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Wilhelm Bergsträßer: Kritischer Priester und Philosoph
Wilhelm Bergsträßer: Kritischer Priester und Philosoph
Wilhelm Bergsträßer: Kritischer Priester und Philosoph
eBook842 Seiten10 Stunden

Wilhelm Bergsträßer: Kritischer Priester und Philosoph

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Über dieses E-Book

Pfarrer Wilhelm Bergsträßer war der erste Anstaltsgeistliche in der Hubertusburg. Er hat in seiner kurzen Zeit dort zwischen 1839 bis 1844 drei Bücher veröffentlicht. Das eine behandelt die Qualifizierung von Pflegepersonal für die Betreuung psychisch Kranker, das zweite das strafrechtliche Disziplinierungssystem zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts und beim dritten Band hat er Predigten für psychisch kranke Menschen und Strafgefangene veröffentlicht.

Bergsträßer ist nicht nur Zeitzeuge der Neuordnung der Hubertusburg sondern auch ein zeitlich nahestehender Zeuge der Geschichte des Schlosses, des Sächsisch - Preußischen Krieges und der Napoleonischen Kriege und hat diese Inhalte mit übermittelt.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum25. März 2015
ISBN9783738698336
Wilhelm Bergsträßer: Kritischer Priester und Philosoph
Autor

Peter Grampp

Dr. Peter Grampp wurde 1960 geboren. Er ist von Beruf Psychiater, Psychotherapeut, Psychoanalytiker, Psychodramatherapeut und Forensischer Psychiater. Daneben bekleidet er einen Lehrauftrag an der juristischen Fakultät der Universität Passau. Im Rahmen seiner chefärztlichen Tätigkeit in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Hubertusburg begann das Interesse für die Geschichte dieser Einrichtung. Dies führte zufällig zum Kontakt mit den Werken von Bergsträßer, dessen Gedanken überraschend modern wirkten. Da nur noch wenige Exemplare seiner Bücher existieren, kam der Gedanke auf, diese nicht nur ohne sprachliche Korrekturen wieder zu veröffentlichen, sondern auch am Anfang kurz zusammen zu fassen. Zur besseren Lesbarkeit wurde anstelle Süttlin die lateinische Schrift bevozugt.

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    Buchvorschau

    Wilhelm Bergsträßer - Peter Grampp

    Literatur

    Wilhelm Bergsträßer

    Unsere Informationen zu Wilhelm Bergsträßer sind äußerst gering. Leider wurde das Landeskirchenarchiv in Dresden in der Bombennacht 1945 getroffen, sodass alle Unterlagen zu Pfarrer Bergsträßer selbst vernichtet wurden.

    Er wurde 1804 in Friedewald in der Nähe von Nassau an der Lahn (10 km nördlich von Marienberg) geboren, ging dort zur Schule und studierte in Berlin Theologie und Philosophie. In beiden Fächern machte er seinen Abschluss. Bergsträßer hat ab 1838 die Pfarrei in der Hubertusburg innegehabt. Zuvor hat er in Strauch bei Großenhain die Pfarrei geleitet. Er starb plötzlich und unerwartet für die Außenstehenden 1845¹. Von seinen Nachfahren ist lediglich bekannt, dass zumindest noch zwei Generationen in Wermsdorf gelebt haben müssen. Der letzte bekannte Nachfahre, Bergsträßer, Gotthelf Heinrich, wurde am 27.02.1936 in Auerbach (Vogtland, Deutschland) geboren und verstarb am 17.08.2008 in Wil SG. Dessen Vater, Bergsträßer, Julius, kam am 27.03.1881 noch in der Hubertusburg in Wermsdorf zur Welt und war mit Hedwig Elsa Bergsträßer-Flechsig, geb. 04.02.1904, verheiratet, die aus Wurzen stammte. Sie ließ sich jedoch später von ihm scheiden. Julius Bergsträßers Vater, Bergsträßer, Karl Friedrich Wilhelm, war mit Bergsträßer-Lhotzky, Emma Marie Konradia verheiratet und ein direkter Spross von Wilhelm Bergsträßer.²

    Bergsträßer gelang es, zwischen 1841 und 1844 drei Bücher zu veröffentlichen, die seinerzeit Beachtung erfuhren. Dabei fallen die scheinbar weit auseinanderliegenden Themen der Pflege und des Strafvollzuges auf, die sich jedoch alle eng auf den Tätigkeit in der Hubertusburg bezogen. In seinen Veröffentlichungen zeigt sich eine elaborierte Auseinandersetzung Bergsträßers mit dem Stand der damaligen Wissenschaft. Dabei bezog er wissenschaftliche Grundlagen mit ein, die weit über Sachsen hinaus reichten. Im Folgenden sollen kurz die wesentlichen Inhalte zu seinen Büchern vorgestellt werden.

    Sein Buch zur Pflegefrage versteht sich als Antwort auf die Problematik, dass zwar Pflege- und Siechenhäuser für „Irre und Arme³" gegründet wurden, jedoch die Problematik des betreuenden Personals weder quantitativ noch qualitativ gelöst wurde.

