Die drei historischen Regionen Europas
Von Jenö Scücs
()
Über dieses E-Book
Diesem - nicht nur geographischen - Raum gilt das Interesse des ungarischen Historikers Jenö Szücs (1928-1988). Frei von Habsburgmythos oder fragwürdiger Nostalgie versucht er, die politischen Strukturen dieser Region verständlich zu machen. Sein faszinierend zu lesender, historisch bis ins Frühmittelalter reichender Rückgriff ist methodisch in Anlehnung an die Vertreter der französischen »Annales«-Schule (Jaques le Goff, Fernand Braudel und Georges Duby) geschrieben.
Die vorliegende Studie von Jenö Szücs, deren Übersetzung in Frankreich und England große Resonanz fand, trägt mit der Darstellung und Erklärung dieser langfristig in Ostmitteleuropa wirkenden Strukturen zugleich zum Verständnis der aktuellen politischen Zusammenhänge bei, ohne dabei von der historischen Darstellung abzuweichen.
Ähnlich wie Die drei historischen Regionen Europas
Ähnliche E-Books
Mein verspieltes Land: Ungarn im Umbruch Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Mein Österreich. 50 Jahre hinter den Kulissen der Macht Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGemeinsame Geschichte?: Ein Jahrhundert serbischer und österreichischer Mythen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLieben und geliebt werden: Mein Leben nach Auschwitz-Birkenau Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenIch bin Bonhoeffer: Roman eines glaubwürdigen Lebens Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenJäger des verlorenen Verstandes: Eine Weisheitsschule Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Untergang des Abendlandes Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Seele der Dinge: Herausgegeben im Auftrag des Internationalen Auschwitz Komitees, Berlin, und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFranz Josef Strauß: Biographie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWie ich es sah: Budapest 1944-1973 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Unsterbliche: Morden für Mohammed, leben für Christus Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEs ist alles in dir: Wie du deine Antworten auf die Fragen des Lebens findest Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSEAWAS, GRÜSSI, SALAMALEIKUM: Tiefe und tiefgründige Dialoge in der U-Bahn Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKOPFLOS IM KURHOTEL: Regionalkrimi aus Österreich Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenHeimat. Reinheit. Tradition Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenFreiheit, ach Freiheit ...: Vereintes Europa - geteiltes Gedächtnis Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenTrost der Philosophie Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Ungarn, Deutschland, Europa: Einblicke in ein schwieriges Verhältnis Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas "Judenbuch" in der Nazizeit: Erinnerungen eines Nichtwählers Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenInnere Dialoge an den Rändern: 2016-2021 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer kleine Island-Verführer: Impressionen von der Insel der Fjorde, Küsten und Vulkane Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRenovatio Europae.: Für einen hesperialistischen Umbau Europas Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenJugend ohne Gott: Ein Krimi und Gesellschaftsroman (Zwischenkriegszeit) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas zweite konvivialistische Manifest: Für eine post-neoliberale Welt Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenCorona – Des Rätsels Lösung?: Faktencheck einer Pandemie Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer einsame Zeuge: Von der existentiellen Dimension des Widerstands gegen den Nationalsozialismus Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenVom Geist Europas: Ursprünge und Porträts, Band I Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie vierzig Tage des Musa Dagh (Historischer Roman): Eindrucksvolles Epos über die Vernichtung eines Volkes - Der Völkermord an den Armeniern Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Welt von Gestern: Erinnerungen eines Europäers - Das goldene Zeitalter der Sicherheit Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Europäische Geschichte für Sie
