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Was gut war: Ein Alexander-Langer-Abc
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eBook191 Seiten1 Stunde

Was gut war: Ein Alexander-Langer-Abc

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Über dieses E-Book

Wird Südtirols Autonomiegeschichte unzertrennlich mit dem Namen Silvius Magnago verbunden bleiben, so war Alexander Langer der Kontrapunkt dazu. Der 1946 in Sterzing Geborene war Politiker, Polemiker, Visionär, und in allem alternativ. Er war die Verkörperung des "anderen Südtirols". Aus dem radikalen Christen der Jugendjahre wurde zunächst einer der führenden Köpfe der revolutionären 68er-Bewegung Italiens und später ein hoch geachteter Europaparlamentarier. Bis zur physischen und psychischen Erschöpfung widmete er sich dem Frieden zwischen den Menschen und mit der Natur. Am 3. Juli 1995 hat sich Alexander Langer das Leben genommen. Sein Abschiedsbrief endet mit dem Satz: "Macht weiter, was gut war."
Alexander Langer hat schreibend gelebt. Besonders geliebt hat er die Form der Kalender und der Grußkärtchen. Mehrmals hat er zu einem "Südtirol-Abc" angesetzt, brachte ein solches aber nie zu Ende. Immer gab es Wichtigeres zu tun. Unerfüllt blieb auch sein lebenslanger Wunsch, "endlich einmal ein Buch zu schreiben". Diesen Vorlieben folgend wird hier ein Alexander-Langer-Abc vorgelegt. Kein Befolgen eines letzten Wunsches. Vom Vermächtnis nur der Befund, nicht die Aufforderung. Zwanzig Jahre nach dem Tod eine Spurensuche nach dem, "was gut war".
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Raetia
Erscheinungsdatum27. Aug. 2015
ISBN9788872835494
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    Buchvorschau

    Was gut war - Florian Kronbichler

    Garten.

    Alle

    „Wir möchten für alle da sein, wir wollen allen helfen, wir suchen Kontakt mit allen. Unsere Hilfe steht allen offen, unser Gebet gilt allen. Wendet euch an uns, und wir werden euch nach Kräften helfen." Radikaler, maßloser, „totalitärer kann Programm nicht sein. Es ist enthalten im Leitartikel der ersten Nummer von „Offenes Wort, der Zeitschrift der Marianischen Kongregation des Franziskaner-Gymnasiums in Bozen, erschienen im November 1961. Sein Autor: der 15-jährige Alexander Langer. Der Sterzinger Arzt- und Apothekerin-Sohn besucht die sechste Klasse, nach klassischer Zählung das 1. Lyzeum. Er hat die Zeitung gegründet und ist von Anfang an ihr fleißigster – böse Mitschüler sagen: einziger – Schreiber. Genau nachweisen lässt sich die Autorenschaft der einzelnen Beiträge nicht, denn geschrieben wurde in Schülerzeitungen damals mit Vorliebe unter Pseudonym. Der Schüler Langer firmierte sich „miles", was mit Militär zu tun hat. Und militant war er allerdings. Für alle da sein, allen helfen, alle einbeziehen, wird zur Leitlinie in seinem Leben. Und vermutlich zur Schlüsselfrage seines Zusammenbruchs.

    Der blitzgescheite Schüler praktiziert den eingangs zitierten Leitsatz ganz profan schon an seinen Klassenkameraden. Schularbeiten, speziell jene allseits gefürchteten aus Latein und Griechisch, bereiten ihm keine Schwierigkeiten. Nach der Hälfte der vorgegebenen Arbeitszeit war die Übersetzung regelmäßig im Schülerklo deponiert. Seinen Mitschülern zu freier Verfügung. Am Gymnasium wird solche unerlaubte Hilfereichung in den Bereich der Mythenbildung verwiesen. Zumindest die Regel sei es nicht gewesen. Doch Mitschüler bestätigen die Version. Bekennen auch, davon persönlich Gebrauch gemacht zu haben. Der Schüler Alexander schämte sich der Rolle des Klassenprimus, was er unvermeidlich war. Er hielt sich für privilegiert und entschuldigte sich dafür durch besondere Hilfsbereitschaft und Kameradschaftlichkeit.

    Einer wie „alle zu sein, war Alexander ein Anliegen, schon lang bevor er Vorzugsschüler wurde. In den „Minima personalia, seiner sehr poetischen und natürlich unvollendet gebliebenen Autobiografie, gesteht das Bürgerkind, dass es sich geniert hat, daheim nicht Dialekt zu sprechen so wie die anderen Sterzinger Kinder alle. Im Hause Langer wird Hochdeutsch gesprochen, und Kindergarten wird der italienische besucht. Das hatte zwar seine politischen Gründe (der deutsche Kindergarten jener Zeit war noch nazi-infiziert), aber dem kindlichen Gemüt erschien es ebenfalls als eine unbotmäßige Form der Bevorzugung.

