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Fernerluft und Kaaswasser: Hartes Leben auf den Tiroler Almen
Fernerluft und Kaaswasser: Hartes Leben auf den Tiroler Almen
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eBook453 Seiten4 Stunden

Fernerluft und Kaaswasser: Hartes Leben auf den Tiroler Almen

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Über dieses E-Book

LEBEN UND ÜBERLEBEN IM "LAND IM GEBIRGE" IN FRÜHEREN ZEITEN
Dieser reich illustrierte historische Streifzug durch das Tiroler Almleben früherer Jahrhunderte erzählt vom Existenzkampf der Menschen in der alpinen Hochweidestufe.
Der Zeitraum zwischen 1560 und 1850, die sogenannte "Kleine Eiszeit", macht sich in Tirol durch eine markante Klimaverschlechterung bemerkbar. Auf den hochgelegenen Tiroler Almen wirkt sich diese härteren Bedingungen durch verspätete Viehauftriebe und verfrühte Almabtriebe besonders einschneidend aus. Immer wieder müssen hungernde Tiere aufgrund heftiger Schneefälle auf die für solche Notfälle vorgesehenen Schneefluchten und Notweiden getrieben werden. Exponiert gelegene Hochalmen in Gletschernähe können zum Teil überhaupt nicht mehr bestoßen werden. Die Klimaveränderung begünstigt zudem das Auftreten von Erdrutschen und die Bildung von Eisseen, was den Existenzkampf der Almbauern zusätzlich erschwert.
Beim Arbeiten in der Hochweidestufe war das Almpersonal vielen Gefahren ausgesetzt; die Matrikelbücher berichten von zahlreichen Todesfällen durch Lawinenabgänge und Erfrieren, Abrutschen in steilem Gelände und Erschlagen werden sowie Blitzschlag.
Aus dem Inhalt:
- Mensch und Umwelt: Klimawandel und Kälteschock, Wärmemangel und Weidennutzung, Erdrutsche und Eisseen
- Mensch und Gefahren: Staublawine und Steilgelände, Abgründe und Abstürze, Blitze und Bären
- Mensch und Arbeit: Senner und Hirten, Grasrupfer und Wurzelgräber, Kraxenträger und Butterbettler
- Mensch und Almleben: Die Nachbarländer Kärnten, Salzburg, Vorarlberg, Bayern und Schweiz in alten Ansichten
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum15. Jan. 2014
ISBN9783703009006
Fernerluft und Kaaswasser: Hartes Leben auf den Tiroler Almen

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    Buchvorschau

    Fernerluft und Kaaswasser - Georg Jäger

    Ortsregister

    Vorwort

    Schon in meiner Kindheit und Jugendzeit haben mich die Almen im „Land im Gebirge stark interessiert, was mit meiner Herkunft aus dem Sellraintal und dem Hirtendasein meiner beiden Vorfahren (Vater und Großvater, Alois Jäger junior und senior) zusammenhängt. Das Neue an dieser hier vorliegenden Studie über Tirol besteht im Versuch, das begrifflich weit gefasste Almpersonal und seine Arbeit vor dem Hintergrund der Hochgebirgsnatur umfassend darzustellen. Dazu dienen u. a. auch die zahlreichen Schwarz-Weiß-Bilder als Illustrationsmaterial. Gerade auf die im oberen Nutzungsstockwerk vorkommenden Mensch-Umwelt-Verflechtungen bezieht sich die gewählte Überschrift „Fernerluft und Kaaswasser. Wie aus dem Untertitel hervorgeht, handelt dieses Buch vom „Harten Leben auf den Tiroler Almen. Zunächst wird auf die während der frühen Neuzeit einsetzende Klimaverschlechterung mit grimmiger Kälte und heftigen Schneefällen eingegangen. Diese sogenannte „Kleine Eiszeit hatte zwischen 1560 und 1850 tirolweit verspätete Viehauftriebe und verfrühte Almabtriebe zur Folge. Die hungernden Tiere flüchteten auf die zur Verfügung stehenden Schneefluchten oder Notweiden. In Gletschernähe konnten sogar exponiert gelegene Hochalmen überhaupt nicht mehr bestoßen werden, wie Beispiele aus dem Alpenhauptkamm eindrucksvoll zeigen. Darüber hinaus lassen sich das Auftreten von Erdrutschen und die Bildung von Eisseen beobachten, was den Existenzkampf der Almbauern zusätzlich erschwerte.