    Damit erklärt sich auch die Ausschreibung in der Leipziger Zeitung, in der zwei Arbeiten zum Thema der Akquise von Pflegepersonen prämiert wurden. Die eine stammte von Wilhelm Bergsträßer, die andere vom herzoglich nassauischen Medizinalassistent Basting.⁴ Beide standen gleichsam auch protagonistisch für die Dichotomie der philosophischen und biologischen Herangehensweise an psychische Erkrankungen.⁵ Beide Strömungen bestimmen bis heute dieses Fach, was auch die dialektische wirkende Facharztbezeichnung „Psychiatrie und Psychotherapie" noch nicht letztlich lösen konnte. Bergsträßer beschäftigt sich als Philosoph mit der Psychiatrie und mag als Spiegelbild des viel später agierenden Kurt Jaspers gelten, der sich als Psychiater mit der Philosophie beschäftigt hat.

    Eine ähnliche Chimäre bedient er in seinem Werk über den Strafvollzug, wenn er die Philosophie der kontemplativen Stille des Strafvollzuges (Schweigevollzug) beredt kritisch und unter den moralischen Vorgaben seines Amtes betrachtet. Als Ausgangspunkt nimmt er stets die sächsische Realität und speziell die seit 1837 neu dafür genutzte Hubertusburg. Dies lässt die Überlegungen bodenständig erscheinen. Bergsträßer nutzt die Sprache seiner Zeit, übt sich jedoch weniger im damalig üblichen Schwärmen und mehr in einer konstruktiven kritischen Haltung. Er sucht auch bei den Verurteilten deren Subjektivität, analysiert ihre kriminelle Potenz und die Grenzen des vollzuglich Machbaren. Damit bleibt er in seiner Weise bis heute aktuell.

    In seinem 1841 veröffentlichten Erstwerk erkennt man am ehesten den Moraltheologen seiner Zeit. Dennoch findet man über das Mahnen hinaus die Zuversicht, die alle seine Veröffentlichungen eint. Er bleibt im damaligen Ordnungsgefüge, wenn er die Einsicht in die Unterordnung als Ziel formuliert, weicht jedoch davon ab, wenn er den damaligen zeitgeistigen Weg des „Brechens und „Wiederstrukturierens ausläßt.

    Gemeinsam waren den damaligen Correktionären, Zuchthäuslern, Arbeitshausinsassen und den Irren das offensichtliche Fehlverhalten sowie die Abweichung von der Norm. Vor der sächsischen Rechtsreform ging man mit beiden in den Strafanstalten ähnlich um, wobei die Sträflinge die Wartung der Irren innehatten. Hier unterscheidet Bergsträßer zwischen dem Schicksal- und Krankhaften der Krankheit und dem anerzogenen Lebenskonzept der Verurteilten. So positioniert er auf der einen Seite die heilsame Pflege und auf der anderen die Ordnungsstruktur und verbindet beide in einer religiösen Immanenz.⁷ Hier mag es verwundern, dass er den religiösen Wahn nur am Rande streift.

    Menschenliebe und die Seelsorge sind eine weitere Gemeinschaft von Bergsträßers Büchern. Für den dissozialen Menschen hieß dies Moralpädagogik, für den „Irren die Begegnung mit moralischen Menschen. Diese Erweiterung der damaligen theologischen Strömung brachte ihm auch den Titel des „kritischen Predigers⁸ ein, damit nimmt er eine theologische Bewegung fünfzig Jahre vorweg.⁹ Allerdings bleibt Bergsträßer in seiner damaligen feudalen Gesellschaft tief konservativ verankert und es fehlen sämtliche ernstlich revoluzionäre Töne. Besieht man sich die Zustände in der Psychiatrie vor der Hubertusburg¹⁰, so erscheint der Vorzug der Kustodialen Psychiatrie bei Bergsträßer gut nachvollziehbar.¹¹

    Sucht man dagegen in der Literatur der psychiatrischen Versorgung, des Strafvollzuges oder der theologischen Grundlagenwerken seiner Zeit nach Zitaten aus Bergsträßers Schriften, so endet das frustran. Dies mag im chimärenhaften Bergsträßer gelegen haben. Er personifizierte nicht nur den Theologen, den Philosophen und den Psychiker, sondern zeitgleich einen Teilhaber an der Versorgung von Psychisch Kranken und der Straffälligen.¹² Weiterhin verkörperte er in keiner der Disziplinen eine Hauptströmung seiner Zeit. Dahingehend wurden seine Schriften bei deren Erscheinung, ohne späteren Nachhall als Sekundärliteratur, äußerst positiv bemerkt und erwähnt. Die psychiatrische Hauptströmung des 19. Jahrhunderts war die des materiellen Positivismus der frühen Industrialisierung, der Rationalisierung der Psyche und der Wissenschaftlichkeit. In der Medizin dominierten ebenso die Naturwissenschaft, die Heilbarkeit, aber auch die Elektrizität und der Animalismus. Dieser kam erst nach einem halben Jahrhundert Pause als Reaktion in der Homöopathie und den Naturbewegungen wieder zurück. Zur Zeit Bergsträßers galt die Philosophie und die Geisteswissenschaft gerne als Relikt des Freiheitsschwarmes. Damit stand diese der Ideologie der französischen Revolution nahe und kam dann erst nach Bergsträßers Tod 1848 mit dem sozialistischen Gedankengut der Arbeiterbewegung wieder auf. Damit stand Bergsträßer zwischen den Bewegungen. Einerseits verkörperte er die „neue Aufgeklärtheit, andererseits kann er die „Seelensprache der Psychiker mit dem Glauben an das Gute als Theologe nicht einfach ablegen.

