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Die 13 Tage nach der Hinrichtung
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Die 13 Tage nach der Hinrichtung
eBook292 Seiten3 Stunden

Die 13 Tage nach der Hinrichtung

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Über dieses E-Book

In einer Zeit, wo über Rechtsradikalismus und Zivilcourage wieder heiß diskutiert wird, kommt ein Buch auf den Markt, das die schicksalhafte Wende im Leben eines Zeitungsreporters beleuchtet. Der Autor Felix H. Bendig, selbst erfahrener Redakteur und Reporter, schrieb eine Geschichte nieder, die er zu einem gewissen Teil selbst erlebt hat.
Aus dem Inhalt: Dies ist die Geschichte des Reporters Winfried Regenstein, der im Strudel des beruflichen, gesellschaftlichen und gesundheitlichen Abstiegs in unverhoffte Versuchung gerät. Als er eines Nachts aus seiner Stammkneipe kommt, wird er unfreiwillig Zeuge einer rituellen Hinrichtung. Anstatt Hilfe zu holen, fotografiert er das unheimliche Szenario. Wie in Trance drückt er immer wieder auf den Auslöser seiner Kamera und löst damit zugleich eine dramatische Wende in seinem Leben aus. In den darauf folgenden 13 Tagen geht er durch eine Hölle.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum14. Sept. 2015
ISBN9783738641363
Die 13 Tage nach der Hinrichtung
Autor

Felix H. Bendig

Felix H. Bendig, geboren in Ostpreußen, Wahlhamburger, Zeitungsvolontariat, Akademie für Publizistik, politischer Redakteur, Studium der Naturheilkunde, Dozent für Anatomie in Hamburg, Medizinjournalist und niedergelassener Heilpraktiker. Viele Jahre Leiter des nach ihm benannten „Felix-Theaters“ in Hamburg. Er verbrachte sieben Jahre an der türkischen Riviera. Zurzeit lebe er in Hamburg. Seine Veröffentlichungen: Siehe www.felixbooks.info, die Seiten eBooks, Erzählungen und Videos.

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    Buchvorschau

    Die 13 Tage nach der Hinrichtung - Felix H. Bendig

    Inhaltsverzeichnis

    Die Hinrichtung

    Erster Tag

    Zweiter Tag

    Dritter Tag

    Vierter Tag

    Fünfter Tag

    Sechster Tag

    Achter Tag

    Neunter Tag

    Zehnter Tag

    Elfter Tag

    Zwölfter Tag

    Dreizehnter Tag

    Impressum

    Die Hinrichtung

    Die...die sollen...mmich noch kenn'lernen! Winfried Regenstein stand breitbeinig vor seinem Auto. Mit einer weit ausholenden Handbewegung deutete er auf die schlafende Stadt. Alle soll'nse mich... Er taumelte, krallte sich mit verzögerter Reaktion an der Dachrinne seines Fahrzeuges fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. ...noch kenn'lern...soll'nse mich, ja!

    Er hatte inzwischen seinen Mantel auf der Kühlerhaube ausgebreitet. Jetzt tastete er umständlich das Jackett und seine Hosentaschen nach den Autoschlüsseln ab. Er wendete den Kopf, legte ihn schräg. War da was? Für Sekunden stand er still, jede Schaukelbewegung unterdrückend, nur die Augen drehten sich spähend mal nach links, mal nach rechts, bis sich der Mond hinter einer Wolkenwand hervorschob und den Parkplatz in ein bläuliches Licht tauchte. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er über das Autodach hinweg zu den nahen Begrenzungsbüschen. Da war es wieder. Er hörte unterdrückte Wortfetzen - zwei Lichter huschten jenseits der Zweige hin und her... Von Neugier angezogen, einen Fuß vor den anderen setzend, bewegte er sich vorsichtig auf die Geräuschquelle zu, das rechte Ohr nach vorn gerichtet, den Mund lauschend geöffnet.

