Heini Holzer. Meine Spur, mein Leben: Grenzgänge eines Extrembergsteigers
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Über dieses E-Book
Am 4. Juli 1977 starb er im Alter von 32 Jahren beim Versuch, die Nordostwand des Piz Roseg in der Berninagruppe zu befahren. Es war seine 104. Steilwandfahrt.
Holzer war ein außergewöhnlicher Mensch: Aus einfachsten Verhältnissen stammend, klein von Statur, aber zäh und willensstark, bewältigte er höchste Schwierigkeitsgrade in Eis und Fels. Als Hirte und Kaminkehrer blieb er aus Überzeugung Amateur, spielte aber in den Sechziger- und Siebzigerjahren im Wettbewerb um Erstbesteigungen und -befahrungen der verbliebenen weißen Flecken der Alpen ganz vorne mit. Sein Können als Kletterer stellte er unter anderem als Seilgefährte von Sepp Mayerl, Peter Habeler oder Günther und Reinhold Messner unter Beweis. Seine Welt war jene des VI. Schwierigkeitsgrades (damals der höchste) und der 55°-Wände. Im Steilwandfahren entwickelte er seinen eigenen Stil und befuhr die Wände nur, nachdem er sie im Aufstieg bezwungen hatte. Niemals bediente er sich eines Helikopters.
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Rezensionen für Heini Holzer. Meine Spur, mein Leben
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Buchvorschau
Heini Holzer. Meine Spur, mein Leben - Markus Larcher
Zum Buch
Heini Holzer war der Steilwandfahrer der Siebzigerjahre. Als Gratwanderer zwischen Erfolgszwang und Todessehnsucht war er einer der ersten und besten seiner Zunft. Am 4. Juli 1977 starb er im Alter von 32 Jahren beim Versuch, die Nordostwand des Piz Roseg in der Berninagruppe zu befahren. Es war seine 104. Steilwandfahrt.
Holzer war ein außergewöhnlicher Mensch: Aus einfachsten Verhältnissen stammend, klein von Statur, aber zäh und willensstark, bewältigte er höchste Schwierigkeitsgrade in Eis und Fels. Als Hirte und Kaminkehrer blieb er aus Überzeugung Amateur, spielte aber in den Sechziger- und Siebzigerjahren im Wettbewerb um Erstbesteigungen und -befahrungen der verbliebenen weißen Flecken der Alpen ganz vorne mit. Sein Können als Kletterer stellte er unter anderem als Seilgefährte von Sepp Mayerl, Peter Habeler oder Günther und Reinhold Messner unter Beweis. Seine Welt war jene des VI. Schwierigkeitsgrades (damals der höchste) und der 55°-Wände. Im Steilwandfahren entwickelte er seinen eigenen Stil und befuhr die Wände nur, nachdem er sie im Aufstieg bezwungen hatte. Niemals bediente er sich eines Helikopters.
Der Journalist Markus Larcher hat aus dem umfangreichen Nachlass an Tage- und Tourenbüchern sowie Erinnerungen von Weggefährten ein Buch geschaffen, welches zugleich auch alpine Zeitgeschichte schreibt.
