Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

KOPFLOS IM KURHOTEL: Regionalkrimi aus Österreich
KOPFLOS IM KURHOTEL: Regionalkrimi aus Österreich
KOPFLOS IM KURHOTEL: Regionalkrimi aus Österreich
eBook288 Seiten5 Stunden

KOPFLOS IM KURHOTEL: Regionalkrimi aus Österreich

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Auf der steirischen Bio-und-Wellness-Alm ist die Hölle los: Im besten Kurhotel der Region geht ein Serienmörder um und köpft scheinbar beliebig Kurgäste. Nun liegt es an Chefinspektor Arcan Yilmaz und seiner jungen Kollegin Pauline Wenzel, in einem Biotop von Egozentrikern, in dem mit der Zeit jeder jeden verdächtigt, nach einem Mörder zu fischen. Nur der vierundachtzigjährige Opa Lutz scheint als einziger den Durchblick zu behalten – und seinen Kopf ...
SpracheDeutsch
HerausgeberLuzifer-Verlag
Erscheinungsdatum12. Apr. 2024
ISBN9783958354692

Mehr von Christina Unger lesen

Ähnlich wie KOPFLOS IM KURHOTEL

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für KOPFLOS IM KURHOTEL

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    KOPFLOS IM KURHOTEL - Christina Unger

    Ein sonniger Vormittag im Mai …

    »Hoarschoarf danebn, den Higl aufe und zwoa Mal ums Eck.«

    Der Mann im weißen Mercedes mit dem Dresdner Kennzeichen betrachtete durch das Seitenfenster stirnrunzelnd den Einheimischen mit Filzhut, der auf einem ratternden Traktor saß. Er konnte dreißig Jahre alt sein, würde aber auch als Hundertjähriger durchgehen.

    »Kannst du das mal googeln, Ilse?«, raunte er seiner Frau zu.

    Ilse rollte als Antwort nur mit den Augen.

    Der Mann versuchte nochmals sein Glück. »Wir suchen die Bio-und-Wellness-Alm …«

    »Seids derrisch? Foahrts oafoch weida den Higl aufe …«

    »Fahr weiter, Hans-Jürgen«, drängte Ilse, »das hat doch keinen Sinn. Wir kehren um und fragen uns im Ort durch.«

    Hans-Jürgen hob höflich den Arm zum Gruß in Richtung Traktor und fuhr an. Dabei verkuppelte er sich, der Wagen zuckelte und hoppelte den Berg hinauf, und Ilse verdrehte wieder die Augen. Die Straße wurde immer enger, dafür gab es viel Grün rundherum, sonst aber nichts.

    »Wo sind wir denn hier gelandet?«, murmelte er mehr zu sich selbst, als zu seiner Frau, die bereits ziemlich gereizt neben ihm saß.

    Bitte wenden Sie jetzt.

    Hans-Jürgens Zorn richtete sich gegen die Stimme im Navi. »Und wie stellst du dir das vor?«, blaffte er die Unsichtbare an. »Hier könnte ich nicht wenden, selbst wenn ich auf einem Pferd säße.«

    »Jetzt übertreibe nicht! Dort oben gibt es eine Umkehrmöglichkeit.« Ilse wies auf eine Ausbuchtung in der Straße.

    Hans-Jürgen beschleunigte mit quietschenden Reifen, dass der Straßenschotter nur so um den Wagen herumflog. Oben knallte er den Rückwärtsgang rein und fuhr zurück. Seine Frau schrie auf: »Wir stürzen ab! Siehst du nicht den Abgrund?«

    »Lass mich nur machen.« Hans-Jürgen wendete und stand wenig später in entgegengesetzter Fahrtrichtung. Vorsichtig fuhren sie den Berg ein Stück weit hinunter und Ilse seufzte erleichtert. »Im Ort wird uns sicher jemand den Weg sagen können!«

    Sie haben Ihr Ziel erreicht.

    Hans-Jürgen legte eine Vollbremsung hin, dass das Heck des Mercedes ausschlug und der Motor abstarb. Verdutzt blickten die Eheleute sich um. Was ihnen entgegenblickte, war eine Herde Mutterkühe auf einer saftigen Wiese. Viel Bio. Aber wo war das Hotel? Rechts von ihnen wuchs ein Mischwald, dicht und dunkelgrün, gesprenkelt mit hellgrünen Blättern. Die Sonne verbarg sich noch hinter den Baumkronen. Schon der Vormittag war sehr warm, es würde wieder ein heißer Tag werden.

