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Deutschland, Deutschland ohne alles: Warum Europas größte Wirtschaftsmacht ein sozialer Pflegefall ist
Deutschland, Deutschland ohne alles: Warum Europas größte Wirtschaftsmacht ein sozialer Pflegefall ist
Deutschland, Deutschland ohne alles: Warum Europas größte Wirtschaftsmacht ein sozialer Pflegefall ist
eBook123 Seiten1 Stunde

Deutschland, Deutschland ohne alles: Warum Europas größte Wirtschaftsmacht ein sozialer Pflegefall ist

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Über dieses E-Book

Eine Mentalitäts-Melange aus Castingshow-Teilnehmer, Investment-Banker und Hells Angel breitet sich epidemisch aus. Weil mittlerweile jeder meint, seine Sicht auf die Dinge sei die einzig richtige und alle anderen müssten sie kennen, wird der Umgang mit den Zeitgenossen gnadenlos. On- und Offline. Wir haben 80 Millionen Partikularinteressen in allen Lebenslagen. Alles redet von Integration, die Wahrheit ist: Es gibt mehr Vereinzelung als jemals zuvor (nicht nur Individual-Tourismus, sondern auch Individual-Terrorismus). Single-Wohnungen sind der häufigste Haushalts-Typ in Deutschland. Disziplin ist vor allem in der Disziplin Selbstdarstellung zu beobachten. Für diese Tätigkeit haben immer mehr Menschen Zeit, obwohl sie sich wahnsinnig gestresst fühlen. Wir leben und kommunizieren über unsere Verhältnisse. Einen nicht unerheblichen Teil Verantwortung dafür tragen Politik, Wirtschaft und Medien. Sie haben eine Ethik der Quantität etabliert (Rendite und Roter Teppich). Man zappt sich durch die 24-Stunden-Gesellschaft. Der Latte to go im life to go. Kurzfristige Effizienz ist der Antriebsmotor von Parteien, Unternehmen und einem Heer von rast- und maßlosen, schnell gelangweilten Menschen, die Strebsamkeit oft nur in Bezug auf Körper und Konto kennen und denen kein Job und Partner gut genug sind. Loses Mundwerk, lose Beziehungen. Die arbeitgebende Seite begünstigt diese unheilvolle Tendenz: Prekäre Beschäftigungs-Verhältnisse werden in Deutschland zur Regel. Trotzdem nennt man sie noch atypisch. Fast acht Millionen Menschen sind auf staatliche Hilfe angewiesen. Wir haben die wenigsten Kinder in Europa, aber nahezu jedes fünfte unter drei Jahren lebt in einem Hartz IV-Haushalt. Solch ein Land, in dem außerdem bald mehrere Millionen Demenzkranke Hilfe brauchen, hat nicht nur Zuwanderung, sondern vor allem Zusammenhalt bitter nötig. Doch unsere Entscheidungsträger schauen nur noch über den Tellerrand, pochen darauf, dass andere ihre Hausaufgaben machen und ignorieren, dass in diversen Kontexten die eigene Versetzung gefährdet ist. Die wirtschaftliche Lokomotive Europas hat in sozialer Hinsicht den Rückwärtsgang eingelegt. Es fehlt an Solidarität und innerer Sicherheit. Noch wird das Volk, das zunehmend Gründe hat, unzufrieden zu sein, mittels suggerierter Nähe weit entfernt stattfindender Katastrophen narkotisiert. Hauptsache, alle haben schnelles Internet!
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum21. März 2016
ISBN9783740717957
Deutschland, Deutschland ohne alles: Warum Europas größte Wirtschaftsmacht ein sozialer Pflegefall ist
Autor

Martin Busch

Martin Busch, Jahrgang 1973, arbeitet als Redakteur und Moderator bei Radio Bremen. Nach dem Studium der Soziologie, Politik und Germanistik an der Universität Hamburg promovierte er im Bereich Kommunikationswissenschaften mit einer Arbeit über die ganzheitliche Markenführung von Radiosendern. Zwischenzeitlich lehrte er an der Hochschule Bremen Radio-Journalismus. Martin Busch ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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    Buchvorschau

    Deutschland, Deutschland ohne alles - Martin Busch

    Für Smf, die Kraftquelle und Kompass zugleich sind und für meine Eltern, ohne die das vielleicht nicht so wäre!

    Die ganze Richtung passt mir nicht!