    Bergsträßer fand seinerzeit viele Menschen ihrer Heimat entfernt und entwurzelt als innereuropäische Migranten vor. Die Arbeitswelten in den deutschen Kleinstaaten waren frühindustriell wenig romantisch und ein erheblicher Teil der Bevölkerung fiel durch die Raster der staatlichen Wohlfahrt. Die Politik reagierte auf die sozialen Probleme mit einer sichtlichen Latenz. Eine davon war ein Paradigmawechsel im Strafvollzug weg von der Vergeltung hin zur Besserung und Resozialisierung. Die andere bestand in der Asylierung der Irren, Siechen, Presshaften, Blinden, Blödsinnigen und Epileptischen. Im Vergleich zu deren vorausgehenden Situation ist der Optimismus Bergsträßers aufgrund der relativen Verbesserung für die Kranken nachvollziehbar. Er beließ es jedoch nicht dabei, sondern suchte die Verbindung zu seinen theologischen und philosophischen Wurzeln. Dies verbindet seine Arbeit über die Pflege auch mit der des Strafvollzuges. Bei beiden Werken findet man die wissenschaftliche Prüfung nationaler und internationaler Hypothesen.¹³ Wenngleich seine Darstellung im Buch über die Pflege und Wartung der Irren primär dem Pflegepersonal gilt, so ist nahelegend, dass es ihm mehr um ein pädagogisches – moralisches Selbstverständnis geht. Dies betrifft auch den Umgang mit den Inhaftierten.¹⁴ Bergsträßer nimmt die späteren philosophischen und theologischen Ideen nicht nur vorweg sondern dachte die Milieutherapie und erste Ansätze einer Psychotherapie vorweg.¹⁵ Die theologische Psychologie mit den ihr typischen Fragen nach der Orientierung des Menschen „Originalität und „Selbstständigkeit wird in den Facetten vorweggenommen, in denen Bergsträßer über die Besserung durch Moral und Reue hinausgeht.¹⁶ Damit verbindet er auch den Gefängnisgeistlichen mit dem Irrenseelsorger.¹⁷ Gerade die aufgeklärte philosophische Haltung rückt Bergsträßer von den Schwärmern seiner Zeit weg.¹⁸

    Dennoch darf man nicht verkennen, dass die Hubertusburg einen reinen Funktionsauftrag hatte. Dabei dominierten ein Ordnungsprinzip und ordinalstaatliche Aufgaben, mit denen man hoffte, Menschen neuerlich verorten zu können. Generell bestand die Hoffnung, Menschen wieder arbeitsfähig oder „funktionsfähig" zu machen. Bereits die Begriffe Arbeitshäuser und Correctionärseinrichtungen drücken dies in ihrer Eigenbedeutung aus. So sollten antisoziale Personen, Trunksüchtige, gefallene Frauen und Prostituierte zur regelmäßigen Arbeit erzogen werden.¹⁹ Sein Buch über die Strafanstalten begründet Bergsträßer damit, vom Ministerium darum gebeten worden zu sein. Inhaltlich hat er sich in eine Effektivitätsdebatte des Strafvollzugs eingemischt. Die Erwartung, über ein Koinobitentum (Einfachheit in schweigender Gemeinsamkeit) bei den Häftlingen eine Läuterung zu erzielen, leitete sich davon ab, dass man kriminelles Handeln als eine Folge externalisierten Rottens und die Rückfälligkeit als Folge krimineller Ansteckung gesehen hat. Die Idee wurde in den Hafteinrichtung Sing Sing (Auborn) und in Pennsylvania mit unterschiedlichem Anstrich entwickelt und in Europa als Alternative diskutiert. Der Priester war darin der transzendente Mahner.²⁰

    Auch hier gab es Gegenpositionen, wie die von Gottfried Langermann (1768-1836)²¹, der anfänglich das Zuchthaus Torgau und später die Irrenanstalt in Oberfranken leitete. Dieser schloss mit der Unterstützung der von Hardenbergs die Geistlichen aus der Versorgung der Akutkranken aus, da er diesen die therapeutischen Kompetenzen absprach und den Religions- und Moralunterricht nur für die „gesündere" Patientengruppe zuließ.

    Verwaltet wurde zu den Zeiten von Bergsträßer die Hubertusburg durch Verwaltungsbeamte, die sich aus ehemaligen Militärangehörigen rekrutierten. Die Entscheidungen über die Aufnahmen und die Versorgung der Patienten unterstanden den Ärzten.²² Die übergeordnete Leitung auf der ministeriellen Ebene über die sächsischen Irrenanstalten und Gefängnisse hatte der Minister v. Nostiz und Jänckendorf inne. Über das Muster der Modelleinrichtung Sonnenstein strukturierte er die sächsischen Anstalten, dies umfasste auch die Funktionen der Anstaltsgeistlichen.²³ Diesen oblag, den Insassen Abwechslung zu bieten, deren Leben zu erleichtern und diese zu beruhigen.²⁴ In diesem „Regulativ Nr. 9"²⁵ wurde von den Geistlichen erwartet, dass diese ihre Tätigkeitskonzepte selbst formulieren sollten. In seiner Arbeit in der Psychiatrie war Bergsträßer nicht nur durch die Vorgaben des Ministers v. Nostiz und Jänckendorf, sondern mehr noch von Psychiatriereformern wie George Man Burrows (1771-1846) beeinflusst.


