Die Endwin Chroniken: Schwarze Flut
Von Robert Schwarz
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Über dieses E-Book
Etwas, das nicht nur den Zwergen gefährlich werden könnte. Kann Horgard das drohende Unheil noch aufhalten, oder ist es dafür bereits zu spät?
Etwa zur selben Zeit entdecken Kyra und Rodin eine mysteriöse Höhle und machen sich auf, diese zu erforschen. Was werden sie hier finden? Haben sie tatsächlich den gesuchten Drachenhort entdeckt, wie Rodin vermutet? Eines ist sicher: Höhlen sind gefährliche Orte.
Dies ist die lange erwartete Fortsetzung der Abenteuer um Kyra, Rodin & Horgard. Der 1. Band „Dunkle Schatten“, ist 2014 im Spielberg Verlag erschienen.
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Buchvorschau
Die Endwin Chroniken - Robert Schwarz
Zwerge)
Was bisher geschah …
Die dreizehnjährige Kyra ertappt eines Nachts einen dreisten Dieb, der gerade dabei ist, die Speisekammer im Haus ihrer Eltern zu plündern. Der Dieb ist Rodin, der sprechende Rabe des Erzzauberers Horgard. Rodin überredet Kyra, ihm bei seiner Suche nach den lange verschollenen Drachen behilflich zu sein. Die beiden geraten bei ihrer Suche schon bald in große Schwierigkeiten, als Kinder Jagd auf die beiden machen, um an das Gold der Drachen zu gelangen. Gleichzeitig schickt der König des Landes den Erzzauberer Horgard auf eine Mission zu den Zwergen, um dort mysteriöse Überfälle auf Handelskarawanen zu untersuchen. Horgard und seine Eskorte bekommen auf dem Weg zu den Zwergen Probleme. Banditen versuchen hartnäckig, Horgard ein geheimnisvolles Stück Pergament abzunehmen, das in einer unbekannten Sprache abgefasst ist. Horgard wird letztlich gefangengenommen und das Pergament gestohlen. Während seiner Gefangenschaft erfährt er, dass die Banditen für einen mysteriösen Auftraggeber arbeiten, der im Hintergrund die Fäden zieht. Noch ahnt er nicht, welch unheilvolle Macht hier am Werk ist. Währenddessen stoßen Kyra und Rodin auf ihrer Flucht durch Zufall auf eine geheimnisvolle Höhle. Horgard gelingt derweil mit Hilfe von außen die Flucht aus dem Lager der Banditen. Zusammen schaffen sie es bis vor den Thron des Zwergenkönigs Denór. Im Archiv der Zwerge kommt es jedoch zu einem ersten Aufeinandertreffen mit einem Diener des Schattens, jener üblen Macht, die droht, ganz Endwin ins Verderben zu stürzen. Dank der Hilfe des Zwerges Krisp gelingt es Horgard allerdings, den Diener des Schattens vorläufig zu besiegen. Auf ihrem Weg aus den Tiefen unterhalb des Bergs nach oben, geraten die beiden unversehens in einen erbitterten Kampf der Leibgarde des Zwergenkönigs mit einer Gruppe aufständischer Zwerge.
Kapitel 1 - Die Schlacht um Verndûr
Außerhalb der Stadt kehrte der Erkundungstrupp, angeführt von Rejin und Fisgard, soeben von einer stundenlangen, ergebnislosen Suche zurück. Das Problem war nicht, dass es nicht genügend Spuren gab. Nein, das war es sicherlich nicht. In weitem Umkreis um den Zugang zum Tor wimmelte es geradezu von Abdrücken, die Zwerge, Menschen und Tiere hinterlassen hatten, auch wenn der Platz vor dem Tor selbst kaum verwertbare Spuren lieferte, da der Untergrund hier aus nacktem Fels bestand. Das Problem war ein ganz anderes: Da es so viele Spuren gab, waren diese oft bis zur Unkenntlichkeit miteinander vermengt. Hinzu kam noch, dass die Kämpfe, die hier in letzter Zeit stattgefunden hatten, den Boden in vielen Bereichen derart aufgewühlt hatten, dass an diesen Stellen ohnehin keine verwertbaren Spuren mehr zu finden waren. Zumindest keine, die irgendeinen Hinweis auf das Schicksal der ausgesandten Zwergenkundschafter hätten geben können. Man sah den Zwergen ihre Enttäuschung an. Müde, verhärmte Gesichter blickten unter Bärten, Schweiß und Schmutz hervor. Selbst Rejin machte einen angeschlagenen Eindruck. Als der Zugang zur Stadt schließlich in Sicht kam, blieb Fisgard, der ein paar Schritte vor ihm ging, plötzlich wie angewurzelt stehen. Das Tor, das den Zugang nach Verndûr sicherte, stand weit offen und es war niemand zu sehen, der es bewachte. Hinter Fisgard wurden Stimmen laut, doch er brachte sie mit einer knappen Geste zum Schweigen. Unheilvoll, wie das Maul eines Drachen aus den Sagen der Altvorderen, ragte das große Eingangsportal vor ihnen auf.
