Die andere Medizin der Schönen und Reichen: Das gefährliche V. I. P.-Syndrom
Von Imre Kusztrich
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Die andere Medizin der Schönen und Reichen - Imre Kusztrich
Die andere Medizin der Schönen und Reichen
Das gefährliche V. I. P.-Syndrom
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IGK-Verlag
7100 Neusiedl am See, Österreich
Copyright © 2015
ISBN: 9783958492073
Fotos: © gpointstudio-Fotolia.com, Engel-Fotolia.com
Inhalt
Einführung
Problemzone V. I. P.-Zufriedenheit
Gegenseitige Feindseligkeit
Zu wenig, zu viel
Privilegien mit Risiko
Die Krankheit als Star
Das V. I. P.-Syndrom
Krankheit, als Beleidigung empfunden
Jeder nimmt die Prominenz, die er kriegt
Bücher über das Nichtnormale
Michael Douglas, Krebs und entsetzte Ärzte
Medieninteresse und Schweigepflicht
Teurere Medikamente, bessere Medikamente?
Negative Prominenz und medizinische Risiken
Hildegard Knef, die Kranke der Nation
Morbus Mohl, Morbus clinicus
Gunter Sachs, Selbstmord mit Vorgeschichte
Die Medien und die Selbsttötung
Prominenz und Demenz
Ein prominenter Patient namens Barbaro
Auf den Punkt gebracht
Einführung
Wann immer eine vom Schicksal eigentlich mega-begünstigte Persönlichkeit wie etwa der FIAT-Boss Gianni Agnelli, der Lebenskünstler Gunter Sachs oder das Apple-Genie Steve Jobs durch ihren unzeitgemäßen Tod die Schlagzeilen beherrscht, vereint Abermillionen Zeitgenossen der gleiche Gedanke: „Schon wieder hat das viele Geld nichts bewirkt."
Dann bleiben zum Beispiel Verehrer von Udo Jürgens mit der Frage zurück, ob nicht doch irgendein Arzt nach den immensen Strapazen rund um den 80. Geburtstag dieser Unterhaltungs-Legende und wegen der Aufzeichnungen zur Helene Fischer-Show kurz danach am 12. Dezember ein Risiko für das Herz des Künstlers hätte vorausahnen können. Am 21. Dezember kam jedes Nachdenken zu spät.
Es ist nicht der Reichtum, der gefährlich ist. Es ist das Berühmtsein, das sehr viel ändert.
Die Unterschiede einer medizinischen Betreuung können winzig sein. Die Ärzte üben ein bisschen mehr Rücksicht, und auch die Patienten sind ein bisschen anders.
Menschen ganz oben verdanken ihren Aufstieg an die Spitze häufig bestimmten und unverrückbaren Verhaltensweisen. Typisch ist, dass sie nein nicht als Antwort akzeptieren. Die Super-Wichtigen und Super-Erfolgreichen unter ihnen können geprägt sein von Selbstüberschätzung, dominant und beratungsresistent. Sie vertrauen meistens ihrem Bauchgefühl mehr als den Fakten anderer und halten wenig von Regeln, die sie nicht selbst erlassen haben. Unter dem Stress einer Erkrankung werden solche Eigenschaften noch verschärft. Insgesamt wirken sie eher nicht lebensverlängernd.
Steve Jobs zum Beispiel bestimmte jahrelang die Therapien gegen den Krebsbefall der Bauchspeicheldrüse selbst. Er zeigte als sein eigener Arzt die gleiche Unbeirrtheit, mit der er das Silicon Valley beherrschte. Das von ihm propagierte heimliche Abwerbeverbot von Software-Talenten der fünf größten Wettbewerber untereinander kann noch Jahre nach seinem Tod dem Apple-Konzern Hunderte Millionen Dollar an Strafzahlungen kosten, weil Tausende Hochbegabte um ihre Chancen auf Aufstieg oder Gehaltserhöhungen betrogen wurden und heute Schadensersatz einklagen.