    Das zweite Kapitel des Buches behandelt nicht mehr das weitere Vorrücken der Gletscher gegen die grünen Almböden, sondern die Gefahren beim Arbeiten in der Hochweidestufe. Der Bogen spannt sich von den häufig auftretenden Lawinenabgängen über das Verkugeln an steilen Hängen bis hin zum Erfrieren, Einschneien und Erschlagen durch den Blitz. Einen breiten Raum nehmen die vor allem in Katastrophenwintern verlähnten Heuzieher, verschütteten Almen und weggerissenen Bergheustädel ein. Zahlreiche Marterlsprüche aus den Alpentälern berichten über das Abstürzen beim gefährlichen Bergheuen und Viehhüten, wenn es u. a. heißt: „Ich als treuer Hirtenknab steig die Berge auf und ab. Gesucht hab’ ich die Schafe hier und fand mein frühes Grab dafür." Die meist durch Unvorsichtigkeit ausgelösten Brände auf den Almen sind noch heute eine allgegenwärtige Erscheinung. Dagegen gehören die Bären als Schafdiebe fast durchwegs der älteren Geschichte an.

    Das dritte Kapitel spürt den verschiedenen Berufsgruppen nach, die sich seit jeher auf den Tiroler Almen aufgehalten haben. Dazu gehört das traditionelle Almpersonal in Form der Sennerinnen und Senner, wobei die Hirten bei Schlechtwettereinbrüchen von den Schneefluchtknechten und auf größeren Almen von eigens angestellten Almputzern unterstützt wurden. Daneben bevölkerten auch Wilderer, Enzianwurzelgräber und Grasrupfer die alpine Hochweidestufe, um sich durch „illegale" Jagdausübung (Gämswilderei) und Sammelwirtschaft (Gelber Enzian, Wildheugewinnung) eine zusätzliche Einnahmequelle zu schaffen. Sogar die Kohlen- und Kalkbrenner standen in den Alm- und Waldgebieten als rußig-staubige Gesellen im Dauereinsatz. Nicht zu vergessen sind die mit Milchprodukten schwer beladenen Kraxenträger, die vor dem Zeitalter der Almerschließung als Warenschlepper zu Fuß zwischen Berg und Tal unterwegs waren. Durch den Niedergang des Tiroler Bergbaues erreichten im 19. Jahrhundert hungernde Knappen die Sennhütten, wo sie als Butterbettler auftraten und das sonst nur an Schweine verfütterte Käsewasser (Molke) holten. Abgerundet werden die gesamten Ausführungen durch eine kurze fotografische Almreise zu den Nachbarländern, um einen Blick über den Zaun zu werfen. Wenn nun die fleißigen Menschen in den nächsten Sommern auf die Tiroler Almen ziehen, dort oben arbeiten und leben, dann sollen sie mit Hilfe dieses Buches einen neuen Zugang zur Vergangenheit finden.

    Für das Zustandekommen dieser reich bebilderten Veröffentlichung habe ich vor allem Frau Dr. Mercedes Blaas vom Universitätsverlag Wagner zu danken, welche diesem spannenden Vorhaben stets aufgeschlossen gegenüberstand. Nicht zuletzt gebührt ein „gratiam referre" meiner Frau Mag. Karin Jäger, die jeden einzelnen Arbeitsschritt bei der Bearbeitung des Bildmaterials mitverfolgte. Das vorliegende Almbuch sei meinem lieben Sohn Bernhard gewidmet.

    I. Mensch und Umwelt

    Klimawandel und Kälteschock, Wärmemangel und Weidenutzung, Erdrutsche und Eisseen

    Blick vom Feldkar auf das Schwarzensteinkees im Zemmgrund (Foto: Johann Maidler, um 1900).