Aus der Presse
„Ein Buch, das nicht nur das Leben einer der schillerndsten Personen der Alpingeschichte nacherzählt, sondern es möglich macht, große alpine Taten besser zu verstehen." – Klettern
„Ein Buch, das man in einem Zuge auslesen kann." – DAV-Panorama
„Ein erstklassiges, von Anfang bis zum Ende spannendes Bergbuch." – Österreichischer Alpenverein
„Der kleine Kaminfeger war über seine großen skifahrerischen Leistungen hinaus eine Figur der Alpingeschichte, die ein solches retrospektives Buch durchaus verdient hat." – Neue Zürcher Zeitung
„Das Buch lässt erahnen, was für ein Mensch Heini Holzer war, wie er dachte, was ihn motivierte." – Alpin
„In spannender, aufrichtiger, aber ganz und gar nicht reißerischer Weise lässt uns Holzer an den Abfahrten teilnehmen. Tiefsinnige, beinahe philosophisch wirkende Randbemerkungen, die weit in eine sensible Bergsteigerseele blicken lassen, viele Bilder, das Vorwort Reinhold Messners und viele objektiv urteilende Zeitzeugenberichte machen dieses Buch zu einem Kleinod der Alpinliteratur." – Bergnews
© Edition Raetia, Bozen 2015
Vierte Auflage
Originalausgabe 2000
Umschlagfoto von Martin Fliri Dane;
Heini Holzer am Piz Palü
Grafik und Layout: Dall’O & Freunde
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN Print: 978-88-7283-294-3
ISBN E-Book: 978-88-7283-545-6
Unser Gesamtprogramm finden Sie unter www.raetia.com
Fragen und Anregungen richten Sie bitte an info@raetia.com
Inhalt
Cover
Zum Buch
Aus der Presse
Impressum
Luis Vonmetz: Zum Geleit
Reinhold Messner: Heini Holzer, der Steilwandfeger
Zitate
Ein Leben für den Berg
Schwierige Kindheit
Lehrjahre
Klettern als Daseinsform
Freunde und Rosinen
Ersehntes Glück
Die Entdeckung einer Randdisziplin
Letzte Jahre
Große Fahrt am Ortler – Nordwand in Aufstieg, Schück-Rinne im Abstieg, eine Lawine und viel Glück
Allein wie der Berg – Hohe Weiße, Nordwestpfeiler
Vom natürlichen Kunstwerk – Lenzspitze-Nordostwand
Zu Hause in Extremen
Der Eigenwillige
Auf Skitour
Der Alleingänger
Rotwand-Südwestwand – Alleingang in der Senkrechten
Unter Freunden
Nachruf 1: Wo ist mein Freund Renato Reali?
Nachruf 2: Und du, Claudio Barbier?
Klettern an der Grenze
Gefährliche Lehrzeit – Rosengarten-Ostwand
Der Weg zum V. Grad oder: Auch Steinmetze klettern nicht mit Sicherheit
Sieg über sich selbst – Die Jungschlern-Nordkante
Mein Weg ans Licht – Allein durch den Schmuck-Kamin der Fleischbank-Ostwand
Der Geschwindigkeitsalpinist
Sérac Z – Lyskamm-Nordwand
Krach um eine Erstbegehung
Zwölf lange Stunden – 1. Winterbegehung des Rizzi-Kamins
Alpinistische Grabenkämpfe und eine Nordwand
Das Schwerste im Fels
Abfahrt ins Leben
Berge, Ski und harte Burschen
Die Käfiglöwen
Die Eroberung der Leere
Der Schmetterling
Tollkopf oder Tatmensch?
Mein Training
Toni Valeruz: Kleiner großer Mann
Einsam im Gewirr – Die Trafoier Eiswand
Meine schwierigste Steilabfahrt – Die SW-Wand des Kleinen Ifinger
Die zwei Gesichter der Steilwand – Petit-Montblanc-Nordostwand
Martin Fliri-Dane: Face Nord de l’Aiguille d’Argentière à discrétion
Die hundertste Steilabfahrt – Monte Cristallo, Nordrinne
Hans Pescoller: Im Eiltempo auf den Gran Paradiso
Notwendige Tiefe. Erlebter Traum – Ortler-Südwand
Öffentlichkeit und Verweigerung
Abseits von Fels und Eis
Ein Walliser Traum
Die Bergsteigerseite in den „Dolomiten"
Wir Verrückten – Der Thurwieser-Nordpfeiler
Vergessene Berge
Umworben
Fragende Blicke – Alpspitz-Nordwand
Die verpönte Verdienstquelle
Tod eines Suchenden
Piz Roseg – Der letzte Akt
Markus Holzer: Bewundert und verurteilt
Anhang
Schwierigkeitsbewertung
Klettertouren
Steilwandabfahrten
Literaturverzeichnis
Fotonachweis
Dank an
Zum Autor
Fußnoten
Zum Geleit
Meine erste Begegnung mit Heini fand am Schlernbödele statt. Zusammen mit Meraner Freunden war er per Fahrrad gekommen. Er war blutjung, 15 Jahre etwa. Seine Seilschaft ging die Burgstallkante, unser Ziel war der Santner.
