und Bergwerke innerhalb des Territoriums, das sie als ihr eigenes beanspruchten, an.

    Schließlich kam es zu einem Abkommen mit der Regierung von Sonora, woraufhin Banderas sich zwar ergab, aber als capitán general eine bewaffnete Streitmacht auf seinem Territorium behielt. 1832 wurde das Abkommen gebrochen und im Januar 1833 wurde Banderas zusammen mit seinem Adjutanten, dem Opata Dolores Gutiérrez und weiteren elf Yaqui, Mayo und Opata hingerichtet.

    Laut Troncoso beendete diese Niederlage den Krieg, doch die Flüsse blieben erfüllt von revolutionärem Geist und änderten in diesem Jahr und Monat, als würden sie auf Juan Ignacios Ermordung antworten, ihren Lauf. Im Januar 1833 führten große Regenfälle zu einem neuen Verlauf des Río Yaqui, der sein altes Flussbett zwischen Ráhum und Pótam zur großen Überraschung der Einheimischen verließ und sich ein neues suchte. Von den acht Dörfern befanden sich nun Bácum und Cócorit auf dem linken, Belem, Güírivis, Pótam, Ráhum, Tórim und Vícam auf dem rechten Ufer.

    1841, als José Urrea Gouverneur von Sonora war, der Erfahrungen im Krieg mit den Apachen und dem Texaskrieg gemacht hatte (er war der einzige General, der den Anweisungen zur Kapitulation von Santa Anna nicht Folge leisten wollte), wurde davon gesprochen, das Gemeindeland der Yaqui zu verteilen und zu privatisieren.

    1843 berichtete ein Spanier namens Vicente Calvo, der, bevor er nach Europa zurückkehrte, in Sonora ein Vermögen machen wollte, über seine Reise durch das Territorium. Naiv und rassistisch schrieb er: »Die Yaqui und Mayo [sind] von mittlerer Größe und schwachem Körperbau wegen der Ausschweifungen, denen sie sich hingeben. Sie sehen abstoßend und braungebrannt aus.« Jahre später sollte der US-amerikanische Journalist John Kenneth Turner, Autor von México bárbaro, sagen: »Die körperliche Entwicklung der Yaqui ist bewundernswert. Auf meinen Reisen durch Mexiko habe ich gelernt, sie auf den ersten Blick an ihren breiten Schultern, ihrer starken Brust, ihren kräftigen Beinen und ihrem gegerbten Gesicht zu erkennen. Der typische Yaqui ist fast ein Riese und von athletischer Rasse.« Und der Ingenieur Alfonso Fabila, Autor der ersten ernsthaften Studie über den Stamm in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, beschrieb sie als groß, kupferfarben, schwarzhaarig, mit einer mittleren Größe von 1,74 m bei den Männern und 1,65 m bei den Frauen.

    Warum machte Calvo sie kleiner, schwächer und hässlicher? Und sagte weiter: »Die meisten von ihnen gehen gewöhnlich ohne Hemd und Hosen und bedecken ihre Geschlechtsteile mit einer Art grobem Leintuch als Unterhose, das sie Lendenschurz nennen.« Auch wenn er später mit diesem Widerwillen, der einen die Welt aus dem zerbrochenen Spiegel des Geldes betrachten lässt, zugibt, dies sei der Hitze geschuldet und dass »sie wirklich sehr arm sind«. Wobei er die wunderbaren Mäntel ignorierte, die die Yaqui-Frauen für den Winter webten.

    Und setzte fort: »Rache ist ihr bevorzugtes und vorherrschendes Laster. Ihre Trägheit ist so groß, dass sie den größten Teil ihres Lebens damit verbringen, auf dem Boden zu liegen und vergorene Flüssigkeiten zu trinken.« Das Bild des Yaqui als Faulpelz sollte sich 50 Jahre später noch verstärken, als der gegen sie kämpfende Militärarzt Manuel Balbás notierte: »Der Yaqui arbeitet nur, wenn er es wirklich nicht vermeiden kann (…) das kommt von seinem trägen und faulen Charakter. Nur im Krieg ist er flink, tapfer und begeisterungsfähig.« Oberst Francisco de Paula Troncoso, der 1905 die wichtigste Studie über die Yaqui-Kriege vom Standpunkt der porfiristischen Armee aus erstellte, bezeichnete sie hingegen als große, unermüdliche Arbeiter, die Hitze und Kälte widerstehen: »Einer von diesen Indigenen kann am Tag die doppelte Arbeit eines Arbeiters der weißen Rasse leisten.«