    In die plötzliche Grabesstille hinein fragte Ilse spöttisch: »Hast du einen Campingurlaub gebucht?«

    Hans-Jürgen antwortete erst gar nicht auf diese Stichelei seiner Frau. Die Klimaanlage, die einwandfrei funktioniert hatte, bevor er den Wagen zum Service brachte, hatte ausgerechnet heute ihren Geist aufgegeben. Sein Hemd war durchgeschwitzt. Er fuhr sich über die kahle Stelle auf seinem Vorderkopf. »Und was jetzt?«

    »Du weißt doch immer alles besser! Schlage was vor.«

    Wenige Meter vor ihnen führte eine kleine Forststraße in den Wald. »Ob das Navi diese Straße meint?«

    »Kann ich mir nicht vorstellen.«

    »Der Traktor muss auch hier abgebogen sein, da wir ihm nicht mehr begegnet sind.«

    »Der hatte ganz sicher nicht dasselbe Ziel. Der fuhr auf seinen Bauernhof. Wir sollten kein Experiment wagen und in den Ort zurückfahren.«

    »Wir könnten es wenigstens versuchen, vielleicht liegt das Hotel ja gleich hinter dem Wäldchen.«

    »Das glaube ich nicht, man hat uns schließlich eine tolle Aussicht versprochen. Aber bitte sehr, wenn du dem Navi mehr Glauben schenkst als mir …«

    »Was soll schon schiefgehen?«

    »Dass wir im Wald steckenbleiben, zum Beispiel?«

    »Du denkst immer so negativ! Wir haben das Ziel erreicht, also kann das Hotel auch nicht mehr weit sein.«

    »Ruf die dort an und sag ihnen, wo wir sind. Vielleicht können sie uns hinlotsen.«

    »Und wo sind wir?«

    »An einer Weggabelung.«

    »Und wie beschreibt man eine Weggabelung inmitten vom Nichts? Wir finden das Hotel auch so, die denken am Ende noch, wir sind total blöd.«

    »Sind wir doch!«

    Hans-Jürgen ließ den Motor an, lenkte den Mercedes vorsichtig auf die schmale unbefestigte Straße und nach dreihundert Metern saß er auf einem Wurzelstock fest. Die Bodenplatte scharrte und knarrte und das Geräusch schmerzte ihn beinahe so, als hätte er sich selbst wehgetan.

    Seine Frau schimpfte. »Klasse hast du das hinbekommen!«

    Am liebsten hätte er jetzt geweint, aber Männer weinten nicht. Er stieg aus, um den Schaden zu begutachten und nachzudenken. Ilse blieb im Wagen sitzen, denn mit ihren High Heels wäre sie ohnehin nur im Waldboden versunken. Hans-Jürgen ließ seine Augen schweifen.

    Es war still. Sehr still. Unheimlich still.

    Er beschloss, sich zu Fuß auf den Weg ins Hotel zu machen. Dort würde er einen Abschleppdienst organisieren und seinen Mercedes mitsamt seiner Frau aus ihrer misslichen Lage befreien. Er ging um den Wagen herum und klopfte ans Seitenfenster. Ilse ließ die Scheibe herunter. Wenn Blicke töten könnten, wäre Hans-Jürgen jetzt ein toter Mann.

    »Schatz …« Er sagte immer dann Schatz, wenn er ein schlechtes Gewissen hatte. »Ich lauf mal vor und sehe nach, wie weit es noch zum Hotel ist. Ich bin bald wieder zurück.«

    »Ist dir nichts aufgefallen?«

    »Was denn?«

    »Dass es an der Kreuzung kein einziges Hinweisschild gab. Ein so großes Hotel hat Hinweisschilder und üblicherweise eine bequem erreichbare Zufahrtsstraße.«

    »Wahrscheinlich haben wir unfreiwillig eine Abkürzung genommen oder zufällig einen Schleichweg gefunden. Alles wird gut, du wirst sehen …« Er verzog den Mund zu einem optimistischen Grinsen, das eher wie eine weinerliche Grimasse rüberkam.

