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Das geordnete Leben: Erzählungen
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eBook179 Seiten2 Stunden

Das geordnete Leben: Erzählungen

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Über dieses E-Book

Der Erzähler Morábito versteht es, den Leser in eine phantastische Welt inmitten des Alltäglichen zu versetzen. Seine Prosa schafft prägnante Bilder und Situationen - Sprache als »Zauberwerkzeug«, mit dem die Dinge ihrem gewohnten Raum entzogen und in neuem Licht präsentiert werden. Meister der präzisen Sprache und Beobachtung, lotet er in Das geordnete Leben den Mahlstrom der steten Verunsicherungen und kleinen Katastrophen im Alltag aus. Ob Verwandtenbesuch, Wohnungsbesichtigung oder Geburtstagsfest: allenthalben lauert die Anarchie, unmerklich entfalten sich Kräfte, die die Figuren den Boden unter den Füßen verlieren lassen. Doch unter dem Riss an der Oberfläche tut sich nicht nur der Abgrund auf, sondern auch eine Welt der großen Sehnsüchte im kleinen Leben.

von Fabio Morábito außerdem in der Edition diá:

Die langsame Wut. Prosa
Aus dem mexikanischen Spanisch von Thomas Brovot und Susanne Lange
ISBN 9783860345450
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition diá
Erscheinungsdatum19. Juni 2015
ISBN9783860345467
Das geordnete Leben: Erzählungen

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    Buchvorschau

    Das geordnete Leben - Fabio Morábito

    Über dieses Buch

    Der Erzähler Morábito versteht es, den Leser in eine phantastische Welt inmitten des Alltäglichen zu versetzen. Seine Prosa schafft prägnante Bilder und Situationen – Sprache als »Zauberwerkzeug«, mit dem die Dinge ihrem gewohnten Raum entzogen und in neuem Licht präsentiert werden. Meister der präzisen Sprache und Beobachtung, lotet er in Das geordnete Leben den Mahlstrom der steten Verunsicherungen und kleinen Katastrophen im Alltag aus. Ob Verwandtenbesuch, Wohnungsbesichtigung oder Geburtstagsfest: allenthalben lauert die Anarchie, unmerklich entfalten sich Kräfte, die die Figuren den Boden unter den Füßen verlieren lassen. Doch unter dem Riss an der Oberfläche tut sich nicht nur der Abgrund auf, sondern auch eine Welt der großen Sehnsüchte im kleinen Leben.

    »Ein Meister des Beiläufigen.« (Tagesspiegel)

    Der Autor

    Fabio Morábito wurde 1955 in Alexandria als Sohn italienischer Eltern geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Mailand, bis seine Eltern sich 1970 in Mexiko niederließen, wo Morábito heute als Übersetzer, Literaturwissenschaftler und Schriftsteller lebt. Das Italienische ist seine Muttersprache, seine Werke jedoch verfasst er auf Spanisch: Erzählungen, Essays und Gedichte, die mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wurden. In vordergründig einfacher Erzählweise erzeugt er in seinen Texten prägnante Bilder und Situationen, in denen Menschen und Dinge ihrem gewohnten Raum entzogen werden und in neuem Licht erscheinen.

    Fabio Morábito war 1998/99 Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD. Er gilt als einer der einflussreichsten spanischsprachigen Autoren der Gegenwart, seine Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

    Die Übersetzer

    Thomas Brovot, geb. 1958, lebt als Übersetzer (u. a. Juan Goytisolo, Federico García Lorca) in Berlin. Für seine Neuübersetzung von Mario Vargas Llosas »Tante Julia und der Schreibkünstler« erhielt er den Helmut-M.-Braem-Übersetzerpreis.

    Susanne Lange, geb. 1964, lebt als Übersetzerin (u. a. Fernando del Paso, Federico García Lorca, Juan Rulfo, Luis Cernuda und Miguel de Cervantes) bei Barcelona. Sie wurde u. a. mit dem Johann-Heinrich-Voß-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ausgezeichnet und bekleidete die August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur für Poetik der Übersetzung an der FU Berlin.