Heini Holzer war ein außergewöhnlicher Mensch. Klein von Statur, mit einem unbändigen Willen und einem Kämpferherzen ausgestattet, ist er einer der ganz Großen im Alpinismus geworden. Gäbe es eine alpine Kombination – Fels und Eis in den höchsten Schwierigkeitsgraden, in Seilschaft oder allein, im Sommer wie im Winter und zudem noch seine gut hundert Steilwandabfahrten –, er wäre für Jahrzehnte unerreicht geblieben.
Heini war ein tiefsinniger Mensch, ein Grübler auch. Er konnte singen und musizieren, und ein Hüttenabend mit ihm war immer ein Erlebnis. Als Mitglied der
AVS-Hochtouristengruppe
stieß Heini in späteren Jahren zur Bozner Gruppe, der er immer treu blieb.
Wiederholt wurde von einem Freundeskreis um Heini Holzer ein Buch über diesen angeregt. Mehrere Anläufe gab es dazu, aber es kam nichts Rechtes dabei heraus. Bis vor eineinhalb Jahren sein Sohn Markus an uns vom Alpenverein Südtirol (AVS) herantrat. Vieles, was sein Vater geschrieben hatte, in Tage- und Tourenbüchern, Zeitungsberichten und Aufsätzen, hatte er gesammelt. Markus Holzer schwebte ein Buch vor, in dem fast ausschließlich sein Vater zu Wort kommen sollte. Sehr schnell kamen wir jedoch zu der Erkenntnis, daß es lohnender sein würde, die Persönlichkeit Heini Holzers in einen größeren Zusammenhang zu stellen.
Bei der Suche nach einem Autor lernte ich den jungen Publizisten Markus Larcher kennen. Er hat ausgiebig recherchiert, viele Freunde und Seilgefährten interviewt und ist gewissermaßen in die Persönlichkeit Heini Holzers eingetaucht, dessen Seele und Motive ergründend.
Das Ergebnis ist das vorliegende Buch, das Angehörigen, Freunden und Bewunderern von Heini sein Leben zeigt und zudem ein Stück Alpingeschichte dokumentiert.
Der Alpenverein Südtirol freut sich über die nun vorliegende Publikation, wird damit doch eine über Südtirol hinausreichende Lücke in der Alpingeschichte geschlossen.
Wir danken allen Gönnern und jenen, die unterstützend mitgewirkt haben: den Artikelschreibern, den Bildautoren, der Familie von Heini Holzer und Reinhold Messner für sein Vorwort.
Luis Vonmetz, Alpenverein Südtirol
Heini Holzer, der Steilwandfeger
Wir waren beide zwanzig, als wir uns kennenlernten. Natürlich kannte ich Heini Holzer von Erzählungen, ging ihm doch der Ruf eines Stehaufmännchens voraus. Wie er seinen freihängenden Seilpartner vor dem Stranguliertwerden befreit, seine Begleiter am Fuße des Ortlers aus einer Lawine gräbt, waren Geschichten, die Heini früh schon mit dem Flair des Legendären umgaben. Immer war er es, der die Situation rettete.
Der Kaminfeger Heini Holzer, mit Spitznamen „Feger", war noch kleiner, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Mit seinem Strahlen und Lachen aber konnte er jeden für sich einnehmen, dem er nur kurz auf der Hütte begegnete oder nach einem Vortrag die Hand schüttelte.
Heini war weder als Fußgänger noch als Kletterer besonders schnell, aber er kam überall durch. Seine Ziele wuchsen mit seiner Erfahrung, und sein jugendlicher Übermut hatte mehr mit dem Gefühl von Unsterblichkeit zu tun als mit Frohsinn. Am Berg war für ihn fast alles möglich, nur Umkommen kam nicht in Frage. Noch nicht.