    »Ich habe Angst allein!«

    »Ach was! Wir sind im Steirischen, mitten im schönen Österreich. Schau nur, wie freundlich die Sonnenstrahlen durch die Blätter funkeln und wie lieblich die Vögel zwitschern. Es ist doch traumhaft schön hier.«

    »Mir ist unheimlich!«

    »Nicht doch, Schatz, spätestens um zwölf Uhr sitzen wir am Mittagstisch und lassen es uns gut gehen. Ab jetzt beginnt unser Wohlfühlurlaub. Denk daran, während ich weg bin. Küsschen!«

    »Arschloch!«

    Hans-Jürgen überhörte diese unfreundliche Verabschiedung und stapfte davon. Nach wenigen Minuten degenerierte die Straße zu einem Weg und schließlich zu einem Pfad. Hier kommt nicht einmal ein Traktor durch, dachte er bange und hielt im Gehen inne. Diesen Weg weiterzuverfolgen war sinnlos, wenn nicht gar fahrlässig. Er musste zurück an den Ausgangspunkt und an der Straße auf jemanden warten, der ihn und seine Frau mitnahm. Hier gab es kein Hotel, so viel war sicher.

    Auf einen Baum gepinselt erkannte er eine grünweiße Markierung und schloss daraus, dass hier ein Wanderweg durchgehen müsste, aber das half ihm in seiner Lage nicht weiter. Vor einem Bildstock mit einer weinenden Muttergottes, die ihr Jesuskind im Arm hielt, blieb er kurz stehen, denn zum Weinen war ihm gerade so richtig zumute. Von Gewissensbissen geplagt, kehrte er um.

    Hinter einer Kurve sah er endlich den weißen Mercedes stehen, etwas windschief, wo er auf dem Wurzelstock aufsaß. Der größte Teil des Wagens lag im Schatten, nur auf der Motorhaube hatte sich ein einzelner Sonnenstrahl niedergelassen. Er wappnete sich für das, was nun kam: Zeter und Mordio von Ilse! Ob sie immer noch im Wagen saß oder so schlau gewesen war, ihre Freizeitschuhe aus dem Koffer zu holen und draußen die frische Waldluft einzuatmen?

    Als er näherkam, sah er, dass sie den Wagen nicht verlassen hatte. Er erkannte ihre Gestalt hinter der Windschutzscheibe und stählte sich gegen den verbalen Kugelhagel seiner Frau.

    Als er nähertrat, stutzte er. Ilses Kopf war seitlich nach hinten gekippt und ruhte auf der Kopfstütze. Ihr war langweilig geworden und sie machte ein Nickerchen. Auch gut. Aber jetzt musste er sie wecken und Farbe bekennen. Er öffnete die Fahrertür und stieg ein.

    »Schatz, du hattest recht …« Er drehte den Kopf in ihre Richtung. Was er dann sah, ließ das Blut in seinen Adern gefrieren. Der Hals seiner Frau war von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt. Ihre erst kürzlich erstandene Sommerbluse war rot getränkt und eine Blutlache hatte sich unter dem Beifahrersitz gebildet. Hans-Jürgen wurde so weiß wie der Lack seines Mercedes. Ein Brechreiz überwältigte ihn und er taumelte ins Freie. Dort sank er auf die Knie und würgte solange, bis er sich endlich übergeben konnte. Noch im Knien blitzte über ihm eine silberne Schneide auf, surrte auf ihn herab und trennte mit einem glatten Schnitt den Kopf von seinen Schultern. Der Kopf rollte unter den Wagen, und noch im Rollen trug Hans-Jürgen das Grauen des Augenblicks auf seinem Gesicht.

    Die Bio-und-Wellness-Alm

    Die Bio-und-Wellness-Alm thronte auf einem sanften Hügel wie eine moderne Burg. Umgeben von den Obstgärten und Weinbergen der Südsteiermark erwartete den Gast ein Vier-Sterne-Hotel mit einem großen Panoramapool und einer fantastischen Aussicht. In der Ferne konnte man das Massiv des Hochwechselgebirges erkennen. Da der Winter bis in den April hinein gedauert hatte, funkelte auf einzelnen Bergkuppen noch immer Schnee. Eine Übergangszeit gab es längst keine mehr – vom Winter direkt in den Sommer.