    Einführung

    Die mit der Abnahme des Wärmeangebots zusammenhängende Höhenstufung der Naturlandschaft im Hochgebirge bildet eine Grundvoraussetzung für die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten in den einzelnen übereinanderliegenden Stockwerken. Dabei kommt den oberhalb der Baumgrenze zum ewigen Eis und Firn hinaufreichenden alpinen Matten eine besondere Bedeutung zu. Bereits Joseph Walcher (1718–1803) schreibt in seinem 1773 erschienenen Buch „Nachrichten von den Eisbergen in Tyrol über die von den damals vorgestoßenen Gletschern in den Ötztaler Alpen überfahrenen Weidegründe Folgendes: „Obwohl bey den warmen Sommertagen eine Menge des Eises und Schnees schmelzet, so nimmt doch die Anzahl der Eisberge nicht ab; ja sie vermehrt sich immer. Auf dem Orte, wo sich dermalen der Gurglerferner befindet, zwischen dem Schwarze- und Rübeleberg, war in vorigen Zeiten eine Viehweide. Weiters steht über die Hochweidenutzung im benachbarten Ventertal: „Der ubrige Theil dieser Weyden erstreckt sich noch auf die höchsten Berge: auf dem Neusberg, Rofnerberg, bis an die Ferner hinauf und ungeachtet, daß sie an das Eis anstossen, sind sie dennoch so fett, und geben zahlreichen Herden so gute, so gedeihliche Nahrung, daß man nicht leicht kostlichere Milch oder wohlgeschmackern Butter finden wird, als zu Fender und zu Rofen. In den Hochlagen war also die Viehwirtschaft bzw. die Erzeugung von Butter, Schmalz und Käse vorherrschend, wofür sich die von Joseph Walcher ausdrücklich erwähnten „fetten (ergiebigen) Almweiden und Bergwiesen vorzüglich eigneten.

    Das Leben auf einer von Fernern oder Keesen bedrohten Hochalm war alles andere als angenehm. So musste in der Granatspitzgruppe im Jahr 1609 aufgrund vorstoßender Eismassen (Gradetzkees) eine neue Almordnung für die Zoppotnitzer Alm (Äußere Steineralm) erlassen werden, weil sich „das Khösß [Kees = Eis, Ferner, Gletscher] nach und nach meren thuet und durch den Gletschervorstoß die Weideerträge zurückgegangen waren. Der noch ins ausgehende 16. Jahrhundert zurückgehende Viehübertrieb zwischen dem Unterengadin, Montafon und Paznaun wurde durch den vorrückenden Vermuntferner während der „Kleinen Eiszeit ebenfalls stark eingeschränkt. In einem Schreiben des Pflegers von Nauders an den Bürgermeister von Steinsberg (Ardez) von 1595 geht hervor, dass dieser Ferner von Jahr zu Jahr wilder werde und immer größere Spalten oder Klüfte bilde. Deshalb konnte der Vermuntpass (2798 m) kaum noch überquert werden. Die Bündner Hirten wichen nun auf den Futschölpass als kürzeste Verbindung aus. „Der Weg ins Tyrol" mit dem angrenzenden Jamtal ist auf einer Karte aus dem Jahr 1746 eingetragen.

    Die weiteren Folgen der neuzeitlichen Klimaverschlechterung waren Überweidung und Zerstörung der schützenden Vegetationsdecke, worüber die Theresianischen Steuerkataster für Tirol in den 1770er-Jahren des Öfteren berichten. Auf den in besonderem Maße von Klimaungunst betroffenen Almen mussten die Grasrechte neu aufgeteilt und vermindert werden, wie das Beispiel der Kortscher Alpe im Vinschgau 1779 zeigt, die damals mit 80 Kuhgräsern ausgemessen wurde, während es noch 1567/70 genau 296 Kuhgräser waren. Innerhalb zweier Jahrhunderte war somit eine Ertragsminderung um fast 75 % eingetreten. Der namhafte Geograph Rainer Loose schreibt dazu: „Es bleibt die Frage, ob diese Weideschmälerung allein auf klimatische Ursachen und Faktoren zurückzuführen ist und/oder ob sich darin nicht zugleich eine Einführung schwerer und anspruchsvollerer Viehrassen widerspiegelt. Wie dem auch sei, Tatsache bleibt, dass in Zeiten einer Klimaschwankung auf der gleichen Weidefläche infolge geringen Viehabsatzes zuviel Vieh geweidet wurde, und d. h. konkret durchgehungert wurde." Negativ für die Landwirtschaft waren die langanhaltenden Schneedecken, welche die Almsaison verkürzten und zu vorzeitigen Almabfahrten zwangen. So konnte das Almvieh nicht aus dem Sommerfutter des Heimgutes gebracht werden und belastete die angespannte Futterlage zusätzlich.

