Die Ohnmacht der Macht. Die Macht der Ohnmacht.
Von Wallstein Verlag
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Über dieses E-Book
Die Beiträge der Convoco Edition diskutieren das Zusammenspiel von Macht und Ohnmacht aus verschiedenen Perspektiven und fragen: Wie stehen wissenschaftliche Beratung und Politik zueinander? Wer hat Macht über den Euro? Wie mächtig ist die EZB? Wie gehen wir mit geopolitischem Machtzerfall um? Was bedeuten die neuen Player wie Google und Facebook für unsere existierenden Machtstrukturen? Wie muss sich unser Machtverständnis wandeln, damit es zeitgemäß und nicht ohnmächtig wird?
Mit Beiträgen u. a. von Clemens Fuest, Thomas Hoeren, Wolfgang Ischinger, Kai Konrad, Stefan Korioth, Christoph Paulus, Albrecht Ritschl, Jörg Rocholl, Roger Scruton und Brendan Simms.
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Rezensionen für Die Ohnmacht der Macht. Die Macht der Ohnmacht.
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Buchvorschau
Die Ohnmacht der Macht. Die Macht der Ohnmacht. - Wallstein Verlag
Scruton
Corinne M. Flick
Gedanken zum Verhältnis von Macht und Ohnmacht
Was heißt heute wirksam werden?
Zunächst ist der Begriff Macht neutral. Macht ist weder positiv noch negativ zu verstehen. Erst durch die Art und Weise, wie Macht angewendet wird, wird sie zur guten bzw. unterdrückenden Kraft.
Für den Soziologen Max Weber bedeutete Macht »jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht«.[1] Macht ist die Fähigkeit, andere seinem Willen zu unterwerfen, also das Handeln anderer zu steuern. Ziel dabei ist, Kontrolle über die Wirkung des Handelns zu haben.[2] Denn es geht bei der Ausübung von Macht vornehmlich um die Wirksamkeit des Tuns. Macht zu haben bedeutet, Wirkung zu erzielen, indem man etwas auslöst bzw. etwas verhindert, nicht nur etwas unternimmt bzw. für oder gegen etwas handelt. Dieser Gedanke findet sich vor allem in der chinesischen Kultur. Auch der Philosoph Rainer Forst versteht Macht als das Vermögen, »den Raum der Gründe für andere bestimmen oder gegebenenfalls sogar verschließen (oder auch aufschließen) zu können«.[3] Macht ist dementsprechend das Vermögen, andere dazu zu motivieren, etwas zu denken bzw. etwas zu tun, das sie sonst nicht gedacht oder getan hätten. »Das bedeutet, dass der wirkliche Machtvorgang sich auf der Ebene der Gründe abspielt.«[4] Hier, so könnte man sagen, findet der eigentliche Kampf um Macht statt.
Ein interessantes Phänomen ist, dass die Macht nicht alleine kommt, sie ist an die Ohnmacht gekoppelt. Das scheint nur auf den ersten Blick paradox. In Wirklichkeit sind Macht und Ohnmacht nur scheinbare Gegensätze. Sie gehören zusammen wie zwei Seiten einer Medaille, sie bedingen einander gegenseitig. Die entscheidungsfähige Macht und die entscheidungsunfähige Ohnmacht sind stets aufeinander bezogen. Es besteht eine Dialektik zwischen beiden. So kann ein Entscheider nicht ohne Zugang zur Welt entscheiden. Diesen erhält er in vielen Fällen durch Dritte, die ihn im Vorfeld einer Entscheidung unterrichten und beraten. Denn jede Entscheidung ensteht durch das Abwägen von Alternativen. Margaret Thatchers Maxime TINA, was für There is no alternative steht, gibt keine Grundlage für eine Entscheidungsfindung. Für eine echte Entscheidung braucht es zumindest eine Wahlmöglichkeit. Um diese Möglichkeiten auszuloten, ist in vielen Fällen Expertise notwendig. Die meisten Entscheidungen setzen heutzutage einschlägigen Sachverstand voraus.
Die Tendenz zur Ökonomisierung aller wesentlichen Lebenssachverhalte verstärkt diesen Trend. Auch die Flut von Informationen, denen der Einzelne ausgesetzt ist, ist eine Herausforderung, die bewältigt werden muss. Immer mehr erfordert die Komplexität unserer staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen, dass Entscheidungen durch Experten und Berater vorbereitet werden.