    ¹ Dr. Friedrich Julius Siebenhaar, Dr. Rudolf Julius Albert Martini Magazin für die Staatsarzneikunde - 1846 Seite 176-148

    ² Erbenruf (Art. 555 ZGB – Schweizerisches Zivilgesetzbuch), CH-9500 Wil SG, Amtsnotariat Wil- Toggenburg vom 4. Mai 2010

    ³ Zu diesen wurden die „lauten und „ruhigen psychisch Kranken gezählt.

    ⁴ (Höll, Schmidt-Michel, & Otto, 1989, S. 23); Deutschlands Irrenärzte (Damerow, Fleming und Roller) Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch gerichtliche Medizin, 1845, S.421-474

    ⁵ Deutschlands Irrenärzte (Damerow, Fleming und Roller) Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch gerichtliche Medizin Bd. 1-1844 Seite 160

    ⁶ (Söling, 1995 ), (Ramachandran & Blakeslee, 2002, S. 283)

    ⁷ Vgl: (Söling, 1995 )

    ⁸ Vgl: (Röhr, 1842, S. 472); (Hieronymus, 1823); (Schähr, 1985), (Flender, 1992), (Damerow, Fleming, & Roller, 1844)

    ⁹ Vgl: (Schwoch, 2007, S. 208-232);(Engstrom & Roelcke, 2003, S. 177-189)

    ¹⁰ Vgl: (Wagnitz, 1794)

    ¹¹ Vgl. (Schott & Tölle, 2006, S. 276)

    ¹² Vgl. (Kaufmann, 1995, S. 75)

    ¹³ Vgl.: (Blessing, 1982), (Burleigh, 2008), (Cahn, 2008.), (Mittelsdorf, 2005), (Peterson, 2004), (Phayer, 1970), (Uertz, 2005)

    ¹⁴ Vgl.: (Kaufmann, 1995)

    ¹⁵ Vgl.: (Pompey, 1972), (Ann, 2002), (Schwoch, 2007), (Rebecca & Roelcke, 1999), (Roelcke, Volker, 1995, S. 169-189), (Schmidt-Rost, 1990), (Schmidt-Rost, Reinhard, 1988), (Schmidt-Rost, Reinhard, 1990), (Schmidt-Rost, Reinhard, 1988), (Engstrom & Roelcke, 2003)

    ¹⁶ Vgl.: (Henning, Murken, & Nestler, 2003)

    ¹⁷ Vgl.: (Wick, 1853)

    ¹⁸ Vgl.: (Kaufmann, 1995)

    ¹⁹ Vgl.: (Ammerer & Weiß, 2006)

    ²⁰ Vgl.: (Wagnitz, 1794)

    ²¹ Vgl.: (Langermann, 1845, S. 583)

    ²² (Hardenberg, 1845, S. 600), (Blasius, 1994, S. 22), (Kaufmann, 1995, S. 168)

    ²³ (Nostitz und Jänckendorff von, 1829, S. 405)

    ²⁴ (Nostitz und Jänckendorff von Gottlob Adolf Ernst, S. 394,397)

    ²⁵ (Nostitz und Jänckendorff von, 1829, S. 147, 223-248 )

    Zusammengefasste Inhalte der Preisschrift „Pflege und Wartungs der Irren"

    Die sich neu gründende Behandlungs - Psychiatrie in den deutschen Ländern forderte die Definition des „Irrenarztes" und der Wärter²⁶ als Berufsbild.

    Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in dieser nachnapoleonischen Zeit der aufkommenden Industrialisierung zwei Probleme vorherrschten. Das eine bestand in der Konkurrenz der Kliniken mit der Industrie um die verfügbaren geeigneten Arbeitskräfte. Das andere war die Frage der Eignung der Arbeitskräfte als solche. Der hohe Menschenbedarf der Industrie urbanisierte und entwurzelte die Menschen nicht nur, sondern führte zu Landflucht und Zerfall bestehender familiärer Strukturen. Damit schwanden auch die familiären Hilfesysteme für psychisch Kranke. Bei der für den Wärterberuf verbleibenden ländlichen Bevölkerung fehlte es an Bildung, an Kultur und bisweilen auch an der Moral zur Pflege.

