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Nord & Süd 2012: Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol
Nord & Süd 2012: Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol
Nord & Süd 2012: Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol
eBook241 Seiten2 Stunden

Nord & Süd 2012: Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol

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Über dieses E-Book

Durch Südtirols beschauliche Landschaft weht der Wind der Globalisierung. Am Schnittpunkt zwischen Nord und Süd, im Spannungsfeld zwischen Zentrum und Peripherie geraten althergebrachte gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen in Bewegung. Es tun sich neue Chancen auf ebenso wie neue Herausforderungen.
Ein offener Blick auf ein Land im Umbruch.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Raetia
Erscheinungsdatum15. Mai 2013
ISBN9788872834671
Nord & Süd 2012: Leben, Arbeit, Wirtschaft in Südtirol

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    Buchvorschau

    Nord & Süd 2012 - Edition Raetia

    GAUSS

    Heute Rand, morgen Mitte

    Mehr als zehn Gemeinden in verschiedenen Ländern streiten seit Jahren um den Ruhm, dass sich die Mitte Europas auf ihrem Gebiet befinde. Um Gewissheit zu schaffen, hat sich das Nationale Geografische Institut von Frankreich die europäischen Koordinaten noch einmal vorgenommen und festgelegt, dass das Herz Europas exakt dort schlägt, wo sich 25 Grad und 19 Minuten Länge mit 54 Grad und 54 Minuten Breite schneiden, und das ist eine halbe Autostunde nördlich der litauischen Hauptstadt Vilnius, unweit eines Städtchens namens Moletai. Diese Verortung wurde sogleich angefochten, von Orten in der Slowakei und in Slowenien, von Wissenschaftlern und Mythologen, sodass wir getrost davon ausgehen können, dass Europa, solange es existiert, keine Mitte haben wird, auf die sich alle beziehen, sondern mehrere Mitten, die sich ihren Rang gegenseitig absprechen. Eines haben die konkurrierenden Mitten aber gemein, dass sie nämlich nicht dort zu finden sind, wo die nationalen Zentren liegen, und keineswegs mit den wirtschaftlichen oder politischen Metropolen zusammenfallen. Nein, die Mitten Europas liegen allesamt – in der Provinz.

    Tief ist die Provinz dort, wo Provinzler Provinzler verächtlich beschuldigen, Provinzler zu sein; den wahren Provinzler bestimmt nichts so sehr wie seine panische Furcht, womöglich für einen gehalten zu werden. Dabei hat der Gegensatz von Zentrum und Peripherie schon seit der Erfindung der Eisenbahn an Bedeutung verloren, und dank der neuen Kommunikationstechnologien ist er obsolet geworden. Längst sind die Ränder hereingebrochen in die Mitte, in die Mitten, was man auch daran erkennen kann, dass Metropolen aus lauter Kleinstädten und Dörfern zu bestehen pflegen und mitunter sogar in uralt-neue Stammesreviere zerfallen. Metropolen wären keine, würden sie sich in ihrem Hunger nicht unablässig Talente aus den Provinzen einverleiben. So provinzialisieren sie sich selbst und mehren doch zugleich ihre innere Vielfalt. Umgekehrt ist die Peripherie kein stiller Winkel mehr, in dem sich die Rückständigkeit als Idylle genießen ließe: Was immer in der großen Welt an Verheerungen erprobt wird, wirkt sich verheerend auch in der kleinen aus.

    Besteht also gar kein Unterschied zwischen Weltstadt und Krähwinkel, sind Zentrum und Peripherie alles eins geworden? Keineswegs. Was an den Rändern erfunden und rebellisch erprobt wird, muss sich, um nicht unbeachtet zu bleiben, auch weiterhin in der Mitte behaupten und durchsetzen. Nur ist die Mitte kein fester Ort mehr, sondern gewissermaßen in Bewegung geraten: Wo heute noch Rand ist, wird morgen schon Mitte sein. Das wiederum braucht nur zu fürchten, wer es sich in den Festungen der Zentralmacht gemütlich eingerichtet hat und glaubt, die Geschichte hätte ausgerechnet mit ihm schon ihr glückliches Ziel erreicht.

    Karl-Markus Gauß

    (*1954), Schriftsteller, Herausgeber der Zeitschrift „Literatur und Kritik in Salzburg. Aktuelle Buchveröffentlichungen: „Im Wald der Metropolen (Zsolnay, 2010), „Ruhm am Nachmittag" (Zsolnay, 2012).