Titanic - Der Untergang einer Welt: Ein SPIEGEL E-Book Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Erste Weltkrieg: Von Sarajevo bis Versailles: die Zeitenwende 1914-1918 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Berliner Mauer: Geschichte eines monströsen Bauwerks Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie DDR - Leben im sozialistischen Deutschland: Ein SPIEGEL E-Book Geschichte Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen1914 - 2014 - Die unheimliche Aktualität des Ersten Weltkriegs: Ein SPIEGEL E-Book Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKriegsausbruch 1914: Der Weg in die Katastrophe Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenUnbekanntes Wien: Verborgene Schönheit - Schimmernde Pracht Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMein Kampf Bewertung: 3 von 5 Sternen3/5Geheimgesellschaften: Geschichte und Gegenwart verborgener Macht Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenRudolf Augstein über Bismarck: Mit einer Einführung von Hauke Janssen. Ein SPIEGEL E-Book Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenTausend Jahre Kaiserschmarrn: Eine satirische Geschichte Österreichs Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDeutsche Geschichte: 100 Bilder - 100 Fakten: Wissen auf einen Blick Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie geheim gehaltene Geschichte Deutschlands - Sammelband Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Otto von Bismarck: Der Reichsgründer Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchwarze Wurzeln: Afro-deutsche Familiengeschichten von 1884 bis 1950 Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Dunkle Geschichten aus dem alten Wien: Abgründiges & Mysteriöses Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie geheim gehaltene Geschichte Deutschlands - Band 2 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGeheimnisvoller Da Vinci Code in Wien: Verborgene Zeichen & Versteckte Botschaften Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Griechen: Geschichte einer antiken Hochkultur | Leben im antiken Griechenland Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGeschichte der DDR: 100 Bilder - 100 Fakten: Wissen auf einen Blick Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie elegante Hausfrau 1892: Mitteilungen für junge Hauswesen - Mit besonderen Winken für Offiziersfrauen Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Hexenhammer: Alle 4 Bände Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKinder im Krieg: Kindheit und Jugend im Dritten Reich Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenUnterirdisches Österreich: Vergessene Stollen - Geheime Projekte Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie 68er: Ein SPIEGEL E-Book Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas deutsche Wunder - Aus Trümmern zur starken Demokratie: Ein SPIEGEL E-Book Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Mysterium der Frau Holle: das Märchen, die heiligen Orte, der Mythos, die Botschaft Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDunkle Geschichten aus dem Alten Österreich Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Verwandte Kategorien
Rezensionen für Die drei historischen Regionen Europas
0 Bewertungen0 Rezensionen
Buchvorschau
Die drei historischen Regionen Europas - Jenö Scücs
Inhaltsverzeichnis
Vorwort von Fernand Braudel
Text
Anmerkungen
Jenö Szücs (1928-1988)
Jenö Szücs
Die drei historischen
Regionen Europas
Mit einem Vorwort
von Fernand Braudel
Aus dem Ungarischen
von Béla Rásky
Verlag Neue Kritik
Die ungarische Originalausgabe erschien 1983 unter dem Titel »Vázlat Európa három történeti régiójáról« im Verlag Magvetö Könyvkiadó, Budapest.
© 1983 by Jenö Szücs Rechtsnachfolger
© für das Vorwort von Fernand Braudel L‘Harmattan 1985
Alle deutschen Rechte Verlag Neue Kritik Frankfurt 1990
Die E-Book-Ausgabe folgt der 2. Auflage der Printausgabe (1994)
© für die E-Book-Ausgaben Verlag Neue Kritik 2014
ISBN 978-3-8015-0540-0 (epub)
ISBN 978-3-8015-0541-7 (mobi)
ISBN 978-3-8015-0542-4 (pdf)
www.neuekritik.de
Vorwort von Fernand Braudel
Es freut mich, dass hiesigen Lesern ungarische Bücher in Übersetzungen zugänglich werden. Es freut mich umso mehr, als das ungarische Denken auf sämtlichen Gebieten nach wie vor lebendig, fruchtbar und von allgemeinem Interesse und Nutzen ist. Erweisen sich doch Ungarns Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen und Historiker – um nur diese zu nennen – bei den großen internationalen Kongressen als Gesprächspartner ersten Ranges.
Daher begrüße ich das Erscheinen des brillanten Buches »Die drei Regionen Europas« von Jenö Szücs, in dem ein Grundmodell, ein ursprüngliches Paradigma der komplizierten Geschichte unseres Kontinents dargestellt wird: die Unterscheidung zwischen Westeuropa, Ostmitteleuropa und Osteuropa.
Die Grenzen dieser drei europäischen Regionen verschieben sich zwar im Laufe ihrer langen Geschichte, doch ob nun mehr nach Osten oder nach Westen verlagert, immer bleiben diese drei Welten bestehen, behaupten sich, kommen sich näher, entfernen sich voneinander und definieren sich in jedem Augenblick ihrer Geschichte gegenseitig. Ein Spiel, bei dem die vergleichende Geschichtswissenschaft auf der ganzen Linie triumphiert.