Heini war Romantiker, wie Generationen von Bergsteigern vor ihm und die meisten seiner Zeitgenossen. Dass er das Bergsteigen in seinen Erzählungen romantisierte und seine „Helden" – es waren immer wieder andere – heroisierte, ist also verständlich. Auch seine Fähigkeit immer wieder neue Freunde zu finden, hängt damit zusammen. Dabei blieb Heini im Grunde seines Herzens ein trauriger Mann. In den Melodien, die er mir in so mancher Biwaknacht auf seiner Mundharmonika vorspielte, in den bruchstückhaft erzählten Erinnerungen aus seiner traurigen Kindheit klang viel Melancholie. Nein, er war nicht unglücklich über sein Schicksal, stand zu seinem Beruf als Kaminkehrer und genoss sogar sein wöchentliches Hinaufsteigen über den Alltag. 50 Arbeitswochen hatte sein Jahr, dazu kamen drei Wochen Urlaub. Das Ergebnis: 70 Bergtouren pro Jahr, im Winter auf Skiern, im Sommer in Fels und Eis.
Heini heiratete früh, und als ich ihn einlud, zu einer gemeinsamen Himalaja-Expedition mitzukommen, waren es nicht nur die beiden kleinen Kinder, die ihn davon abhielten. Er hatte seine eigene Form gefunden, sich am Berg auszudrücken, neue Freunde und endlich die Anerkennung, die er mehr brauchte als andere. Heini war immer noch Kaminkehrer, aber am Wochenende jetzt vor allem Steilwandfahrer und plötzlich ein bekannter Mann.
Mit den ersten Sponsorverträgen ergaben sich noch mehr Möglichkeiten, die er mit größer und größer werdender Ambition zu nutzen wusste.
Im Gegensatz zu mir blieb Heini bei seinem Beruf, in seinen Alpen, in seinem Umfeld. Und die Zahl seiner Bewunderer nahm mit jeder Abfahrt zu.
Wir trafen uns seltener, obwohl wir häufig von derselben Bühne erzählten: Heini von seinen Steilwandabfahrten zwischen Monte Cristallo, Königsspitze und Montblanc – ich vom Nanga Parbat, Aconcagua, Manaslu.
Als ich 1977 von einem gescheiterten Versuch an der Südwand des Dhaulagiri im Himalaja heimkam, war Heini tot. Abgestürzt mit Skiern an der Nordostwand des Piz Roseg. Zur öffentlichen Trauerfeier kam ich zu spät – die Erinnerung an seine Lieder aber, sein Lachen, sein Leben ist nach 20 Jahren Unterwegssein ganz lebendig geblieben. Mit 32 Jahren, wie Hermann Buhl, ist Heini Holzer vom Berg gefallen, wo er tausend und mehr schwierige Touren gemeistert hat – zu jung, um zu wissen, wie gefährlich die Faszination der unbegrenzten Möglichkeiten da oben ist.
Reinhold Messner
Heini Holzer, 15jährig vor dem Spronser Langsee; Auftakt zu ersten Erkundungstouren in der Texelgruppe.
Alle Geschichte ist Legende. Jedes Zeitalter, ja fast jede Generation hat ein anderes Ideal, und mit dem Ideal ändert sich auch der Blick in die einzelnen großen Abschnitte der Geschichte.
Egon Friedell
Meine Spur, mein Leben
Meine Spur ziehe ich am liebsten,
wohin keine andere führt.
Ich kann zurückblicken
und sie beurteilen,
was ich sonst nicht könnte,
weil sie sich durch die vielen anderen
verlieren würde.
Auch mein Leben
will ich unter Kontrolle haben.
Darum gehe ich einen eigenen Weg,
dem nicht jeder folgt.
Heini Holzer
Mein Spielzeug
Oft denke ich an meine Kindertage, ich hatte kein Spielzeug zum Spielen, aber was ich hatte, war die Natur mit ihren Blumen und Tieren und mit ihrer Freiheit. Auch heute finde ich das noch in meinen Bergen.
Ein Leben, für den Berg
Schwierige Kindheit
Heinrich Holzer kommt am 7. April 1945 in Taufers im Münstertal (Südtirol), während des Überflugs eines amerikanischen Bombengeschwaders, zur Welt. Er wird in ärmlichste und unstabile Verhältnisse hineingeboren. Seine 28jährige Mutter, Maria Defatsch aus Matsch, seit 1943 mit dem Schlanderser Richard Holzer (geb.1914) verheiratet, vermißt ihren Mann bereits seit einem halben Jahr an der Ostfront. Die Mutter arbeitet als Magd auf einem Bauernhof in Taufers und muß das Neugeborene untertags zu einer verwandten Bauersfamilie in Pflege geben. In Ermangelung fehlender Muttermilch stillt die Tauferer „Schloßhof"-Bäuerin das Pflegekind zusammen mit ihrem eigenen.