    Fabians Freund Labude in Erich Kästners Der Gang vor die Hunde

    Inhaltsverzeichnis

    Einleitung

    Ohne Ruhe

    Ohne Kontinuität

    Ohne Selbstreflektion

    Ohne Ernsthaftigkeit

    Ohne Verbindlichkeit

    Ohne Glaubwürdigkeit

    Ohne Autorität

    Ohne Nachwuchs

    Ohne gesunden Patriotismus

    Ohne festen Job

    Mit Volldampf

    Einleitung

    Es ist alles nicht einfacher geworden durch die Liberalisierung, meinte die Außendienstlerin unseres Energieversorgers im Beratungsgespräch. Nur, dass der Kunde eben mehr Möglichkeiten habe. Die Optionsvielfalt für das Individuum ist riesig, die Biographie bei weitem nicht mehr so stark wie früher durch die Geburt vorgegeben. Nie war so viel Selbstbestimmung. Für eine offene Gesellschaft gehört sich das auch. Doch die - nach 1945 dringend notwendig gewesene - Autonomie hat über das Ziel hinausgeschossen. Immer mehr Zeitgenossen zappen sich durch's Leben. Sie sind nicht nur physisch, sondern vor allem mental auf der Walz. Die Zahl der emotionalen Vagabunden, wie der echte Doktor Faust, die historische Vorlage für Goethes Tragödie, einer war, steigt kontinuierlich. Der Latte to go im Life to go. Das Leben ist ein Nehmen und Gehen, stand auf einem Schild vor einem Café.

    Wie sang Kris Kristofferson: Freedom's just another word for nothing left to lose! Erich Kästners Fabian wollte schon in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts von dieser Freiheit befreit werden. Die Menschen haben bald genug von der Beliebigkeit. Wenn Heterogenität zum Dogma wird, wirkt Vielfalt so verwirrend wie Einfalt beengend. Der Philosoph Byung-Chul Han spricht daher auch von einem Imperativ: man dürfe heutzutage nicht man selbst sein, man müsse! Simplifizierung lautet der zunehmend zu beobachtende Reflex auf dieses Leiden an Unbestimmtheit (Georg Wilhelm Friedrich Hegel). Die gesamte Gesellschaft benötigt wieder mehr Verbindlichkeit. Mehr Verbindlichkeit bedeutet auch mehr Verbundenheit. Und mehr Verbundenheit bedeutet einen größeren Zusammenhalt. Viele Jungen und Mädchen wissen nicht mehr, woran sie bei ihren Eltern sind. Und die wissen nicht mehr, woran sie bei ihren Arbeitgebern sind. Die Stabilität in China hat einen hohen Preis: Die individuelle Unfreiheit. Die Freiheit in Deutschland hat einen hohen Preis: Die politische Handlungsunfähigkeit. Irgendwo dazwischen liegt das Ideal. Jorgen Randers resümiert in seinem neuen Bericht an den Club of Rome, 40 Jahre nach dem weltberühmten Die Grenzen des Wachstums: Ziehen Sie in ein Land, das sich nicht allein auf Demokratie und Marktwirtschaft verlässt. Ein beunruhigender Appell, der leider wohlbegründet ist.

    Jeder denkt und beurteilt vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen. Ausnahme-Beobachter wie Hannah Arendt oder Karl Popper haben der Menschheit nahegelegt, sich von übertriebenem Kollektivismus zu verabschieden. Der von ihnen erlebte war in Faschismus ausgeartet. Wer in der DDR gewohnt und nicht zum Macht-Apparat gehört hat, wird den real existierenden Sozialismus als erzwungenen Kollektivismus aufgefasst haben und Unzufriedenheit mit den Gegebenheiten im vereinigten Deutschland vermutlich nicht nachvollziehen können. Sicher muss man insgesamt für Lebens-Zeit und -Ort dankbar sein - gerade im globalen Maßstab (Menschen, die aus Kriegsgebieten zu uns flüchten, werden einen Großteil der in diesem Buch auftauchenden Kritik als nicht der Rede wert erachten). Die Nachteile des individualistischen Liberalismus kommen allerdings mehr und mehr zum Tragen. Spätestens seit der Digitalisierung der Kommunikationstechnologien erhebt er die eigene Person zum Nabel der Welt. Zu keiner Zeit hat sich das Ich so viel mit sich selbst beschäftigt, sagt der Soziologe Gerhard Schulze. Der britische Literaturwissenschaftler Terry Eagleton sagt aber auch: Im Augenblick seines größten Triumphs erweist das Ich sich als leer. Gleichzeitig ist ein privat dominierter autoritärer Kapitalismus entstanden, der dafür sorgt, dass vor allem global agierende Konzerne von Produktion und Distribution profitieren - ob es sich um Waren im ursprünglichen Sinne oder um Dienstleistungen handelt. Hier ist der Einzelne lediglich Mittel zum Zweck. Diese zwei Entwicklungen führen nicht zur Massenvernichtung, für die Gesellschaft gesund sind sie aber ebenfalls nicht. Außerdem bieten sie Angriffsflächen für Gemeinschafts-Extremisten - ob chauvinistische oder religiöse. Deutschland sei ökonomisch die Lokomotive in Europa, heißt es immer wieder. In sozialer Hinsicht haben wir den Rückwärtsgang eingelegt. Wenn man dramatisieren wollte, könnte man sogar sagen: Diesbezüglich sind WIR auf dem Weg zum failed state!