    Calvo fuhr fort: »Alle reden gleichzeitig (…), Streit und Ohrfeigen sind die unmittelbare Folge dieses Durcheinanders, und die Streitenden beißen sich förmlich, versetzen sich Fußtritte und reißen sich büschelweise Haare aus (…) sie sind äußerst rachsüchtig, während sie gleichzeitig niederträchtig und feige sind (…) diese Indios sind ebenso zu Dieben geworden wie die anderen Stämme, sie stehlen Kühe, Pferde und Ochsen (…) sind dem Spiel verfallen, weil es ihnen als eine erholsame Beschäftigung erscheint, die gut zu ihrer Faulheit und Trägheit passt (…) ihre Faulheit ist so groß, dass, wenn sie eine Tür öffnen, sie diese nie schließen.« Calvo wusste nicht oder wollte nicht wissen, dass die Türen in der Yaqui-Gemeinschaft nicht geschlossen wurden, weil sie weder Schlösser noch Schlüssel hatten, und zwar deshalb, weil sie sie nicht brauchten.

    Diese Äußerung der Sitten, das Fehlen von Schlüsseln und Schlössern, verband sich mit etwas, das Calvo nicht sehen wollte, was Fabila aber notierte: Der Besitz ist kollektiv, jeder Einzelne kann säen, wo er will, solange er das Land nicht als sein eigenes beansprucht. Balbás, ein Militär ohne viel Gespür, der später an den Feldzügen gegen die Yaqui teilnehmen sollte, sagte: »Die Indios sind im Wesentlichen kommunistisch (…) alle sind arm [und] untereinander sind sie ziemlich großzügig.«

    Doch kommen wir zu Alfonso Fabila zurück. Viele Jahre nach den hier erzählten Ereignissen sollte er in einer Studie im Auftrag von Lázaro Cárdenas sagen: »Ihre Wirtschaftsproduktion ist kommunitär sowohl bezüglich der Verteilung als auch des direkten Konsums. Es gibt eine kollektive Kontrolle und eine plebiszitäre Regierung, aber weder Privateigentum noch Sklaverei, Knechtschafts- oder Lohnverhältnis, weder Kapitalismus noch Zinsen oder Wucher, sie ist frei von ausgebeuteten und ausbeutenden Klassen.«

    Dagegen fuhr Calvo in seinem rassistischen Wahn fort: »Wenn man sie im Voraus bezahlt, hören sie auf, die Arbeit zu erledigen (…) bevor sie sprechen, kratzen sie sich zuerst in den Haaren, und wenn es Frauen sind, am Oberschenkel (…) man darf ihnen keine Uhr oder Flinte überlassen, denn sie machen sie kaputt und können nur mit Stöcken und groben Gegenständen umgehen.«

    Calvo hatte Mühe, das ABC der Ausbeutung zu begreifen: Ein Mensch ist stark, wenn er frei ist, er ist träge, wenn er versklavt ist und für andere arbeitet. Und da ihm diese halbwilden Indigenen nicht gefielen, beendete er seinen Sermon mit: »Der Gesang der Eingeborenen ist düster und melancholisch und von plumpen Instrumenten begleitet.«

    Ganz im Gegenteil war die musikalische Welt der Yaqui reich an Instrumenten: Violine, Trommel, Flöte und die große Pauke wurden beim Weiden, beim Tanzen und selbst bei der Jagd gespielt.

    Der Schlüssel liegt wohl in dem Satz: »Bevor die Yoris [die spanischen/mexikanischen Angreifer] kamen, feierten wir bessere Feste als heute.«

    Doch das konnten Calvo und Seinesgleichen nicht verstehen.

    2.

