Grundeinkommen statt Urheberrecht?: Zum kreativen Schaffen in der digitalen Welt
Von Ilja Braun
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Über dieses E-Book
Das Urheberrecht ist im Digitalzeitalter in eine fundamentale Krise geraten. Dabei ist Kreativität in der immateriellen Ökonomie der wesentliche Wertschöpfungsfaktor geworden. Doch wer ist heute kreativ, und wer eignet sich die Gewinne an? Kann das bedingungslose Grundeinkommen eine Antwort auf diese Krise geben? Ilja Brauns Essay ordnet die unübersichtliche Debatte über das Urheberrecht und weist Wege aus der Prekarisierung von Kreativarbeit.
Geistiges Eigentum und freies Wissen – zwischen diesen beiden Polen hat sich die Debatte um das Urheberrecht im Digitalzeitalter eingependelt. Dabei geht es längst um viel mehr: Kreativität ist der wesentliche Produktivfaktor in einer zunehmend auf immaterielle Wertschöpfung ausgerichteten Ökonomie. Unternehmen erwirtschaften ihre Gewinne mit »Innovationen« und »Ideen«. Doch was geben sie dafür an die Kreativschaffenden zurück?
Ilja Brauns Essay ordnet die unübersichtliche Debatte über das Urheberrecht. Dabei nimmt er von der Kulturflatrate bis zur Idee einer öffentlich-rechtlichen Produktionsfinanzierung die wichtigsten Lösungsansätze kritisch in den Blick, um schließlich den Bogen zur Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen zu schlagen. Kann es eine Antwort auf die digitale Krise des Urheberrechts und die Demokratisierung der Kreativität sein?
Ilja Braun
Ilja Braun, geb. 1970, lebt als Journalist, Literaturübersetzer und politischer Referent in Berlin. Er arbeitet und publiziert zu Themen aus dem Bereich der Kultur-, Medien- und Digitalpolitik.
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Grundeinkommen statt Urheberrecht? - Ilja Braun
Ilja Braun, freier Autor und Journalist, hat als Lektor und Literaturübersetzer für Buchverlage gearbeitet, für das Urheberrechtsportal iRights.info geschrieben und am Deutschen Bundestag die Arbeit der Enquete-Kommission »Internet und digitale Gesellschaft« begleitet. Er gehört der Redaktion des Medienmagazins CARTA an und pendelt zwischen Köln und Berlin.
WWW: www.iljabraun.de
Ilja Braun
Grundeinkommen statt Urheberrecht?
Zum kreativen Schaffen in der digitalen Welt
Logo_transcript.pngBibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
eBook transcript Verlag, Bielefeld 2014
© transcript Verlag, Bielefeld 2014
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Covergestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld
Korrektorat: Tabea Koepp, Bielefeld
Konvertierung: Michael Rauscher, Bielefeld
ePUB-ISBN: 978-3-7328-2680-3
http://www.transcript-verlag.de
Inhalt
Dank
Einleitung
1. Cardillacs Erben
Kreative Krämerseelen
Aus dem Geiste der Romantik
Urheberrecht und Copyright
Champagner aus Gehirnschalen
Angemessene Vergütung und Vertragsfreiheit
2. Der Wert der Kreativität
That unprosperous race of men called men of letters
Aneignung durch Leistung
Respekt vor der Leistung
Respekt vor der Eigentumsordnung
Kunst und Markt
3. Neue Geschäftsmodelle statt veralteten Urheberrechts?
Mehr Markterfolg für alle
Selbstvermarktung
Neue Geschäftsmodelle
Der Unterschied zwischen Künstlern und Unternehmern
4. Von Qualitätsklassen, Mehrwertdiensten und Premium-Content
Die Flatrate-Falle
Das Ende der Netzneutralität
Zweiseitige Märkte
Cui bono?