Ich bin vielleicht hart zu verstehen.
1946 zieht die Magd mit ihrem Kleinen auf den „Brunnerhof nach Schenna. Unweit davon arbeitet ihr neuer Lebenspartner Josef Kröss (geb.1904) als „Wirtschafter
auf dem „Greiterhof. Ihn heiratet die junge Witwe ein Jahr später, nachdem aus Deutschland eine offizielle Bestätigung über den Tod ihres vermißten Ehemannes eingetroffen ist. Oberhalb von Schenna bezieht die junge Familie das „Salchthal
, ein ärmliches 1500 Meter hoch gelegenes Holzhäuschen. Wenngleich in bescheidensten Lebensverhältnissen und weit abseits des dörflichen Geschehens, wächst Heini inmitten einer prachtvollen Naturumgebung heran.
Heini ist zwei Jahre alt, als seine Stiefschwester Waltraud geboren wird; mit fünf Jahren versucht sich der Knirps als Gehilfe beim Hüten am Fuß des imposanten Ifinger. Auf seinen Entdeckungszügen durchstreift das Kind seine nähere Oberschennaer Umgebung. Es scheinen diese allerersten Lebensjahre zu sein, in denen in Heini jene tiefe Naturverbundenheit heranwächst, die ihn zeitlebens prägen wird.
Maria Defatsch und Richard Holzer. Heirat der Eltern in Zeiten des Krieges.
Anfang der 50er Jahre zieht die Familie nach Latsch. Im hinteren Martelltal bauen die Montecatini-Werke einen Staudamm. Heinis Stiefvater verspricht sich bessere Verdienste und läßt sich als Stollen-Arbeiter anwerben. In Latsch verbringt der Bub seine ersten beiden Schuljahre. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie bleiben jedoch äußerst bescheiden, zumal der Stiefvater zu trinken begonnen hat.
Die Sommermonate über muß der Bub gewissermaßen auf sich selbst schauen: Gegen Kost und Logis hilft er im „Hotel Post" im benachbarten Suldental aus, hütet die Ziegen des Hauses und die einiger Bauern. Nach nur zwei Jahren steht ein neuer Wohnortswechsel an:
Ärmlichstes Zuhause in prächtiger Umgebung. Im „Salchthal"-Höfl auf dem Oberschennaer Berg verbringt Heini Holzer einige seiner ersten Lebensjahre.
Um noch näher an seinem Arbeitsplatz zu sein, zieht Josef Kröss samt Familie ins nahe Dorf Martell. Dort kommt im Jahr 1953 Heinis Stiefbruder, Alois, zur Welt.
Wiederum gilt es für den schmächtigen achtjährigen Buben, sich in Martell an ein neues Umfeld zu gewöhnen, neue Freunde zu finden. Gewährt bleibt indessen die sommerliche Hirtentätigkeit Heinis in Sulden. Dort spürt er dem Wild nach, sammelt Geweihstücke und Vogelfedern, sucht die Felsen der Rosimwände nach den Nestern der Raubvögel ab. Allmählich interessiert er sich auch für Mineralien und Bergblumen, und Heini beginnt mit jener Beschäftigung, der er auch im Erwachsenenalter leidenschaftlich frönt: er sammelt – kistenweise.
Allgegenwärtig in seinem Blickfeld bleiben die mächtigen Eiswände von Königsspitze, Zebrù und Ortler. Und die Ortler-
N-Wand
, so erzählen sich die älteren Hirtenbuben im Tal, sei nach den Erstbezwingern schon ein Vierteljahrhundert niemand mehr hinaufgekommen …
Huflattich war die erste Blume, die ich in ein Gefäß einpflanzte und sehen mußte, wie sie abstarb. Damals weinte ich, kam mir vor wie ein Mörder, der ein Leben vernichtet hatte.