    Fabio Morábito

    D

    as geordnete Leben

    Erzählungen

    Aus dem mexikanischen Spanisch

    von Thomas Brovot und Susanne Lange

    Mit einem Nachwort von Michi Strausfeld

    Edition diá

    Inhalt

    Das Arrangement

    Der Mietvertrag

    Der umgestürzte Baum

    Die Schlüssel

    Stadt, Land, Fluss

    Der Mond und die Ratten

    Michi Strausfeld:

    Die innere Unordnung

    Bibliographie

    Impressum

    Für Ethel

    Das Arrangement

    Es wurde schon dunkel, als ich zum Haus meiner Tante kam, und während ich mit dem Koffer die vier Treppen hinaufstieg (der Aufzug war außer Betrieb), fiel mir auf, wie heruntergekommen es war. Mit seinem großen, mit Bäumen bestandenen Garten, der es von den anderen Grundstücken trennte, war es in meiner Kindheit das eleganteste Gebäude der Via Sofonisba gewesen, doch jetzt, vielleicht gerade wegen dieses unzeitgemäßen Gartens, glich es einer versinkenden Insel.

    Im vorletzten Stock blieb ich stehen, um Atem zu holen. Seit meinem letzten Besuch waren sechs Jahre vergangen, und ich wollte nicht den Eindruck erwecken, mit mir gehe es körperlich bergab. Ich fürchtete, mein Cousin Ruso, der Jüngste der Familie, der mit seinen dreißig Jahren noch bei den Eltern lebte, könnte eine seiner sarkastischen Bemerkungen machen. Ich ging weiter, und als mein Atem sich beruhigt hatte, klingelte ich. Meine Tante öffnete, zögerte eine Sekunde und erkannte mich: »Wir haben dich morgen erwartet!«, sagte sie und umarmte mich. Ich sah erleichtert, dass sie nicht gealtert war und noch immer ihren wachen, herrischen Blick hatte. Gleich darauf umarmte ich meinen Onkel, der aus dem Wohnzimmer kam.

    »Und dieser Vorhang?«, fragte ich und zeigte auf den cremefarbenen Vorhang, der den Flur teilte.

    »Das Arrangement«, sagte mein Onkel.

    »Jetzt hör auf mit deinem Arrangement!«, rief meine Tante mit ihrer schrillen Stimme. »Lass ihn erst mal ausruhen.«

    Sie nahm mich am Arm, führte mich in die Küche und bot mir Kaffee an. Bei meiner Tante wurde man immer mit einem Kaffee empfangen, egal zu welcher Tageszeit.

    »Und Ruso?«, fragte ich.

    »Eben zur Arbeit gegangen«, sagte meine Tante.

    »Um diese Zeit?«

    »Ist weniger anstrengend und besser bezahlt.«

    Sie sagte, er arbeite als Pförtner in einem Krankenhaus und komme morgens um halb acht von der Arbeit zurück. Dann sprach sie von etwas anderem, aber ich war in Gedanken noch bei dem Vorhang im Flur, und bei der ersten Gelegenheit kam ich darauf zurück. Ich fragte sie, was für ein Arrangement das sei.

    »Ich dachte, das wüsstest du«, sagte sie, und ihr Gesicht verdüsterte sich. »Vor einem Jahr habe ich deiner Mutter davon geschrieben. Hat sie nichts gesagt?«

    »Sie sagte, der neue Eigentümer wolle euren Vertrag nicht verlängern.«

    »Wir haben uns arrangiert.«

    Mein Onkel, der am Türrahmen stand, schaltete sich ein:

    »Sie haben uns einen Teil der Wohnung weggenommen. Auf der anderen Seite wohnen sie.«

    Mit einer Kopfbewegung deutete er auf das Ende des Flurs. Ich schaute ihn an und wusste nicht, ob er mich auf den Arm nehmen wollte. Ich trat in den Flur, ging auf den Vorhang zu und schob ihn zurück. Dort war eine weiße Wand, und als ich dagegenklopfte, stellte ich fest, dass es massives Mauerwerk war, kein Gipskarton. Ich hörte, wie mein Onkel und meine Tante stritten. Dann ging ich ins Wohnzimmer, das nur noch die Hälfte seiner ursprünglichen Größe hatte. Auch dort hing dieser cremefarbene Vorhang, hinter dem ich wieder gegen eine Wand klopfte, so massiv wie die andere. Zwei der drei Fenster waren verschwunden, und ich ging zu dem einzigen, das geblieben war, um einen Blick hinauszuwerfen. Mein Onkel und meine Tante stritten immer noch. Ich hörte, wie sie von einer Frau sprachen, und mir schien, sie setzten einen Streit fort, den ich mit meiner Ankunft unterbrochen hatte. Ich wartete, bis wieder Ruhe eingekehrt war, und ging zurück in die Küche. Der Kaffee stand schon auf dem Tisch. Beide schwiegen bedrückt, und ich sah, dass meine Tasse die einzige war.