    Der Beruf des Wärters wurde neu eingeführt und der Irrenschließer abgelöst. Der Hintergrund bestand in einem Prozess, bei dem sich das reine Wegschließen früherer Zeiten zu den Anfängen einer Versorgungspsychiatrie wandelte. Dies schloss in seinem Anspruch erstmalig auch das Wohlbefinden der Betreuten mit ein. Damit lag es nahe, dass die Akquise von geeigneten Personen für den neuen Beruf des Wärters, aus dem sich später der Irrenpfleger und die heutigen Gesundheits- und Krankenpfleger entwickeln sollten, ein großes Problem war. Hier ging es einerseits um die Notwendigkeit einer ausreichenden intellektuellen, aber noch mehr um eine kulturelle und moralische Befähigung der Mitarbeiter. Bergsträßer eilt hier auch der realen Entwicklung der Hubertusburg zeitlich weit voraus. Erst mit dem Aufbau einer staatlich geregelten Pflegeschule 1888 in der Hubertusburg und in Hochweitzschen kam es zu einer geregelten Professionalisierung. Damit belastet das Problem die Psychiatrie über ein halbes Jahrhundert. Erst mit dem Aufbau von Pflegeschulen lösten Pflegekräfte die Wärter ab. Der Unterschied der Begriffe brachte auch eine Veränderung der Tätigkeit mit sich. Während die Wartung vor allem Observierung und Ernährung im Rahmen einer Bedienstetenposition beinhaltete, sah sich die Pflege als Teil des Heilsystems. Wärter unterlagen keiner speziellen Ausbildung, sondern waren angelernt. Die Personen rekrutierten sich aus den untersten Schichten. Deren Umgangsformen waren roh und ähnelten nicht selten denen der Irrenschließer.

    Die sozialen Hilfesysteme hingen den sozialen Entwicklungen lange hinterher. Anfangs propagierte man nach dem Wegschluss der Kriminellen und Irren die Asylierung der „Unvernunft in gemeinsamen Einrichtungen. Dahingehend war es nur konsequent, in der Hubertusburg eine Einrichtung des Poenitärsystems mit dem einer psychiatrischen Klinik zu vereinen. Dies war die Zeit der Asylierung der „Unvernunft. Dabei kann man es als Fortschritt sehen, dass man die arbeitsscheuen, sich prostituierenden, liederlichen, vagabundierenden und kriminellen Personen in Arbeitshäuser, Correctionärseinrichtungen und Gefängnisse und die Irren und Armen in die Irrenanstalten betreute.

    Damit verkörperte die Gesamteinrichtung der Hubertusburg nach 1837 den damaligen Zeitgeist in der Versorgung von Siechen, Pressorischen, bedauernswerten Blödsinnigen, Epileptikern, Blinden und Armen aber auch den kriminellen und sozialen Abweichlern. So trennte man sich von allem Nicht – Normalen. Dabei versprach der materielle Positivismus mit naturwissenschaftlichen Mitteln die Besserung und Heilung. Die Nicht-Heilbaren waren nach dieser Logik zu verwalten. In dieser Nische waren dann die Philosophen und Psychiker geduldet. Diese sollten über den Weg der Disziplinierung, der Ordnung und der Vernunft die Unvernunft eindämmen. Die Anstalten füllten sich auch deshalb rasch, da die wissenschaftliche Psychiatrie und selbst die universitäre Lehre²⁷ ihre Hoffnungen auf umfassende Heilung und Besserung nicht erfüllen konnte. Später hat dann der Sozialdarwinistismus²⁸ sowie die sich später entwickelnde Rassenhygiene dieses Scheitern erklärt und die Psychiatrie entlastet. Bergsträßer hoffte nicht wirklich auf die zukünftigen wissenschaftlichen Lösungen, sondern lebte in der Versorgungspsychiatrie, der seine Schrift dann galt. Der konkrete Anlass war jedeoch die Ausschreibung eines Preisausschreiben aus dem Jahr 1842 durch den Medizinalinspektor und Geheimen Rat Rühl (Kaiserlich Russischer Leibmedicus, Medicinal-Inspector sämtlicher Institute der Kaiserin Maria zu St. Petersburg) in der Leipziger Zeitung mit dem Titel Wie können für Irrenanstalten menschenliebende Wärter und Aufseher gewonnen werden? Dahinter stand der eingetragene konfessionelle Verein der deutschen Ärzte zu St. Petersburg.²⁹ Im Alltag sah Bergsträßer die Handlungen der Wärter – wie die früheren Irrenschließter nun hießen -, deren Rücksichtslosigkeit und Grobheiten. Er kannte den Auftrag, dass diese die Kunst und Wissenschaft des Arztes und dessen psychische Behandlung als Gehilfen fortsetzen sollten. Bergsträßer setzte nicht auf Vorwürfe oder frömmelnde Lösungen, sondern hat in seine Schrift bestehende oder denkbare Lösungen in der somatischen Medizin und der Psychiatrie als Hypothesen gesetzt und einer Prüfung unterzogen. Bergsträßer zeigt in seiner Begriffswelt, wie er die „Armen und „Irren gesehen hat, indem er schreibt: Die Fürsorge für die Rettung der Unglücklichen, deren Seelenleben gestört ist, gehört zu den heiligsten Angelegenheiten der Menschheit.

    In seiner Preisschrift unterschied sich Bergsträßer von dem mit ihm ausgezeichneten Bastin³⁰ vor allem dadurch, dass er Ordensschwestern und Mönche eher kritisch sah und mehr Wert auf die Akquise alternativer Personen legte und damit einen breiteren Lösungsansatz bevorzugte. Weiterhin fällt bei Bergsträßer auf, dass er nicht – wie es zu seiner Zeit üblich war – zwischen den Unheilbaren der Landeskrankenhäuser und den Behandelbaren in den Landessiechenhäusern unterschieden hat. Möglicherweise zeichnete sich zu seiner Zeit schon ab, dass gerade diese Trennung in der Hubertusburg aufgehoben wurde und zunehmend die „Epileptischen und „Blödsinnigen sowie nach seinem Tod auch Blinde und Kinder in der Hubertusburg betreut und gefördert wurden. Die Art der Versorgung psychisch kranker und geistig behinderter Menschen vor der Inbetriebnahme von Sonnenstein, Colditz und schließlich der Hubertusburg gab der Hallenser Wagnitz in seiner Schrift wieder, wenn er zur Unterbringung der Irren in den Gefängnissen schreibt:

