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Was weiss ich?: Auswahl der besten Essais
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eBook169 Seiten2 Stunden

Was weiss ich?: Auswahl der besten Essais

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Über dieses E-Book

Aus dem Französischen neu übersetzt von Dr. Ulrich BossierDie Essais des französischen Moralphilosophen Michel Eyquem Seigneur de Montaigne sind der faszinierende Versuch einer Formulierung über den Menschen an sich und seiner Situation in der Welt. Als archimedischer Punkt philosophischen Fragens behauptet sich dabei der delphische Imperativ - gnothi seauton oder nosce te ipsum - erkenne dich selbst! Dem Skeptiker, der alle Erkenntnisse dem Wandel unterworfen weiß, dessen philosophisches Staunen in seiner Frage "Que sais-je?" - "Was weiß ich?" gründet, bleibt der Mensch enigmatisches Fragment und dennoch sind die Versuche Montaignes eine erste Philosophie der subjektiven Erfahrung, die sich zutiefst dem Leben selbst verschrieben hat: "Ich zeichne nicht das Sein, ich zeichne den Übergang: nicht den Übergang von einem Zeitalter ins nächste, (…), sondern von Tag zu Tag, von Minute zu Minute." Im vorliegenden Band ist eine Auswahl der schönsten Essais aus Montaignes dreibändigem Werk versammelt.
SpracheDeutsch
Herausgebermarixverlag
Erscheinungsdatum20. Okt. 2012
ISBN9783843803168
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    Buchvorschau

    Was weiss ich? - Michel de Montaigne

    Minute."

    AN DEN LESER

    Dies ist ein aufrichtiges Buch, Leser. Es warnt dich gleich am Anfang, dass ich es zu keinem anderen Zwecke schrieb als zu einem häuslichen und privaten. Deinen Nutzen hatte ich dabei ebenso wenig im Sinn wie meinen Ruhm. Für derlei Unternehmungen reichen meine Kräfte gar nicht aus. Gewidmet habe ich es allein meinen Verwandten und Freunden zum persönlichen Gebrauch. Sie sollen, wenn sie mich nicht mehr haben (und das wird bald sein), darin einige meiner Wesenszüge und meine Gemütsart wiederfinden; so können sie ihre Kenntnis von mir vervollständigen und lebensnäher ausgestalten. Wäre es mir um die Gunst der Welt gegangen, hätte ich mich besser herausgeputzt und eine eingeübte Schrittfolge hingelegt. Ich will aber, dass man mich in meinem einfachen, natürlichen Alltagsgebaren sehe, ohne Gesuchtheit und Künstelei, denn ich bin es, den ich hier darstelle. Meine Schwächen wird man lebensgetreu darin finden, desgleichen meine Unbefangenheit, die ich nur zügelte, wo die Rücksicht auf die Schicklichkeit mir dies gebot. Wäre ich ein Angehöriger jener Völker, die, wie es heißt, noch unter der süßen Freiheit der ursprünglichen Naturgesetze leben – dann, versichere ich dir, hätte ich mich gern vollständig geschildert, und zwar splitternackt. Also, Leser, ich selbst bin das einzige Thema dieses Buches; es gibt wirklich keinen vernünftigen Grund für dich, deine Muße auf einen so unbedeutenden und nichtigen Gegenstand zu verwenden. Nun denn, Gott befohlen. Schloss Montaigne, heute am ersten März 1580.

    MIT VERSCHIEDENEN

    MITTELN ZUM GLEICHEN ZIEL

    Man hat jemanden beleidigt und gerät in seine Hände; nun könnte der andere sich rächen; man will ihn davon abbringen, indem man sein Herz rührt. Die geläufigste Art, dies zu erreichen, besteht darin, dass man ihn durch Unterwürfigkeit zum Mitleid und zum Erbarmen bewegt. Aber gelegentlich hat auch das genaue Gegenteil – Trotz, Standhaftigkeit und Entschlossenheit – diese Wirkung erzielt.