    JOSEPH VON WESTPHALEN

    Fließend Deutsch und warmes Wasser

    In Deutschland gehörte es lange zum guten Ton, zumindest zum linksintellektuellen, sich nicht deutsch zu fühlen oder fühlen zu wollen. In halbwegs selbstkritischen Kreisen wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs alle Anwandlungen von nationalem Stolz unterdrückt, verleugnet und als nazinah geschmäht. Ein natürlicher Reflex auf die große deutsche Schuld. Schon das Wort „deutsch war einem zu viel, man sagte lieber „bundesrepublikanisch. Nach der Wiedervereinigung allerdings war das Wort „Deutschland nicht mehr zu vermeiden. Nachbarn, die erst Angst vor einem in der Mitte Europas übermächtig zusammengewachsenen Land hatten, lächelten bald über die deutsche Sorge, zu großspurig dazustehen, und klopften uns genervt auf die Schulter: Ihr wart zwar furchtbar als Hitlers Mitläufer und seine willigen Vollstrecker, aber jetzt könnt ihr langsam normal werden und ein bisschen Nationalbewusstsein zulassen, sonst werden nur eure widerlichen Neonazis lauter. „Genau, sagten die deutschen Konservativen. Endlich Wasser von außen auf ihre Mühlen.

    Die alten pubertären Zeiten der nationalen Identifikationsverweigerung aber waren nicht die schlechtesten. Es war noch nicht Mode, den nationalen Zuschreibungen auszuweichen und zu behaupten, man sei in erster Linie Europäer. In Deutschland beziehungsweise der Bundesrepublik, und vermutlich nirgendwo sonst auf der Welt, wurde auf Partys zu vorgerückter Stunde spielerisch diskutiert, was man denn lieber wäre als Deutscher. Keinesfalls imperialer Ami. Natürlich auch kein armer Pole oder der drangsalierte Bürger eines anderen Staates des sich auflösenden Ostblocks. Finne? Däne? Belgier? Das wäre dann doch zu blass. Schweizer? Zu satt und selbstzufrieden. Franzose? Zu selbstverliebt und arrogant. Österreicher? Auch nicht viel besser als die Deutschen, und was die Vergangenheitsbewältigung betrifft, hinken sie peinlich hinterher. Mediterraner Südländer? Das wäre schon was, aber da fehlt einem als schlichtem Germanen dann doch das Temperament, um glaubhaft den Spanier oder Italiener geben zu können.

    Und dann kam die rettende Idee, die ideale Lösung der kniffligen Frage: Nicht schlecht, wenn man Südtiroler wäre. Schöne Gegend, man kennt viele Plätze, wo man sich wohlfühlt, wo man mühelos heimatliche Gefühle entwickeln könnte. Südtirol scheint dem Betrachter von außen offener als die irgendwie enge und sich abschottende Schweiz und nicht so tanzbodenhaft lustig, wie es das österreichische Tirol – zumindest dem Volkslied und dem Klischee nach – ist. Und dann die Leidensgeschichte. Die historischen Narben. Auch die sind prägend und bilden den Charakter. Die Geschichte der Südtiroler Berge und Täler ist bis in die jüngere Vergangenheit gezeichnet von Gift und Galle, Schikanen und Denunziation, Feindschaft und Aussöhnung. Wahrlich genügend Zwänge und Grausamkeiten, aber eben nicht der ganz große Horror, wie er in Nazideutschland herrschte. Und schönere Widerstandsgeschichten. Partisanen kennt die schreckliche deutsche Geschichte nicht. Vor allem verlockend: in erster Linie einer Region anzugehören, nicht einer Nation, keine dumpf gehorsame Volksmasse zu bilden, sondern eine vergleichsweise aufmüpfige Volksgruppe (die sich die blühende Fantasie der Außenstehenden gern als eine aparte Mischung von alpinen Einzelgängern à la Ötzi vorstellt) – das scheint dem von der eigenen völkischen Tätergeschichte geplagten Deutschen als eine geradezu elegante Lösung. Autonomie, wie hart sie erkämpft wurde und wie glanzlos sie im Alltag auch aussehen mag, klingt in deutschen Ohren unglaublich romantisch. Und dann die Zweisprachigkeit. Wenn die Südtiroler zwischen dem Deutschen und Italienischen leicht und locker hin- und herschwingen und dann womöglich noch einen Schlenker ins Ladinische machen, kommt sich der unpolyglotte Deutsche schwerfällig und unbegabt vor, wie ein Lurch auf Urlaub, der den einheimischen Bergdohlen zuschaut und auch gern fliegen können würde. Eine Bevölkerung, in der zwei bis drei Sprachen gesprochen werden, ist schon wegen dieser Vielfalt unprovinziell und hat mehr Horizont als die weite amerikanische Prärie.

    Fast alle Bewohner von Gebirgsgebieten bezeichnen den Rest der Welt als „draußen – so auch viele Südtiroler. Das klingt ein bisschen so, als seien sie in ihren Tälern eingesperrt. Pure Koketterie. Man begegnet ihnen überall. Sie rennen im Himalaja herum, betreiben Edelrestaurants in Schanghai und Farmen in Neuseeland oder spielen Gitarre in Londoner Rockbands. Und wenn sie von der großen Welt genug haben, verlassen sie ihre Umlaufbahnen und kehren zurück zu ihrem beneidenswert wohnlichen Mittelpunkt der Erde. Leider sind auch Südtiroler nur Menschen, und wenn sie „draußen gelernt haben, wie man Geschäfte macht und optimiert, wollen sie auf die erworbene Tüchtigkeit nicht verzichten. Dann werden Schneekanonen in Flötentönen als Nachhaltigkeitsmaschinen eines sanften Tourismus besungen, und in den Kellern der kleinsten Hotels werden in vorauseilendem Gehorsam quadratkilometergroße Wellnessbereiche eingerichtet, um den vermeintlichen Bedürfnissen der Touristen entgegenzukommen.