    Von 1812 bis 1816 reihten sich die schlechtesten Almsommer des 19. Jahrhunderts aneinander. Es waren „Eiszeitsommer mit erheblichem Wärmemangel, verstärkt durch den gewaltigen Ausbruch des Vulkans Tambora (5. April 1815) in Indonesien. Zahlreiche Tiroler Täler (darunter Bschlabs, Gschnitz, Schmirn, Obernberg, Pfitsch, Vals, Gsies und Villgraten, das Brixen- und Pitztal sowie die ladinischen Täler in den Dolomiten) meldeten schon 1812 allgemeinen Misswuchs, denn die Feldfrüchte reiften kaum oder überhaupt nicht aus. Das Vieh konnte nicht mehr rechtzeitig, oft erst mit einem Monat Verspätung, auf die Almen getrieben werden. Während der Hundstage (24. Juli bis 23. August) schneite es 1814 in Nordtirol im Inntal fast bis zum Innsbrucker Mittelgebirge herab. Im angrenzenden Kanton Graubünden tanzte der Spätsommer des Jahres 1816 völlig aus der Reihe, sodass auf den eingeschneiten Hochalmen das aufgetriebene Weidevieh keine Grasbüschel mehr finden konnte. Als Folge der „eiszeitlichen Rahmenbedingungen mit langen, schneereichen Wintern und sommerlichen Neuschneefällen in tiefe Lagen hinunter erfuhren die Alpengletscher einen positiven Massenhaushalt und rückten bis 1820 zu den Hochalmen vor, die vorübergehend überhaupt nicht mehr bestoßen werden konnten. In Unkenntnis der Zusammenhänge von Ursache und Wirkung schrieb man damals den Gletschern die Verschlechterung des Klimas zu und forderte die konsequentere Anwendung einer alten Vorschrift, derzufolge die Bewohner von gletschernahen Alm- oder Dauersiedlungen Asche und Erde auf den Firn streuen sollten, um dessen Schmelzen zu beschleunigen …

    Die „Kleine Eiszeit" – Verspätete Viehauftriebe, Missernten und Hungersnöte

    Der bewirtschaftete Bereich im Alpenraum umfasst in der Vertikalen über 2000 Höhenmeter und erstreckt sich von den Gunstlagen in den ganzjährig bewohnten Tälern bis hinauf zu den im Sommer aufgesuchten Hochalmen und firngekrönten Bergspitzen der Hochgebirge („nivale Stufe), wo das Eis synonym für die Kälte und Lebensfeindlichkeit steht. Gerade das Herabdringen der Ferner oder Keese in den tiefer gelegenen Siedlungs- und Wirtschaftsraum, in ein Gebiet, das über Jahrhunderte hinweg ertragreiches und fruchtbares Kulturland war, gehörte für die Alm- und Bergbauern während der „Kleinen Eiszeit (1560–1850) zum Dämonisch-Unfassbaren. Aus dieser Angst heraus entstanden auch zahlreiche Sagen, welche in ihrem naturgeschichtlichen Kern das Vorrücken oder Vorstoßen der Gletscher in die alpine Mattenstufe zum Inhalt haben. Bei Klimastürzen wuchs die Gletscherstirn stets mächtig an und schob sich wie die Pranke einer Raubkatze in das bisher eisfreie und vom Weidevieh aufgesuchte Gelände vor. Während im heutigen Bundesland Tirol (Nord- und Osttirol) die frühneuzeitliche Klimaverschlechterung durch zunehmende Gletscheraktivitäten und verspätete Almauftriebe gekennzeichnet war, verschob sich in Südtirol zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert der Beginn der Weinernte um drei Wochen.

    Die bis zur alpinen Mattenstufe reichenden Gletscher stehen symbolisch für Kälte und Lebensfeindlichkeit im Hochgebirge, wie der Gurglerferner im Jahr 1926 zeigt (Foto: Richard Mycinski Kunstverlag, Innsbruck).

    Blick von der Außergschlössalm auf den Großvenediger (Foto: A. Lottersberger, Matrei in Osttirol). Zur Zeit des Gletscherhochstandes in den 1850er-Jahren drang das Schlatenkees bis zum 1700 Meter hoch gelegenen Gschlösstalboden vor.

    Sehr kalte Winter und Schneelandschaften, „Kleine Eiszeit" und Klimaschwankungen

    In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurden kalte Winter überall im Alpenraum zur Regel, was neben der schriftlichen oder bildlichen Überlieferung auch indirekt die Kunstgeschichte beweist. So hielt im Februar 1565 Pieter Breughel der Ältere (Beiname: „Bauernbreughel) einen der ersten harten Winter in seinem berühmt gewordenen Bild „Jäger im Schnee fest, wo der Raum Innsbruck und Umgebung mit Amras dargestellt wurde. Damit begründete er ein Genre: Winterlandschaften kamen in der europäischen Malerei in Mode! Die Künstler der damaligen Zeit scheinen überhaupt oft auf den beginnenden Klimawandel reagiert zu haben. Allein zwischen 1550 und 1700 wurde in den Landschaftsbildern der Himmel kaum sonnig und lichtüberflutet, sondern zu rund 80 % bewölkt gezeichnet. Es ist überhaupt keine Frage, dass mit den frühen Wintereinbrüchen die allgemeinen Lebensbedingungen in der alpinen Landwirtschaft deutlich erschwert wurden. Die Menschen und Tiere litten Qualen unter der Kältewelle, die Bäume platzten auf und das Saatgut erfror in der Erde.