5. Urheberrecht und Datenschutz
Öffentlichkeit und Privatsphäre
Haste was, dann biste was: bürgerliches Privateigentum
Urheberrecht und Datenschutz
Daten als Treibstoff der Netzökonomie
Zwischen Traum und Tat
6. Kampfbegriff geistiges Eigentum
Knapp vorbei?
Ostrom reloaded
Enclosure of the commons
Das Ende des Eigentums?
Verwertung
Das neue DRM
Weg von der Distributionsebene
7. Kulturflatrate: Bezahlsystem, Vergütungsmodell oder Gesellschaftsvertrag?
Die Kulturflatrate
Berechnungsmodelle
Entkriminalisierung und Kompensation
Marktversagen
Vergüten statt verfolgen
Die CCC-Kulturwertmark
Abkehr von der Nutzung als Grundlage der Vergütung
Umverteilung
Flattr reloaded?
Sharing – Kultur jenseits des Marktes
Verteilungsfragen
8. Ein öffentlich-rechtliches Internet
Ein öffentlich-rechtlicher Rundfunkfonds
Fondsmodell für Netzinhalte
Das AG-DOK-Modell
Mehr Geld fürs Netz
Öffentlich-rechtlich neu denken
Noch eine Zwangsgebühr?
Chance für Kreative
Geräteabgaben
Gedankenspiele
9. Wie weit reicht das Urheberrecht?
Verrechtlichung
Die Grenzen des Vertragsrechts
10. Bedingungsloses Grundeinkommen
Wer, wie, was, warum?
Incentives
Nonmarket peer-production
Wikinomics
Mehr Reichtum, weniger Arbeit
Kreative Arbeit und Grundeinkommen
Ausblick
Literatur (Auswahl)
Dank
Für Anmerkungen zum Manuskript danke ich Constanze Brockmann, Leonhard Dobusch, Claudia Jünke, Jan Valk und Michael Volkmer.
Berlin, im Dezember 2013
Einleitung
»[…] ist Armut an sich noch keineswegs rebellisch. […] so gehört jedenfalls ein ziemlich geheimnisvoller Antrieb dazu, revolutionär zu sein. Er stammt nie aus der Armut allein, die ihn oft verdeckt, sondern aus einem Gefühl unbesessenen ›Besitzes‹, der einem zukommt […]«
Ernst Bloch, Spuren[1]
Wenn das Urheberrecht sich im Internet nicht mehr durchsetzen lässt, wovon sollen Kreativschaffende dann in Zukunft leben?
Das ist natürlich eine rhetorische Frage. Sie wird in der Regel von Leuten gestellt, die durchaus nicht bereit sind, sich mit der eigenen Diagnose abzufinden. Sondern im Gegenteil erreichen wollen, dass das Urheberrecht im Internet besser durchgesetzt wird. Von Leuten also, die keine Antwort suchen, sondern die Frage loswerden wollen.
In den letzten zwei Jahren hat in Deutschland eine große Urheberrechtsdebatte stattgefunden. Ihren Höhepunkt erreichte sie im Mai 2012 mit einem in der ZEIT veröffentlichten Aufruf von mehr als 100 Autoren. Unter dem trotzigen Titel »Wir sind die Urheber« protestierten diese gegen die vermeintlichen »öffentlichen Angriffe gegen das Urheberrecht«.[2] Sie hatten dabei vermutlich vor allem die Forderungen der Piratenpartei im Sinn, die gerade ein vorübergehendes Stimmungshoch erreicht hatte.
Wie fast jede mediale Debatte ist auch diese gänzlich folgenlos geblieben. Die von manchen erhoffte und von vielen gefürchtete radikale Reform des Urheberrechts ist ausgeblieben. Und die patzige Frage, wovon denn Kreative bitteschön leben sollen, wenn nicht von ihrem Urheberrecht, ist unbeantwortet geblieben. Zu Recht, meinen jene, die sich mit ihr konfrontiert sahen. Schließlich habe niemand je die Abschaffung des Urheberrechts gefordert. Und warum soll man sich mit einer Frage beschäftigen, die man hingeworfen bekommt wie einen Fehdehandschuh?