    Eduard, Prinz von Wales, der lange über unsere Guyenne geherrscht hat – ein Mann, dessen Charakter und Lebensweg viele Zeichen der Größe aufweisen –, empfand die Abtrünnigkeit der Stadt Limoges als so argen Schimpf, dass er mit Gewalt dort einrückte. Volk, Frauen und Kinder, die sich der Metzelei preisgegeben sahen, mochten noch so klagen und sich ihm zu Füßen werfen und um Schonung flehen: Nichts konnte ihn aufhalten – bis er beim weiteren Vormarsch in die Stadt drei französische Edelleute gewahrte, die sich mit unglaublicher Kühnheit dem Ansturm seines siegreichen Heeres entgegenstemmten. Erst das Erlebnis dieser ungewöhnlichen Tapferkeit, das ihm tiefe Achtung einflößte, brach seinem Zorn die Spitze ab, und so begnadigte er zunächst diese drei und schließlich alle Bewohner.

    Skanderbeg, Fürst von Albanien, hetzte einmal einem seiner Soldaten hinterher, um ihn zu töten. Eine Weile versuchte der Soldat, den Verfolger durch allerlei Demutsbe-zeigungen und flehentliche Bitten zu besänftigen; endlich aber, in der äußersten Not, entschloss er sich, ihn mit gezücktem Schwert zu erwarten. Der mutige Entschluss hemmte augenblicklich die Wut seines Herrn; ja, die ehrenvolle Entscheidung des anderen beeindruckte ihn so sehr, dass er ihm die Strafe erließ. Dieses Beispiel können nur jene missverstehen, die noch nie von der wundersamen Stärke und Unerschrockenheit jenes Fürsten gelesen haben.

    Als Kaiser Konrad III. Herzog Welf von Bayern in Weinsberg belagerte, machten die mit dem Herzog eingeschlossenen Bewohner ihm viele feige und kriecherische Angebote, die ihn durch Entgegenkommen milde stimmen sollten. Er aber ließ sich lediglich zu diesem Zugeständnis herab: Die Frauen durften, in ihrer Ehre unangetastet, die Stadt verlassen, und zwar zu Fuß und nur mit dem, was sie tragen konnten. Diese jedoch verfielen – edelmütig, wie sie waren – darauf, ihre Männer, ihre Kinder und auch noch den Herzog selbst Huckepack zu nehmen. Der Kaiser fand an ihrem hochherzigen Sinn ein solches Wohlgefallen, dass er vor Freude weinte. Todfeindschaft hatte er wider den Herzog gehegt, ja ihn vernichten wollen – und nun erstarben in ihm alle grimmigen Gefühle, und von Stund an behandelte er ihn und die Seinen menschlich.

    Mich würde das eine wie das andere Verhalten leicht bezwingen, denn ich habe eine wundersame Neigung zu Milde und Sanftmut. Was mich für die Betreffenden gewönne, wäre allerdings, glaube ich, eher die Anteilnahme an ihrer Not als die Hochachtung vor ihrer Widerständigkeit. Nun meinen ja die Stoiker, Mitleid sei ein verächtliches Gefühl. Man solle dem Bedrängten helfen, sich aber nicht die Weichheit erlauben, mit ihm zu leiden.