    Als „Kleine Eiszeit bezeichnet man in der modernen Klimaforschung die Zeitspanne von 1560 bis 1850, in der die Ferner einen relativ starken Zuwachs bekommen und so manche Hochalm im „Land im Gebirge aufgelassen wird. Vermutlich entstehen damals auch die sogenannten „Totalpsagen", in denen immer wieder von vergletscherten und verschneiten Almen die Rede ist. Über diese frühneuzeitlichen Gletschervorstöße, so etwa zwischen 1625 und 1645, 1700 und 1720 oder 1735 und 1743 sowie zwischen 1768 und 1778, sind wir durch zeitgenössische Bildquellen gut unterrichtet. Im ausgehenden 16. Jahrhundert und während des ganzen 17. Jahrhunderts häuften sich lange und strenge Winter in extremer Weise. Die Jahre von 1560 bis 1573, von 1585 bis 1615 und von 1676 bis 1697 sowie von 1755 bis 1776 waren ausgesprochen kalte Phasen. Das Wechselspiel von Vorstoß und Rückgang der alpinen Gletscher ist für die Hochweidewirtschaft schon deshalb interessant, weil die Hirten mit ihren Herden alljährlich über die Jöcher gezogen sind, welche in Kälteperioden eisbedeckt und während der Wärmeperioden einladend waren. So hat sich etwa der Schaftrieb zwischen dem Schnals- und Ötztal bis heute halten können.

    Weidenutzung und Wärmemangel, Schneefälle und Schneeschmelze

    Die kalten Wintermonate im Alpenraum waren auch in der Vergangenheit das Ergebnis lang andauernder Hochdruckgebiete über Skandinavien, welche kontinentale Luftmassen nach Mitteleuropa vorstoßen ließen. Das mit einem lauten Knall verbundene Aufplatzen von Frostrissen in den Bäumen wurde etwa während der Wintermonate von 1561, 1684, 1709 und 1789 gehört. Im Winter 1708/09 herrschte eine derartige Kälte, dass Menschen und Tiere in großer Zahl erfrieren mussten. Vom Wärmemangel im Sommerhalbjahr besonders betroffen war die Hochweidestufe, wo als Folge sommerlicher Neuschneefälle die Vegetationsentwicklung erst sehr spät einsetzte. Entsprechende Nachrichten sind vor allem aus den Jahren 1628, 1675 und 1816 überliefert.

    Im Bereich wenig widerstandsfähiger Gesteine reichen die Almflächen des inneren Ötztales hoch über die Gletscherzungen hinauf, wie hier bis auf 2400 Meter Seehöhe an der Hohen Mut bei Obergurgl (Foto: Aufnahme und Verlag Lohmann, Obergurgl, um 1940).

    Auch die Gallwieser Alm im hinteren Sellraintal (Lüsens) bekam als Hochleger die Klimaverschlechterung mit den vorstoßenden Eismassen in der Mitte des 19. Jahrhunderts sehr zu spüren (Foto: Alpiner Kunstverlag Wilhelm Stempfle, Innsbruck).

    Im Frühjahr 1520 war so viel Schnee in ganz Tirol gefallen, dass noch am 15. Juni (Veitstag) die weiße Pracht vier Spannen hoch in den Straßen der Südtiroler Stadt Brixen lag. Die darauffolgende Schneeschmelze brachte dann fürchterliche Überschwemmungen, welche Brücken und Gebäude wegrissen sowie Felder und Wiesen vernichteten. Die natürlichen Folgen waren eine Missernte und eine Hungersnot, an der viele Menschen sofort starben oder manche „mit Gras und Wurzeln im Munde tot aufgefunden wurden. Während der „Kleinen Eiszeit lag die Temperatur um etwa 1,5 Grad Celsius niedriger als heute. 1628 und 1816 waren „Jahre ohne Sommer" und somit ohne Ernten. Der Rückgang der Almerträge war meist auf kühle, nasse Sommermonate zurückzuführen.

