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Kriminelle Vereinigung
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eBook268 Seiten3 Stunden

Kriminelle Vereinigung

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Über dieses E-Book

Der Jahrestag der deutschen Vereinigung soll in Bremen groß gefeiert werden. Doch die Polizei hat neben den Sicherheitsvorkehrungen noch andere Sorgen: Der Mord an einem Politiker (oder war es Selbstmord?) muss so schnell wie möglich aufgeklärt werden, und gegen die Polizei selbst wird der Vorwurf erhoben, sie misshandele auf einem Revier ausländische Mitbürger.
SpracheDeutsch
Herausgeber110th
Erscheinungsdatum15. Sept. 2014
ISBN9783958650596
Kriminelle Vereinigung

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    Buchvorschau

    Kriminelle Vereinigung - Jürgen Alberts

    werden.

    Kurzinhalt:

    Der Jahrestag der deutschen Vereinigung soll in Bremen groß gefeiert werden. Doch die Polizei hat neben den Sicherheitsvorkehrungen noch andere Sorgen: Der Mord an einem Politiker (oder war es Selbstmord?) muss so schnell wie möglich aufgeklärt werden, und gegen die Polizei selbst wird der Vorwurf erhoben, sie misshandele auf einem Revier ausländische Mitbürger.

    In Erinnerung an Ken Saro-Wiwa,

    den nigerianischen Autor und Kämpfer

    1

    Karl Schlink konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die bronzene Reiterstatue am Bischofstor hatte einen neuen Anstrich bekommen. Die beiden Hinterbacken des Pferdes, wie des danebenstehenden Reiters waren schwarz und rot angestrichen, der Pimmel des Reiters in knallgelb. Hatte es also nichts genützt, dass das Gartenbauamt das Denkmal mit einer stacheligen Berberitzenhecke umgeben hatte. Dieser pflanzliche Kordon war von den Sprühern durchbrochen worden.

    Karl Schlink wollte endlich Klarheit haben. Er musste seinen Kollegen Schütz ausfindig machen. Auch wenn das in der Dienstzeit geschah und mit dem gegenwärtigen Fall nichts zu tun hatte. Anstatt ins Polizeipräsidium am Wall ging er zu seinem Auto zurück und startete in Richtung Bremerhaven. Pinneberger und Lindow mussten an diesem sonnig-heißen Vormittag auf seine Mitarbeit verzichten.

    Die Auskünfte des Reviers, auf dem Wolfgang Schütz seit sechs Monaten arbeitete, waren mehr als dürftig. »Nein, der ist heute nicht zu erreichen ... nein, der hat sich ein paar Tage frei genommen ... nein, den können Sie jetzt nicht sprechen ... was wollen Sie überhaupt von dem? Ach was, Sie sind ein Kollege. Na, dann Prost Mahlzeit!« Vier Tage hatte Karl Schlink versucht, Wolfgang telefonisch zu erreichen. Ohne Ergebnis. Schütz war gerade erst in ein kleines Dorf im niedersächsischen Umland gezogen. Hatte noch keinen eigenen Telefonanschluss dort.

    Stau. Sommer und drei Baustellen hintereinander geschaltet, als gelte es die kleine Hanseschwester abzutrennen. Bremerhaven stand immer im Schatten. Fühlte sich immer benachteiligt. Fishtown war noch die harmloseste Bezeichnung für den Appendix des kleinsten Bundeslandes. Eine Seestadt ohne Badebetrieb, mit dem Charme von Roll-on-Roll-off-Geschäften, einem weit über die Grenzen hinaus bekannten Museum, das mit Kuttern und U-Booten aufwartete. Aber es gab überzeugte Einwohner dieser Stadt, die niemals woanders hinziehen würden. Schon gar nicht nach Bremen.