    Das Hotel warb mit Bio- und Vollwertkost sowie der Zusicherung: Wir sprechen Ihre Sprache – was immer das heißen mochte. Die zahlreichen Gäste kamen aus dem In- und Ausland, und jene, die sich die sündteuren Preise leisten konnten, quartierten sich gleich für mehrere nachhaltige Wochen ein. Das Hotel beherbergte jedoch auch solche Kurgäste, die von ihren Krankenkassen geschickt worden waren und einen lächerlich kleinen Anteil zu ihrem Aufenthalt zuschießen mussten. Das sorgte öfters für böses Blut zwischen den privaten Gästen und den anderen.

    Samstag war An- und Abreisetag, und heute war wieder Samstag. Familie Schneider aus Wien rückte bereits um neun Uhr mit vier Personen an: Opa Lutz, Sohn Walter, Schwiegertochter Beate und Enkel Tommy. Opa stützte sich neuerdings auf einen Rollator, den ihm seine Schwiegertochter vor der Abreise gekauft hatte, damit er während seines Aufenthalts unabhängiger von ihrer Hilfe war. Ihre Zimmer lagen deshalb auch im Erdgeschoss und Opa teilte sich seines mit Tommy.

    Sein Enkel mit dem blonden Wuschelhaar und den strahlend blauen Augen sah seinen Eltern gar nicht ähnlich, die beide braune Augen und brünette Haare hatten, wenn auch jetzt schon ein wenig angegraut. Sein Aussehen hatte Tommy eindeutig von Opa geerbt, als dieser jung gewesen war – also noch während des Dreißigjährigen Krieges, wie Tommy gern scherzte, der Geschichte studierte. Er liebte seinen Opa, denn Opa machte bei jedem Blödsinn mit. Im Gegensatz zu seinen Eltern war es Tommy nämlich komplett wurscht, ob Opa sich daneben benahm, obszöne Ausdrücke gebrauchte, sich vollkleckerte, in die Hose pinkelte oder heimlich rauchte. Opa seinerseits war es völlig wurscht, ob Tommy mit seinen fünfundzwanzig Jahren noch weitere zehn Jahre auf Kosten seiner Eltern studierte, mehr Zeit mit dem Smartphone verbrachte als im Hörsaal, sich ab und zu einen Joint genehmigte und die Freundinnen wechselte wie andere die Unterwäsche – Opa und Tommy waren ein zusammengeschweißtes Gespann.

    In Wien teilte sich die Familie ein Einfamilienhaus in Döbling. »Drei Generationen unter einem Dach ist einfach nicht gut«, hatte Beate in der Vergangenheit immer wieder zu Walter gesagt. »Noch dazu mit einem Vater wie dem deinigen.«

    »Ich kümmere mich wenigstens um meinen Vater!«, hatte Walter daraufhin immer geantwortet und auf Beates Vater angespielt, den sie längst an ein Seniorenheim losgeworden war. Beate hingegen empfand es als Zumutung, sich mit dem alten Herrn sogar im Urlaub zu belasten.

    »Stell dir vor, ich würde auch noch meinen Vater pflegen müssen! Dann hätte ich zwei senile Witwer am Hals. Du bist damit ja nicht belastet. Du gehst am Morgen aus dem Haus und abends, wenn du heimkommst, liegt Opa gefüttert und gewindelt in seinem Bett. Zusätzlich habe ich noch deinen faulen Sohn zu versorgen …«

    »Unseren Sohn! Außerdem lebt ihr von meinem Geld«, betonte Walter, der seine Brötchen in einem großen Versicherungsunternehmen verdiente. »Da kann ich auch ein wenig Engagement erwarten.«

    Walter, der Ernährer! Wer das Geld heimbrachte, schaffte an. Dass sie ihre Arbeit in einer Anwaltskanzlei aufgegeben hatte, um für seinen Vater zu sorgen, sah er als selbstverständlich an, denn Walter war noch ein Überbleibsel aus einer Zeit, wo Frauen am Herd ihre Erfüllung fanden, und das, obwohl er mit seinen neunundvierzig Jahren noch gar nicht so alt war. Sie kannte weitaus ältere Männer, die moderner dachten. Die Rolle als Familienoberhaupt aber nahm in seinem Leben so viel Platz ein, dass er die Rolle als Ehemann und Liebhaber längst verdrängt hatte. Erotik und Sex kannte Beate nur noch aus den Frauenzeitschriften beim Friseur oder aus der Erinnerung. Und die verblasste mit jedem Jahr mehr. Selbst Opa hatte für Erotik und Sex mehr übrig, wenn man ihm manchmal so zuhörte. Und obwohl sein Gebrabbel für die Anwesenden meist mehr peinlich als amüsant war, merkte man deutlich, dass in diesem alten Körper noch jede Menge Leben steckte. In Walters Körper hingegen steckte außer der Frage nach dem Stand seiner Aktien nur noch die Frage, was es heute zu essen gab.