Für Heini sind die jeweiligen Sommer eine relativ unbeschwerte Zeit, wenngleich er als Hirte sehr viel allein ist. Ernsthaft wird sein Hüter-Dasein nur einmal unterbrochen: Man unterstellt ihm, etwas entwendet zu haben. Der Bub sieht sich zu Unrecht beschuldigt und läuft über das Madritschjoch ins hintere Martelltal hinunter, wo er den Stiefvater an der Stollenarbeit weiß. Dieser hat für Heinis Anliegen jedoch nichts übrig und versetzt dem Buben eine Ohrfeige. Von dieser wird Heini noch als Erwachsener sprechen. In Latsch schließlich setzt die Mutter den heulenden und verstörten Buben ins nächste Postauto nach Sulden. Für Heini ein traumatisches Ereignis, das ihn endgültig von seinem Stiefvater distanziert und ihn eine bittere Lektion lehrt: im Notfall nur auf sich allein gestellt zu sein. Selten früh muß sich Heini seiner Einsamkeit bewußt werden: Ist die Menschenferne ein mögliches Zuhause?
Bedingt durch den häufigen Wohnortswechsel der Eltern schult Heini während seiner Grundschulzeit dreimal neu ein. Bleibende Freundschaften sind so gut wie unmöglich.
Die Identität seines richtigen Vaters indessen wird Heini von seiner Mutter verschwiegen. Erst sehr viel später, als junger Mann, wird er diesen – anläßlich eigener Nachforschungen – das erstemal auf einem Foto sehen.
Nach knapp drei Jahren steht wieder ein Umzug an. Zurück ins Burggrafenamt, nach Riffian, wo sein Stiefvater die Arbeit bei einer Baufirma aufnimmt. In Riffian beendet Heini auch die Volksschule und muß ausschulen.
Lehrjahre
An den ärmlichen Verhältnissen der Familie ändert sich auch mit der neuen Arbeit des ungeliebten Stiefvaters wenig; dieser trinkt in einem fort. Familiäre Geborgenheit gibt es nur ansatzweise. Heini Holzers Kleinwuchs ist mittlerweile augenscheinlich und – wie für jeden Jungen – ist er Nährboden für Minderwertigkeitskomplexe, Nichtigkeitsängste. Heini entwickelt einen überdurchschnittlich starken Ehrgeiz, der ihn in Wettkämpfen, Läufen und später am Berg alles geben läßt. Einem Wettkampf gleich, mißt er sich bei seinen späteren Alleingängen an den Begehungszeiten seiner Vorgänger, um jene beinahe regelmäßig zu unterbieten.
Körperlich schmächtig und sehr sensibel, findet Heini in diesen Jahren nicht die notwendige Beachtung und Ermutigung. Die Kräfte der Mutter werden von der täglichen Sorge um die materielle Existenz, vom Kampf um den Familienfrieden und der notwendigen Fürsorge für Heinis kleinere Geschwister aufgezehrt. Heini verschließt sich zusehends: nicht aber vor den kleineren Geschwistern. Diese „halten zusammen wie Pech und Schwefel" (Alois Kröss). Und dies über die Jugendjahre hinaus.
Um ein Zubrot bemüht, begibt sich die Mutter mit ihren zwei ältesten Kindern zeitweilig ins nahe Saltaus: Gemeinsam singt man dort in einer Pension vor Touristen – Heini begleitet Mutter und Schwester auf seiner Mundharmonika und Gitarre.
Auch während der Jahre in Riffian wird der Junge zur Entlastung der Familienkasse zum Hüten ins hintere Passeiertal geschickt. Zwei Sommersaisonen lang hütet er unweit des Jaufens, im Passeirer Waltental, das Galtvieh. Er freundet sich mit einem Jagdaufseher an, der ihm Einzelheiten der alpinen Tierwelt näherbringt. Der Berg, dessen Fauna und Flora – sie prägen sich dem jungen Heini Holzer endgültig ein. Am Berg findet er jene elementaren Gewißheiten und Freuden, die ihm anderswo verwehrt bleiben; dort kann sich Heini bewähren. Die Natur urteilt nicht, verurteilt niemanden.