Zugegeben, ideologische Grabenkämpfe führen zu nichts. Aber an sich hat die Frage durchaus eine Antwort verdient. Denn tatsächlich können die meisten Kreativen von ihrem Urheberrecht heutzutage nicht leben.
Konnten sie es je? Wenn man sich die Zahlen zum Einkommen von Kreativschaffenden anschaut, die Jahr für Jahr von der Künstlersozialkasse veröffentlicht werden, muss man daran zweifeln. Das Durchschnittseinkommen der Künstler liegt diesen Zahlen zufolge seit Jahren bei rund 1.200 Euro im Monat. Hinzu kommt, dass dieses Einkommen sehr ungleich verteilt ist: Einer kleinen Gruppe von Spitzenverdienern steht eine große Schar von Habenichtsen gegenüber. Kulturelle Märkte sind Winner-takes-all-Märkte. Das liegt zwar nicht am Urheberrecht; das Urheberrecht ändert aber auch nichts daran.
In der medialen Debatte über das Urheberrecht war davon jedoch kaum die Rede. Vielmehr blieb diese fast ausschließlich auf eine Piraterie-Diskussion beschränkt, auf die Auseinandersetzung um illegale Tauschbörsen und eine vermeintliche »Gratismentalität« der Netzrezipienten. Obwohl kaum jemand, der sich mit dem Urheberrecht halbwegs auskennt, ernsthaft behaupten wird, Internetpiraterie sei die Wurzel der meist prekären Einkommensverhältnisse von Kreativschaffenden.
Es ist an der Zeit, über diese fruchtlose Diskussion hinausdenken. Die Vergütung Kreativschaffender wird mittlerweile von allen Seiten als unbefriedigend empfunden, von Verwertern ebenso wie von Urhebern und mittlerweile auch von Nutzern. Es stellt sich daher die Frage, ob es für dieses Problem nicht eine andere Lösung geben sollte als das Urheberrecht. Können Künstler in der digitalen Welt ihr Glück als Selbstvermarkter finden? Helfen vielleicht neue Vergütungsmodelle wie die Kulturflatrate? Oder brauchen wir ein öffentlich-rechtliches Internet?
Und was ist überhaupt eine »angemessene Vergütung« für Kreativschaffende? Geht es dabei um den bloßen Tauschwert? Um eine soziale Absicherung? Oder um einen »Wert der Kreativität«, der in irgendeiner Weise jenseits von marktwirtschaftlichen Erwägungen bestimmt werden müsste?
Das Urheberrecht war zweifellos eine emanzipatorische Errungenschaft. Es war dazu gedacht, die Unabhängigkeit und Freiheit des einzelnen Kreativen abzusichern. Diesen radikalen Anspruch hat es jedoch nie ganz einlösen können. Heute verstärkt es oftmals gerade die Abhängigkeit der Kreativen von tradierten Verwertungsstrukturen, statt ihre Autonomie zu sichern.
Die zeitgemäße Antwort auf dieses Versagen des Urheberrechts ist die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Dabei geht es nicht um eine Sozialabspeisung prekärer Existenzen, die mit dem Kopf in den Wolken leben. Und erst recht nicht darum, Angehörigen des ohnehin schon stark subventionierten Kulturbetriebs weitere Privilegien zu sichern. Sondern um die Anerkennung der Kreativität als herausragenden Produktivfaktor in unserer Gesellschaft. Um general intellect. Und deshalb letztlich auch um Umverteilung.
Anmerkungen
1 | Ernst Bloch: Spuren. FfM.: Suhrkamp 1985, S. 29.