Im Mittelpunkt der Ausführungen steht Ostmitteleuropa – Polen, Ungarn, Böhmen … – als fester Rahmen, von dem aus der Autor sich den beiden anderen Europas nähert. Im Zusammentreffen mit diesen Nachbarn wendet sich Ostmitteleuropa einmal mehr dem einen, einmal mehr dem anderen zu, verrät den einen, entscheidet sich für den anderen, wechselt aber auch, ohne es recht zu wollen, die Seiten. Unter diesem Hin und Her, das seine »Strukturen« strapaziert bzw. umstürzt, leidet dieses mittlere Europa die meiste Zeit, es gelingt ihm nicht, zu sich selbst zu finden, sich zu vollenden. Liegt das nur an seiner geographischen Lage, an der Mittellage, der es nicht entkommen kann? Die Nachbarn sind einfach zu sehr im Vorteil: der Westen öffnet sich der Unermesslichkeit des Atlantik, ihm gehört Amerika. Der Osten dehnt sich auf Kosten der dichten Landmasse Asiens aus. Die Besetzung Kasans (1551), Astrachans (1556) – und damit die Herrschaft über die Wolga –, dazu die Annektierung der polnischen Ukraine (1667-1686), die seit dem 16. Jahrhundert sich anbahnende Eroberung Sibiriens: Russland verwandelt sich über einen langen Zeitraum in eine autonome »Weltwirtschaft«. Das mittlere Europa wird nie diese unerhörte Möglichkeit haben, sich räumlich auszudehnen, so gewaltig über sich selbst hinauszuwachsen. Es wird von seinen Nachbarn eingeschlossen, gefangen gehalten.
Doch gerade dieses gegensätzliche Schicksal ist für Jenö Szücs ein hervorragender Prüfstein, um die Geschichte der beiden privilegierten Nachbarn genauer zu bestimmen und zu verstehen.
Ich bin sicher, dass die Historiker es zu schätzen wissen, was der Autor immer wieder über den Westen, der ja ihr bevorzugtes Jagdgebiet ist, erklärt – was er ihnen so nachdrücklich sagt, wird sie zwingen, mehr als einmal ihre gewohnten Deutungsmuster zu überdenken. Ich gebe zu, dass es mir großes Vergnügen bereitet hat und dass ich manche Passagen zwei- bis dreimal gelesen habe, Passagen, die mich verblüffen, wenn auch nicht immer überzeugen, die aber unsere Fachdisziplin zu neuen Fragestellungen zwingen. Es ist ein Verdienst des Autors, ebenso zur Diskussion wie zur Reflexion herauszufordern, und es wäre gut und notwendig gewesen, mit ihm darüber zu diskutieren.
Ohne Vorbehalt gefällt mir, wie Jenö Szücs darauf beharrt, zumindest seit dem 13. Jahrhundert zwischen einer sich gegen den Staat abgrenzenden zivilen Gesellschaft und einer politischen Gesellschaft, die der Staat ist und die jener gegenübersteht, zu unterscheiden. Zwischen den beiden Gesellschaften tut sich eine Front auf, die unstreitig eine spezifische Eigenart der westlichen Geschichte und Zivilisation ist.
Ist diese Unterscheidung nun ein Erbe des Feudalismus, der den ersten mittelalterlichen Staat fast gänzlich zum Erliegen brachte, und zwar für mehrere hundert Jahre? Der Autor, der zu markanten Formulierungen neigt, schreibt: »Aus dem Feudalismus und nicht aus der Antike hat Europa den Begriff der menschlichen Würde als konstituierendes Element seiner politischen Beziehungen entlehnt.« Er greift auch nebenbei die brisante Behauptung Perry Andersons auf: »Der absolutistische Staat war im Westen ›eine Kompensation für das Verschwinden der Leibeigenschaft‹.« Ebenso brisant, diesmal vom Autor selbst, der lapidare Satz: »Im Westen war die Aufklärung bereits Sache der Gesellschaft und nicht des Staates.« Wie man sieht, springen wir wie bei dem Kinderspiel, bald von der einen, bald von der anderen Seite über die lebendige Bruchstelle zwischen der zivilen Gesellschaft – d.h. allen Menschen – und den privilegierten, repressiven oder sogar vom Geist des Guten beseelten Minderheiten, die die politische Gesellschaft ausmachen. Mit anderen Worten, in diesem weit ausholenden Essay gibt es nicht nur territoriale Grenzen. Es gibt auch soziale Grenzen… Man halte das Buch daher nicht für allzu einfach.
Alles in allem zeigt sich uns die ungarische Geschichtsschreibung einmal mehr von ihrer besten Seite. Der Autor ist das ganze Buch hindurch zutiefst darum bemüht, seinem Lehrer, dem originellen, leidenschaftlichen historischen Denker István Bibó (1911-1979), seine Referenz zu erweisen. Was er über diesen sagt, ist bewegend, wichtig. War es doch István Bibó, der erklärte, und mit diesem verkürzten Zitat beende ich dieses Vorwort: »Hinter den historischen Ereignissen liegen die Strukturen der Gesellschaft, die über einen langen Zeitraum das Wesentliche sind …« Auch Jenö Szücs spricht in Bezug auf das erste moderne Russland von »Weltwirtschaft«. István Bibó wiederum spricht von langer Dauer. Ich befinde mich auf vertrautem Terrain.
