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kyrill: gedichte 1959-1961
kyrill: gedichte 1959-1961
kyrill: gedichte 1959-1961
eBook382 Seiten1 Stunde

kyrill: gedichte 1959-1961

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Über dieses E-Book

Der Autor Hartmut Geerken (geb. 1939) legt hier den ersten von zwei Bänden mit einer Auswahl von 300 seiner Gedichte vor, die er vor einem halben Jahrhundert (1959-1961) geschrieben, aber nie veröffentlicht hat. Sein ausführliches Vorwort zu dieser Sammlung thematisiert das Problem eines Frühwerks und dessen Veröffentlichung: das Dilemma des Dichters zwischen früherem Schreiben und heutigem Lesen der Gedichte und die psychologisch interessante energetische Reibung zwischen Selbstbeschmutzung und Werkgeilheit, der sich der Autor mit dieser Publikation ausgesetzt sieht.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum27. Feb. 2015
ISBN9783738688733
kyrill: gedichte 1959-1961

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    Buchvorschau

    kyrill - Hartmut Geerken

    für die frau

    die viele dieser gedichte aus mir

    herausholte

    & diese fast von anfang an mit

    anteilnahme & kritik begleitete

    & einen grossteil davon mit einer

    kohlepapierkopie abtippte

    & in einer auflage von zwei

    exemplaren 1961 unter dem titel

    „aprilaugust" in handgebundenen

    hardcovern im siger-verlag

    frickenhausen ‚veröffentlichte‘

    dreizehn vorworte voller fragen & klammern

    let those i love try to forgive what i have made

    (ezra pound)

    à une telle distance on ne peut plus s’écouter

    (jacques derrida)

    o der überlächerlichen lachlöcher – lachen der verlächerten lachhälse

    (velemir chlebnikow übersetzt von franz mon)

    das druckenlassen verhält sich zur niederschrift wie das wochenbett zum ersten kuss

    (friedrich schlegel)

    1

    schon mit der wahl der mottos legt man eine spur (beziehungsweise mehrere) & selten nur ist ein prolog (wie dieser) so wichtig & mindestens gleichwertig mit dem ganzen inhalt des buches. & ezra pound kann sich von einer der grossartigsten leistungen der literatur so lange distanzieren wie er will. er wird uns damit nicht beeindrucken.

    2

    als ich im sommer 1998 ein paar wochen zusammen mit robert lax (1915-2000) auf der insel patmos verbrachte um tonaufnahmen für ein hörspiel mit ihm & über ihn zu machen war ich auch mit der vervollständigung einer umfassenden bibliografie dieses amerikanischen dichters beschäftigt die ich zusammen mit sigrid hauff (der diese & alle folgenden gedichte gewidmet sind) erstellte. robert lax erlaubte mir seine wenigen bücherregale systematisch durchzustöbern um eventuell noch unbekannte veröffentlichungen von ihm zu entdecken. ich stiess dabei auf mehrere originalverschnürte vergilbte & verstaubte päckchen. roberto erlaubte mir sie zu öffnen. es waren alte postsendungen mit den belegexemplaren von veröffentlichungen die der dichter ungeöffnet beiseite gelegt & ‚vergessen’ hatte. ein päckchen enthielt die etwa zwanzig belege der schmalen publikation „you will dissolve before me" (green island edition 1970). ich fragte roberto ob er mir ein exemplar signieren wolle. er nahm eines zur hand warf einen kurzen blick auf den 28 jahre alten text klappte ihn schnell wieder zu (wie eine katze ihren kot im sand verscharrt) so als ob er sich schämte oder fürchtete oder eine abscheu hätte vor dem was er einmal geschrieben hatte & versah den druck dann trotzdem mit einer widmung.

    in einer ähnlichen lage wie lax befinde ich mich jetzt. ich weiss nicht wo mich die erste veröffentlichung von gedichten hinführt die ich vor fast einem halben jahrhundert geschrieben habe. dies sind keine gedichte wie ich sie heute schreiben würde & trotzdem gebe ich sie frei. darf man das überhaupt? soll man das? muss ich mich dafür genieren oder entschuldigen? aber wofür? – der erste mensch dem ich 1958/59 meine ersten gedichte vorgelesen habe war der etwa gleichaltrige bildhauer rolf bodenseh der mir im gegenzug seine ersten plastiken von fetten weibern aus ytong vorführte. ich erinnere mich an konstruktive gespräche mit ihm die für den fortgang sowohl meiner vielleicht auch seiner kreativen tätigkeit sehr wichtig waren. –