    Schlinks Freundin Susanne wäre beinahe nach Bremerhaven gegangen, doch dann bekam sie ein günstiges Angebot im Steintor. Seit sie den kleinen Szeneladen mit Esoterik-Artikeln aufgemacht hatte, war ihre Beziehung stabiler geworden. Und angespannter. Neben I-Ging-Büchern, Mandalas und Kristallkugeln, Edelsteinen und chinesischen Potenzmitteln, neben Glücksbringern aus aller Welt führte Susanne eine kleine Auswahl von indianischem Silberschmuck, der den Laden aus den roten Zahlen brachte. Meist stand sie zwölf Stunden in ihrem Geschäft, führte ausführliche Gespräche mit den Kundinnen und verkaufte so gut wie nichts. Sie hatte Karl gebeten, dort nicht aufzutauchen. Sollte dies doch einmal erforderlich werden, solle er solange den Mund halten, bis sie alleine seien. Auf keinen Fall dürfe jemand von ihren Kunden erfahren, dass Karl Schlink bei der Kriminalpolizei arbeitet. Das hätte den sofortigen Ruin bedeutet. Dazu waren die Viertelbewohner zu boykottfreudig und zu polizeifeindlich. Selbst die Tatsache, dass Karl Schlink einmal zu der Gruppe der »Kritischen Polizisten«, die inzwischen mangels Mitgliedern in der Hansestadt aufgelöst worden war, gehörte, hätte daran nichts geändert. Schlink hielt sich an das Verbot von Susanne. Er fand den Laden ziemlich abstoßend. Der Geruch von Räucherstäbchen mied er.

    Auch Wolfgang Schütz war einer jener letzten Mohikaner bei den »Kritischen«. Er wurde mehrfach strafversetzt, musste häufiger das Revier wechseln, machte Kontrollen auf der Autobahn und glaubte sich in Sicherheit. Kurz darauf wieder ein neuer Einsatzort. Ihm ging der schlechte Ruf voraus. Überall, wo er sich vorstellte, wusste man schon über ihn Bescheid. Das ist so ein Verräter in den eigenen Reihen. Das ist einer von denen, die uns den beschissenen Beruf noch beschissener machen wollen. Von Pfeiffer und dem Kollegen vom 6. Revier war nach der einzigen öffentlichen Veranstaltung der »Kritischen« in der Schauburg nichts mehr zu sehen gewesen. Als hätte die Gruppe nicht mehrere Jahre in der Hansestadt gearbeitet. Nach heftigem Protest wurde Schlinks Suspendierung aufgehoben. Er verbrachte einige Jahre in der Statistik, Leichen und Diebstähle zählen, Listen ausfüllen, Berichte überprüfen, bis er zur Mordkommission zurückkehren durfte.

    Karl Schlink musste scharf bremsen.

    Der stockende Verkehr kam zum Stehen.

    Seitdem das Autoradio eine Macke hatte, der Senderwählknopf hing fest, war er unversehens in manchen Stau geraten. Auch wenn die Rundfunkmeldungen nicht gerade aktuell waren, einen gewissen Anhaltspunkt gaben sie.

    Der Mordfall, an dem Schlink mit seinen beiden Kollegen arbeitete, war so vertrackt, dass sie ihn lieber heute als morgen abgegeben hätten. Und dabei wollte die Pressestelle jeden Tag eine neue Meldung. Der Tote hatte gute Werte in Sachen Popularität. Sollte tatsächlich mal die Regierung der Spezialdemokraten in der Hansestadt abtreten, hätte er auf der Senatsbank gesessen. Ein Christdemokrat mit bundesweitem Profil. Als man ihn tot in seinem Swimmingpool fand, die Tatwaffe in der Hand, kursierte in Polizeikreisen sofort der Witz: Ein zweiter Fall Barschel? Die Wanne ist größer, der Politiker dagegen unbedeutender. Es gab keine Spuren von Fremdeinwirkung und keinen Hinweis auf Freitod. Noch hatten sie das Umfeld des Toten nicht ausreichend bearbeitet, aber alles deutete darauf hin, dass er umgebracht worden sein musste. Auch wenn es bisher kein Motiv für die Tat gab und alles auf Selbstmord hinwies.