    Die obigen Beispiele scheinen eine angemessenere Einstellung zu illustrieren, als es die meine ist. Darin werden Männer mit den genannten beiden Taktiken konfrontiert und dergestalt auf die Probe gestellt; der einen halten sie ohne Erschütterung stand, der anderen aber beugen sie sich. Man könnte so sagen: Wenn einem vor lauter Mitleiden mit dem Elend das Herz bricht, bezeugt dies Verträglichkeit, Gutmütigkeit und Weichheit (daher sind auch die schwächlichsten Gemüter – Frauen, Kinder und das niedere Volk – besonders anfällig dafür); wer jedoch flehentlichen Bitten gegenüber hart bleibt und sich nur vom erhabenen Bilde der Tapferkeit beeindrucken lässt, beweist, dass er eine starke, standhafte Seele hat, die männliche Kraft und Zähigkeit liebt und verehrt. In weniger edlen Seelen aber lösen möglicherweise schon Staunen und Bewunderung diesen Respekt vor dem Trotzigen aus. Die Geschichte des thebanischen Volkes liefert hierzu ein Beispiel. Einmal stellte es seine Feldherren Pelopidas und Epaminondas unter Anklage; da sie ihre Ämter über die vorab festgesetzte Zeit hinweg weitergeführt hatten, drohte ihnen die Todesstrafe. Pelopidas krümmte sich regelrecht unter der Last der Beschuldigungen und ließ, um das Gericht vom Äußersten abzubringen, nur Flehen und Bitten hören; Epaminondas hingegen berichtete hochfahrend von seinen großen Taten und tadelte stolz, ja überheblich das Volk, weil es diese nicht zu würdigen verstehe. Bei ihm mochte es gar nicht erst die Stimmkugeln zur Hand nehmen; und so ging die Versammlung unter lauten Lobreden auf den gewaltigen Mut des Epaminondas auseinander.

    Als Dionysius der Ältere den Ort Rhegio nach langer und außerordentlich aufreibender Belagerung endlich eroberte, fiel ihm dort dessen Kommandant Phyton in die Hände, ein großartiger, tapferer Mann, der seine Stadt hartnäckig verteidigt hatte. An diesem wollte der Tyrann ein furchtbares Exempel der Rache statuieren. Zunächst sagte er ihm, dass er tags zuvor seinen Sohn und all seine übrigen Angehören habe ertränken lassen. Worauf Phyton nur erwiderte: „Dann waren sie einen Tag früher glücklich als ich." Da rief Dionysius seine Folterknechte; sie ergriffen Phyton, rissen ihm die Kleider vom Leib und schleiften ihn durch die Stadt, wobei sie ihn nicht nur höchst grausam und schändlich geißelten, sondern ihn auch noch mit gemeinen, schmählichen Schimpfworten überhäuften. Phyton aber blieb standhaft und zeigte sich ungebrochen. Statt zu klagen, betonte er mit fester Miene und lauter Stimme unablässig die ehrenhafte und ruhmreiche Sache, für die er nun sterben werde: Er habe sein Vaterland nicht einem Tyrannen ausliefern wollen; schließlich drohte er ihm, bald werde die Strafe der Götter über ihn kommen. Dionysius beobachtete die Masse seiner Soldaten und las in ihren Augen, wie das Geschehen auf sie wirkte: Sie empörten sich eben nicht über das herausfordernde Betragen des bezwungenen Feindes, der Verachtung für ihren Herrn und seinen Sieg bekundete, vielmehr waren sie angesichts eines so ungewöhnlichen Mutes derart betroffen, dass ihr harter Sinn zu erweichen begann; nicht viel fehlte, und sie hätten gemeutert und Phyton den Händen seiner Schergen entrissen. Daher befahl Dionysius, das Martyrium zu beenden, und ließ Phyton heimlich im Meer ertränken.

    Wahrhaftig, der Mensch ist doch ein wundersam unbeständiges, widersprüchliches und schwankendes Wesen. Nur schwer kommt man zu einem festen und allgemeingültigen Urteil über ihn. Betrachten wir zwei Ereignisse: Pompeius hegte einst heftigen Grimm gegen die Stadt der Mamertiner, aber einer ihrer Bürger, Zenon, imponierte ihm durch seine Tapferkeit und edle Gesinnung so sehr, dass er der ganzen Stadt verzieh. Zenon hatte die gemeinschaftliche Schuld allein auf sich genommen und bat um keine andere Gnade, als auch allein die Strafe dafür tragen zu dürfen. Der Wirt des Sulla jedoch, der sich in der Stadt Perusia ähnlich tapfer verhielt, konnte dadurch niemanden retten, weder sich selbst noch andere.

