Ich war in Lissabon und dachte an dich
Von Luiz Ruffato
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Über dieses E-Book
Luiz Ruffatos neuer Roman erzählt mit lakonischer Präzision vom alltäglichen Überlebenskampf eines mittellosen Migranten in Europa und zeigt uns ein Bild der Stadt Lissabon fernab von touristischen Klischees. Eine moderne Parabel.
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Buchvorschau
Ich war in Lissabon und dachte an dich - Luiz Ruffato
L.R.
WIE ICH AUFHÖRTE ZU RAUCHEN
Ich habe wieder angefangen zu rauchen, so ungefähr sechseinhalb Jahre nach meinem Besuch bei Doktor Fernando, der mich schon damals, als er das Rezept schrieb – Tegretol, Fluoxetin und Nikotinpflaster –, gewarnt hatte, »ist nur zur Unterstützung«; aufhören, also für immer, müsse ich aus eigenem Willen, »Die Gier, nur ein paar Sekunden … dann war alles umsonst …«. Ich hatte vorher schon drei Mal versucht, aufzuhören. Einmal, beim letzten Mal, kauften mir meine Kollegen aus der Abteilung Lohnbuchhaltung, Companhia Industrial de Cataguases, die meinen Zustand nicht mehr ertragen konnten, schließlich ein Päckchen Hollywood – mochte ich nicht mal, viel zu stark –, und gaben es mir mit dem Kommentar, sie könnten mich ja gut leiden und es sei ihnen ja klar, dass ich, wenn ich weiter beinahe zwei Päckchen am Tag rauchen würde, mir irgendwann eine schwere Krankheit einfangen würde, ein Emphysem, Krebs oder so was, aber meine Nervosität, meine schlechte Laune seien nicht auszuhalten, wo ich doch sonst so ein ruhiger, freundlicher, höflicher Mensch sei. Das Problem ist, früher hatte ich es immer auf die harte Tour versucht, ohne Medikamente, nun hatte ich auf Anraten des Betriebsarztes professionelle Hilfe in Anspruch genommen und Doktor Fernando gefragt, der ist zwar Gynäkologe und Geburtshelfer, aber am Wochenende spielten wir immer zusammen Fußball bei Primeiro de Abril, so genannt wegen des ersten Aprils, Tag der schlechten Scherze, aber auch des Putsches von 1964 – nach Meinung meiner politischen Freunde sowieso ein und dasselbe. Er schnürte sich die Fußballschuhe und sagte, »morgen« – also am Montag – solle ich »gegen Mittag« zu ihm in die Praxis kommen, schließlich sei das Rezept verschreibungspflichtig. Am nächsten Tag, nachdem wir die entscheidenden Momente des Spiels gegen die Seniorenmannschaft von Vasquinho, das wir drei zu eins gewonnen hatten, durchgegangen waren, schlug mir Doktor Fernando vor, ich solle »Du hast doch sowieso gerade Urlaub« noch mal richtig zuschlagen, »Rauche, so viel du nur kannst«, anschließend hätte ich dann so einen Schädel, dass ich nicht einmal mehr den Geruch einer Zigarette ertragen könne, »Und dann fängst du an mit der Therapie«. Ich ging raus auf die Straße, über die Praça Rui Barbosa, löste das Rezept in der Apotheke an der Ecke ein, hätte fast hingeschmissen, als ich hörte, was das alles kosten sollte, und knatterte dann langsam auf meiner Biz durch die Stadt, all die Zigarettenmarken im Kopf, die mich in meinem Leben begleitet hatten, das Zeug, das wir als Kinder geraucht hatten, die ekligen Filterlosen von meinem Vater, wenn sonntags Besuch kam, bis zu den John Player auf dem Lotus von Emerson Fitipaldi, dem Formel-1-Weltmeister von 1972 auf dem Plakat an der Wand meines Zimmers, das ich mir mit meinem Onkel Zé-Carlim, dem jüngeren Bruder meiner Mutter teilte, der ein Autofanatiker war und, Ironie des Schicksals, noch sehr jung, mit nicht einmal dreißig Jahren, in der Ausfahrt nach Ubá ums Leben