    Der Himmel entschied über den Almauftrieb und Ernteertrag

    Die Menschen in der Vergangenheit waren insofern ins Klimageschehen und seine Auswirkungen miteinbezogen, als die obrigkeitlichen Einkünfte größtenteils aus der Agrarwirtschaft stammten. So veranlasste im Jahr 1678 die Zerstörung landwirtschaftlicher Nutzflächen durch vorrückende Eismassen und ausbrechende Eisseen die Talbewohner des bedrohten Ötztales, mehrere Bittschriften und Gesuche um Zinsnachlass an die drei reich begüterten Herrschaften (Schloss Petersberg, Stift Stams, Stift Frauenchiemsee) in der Talschaft zu schreiben. Besonders nachteilig für die Getreide-, Vieh- und Weidewirtschaft war das Einschneien im Sommerhalbjahr. Zur Schonung des winterlichen Heuvorrates wurden die Tiere so lange wie möglich auf den Weideflächen gehalten und nicht eingestallt.

    Der Himmel entschied bei sommerlichen Neuschneefällen über den Bestoß, über die Zahl des aufgetriebenen Almviehs, aber auch über die Erträge der Ernten. Die Landbevölkerung war von den Launen der Natur in stärkerem Maße abhängig als die von der Versorgungspolitik bevorzugten Stadtbewohner. Vor allem das Hirtenpersonal und die Senner bzw. Sennerinnen litten unter der Härte der Witterung während der „Kleinen Eiszeit". Die Schrumpfung des Weidelandes brachte eine längerfristig geringere Tragfähigkeit der Hochalmen. Wenn die damaligen Chronisten und Zeitzeugen nicht aus dem ländlich geprägten Raum stammten, dann erwähnten sie auch in ihren Darstellungen die Ursachen, den Verlauf und die Folgen von Agrarkrisen nur am Rande oder blendeten diese Gesichtspunkte sogar ganz aus.

    Im Schnee erstickte Kühe in eiskalten Wintern

    Es gibt wohl keinen Winter in den letzten 500 Jahren, der den gesamten Alpenraum in einem solchen Ausmaß mit Schnee überschüttet hat wie jener von 1565/66, als ständig frische Polarluft zwischen dem Ostatlantik und Schwarzen Meer nach Mitteleuropa strömte. In den Voralpen und überall im Hochgebirge erstickten die Kühe buchstäblich im Schnee, als man sie von einem Heustall zum anderen führen wollte. Der gefallene Neuschnee war auch zu tief, um Heu mit Schlitten heranzuführen. Selbst im außeralpinen Raum gab es in dem 1000 bis 1600 Meter gelegenen Schwarzwald Schneehöhen von über drei Metern. Das Land Tirol befand sich 1568/69 im Würgegriff eines sehr langen Winters. Von Martini (11. November) bis Ende Februar (28. Februar) herrschte eine klirrende Kälte. Durch den vielen Schnee erlitten die Saaten so große Schäden, dass man die Äcker umreißen und das Sommergetreide säen musste. Die befürchtete Missernte ließ auch gleich die Getreidepreise auf Rekordwerte steigen, und viele Menschen wurden in die leeren Keller getrieben. In weiterer Folge gab es tirolweit von 1569 bis 1572 eine große Hungersnot.

    Das vorrückende Gradetzkees bedrohte im Jahr 1609 die Hochweideflächen der Äußeren Steineralm (Zoppotnitzer Alm) in Osttirol. Blick auf den Muntanitzkamm (Foto: Aufnahme R. Wunsch, Aussig).

    Schon 1838 wird auf das während der „Kleinen Eiszeit" rauer gewordene Klima in Hintertux und Umgebung hingewiesen. Blick vom Tuxerjoch aus auf die Gefrorene Wand (Foto: Bildarchiv Georg Jäger).

    Im Winter 1572 türmte sich gegen Jahresende der Schnee in einigen Alpentälern dermaßen hoch, dass zahlreiche Dorfbewohner und der Großteil des Viehs in den Häusern erdrückt wurden. Aus Mangel an Luft erstickten Menschen und Tiere oder starben aus Hunger, weil sie sich nicht durch die Schneemassen durcharbeiten konnten. Die Bäume starben unter den Äxten verzweifelter Kleinbauern ab, die nach Erschöpfung ihrer ganzen Holzvorräte zum Frevel schritten. Wer nicht genügend Brennholz heranschleppen konnte, dem erfroren die Gliedmaßen oder die gehaltenen Hühner. Sogar Obstbäume und Möbel wurden verheizt.