    ich habe die meisten gedichte nachdem sie niedergeschrieben waren (nachdem sie ‚heraus’ waren) nie mehr wiedergelesen. die blätter habe ich gelocht & in dinfünfordnern abgelegt. diese fürchterlich grauen polyvinylchloridordner der firma ivc („schöner kleiden froher leben durch chemiefasern") waren ein frühes produkt des plastikzeitalters. es war ja auch die zeit der noch furchtbareren weissen nylonhemden die funken sprühten & knisterten wenn man sie sich über den kopf zog. besagte ordner waren ein geschenk der reutlinger textilfirma ulrich gminder für den kaufmännischen lehrling hartmut geerken (oder habe ich sie vielleicht doch mitlaufen lassen weil sich plastik so sinnlich anfasste?). in diesen ordnern gerieten die ‚abgelegten’ gedichte während meiner ausgedehnten auslandsaufenthalte in einer dachkammer in einem schwäbischen dorf jahrzehntelang in vergessenheit.

    3

    nun sind sie wieder aufgetaucht & es ergeben sich spannende fragen. war ich das damals? wer bin ich heute? wo ist das gelenk zwischen diesen beiden ich? darf ich wertend zurückblicken? hätte ich damals weiter vorausschauen müssen? die damaligen inhalte heute in gedichtform bringen zu wollen wäre eher peinlich. damals war dies sicher nicht der fall (oder vielleicht doch?) & wahrscheinlich therapeutisch notwendig in zeiten hormoneller umstellungen. lyrik (auch drama) schreibt man ja nur wenn man zu schwach ist für prosa also vornehmlich in der pubertät & im greisenalter. – auch formal hat sich einiges verändert: die vielen trivialitäten das aufdringliche partizip präsens & das (von heute aus gesehen) schwer erträgliche pathos habe ich in neuerer zeit mit hilfe des genitivs erfolgreich vernichtet („ogygia „klafti). aber sollte ich im rückblick meiner aggression gegen das frühere (gegen das mehr oder minder kindische) freien lauf lassen? ich kann diese texte heute nicht mehr widerstandslos lesen. aber soll ich sie (& damit auch mein früheres ich) deswegen ins feuer werfen? – so könnte ich weitermachen mir fragen zu stellen bis an die grenze der selbstbeschmutzung. vielleicht ist das nötig. vielleicht ist es aber auch nötig diese texte vor der entsorgung zu retten? jedenfalls muss ich mich in einer art spagat sowohl von mir selber distanzieren (so als ob ich schon tot wäre) als auch von den gedichten & zusehen wo sich der autor von heute & seine gedichte von damals vielleicht wieder treffen um in eine wechselrede einzutreten die abneigung & anziehung abwägt.

    als heinrich heine 1837 eine vorrede zur zweiten auflage seines „buchs der lieder schrieb hat er das mit einer erstaunlichen klarsicht getan: „es will mich bedünken als sei in schönen versen allzuviel gelogen worden & die wahrheit scheue sich in metrischen gewanden zu erscheinen. nicht ohne befangenheit übergebe ich der lesewelt den erneuten abdruck dieses buches. es hat mir die grösste überwindung gekostet. ich habe fast ein ganzes jahr gezaudert ehe ich mich zur flüchtigen durchsicht desselben entschliessen konnte. verstehen wird diese empfindung nur der dichter oder dichterling der seine ersten gedichte gedruckt sah. erste gedichte aber die gedruckt sind grell schwarz gedruckt auf entsetzlich glattem papier diese haben ihren süssesten jungfräulichen reiz verloren & erregen bei dem verfasser einen schauerlichen missmut. – aber warum hat heine diese gedichte dann trotzdem zum zweiten mal publiziert? warum hat robert lax sein „you will dissolve before me" nicht zerrissen & stattdessen mir gewidmet? das ist die zentrale frage.

    4

    die geschöpfe die damals entstanden sind wirken heute unangenehm subjektiv. also könnte man mir vorwerfen (könnte ich mir vorwerfen) dass ich damals ein pfuscher war denn die texte können sich nicht von mir loslösen (objektivieren/sich nach aussen entbinden) denn (meint mynona) „je genialer ein dichter ist desto unabhängiger von seiner willkür bewegen sich seine geschöpfe". muss ich aufgrund dieses utopischen gedankens von einer veröffentlichung absehen?

    5

    gern hätte ich eine tonkonserve meines ersten öffentlichen rundfunksolokonzerts für den südwestfunk im tübinger schlachthof aus dem

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