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Der Schiedsrichterstaat: Die Macht des Bundesverfassungsgerichts
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eBook126 Seiten1 Stunde

Der Schiedsrichterstaat: Die Macht des Bundesverfassungsgerichts

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Über dieses E-Book

Die beliebtesten Politiker sitzen in Karlsruhe. Ihre Entscheidungsmacht wird nicht in Frage gestellt. Dabei entwickeln die sechzehn Verfassungsrichter ihren ganz eigenen politischen Stil.

Die Richter streiten sich nicht, jedenfalls nicht öffentlich. Sie suchen gemeinsam nach Lösungen und finden (meist) kluge Kompromisse. Sie müssen sich nicht profilieren, denn sie entscheiden als Kollektiv. Sie können unpopuläre Vorschläge machen, weil sie die nächste Wahl nicht zu fürchten brauchen. Und das Beste ist: Sie behaupten, das alles sei gar keine Politik, sondern Verfassungsrecht.

Christian Rath beschreibt, wie die Karlsruher Richter sehr wohl Politik betreiben, indem sie das oft vage Grundgesetz konkretisieren - und warum diese Richterpolitik gerade in Deutschland, der verspäteten Demokratie, so gut ankommt. In anderen politischen Kulturen würde eine so weitgehende Richteraufsicht über die gewählten Volksvertreter kaum akzeptiert. Rath will den Zauber des mächtigsten Gerichts Europas nicht zerstören, aber doch das Verhältnis zu Parlament und Regierung auf eine neue Basis stellen. Die Macht der juristischen Nebenregierung könnte, so die Sorge, die Demokratie beschädigen.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum31. Jan. 2013
ISBN9783803141262
Der Schiedsrichterstaat: Die Macht des Bundesverfassungsgerichts

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    Buchvorschau

    Der Schiedsrichterstaat - Christian Rath

    steuern.

    1. Grundlagen

    1.1 Fixstern Karlsruhe

    Deutschland ist nicht undemokratisch. Der Bundestag ist als Gesetzgeber akzeptiert. Die Bundesregierung gibt die politischen Ziele vor und erarbeitet die Gesetzentwürfe. Doch am Ende von vielen politischen Konflikten entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Deutschland weiß erst, wo’s langgeht, wenn Karlsruhe gesprochen hat.

    Man hat sich daran gewöhnt. Kaum ist ein umstrittenes Gesetz verabschiedet, wird das Bundesverfassungsgericht angerufen. Als 2010 die AKW-Laufzeiten verlängert wurden, klagte die Opposition. Als 2011 der Atomausstieg beschlossen wurde, klagten die Atomkonzerne.

    In Eilfällen geht es sogar über Nacht. Als der Bundestag im Juni 2012 den Euro-Rettungsschirm beschloss, dauerte es nur wenige Stunden, bis in Karlsruhe vier Verfassungsbeschwerden eingingen. Die Gegner – von der Linken bis Peter Gauweiler (CSU) – hatten schon alles vorbereitet.

    Kein Wunder, dass schon der politische Diskurs in Deutschland meist zweigleisig geführt wird. Neben der Frage, ob ein bestimmtes Vorhaben sinnvoll ist, wird zugleich diskutiert, was wohl das Bundesverfassungsgericht dazu sagen wird. Die Gegner eines Vorschlags halten ihn dann für verfassungswidrig, die Befürworter umgekehrt für alternativlos, weil verfassungsrechtlich geboten.

    Manchmal passiert auch einfach gar nichts, bevor das Verfassungsgericht entschieden hat. Sei es, weil die Politik klare Anweisungen erhalten will, sei es, weil man eine unliebsame Entscheidung nach Karlsruhe delegiert.

    Bevor zum Beispiel die Große Koalition 2007 die Online-Durchsuchung im BKA-Gesetz einführte, wartete man das Karlsruher Urteil über ein entsprechendes NRW-Landesgesetz ab. Das Bundesverfassungsgericht erklärte dieses dann für verfassungswidrig, definierte rechtstaatliche Mindeststandards – und die Politik setzte sie anschließend „eins zu eins" im Bundesrecht um.

    Auch die Gleichstellung von Homosexuellen bei der Einkommensteuer kommt nicht voran. Zwar ist nach vorhergehenden Karlsruher Urteilen klar, dass das Steuersplitting auf eingetragene Partner ausgedehnt werden muss. Die schwarzgelbe Koalition will diesen Schluss aber nicht selbst ziehen, sondern sich lieber vom Bundesverfassungsgericht dazu verurteilen lassen.

    1.2 Karlsruher Aufstieg

    Als das Grundgesetz 1949 geschaffen wurde, stieß es in der Bevölkerung auf wenig Interesse. Es sollte ja eh nur eine Übergangsverfassung sein. Auch die neue Institution, die das Grundgesetz verteidigen und auslegen sollte, war nicht mit großen Hoffnungen verbunden.

    Es dauerte etwa zehn Jahre, bis das Bundesverfassungsgericht seine starke Stellung erkämpft und gesichert hatte.² Die Verfassungsrichter mussten sich nicht nur bei der Politik Respekt verschaffen, sondern auch bei den Fachgerichten, deren Urteile von ihnen nun auf die Vereinbarkeit mit der Verfassung geprüft werden konnten.

    Als Schlusspunkt dieser Phase gilt das ZDF-Urteil von 1961. Kanzler Adenauer wollte damals eine Art Regierungssender schaffen, doch das Bundesverfassungsgericht machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Es betonte die Rundfunkhoheit der Länder und forderte Staatsferne des Rundfunks. Die Bundesregierung erklärte das Urteil zwar in einem Kabinettsbeschluss beleidigt für „falsch", fügte sich dann aber doch.