Sobald sture Verhaltensweisen eines extrem Erfolgreichen mit dem Gesundheitswesen kollidieren, stehen die Chancen nicht zum Besten.
Kritischere Köpfe führen den Gedanken weiter, bis zu einer fast ketzerischen Zuspitzung. Dass nämlich eine wie auch immer begründete Sonderstellung während der schmalen Gratwanderung zwischen Gesundheit und Krankheit möglicherweise nicht nur wenig hilfreich sind, sondern unter Umständen sogar hinderlich.
Der amerikanische Schriftsteller F. Scott Fitzgerald schrieb in einer Kurzgeschichte mit dem Titel „The Rich Boy: „Lass mich dir von den sehr, sehr Reichen erzählen. Sie unterscheiden sich von uns.
Besonders groß wird diese Kluft, wenn eine Krankheit im Spiel ist. Und nur ganz selten zum Vorteil dieser berühmten Zeitgenossen.
Wie?
Privat Versicherte mit einem großen Namen, für die in der Regel die Kosten keine große Rolle spielen, sollen am Ende schlechter dran sein als ein stinknormaler Kassenpatient?
Seit Jahrzehnten ist diese Sorge Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und Erörterungen. Viele Antworten liegen auf dem Tisch.
Für Ärzte kann es beispielsweise ungewohnt schwer sein, einem inneren Drang zu widerstehen, die üblichen Prozeduren zu vereinfachen oder abzukürzen, um dem besonderen Patienten Unbehagen möglichst zu ersparen.
Ärzte können besonders rücksichtsvoll agieren oder sie können ihr klares Urteilsvermögen einschränken, wenn sie es mit einem ungewöhnlich wichtigen Patienten zu tun haben. Für die damit verbundenen Risiken besteht seit 1964 der Begriff V. I. P.-Syndrom, zum ersten Mal publiziert von einem Psychiatrieprofessor namens Dr. Walter Weintraub. V. I. P. steht für englisch: very important person, sehr wichtige Person, und Syndrom für das gleichzeitige Vorliegen verschiedener Risiken und Krankheitszeichen.
Im „The Journal of Nervous and Mental Disease schrieb Dr. Weintraub: „Die Behandlung einer einflussreichen Person kann extrem gefährlich sein für beide, Patient und Arzt.
Die Gefahr, dass eine als wichtig anerkannte Person ihren Status benutzt, um durch ihre Anwesenheit einen auf seinem Gebiet verantwortlichen Fachmann mächtig unter Druck zu setzen, ist nicht auf die Medizin beschränkt. Unter den Theorien über die Gründe des Absturzes einer polnischen Regierungsmaschine vom Typ Tupolew 154 im April 2010 bei Smolensk wurde auch über ein V. I. P.-Passagier-Syndrom spekuliert: Neben 94 anderen Fluggästen befand sich der Präsident Polens, Lech Kaczynski, mit seiner Frau. Der Staatschef hatte schon im August 2008 einen Luftwaffen-Piloten kritisiert, der aus Sicherheitsgründen wegen der Kriegshandlungen zwischen Russland und Georgien eine Landung in Tbilisi verweigern wollte. Luftfahrtexperten schließen nicht aus, dass sich in Smolensk etwas Ähnliches abspielte. Die russische Luftfahrtbehörde hatte der polnischen Besuchergruppe wegen schlechter Wetterverhältnisse einen Ausweichflughafen vorgeschlagen. Das berichtete der Pilot dem Präsidenten offensichtlich, dessen Entscheidung nicht bekannt wurde. Jedoch bei einem vierten Landungsversuch zerschellte die Maschine auf dem Boden.
Von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, wurden die speziellen Umstände eines V. I. P.-Syndroms im Medizinbetrieb bereits in zahlreichen Studien wissenschaftlich analysiert und präzisiert (hier eine Auswahl, zur Autorisierung und besseren Auffindbarkeit mit ihrem Originaltitel: „Beware the V. I. P. Syndrome, Block A.Jay, 1993; „Ethical considerations in clinical care of the ‘V. I. P.’
