Benedikt von Nursia: Der Werdegang eins spirituellen Meisters - Inspiration für heute
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Über dieses E-Book
Darauf greift Bernardin Schellenberger zurück und zeichnet die darin geschilderten Stationen und Taten Benedikts nach. Sein Anliegen dabei ist es, sie als Inspiration für heutige, spirituell wache Menschen zu erschließen. Für Menschen, die auf kreative Weise mit den eigenen Wertvorstellungen und der eigenen Lebensart "die Welt verlassen" möchten, ohne sie physisch und gesellschaftlich zu verlassen.
Bernardin Schellenberger
Bernardin Schellenberger, geb. 1944, war 15 Jahre Trappistenmönch bevor er den Orden verließ, danach 10 Jahre Seelsorger. Seit 1998 ist der Theologe freiberuflich Übersetzer und Autor vor allem spiritueller Literatur. Der viel gefragte Referent und Kursleiter von Besinnungstagen lebt in Fischbachau in Oberbayern.
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Buchvorschau
Benedikt von Nursia - Bernardin Schellenberger
Ein „verinnerlichtes Mönchtum" für die heutige Welt
Papst Gregors Text blieb nicht nur eine allgemeine Anleitung für das innere Leben, sondern er gewann auch zahllose Männer und Frauen für das Mönchsleben nach der Regel, die von seinem Benedikt stammen soll – was aber in der Forschung umstritten ist.¹
Diese Erfolgsgeschichte führte schließlich dazu, dass Papst Gregors Schilderung zunehmend als Erbauungsschrift für klösterliche Insider angesehen wurde, für „Weltmenschen" jedoch eine Wundergeschichte aus einer anderen Welt darstellte.
Das „Jahr der Orden", das Papst Franziskus für 2015 angeregt hat, ist besonders dazu angetan, diesen alten Text aus seinem klösterlichen Umfeld hervorzuholen und als Inspiration auch für Menschen in der heutigen Welt zu erschließen.
In Wirklichkeit gibt es natürlich gar keine zwei verschiedenen Welten, also die Welt derjenigen in den Klöstern und die Welt derer „draußen. Das könnte ein wichtiges Thema für dieses „Jahr der Orden
sein. Der orthodoxe Theologe Paul Evdokimov² hat schon vor jetzt genau fünfzig Jahren die Überzeugung geäußert: „Die Krise, die fast überall das Mönchtum durchzieht, kann einen auf den Gedanken bringen, dass da ein historischer Zyklus zu Ende geht. Das Mönchtum hat nach dem gesucht, was uns Menschen unendlich übersteigt. Diese Dimension hat es der Menschheit insgesamt erschlossen. Damit bewahrte es die Welt vor der schlimmsten Genügsamkeit, nämlich dem Glauben nur an sich selbst, dem Kreisen nur um sich selbst, der Vergötzung nur seiner selbst.
Die mönchische Askese durchzog einmal alle soziologischen Schichten. Sie spielte dabei eine entscheidende pädagogische und prophylaktische Rolle. Die Mönche pflegten das Gebet und die Anbetung und entwickelten die Kunst der Unterscheidung der Geister und der verborgenen Gedanken. Mit ihrer Kultur der spirituellen Achtsamkeit und ihrer Strategie des ‚Kampfes mit dem Unsichtbaren‘ schufen sie einen reinen Spiegel, in dem die Welt sich betrachten und einschätzen konnte."
Evdokimov fuhr dann fort: „Georgi Florowski³ machte darauf aufmerksam, dass ‚man allzu oft den provisorischen Charakter des Mönchtums vergisst‘. Schon der heilige Johannes Chrysostomos hatte eingeräumt, Klöster brauche man nur, solange die Welt nicht christlich sei. Bekehre man sie, so verschwinde das Bedürfnis einer Trennung von der Welt. Im selben Sinn schrieb der heilige Tichon von Sadonsk⁴ an die kirchlichen Autoritäten: ‚Bemüht euch nicht unbedingt darum, die Zahl der Mönche zu vermehren. Das schwarze [Mönchs-]Kleid rettet nicht. Wer das weiße [Welt-]Kleid des Gehorsams, der Demut und der Reinheit trägt, der ist ein echter Mönch des verinnerlichten Mönchtums.‘"
Dieser Begriff des „verinnerlichten Mönchtums", von Evdokimov auf Französisch geprägt: monachisme intériorisé, machte vor fünfzig Jahren die Runde und geriet dann wieder in Vergessenheit. Damit war nicht gemeint, dass jeder Mensch „ein bisschen Mönch spielen" sollte, sondern dass die Mönche existenziell eine sozusagen archetypische spirituelle Grundhaltung anschaulich vorleben, die innerlich für alle Christen wichtig ist. Sie sollten – wie ein Buchtitel lautet⁵ – „den Mönch in sich selbst entdecken". Wenn einmal der Zeitpunkt käme, an dem diese Haltung Allgemeingut der Christenheit geworden sei, werde dieser besondere Stand so gut wie überflüssig, denn dann sei er allgemein verinnerlicht.
Als Evdokimov 1964 schrieb, vermutlich gehe derzeit „ein historischer Zyklus zu Ende", meinte er, deshalb werde wohl die Zeit der vielen Klöster bald vorbei sein. Ab jetzt genügten einige wenige, die noch plakativ mit ihrer Lebensform äußerlich (und natürlich auch innerlich) diese Spiritualität und Lebenseinstellung vor Augen führen sollten, die es allgemein zu verinnerlichen gelte.
Darüber kann man verschiedener Meinung sein. Tatsache aber ist, dass manches unwillkürlich in diese Richtung weist. Es ist ja augenfällig, dass zwar in den letzten paar Jahrzehnten das Interesse für Klöster und klösterliche spirituelle Traditionen gewaltig zugenommen, paradoxerweise aber zugleich die Zahl der Klöster und die Anzahl ihrer Insassen rapide abgenommen hat.