»Ich rate zu Vorsicht!« Rejin blickte misstrauisch auf die Öffnung im Fels. Seine rechte Hand legte sich auf den Schwertknauf. Ein leises, schabendes Geräusch verriet, dass er soeben sein Schwert in der Scheide gelockert hatte. Fisgard, der jetzt direkt neben ihm stand, nickte grimmig. Gleich darauf bellte er in befehlsgewohntem Ton: »Guldrig! Halgrim! Ihr beide werdet euch dort vorne einmal umsehen.« Die beiden Angesprochenen traten vor. Jetzt zeigte sich, dass die Mitglieder der Mitternachtswache eine Elitetruppe und ein eingespieltes Team waren. Alle Müdigkeit war mit einem Mal wie weggewischt. Ohne ein Wort zu verlieren, drangen die Zwerge langsam vor. Ein kurzes Handzeichen von Guldrig genügte und Halgrim ließ sich, die Armbrust im Anschlag, ein Stück zurückfallen. Währenddessen rannte Guldrig, behände wie ein Wiesel, über die freie Fläche vor dem Tor und presste sich auf der anderen Seite gegen die Felswand. Ein weiteres Handzeichen und Halgrim tat es ihm gleich. Am Tor rührte sich nichts. Die Zwerge schoben sich vorsichtig näher heran. Rejin konnte beobachten, wie Guldrig kurz am Rand der Öffnung verharrte, vorsichtig um die Ecke lugte, und dann mit einer geschmeidigen Bewegung, die er dem Zwerg so niemals zugetraut hätte, in der dahinterliegenden Dunkelheit verschwand. Wenige Augenblicke später hatte die lichtlose Schwärze auch Halgrim verschluckt. Eine Weile geschah nichts. Die Anspannung zerrte an ihren Nerven. Schließlich, als hätte ihn der schwarze Schlund regelrecht wieder ausgespuckt, erschien Halgrim am Eingang und winkte. Sofort gab Fisgard seinen Zwergen ein Zeichen und sprintete los. Rejin hatte, trotz seiner längeren Beine, Mühe zu ihm aufzuschließen.
»Bericht«, forderte Fisgard knapp, nachdem er bei Halgrim angelangt war.
»Die Torwächter sind tot, Hauptmann. Hier muss ein kurzer, aber heftiger Kampf stattgefunden haben. Anscheinend hat einer der Wächter noch versucht, durch das Tor zu entkommen. Er lag direkt am Eingang.«
Fisgards Kiefer mahlte. »Wie sieht es weiter drinnen aus?«
»Alles ruhig. Wir sind allerdings nur bis zur ersten Abzweigung vorgedrungen.«
»In Ordnung.« Fisgard war ganz in seinem Element. »Zwei Mann bleiben am Tor. Der Rest kommt mit mir.« Er wandte sich an Rejin: »Werdet ihr uns begleiten?«
»Worauf ihr euch verlassen könnt!« Rejins Hand tätschelte den Knauf seines Schwertes. »Ich möchte schließlich ebenso sehr wie ihr herausfinden, was hier gespielt wird.«
»Dachte ich mir«, brummte der Zwerg. Er bedachte seinen menschlichen Begleiter mit einem abschätzenden Blick. »Ihr scheint mir keiner von denen zu sein, die vor gefährlichen Aufträgen zurückschrecken, wie?«
»Stimmt.« Rejin ließ eine Reihe strahlend weißer Zähne aufblitzen. »Ihr habt nicht zufällig einen zu vergeben, oder?«
»Schon möglich.«, Fisgard warf einen nachdenklichen Blick in die nur spärlich von Fackeln erhellte Schwärze vor ihnen. Tiefe Falten auf seiner Stirn machten deutlich, dass ihn etwas beschäftigte. Schließlich wandte er sich wieder seinem Begleiter zu, packte ihn unsanft am Ärmel und zog ihn zu sich hinunter. »Hört mir jetzt genau zu!«, seine Stimme hatte einen eindringlichen Klang. »Ihr müsst Denór, unseren König, finden und ihn in Sicherheit bringen. Ich hoffe nur, dass es dafür nicht bereits zu spät ist.«
»Und warum ausgerechnet ich? Wieso macht ihr das nicht selbst? Ihr seid doch schließlich Hauptmann der königlichen Leibgarde, nicht ich!«
Der Zwerg schüttelte den Kopf. »Genau deshalb kann ich es nicht tun. Schaut euch doch einmal um! Glaubt ihr wirklich, jemand entledigt sich mal eben so der Wachen und lässt dann einfach das Tor offen stehen?«