    »Trinkt ihr keinen?«, fragte ich.

    »Nicht um diese Uhrzeit«, antwortete meine Tante, »dann können wir nicht schlafen.«

    Ich trat an die Glastür zum Balkon, der außen an der gesamten Wohnung entlanglief, und sah ein paar Aluminiumstäbe, die ihn teilten. Die Fläche war auf ein lächerliches Stück geschrumpft, das gerade noch die Breite der Küche maß. Das größte Stück, das auf die Sofonisba hinausging, hatte man ihnen weggenommen. Von dort aus hatte ich als Kind die Fenster unserer Wohnung auf der Straßenseite gegenüber sehen können.

    »Und wann ist das passiert?«, fragte ich.

    »Im Juni vor einem Jahr«, sagte meine Tante.

    Sie erklärten mir, dass die neuen Eigentümer erst die ganze vierte Etage hatten haben wollen. Der Nachbarin hatten sie den Vertrag gekündigt, so dass sie ausziehen musste, doch da sie letztlich nicht so viel Platz benötigten, hatten sie beschlossen, ihnen nur einen Teil der Wohnung wegzunehmen, sie überließen ihnen sogar die Diele der Nachbarin, wo nun Ruso schlief.

    »Dann muss Ruso quer durchs Treppenhaus, um in sein Zimmer zu kommen«, sagte ich.

    »Sie meinten«, sagte mein Onkel, »sie würden uns einen Gefallen tun, weil wir jetzt zwei Türen auf der Treppe haben und sie nur eine.«

    »Hätten wir abgelehnt, wären wir jetzt draußen«, resümierte meine Tante. »Und wo findest du heute eine bezahlbare Wohnung. Glaubst du, wir suchen nicht?«

    Dann sprach sie von der Wohnungsnot und den astronomischen Mieten. Ich hörte nur halb zu, das Gesicht an die Scheibe gedrückt, und als mein Onkel aus der Küche kam, wechselte sie das Thema und fragte mich nach Amalia und dem Jungen.

    Ich sagte, es gehe ihnen gut, und wollte ihr schon ein Foto der beiden zeigen, ließ es aber in der Brieftasche stecken. Ich schaute deprimiert auf den winzigen Balkon und bereute es, extra für sie meine Rückreise verschoben zu haben. Hätte ich jetzt einfach gehen können, ich hätte es mir nicht zweimal überlegt. Um die verlängerte Reise vor meinem Partner zu rechtfertigen, hatte ich zum Glück noch zwei Termine mit Verlegern in der Stadt gemacht. Es waren unwichtige Verabredungen, aber wenigstens würde ich beschäftigt sein.

    »Du siehst müde aus«, sagte meine Tante.

    »Ich habe mich noch nicht an die Zeitverschiebung gewöhnt.«

    »Du schläfst in Rusos Zimmer, wenn es dir nichts ausmacht.«

    »Und Ruso?«

    »Nachts ist er im Krankenhaus.«

    »Aber wenn er von der Arbeit kommt, will er sicher schlafen. Wann muss ich aufstehen?«

    »Wenn er von der Arbeit kommt, geht er noch ein bisschen herum oder noch mal hinaus und kommt später wieder, also schlaf, so lange du möchtest.«

    »Ich will nicht stören.«

    »Was bist du auf einmal förmlich!« Und in anderem Ton fügte sie hinzu: »Das einzige Problem ist das Bad.«

    Ich nahm an, sie meinte die Unannehmlichkeit, den Treppenabsatz überqueren zu müssen, um ins Bad zu gelangen.

    »Kein Problem«, sagte ich, »ich gehe durchs Treppenhaus. »Ich habe meinen Morgenmantel dabei.«

    »Wir haben kein Bad«, sagte mein Onkel, der wieder am Türrahmen stand und diesen Satz mit der Feierlichkeit eines schlechten Schauspielers sprach, der seinen einzigen Text im Stück aufsagt.