    Karl Schlink war als Frühaufsteher und Streber verschrien. Er dachte in Wendungen. Es gab für ihn keine einfachen Lösungen. Dieser Fall machte ihm Ärger und Spaß zugleich. Wolfgang Lindow, der in den nächsten Wochen pensioniert wurde, maulte die ganze Zeit, er habe die Nase voll von derartigen Wasserleichen. Fritz Pinneberger hielt sich sehr bedeckt, was die Aufklärung anging. Immerhin stand die Mordkommission heftig unter dem Druck der Medien. Ein verfrühter und falscher Hinweis konnte die ganze Aufklärungsarbeit zunichtemachen. Zugleich wies Pinneberger immer wieder darauf hin, dass man für das Motiv auch einen Hintergrund brauche. In welchen Geschäften oder Affären er steckte, in welchen persönlichen und intimen Verhältnissen dieser Mann lebte. Sie besaßen nicht einen Fingerzeig.

    »Schlafen Sie nicht ein da vorne«, schrie ein Autofahrer hinter ihm. Er hatte sich in seinem Cabrio aufgestellt und gestikulierte wild mit beiden Armen.

    Schlink startete.

    Einen kleinen Stänkerer hatte Lindow ihn genannt. Beim Skatspielen. Der Polizeipräsident, bei dem er antanzen musste, nachdem er bei der Veranstaltung der »Kritischen« auftauchte, hatte ihn als »Frischling« bezeichnet, von dem sich die Polizei nicht beschimpfen lasse. Wörtlich sagte der Polizeipräsident: »Die Kritischen haben keinen Überblick über polizeiliche Belange, spielen sich aber als Besserwisser auf.« Dieser Satz in der regionalen Fernsehsendung Nordschau hätte beinahe seinen Kopf gekostet. Den Kopf des Polizeipräsidenten.

    Schlink parkte den Wagen auf dem Hof des Bremerhavener Polizeireviers. Sofort kam ein Uniformierter heraus und schnauzte ihn an, was er dort zu suchen habe. In aller Ruhe zückte der Kripomann seine Hundemarke. Der Uniformierte entschuldigte sich nachlässig.

    »Und was wollen Sie hier?« fragte der Beamte hinter dem Tresen. Kaum, dass er die Frage nach dem Kollegen Wolfgang Schütz gestellt hatte, hörten alle Anwesenden mit ihren Arbeiten auf. Kein Tippen mehr. Ein Telefonhörer wurde hastig aufgelegt.

    »Ich suche ihn seit Tagen.«

    »Wir auch«, kam es zurück. Gleich von mehreren Seiten.

    »Ist er denn in Urlaub gegangen?«

    »Das müssen Sie den Revierführer fragen.«

    »Ist er da?«

    Schlink spürte eine sonderbare Ablehnung. Alle starrten ihn an, als habe er eine unverschämte Forderung gestellt. Ein Tabu gebrochen.

    »Keine Ahnung«, sagte ein junger Beamter. »Würden Sie bitte mal nachsehen, ob er für mich zu sprechen ist?«

    Nur zögerlich erhob sich der Dienstälteste und ging mit langsamen Schritten auf die hintere Tür des langgestreckten Revierraumes zu.

    Sie ließen ihn nicht aus den Augen.

    Als sei er ein Tatverdächtiger.

    Ein Eindringling.

    Einer, bei dem man Fluchtgefahr annehmen musste.

    »Haben Sie nicht schon ein paarmal angerufen?«

    Schlink nickte. Sagte nichts. Fühlte sich unwohl. Wollte jetzt auch keine weiteren Auskünfte geben.

    Der Revierführer passte kaum in seine Uniform. Die Knopflöcher waren überanstrengt. Die Ärmel ein wenig zu knapp geraten. Er drehte die Dienstmütze in der Hand, unentschlossen, ob er sie für dieses Gespräch nicht doch besser aufsetzen sollte.

    »Kommen Sie durch, Kollege«, rief er verhalten.

    Erst als der Revierführer lautstark die Tür zugeschlagen hatte, konnte Schlink seine Frage nach Wolfgang Schütz wiederholen.