    Regenstein teilte die Zweige ... Großer Gott, was war das?? Mit stockendem Atem starrte er auf die vom Mondlicht beschienene Szene. Etwa ein Dutzend Gestalten mit schwarzen Kapuzen über dem Kopf standen da in einem Halbkreis, ihm zugewandt. Alle hatten eine Hand auf die Brust gepresst, während die andere bei ausgestrecktem Arm auf eine kleinere Gruppe zu deuten schien - das Zentrum der nächtlichen Szenerie: Zwei Vermummte, die blanke Schwerter zum Himmel reckten und zugleich einen Fuß auf die Schultern eines Gefesselten drückten, den sie so zu Boden zwangen. Ganz außen standen zwei Kapuzengestalten mit brennenden Fackeln in den Händen.

    Regenstein schloss die Augen, sekundenlang. Dann wendete er den Kopf und suchte auf dem verlassenen Parkplatz sein Auto. Da. Auf der Kühlerhaube lag noch sein Mantel.

    Vorsichtig drückte Regenstein die Zweige zur Seite, dann stolperte er zurück. Alles drehte sich, seine Knie ließen jede Festigkeit vermissen, aber irgendetwas war anders. Ja, das war es: Er wusste jetzt, was er wollte...

    Wie in Trance erreichte er sein Auto Er fühlte die innere Anspannung, die Konzentration. Wachbleiben! Wachbleiben! hämmerte es in seinem Schädel. Er zog den Mantel von der Kühlerhaube und hörte im gleichen Augenblick den dumpfen Aufprall. Die Schlüssel. Er bückte sich, kniete, klopfte den Boden ab. Oh Gott, diese Dunkelheit! Da. Ja, da waren sie. Regenstein schloss den Kofferraum auf, ertastete auf Anhieb die Kamera, die immer schussbereit war. Schon auf dem Weg zu seinem schützenden Buschwerk versuchte er - mehr fühlend als sehend - Blende und Belichtungszeit den extremen Verhältnissen anzupassen. Kaum war er zwischen den Büschen untergetaucht, nahm er probeweise die Kamera vors Auge... Die gesichtlosen Gestalten folgten synchron mit ihren Sehschlitzen den zum Himmel gereckten Armen, die nur von den fahl schimmernden Schwertern überragt wurden - Klick! Er erschrak. Nie zuvor hatte er den Auslöser als laut empfunden. Dann, wie auf ein unhörbares Kommando, schnellten die Arme wie ein Fallbeil herunter. Schwarz behandschuhte Hände zeigten aus allen Richtungen auf den Gefesselten - klick! Eines der Schwerter bewegte sich, holte aus - ein Ruck ging durch die Menge - dann sauste das blanke Metall nieder. Dumpf klang der Aufschlag - klick!

    Regenstein nahm kurz den Apparat von seinen Augen. Bewegung ging durch die Reihe, unterdrücktes Murmeln unter den Kapuzen. Irgendwie war ihm die Sicht versperrt. Er vergaß alle Vorsicht und richtete sich auf. Da sah er es: Ein dicker Blutschwall drang aus dem Hals des Gefesselten. Der Kopf war, halb abgetrennt, zur Seite geknickt. Regenstein hielt sich taumelnd an den dünnen Zweigen fest.

    Er duckte sich, als jetzt der andere Vermummte mit seinem Schwert ausholte, einmal, zweimal, immer wieder und immer schneller. Regenstein zitterte. Die Kamera schien aus seinen Händen zu gleiten. Mit geschlossenen Augen drückte er wie wild auf den Auslöser, dann brach er durch die Zweige und stürzte davon, ohne sich darum zu kümmern, dass man ihn vielleicht hätte hören können. Er stolperte mehr als er lief. Kurz vor seinem Auto knickte er in den Knien ein und stürzte. Noch im Fallen presste er schützend die Kamera an seine Brust. Dann musste er sich übergeben.

    Als Regenstein sich besann, wo er war und was er soeben gesehen hatte, geriet er erneut in Panik. Sein hastiger Versuch, aufzustehen und das Auto zu erreichen, schlug ein paar Mal fehl. Immer wieder versagten die Beine ihren Dienst, bis er endlich den Kofferraum seines Wagens erreicht hatte, bis endlich sein Fotoapparat sicher verstaut war. Jetzt erst atmete er erleichtert auf.