Schon um das Kriterium der verantwortlichen Meinungsbildung zu erfüllen, braucht es eine Kultur der Vermittlung spezialisierten Wissens. Eine solche Kultur ist seit einigen Jahren im Entstehen.[5] Eine autonome Entscheidung ist immer seltener möglich, was nicht heißen soll, dass man nicht intuitiv entscheiden kann. Wenn alle Entscheidungsalternativen vorliegen, ist man oft aufgefordert, intuitiv sich für eine zu entscheiden.
Wie bereits dargelegt, erhält der Entscheider Zugang zur Welt durch Dritte. Berater, Vermittler und Experten sind maßgeblich an der Entscheidungsfindung beteiligt. Dabei gilt zu beachten, dass es weder den neutralen Berater gibt, der keine Wirkung ausüben möchte, noch den rationalen Entscheider, der eigenständig und unbeeinflusst entscheidet. Die gute Beratung bedeutet somit das Elend der Ohnmacht für den Entscheider. Im äußersten Fall wird der Machthaber zur Marionette der Leute, die ihn beraten. Die Vermutung liegt nahe, dass die Ohnmacht mächtiger als die Macht selbst sein kann. Denn »wer dem Machthaber einen Vortrag hält oder ihn informiert, hat bereits Anteil an der Macht. […] Es genügt, dass er dem menschlichen Individuum, in dessen Hand für einen Augenblick die Entscheidung liegt, Eindrücke und Motive vermittelt.«[6]
Macht wird klassisch über den Zugang zum Machthaber reguliert. Denn Voraussetzung ist, dass man gehört wird. Beispiele in der Geschichte gibt es einige. Denken wir an Kardinal Richelieu und Ludwig XIII. oder vor allem an Kardinal Mazarin und Ludwig XIV. Zwei Berater usurpieren die Macht. Sie entscheiden für die Kindkönige dadurch, dass sie den Zugang zu deren Müttern haben. In der Rolle des Erziehers und Ratgebers werden sie selber zum Mächtigen.
Auch für Machiavelli bestand das Problem der Politikberatung im Problem des Zugangs. Als verbannter Florentiner und Republikaner musste er den Medici – den Gegnern der Republik – beweisen, dass er ein verlässlicher und treuer Berater war. Ohne Zugang kann man seinen Rat nicht platzieren und bleibt von der Macht ausgeschlossen. Ein aktuelles Beispiel aus der jüngsten Geschichte zeigt, dass Experten nur gehört werden, wenn sie Zugang zur Macht haben. So gab es präzise Vorhersagen der Ereignisse von 1989 bzw. der Krise von 2008 von Experten, die keinen eindeutigen Zugang zur Macht hatten und daher nicht gehört wurden. Ökonomen wie Nouriel Roubini und der spätere Nobelpreisträger Robert Shiller hatten bereits 2006 Vorhersagen zur Finanzkrise gemacht. In Irland wies der Wirtschaftsprofessor Morgan Kelly frühzeitig auf die irische Immobilienblase hin und wurde daraufhin öffentlich attackiert. In den 70er Jahren sagten Wissenschaftler verschiedener Länder den Fall des Kommunismus vorher, doch da die herrschende Meinung von einer starken Position der UdSSR ausging, wurden die Erkenntnisse nicht ernsthaft in die politische Planung einbezogen.
Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik
Heute werden Politiker vielfach durch Wissenschaftler beraten. Neben dem Sachverstand, den die Wissenschaft zur Verfügung stellt, trägt Politikberatung zur Politikformulierung bei. Der Philosoph Peter Sloterdijk definiert einen Experten als jemanden, der auf ein Problem aufmerksam macht und in manchen Fällen es erst findet. Er sieht die vorrangige Funktion der Experten darin, ein Bewusstsein für Probleme zu stiften. Ein Problem – so Peter Sloterdijk – ist die Art und Weise, wie wir über ein Thema sprechen, soll heißen, wie wir mit ihm umgehen.[7]
Durch die Fähigkeit, das Interesse auf Probleme zu lenken, erzielt man Wirkung. Darin drückt sich Macht aus. Man kann es »Führung durch Problematisierung« nennen. Es geht um das Führen der Aufmerksamkeit durch Thematisierung. In der Politik spricht man von Agenda Setting: Durch das Führen von Themenstellungen, durch das Besetzen von Begriffen, durch die Demonstration von Kompetenz für Problematisierungen werden andere und die öffentliche Meinung beeinflusst.[8] Die Wissenschaft ist in ihrer Ohnmacht mächtig. Diese Dialektik von Ohnmacht und Macht lässt sich nicht aufheben. In dieser Dialektik zeigt sich außerdem, dass Macht nicht in Institutionen oder Strukturen fest verankert ist. Sie sitzt »im […] Raum, in dem um Hegemonie gestritten wird.«[9]
Was hält Macht und Ohnmacht in Balance? Recht legitimiert einerseits Macht und andererseits bändigt es sie. Eine demokratische Rechtsordnung ist eine Ordnung von Freiheiten. Sie ist der Garant für das Zusammenleben von Menschen. Eine wesentliche Aufgabe der Rechtswissenschaft ist die Begründung einer akzeptierbaren und durchsetzbaren Ordnung. Denn das Recht wie auch die Religion und die Philosophie des Rechts sind die Letztbegründungen einer Gesellschaft in dem Sinn, dass das Recht Orientierung bietet. Es ist die letzte sichere Grundlage, auf die sich der Einzelne beziehen kann.
Man kann sagen, dass jede Gesellschaft wie ihr Rechtssystem ist. Je stärker das Recht in einer Gesellschaft verankert ist, desto verlässlicher funktioniert diese Gesellschaft. Das Recht garantiert ein zivilisiertes Miteinander in Freiheit auf der Basis von Vertrauen.
An dieser Stelle ist es daher wichtig, die Definition des »Wir«, also des Kollektivs, in Erinnerung zu rufen; nämlich als eine Gesellschaft gemeinschaftlicher Werte, als eine Gesellschaft von Verfassungs- und Rechtspatrioten – wie Dolf Sternberger sagt.[10] Wir sollten unser Recht lieben; und zwar in der Form, dass wir es beachten und wertschätzen. Denn am Ende ist es das Recht, das die Macht des Einzelnen genauso wie die Macht von Unternehmen und Regierungen beschränkt und vor Machtmissbrauch schützt. Dabei gilt: »Wie nämlich zur Erhaltung guter Sitten Gesetze nötig sind, so sind auch zur Beachtung der Gesetze gute Sitten erforderlich.«[11]
Clemens Fuest
Grau ist alle Theorie? Ohnmacht und Macht der wissenschaftlichen Politikberatung
1. Politikberatung zwischen Macht und Ohnmacht
Wer sich als Wissenschaftler in der Politikberatung versucht, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit früher oder später diesen Satz anhören müssen: »Grau ist alle Theorie.« Gemeint ist: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verstehen die Welt nicht, Politikberatung ist nutzlos, Frauen und Männer der Praxis müssen die Dinge in die Hand nehmen. Das ist eine Variante der Idee von der Ohnmacht wissenschaftlicher Politikberatung: Ohnmacht durch Unfähigkeit. Nur die Praktiker der Politik wissen, wie Politik zu gestalten ist. Wissenschaftler sind von den realen Problemen zu weit entfernt.
Viele, die diesen Satz verwenden, wissen vermutlich, dass er aus Goethes Faust stammt. Sie vergessen aber leicht, wer ihn ausspricht: Mephisto, der Teufel.
»Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldener Baum.«[1]
Das sagt Mephisto einem Schüler im Studierzimmer, um ihn vom Lernen abzulenken. Die Idee, Theorie sei entbehrlich, die Praxis allein reiche aus, ist also eine Idee des Teufels. Ideen, die vom Teufel kommen, sehen auf den ersten Blick verführerisch aus. Sie erweisen sich aber schnell als nicht tragfähig. Einer, der das erkannt hat, war John Maynard Keynes: Er hat die Bedeutung von Theorien für die Wirtschaftspolitik so beschrieben: »Viele Praktiker, die von sich glauben, von intellektuellen Einflüssen ziemlich frei zu sein, sind in Wahrheit Sklaven irgendeines lange verblichenen Ökonomen.«[2]
Das ist die These einer subtilen Macht der wissenschaftlichen Politikberatung: Wissenschaft produziert Ideen. Keynes hielt Ideen für mächtiger als Partikularinteressen, die kurzfristig großen Einfluss zu haben scheinen. Er war der Auffassung, dass jeder, der politische Entscheidungen fällt, bewusst oder unbewusst Theorien über die Funktionsweise der Wirtschaft folgt, die er irgendwann einmal gehört und übernommen hat. Da Keynes meinte, dass die meisten Menschen jenseits eines Alters von 25 bis 30 Jahren aufhören, neue Ideen aufzunehmen und ihre Auffassungen über Staat und Wirtschaft folglich nicht mehr ändern, beruht ihr Wissen, wenn sie in Positionen mit Entscheidungsmacht geraten, in der Regel auf veralteten Ideen.[3] Verstorbene Wissenschaftler beeinflussen die wirtschaftspolitischen Praktiker der nachfolgenden Generation. Viele Ideen und Argumente, die in der Vergangenheit entwickelt wurden, sind bis heute wertvoll. Manche geraten in Vergessenheit, obwohl sie wertvoll sind. Trotzdem sollten wirtschaftspolitische Entscheidungen – wie politische Entscheidungen überhaupt – aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse berücksichtigen. Deshalb wäre es klug, wenn Praktiker sich für Erkenntnisse der modernen Wissenschaft interessieren würden. Viele Entscheidungsträger im wirtschaftspolitischen Prozess tun das auch und sind zumindest offen für den Austausch mit der Wissenschaft.
Im Folgenden soll es deshalb um Politikberatung unter Lebenden gehen. Politikberatung hat ebenso wie das Nachdenken darüber eine lange Geschichte, die bis in die Antike zurückreicht. Politikberatung der Vergangenheit war dabei oft die Beratung von Fürsten, mehr oder weniger autoritären Herrschern. Diese Art der Beratung hat ihre eigene Komplexität und ihre eigenen Widersprüche.[4] Sie unterscheidet sich allerdings in wichtigen Aspekten von der Politikberatung unserer Zeit, der Politikberatung in modernen Demokratien, auf die ich mich hier beschränken möchte.
In Deutschland ist es in letzter Zeit immer wieder zu harscher Kritik an Politikberatern und dem Politikberatungsbetrieb gekommen. Als der Sachverständigenrat für Wirtschaft den Mindestlohn kritisiert hat, wollten manche Politiker ihn gleich abschaffen. Nicht den Mindestlohn, sondern den Sachverständigenrat. Das wirft die Frage auf, was eine Beratung bringt, wenn diejenigen, die beraten werden sollen, den Rat ablehnen? Ist da nicht etwas faul? Dieser Streit spricht eher dafür, dass die Politikberatung in Deutschland, soweit sie sich in der Öffentlichkeit vollzieht, ganz ordentlich funktioniert.
Um das nachvollziehen zu können, muss man verstehen, wie Politikberatung in modernen Demokratien funktioniert.
2. Modelle der Politikberatung
Wie funktioniert Politikberatung und was kann sie leisten? Ich möchte diese Frage gerne anhand einer Reihe von »Modellen« der Politikberatung diskutieren, also vereinfachten Darstellungen, die wesentliche Aspekte des Problems herausarbeiten.[5]
Modell 1: Die Wissenschaftler stellen fest, was die richtige Wirtschaftspolitik ist, um das Gemeinwohl zu maximieren. Sie beraten die Politiker entsprechend, und die Politiker setzen die Politik um.
Dieses Modell der Politikberatung mag naiv erscheinen. Es eignet sich aber gut als Ausgangspunkt unserer Überlegungen. Das Modell beruht auf einer Reihe von Annahmen:
Es existiert so etwas wie das Gemeinwohl.
Die politischen Entscheidungsträger wollen das Gemeinwohl maximieren.
Die Wissenschaftler wollen ebenfalls das Gemeinwohl maximieren.
Es lässt sich wissenschaftlich ermitteln, wie das Gemeinwohl maximiert wird.
Was ist von diesen Annahmen zu halten? Annahme 1 ist die am wenigsten problematische, obwohl das Konzept des »Gemeinwohls« viele Fragen aufwirft. Die Idee, dass es so etwas wie »das Gemeinwohl« gibt, darf nicht mit der Vorstellung verwechselt werden, es gebe für freiheitliche Gesellschaften eine gemeinsame Zielsetzung, der sich die Mitglieder dieser Gesellschaft unterzuordnen haben. Kennzeichen freiheitlicher Gesellschaften ist gerade, dass ihre Mitglieder sehr unterschiedliche