    (…) in die unteren Zimmer oder Behälter, ins Erdoder Kellergeschoss, Souterain einquartiert worden waren.³¹

    Er benennt diese Art der Versorgung als „offene Gräber" für die Irren und schildert, dass die Versorgung durch die Sträflinge erfolgt sei. Analog klingen die Aussagen von Reil, wenn er folgendes zu Papier brachte:

    „Sie sind Tollhäuser, nicht bloß wegen ihrer Einwohner, sondern vorzüglich wegen des Widerspruchs, in welchen sie als Mittel mit den Zwecken stehen, die durch sie erreicht werden sollen. Sie sind weder Heilanstalten, noch Asyle unheilbarer Irrenden, denen die Menschheit huldigen kann, sondern meistens Spelunken. – Das Gebrüll der Rasenden und das Geklirre der Ketten hallt Tag und Nacht in den langen Gassen wieder, in welchen Käfig an Käfig stößt und bringt jeden neuen Ankömmling bald um das bischen Verstand, das ihm etwa noch übrig ist."³²

    Bergsträßer kannte diese weit verbreiteten Schriften und bezieht sich wiederholt darauf.

    Eine Antwort auf die Frage der Versorgung der Irren und die Forderungen Bergsträßers nach einer Pflegeausbildung ließen noch vier Jahrzehnte nach dessen Ableben auf sich warten. Einerseits kann dies im „Vergessen" seiner Bücher gelegen haben, andererseits auch in finanziellen Gründen, bedenkt man den Bedarf von 800 Pflegekräften in Sachsen. Am 31. Mai 1886 fuhr dann eine Delegation, an der auch der damalige ärztliche Direktor der Hubertusburg teilnahm, zu den Bodelschwinghschen Anstalten nach Bielefeld. Diese nahm man sich zum Vorbild und gründet dann 1888 die staatlichen Pflegeschulen für Pfleger und Pflegerinnen in der Hubertusburg und Hochweitzschen.³³

    Einführungskapitel

    Bergsträßer warnt vor einer pietistischen Euphonie und davor, nur die Rahmenverhältnisse zu ändern. Besonders in den öffentlichen Einrichtungen sei die Pflege unzureichend. Es ist hier naheliegend, dass er die Thonbergklinik in Leipzig mit den dortigen deutlich besseren pflegerischen Verhältnisse kannte. ³⁴

    Von Bergsträßer erfahren wir die interne Hierarchie, bei denen die Aufseher den oberen Beamten direkt unterstellt waren. Diesen wurden die Wärter unterstellt. Beide Berufsgruppen hatten direkte Kontakte zu den Patienten. Dabei wurden in anderen Ländern Deutschlands die Wärter auch unter den Begriffen Aufwärter und Aufseher benannt. Die Aufseher wurden außerhalb von Sachsen auch unter dem Begriff des Oberwärters geführt. Bei der Onomastik der Begriffe spart Bergsträßer nicht an Kritik an Burrow, der die Bezeichnungen synonym genutzt hatte. Hier bezieht sich Bergsträßer auf Nostiz und Jänckendorf.³⁵

    Die Wärter waren für die Patienten nicht nur Diener, sondern die zentrale Kontaktpersonen und für die Aufsicht und Sicherheit zuständig. Dies forderte von diesen Qualitäten in ihrer Persönlichkeit, damit sie die Tätigkeiten als medizinisches Hilfspersonal leisten konnten.

    Bergsträßer vergleicht hier Erfahrungen mit der Betreuung der psychisch Kranken durch Familienangehörige und steht dem kritisch gegenüber. Er sieht diese oft in die Wahnsysteme der Patienten eingebunden. Daher favorisiet er die Wärter als Stellvertreter der Familienangehörigen.³⁶

    Bergsträßer beschreibt sowohl quantitative als auch qualitative Probleme bei der Suche nach Wärtern. Seitens der Qualität bemängelt er den Umgang dieser mit dem Fehlverhalten der Patienten und betont dabei die Gesindestellung der Wärter, die seinerzeit bei den Kranken zu schlafen hatten. Hier fordert er eine entsprechende physische Eigenschaft, Selbstkontrolle, Respekt, Altruismus, Geduld und Einfühlvermögen.³⁷

    Die Aufseher hatten die Kontrolle über die Wärter und Oberwärter auszuüben. Der Oberwärter qualifizierte sich aus der Gruppe der Wärter. Die Aufseher wurden von außen berufen, da sie die unmittelbare Disziplinargewalt und die Kommunikationsverantwortung hin zu den Oberbeamten und der Ärzte zu erfüllen hatten. Sie waren zuständig für die Sicherung der Pünktlichkeit, Ordnung, Hygiene und die Qualität der Patientenversorgung. Sie wurden besser bezahlt und besser gebildet als die Wärter. Den Arbeitsmarkt für Aufseher schätzt Bergsträßer positiver als den der Wärter ein. Gründe sieht er einerseits im geringeren Bedarf als auch in der besseren Bezahlung. ³⁸