    Immer noch unsicheren Schrittes verließ er den Parkplatz, wankte über die verlassene Straße und betrat die kleine Nachtbar, die er vor gut einer Stunde verlassen hatte.

    Verträumte Musik kroch aus irgendeiner Ecke. An der rötlich erleuchteten Theke saß ein junges Pärchen. Der Barkeeper schenkte ihnen gerade die Gläser voll. Weiter hinten, wo es zu den Toiletten ging, saß noch ein einzelner Herr, das war alles.

    Hallo, Alois, begrüßte Regenstein den Barmann.

    He, Winnie, ich denke du liegst schon im Bett?

    Du, ich muss dringend telefonieren...oder kannst du für mich... Regenstein wollte sich gerade auf einen Hocker setzen, als sich wieder alles um ihn drehte. Mit äußerster Kraft klammerte er sich an der Theke fest.

    Mann, bist du voll, Winnie, ich bestell' dir ein Taxi, ja?

    Quatsch nicht! Ruf sofort die Polizei. Drüben, gegenüber vom Parkplatz passieren gerade schreckliche Dinge. Ich glaube..., nein, ich weiß, ich habe einen Mord gesehen...

    Er wischte sich den Schweiß vom Nacken. Alois rührte sich nicht. Er schaute Regenstein nur etwas mitfühlend an.

    Nun beruhige dich erst einmal und trink einen Doppelten, und dann erzählst du, was du gesehen haben willst...

    Unsinn, Regenstein richtete sich auf und starrte den Keeper drohend an, die sind noch dabei, eine fürchterliche Metzelei..., die Polizei... - hörst du, sofort!

    Der Barkeeper öffnete kopfschüttelnd die kleine Schwingtür und kam hinter seiner Theke hervor.

    Auf deine Verantwortung, Winnie, du gehst vor die Tür und empfängst die Bullen. Ich will sie nicht hier drin haben. Aufreizend langsam bewegte er sich zum Telefon.

    ...ein Gast will hier etwas gesehen haben..., schnappte Regenstein auf. Verdammter Idiot, dachte er. Regenstein stürzte den Schnaps hinunter, den ihn der Barmann hingestellt hatte. Als er sich eine Zigarette anstecken wollte, machte er mehrere vergebliche Versuche, ein Streichholz an der Reibfläche zu entzünden, so sehr zitterten seine Hände. Das junge Paar an der Theke schaute zuerst irritiert herüber, dann eher mitfühlend. Der Mann kam gemächlich auf Regenstein zu und hielt ihm sein entflammtes Feuerzeug unter die Nase.

    Wird schon wieder werden, Kumpel, tröstete er und schaukelte grinsend zu seiner Begleiterin zurück. Regenstein nahm das alles aus den Augenwinkeln wie durch einen Schleier wahr. Sein Blick heftete sich an ein bleiches, knochiges Gesicht, das vis-à-vis zwischen einer Lücke aufgereihter Biergläser hervorschaute - verängstigt, abweisend. Die umschatteten Augen tief in den Höhlen, die Pupillen klein und stechend, die Wangen eingefallen. Das farblose schüttere Haar wirr abstehend... - Mein Gott, das war doch nicht er? Oder doch? Das Warten verursachte ihm unerträgliche Schmerzen. Hastig warf er ein Geldstück auf die Theke und stürzte hinaus.

    Von weitem sah er, wie ein Polizeiwagen mit Blaulicht, aber ohne Martinshorn, die Straße einbog. Regenstein stellte sich mitten auf die Fahrbahn und winkte. Ein Polizeibeamter kurbelte die Scheibe herunter:

    Haben Sie uns gerufen? Bitte, steigen Sie ein.

    Regenstein nahm hinter den beiden Polizisten im Wagen Platz. Es ist gleich um die Ecke hinter dem Parkplatz. Der Beamte am Steuer nickte nur. Regenstein spürte plötzlich wieder diese Übelkeit in der Magengegend, als der Polizeiwagen in forschem Tempo über alle Unebenheiten der Straße hinwegfegte. Besonders in scharfen Kurven musste Regenstein seine Hände vor den Mund pressen. Plötzlich waren sie da.