    Genau gegenteilig zu meinen ersten Beispielen aber handelte Alexander, der kühnste unter den Menschen, welcher sich den Besiegten gegenüber gewöhnlich ungemein huldvoll verhielt. Nicht so bei der Eroberung der Stadt Gaza, die er erst nach vielen schweren Kämpfen erstürmen konnte. In Gaza fand er Batis vor, der die dortigen Truppen kommandierte und von dessen Bravour er während der Belagerung erstaunliche Proben erlebt hatte. Allein, von den Seinen verlassen, die Waffen zerbrochen und bedeckt von Blut und Wunden, focht er bis zuletzt gegen die Makedonier, die von allen Seiten auf ihn einschlugen. Alexander, erbittert über den reichlich teuren Sieg (er hatte kurz zuvor am eigenen Leib zwei Wunden abbekommen), sagte zu dem Perser: „Du sollst nicht so sterben, wie du es dir wünschtest, Batis. Rechne vielmehr mit allen Martern, die sich für Gefangene nur ersinnen lassen. Der andere jedoch blickte ihn nicht bloß gefasst, sondern auch frech und hochmütig an und erwiderte kein Wort auf die Drohungen. Diese starrsinnige Weigerung zu reden erboste Alexander: „Hat er ein Knie gebeugt? Ist ihm ein Ton des Flehens entfahren? Wahrhaftig, ich werde sein Schweigen brechen und ihm Laute entreißen. Und will er schon nicht sprechen – ächzen soll er mir! Seine Empörung wandelte sich in Wut, und er ließ Batis die Fersen durchbohren, ihn hinten an einen Karren binden und bei lebendigem Leibe schleifen, bis es ihn zerlegte. Sollten Alexander Mut und Festigkeit etwas so Gewöhnliches und Selbstverständliches gewesen sein, dass sie ihm, weil sie ihn ja nicht erstaunten, auch keinen größeren Respekt einflößten? Oder hielt er sie überheblicherweise für Eigenschaften, die nur ihm zukämen, sodass er nicht ohne leidenschaftliche Missgunst gewahren konnte, wenn auch andere sie hatten? Oder beraubte ihn seine natürliche Neigung zum Jähzorn jeder Fähigkeit, Widerstand zu ertragen? Wahrlich, hätte er diesen zügeln können, so wäre bei der Einnahme und Verwüstung Thebens eine gute Gelegenheit dafür gewesen, als er sah, wie so viele tapfere Männer grausam hingeschlachtet wurden, die doch bereits verloren waren, weil sie keine Mittel mehr besaßen, ihre Stadt zu verteidigen. Über sechstausend wurden damals getötet. Kein einziger freilich floh oder bat um Gnade; vielmehr warfen sie sich überall in den Straßen den siegreichen Feinden entgegen und provozierten sie, damit sie ihnen doch noch einen ehrenvollen Tod gaben. Keiner war unter ihnen, der nicht ungeachtet schwerster Verwundungen noch den letzten Atemzug nutzen wollte, Vergeltung zu üben; keiner, der nicht mit den Waffen der Verzweiflung versucht hätte, sich den eigenen Tod durch den Tod eines Feindes zu versüßen. Ihre niedergeworfene Tapferkeit fand jedoch kein Erbarmen, und nicht einmal ein ganzer Tag voller Metzelei reichte aus, um den Rachedurst Alexanders zu stillen. Das Massaker währte, solange noch ein Tropfen thebanischen Blutes zu vergießen war. Halt machte es erst vor den gänzlich Wehrlosen, den Greisen, Frauen und Kindern; die wurden geschont – schließlich gewann man so dreißigtausend Sklaven.

    ÜBER DIE TRAURIGKEIT

    Ich gehöre zu denen, die gegen diese Gemütsregung weitestgehend gefeit sind. Weder liebe noch achte ich sie, auch wenn die Menschen ihr mit solchem Eifer Gunst erweisen, als würden sie dafür bezahlt. Man hängt sie der Weisheit, der Tugend, dem Gewissen um – welch ein alberner und erbärmlich unpassender Putz! Bei den Italienern heißt, was viel eher angeht, tristizia auch „Bösartigkeit". Jedenfalls ist diese Haltung immer schädlich, immer verkehrt; immer auch feige und unedel, weshalb die Stoiker ihren Schülern verboten, sich dieser Emotion

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