    Pesqueira und El Médano

    Intelligenter Blick, relativ jung (47 Jahre alt), kleiner Henri-IV.-Bart, der Richtung Ziegenbart ging, schütteres Haar und große Courage: Ignacio Pesqueira, der Gouverneur von Sonora 1867, war liberal, sogar sehr liberal, und natürlich verstand er seinen Staat als einen weiten Raum des Fortschritts, fern von Gottes Blick. Er verstand ihn, wie ihn die Kaziken verstehen, nicht wie Demokraten, denn so konnte man zugleich liberal und völlig autoritär sein. (Das war die Falle der siegreichen Juárez-Bewegung.) Er wurde 1820 in Arizpe geboren, damals Hauptstadt der Provinzen Sonora und Sinaloa, wuchs jedoch in Sevilla, Spanien, auf, wo er sich der fortschrittlichen Studentenbewegung anschloss. Mit 18 kehrte er nach Mexiko zurück und zog 1846 unter dem Befehl von General Urrea in den Krieg gegen die Gringos. In den letzten Dienstjahren des Generals López de Santa Anna wurde er Inspektor der nationalen Grenzgarden, lokaler Abgeordneter und Verfolger »rebellischer« Indigener; verwickelt in Aufstände und Gegenaufstände, wird er schließlich Gouverneur und schließt sich der liberalen Bewegung für die Verfassung von 1857 an.

    Pesqueira war ein konsequenter Liberaler und hatte das Verdienst, den Vertrag von Präsident Ignacio Comonfort mit dem Schweizer Bankier und Börsenspekulant Jean-Baptiste Jecker nicht zu kennen, der sich damit die Brachflächen von Sonora sicherte. Als es zum konservativen Putsch kam, schloss sich Pesqueira erklärtermaßen Juárez’ Leuten an und kämpfte im Reformkrieg auf der Seite der Liberalen. Ende 1857 erhoben sich die Yaqui und Mayo als Antwort auf die häufigen Invasionen in ihr Territorium, gleichzeitig bekämpften konservative Anhänger von General Manuel María Gándara de Gortari die Reform. Pesqueira besiegte sie Anfang 1858. Sein größter Erfolg war der Feldzug von Sinaloa, der 1859 in der blutigen Einnahme von Mazatlán gipfelte.

    Die Konflikte mit den Yaqui und Mayo gingen in der kurzen Zeit zwischen dem Reformkrieg und der französischen Intervention weiter. Pesqueira reagierte auf die Forderungen der Stämme brutal. So berichtet Spicer, dass 1861 »in der Umgebung von Tórim die Politik der verbrannten Erde betrieben wurde«, und Oswald Crawford erzählt, dass »Gouverneur Pesqueira 100 Pesos für jeden Skalp eines Yaqui geboten hat«. Im selben Jahr wurde Manuel Escalante, dem Präfekten von Hermosillo, von der Miliz eine Gruppe von mehr als 150 gefangenen Yaqui übergeben, zumeist Frauen und Kinder. Er schickte sie dem Präfekten von Altar, damit dieser sie dort als Bedienstete verteilte. Dass die Hausarbeiten in den kleinen Dörfern von Indigenen verrichtet wurden, war nicht unüblich, aber hier handelte es sich um entführte Yaqui, die man mehr oder weniger in die Sklaverei zwang.

    Als die französische Intervention zum Projekt von Kaiser Maximilian I. wurde, entschied sich Pesqueira für die republikanische Sache und wies die Angebote des Kaisers zurück.

    Für die Yaqui und Mayo war die Sache weniger kompliziert, sie standen einfach am Rande. Wie Spicer sagt, war der Krieg gegen das Kaiserreich »für die Yaqui nebensächlich«. Sie waren auf beiden Seiten zu finden: Juan Tanori, seit 1859 unter Waffen, als er die Gemeinde Batuc überfiel, um Gewehre zu erbeuten, kämpfte mit den Anhängern von Gándara und wurde 1866 von den Truppen Ángel Martínez’ füsiliert. Aber zum Ende des Krieges gegen das Kaiserreich war eine Kavallerie-Guerilla aus 100 Yaqui auf der Seite der Republik aktiv, angeführt von José María Leyva, genannt Cajeme, der während des Feldzugs in den Rang eines Hauptmanns aufstieg.