    Die Beamten sprangen aus dem Wagen und hetzten auf ein Bündel zu, das vom Scheinwerferlicht nur unzureichend angestrahlt wurde. Regenstein sah, wie die Beamten in die Hocke gingen, wie ihre Taschenlampen aufblitzten und die Lichtkegel die engere Umgebung abtasteten. Wie auf Kommando sprangen beide auf und kamen zurückgelaufen. Der Beifahrer griff sofort zum Sprechfunkgerät.

    Theo 14 an Zentrale, bitte kommen! Ja bitte, was gibt's, Theo 14? - Wir sind auf dem alten Trümmergrundstück neben dem Parkplatz der Hollyday-Bar - ja, die kleine Straße zum Hanfberg hinauf. Männliche Leiche, vermutlich Ausländer, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Bitte alles Nötige veranlassen. Täterbeschreibung für Fahndung in wenigen Minuten, Ende. -

    Regenstein richtete sich mühsam auf. Er begriff noch nicht alles. Nur eines wurde immer deutlicher: das war keine Einbildung, kein böser Streich der Sinne im Alkoholrausch.

    Wie ist Ihr Name? hörte er den Beamten fragen. Regenstein besann sich. Er wollte sprechen, aber sein Hals war wie zugeschnürt. Er würgte, presste, riss den Mund auf, bis er sich mit einem verunglückten R befreien konnte: Rrrre...regenstein. - Ihre vollständigen Personalien nehmen wir später auf. Sagen Sie nur kurz, wie die Täter aussahen.

    Während der Fahrer ein Notizbuch zur Hand nahm, griff der Beifahrer abermals zum Sprechgerät. Regenstein reckte den Kopf hoch und räusperte sich. Er beschrieb die schwarzen Gestalten so gut es ging. Aber er musste ein paar Mal neu ansetzen, da ihn grässliche Würgegefühle am Sprechen hinderten. Schließlich winkte der Beamte mit dem Funkgerät ab. Das reicht. Dann gab er in knappen Sätzen die Beschreibung durch. Er wandte sich fast entschuldigend an Regenstein:

    Wir brauchen noch Ihre Unterstützung, die Kollegen von der Kriminalpolizei werden gleich eintreffen und noch Fragen an Sie richten. Er deutete auf das Bündel am Ende des Scheinwerferlichts: Wenn Sie empfindlich sind, drehen Sie sich einfach um, wir müssen näher heranfahren.

    Regenstein drehte sich nicht weg. Während der Wagen langsam anfuhr, sah er das dunkle Etwas immer näher kommen. Er erkannte jetzt die Umrisse einer menschlichen Gestalt - in einer Blutlache, der Oberkörper von roten Streifen durchfurcht, etwa ein halber Meter vom Körper entfernt lag der blutverschmierte Kopf, das Gesicht zum Himmel gewandt, Augen und Mund weit aufgerissen. Regenstein röchelte, rang nach Luft.

    Sie sollen wegschauen, zischte der Beamte am Steuer. Regenstein blickte zum Seitenfenster hinaus und machte wohl ein halbes Dutzend Scheinwerferpaare aus, die von der Straße einbogen. Die beiden Polizisten waren schon draußen, um die Fahrzeuge in die richtigen Positionen zu dirigieren. Mächtige Scheinwerfer wurden aufgestellt. Der ganze Platz war nach kurzer Zeit von gleißendem Licht durchflutet. Regenstein beobachtete das rege Treiben da draußen. Er hatte den Eindruck, dass jeder Zentimeter der Leiche fotografiert wurde. Irgendwie beneidete er die Beamten, die hier so ungestört mit dem Blitzlicht umherfeuern konnten. Er sah, wie sich eine andere Gruppe von Fotografen auf die Umgebung stürzte. Wieder andere sammelten mit der Pinzette Gegenstände in Plastiktüten. Regenstein schreckte auf, als die Wagentür aufgerissen wurde.