    In derartigen Konflikten lernten die Richter, dass sie sich im Zweifel vor allem auf die Unterstützung der Medien und der öffentlichen Meinung verlassen müssen.³ Schließlich haben sie weder polizeiliche noch finanzielle Machtmittel.

    Diese Verankerung in der Öffentlichkeit ist geglückt. Schon seit Jahrzehnten ist das Bundesverfassungsgericht ein institutioneller Liebling der Bevölkerung.

    Heute haben 78 Prozent der Deutschen großes oder sogar sehr großes Vertrauen in das Bundesverfassungsgericht. Der Bundestag mit 45 Prozent und die Bundesregierung mit 37 Prozent folgen abgeschlagen.

    Außerdem finden es 82 Prozent der Deutschen gut, dass das Bundesverfassungsgericht Gesetze aufheben kann, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Nur 8 Prozent lehnen dies ab. 56 Prozent bewerten den politischen Einfluss des Bundesverfassungsgerichts als angemessen. 14 Prozent wünschen sich ein noch mächtigeres Gericht. Nur 5 Prozent halten das Gericht für zu einflussreich.

    1.3 Karlsruhe ist krisenfest

    Wiederholt wurde in den letzten Jahrzehnten die starke Position des Bundesverfassungsgerichts in Analysen und Prognosen für obsolet erklärt, was sich aber nie nachhaltig bestätigt hat.

    So geriet Karlsruhe in den 1970er-Jahren unter Druck, weil es mehrere sozialliberale Reformvorhaben einschränkte oder kippte:

    – 1973: Die paritätische Besetzung von Hochschulgremien wurde beanstandet. Professoren müssen immer die Mehrheit haben.

    – 1975: Die Fristenregelung, wonach eine Abtreibung bis zum dritten Monat straffrei bleiben sollte, wurde gekippt.

    – 1978: Die Kriegsdienstverweigerung per Postkarte (ohne Gewissensprüfung) wurde gekippt.

    Mit umgekehrten Vorzeichen wiederholte sich die Akzeptanzkrise rund zwanzig Jahre später. Nun geriet das Gericht nach einer Serie liberaler Urteile unter massiven Druck von konservativer Seite:

    – 1994/95: In zwei Beschlüssen wurde der Pazifisten-Slogan »Soldaten sind Mörder« für straflos erklärt.

    – 1995: Sitzblockaden können nicht mehr als Nötigung bestraft werden.

    – 1995: Die staatliche Pflicht zum Anbringen von Kruzifixen in bayerischen Schulräumen wurde beanstandet.

    Am massivsten war der Widerstand beim Kruzifix-Beschluss. Gegen ihn wurden immerhin eine Viertelmillion Unterschriften gesammelt. In München fand eine Demonstration mit 25 000 Teilnehmern statt, zu der der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und die katholische Kirche aufgerufen hatten. Mehrere CSU-Politiker forderten, das Karlsruher Urteil zu missachten.

    Die Akzeptanzkrisen endeten jeweils mit einem Karlsruher Urteil, das die Serie vermeintlich einseitiger Entscheidungen durchbrach. So wies das Bundesverfassungsgericht 1979 die Klage zahlreicher Unternehmerverbände gegen das neue Mitbestimmungsrecht zurück. Es ließ damit – entgegen weit verbreiteter Erwartungen – ein sozialdemokratisches Herzensanliegen passieren.

    Die zweite Krise endete 1996, als das Bundesverfassungsgericht die Demontage des Asylgrundrechts (durch die Einführung von sicheren Herkunfts- und Drittstaaten im Jahr 1993) akzeptierte und sich die konservativen Kritiker wieder beruhigten.

    Am Ende solcher stürmischen Phasen war die Stellung des Bundesverfassungsgerichts wieder so gefestigt wie zuvor.

    1.4 Vorbild Karlsruhe

    Nicht alle Staaten haben ein Verfassungsgericht, weltweit nur 34 von 67 freiheitlich-demokratischen Staaten.⁹ Vor allem aber haben die meisten Staaten kein so starkes Verfassungsgericht.

    Großbritannien zum Beispiel hat nicht einmal eine geschriebene Verfassung, deshalb macht dort auch ein Verfassungsgericht keinen Sinn. Das englische System ist geprägt vom Prinzip der Parlamentssouveränität. Die Vorstellung, dass Richter ein Parlamentsgesetz aufheben können, ist den Briten fremd.

    Die USA gaben sich als einer der ersten Staaten 1787 eine Verfassung. Der Supreme Court (Oberster Gerichtshof) entscheidet aber nicht nur über Verfassungsfragen, sondern auch über die Auslegung von einfachem Bundesrecht.

    Das erste auf Verfassungsfragen spezialisierte Gericht gab es in Österreich. 1919 wurde dort ein Verfassungsgerichtshof eingerichtet. Geistiger Vater war der Rechtsprofessor Hans Kelsen, der den Vorrang der Verfassung vor dem einfachen Gesetz proklamierte. Von 1919 bis 1930 amtierte er auch selbst in Wien als Verfassungsrichter.

    In Deutschland gab es während der Weimarer Republik nur einen Staatsgerichtshof, der Konflikte zwischen dem Reich und den Ländern klären konnte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das österreichische Vorbild aufgegriffen. Mit dem Bundesverfassungsgericht wurde nun auch in Deutschland eine

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