    Wer heute jenen ersten Artikel Alexander Langers im „Offenen Wort liest, wird dies mehr mit Entsetzen als mit Bewunderung tun: die Kampfschrift eines Gotteskriegers („miles!). „Wir" sind nichts, „unsere Arbeit im Weinberg Gottes" ist alles. „Wir müssen mit der christlichen Nächstenliebe Ernst machen! Nur keine Halbheiten! Wichtiger ist es, Zeit und Geld, Gebet und Arbeit, alle Kraft und den guten Willen in den Dienst des Nächsten zu stellen, als zu Hause ein spannendes Buch zu lesen, die Zeit zu vertrödeln oder mit Nebensächlichkeiten zu verbringen … Noch einmal, kommt in Schwierigkeiten, wie immer sie auch sein mögen, mit Vertrauen zu uns! Caritas Christi urget nos!". Hier nur von einem begeisterten jungen Menschen zu sprechen, ist untertrieben. Das ist die Prosa eines Fanatikers. Man beachte nur die Anhäufung der Ausrufezeichen.

    Ein „größerer Mitschüler aus Franziskaner-Zeiten, der damals Präfekt der Marianischen Kongregation war, erinnert sich genau: Stellte sich dieser Alexander, der noch ein „Kleiner war, bei ihm vor und bat höflich, ob er ihm „einige Verbesserungsvorschläge für die MK vorlegen dürfe. Welcher Führer einer Jugendgruppe würde sich nicht freuen über solche Nachfrage? Da zog Alexander ein Heft heraus, und darin hatte er 19 Punkte (neunzehn!) aufgeschrieben, von denen jeder Punkt für sich allein ein halbes Regierungsprogramm war. Die wegweisendsten darunter waren: die Herausgabe einer Zeitung (dann verwirklicht mit dem „Offenen Wort), die Zusammenarbeit mit der Vinzenzkonferenz (was sich im freiwilligen Kohle- und Holztragen für arme Menschen in der Stadt niederschlug) und: Zusammenarbeit mit der italienischen Pfarrjugend.

    Das Prophetische, das Soziale und das Interethnische, drei Kernthemen, die Alexander Langer ein Leben lang beschäftigen werden. Derselbe MK-Präfekt von damals erinnert sich heute noch, er habe dem idealistischen Buben ins Gewissen geredet: „Gib Acht, dass du nicht durch das Bessere das Gute gefährdest." Darauf habe dieser geantwortet, er wolle sich ans Bibelwort halten: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist." Der junge Langer versprach jedoch auch: „Ich werde deinen Ratschlag bedenken."

    Es darf gefragt werden, warum die Patres dem schwärmerischen Zögling nicht beizeiten in den Arm gefallen sind. Sind sie doch in Erziehungsfragen geübt. Auch dürfte der Zögling Alexander nicht ihr erster Heißsporn gewesen sein. Mit dieser Frage trifft man im Bozner Franziskanerkloster heute keineswegs auf unvorbereitete „Hinterbliebene. Man beansprucht dort zwar nicht, „heilsam mäßigend eingegriffen zu haben, aber immerhin doch, dass die Patres „die Ersten waren, die dem Langer die Gefolgschaft verweigert haben".

    Im Kollegium des Franziskanergymnasiums blieb es eine Zeit lang ein unausgesprochenes Ratespiel, wer von den Patres glücklich gewesen wäre und wer entsetzt, wenn der Musterschüler Alexander Langer ins Kloster eingetreten wäre. Er hatte es nach der Matura fest vor und diesen Wunsch einigen der Patres auch anvertraut. Ohne die mehrheitlich verstorbenen Professoren unbefugt in den Zeugenstand rufen zu wollen, wer die seinerzeitigen Gespräche mitverfolgt hat, glaubt zu wissen: Nur eine Minderheit wünschte sich einen Konfrater Alexander (der dann vermutlich den Klosternamen Christophorus angenommen hätte). Zwar war man mehrheitlich stolz auf ihn, bewunderte seine Arbeitsleistung, vor allem sein Organisationstalent und das stets zielgerichtete Denken, aber Mitbruder?

    Es wurde sehr an seiner „Gemeinschaftsverträglichkeit gezweifelt. Der „Idealist, für den man ihn hielt und was ganz und gar nicht nur hochachtungsvoll gemeint war, steht immer vor der Gemeinde und nie mitten in ihr drin. Ganz sicher wäre ein Bruder Alexander bald wieder ausgetreten. Oder er wäre ausgetreten „worden" (weil er den Orden reformieren wollte). In dieser Einschätzung waren sich die Bozner Patres einig, spätestens dann, als zu Ende der 60er-Jahre eine große Austrittswelle auch den Südtiroler Klerus erfasste.

    Aber es kam ja nicht so weit. Alexander Langer wurde auf andere Weise die Vermessenheit seines „Allheit-Anspruchs vor Augen geführt. Als Student in Florenz setzt er zunächst sein christlichmissionarisches Leben fort (die spirituell eher genügsamen Südtiroler Kommilitonen von der SH-Bude erzählen mit einem gewissen Schrecken davon) und tritt in Kontakt mit engagierten christlichen Gemeinden. Das Zweite Vatikanische Konzil ist im Gang, und dessen Aufbruchsgeist weht hier besonders. Langer, Jus-Student und gierig auf alles, was sich regt an Neuem, findet zum Kreis des „Cenacolo und des „Isolotto", politisierte christliche Diskussionsgruppen, und: zu Don Lorenzo Milani.