    »Warum interessiert Sie der denn so?«

    »Es ist ein Freund von mir. Ich kenne ihn sehr lange.«

    »Ach.« Mehr sagte der Polizist nicht.

    »Ich habe schon oft hier angerufen und stets nur eine unklare Antwort erhalten. Was ist denn nun wirklich los mit Wolfgang?«

    Der Revierführer nahm hinter seinem überfüllten Schreibtisch Platz und wies Schlink an, sich ebenfalls zu setzen.

    »Der Kollege Schütz ist vor einigen Tagen verstorben.«

    »Wie kann denn das ...«

    Karl Schlink räusperte sich.

    »Wir haben die Mitteilung auch erst verspätet erhalten.«

    »Aber das hätte man mir doch ...« Schlink gingen viele Fragen durch den Kopf, von denen er jetzt keine stellen wollte. Er stand auf. Bedankte sich förmlich. Immer noch betäubt von dem Schock über diese Mitteilung.

    Als er am Reviertresen vorbeikam, spürte er, die Blicke der abwartenden Kollegen. Sie taxierten ihn, ließen ihn nicht aus den Augen. Am liebsten hätte er sie angebrüllt. Angeschnauzt, warum sie so dämlich glotzten. Aber was würde das jetzt nutzen?

    Eine Zeitlang blieb er in seinem Wagen sitzen. Er konnte jetzt nicht zurückfahren, sich an den verzwickten Mordfall setzen, so tun, als sei nichts geschehen.

    Wie viele Abende hatte er mit Wolfgang Schütz verbracht? Wie oft hatten sie über das autoritäre System mit Namen Polizei gesprochen? Was für Papiere hatten sie erarbeitet: Reformvorschläge, Thesen für eine öffentliche Diskussion, Überlegungen zu einer anderen, demokratischeren Polizei. Wie oft hatten sie sich gegenseitig als Feiglinge bezeichnet, weil sie so lange zögerten, bis sie an die Öffentlichkeit gingen. Damals war die Reaktion auf die Veranstaltung zwar sehr groß gewesen, Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen berichteten, aber ein wirklicher Erfolg blieb aus. Nicht ein Kollege schloss sich der Gruppe der »Kritischen« an. Das war die Folge seiner sofortigen Suspendierung. Im Flurfunk des Präsidiums war das Gerücht schneller verbreitet als Schlink die schriftliche Bestätigung zugestellt bekam. Mantz hatte kein Federlesens gemacht. Der Schlink ist weg vom Fenster. Rechtsanwalt Größer traf sich noch ein paarmal in seiner Wohnung mit Schütz und Schlink, dann löste sich die Gruppe auf. Nur der private Kontakt zwischen beiden Kollegen war niemals abgerissen. Sie brauchten den gegenseitigen Zuspruch.

    Schlink fiel auf, dass er nicht mal gefragt hatte, woran Schütz gestorben war. Er verspürte jedoch nicht die geringste Lust, nochmals das Revier zu betreten. Warum hatten sie nur diese Ausflüchte gebraucht? Warum wurde er hingehalten?

    Karl Schlink steuerte seinen Wagen auf die Große-Bürgerstraße, parkte dort und ging in ein Lokal, das um diese Uhrzeit überlebende Trinker der letzten Nacht und verspätete Frühstücksgäste vereinte.

    Er hatte Lindow direkt an der Strippe. »Wolfgang, ich muss mich entschuldigen, aber ich komme heute nicht ...«

    »Unpässlich oder unlustig?« fragte der Hauptkommissar.

    »Traurig!« erwiderte Schlink, der sah, dass seine Telefonkarte gleich ungültig wurde.

    »Was ist los, Karl?«

    »Wolfgang Schütz ist gestorben. Ich bin hier in Bremerhaven ...«

    Das Gespräch war unterbrochen.

    Schlink wollte nicht zum zweiten Mal anrufen. Wenigstens wusste der Hauptkommissar Bescheid. Sie kannten sich so lange, dass er ihn bestimmt decken würde, falls jemand nach ihm fragte.