    Mit dem Fall des Kaiserreichs und der Erschießung von Maximilian in Querétaro bot Pesqueira »entsprechend der Stimme meines Gewissens und aus Humanität« den Yaqui und Mayo eine Amnestie an, und die Stämme kapitulierten. Es begann die Restauration, der Wiederaufbau eines Landes, das jahrelang durch Bürgerkrieg und den Widerstand gegen das Kaiserreich verwüstet worden war.

    In Sonora und vielen anderen Orten ist Fortschritt das Synonym für Kapitalismus. Er reitet das Pferd des Teufels, auch wenn er im Gewand der Moderne daherkommt, unter juristischem Mantel und ideologischer Maske: Das Gesetz über das Brachland erlaubte es, Land zur Besiedlung zu verkaufen, das die Regierung als »Brachland« definierte. Die Verfassung von 1857 besagte, dass das Land Individualeigentum sei und wenn die Yaqui Teil der Nation sein und sich dem Fortschritt anschließen wollten, müssten sie die Aufteilung ihres Landes akzeptieren: die Parzellierung, die Distribution eines Teiles davon unter ihnen als Individuen und die Verteilung des Restes an andere Staatsbürger. Wie Spicer schrieb, wurde »dieses von den Großgrundbesitzern favorisierte Rechtssystem mit der Aura des Heiligen versehen und mit Zivilisation gleichgesetzt, und zwar von denen, die den Gewinn machten«.

    Der liberale Gouverneur beschloss, die Kolonisierung des Territoriums der Yaqui und Mayo zu fördern. Anfangs verlangte ein Viehzüchter aus San Luis Potosí namens Ignacio Gómez del Campo Konzessionen für Rinderfarmen am Ufer des Río Yaqui und des Río Mayo. Unter Berufung auf das Brachlandgesetz bewarb er sich für 25 Gebiete und erhielt 43.900 Hektar. Pesqueira gründete zudem eine Gesellschaft, der auch der Präfekt von Guaymas und zwei Chefs der lokalen Milizen angehörten, und ermöglichte Mexikanern und Ausländern den Kauf von Anteilen zu 100 Pesos. Kurz darauf bat er um ein staatliches Darlehen über 30.000 oder 40.000 Pesos, erhielt aber nur erbärmliche 600 an Bundeshilfe und versteigerte das Land, das er vom ehemaligen Anhänger des Kaisers, Manuel María Gándara, konfisziert hatte.

    »Die Yaqui fangen wieder an zu kämpfen«, schrieben die Lokalzeitungen. Ramón Corral, eine zentrale Figur in der zukünftigen Geschichte, bestätigte: »Die Stämme erheben sich aus beliebigen Gründen.«

    Am Río Mayo kam es zu einem Aufstand, bei dem der Kazike Matías getötet wurde, der auf der Seite der Regierung stand; in Santa Cruz wurde die Militärgarnison zerstört und der Militärkommandant von Bácum getötet. Pesqueira antwortete mit der Stationierung einer Truppe von 100 Mann in der Region von Guaymas, unter dem Kommando von Oberst Próspero Salazar Bustamante, und mit 400 weiteren unter dem Kommando von Präfekt Prado. Unter Pesqueiras persönlichem Befehl stieß General García Morales (Veteran der Kämpfe gegen das Kaiserreich) in einer zweiten Phase des Feldzugs ins Innere des Yaqui-Territoriums vor, von Guaymas und Cócorit aus in zwei Kolonnen vorrückend, die sich in El Médano in der Nähe von Pótam und der Küste vereinten.

    Der Marsch auf El Médano artete in ein Massaker aus, wobei die Militärkolonnen auf nur schwachen Widerstand kleiner Gruppen stießen, deren größte nur 60 Kämpfer umfasste, mehrheitlich eher mit Pfeil und Bogen als mit Gewehren bewaffnet. Männer, Frauen und Kinder wurden gefangen genommen, die als Anführer Identifizierten erschossen und manchmal auch alle anderen. Vieh wurde beschlagnahmt, Nahrungsmittel wurden gestohlen, und sogar der äußerst parteiische Troncoso sollte dies als »erbarmungslosen Krieg« bezeichnen.