    Nach dem Einchecken begann Familie Schneider damit, sich einzuquartieren. Auf einem lichtdurchfluteten Flur mit Ausblick auf die sanften Hügel des Umlands gelangten sie auf einem roten Teppichläufer zu ihren Zimmern. Beate und Walter schleppten die vier Koffer und acht Reisetaschen in mehreren Etappen, Tommy trug Opas Rollator und Opa trug sich selbst. Nachdem Opa die Größe des Zimmers bemängelt hatte, Beate erst mal eine Verschnaufpause einlegen musste und Tommy mit dem Telefonieren fertig war, versammelte sich die Familie Punkt zwölf Uhr um den Mittagstisch im ersten Stock.

    Es gab noch einen Speisesaal im Erdgeschoss, aber dort saßen, wenn es sich einrichten ließ, fein getrennt von den zahlenden Gästen, die Kassenpatienten gemeinsam mit den Schnuppergästen, die nur ein bis drei Tage blieben. Vom oberen Speisesaal aber mit acht raumhohen Rundfenstern hinter zarten cremefarbenen Vorhängen, durch die eine frische Brise hereinwehte, hatte man die beste Aussicht auf die steirische Landschaft mit den saftigen Obst- und Weingärten, gesprenkelt mit einzelnen Gehöften. Ein leises Raunen der rund siebzig Gäste, die sich für das Mittagessen fein herausgeputzt hatten, erfüllte den Raum.

    Da im Mai Hochbetrieb herrschte, musste Familie Schneider den Tisch mit zwei wildfremden Personen teilen, worüber sich Walter beim Restaurantmanager heimlich beschweren ging. Er hatte gedacht, die Familie würde unter sich bleiben. Der Restaurantmanager bedauerte, aber es müsse diesmal eine Ausnahme gemacht werden, außerdem wollten die beiden Damen nächste Woche abreisen, und sie seien doch sehr sympathisch.

    »Das wird sich erst noch herausstellen!« Mit diesen Worten kehrte Walter an den Tisch zurück, wo bereits die Vorspeise serviert worden war. Es gab Rohkost mit Joghurtdressing, spärlich garniert mit Dinkelkörnern.

    »Von Rohkost krieg ich Blähungen«, kündigte Opa an.

    Beate warf ihm einen stummen, aber warnenden Blick zu. Sie wusste nur zu gut, wie es sich anhörte, wenn es in seiner Hose krachte. Zu Hause war es unangenehm genug, aber vor diesen fremden Leuten!

    »Lass die Rohkost lieber stehen«, riet sie ihm daher im Befehlston und schob den Teller außerhalb seiner Reichweite.

    »Wenn’s Arscherl brummt, ist‘s Herzerl g‘sund!«, krähte Opa.

    »Entschuldigen Sie bitte meinen Schwiegervater«, bat Beate mit einem verlegenen Lächeln ihre beiden Tischnachbarinnen. »Übrigens – ich bin Beate Schneider.«

    »Professor Dr. Gloria Rosenblatt«, stellte sich die Ältere vor.

    »Margot Kitzler«, schloss sich die Jüngere an.

    Tommy prustete und wurde hochrot im Gesicht. Walter, der seinem Sohn gegenübersaß, verpasste ihm unter dem Tisch einen Tritt gegen das Schienbein.

    »Ich bin Walter Schneider.« Er legte seinen Arm um Opa. »Das ist mein Vater, Lutz Schneider. Und Tommy, unser Sohn.«

    »Schön, dass Sie Ihren Vater mitgenommen haben«, lobte Frau Professor Rosenblatt. »Heutzutage wird unsere ältere Generation viel zu oft vernachlässigt. Abgeschoben in irgendein Heim, wo man dann auf den Tod wartet.«

    »Ich bin noch lange nicht tot!«, triumphierte Opa, nahm seine Hosenträger zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ sie schnalzen.