    Vierzig Minuten später hatte Schlink das kleine niedersächsische Dorf erreicht. Nur ein paar Häuser längs der Straße. Zwei große Höfe mit viel Land ringsherum. Eine Kneipe im Zentrum und eine kleine Kirche am Rand. Das Haus fand er schnell. Nummer 7.

    Die Frau, die ihm die Tür öffnete, gab ihm zu verstehen, dass sie auf keinen Fall etwas kaufen wolle. »Die Haushaltskasse ist schon letzte Woche in die Knie gegangen«, sagte sie lächelnd, »und der nächste Erste noch nicht in Sicht.«

    »Ich heiße Karl Schlink und war ein Freund von Wolfgang Schütz.«

    »O je«, entfuhr es der jungen Frau, »das muss dann schlimm für Sie sein. Kommen Sie doch rein.«

    Sie trug einen hellen Haushaltskittel, der verschiedenfarbige Fussel aufwies.

    In ihrem Wohnzimmer stapelte sich Wolle. In großen Kisten. Auf allen Sesseln und der Couch, Fäden auf dem Teppichboden.

    »Heimarbeit«, sagte sie lakonisch, »sonst kommen wir nicht über die Runden. Ich knüpfe Tischdecken, auch schon mal kleine Teppiche. Wird nicht gut bezahlt, aber ich kann mir die Arbeit einteilen.«

    »Wann ist er denn gestorben?« fragte Schlink.

    »Warten Sie, das war - das war - ich glaube, wir haben ihn letzte Woche gefunden ...«

    »Und woran?« Er ärgerte sich über die Frage, weil sie so klang, als wolle er die junge Frau vernehmen. Déformation professionnelle. Karl Schlink zögerte. Hatte sie gefunden gesagt?

    »Wollen Sie nicht eine Tasse Tee mit mir trinken? Dabei lässt sich besser reden, nicht.«

    Schlink nickte.

    Während sie in der Küche hantierte, sah er sich im Wohnzimmer um. Auf dem Fernseher ein kleiner Plastikwasserfall, der müde vor sich hinplätscherte. An der Längswand ein Sideboard in Eiche dunkel, auf dem ein paar Bücher standen. Souvenirs vom Freimarkt. Ein vertrocknetes Lebkuchenherz mit der Spritzguss-Aufschrift: »Heute gehörst Du mir ganz allein.«

    »Ich mochte ihn, auch wenn er einer von den Stillen war.« Die junge Frau hatte den Haushaltskittel abgelegt und trug ein dunkelrotes T-Shirt, das gut zu ihren hellen Haaren passte. Ein paar silberne Pailletten waren darauf gestickt.

    Dann tranken sie Tee. Schwiegen eine Zeitlang.

    Karl Schlink suchte nach einer Frage, die nicht nach Vernehmung klang.

    »Er hatte zwar einen Wecker, aber ich musste ja jeden Morgen bei ihm anklopfen, weil er ihn oft überhörte ...« Sie unterbrach sich.

    »Ja, ich weiß, manchmal hatte er keine Lust, zum Dienst zu gehen. Er hat mal gesagt, dass der Dienst ihn so müde mache, dass er immer wie ein Murmeltier schlafe. Am besten natürlich im Dienst.« Schlink versuchte einen Scherz.

    »Es war so schrecklich. Er wohnte ja auch erst kurz hier.« Wieder unterbrach sie sich. Sie musste die Teetasse abstellen, weil ihre Hand zitterte.

    »Gab es denn gar kein Anzeichen?«

    »Nein, überhaupt keins.«

    Karl Schlink spürte ein Ziehen in der Gurgel

    »Und was hat der Arzt gesagt? Woran ist er ...«

    Die junge Frau starrte ihn an. Unvermittelt. Die Augen geweitet. »Wissen Sie denn nicht, dass er sich umgebracht hat?«

    Schlink zuckte zusammen. Wie ein elektrischer Schlag durchfuhr es ihn. »Selbstmord?«

    Die junge Frau nickte.

    Einmal. Zweimal. Hörte nicht auf.