2 | www.zeit.de/2012/20/Aufruf-Urheberrecht
1. Cardillacs Erben
Abstract
Sichert das Urheberrecht den Kreativen eine angemessene Vergütung? Stellt es eine Garantie dafür dar, dass sie von ihrer Arbeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können? Nur weil der Urheber an den Produkten seiner Arbeit ein »geistiges Eigentum« besitzt, kann er diese verkaufen. Nur weil er gefragt werden muss, bevor seine Arbeit verwertet werden darf, kann er für seine Leistung eine angemessene Gegenleistung verlangen.
Entstanden ist das Urheberrecht aus dem Geist der Romantik. Der Schöpfer soll eine weitreichende Verfügungsgewalt über sein Werk haben. Warum können die meisten Urheber dann von ihrer Arbeit trotzdem nicht leben?
Weil das Einkommen, das Urheber erzielen können, davon abhängt, wie viel die Rechte an ihren Werken auf dem Markt wert sind. Das Urheberrecht selbst ist zwar unübertragbar, die Verwertungsrechte jedoch werden gehandelt wie andere Waren auch. Wie gut oder schlecht Urheber von ihrer Arbeit leben können, hängt also nicht vom Urheberrecht ab, sondern davon, wie gut oder schlecht die jeweiligen Verträge sind, die sie unterzeichnen.
Wovon bezahlen Künstler ihre Miete? Wie bestreiten Kreativschaffende ihren Lebensunterhalt? »Armut ist ein großer Glanz aus Innen«, heißt es bei Rilke, und das Spitzwegsche Bild vom »Armen Poeten«, der in seinem unbeheizten Dachkämmerchen friert, hat sich tief ins kulturelle Bewusstsein eingebrannt. Einer verbreiteten Auffassung zufolge müssen Künstler sogar arm sein, denn wer satt und zufrieden ist, wird eher faul und träge. Not macht hingegen erfinderisch. Also ist ein leerer Magen gut für die Kreativität.
Es gibt aber auch die gegenteilige Auffassung, die moderner daherkommt, aber kaum weniger romantisch ist. Ihr zufolge sichert das Urheberrecht den Künstlern ihr Einkommen. Es sorgt dafür, dass sie nicht vom Wohlwollen irgendwelcher Mäzene abhängig sind, sondern für ihre Arbeit Geld verlangen, die Produkte ihrer Arbeit verkaufen können. Also stellt das Urheberrecht die Lebensgrundlage der Künstler dar.
Auch diese Auffassung verdankt sich indes nicht einer Analyse der tatsächlichen Lebensbedingungen von Kreativschaffenden. Denn formal gesehen, sind sie alle vom Urheberrecht geschützt. Tatsächlich sichert es den allermeisten von ihnen jedoch keineswegs das Überleben. Im Gegenteil, die meisten Künstler bleiben Hungerleider, die sich mehr schlecht als recht durchschlagen. Die jährlich veröffentlichten Zahlen der Künstlersozialkasse, also der staatlichen Kranken- und Rentenversicherung für Kreative, sprechen da eine deutliche Sprache. Sie veranschlagen das Durchschnittseinkommen aus künstlerischer oder publizistischer Tätigkeit mit schöner Regelmäßigkeit bei etwa 1.200 Euro im Monat, schon seit Jahren. Irgendetwas scheint da mit dem Urheberrecht nicht zu stimmen.
Kreative Krämerseelen
Die Geschichte von der Geburt des Urheberrechts aus dem Geiste der Emanzipation ist bis heute seine wesentliche Legitimationserzählung. Und sie hat historisch durchaus ihre Richtigkeit. Kunst und Kultur haben im Barock noch eine Art Aufhübschungsfunktion, sollen den fürstlichen Ruhm mehren oder die Herrschenden amüsieren. Maler malen repräsentative Portraits der Herrschenden, Musiker komponieren die Musik für höfische Feste. Die Vorstellung einer Kunst, die keine dienende Funktion hätte, gibt es noch nicht.