    Zur Zeit der markanten Klimaabkühlung im ausgehenden 16. Jahrhundert traten anstelle der in Nordtirol gepflanzten Reben durch die geringer und schlechter werdenden Erträge Getreideflächen. So wurde 1594 der größte Teil des vom Tiroler Landesfürsten und seinen Angestellten hobbymäßig betriebenen Höttinger Weinbauareals umgebrochen und in ein großes Roggenfeld verwandelt. 1595 erfolgte die Auflassung der landesfürstlichen Rebfläche auf den Thaurer Feldern in der Haller Au (Loreto), an die noch heute der Flurname „Weinfeld erinnert. 1598 erscheint unter den zum Schloss Fragenstein bei Zirl gehörenden Liegenschaften der besonders stark vernachlässigte Weingarten mit der sogenannten „Alten Torggl. Ein extremer Winter war im Jahr 1598 in Tirol zu verzeichnen. Unser Chronist berichtet: „Es fing besonders im Jänner an kalt zu werden und stark zu schneien und beides soll bis Ende Mai gedauert haben. Viele Menschen erfroren und etliche wurden von Wölfen angegriffen und zerfleischt. Im Frühling haben die Felder erneut besät werden müssen, weil die Wintersaat erfroren war." Eine weitere große Kältewelle gab es noch im Winter 1599.

    Unfruchtbar gewordene Almböden

    Nach der winterlichen Abkühlung im Jahr 1573 kam es vorübergehend zu einer Milderung, auf welche zwischen 1583 und 1601 ein neuer Schub von kalten, trockenen Wintern folgte. Von 1565 an griff die Kälte zunehmend auf das Frühjahr aus, wobei zunächst der März und ab 1568 auch der April nachweisbar von der Kälte überflutet wurde. Eine zweite Welle von überwiegend feuchtkühlen Frühjahren setzte 1586 ein. Der Gipfel an kühlen Frühlingstagen wurde im Jahrzehnt zwischen 1592 und 1601 erreicht. Am tiefgreifendsten veränderte sich jedoch der Charakter der Sommerwitterung, welche für die Hochweidewirtschaft entscheidend ist. Allein zwischen 1550 und 1559 und zwischen 1588 bis 1597 büßte diese „warme Jahreszeit über 1 Grad an Wärme ein. Die Niederschlagshäufigkeit war in den 1590er-Jahren um über 30 Prozent häufiger geworden. Am längsten bewahrte der August seine sommerlichen Züge. Erst seit dem Jahr 1576 dominierten die kalten Sommermonate. Ein Bericht von 1583 beklagte sich sogar darüber, dass die Weintrauben im „kalten Ort Hötting aufgrund der „scharfen Luft" nicht vollständig ausreifen könnten.

    Die damalige Bewirtschaftung der von Kälte und Schnee betroffenen Almen lässt sich am besten anhand von Almordnungen verfolgen. So stammt etwa der älteste Almbrief über die Dorferalm im Kalser Tal aus dem Jahr 1583 (10. Juni) und fällt in eine Zeit zunehmender Klimaverschlechterung in den Hohen Tauern. Ein Matreier Gerichtsakt vom 10. Juli 1821 nimmt nochmals Bezug zu diesem zitierten Schriftstück, wenn es heißt: „Die vieren Rotten von Kals, als Brader, Bacher, Thaurer und Gollerroth besitzen mit noch einigen Interessenten die sogenannte Dorfer Alpe. Über die Benützung derselben besteht ein Alpenbrief vom 10ten Juny 1583, welcher aber theils wegen geminderter Alpen fructification und erlittenen Änderungen durch solange Zeit, theils wegen gemehrten Viehstande nach der Meinung aller Interessenten nicht mehr seine volle Anwendung, ohne manche Missverhältnisse mit sich [zu] führen, finden kann."

    Durch die ungünstigen klimatischen Verhältnisse im ausgehenden 16. Jahrhundert hatte also die Fruchtbarkeit der Almböden stark abgenommen, weshalb von einer „geminderten Alpenfructification" die Rede ist.

    Ergiebige Schneefälle auf den Hochalmen in extremen Sommermonaten

    Das Jahr 1577 war zunächst auf der Alpensüdseite (Bozen) bis Ende März durch ein sehr kaltes Wetter in Verbindung mit Schneefällen und Windstößen gekennzeichnet. Getreide und Heu erlitten großen Schaden. Selbst Vieh auf den Weiden soll damals umgekommen sein. Am 2. Juli brach eine Kältewelle mit Schnee ein, welche die Hochalmen fußhoch zudeckte und auch die Getreidefelder begrub. Der Schnee blieb vorübergehend noch vier Tage lang (2. bis 5. Juli) oberhalb von 1250 Meter Seehöhe liegen, bevor am 6. Juli die Schneeschmelze mit Hochwasser einsetzte. Besonders kalte Hochsommermonate waren der Juli und August 1585. Auf den Gebirgsübergängen lag so viel Schnee, dass die Pässe für die Pferde nicht gangbar waren.