Rejin Augen wurden schmal. »Ihr vermutet eine Falle?«
»Ganz recht! Wer auch immer die Wachen ermordet hat, muss gewusst haben, dass noch ein Suchtrupp draußen ist. Ein Trupp unter meiner Führung! Versteht ihr? Was auch immer der oder die Unbekannten daher planen – er oder sie werden ganz sicher nicht riskieren, mich und meine Leute im Rücken zu haben. Daher hat man das Tor für uns offengelassen. Ich vermute, irgendwo dort weiter vorne wartet man bereits auf uns.«
»Nehmen wir einmal an, eure Vermutung stimmt. Warum wollt ihr dann freiwillig in eine Falle laufen?«
»Weil ich wissen muss, wer unser Gegner ist. Wir tappen diesbezüglich schon viel zu lange im Dunkeln. Außerdem ist nicht klar, was der Feind unternimmt, wenn wir versuchen dem Hinterhalt auszuweichen. Mein Plan ist daher folgender: Ich und der Großteil meiner Männer werden vorgeben, in die uns gestellte Falle zu laufen. Sollte ich mich irren, werden wir natürlich weiter vorstoßen. Ihr werdet derweil zusammen mit zwei meiner zuverlässigsten Zwerge den geheimen Zugang zur Stadt nehmen, der hoffentlich noch unbewacht ist. Versucht, bis zu meinem König vorzudringen. Womöglich kommt ihr ja noch rechtzeitig. Wir sorgen in der Zwischenzeit für die nötige Ablenkung.«
»Das ist ein gewagter Plan, Herr Zwerg.« Rejin rieb sich nachdenklich das Kinn. »Wer sagt euch denn, dass ihr mit eurem Wissen noch etwas werdet anfangen können?«
»Da macht euch mal keine Sorgen!« Fisgard klopfte seinem Begleiter beruhigend auf den Oberarm. »Eine Bedrohung, die man kennt, ist bereits nur noch halb so gefährlich und meine Männer sind obendrein gut ausgebildet. Außerdem ...«, Fisgard lächelte vielsagend. »... verfüge ich über entsprechende Ortskenntnisse – wenn ich das einmal so sagen darf.«
»Ihr meint, es gibt in diesem Berg noch mehr geheime Gänge?«
»Das habe ich nicht gesagt.« Fisgard zwinkerte Rejin vertraulich zu. Schon im nächsten Augenblick wurde er jedoch wieder ernst. »Also, wie sieht es aus? Seid ihr mit meinem Plan einverstanden?«
»Ihr seid der Boss!« Rejin zuckte leicht mit den Schultern.
»Fein! Dann machen wir es so. Wenn alles gut geht, werden wir uns spätestens im Gasthaus zum Falschen Hund wiedersehen. Bringt Denór dorthin.«
»Ihr glaubt tatsächlich, der König schwebt in so großer Gefahr?«
»Allerdings!« Fisgard machte ein grimmiges Gesicht. »Bei einem so heimtückischen Gegner muss man mit dem Schlimmsten rechnen.« Er zögerte kurz. Dann meinte er: »Ihr wisst doch, wo sich dieses Gasthaus befindet, oder?«
Rejin nickte knapp. »Selbstverständlich. Wir haben auf unserem Weg hierher dort Halt gemacht.«
»Ausgezeichnet!« Fisgards Miene entspannte sich etwas. »Ich gebe euch Guldrig und Halgrim als Begleitung mit.« Er winkte die beiden Zwerge heran und instruierte sie. Anschließend wandte er sich wieder seinem menschlichen Begleiter zu: »Wir sehen uns an der Grenze, Hauptmann Rejin. Viel Glück!«
»Das wünsche ich euch auch. – Und lasst euch nicht von irgendeiner Axt den Bart stutzen!« Noch bevor der verblüffte Fisgard zu einer Erwiderung ansetzen konnte, hatte Rejin sich bereits umgedreht und war zum Tor hinausmarschiert. Somit entging ihm der Ausdruck auf Fisgards Gesicht, ebenso wie die herumfahrenden Köpfe einiger in der Nähe stehender Zwerge. Was Rejin nicht wusste: Das Abschneiden des Barts galt bei den Zwergen als die schlimmste nur denkbare Schmach. Halgrim, der wie immer die Nachhut bildete, grinste unverhohlen. So hatte sicher noch niemand mit seinem Hauptmann gesprochen. Zumindest niemand, der noch lebte, um davon zu berichten.