    Bergsträßer fordert, dass die Aufsicht der Aufseher helfen soll, die mangelnden persönlichen Eigenschaften der Wärter zu kompensieren. Dahingehend sieht er ein strategisches Ziel, nicht nur Modelle für die Akquise, sondern auch für die Aufsicht über die Wärter zu erstellen. Dabei prüft er konservativ Bestehendes und sucht nach der besten der vorhandenen Lösungen.³⁹

    Erster Abschnitt:

    Bergsträßer verortet das Problem in den protestantischen Regionen im Mangel an Ordensbrüdern und dass man bei der Versorgung auf weltliche Wärter angewiesen sei. Er favourisiert bei der Lösung drei Wege, den Zugriff auf ehemalige Militärangehörige, auf ehemalige Sträflinge und die Gründung eines Krankenwärterordens.⁴⁰

    Cap. II.

    Eine Möglichkeit sieht Bergsträßer neben der Entlohnung durch eine Gewährung guter Sozialleistungen. Er beruft sich auf die Ergebnisse in Siegburg, wo man den Lohn der Wärter mit Verpflegung und Pensionsansprüchen kombinierte. Über eine umfassende Wärter- und Hausordnung hat man dann versucht, die weniger Geeigneten herauszufiltern und zu entlassen.⁴¹

    So positiv Bergsträßer das Herausfiltern bewertet, desto negativer beurteilt er das Angebot an Bewerbern, das dazu nötig ist und das er zu seiner Zeit an der die Hubertusburg nicht erkennen kann. Er votiert eher dafür, sich auf intellektuelle oder moralische Schwächen der Bewerber für das Wärteramt einzustellen. Er empfiehlt, den moralischen Kriterien Vorrang zu geben. Dabei könne man die Motive einer Pension, Lohn und Verpflegung, die Jacobi aus Siegburg zum entwertenden Begriff der „Mietlinge" verleitet haben, nicht mit einem Gesinnungsmangel gleichsetzen. Auch eine vermehrte Kontrolle durch die Aufseher sieht er als ungeeignet an, einen Mangel an Einfühlungsvermögen auszugleichen.⁴²

    Cap. III.

    Die Vorzüge ehemaliger Militärangehöriger sieht Bergsträßer in deren Fähigkeit zur Unterordnung, deren Ordnungssinn, Kraft, Mut und Fitness. Weitere Vorteile seien die Kenntnisse im Lesen und Schreiben.⁴³ Kritisch bemerkt er jedoch, dass es auch abgestumpfte Krieger geben würde. Auch würde es bei den Soldaten oft an ruhigen, gesitteten und sanften Umgangsformen mangeln. Zudem seien die Zeugnisse des Militärs für das Wärteramt nicht aussagefähig. Bei den Unteroffizieren zweifelt er an der Eignung für den Wärterdienst, da diese an die Vorgesetztenposition gewohnt sind und sieht diese eher für die Aufseherposition geeignet. Unteroffiziere würden auch lukrativere Positionen angeboten bekommen. Für die Position des Aufsehers würden diese allerdings eine zusätzliche Weiterbildung benötigen. Damit begründet Bergsträßer, warum er diesen Personen vorzieht, die in privaten Diensten gestanden haben.⁴⁴

    Die Möglichkeiten des Einsatzes von ehemaligen und genesenen Patienten als Wärter und Wärterinnen ähnelt den Überlegungen unserer Zeit für den Bereich der „peer education gerade bei episodisch verlaufenden Krankheitsbildern. Bei aller Offenheit fordert Bergsträßer die Freiwilligkeit der Interessenten. In Übereinstimmung mit Pinel, der eine „natürlichen Neigung zu dieser Tätigkeit bei diesem Personenkreis sah, sah Bergsträßer deren Vorzug in ihrem Gehorsam sowie in der Neigung, Gewalt zu vermeiden und eher zu deeskalieren. Sie selbst würden durch die Arbeit stabilisiert. Dabei verweist er auf die Erfahrungen in der Bicêter und der Salpêtrière unter Esquirol.

    Cap. IV.

    Dennoch hat Bergsträßer diesen ehemaligen Patienten nur eine untergeordnete Funktion zugeordnet. Bergsträßer sieht sich hier von Heinroth unterstützt, der einen Einsatz von vollständig Genesenden möglich sah. Er unterlässt es jedoch nicht, auch andere Meinungen zu referieren. Reil sprach sich sowohl gegen Militärangehörige als auch gegen die ehemaligen Patienten aus. Auch die Erfahrung von Sonnenstein habe ein nur geringes Interesse der Genesenden an der Wärtertätigkeit gezeigt. Selbst dann, wenn diese die Tätigkeit angetreten hätten, haben sie diese meist nicht lange ausgeübt. Bergsträßer zweifelt auch an Pinels Sicht zugunsten des Ordnungssinns, Unterwerfung und Ordnung der Rekonvaleszierten und betont dagegen, dass diese sich nur ungern an ihr „Irresein" erinnern wollten. Daher handele es sich nur um Einzelfälle, die dann die Wärter unterstützen könnten. ⁴⁵