Das ändert sich mit dem Entstehen der bürgerlichen Gesellschaft. Die Bürger bauen sich als Kaufleute und Handeltreibende eine eigene Existenz auf, befreien sich von der Bevormundung durch den Adel. Eine wesentliche Rolle spielt dabei das bürgerliche Privateigentum. Während der Bauer, der auf dem Acker seines Lehnsherrn arbeitet, unfrei ist, weil er über die Mittel zur Erwirtschaftung seiner Existenzgrundlagen nicht selbst verfügt, wird der Bürger zum freien Mann, weil er eigenen Besitz hat, mit dem er handeln kann. Die Zugehörigkeit zur bürgerlichen Klasse ist ohne privates Eigentum nicht denkbar.
Im selben Maße, wie die junge, aufstrebende Klasse an Selbstbewusstsein gewinnt, befreit sich auch die Kunst von den Fesseln der Hofkultur. Während also die Bürger sich eine Sphäre der Freiheit und Unabhängigkeit von der Herrschaft der Fürsten erkämpfen, erringen die Kreativen eine Freiheit von der Unterwerfung ihres Schaffens unter die Zwecke der Repräsentation. Wie die Unabhängigkeit des Bürgertums darauf beruht, dass die Sphäre des Wirtschaftens und Handelns dem Zugriff der Machthaber entzogen bleibt, so basiert die neu gewonnene Unabhängigkeit der Künstler auf deren Autonomie, die ihnen der Markt garantiert. Mit der Entstehung eines bürgerlichen Lesepublikums entsteht auch die Grundlage für ein »freies«, unabhängiges Schriftstellertum.
Wie sein großer Bruder, der Kaufmann, so hat auch der kleine Künstler sein Eigentum, eben sein geistiges Eigentum. Es gehört von Natur aus ihm, da er es aufgrund seiner eigenen Leistung geschaffen, es sich erarbeitet hat. Und wie bei seinem Sacheigentum, so hat er auch beim geistigen Eigentum das Recht, Dritte von dessen Nutzung auszuschließen – oder eben Geld dafür zu verlangen.
Über den Begriff des geistigen Eigentums wird im Zusammenhang mit dem Urheberrecht derzeit viel gezankt. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass geistiges Eigentum nicht dasselbe sei wie Sacheigentum. Auch sei der Begriff eine sehr junge Erfindung. Das ist beides richtig, schließlich ist das Konzept des bürgerlichen Privateigentums ohnehin noch sehr jung. Und doch ist es dieser moderne Eigentumsbegriff, den wir in aller Regel als den unseren verstehen.
Eigentumsrechte sind das A und O einer Marktwirtschaft. Aber wenn Eigentum auf einem Markt gehandelt wird, also ständig den Besitzer wechselt, woher weiß man dann eigentlich, was gerade wem gehört? Bei materiellen Gegenständen scheint das ganz einfach: Man nimmt an, dass sie Eigentum desjenigen sind, in dessen Besitz sie sich befinden. Doch selbst dieser Anschein kann trügerisch sein. Zum Beispiel gehören viele Häuser nicht denen, die drin wohnen. Deshalb gibt es zum Beispiel für Häuser Grundbucheinträge, die als juristischer Beweis für das Eigentum gelten.
Bei unkörperlichen Dingen wie etwa den Produkten geistiger Leistungen ist es noch schwieriger. Wem gehört zum Beispiel die Melodie eines Liedes? Oder der Text, der in einem Buch abgedruckt ist? Die Gedanken sind bekanntlich frei, und der Besitz des Buchs zeigt gerade nicht das geistige Eigentum an dem darin gedruckten Text an. Man weiß ja beim Hören oder Lesen nicht, wer das Werk komponiert oder geschrieben hat. Um zu entscheiden, wem das Werk gehört, braucht man eine juristische Konstruktion wie das Urheberrecht. Das Urheberrecht ist also in seinem Kern dazu da, Eigentumsrechte zuzuweisen. Es ist ein Zuordnungsprinzip.