    Ohne Ruhe

    Ich weiß nicht, ob die Beschleunigung der Gesellschaft so gut für uns Menschen ist. Das sagt kein Bergführer, sondern Rennfahrer Sebastian Vettel. Selbst unsere Schritt-Geschwindigkeit hat laut Studien zugenommen. Unser Gehirn, diese komplexeste aller bekannten Strukturen, muss mehr denn je unterscheiden können zwischen wichtig und unwichtig, wesentlich und überflüssig. Der Frontallappen der Großhirnrinde, der für das Aussortieren verantwortlich ist, ist nicht zu beneiden. Hinzu kommt, dass wir die einzige Gattung sind, die sich ihrer Endlichkeit bewusst ist. Schon Voltaire schrieb an seinen Brieffreund Friedrich den Großen: Der Tod stimmt mich traurig! Vielleicht führt dieser intellektuelle Vorsprung in Kombination mit den schier unendlichen Möglichkeiten des Zeitvertreibs (ein missratenes Kompositum: Zeitvertreib, ist sie neben der Gesundheit doch das kostbarste Gut) zu der um sich greifenden Flüchtigkeit. Der Konsum von Tiefkühlkost hat sich in Deutschland binnen 30 Jahren verdreifacht. Wir stehen ständig unter Strom, sind ständig auf dem Sprung. Das Ruhegebot, an das die Autoren des Buchs Deutschland - erste Informationen für Flüchtlinge erinnern, besteht noch immer zwischen 22 Uhr und 6 Uhr. Auf dem Papier. Doch wenn die Verkäuferin beim Bäcker um 17.30 Uhr sagt: Schönen Feierabend!, kann sie sich nicht mehr sicher sein, dass der Kunde eben jenen jetzt hat. Jeder Vierte, der am Samstag Brötchen holt, kommt von der Arbeit oder muss noch hin (26 % der Erwerbstätigen).

    Die Frau auf der Nordsee-Hallig hat – trotz der verständlichen Sehnsucht nach Abwechslung – Recht: Jede Vereinfachung ist ein Gewinn für das Leben! Zumindest für die Lebensführung. Denn sie verringert das Risiko psychischer Entropie, einen Zustand innerer Unordnung (Ertragsreduktion erhöht die Güte des Rebmaterials). Wer dieser Tage einen Kindergeburtstag ausrichtet, wird verblüfft feststellen, dass sich Drittklässler bei den Eltern ihrer Schulfreunde wie auf Ecstasy benehmen (daher beschließen immer mehr Erziehungsberechtigte, solche Feiern outzusourcen).

    Die Nordsee-Insel Juist ist ein Gegengift zur Atemlosigkeit unserer Tage. Wenn man die Fähre verlässt, betritt man eine Art entschleunigter Miniatur-Welt, in der das lauteste Geräusch von Pferdekutschen produziert wird. Wer geht, sieht im Schnitt mehr als derjenige, der fährt, wie Johann Gottfried Seume Anfang des 19. Jahrhunderts auf seinem Spaziergang nach Syrakus bemerkte. Mit Knappheit kommen wir besser zurecht als mit Überfluss, so Querdenker und Bestseller-Autor Nassim Nicholas Taleb. Man hat den Eindruck, die Menschen langweilen sich umso mehr, je größer die Auswahl an potentiellen Beschäftigungen ist. Oder wurde früher so häufig im Radio davor gewarnt, dass von Brücken Steine auf die Autobahn geworfen werden?

    Man muss es so sagen: Der Mensch von heute hat mehr Möglichkeiten als Verstand. Wir leben und kommunizieren über unsere Verhältnisse. Es ist eine philanthropische Prognose, wenn der Philosoph Wilhelm Schmid meint, die Menschen würden vielleicht noch 100 Jahre brauchen, um mit der Freiheit und dem Zustand der freien Wahl zurechtzukommen. Wer sich aufmerksam umschaut und -hört, stellt fest: Der Perzeptions- und Options-Tsunami der Postmoderne löst zunehmend ein Verlangen nach Reduktion von Komplexität aus, nach Überschaubarkeit. Und das nicht nur bei den älteren Zeitgenossen, denen sich die Welt zu schnell dreht. Der Erfolg national orientierter Parteien ist ein Indikator hierfür. Die Sehnsucht nach Schwarz-Weiß-Malerei ist auch unter Jüngeren immer mehr zu beobachten.

    Weltweit gibt es mehr Menschen mit Handy als mit Zahnbürste. Ende 2014 haben sich 60 % der Deutschen für das neue Jahr weniger Stress gewünscht. Man möchte ihnen zurufen: Nehmt Euch vor, Euch weniger vorzunehmen! Sich medial zu beschneiden, ist ein nicht zu unterschätzender Anfang. Immer und überall Zugriff auf die ganze Welt zu haben, ist psychologisch kein Fortschritt, sondern Überforderung. Die Zahl von Teenagern, die wegen

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