Damit einher geht, dass in viele der noch bestehenden Klöster die Elemente der Mediengesellschaft einziehen. Selbst wenn diese örtlich noch abgelegen liegen mögen, verwenden sie notwendigerweise die modernen Kommunikationsmittel: Heutige Einsiedler verfügen über Internetzugang und Email-Adressen; etliche Kartausen haben inzwischen ihre eigene Homepage und sind per Email erreichbar; ein bekannter Trappist und Autor plädiert dafür, den Novizen ihr Mobiltelefon, das sie ins Kloster mitbringen, zu lassen, weil es für sie heutzutage wie ein Körperteil sei. Wenn aber jetzt Novizen über Twitter täglich ihren Freunden „in der Welt ihre Befindlichkeit und ihre Erfahrungen mitteilen können und die großen spirituellen Meister auch zu Meistern im Sammeln von Flugmeilen, Fahrtkilometern und Bücher-Umsatzzahlen werden, wird sich das entsprechend auf die Tiefe und Qualität ihrer „Wüsten
-Erfahrung auswirken, nämlich nicht gerade intensivierend.
So scheint sich Evdokimovs Ahnung zu erfüllen: Die Werte und Weisheiten des Mönchtums ziehen in die Spiritualität von zunehmend mehr Menschen „in der Welt" ein, wogegen das von der Welt getrennte Mönchtum als Lebensform im umgekehrt proportionalen Verhältnis dazu personell und der spirituellen Substanz nach schrumpft.
Evdokimov schrieb weiter: „Als ehedem die Eremiten in die Wüste gingen, waren sie darauf aus, dem Feind von Angesicht zu Angesicht die Stirn zu bieten. Heute verlagert sich die Wüste, ‚der Aufenthaltsort der Dämonen‘, direkt ins Herz der Menschen, die in der Welt ohne Hoffnung und ohne Gott leben. Deswegen brauchen keine Mönche mehr die Welt zu verlassen, denn die Frontlinie hat sich verlagert."⁶ Sie verläuft jetzt mitten durch jeden einzelnen Menschen. Jeder spirituell wache Mensch wird den Anreiz spüren, auf kreative Weise mit seinen Wertvorstellungen und seiner Lebensart „die Welt zu verlassen", ohne sie physisch und gesellschaftlich zu verlassen – eine große Herausforderung!
„Die Welt verlassen"
Mönch wird man mit dem einschneidenden Schritt, „die Welt zu verlassen".
Spirituell muss das ebenfalls jeder Mensch tun, dem die gängigen Ziele des ihn umgebenden bürgerlichen und sozialen Lebens zu oberflächlich und folglich zu wenig sind, und vielleicht auch sozial zu ungerecht. Das kann ins praktische Leben eine ziemliche Spannung bringen, sofern die Maßstäbe des inneren Weges und des äußeren Lebensverlaufs womöglich immer weiter auseinanderzuklaffen beginnen.
Folglich beginnt Gregor seine spirituelle Anleitung⁷ mit der Erzählung von diesem Schritt des jungen Benedikt, der ihn allerdings plakativ und folglich auch äußerlich radikal tut, indem er sich völlig von der Gesellschaft absetzt.
Diesen Schritt soll er zu Anfang des 6. Jahrhunderts getan haben, und zwar als Student in Rom und schon in jungen Jahren – vermutlich war er noch keine zwanzig. Das könnte ungefähr im Jahr 505 gewesen sein. Im Jahr 476 war der letzte römische Kaiser von einem ostgotischen Heerführer gestürzt worden. Rom war daraufhin auf den Rang einer Provinzhauptstadt herabgesunken und wurde von Korruption und Dekadenz zerfressen. Entwurzelte aus aller Herren Länder sammelten sich dort. Schon seit Jahrhunderten hatte es ein buntes Gemisch aller nur erdenklichen Kulte und Philosophien angezogen. Den jungen Mann aus soliden Verhältnissen in der Provinz stieß das alles ab. So schreibt sein Biograf: Er hatte von Kindheit an das Herz eines weisen Alten. Mit seinem Verhalten war er seinem Alter weit voraus. Er gönnte seinem Geist kein Vergnügen, denn solange er noch auf dieser Erde weilte, die er eine Zeitlang ungehindert hätte genießen können, verachtete er die Welt mit ihrer Blüte, die ihm dürr erschien.
Er entstammte einem freien Geschlecht in der Provinz Nursia und man hatte ihn zum Studium der Freien Künste nach Rom gegeben.
Dabei sah er viele in die Abgründe von Lastern stürzen und zog deshalb seinen Fuß, den er sozusagen gerade erst in die Welt gesetzt hatte, wieder zurück. Er wollte sich nicht von der weltlichen Wissenschaft anstecken lassen und dann womöglich am Ende in eine bodenlose Tiefe stürzen.
So verschmähte er das wissenschaftliche Studium. Er verließ das Haus und die Güter seines Vaters und suchte in seiner Sehnsucht, Gott zu gefallen, einen dementsprechenden Lebensstil.
Er zog sich also wissentlich ins Nichtwissen und mit Weisheit in die Ungelehrtheit zurück.
In diesem Text ist recht pauschal von der Welt- und Wissenschaftsverachtung des Helden die Rede: Benedikt verachtete die Welt mit ihrer Blüte, die ihm dürr erschien. Der lateinische Begriff dafür, mundum despicere, „die Welt verachten", wurde zum Standardbegriff für die Grundhaltung des Mönchs. Wörtlich heißt er: „auf die Welt