    Karl Schlink schossen Tränen in die Augen. Er konnte sie nicht zurückhalten.

    Wollte sie nicht zurückhalten.

    »Aber, warum ...«

    »Keine Ahnung. Er hat sich am Fensterkreuz erhängt. Die Zunge war dick und blau. Der Arzt sagte, er müsse kurz nach Mitternacht verstorben sein. Es war so schrecklich ... Glücklicherweise hatte mein Mann in dieser Nacht keinen Dienst.«

    »Ist er auch bei der Polizei?«

    »Nein, nein«, beeilte sie sich zu sagen, »er arbeitet als Drucker bei der Zeitung.«

    Karl Schlink wusste nicht, wohin er schauen sollte. Sein Blick verschliert. Das Gesicht tränennass. Warum hatte Wolfgang ihn nicht mehr angerufen? Hätte er ihm helfen können? Sie waren doch Freunde gewesen. Was war auf dem Revier vorgefallen?

    Die junge Frau zeigte ihm die Einliegerwohnung, in der Schütz gelebt hatte. Ein paar persönliche Sachen, Kinderbilder, die auf den Schreibtisch gestellt waren, neben dem Bett Zeitschriften und Bücher, nachlässig aufgestapelt.

    »Wir haben noch nichts angerührt«, sagte die junge Frau, die am Türrahmen lehnte. »Haben Sie eine Ahnung, wohin wir das schaffen sollen?«

    Schlink antwortete nicht.

    Das Fensterkreuz zeigte ein paar Einkerbungen.

    Er zeigte darauf.

    Die junge Frau nickte wieder.

    Diesmal ganz langsam.

    »Ich werde mich um seine Sachen kümmern«, sagte Schlink. Sein Herz pochte so laut, dass er glaubte, sie müsse seine Pulsschläge hören können. Als sie sich an der Tür verabschiedeten, fragte er: »War denn mal einer seiner Kollegen hier?«

    »Sie meinen von seinem Revier?«

    »Ja.«

    »Bisher nicht.«

    Er bedankte sich für den Tee und stieg in seinen Wagen. Nach ein paar hundert Metern, er hatte das Dorf schon verlassen, hielt er an, weil ihn ein heftiger Weinkrampf schüttelte. Er schlug mit beiden Fäusten auf das Lenkrad. Und schrie. Schrie. Immer lauter.

    Schmerz und Enttäuschung.

    »Du hättest mit mir reden müssen ... du hättest mit mir reden müssen ...«

    Karl Schlink war aufgewühlt. Er ließ den Wagen stehen, der Schlüssel steckte noch, und rannte los. Laufen, nur laufen. Ziellos. An Gräben entlang, in denen braune Brühe schwappte. Über Feldwege, deren Grasnarbe verbrannt war. In ein kleines Wäldchen, dessen Bäume verdorrte Zweige hatten.

    Es dauerte eine ganze Weile, bis er außer Puste war und sich einfach fallen ließ. Nun war er ganz still.

    Verloren. Ohne jegliches Gefühl. Es hatte sich ein anderes Bild vorgeschoben.

    Wolfgang Schütz, der einmal eine ganze Kneipe zum Lachen brachte. Er machte vor, wie der pausbäckige Kanzler sich durch die johlende Menge in Halle drängelte, um einem Eierwerfer eine Ohrfeige zu verpassen. Schütz spielte den ausrastenden Staatsmann so überzeugend, dass der Wirt ihm die Zeche erließ.

    Auf der Fahrt nach Bremen beschloss Schlink, an diesem Tag das Polizeipräsidium nicht mehr zu betreten. Am liebsten hätte er den unverschämten Kollegen auf dem Revier einen Tanz bereitet. Er würde herausfinden, was sich da abgespielt hatte. Nun wusste er, warum sie ihn am Telefon tagelang abblitzen ließen.

    Er brauchte Zeit, um sich zu fassen. Bei Susanne vorbeizuschauen, hatte wenig Zweck. Wie würde sie mit diesem Selbstmord umgehen? Sie kannte Wolfgang Schütz, hatte ein paarmal mit ihm

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