* * *
Sie hatten die weitläufige Halle bereits weit hinter sich gelassen und eilten nun einen breiten, leicht abfallenden Gang entlang. Krisp hatte wie selbstverständlich die Führung übernommen und Horgard hatte nichts dagegen einzuwenden. Schließlich kannte sich der Zwerg im Labyrinth der Gänge wesentlich besser aus als er, der Erzzauberer.
Das einzige Geräusch, das während ihres hastigen Vordringens von den Tunnelwänden widerhallte, war das ihrer Schritte und ihres stoßweise gehenden Atems. Abgesehen davon herrschte um sie herum eine schon beinahe unheimliche Stille. Es war fast so, als hielten der Palast und alles darin befindliche, furchtsam den Atem an.
Schließlich bogen sie in einen Gang ein der wesentlich breiter war als die Gänge, die sie bisher durchquert hatten. Boden und Wände waren reich mit prunkvollen Intarsienarbeiten geschmückt. Dabei wechselten sich ornamentartige Muster mit Darstellungen aus der großen Geschichte des Zwergenvolkes ab. Am Ende der Prachtstraße gelangten sie schließlich an ein großes Tor, dessen reich verzierte, goldene Flügeltüren fest verschlossen waren. Wieder war es Krisps Schlüssel, der ihnen weiterhalf.
»Hinter diesem Tor liegen der Thronsaal und die privaten Gemächer des Königs.« Krisp verstaute soeben wieder den Schlüssel unter seinem Wams. »Seltsam ist nur, dass es nicht einmal hier Wächter zu geben scheint.«
»Ihr habt Recht. Das ist in der Tat seltsam.« Horgard musterte das goldene Tor mit nachdenklichem Blick. »Überhaupt scheint der gesamte Palast wie ausgestorben zu sein. Ich frage mich nur, wo alle sind?«
»Vielleicht finden wir die Antwort ja hinter diesem Tor?« Krisp griff nach einem der massiv wirkenden Haltegriffe und zog. Der Torflügel zeigte jedoch wenig Neigung, den Bemühungen des Zwergs Folge zu leisten. Krisps Kopf färbte sich vor Anstrengung tiefrot. »Wie wäre es, wenn ihr mir ein wenig zur Hand gehen würdet, anstatt nur ständig in die Gegend zu starren?«, bemerkte er schließlich gereizt. Horgard, der mit nachdenklichem Blick das Tor betrachtet hatte, trat mit zwei raschen Schritten neben ihn. »Verzeiht! Mir war, als hätte ich von drinnen Geräusche gehört. Aber vermutlich habe ich es mir nur eingebildet.« »Das habt ihr ganz sicher!«, presste Krisp zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor. Diese Torflügel sind aus massivem Gold und beinahe einen halben Meter dick. Ganz zu schweigen von den Wänden. Kein Wort dringt von Denórs Thronsaal nach draußen. Zumindest nicht, wenn es der König nicht will.« Horgards Mundwinkel kräuselten sich unmerklich. »Da habt ihr vermutlich Recht.« Er schob die Ärmel seiner Robe nach oben. »Nun denn. Dann wollen wir doch einmal sehen, ob zwei kräftige Burschen wie wir dieses Tor nicht öffnen können« Seine Hände legten sich um den freien Griff. »Wenn ich euch übrigens einen kleinen Rat geben darf: Versucht es zur Abwechslung ruhig einmal mit Drücken.« Horgard drückte gegen den Griff und mit einem leisen Rumpeln schwang der linke Torflügel langsam auf. Kaum hatte sich das Tor geöffnet, drang auch schon ohrenbetäubender Lärm an ihre Ohren. Es war der Lärm einer Schlacht. Über Krisps Lippen drang ein entsetztes Stöhnen, das jedoch in der allgemeinen Geräuschkulisse unterging. Dann fiel sein Blick an Horgard vorbei in den Thronsaal und das Stöhnen wurde zu einem Schrei. Das Bild das sich ihm bot, war so ungeheuerlich, dass er glaubte, von einem Moment zum anderen in einen Albtraum geraten zu sein. Doch dieser Albtraum war bittere Realität. Der Thronsaal glich einem Schlachtfeld. Hunderte von Zwergen kämpften verbissen gegeneinander. Dutzende Zwerge lagen bereits tot und verstümmelt auf dem Boden. Ihr Blut verwandelte den schwarzen Marmor zusehends in tückisches Terrain. Der Geruch von Blut und Schweiß drang Krisp in die Nase. Dieser mischte sich in seinem Kopf mit dem Pfeifen und Dröhnen niedersausender Äxte und Hämmer und dem Stampfen und Stöhnen hunderter Zwergenkrieger. Krisp wurde übel. Unfähig, das Grauen noch länger zu ertragen, machte er kehrt und rannte blindlings den Gang hinunter. Er kam nicht sehr weit. Schon nach wenigen Metern stolperte er über seine eigenen Füße und stürzte polternd zu Boden.