    Sind Sie Herr Regenstein? Regenstein blickte in das freundliche Gesicht eines Mannes so um die 40, der sich rasch neben ihn setzte und die Tür wieder zuschlug. Mein Name ist Langenberg, Mordkommission. Hier... Er fingerte routiniert seine Dienstmarke aus der Brusttasche und hielt sie Regenstein vors Gesicht. Dieser nickte nur und bemerkte, dass die kalten, grauen Augen überhaupt nicht zu dem freundlich lächelnden Gesicht passten.

    Was haben Sie denn nun genau gesehen, Herr Regenstein? Regenstein atmete tief durch. Die bleierne Müdigkeit, der Alkoholnebel, alles war plötzlich wie weggeblasen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was sich hier abgespielt haben musste.

    Er schilderte noch einmal in allen Einzelheiten, was er gesehen hatte. Aber er beschrieb alles so, als habe seine Beobachtung gerade in dem Moment begonnen, als der Mord passierte. Von seinen Aufnahmen sagte er nichts.

    Kommen Sie morgen früh in mein Büro. Vielleicht fällt Ihnen ja noch etwas ein. Für mich ist alles wichtig, auch wenn es in ihren Augen noch so belanglos erscheint. Hier meine Karte.

    Langenberg tippte mit dem Bleistift an seinen Hut und quetschte sich aus dem Wagen. Bevor er die Wagentür zuschlug, steckte er noch einmal den Kopf herein:

    Sie können jetzt nach Hause gehen, gute Nacht. Und noch was: Setzen Sie sich heute nicht mehr ans Steuer.

    Regenstein schlug seinen Mantelkragen hoch und stieg steifbeinig aus dem Polizeiwagen. Er sah noch die schattigen Umrisse von Langenberg, der sich gerade über die Leiche beugte. Regenstein drehte sich abrupt weg und schritt schnell auf jene Buschreihe zu, hinter der er seinen Wagen vermutete. Während er die Autoschlüssel aus der Manteltasche fingerte, dachte er einen Augenblick an die Worte des Kommissars. Dann schüttelte er unwillig den Kopf und schloss den Wagen auf. Blödsinn! Er hatte sich noch niemals so nüchtern gefühlt. Als er sein Fahrzeug in Richtung Redaktion lenkte, kamen ihm Zweifel, ob er richtig gehandelt hatte. Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen: Wenn eines der Bilder gelungen war, erschien morgen vielleicht ein Foto. Dann würde der Kommissar fragen, warum er das verschwiegen hatte. Ach was. Vielleicht waren die Fotos sowieso nichts geworden oder der Alte wird so etwas aus Prinzip nicht bringen.

    Regenstein schloss die kleine Eisentür auf, die auf den Innenhof des Zeitungsgebäudes führte. Er ging die schwach beleuchtete Steintreppe zur Mettage hinauf, wo auf langen Metalltischen für jede Zeitungsseite ein leeres Satzschiff für den nächsten Tag bereitstand. Hier ließen Redakteure und Metteure in einvernehmlicher Zusammenarbeit neue Seiten entstehen. Regenstein stapfte ein weiteres Stockwerk hinauf und erreichte die verlassene Redaktion. Nein, da war doch jemand. Er hörte eine brüchige Stimme singen: ...schön ist die Ju-hugend, sie kommt nicht mehr... Ach ja. Die gute Frau Schlüter. Teils singend, teils in endlosen Selbstgesprächen vertieft, verrichtete sie seit über 30 Jahren ihren nächtlichen Dienst - mit Staubtuch, Schrubber und Besen. Regenstein erinnerte sich, dass er die Mittsiebzigerin einmal von halber Treppe her belauscht hatte, als sie mit einer imaginären Person ein heftiges Streitgespräch führte. Das war vor 14 Tagen. Er war noch nicht lange im lokalen Außendienst.

    Guten Abend, Frau Schlüter! Oder besser: Guten Morgen! Regenstein wusste, dass man nur mit sehr lauter Stimme an sie herankam. Die Glastüren zu den Redaktionsräumen standen offen. Frau Schlüter rubbelte gerade mit einem karierten Waschlappen auf einem Schreibtisch des Kinderzimmers herum. Als sie Regenstein sah, kam sie sofort mit steifen Hüften auf ihn zugewackelt.