    Ich sehe noch die Blicke der beiden, als bäten sie mich, ihnen doch zu glauben, ihnen die Demütigung zu ersparen, mich erst davon überzeugen zu müssen, dass dies kein Scherz war. Eine so klare Stille trat ein, dass das Rauschen eines Windstoßes, der in die Eukalyptusbäume im Garten fuhr, bis zu uns drang.

    »Rusos Zimmer soll eigentlich unser Bad werden«, sagte meine Tante leise, als könnte uns jemand hören, »aber es muss noch umgebaut werden. Vorläufig überlassen uns die Rubios aus dem zweiten Stock ihr Bad, wenn sie morgens zur Arbeit gehen. Abends müssen wir zur Hausmeisterin hinunter. Ruso geht auch zu ihr, zu den Rubios nicht, die mag er nicht.«

    »Halb so wild«, sagte mein Onkel, als er mein ungläubiges Gesicht sah. »Man gewöhnt sich daran.«

    »Deswegen nur eine Tasse Kaffee«, sagte meine Tante. »Für alle Fälle steht unter Rusos Bett ein Nachttopf. Deiner Mutter habe ich es nicht gesagt, weil ich sie nicht deprimieren wollte.«

    Ich wandte den Blick zur Balkontür, und da ich nichts antwortete, fügte sie hinzu:

    »Sie haben die Miete auf zweitausendfünfhundert herabgesetzt, das ist das Minimum, wir können uns nicht beklagen. Unser halbes Leben haben wir hier gewohnt. In so einer Gegend findest du heute nichts unter zehntausend, und da kannst du noch froh sein.«

    Erst in dem Moment war ich mir sicher, dass sie nicht den Verstand verloren hatten, und ich nickte mechanisch mit dem Kopf.

    »Ich werde Mutter nichts erzählen«, sagte ich, »damit sie nicht deprimiert ist.«

    »Besser so«, sagte sie. »Jedenfalls wird sich bald eine Lösung finden. In zwei Wochen, spätestens einem Monat.«

    Ich weiß nicht mehr, wovon wir danach sprachen, vielleicht sprachen wir auch gar nicht, denn es war Zeit für die Fernsehserie. Wir gingen ins Wohnzimmer. Ich war so müde, dass mir die Augen vor dem Fernseher zufielen.

    »Geh schlafen«, sagte meine Tante, was ich mir nicht zweimal sagen ließ. Sie gaben mir den Schlüssel für Rusos Zimmer, und mein Onkel bot an, mich zu begleiten, aber ich sagte ihm, das sei nicht nötig. Ich ging mit meinem Koffer über den Treppenabsatz, und als ich den Schlüssel ins Schloss steckte, war mir, als hörte ich ein Geräusch hinter der mittleren Tür, der Tür der neuen Hauseigentümer, und ich lauschte ein paar Sekunden. Danach öffnete ich Rusos Zimmer, trat hinein und machte Licht. Es war ein kleines Zimmer ohne Fenster. Auf den Rat meiner Tante hin schaltete ich die Lüftung an. Ein leises Brummen setzte ein, wie von einem fernen Dampfkessel, und ich musste an eine Schiffskabine denken. Ich zog mich aus, löschte das Licht, und als ich die Bettdecke aufschlug, roch ich mit Behagen den feinen Duft, den die Laken verströmten.

    Meine Tante hatte mich gebeten, nicht den Schlüssel im Schloss stecken zu lassen, da Ruso, wenn er vom Krankenhaus zurückkam, vielleicht hineinmüsse, um sich etwas zum Anziehen zu holen. Als ich am Morgen das Geräusch des Schlüssels und der Tür hörte, nahm ich an, dass er es war. Zum Glück lag ich mit dem Gesicht zur Wand, und ich stellte mich schlafend. Ich hörte, wie er den Bettkasten aufzog und darin wühlte. Er machte kein Licht, sondern behalf sich allein mit dem Schein, der durch die Tür hereinfiel. Dann schloss er sie so leise wie möglich, um mich nicht zu wecken. Ich schaute auf meine Uhr und sah, dass es halb acht war. Ich schlief gleich wieder ein, doch kurz darauf weckte mich ein rasches, sanftes Klopfen an der Tür. Jemand öffnete, machte Licht, schaute kurz herein, löschte es und ging wieder.

    Als ich erneut wach wurde, war es neun Uhr. Ich zog mich an und überquerte

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