Während er sich noch darum bemühte wieder auf die Beine zu kommen, hatte Horgard die Situation bereits sehr viel präziser erfasst. Mitten im Saal saß Denór wie auf einer einsamen Insel auf seinem Thron. Zu seinen Füßen kämpfte ein kleines Häufchen Soldaten der Mitternachtswache verbissen darum, den Angreifern, unter der Führung eines besonders rabiaten Zwergs, den Zugang zum Thron zu verwehren. Horgard erkannte diesen Zwerg sofort wieder: Es war Gamrin, der Ratsherr, der bereits tags zuvor an eben dieser Stelle für einen Eklat gesorgt hatte. Horgards Stirn zog sich in Falten. Der Zorn, den er nun verspürte, gab ihm Kraft. Mit ein paar raschen Schritten betrat er den Thronsaal, während seine Hände seltsame Zeichen in die Luft malten. Kaum hatte er das letzte Symbol vollendet, zuckte auch schon ein gleißend heller Blitz hinauf zur Decke, der dort krachend einschlug und Gesteinstrümmer in alle Richtungen schleuderte. Von einer Sekunde zur anderen kam das Kampfgetümmel um ihn herum zum Erliegen. Geblendet und durch die Druckwelle halb taub, ließen die meisten Zwerge voneinander ab und hielten sich stattdessen die Hände vor Gesicht und Ohren. Auch Gamrins Vorstoß fand ein jähes Ende. Der Ratsherr indes hatte Glück. Ein größerer Brocken, der aus der Decke gerissen worden war, verfehlte ihn um Haaresbreite. Nachdem er wieder halbwegs klar sehen konnte, erspähte er den Zauberer, der mit finsterer Miene nur wenige Meter vom Eingang entfernt stand. Es fiel Gamrin nicht schwer zu erkennen, wer die Gestalt in der blauen Robe war. Über das Gesicht des Zwergs huschte in wenigen Augenblicken ein ganzes Kaleidoskop an Gefühlen. Zuerst ungläubiges Staunen, dann ein Anflug von Panik und schließlich maßlose Wut. Der Zeigefinger seiner ausgestreckten Hand richtete sich anklagend auf Horgard.
»Verfluchter Zauberer! Wie viele Leben habt ihr eigentlich?«, wetterte der Zwerg lautstark. »Morgarth sollte euch doch bereits erledigt haben! Wo zum Teufel steckt dieser Elf?!« Gamrin sah sich suchend nach allen Seiten hin um.