    Viel Schnee und einen langen Winter gab es in Tirol auch 1586. Die Ernte im Vinschgau fiel schlecht aus. Von Mitte Mai bis Ende Juni 1587 herrschte im ganzen Alpenraum anhaltende kühl-feuchte Witterung. Allein im Juni gab es insgesamt 27 Regentage, die Vegetation geriet dadurch um fast einen ganzen Monat in Rückstand und die Hochalmen brachten kaum einen Nutzen. In den Berner und Walliser Alpen wurde etwa „vil vychs [Vieh] in allpen [Almen] vmbracht", wie es ein Zeitzeuge zutreffend umschreibt. Im Jahr 1594 soll es in Tirol noch acht Tage lang nach Pfingsten geschneit haben. Das Getreide war wegen des nassen und kalten Wetters missraten.

    1596 gab es sogar eine Missernte im Brixner Becken, wo das Ausreifen der roten Weintrauben nicht mehr möglich war. Bereits 1547 konnte auf den sonnigen „Büheln von Hötting der Wein („Hügelwein) erst relativ spät im November vor Wintereinbruch gelesen werden. Trotzdem gab es nur mehr einen sauren Tropfen („Sauerwein) ab, den niemand trinken wollte. Das Erntejahr 1552 fiel ebenfalls dürftig aus. Bei trockenen Wintern starben nämlich die alt und schwach gewordenen Weinstöcke ständig ab. Deshalb wurde 1558 durch den Hofkastner eine Neuanpflanzung im Höttinger Weingarten mit neu gelieferten „Schlafreben aus Vahrn bei Brixen begonnen.

    In der Silvrettagruppe verlegten zwischen 1595 und 1599 die Gletscher die viel begangenen Viehwege der Engadiner Hirten (Aufnahme und Verlag M. Willmann, Lindau).

    Dramatische Versorgungslage in der Berglandwirtschaft während der „Eiszeitsommer"

    Mit einem großen Wärmemangel in den Frühjahrsmonaten und hohen Niederschlägen im Sommer (Hoch- und Spätsommer) entspricht der Witterungsverlauf des Jahres 1529 jenem in den anderen „Jahren ohne Sommer" wie etwa 1675 und 1816, deren verheerende Auswirkungen für die Berglandwirtschaft und die damalige Versorgungslage der Menschen im Alpenraum gut belegt sind. Unter diesen katastrophalen Verhältnissen litten alle Zweige der Agrarwirtschaft, neben dem Korn auch das Obst und die Viehzucht, was die Nachfrage nach Brotgetreide steigerte. Die Zeit zwischen 1528 und 1531 ging als Periode großer Mangeljahre in die Tiroler Agrargeschichte ein.

    Schon im Jahr 1529 weisen die Bewohner der rauen Sterzinger Gegend darauf hin, dass die Bergbauernhöfe in den entlegenen Eisacktaler Nebentälern (z. B. Pfitsch- und Pflerschtal) und am Fuße der hohen Gebirge „wegen der nahen kalten Ferner so wild und unerträglich sind. Dazu kamen noch die gewaltigen Lawinenabgänge, welche die Böden dermaßen verdarben, dass niemand mehr genug Getreide anbauen konnte. Aus diesem Grund hatte mancher verarmte Bauersmann häufig „in etlichen Tagen nit einen Bissen Brot im Haus, muß[te] sich und seine Kinder mit Bohnen und anderer groben und harten Speis unterhalten.

    Der April 1529 war kalt, Mai und Juni waren kühl und nass. Am 18. Juni fiel der Schnee bis auf 550 Meter hinab, der das Getreide zu Boden drückte und Bäume zersplittern ließ. Die Heuballen für das hungernde Vieh wurden mit Schlitten geführt. Das Getreide musste in der stark verregneten und sehr kühlen zweiten Julihälfte nass eingebracht werden. Die Haupterntezeit fiel in die elftägige Regenperiode Anfang August. Dieses kurzfristige Ereignis brachte dann das Fass zum Überlaufen. Es setzte ein lang anhaltender Anstieg

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