Wie das Eigentum an Sachen, so musste allerdings auch das Eigentum an immateriellen Gütern erst hergeleitet und begründet werden. Und zwar durchaus nicht, wie häufig behauptet wird, wegen der Unterschiede zum Sacheigentum, sondern gerade wegen der Gemeinsamkeiten. Es scheint uns heute so selbstverständlich, dass wir oft nicht mehr darüber nachdenken, aber natürlich ist es keineswegs gottgegeben, dass das, was sich jemand ausdenkt, ihm auch als sein Eigentum gehört.
Dahinter steht eine aufklärerische Haltung. Schöpfertum war bis zur Aufklärung etwas Religiöses. Gott hatte die Welt geschaffen, und Inspiration war dort, wo sie eine Rolle spielte, etwa bei Mönchen, eine göttliche Gabe, keine eigene Leistung. Kunst definierte sich durch die möglichst vollkommene Erfüllung vorgegebener Regeln. So sind auch die normativen Vorschriften aus der Poetik des Aristoteles zu verstehen. Dieser hatte die Bedeutung der imitatio betont: Dramatiker sollten echte Menschen so nachbilden, dass die Handlung möglichst wahrscheinlich wirkte. Darunter wurde zwar kein realistisches Abbild der Wirklichkeit verstanden, aber eben doch ein Abbild, keine eigene Neuschöpfung. Und natürlich hatten die Griechen keinerlei Begriff von einem Eigentum des Dichters an seinen Epen oder Dramen. Diese waren Kult oder Geschichtsschreibung, sie standen im Dienst der Gemeinschaft.
Auch zu Zeiten, als die Kunst noch im Dienst der Fürstenhöfe stand, gab es eine solche Vorstellung nicht. Hofdichter wurden bezahlt, aber nicht dafür, dass sie mit den Fürsten Lizenzverträge abgeschlossen hätten. Übrigens auch nicht für ihre Arbeitszeit. Künstler waren Dienende, und die Kunst war auch eine dienende. Sie erfüllte klar definierte Funktionen und hatte keine individuelle Komponente. Sie musste sich an Regeln halten, die genauso starr waren wie die fürstliche Etikette selbst. Dies wirkt noch in die Kunsttheorie der Aufklärung hinein. Nachahmung der Wirklichkeit und die Beherrschung des eigenen Handwerks nach allen sprichwörtlichen »Regeln der Kunst« stehen hier am Anfang der Poetik.
Aus dem Geiste der Romantik
Im 18. Jahrhundert findet dann eine architektonische Verschiebung statt, die Jochen Schmidt in seiner »Geschichte des Geniegedankens« ausführlich beschrieben hat (Schmidt 1985). Die Wahrscheinlichkeitsregel, die bei Aristoteles den Maßstab für die Qualität der Nachahmung darstellt, wird immer mehr gegen den Strich gelesen, um immer größere Freiräume herauszuschinden. Wenn etwas nur »wahrscheinlich« zu sein braucht, braucht es ja gerade keine Abbildung zu sein, keine bloße Kopie. Die Vorgabe der Nachahmung wird immer mehr in Richtung schöpferischer Freiheit ausgedehnt.
»Hier sitz ich, forme Menschen nach meinem Bilde«, lässt Goethe seinen Prometheus sprechen. Der Mensch nimmt für sich in Anspruch, was bis dato Gott vorbehalten war: Schöpfer zu sein. Bei Goethe ist dies noch aufklärerisch gedacht, doch wenig später wird das autonome Ich zum romantischen Genie. Das Schöpfertum wird zwanghaft und nähert sich dem Wahnsinn an, der in der Romantik selbst literaturfähig, ja zum bevorzugten literarischen Sujet wird.
1810 tritt in Baden das erste deutsche Urheberrechtsgesetz in Kraft, ausgestaltet nach französischem Vorbild. Der Schutz der Werke ist beschränkt auf die Lebenszeit des Autors, also nur etwa halb so lang wie heute in Europa. 1820 veröffentlicht E.T.A. Hoffmann seine Novelle »Das Fräulein von Scuderi«.
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