    Herr Regenschein, das ist ein Schkandal, die alte Frau blieb keuchend vor ihm stehen.

    Aber so beruhigen Sie sich doch, Frau Schlüter. Übrigens: Ich heiße Regenstein.

    Ach ja. Aber das ist doch ein Schkandal. Ich arbeite über dreißig Jahre hier, Nacht für Nacht. Keiner hat nicht gesagt, dass ich nicht sauber bin. Und Nu lesen Se mal, was sie schreibt, diese Frau. Franziska Schlüter, so erinnerte sich Regenstein, war Tochter des Fleischermeisters Gottfried Schlüter. Wie man sich erzählte, hatte sie nach zwei geplatzten Verlobungen in ihrer frühen Jugend den heroischen Entschluss gefasst, ledig zu bleiben.

    Sie sah ihn über den Rand ihrer Brille mit funkelnden Augen an. Regenstein nahm einen kleinen Zettel entgegen, den die Schlüter wohl mehrmals zusammengeknautscht, weggeworfen und abermals geglättet hatte. Er las:

    Liebe Frau Schlüter, bitte räumen Sie nicht die Schreibtische auf. Viele Kollegen haben da ihre eigene Ordnung. Konzentrieren Sie sich ganz auf die Glaswände, Glastüren und auf die Fußböden bis in alle Winkel und Ecken. Ihre Ursula Schiemann, Redaktionssekretariat.

    Ist das nicht ein Schkandal? wollte sie wissen.

    Der Mann hätte noch leben können, wenn ich...

    Was? Sagen Sie doch, ist das nicht ein Schkandal??

    Regenstein schreckte auf, überlegte, wie lange ihn die Alte noch aufhalten würde, wenn er die Partei von Uschi ergriff. Er entschied sich anders.

    Ich behalte den Zettel und spreche morgen mit Frau Schiemann. Die Schlüter strahlte.

    Danke, Herr Sonnenschein.

    Ich heiße Re... Schon gut, ich muss jetzt arbeiten. Regenstein stellte seine Kamera zu den anderen Apparaten in ein Regal neben dem Fotolabor. Er schob noch einen flink entworfenen Zettel darunter, auf dem er auf die spärliche Belichtung hinwies. Dann ging er ins Chefzimmer und brachte folgende Zeilen zu Papier:

    Sehr geehrter Herr Hagedorn, ich habe heute Nacht eine Szenerie fotografiert, bei der ein Mord passierte. Es war eine Gruppe von Vermummten. Sollten die Fotos etwas geworden sein, so lassen Sie bitte aktuelles Material bei Kriminalkommissar Langenberg beschaffen. Ihr Winfried Regenstein.

    Regenstein überflog noch einmal die Zeilen, nickte zufrieden und legte den Zettel ganz oben auf den aktuellen Manuskriptberg. Als Regenstein etwas matt die Steintreppen hinunterging, sah er noch, wie Franziska Schlüter, nunmehr in der Lokalredaktion die Glaswände reinigend, wild gestikulierend mit jemandem stritt.

    Ein wenig Erleichterung verspürte Regenstein, als er jetzt sein Auto stadtauswärts in Richtung Vogelparadies lenkte. Das Viertel, in dem er wohnte, wurde so benannt, weil sich hier die wichtigsten Vogelarten vereinigten - auf den Straßenschildern. Er wohnte in der Fasanengasse. Eine halbe Stunde später stoppte er sein Fahrzeug scharf ab. Fast hatte er die kleine Einfahrt verpasst. Dunkel und drohend hob sich der Backsteinbau vom Himmel ab. Warum hatte er in letzter Zeit bloß immer das Gefühl, hier nicht willkommen zu sein. Die heruntergelassenen Rollläden verstärkten noch den Eindruck von Abweisung und Feindseligkeit.Ohne Licht zu machen schlich er ins Bett. Agnes wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere und schlug manchmal mit den Armen um sich. Regenstein war erschöpft und wach zugleich. Gesichter bedrängten ihn, kamen immer näher, richteten Fragen an ihn - quälende, schmerzhafte, betäubende. Er sah ein blutdurchtränktes Bündel im Scheinwerferlicht, hörte Wortfetzen des Polizeifunks, dann wieder die brüchige Stimme der alten Frau Schlüter. Ohne zu wissen, ob er schlief oder wachte, dämmerte Regenstein dem neuen Tag entgegen. Es würde der erste Tag nach der Hinrichtung sein.