kam, bei einem Unfall zwischen einem Omnibus auf dem Weg von Belo Horizonte nach Muriaé und dem Chevette von Herrn Lino, mit dem die ganze Truppe, die da in seinem Lagerhaus arbeitete, zum Angeln an der Talsperre Maurício unterwegs war. Ich wusste anfangs nicht mal, dass John Player eine Zigarettenmarke ist, das fand ich erst später zufällig heraus, in São Paulo, als ich mit Semíramis, meiner Schwester, unterwegs war, in der Rua Oriente in Brás einkaufen für ihren Laden in Cataguases, in Taquara Preta, der aber nicht lange hielt, weil ja die Leute alles auf Pump kaufen und nie bezahlen, und dann musste sie zumachen und blieb selbst Leuten Geld schuldig, wie das so ist im Geschäft. Ein Kerl, der Bescheid wusste, Sonnenbrille, Fahreruniform, zeigte mir die schwarze Schachtel mit der verschnörkelten goldenen Schrift, »Kennst du die?«, vom Sehen, sagte ich, er bot mir eine an, ich nahm sie und sagte danke. »Solche gibt es gar nicht in Brasilien«, hustete er, und ich fragte, wo man sie denn bekäme, die Leute aus seiner Stadt Presidente Prudente, sagte er, ließen sich gegen Geld von ihm fahren, überall hin, »manchmal bis Paraguay«, und dann schwätzte er mir noch eine Flasche Whisky auf, die mit dem weißen Pferd, angeblich der beste überhaupt, keine Ahnung, ich schmecke da keinen Unterschied und habe sie nur gekauft, um dem armen Kerl einen Gefallen zu tun, dazu schenkte er mir einzeln sechs Zigaretten (die ich einsteckte und noch jahrelang stolz meinen Freunden zeigte). An dem Tag, glaube ich, überkam mich zum ersten Mal das Verlangen, ins Ausland zu gehen, so neidisch war ich darauf, wie schlau dieser Typ war. Und plötzlich war ich in Paraíso, wo ich jahrelang keinen Fuß mehr hineingesetzt hatte – aus Enttäuschung, und um Karina nicht über den Weg zu laufen, mit der ich einmal eine Zeit lang zusammen gewesen war. Meine Mutter, Dona Zizinha, hatte mich in der Mittagspause zum Optiker in der Rua do Comércio geschickt, um ihre Brille abzuholen, und ich hatte mich in das Mädchen im Laden verguckt, ihr ernstes Gesicht in den vielen Spiegeln, die immer in so einem Optikerladen sind. Von da an holte ich sie jeden Tag von der Arbeit ab und begleitete sie bis zur Fakultät für Philosophie, Naturwissenschaften und Literatur von Cataguases, wo sie im Abendkurs Pädagogik studierte. Manchmal wartete ich dort bis nach der letzten Stunde auf sie und strich so lang durch die Flure – freundete mich mit den Lehrern und Hausmeistern an, überlegte sogar, selbst noch einmal die Schulbank zu drücken –, um sie dann später nach Hause zu begleiten und unterwegs jeden Schatten unter jedem Baum auszunutzen, jede kaputte Straßenlaterne, jede dunkle Ecke. Doch das ging nicht lange gut: Irgendwann ließ sie mich sitzen für einen Burschen mit einer blauen 125er, den sie dann heiratete, sie bekamen ein Kind, trennten sich wieder, und wahrscheinlich lebt sie noch immer da draußen, geschieden, ist Lehrerin an einer staatlichen Schule, unabhängig. Ich bereute schon meinen Entschluss – bekam Lust zu rauchen und fragte mich, ob es den ganzen Aufwand wert war –, da fiel mir ein, dass Chacon (Abwehrspieler bei Primeiro de Abril, der wenn er aufs Feld kam, xa comigo rief, lass mich mal, daher der Spitzname) ständig tönte, er habe da in der Gegend ein Geschäft, ich fragte mich von Laden zu Laden durch, und dann fand ich ihn, klein, aber ganz nett, sauber, zwei rote Plastiktische auf dem schmalen Gehweg, noch zwei aus Metall rechts in der Ecke im Raum ohne Fenster, Zementboden, eine Theke