    Die Hauptstadtpresse ignorierte das Thema weitgehend und berichtete nur ab und zu über Diebstähle in kleinen Dörfern – vergleichsweise unbedeutende Ereignisse in dem verwüsteten Land. Was sich in Sonora ereignete, schien offiziell niemanden zu interessieren.

    Pesqueira musste 1868 wegen der bewaffneten Konflikte innerhalb des Staates die Operationen unterbrechen. Die Yaqui griffen die Garnisonen, wenn auch seltener, weiterhin an. Bis zu dieser Zeit lebten im Yaqui-Tal und den acht Dörfern nur 20 weiße bzw. Nicht-Yaqui-Familien. Die Invasion erfolgte von den Rändern des Territoriums aus.

    Im Oktober richtete eine Überschwemmung des Río Yaqui und des Río Mayo große Schäden in den Dörfern an und verwüstete die Region.

    Wie Edward Spicer schrieb, brachte »die Volksmythologie der Yaqui gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Erzählung hervor, alle Mexikaner seien aus von Gott zusammengekehrtem Müll gemacht. Bei den jährlichen Osterfeiern trugen viele Yaqui Masken bösartiger Wesen, die mexikanische Soldaten darstellen sollten (…), mit weißer Haut, großen Schnurrbärten und Mützen.«

    3.

    Die brennende Kirche

    Alles, was bisher erzählt wurde, ist nur die Kurzfassung eines langen Prologs. Der eigentliche Beginn dieser Geschichte ist schrecklich. Der lang andauernde Volkskrieg begann mit einer in Brand gesetzten Kirche. Man muss sich nicht wundern: Die Geschichte Mexikos gründet sich auf Barbarei und Rechtsbruch, und insbesondere die Ereignisse, die ich nun erzählen werde, sollten für viele Jahre im kollektiven Gedächtnis der Yaqui überdauern.

    In den ersten beiden Monaten des Jahres 1868 erfolgten weitere Angriffe der staatlichen Milizen von Sonora gegen die Yaqui. Nicht nur wurden Gruppen von Aufständischen verfolgt, sondern man begann auch mit der Beschlagnahmung von Vieh, unter dem Vorwand, ein Teil der Rinder sei von nahegelegenen Haziendas gestohlen worden. So kam es zwischen dem 8. und dem 10. Januar zu mehreren Kämpfen und am 12. Februar besiegten Truppen unter Oberst Salazar bei Cócorit eine Yaqui-Gruppe und hinterließen laut offiziellem Bericht 33 Tote.

    Drei Tage später tauchten in der Umgebung von Bácum 600 Indigene (Männer, Frauen und Kinder) auf und baten um Frieden. Möglicherweise hatten sie mit der zuvor genannten Gruppe nichts zu tun, aber Oberst Próspero Salazar Bustamante, der unter Garnisonskommandant García Morales diente, nahm sie gefangen, weil er befürchtete, »sie kämen in böser Absicht«, und forderte sie auf, 300 Feuerwaffen abzuliefern. Die Gruppe übergab die 48, die sie mitführten, zumeist Zündfunkengewehre und minderwertige Flinten, und Salazar Bustamante ließ 150 Gefangene frei. Drei Tage später, am 18. Februar, marschierte er mit 450 Gefangenen in Bácum ein, sperrte sie in der Kirche ein und erklärte sie zu Kriegsgefangenen.

    Die Artillerie umzingelte die Kirche, der Oberst wählte aufs Geratewohl zehn Gefangene aus, beschuldigte sie, die Anführer zu sein, und drohte, sie zu erschießen, falls jemand zu fliehen versuchte oder sie die Feuerwaffen nicht abgaben, die sie anscheinend versteckt hielten.

    Unter dem Vorwand, ein Wachtposten sei attackiert worden, wurden die Geiseln um halb zehn Uhr nachts erschossen. In den darauf folgenden Stunden schossen einige Soldaten durch die Fenster der Kirche, und ein Feuer brach aus. Die Situation war völlig chaotisch. Die Indigenen brachen die Tür auf und die gegenüber dem Eingang postierte Artillerie ließ mehrere Salven auf die unbewaffnete Menge niedergehen. Vor der Kirche blieben zwischen 70 und 120 Leichen zurück und die übrigen Gefangenen, viele von ihnen

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