    Erster Tag

    Regenstein fuhr aus tiefem Schlaf hoch.

    Heerst nich?

    Jemand kratzte an der Tür.

    Wänfried...Tälefon!

    Ich komme.

    Regenstein warf einen prüfenden Blick auf Agnes. Mit geübter Vorsicht entfernte er sich von der quietschenden Unterlage, schwang sich den Morgenmantel um die Schultern und schlich zur Tür hinaus.

    Mänsch, Wänfriedche, was dänkt diene Fru...ich waacht un waacht... Tälefon, de Schiemannsche.

    Tante Martha gab sich alle Mühe, leise zu sprechen. Regenstein wischte seine Augen, knetete seine Stirn. Es war ihm, als tutete ihm Martha die Nachricht mit einem Megaphon zu. Regenstein nahm den Hörer vom Garderobenschränkchen:

    Ja, Regen... -

    Du, der Alte ist ganz entzückt von den Bildern. Ich finde, solche scheußlichen Sachen sollten wir überhaupt nicht bringen. Aber na. Du, die Kripo will dich dringend sprechen. Ein Herr Langenberg hat schon ein paar Mal...

    Wer spricht da?

    Regenstein massierte heftig seinen Nacken.

    Ach, Uschi... - Was ist mit dem Alten? Bilder? Ich habe keine... - Moment, ganz langsam. Ach ja, heute Nacht. Langenberg, ja, ich bin im Bilde. Wir sehen uns bei Andruck.

    Windried Regenstein hetzte an Martha vorbei, die etwas verwirrt über den Rand ihrer Brille blinzelte.

    Was is nu mit Friestick...

    Keine Zeit Marthachen, ich habe einen Termin.

    Kein Friestick nich? Du kannst nich immer wurrachen und wurrachen...

    Wenig später saß er schon im Vorzimmer des Kriminalkommissariats Süd. Herr Langenberg war in einer Konferenz. Er musste also warten. Er steckte sich eine Zigarette an. Prompt spürte er ein Ziehen in der Magengegend. Frühstücken hätte er sollen. Oder wie Martha sagt: Friesticken. Ach ja, Tante Martha. Sie war völlig verbiestert, seit seiner Versetzung in den Außendienst. Mal wollte er friesticken, mal nicht, mal schlief er lange, mal stand er früh auf. Und dann diese Geheimniskrämerei Agnes gegenüber. Er hatte Martha nachdrücklich eingeschärft, nichts von seiner Versetzung in den lokalen Außendienst zu sagen. In Agnes Augen war er immer noch Leiter der Feuilletonredaktion. Ein kleines Ressort, zugegeben. Aber immerhin. Seit zwei Wochen hatte die gute Haushälterin nur eines im Sinn: Bloß alles von Agnes fernhalten. Regenstein drückte hastig seine Zigarette aus, als ihm wieder etwas schwindelig wurde. Er befühlte seinen Kopf. Dieser verdammte Alkohol. Diese verdammte Redaktion.

    Seit ihn Hagedorn ins Lokale abgeschoben hatte, verlor er jede Orientierung. Er erinnerte sich. Es war der Morgen nach Hagedorns furiosem Start beim Stadtkurier, als sich die ersten Schwierigkeiten abzeichneten – durch Agnes.

    Er musste wieder an diesen Morgen denken, als er mit einem Aufschrei aus einem schrecklichen Traum erwachte.

    Irgendetwas hatte ihn geweckt. Er erinnerte sich: Hagedorn und Spunk waren ihm erschienen. Er sah sie vor sich, wie

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