»Ich fürchte, euer Freund hat bei unserem kleinen Zusammentreffen den Kürzeren gezogen«, erwiderte Horgard mit einem wenig freundlichen Lächeln. »Ihr solltet daher lieber nicht mit ihm rechnen.«
»Na wenn schon!« Gamrins Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt, in denen es gefährlich funkelte. »Ich werde auch so mit euch fertig!« Er wandte sich an die Zwerge in seiner Nähe: »Vorwärts Männer! Worauf wartet ihr noch?! Er kann uns nicht alle bezwingen!« Gamrin riss seine schwere Streitaxt in die Höhe und stürmte auf Horgard zu. Sein mutiger Vorstoß riss die Zwerge an seiner Seite mit. Aus dutzenden Kehlen drang ein ohrenbetäubendes Johlen. Wie eine Sturzflut stürmte schon im nächsten Moment die erste Welle unter Gamrins Führung heran. Trotz der Gefahr, in der er nun schwebte, stahl sich, verborgen unter dem weißen Vollbart, ein dünnes Lächeln auf Horgards Lippen. Zwar hatte er seine magischen Kräfte so gut wie aufgebraucht, dennoch hatte er Denór etwas Luft verschafft. Er hoffte nur, der alte Zwergenkönig würde die Gelegenheit, die sich ihm nun bot, auch nutzen. Horgard sah den heranstürmenden Zwergen scheinbar ruhig entgegen. Er schätzte, dass ihn die von Gamrin angeführte Meute in wenigen Augenblicken erreicht haben würde. »Zeit, den Rückzug anzutreten, alter Knabe!«, schoss es ihm durch den Kopf. Rasch wandte er sich um und hastete in den Gang zurück. Hinter ihm heulte Gamrin vor Wut auf und schrie: »Dieser Feigling will fliehen! Lasst ihn nicht entkommen!« Horgard hatte sich indessen umgedreht und langte nach dem Griff des offen stehenden Torflügels. Im selben Augenblick sah er, wie Gamrin, der nur noch wenige Meter entfernt war, seine Streitaxt nach ihm schleuderte. Mit einem lauten Pfeifen zerschnitt die doppelschneidige Axt die Luft, während sie mit irrwitziger Geschwindigkeit geradewegs auf ihn zuraste. Mit Leibeskräften riss Horgard am Griff. Es gelang ihm gerade noch, den Torflügel ein Stück weit zuzuziehen. Dann hallte ein dumpfes Dröhnen von den Wänden wider, als Metall auf Metall schlug. Horgard taumelte nach hinten und stürzte unsanft zu Boden. Ein leises Stöhnen drang aus seiner Kehle. Ungeachtet der Schmerzen in seinem Rücken, stemmte er sich jedoch gleich wieder auf die Beine. »Krisp! Den Schlüssel! Schnell!« Horgard packte beide Griffe des Tors und zog. Krisp, der sich inzwischen wieder aufgerappelt hatte, griff hastig nach der Kette an seinem Hals und fingerte nach dem Schlüssel. Gerade, als er ihn ins Schloss stecken wollte, erbebte das gewaltige Tor unter einem heftigen Schlag. Der Schlüssel entglitt seinen Fingern und fiel zu Boden. Horgard ächzte, als die Zwerge auf der anderen Seite versuchten, das Tor mit Gewalt zu öffnen. Wertvolle Sekunden verstrichen, während Krisp auf dem Boden nach dem Schlüssel tastete. »Um Himmels willen, Krisp! Tu etwas! Ich kann sie nicht mehr länger aufhalten!« Horgards Gesicht hatte sich vor Anstrengung bereits kirschrot verfärbt. Wieder erzitterte das Tor. Diesmal gelang es den Zwergen, die Torflügel ein Stück weit aufzuziehen. Krisp, der gerade nach dem Schlüssel greifen wollte, kam Horgard zu Hilfe und gemeinsam gelang es ihnen noch einmal, das Blatt zu wenden. Kaum hatte sich das Tor erneut geschlossen, hechtete er auch schon nach dem kleinen Stück Metall auf dem Boden. »Fangt!« In hohem Bogen warf er den Schlüssel in Horgards Richtung. Dieser schaffte es, einen der Griffe blitzartig loszulassen und den wild durch die Luft wirbelnden Schlüssel aufzufangen. Hastig rammte er den Schlüssel ins Schloss und begann wie verrückt zu drehen. Die Verriegelung war kaum eingerastet, als ein weiterer gewaltiger Stoß das Tor erschütterte und es aus den Angeln zu heben drohte. Glücklicherweise hielten Riegel und Angeln der Beanspruchung stand. Horgard stöhnte und lies den Griff los. Er taumelte ein paar Schritte zurück und sank schließlich ächzend zu Boden. Die immense körperliche Anstrengung hatte seine Kräfte endgültig aufgezehrt. Krisp erging es nicht viel besser. Schwer atmend kam er wieder auf die Beine. Argwöhnisch betrachtete er die großen, massiven Doppelflügel, die immer wieder heftig unter dem Angriff von Gamrins Zwergenkriegern erbebten. Lange würde das Tor sie nicht mehr schützen können, da war er sich sicher. Mühsam, immer noch nach Atem ringend, richtete er sich zu