    »Ich habe auch nicht Sie gemeint!« Frau Professor Rosenblatt lächelte milde. »Sie haben ja eine Familie, die für Sie sorgt, Sie Glückspilz!«

    »Wie lange wollen Sie bleiben?«, erkundigte sich Margot Kitzler, eine Frau Anfang vierzig mit der Gestalt einer Aphrodite – üppiger Busen, gebärfreudiges Becken, schmale Taille – und einem Gesicht, so gesund und rotbäckig, wie ein frisch gepflückter Apfel. Ihre gekrausten Haare von undefinierbarer Farbe trug sie zu einem seitlichen Zopf geflochten.

    »Wir bleiben drei Wochen«, antwortete Beate, »und ich hoffe, wir erholen uns gut.«

    »Das werden Sie bestimmt«, zeigte sich Professor Rosenblatt optimistisch.

    Walter schätzte die Frau Professor auf Mitte sechzig, aber mit der Figur einer jungen Frau. Das naturgraue Haar trug sie als schicken Kurzhaarschnitt und ihr pinkfarbenes Tankshirt zu den knallorangenen Leggings wies sie als eine jener Frauen aus, die nicht alt werden wollten. Ihr Gesicht mit der randlosen Brille glich einem etwas runzeligen Smiley, da ihre Mundwinkel stets nach oben zeigten, was ihr einen lustigen Ausdruck verlieh. Doch der Eindruck sollte täuschen.

    »Sie reisen nächste Woche ab, hat mir der Restaurantmanager verraten?«, wollte Walter auf Nummer sicher gehen. »Das finde ich aber sehr schade, nun, da wir uns gerade erst kennengelernt …«

    »Ich habe verlängert!«

    »Was Sie nicht sagen!«

    »Ich auch!«, freute sich Margot Kitzler. »Das Essen hier tut mir so gut! Und diese vielen Anwendungen, einfach ein Genuss. Wenn auch nicht ganz billig.«

    Das konnte ja heiter werden. Walter sah sich nach dem Kellner um, damit dieser endlich abräumte, weil Opa sich seine Rohkost wiederholt unter den Nagel reißen wollte.

    »Nicht ganz billig?« Professor Rosenblatt hob eine Augenbraue und bedachte Frau Kitzler mit einem geringschätzigen Schniefen ihrer Nase. »Ihnen kostet doch der ganze Aufenthalt fast nix! Sie sind ja von der Kasse hergeschickt worden, soviel ich weiß.«

    »Nur keinen Neid, bitte!«, schnappte Frau Kitzler zurück.

    »Ich bin Ihnen gar nichts neidig, ich sage bloß.«

    »Die Verlängerung muss ich mir selber bezahlen, wenn Sie es genau wissen wollen. Das zahlt die Kasse nicht.«

    »Vier Wochen um den Preis von einer! Kein Wunder, wenn unsere Krankenkassen aus dem letzten Loch pfeifen.«

    »Ihre Beamtenversicherung kriegt vom Staat am meisten Zuschuss!«, wollte Frau Kitzler das letzte Wort behalten.

    Beate, die eine harmoniebedürftige Frau war, empfand den Disput als unangenehm und auch nicht angebracht, denn schließlich kannten sie sich kaum. Aber Frau Kitzler und die Frau Professor dürften schon mehrere Scharmützel dieser Art ausgetragen haben, so wie sie miteinander umgingen.

    »Welche Studienfächer unterrichten Sie denn?«, fragte Beate die Frau Professor Rosenblatt, um dem Gespräch eine Wendung zu geben.

    »Ich habe in Wien Geografie und Germanistik unterrichtet«, freute sich diese über das Interesse. »Aber ich bin schon in Pension, ich bin ja weit über sechzig.«

    »Das sieht man Ihnen gar nicht an«, bemerkte Beate höflich. »Ich hatte auch mal ein Studium angefangen«, erzählte sie. »Rechtswissenschaften. Aber dann habe ich meinen Mann kennengelernt, kurz darauf kam Sabine, Tommys ältere Schwester. Na ja, Sie wissen sicher auch, wie das so läuft bei uns Frauen.«

    »Ich

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1