    Gerade als Liebhaber der Südtiroler Natur aber wünscht man sich angesichts all der millionenfachen Sport- und Entspannungsangebote manchmal Hotels, die von grimmigen Freiheitskämpfern geführt werden. Sie schütteln frech den Kopf, wenn Reisende sich nach den Verwöhnprogrammen erkundigen. „Whirlpool? – „Whirl-was? Dann deuten sie sardonisch grinsend auf ein vorsintflutliches Emailleschild neben der Eingangstür: „Zimmer mit fließendem warmen und kalten Wasser."

    Joseph von Westphalen

    (*1945), Schriftsteller und Satiriker in München. Letzte Veröffentlichung: „Aus dem Leben eines Lohnschreibers" (Luchterhand, 2009).

    Illustration: Cristóbal Schmal

    FRANZ KÖSSLER

    Den größten Teil seines wachen Lebens aber verbringt der urbane Mensch sitzend, auf einem Stuhl. Der Stuhl hat seinen Platz in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft und er spiegelt ihren Fortschritt wider.

    DIE PERSÖNLICHKEIT DES STUHLS

    Kein Möbelstück ist so anthropomorph wie ein Stuhl. Er hat Beine, er hat einen Rücken, zuweilen Arme und Ellenbogen und immer eine Fläche für das Hinterteil. Er kann beweglich sein oder steif, freischwingend oder schaukelnd, bequem, zum Verweilen einladend oder funktional für die Arbeit am Computer. Einen guten Teil seiner Lebenszeit verbringt der Mensch ruhend im Bett. Den größten Teil seines wachen Lebens aber verbringt der urbane Mensch sitzend, auf einem Stuhl.

    Der Stuhl hat seinen Platz in der Geschichte der menschlichen Gesellschaft und er spiegelt ihren Fortschritt wider. Von den vermutlich etwas harten steinernen Sitzen der Prähistorie bis zu den bequemen Sesseln in der Fernsehecke unserer Wohnzimmer erzählt er von der Entwicklung der Zivilisation. Auf ornamentalen, unbeweglichen Thronen herrschten die Fürsten der Renaissance. Auf nüchternen, beweglichen Bürosesseln lenken die Manager der Großkonzerne die Geschicke der globalisierten Welt. Die Ästhetik der Stühle ist das Spiegelbild der Ästhetik der Macht. Ein Stuhl – sagt der deutsche Stardesigner Konstantin Grcic – hat immer einen Charakter, er hat vier Beine, er hat ein Gesicht, er hat eine Persönlichkeit und er verändert sich mit der Gesellschaft. Stühle sind wie Menschen, ein jeder ist verschieden, manchmal nur im Detail, manchmal aber gibt es wahre Sprünge in ihrer Typologie und ihrer Funktion.

    Konstantin Grcic, Jahrgang 1965, ist in München geboren, der Vater ist Serbe, die Mutter Deutsche. Vor ein paar Jahren schon hat ihn eine Jury international führender Designexperten für die Kunstzeitschrift Art zum größten lebenden Designer gekürt, noch vor international so profilierten Meistern des Fachs wie dem Franzosen Philippe Starck oder dem Deutschen Dieter Rams. Mit seinen kantigen, oft sperrigen und dabei immer erfindungsreichen Entwürfen – schreibt Art in der Begründung für die Auszeichnung – wurde Grcic zum bekanntesten deutschen Industriedesigner seiner Generation. In den 1980er-Jahren machte er eine Schreinerausbildung und absolvierte dann das Designstudium am Royal College of Art in London, arbeitete mit einem der führenden englischen Möbeldesigner, Jasper Morrison, und betreibt jetzt in München sein eigenes Studio. Die Stühle, die er entworfen hat, werden in den führenden Museen angewandter Kunst der Welt ausgestellt, von New York bis Kopenhagen, von London bis Kapstadt.

    Ein Stuhl entsteht jedoch nicht allein im Kopf des Designers. Niemand ist heutzutage mehr im Besitz einer fertigen Idee. Das Projekt muss vielmehr im Dialog zwischen Produzent und Designer entstehen – schreibt Grcic in „How to Design a Chair, einer Publikation des Londoner Design Museums –, auf der Basis gegenseitigen Verstehens und Vertrauens. „It’s like a love affair, meint der Stardesigner. Es ist also wie eine Liebesbeziehung, in der man einen guten Partner braucht. Und Grcic sinngemäß weiter: Wenn man sich die Firmen anschaut, die in letzter Zeit die guten oder wichtigen oder interessanten Stühle hergestellt haben, so sind es immer diejenigen, die Substanz haben und über fachlichen Hintergrund verfügen. Der

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