, Schenkenberg T., 2007; „Celebrities in the ED: managers often face both ethical and operational challenges, ED Manag, 2006.; „The V. I. P. with illness
, Strange RE, 1980; „V. I. P. patients should be treated differently, Mellick L. ED, 2000; „The V. I. P. syndrome
, Weintraub W, 1964).
Alle teilen eine Auffassung. Die gängige Standardbehandlung von Patienten ohne besonderen gesellschaftlichen Rang hat sich in Millionen Anwendungen herauskristallisiert, um mit dem sinnvollsten Aufwand das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, ohne Ansehen der Person. Jedes mehr, jedes Weniger stellt eine Abweichung vom bewährten Prinzip dar.
Manches Mal sind die Änderungen von der Norm für jeden ersichtlich. So empfiehlt eine Fachzeitschrift für Management-Ausbildung konkret, für Berühmtheiten abseits gelegene Räume vorzuhalten, in denen sie unbemerkt von anderen Patienten empfangen und untersucht werden können. Auch die Registrierung unter falschem Namen wird angeregt. Die Absicht ist klar: „Die angenehme Erfahrung einer reichen V. I. P. oder eines Förderers kann für die Einrichtung Millionen wert sein."
Das wird in der Konsequenz bedeuten, dass aus Gründen der Diskretion oder des Komforts ein prominenter Kranker nicht in die Intensivstation mit den am besten geeigneten Geräten zur Diagnose und Überwachung eingewiesen wird, sondern weitab in die luxuriöseste Patientensuite.
Andere Kriterien sind rein psychologischer Art und erinnern an die Diskussion, ob ein Arzt seine eigenen Familienangehörigen behandeln soll. Da besteht allgemeiner Konsens, dass das eine schlechte Idee wäre, die eine Reihe von Problemen geradezu anzieht. Ein Arzt in einer solchen Rolle ist möglicherweise nicht so objektiv, wie er sein sollte. Er hat eine emotionale Bindung zu seinen Angehörigen und umgekehrt. So mancher kranker Verwandter wird diesem Arzt auf seinen Vorschlag vielleicht antworten: „Das bitte nicht!"
Ein Konflikt von Interessen führt eventuell dazu, dass nicht die beste Behandlung garantiert ist.
Es gibt eine Reihe von Umschwärmten, Berühmten, Mächtigen, Erfolgreichen und Wunderschönen, die auch in einer Notlage liebenswert sind. Aber einige V. I. P.s wurden erfolgreich, weil sie ihren Kopf durchsetzen, und anerkennen nicht bewährte Prozeduren, die entwickelt wurden, um Schaden abzuwenden. Mit solchen Zeitgenossen kann der Arzt erleben, dass sie eine Narkose oder einen kleinen Eingriff für nicht riskanter halten als einen Termin in einer Wellness-Oase, und für Aufklärung und Warnung haben sie prinzipiell keine Antennen. Aber gewisse Informationen mit Bezug auf eine bevorstehende medizinische Handlung sind unumgänglich. Wehe, einer nimmt sie nicht ernst! Oft kann dem Patienten geraten werden, etwa Aspirin oder blutverdünnende Medikamente abzusetzen. Gleichzeitig muss ihm dann bewusst sein, dass diese Maßnahme geringfügig die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls durch einen Blutklumpen im Gehirn erhöht. Oder er muss die Einnahme einer Substanz zur Blutdrucksenkung unterbrechen, und der daraus resultierende Blutdruckanstieg kann zu Gehirnblutungen und ebenfalls zu Gehirnschlag führen. Diese Gefahren muss der Patient für sich abwägen. Aber nicht wenige sind es tagtäglich gewohnt, selbst minimalste Einzelheiten vorzugeben