    Es ist das Zusammentreffen zweier Wesensverwandter, nur Don Milani war konsequenter. Großbürgerkind gleich wie Langer, gleich jüdischer Herkunft auch, gleich hochbegabt und von gleichem Gerechtigkeits- und Sozialsinn beseelt, setzt der Florentiner Intellektuelle den Schritt zum „Dienst Gottes ganz, indem er Priester wird. Unvermeidlich gerät er mit der kirchlichen Autorität in Konflikt. Vom eigenen Bischof wird er in das Bergnest Barbiana verbannt, wo Don Milani mit Bauern- und Arbeiterkindern seine berühmte „Schülerschule aufbaut.

    Aber nicht davon sei hier die Rede, sondern von dem Privileg, das Don Milani seinem Bewunderer Langer gewährte, und von der Schelte, die er ihm erteilte. Der selbst hochstudierte Priester ging in seiner Abneigung gegen alles Elitäre und Kopflastige so weit, dass er all jenen, die mehr als den Mittelschulabschluss hatten, den Zutritt in sein Pfarrhaus verweigerte. Seinen studierten Verehrern gab er den Rat, sie sollten die Universität verlassen und zuerst die einfachen Leute auf das Bildungsniveau bringen, auf dem sie selber standen. Erst dann könnten sie – Schritt für Schritt – miteinander weitergehen. Andernfalls, wenn die einen voranliefen, würden die anderen nie folgen können.

    Langer verstand die Botschaft wohl, nur, das Universitätsstudium zu schmeißen, zu so radikal-altruistischem Gleichheitsdenken ließ er sich nicht hinreißen. Aus schlechtem Gewissen, und sozusagen als Entschädigung, gründete er zusammen mit Gleichgesinnten eine Abendschule für Arbeiterkinder. Don Milani versetzte den Jünger Langer aber noch in einen weiteren Gewissenskonflikt. Er stellte ihm (stellvertretend für alle hochmoralischen Intellektuellen) die Frage, wie viele „unsere Nächsten sein können. „Jemand kann nicht wirklich mehr als drei-vierhundert Menschen lieben, sagte er ihm.

    Drei-vierhundert Menschen – sind das viele? Es muss sehr ernüchternd gewesen sein für das jugendlich-schwärmerische Gemüt, das sich zum Lebensmotto gesetzt hat: „Wir möchten für alle da sein." Der Leitspruch aus Gymnasialzeiten begleitete ihn sein ganzes Politikerleben lang. Wiewohl nach Organisation und Programm immer in Minderheit, in extremer Minderheit sogar und in hartem Konflikt mit der Mehrheit, beanspruchte Langer immer, für „alle" zu sprechen. Es mag das Drama des Idealisten sein: nicht ertragen zu können, dass andere nicht so denken, wie er denkt.

    Niemandem Nein sagen zu können, wird am häufigsten als Langers eigentliche Schwäche genannt. Immer für alle da zu sein, war ihm Anspruch und Fluch. Mit wem immer er sprach, wen er traf oder wem er auch nur ein Kärtchen schrieb, der Adressat gewann den Eindruck, er sei in diesem Moment der einzige wichtige Mensch für Alexander Langer. Dass es allen so erging, war vermutlich nur dem Alle-Vertreter Langer bewusst. Das verzweifelte „Ich derpack’s einfach nimmer", geschrieben zum Abschied von seinem Leben, ist tragisch-logische Konsequenz solcher Überforderung.

    Miteinander dagegen: Die 68er-Protestbewegung regt sich in Bozen.

    Langer (mit Schildmütze) ist von Anfang an mitten drin.

    Brücke

    Luigi Pintor, der 2003 verstorbene Gründer der Zeitung „il manifesto, ein Meister des Worts, schreibt in seinem autobiografischen Bändchen „il nespolo: „Das Glück des Nazareners (Jesu) war es, dass er auf die vier besten Chronisten der Geschichte gestoßen ist. Gemeint: die Evangelisten. „Sie erzählen, und tun nicht theoretisieren, und sie sprechen in Gleichnissen statt in Begriffen.

    Nun ist Alexander Langer zwar kein Evangelist, aber in seiner Sprache hält er sich zeitlebens mehr an die Bibel als an die Theorie-Akrobaten seiner Zeit. Nur für eine verhältnismäßig kurze Zeit ist er der vermeintlichen Unwiderstehlichkeit des Soziologendeutschs der 68er-Generation erlegen. Das war in der ersten Zeit seiner Mitarbeit an der Zeitung „Lotta continua" und bei der Dissertation zu seinem Soziologie-Doktorat in Trient (1972). Da schrieb der Christ, der beweisen wollte, dass er nun Marxist war. Es blieb eine verzeihliche, weil kurze und bereute Geschmacksverirrung eines sonst kraftvollen und stilsicheren Schreibers.

    Kein Südtiroler Autor war bibelfester und bediente sich

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