(Aus dem Französischen von Ulrike Schubert)
Vorwort
Die vorliegende Skizze ist dem Andenken von István Bibó (1911-1977) gewidmet.
Bibó war zwar kein Historiker, sondern ein politischer Denker – doch die Geschichtswissenschaft war ein organischer Bestandteil seines Lebenswerkes. Hier geht es gar nicht darum, dass ein Politologe in seine Folgerungen seine außergewöhnliche historische Bildung und Sensibilität einfließen ließ; ja nicht einmal darum, dass er mit der Schaffung eines außergewöhnlichen Zeitbildes des letzten Jahrhunderts eine souveräne historiographische Leistung geboten hat. Es geht um mehr. Als gelehrter politischer Denker war er sich darüber im Klaren – und war damit ein Beispiel für die Historiker –, dass das Wesentliche hinter dem »Ereignis« langfristige, über Jahrhunderte wirkende »Strukturen« sind, die für die Gegenwart gleichzeitig die Grenzen des Handelns festsetzen und Möglichkeiten politischer Aktion anbieten. Die Essenz des schmerzlicherweise unvollendeten Lebenswerkes István Bibós steht genau zwischen den schonungslos vermessenen Grenzen und den optimalen Möglichkeiten der gegebenen Realität: Was könnte und müsste mit einer Gesellschaft geschehen, die – wegen ihrer historisch-strukturellen Grenzen – einer Revolution oder demokratischen Umwandlung bedarf, um ihre optimalen Möglichkeiten zu entfalten, auch wenn sich die Möglichkeit einer revolutionären Veränderung oder der Demokratie nicht in einer revolutionären Situation ergeben hatte?
Vor dem Hintergrund der langfristigen Entwicklung dieser Grenzen und Möglichkeiten betrachtete István Bibó die ungarische Geschichte als eine Abfolge von drei Phasen. Extrem vereinfacht, war Ungarn in den ersten fünfhundert Jahren nach der Jahrtausendwende »strukturell«, d.h. mit seinem Gesellschaftsgefüge, Teil des Westens oder näherte sich ihm zumindest an (obgleich »mit einfacherem Gewebe, provinziellem Charakter« und »mit graduellen Unterschieden«). Historische Katastrophen führten dann aber dazu, dass das Land für die nächsten vierhundert Jahre in eine Struktur osteuropäischen Typs gedrängt wurde, die von »der Unbeweglichkeit der gesellschaftlichen Kräfte«, »toten Punkten« und hoffnungslosen Ausbruchsversuchen gekennzeichnet war, bis dieser Prozess in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in eine eigenartige »Sackgasse« mündete. Erst das Jahr 1945 eröffnete – so glaubte und bekannte Bibó – einen Ausweg (und den »neuerlichen Anschluss an die westliche Gesellschaftsentwicklung«). Die Absteckung der Grenzen und Möglichkeiten, sich aus dieser »Geschichte in der Sackgasse« herauszuarbeiten, bildet denn auch das Rückgrat seines Œuvres.
Wie ernst István Bibó die Geschichte nahm, dafür gibt es einen tragisch suggestiven Beleg. Noch einige Tage vor seinem Tod, schon im Spital, als er nur noch stockend sprach und seine Stimme bereits versagte, befasste er sich mit der Frage des dritten Standes. Während die Krankenschwestern ein und aus gingen, mit ihren Instrumenten klapperten, sowie Kranke und Besucher um ihn herumschlurften, vertiefte sich der Todgeweihte mit trotziger Anstrengung in die Erörterung, dass die automatische Gleichsetzung des Begriffs Tiers-état mit dem Bürgertum falsch sei: eigentlich setze sich der dritte Stand ursprünglich aus jedem – aus »jedem«, der nicht an den adeligen Privilegien teilhatte – zusammen. Und wenn sich diesen Rahmen auch das Bürgertum angeeignet hat (womit sich in der Folge sehr rasch der vierte, und dann der selbst aus diesem verdrängte fünfte Stand bilden sollte), beziehen sich bestimmte, mit ihm zusammenhängende ursprüngliche Modelle noch immer auf »jeden«. Die Erörterung (obgleich die Müdigkeit und dann der Tod diese für ewig unterbrachen) fand