    Einstellungen von entlassenen Strafgefangenen im Rahmen der Resozialisierung als Irrenwärter waren zu diesen Zeiten üblich. Gerade der Conferenzminister v. Nostiz und Jänckendorf empfahl den Einsatz von „geringer" Kriminellen als Wärter, analog zu Sonnenstein. Zu diesen zählte man damals Wild-, Holz-, Kleiderdiebe, Betrüger usw. Dabei würde sich die Tätigkeit günstig auf die Resozialisierung auswirken. Es kam dann noch hinzu, dass sich in der Hubertusburg auch Einrichtungen des Poenitärsystems befanden.⁴⁶

    Dem hält Bergsträßer eine nahezu einhundert Jahre währende schlechte Erfahrung entgegen. Er verkennt dabei nicht, dass sich das Poenitärwesen zu dieser Zeit grundlegend reformierte. Gänzlich schließt er den Einsatz von Häftlingen während des Vollzuges aus, da damit die Wärterarbeit als Strafe oder als Belohnung eines opportunen Verhaltens verstanden werden würde. In jedem Fall würde es dieses Amt für Bewerber aus dem Bürgertum unattraktiver machen.⁴⁷

    Cap. V.

    Napoleon hatte im Vorfeld bereits Wärterorden gegründet. Darauf beruft sich Bergsträßer. Ziel sei es gewesen analog der Schwesterorden billige Leistungen zu erhalten, wie sich dies im Rahmen des Choleraausbruches in Wien belegen hat lassen. Diese haben sich jedoch nur selten um die Irrenversorgung gekümmert. Dies haben offensichtlich die klerikalen Orden erfüllt. Daher haben Jacobi (Siegburg) und andere säkulare Wärterorden empfohlen. Als Beispiele erwähnt Bergsträßer die Orden „soeurs grises, „soeurs de St.Vincent, - Paul, „soeurs de la charite". Dagegen habe man damals eingewendet, dass einerseits die Wärter den Orden haben rasch verlassen können oder sich andererseits nur eine Pension absichern haben wollen. Daneben gebe es nur eine immanente Loyalität dem Direktor und den Oberwärtern gegenüber.⁴⁸

    Gegen Kritiker der kirchlichen Orden wendet Bergsträßer ein, dass deren Orden weit vor der Irrenfürsorge entstanden seien. Daher seien diese kaum damit konfrontiert worden. Weiterhin sieht er alleine im Ordenschwur oder einer Schwärmerei keine Motivation, zumal er jeden Zwang zu dieser Tätigkeit ablehnt. Jeder Zwang führe zu einer Gefühlslosigkeit, wobei er sich auf die Erfahrungen aus den somatischen Fächern beruft.⁴⁹

    Cap. VI.

    Bergsträßer behandelt nun die Frage, aus welcher Gesellschaftsschicht die Wärter gewonnen werden können. Er sieht es als notwendig an, den Beruf attraktiv zu machen, damit man diejenigen, die sich dafür entschieden haben, auch halten könne.⁵⁰

    Dabei verkennt Bergsträßer nicht die physischen und moralischen Vorzüge des einfachen Volkes, vermisst dort allerdings die notwendige Bildung. Andererseits zweifelt er am Interesse beim Bürgertum. Das könne man allerdings über eine Irrenwärterschule korrigieren. Dort könne man auch die ehemaligen Militärangehörigen einbinden. Bei diesen beklagt Bergsträßer eher deren Moralverständnis. Umgekehrt schätzt er deren Disziplin und Zivilcourage, so dass er deren Bewerbungen im Gegensatz zu den ehemaligen Sträflingen eher positiver gegenüber steht. Dies begründet er auch damit, dass er auch dem Poenitäreinrichtungen der Hubertusburg vorstehe. Er fordert für die ehemaligen Häftlinge eine moralische und disziplinäre Fortbildung und eine Auswahl, die auch die nötige Intelligenz prüft. Weiterhin empfiehlt er eine Bewährungszeit oder ein Praktikum im somatischen Bereich. Andererseits könnten diese dann auch für ihren Unterhalt selbst sorgen.⁵¹

    Bei der Frage der primären Motivation zum Wärterberuf spricht nach Bergsträßer gegen eine religiöse Motivation, dass diese seit des Bestehens von Siegburg nie genannt worden sei. Für weltliche Wärter und Wärterinnen würden die Erfahrungen der Choleraepidemie in Berlin sprechen. Dahingehend habe sich auch Prof. Diffenbach für die säkulare Wärterausbildung ausgesprochen und 1832 die erste Institution geschaffen, die bis 1843 bereits 300 Personen ausgebildet habe. Die Hälfte sei zwar später aus dem Beruf ausgeschieden, dennoch habe es dem Prestige des Berufes gut getan. Auch das Beispiel von Pfarrer Fliedner spreche dafür, unverheiratete Frauen („Jungfrauen) und Witwen die Möglichkeit einer Ausbildung zu ermöglichen. Dieses Konzept sei im Königshaus bei Wilhelm den II. und IV. sowie beim Grafen zu Stollberg respektvoll aufgenommen worden. So sei es bereits in die Schweiz und nach Frankreich exportiert worden. Daneben habe die Gräfin Schönburg – Wechselburg 1843 nach diesem Modell eine Diaconissenanstalt gegründet. Auch der Pfarrer Vermeil in England habe das „soeurs de charite´ protestantes eröffnet. Eingangsbedingungen sieht Bergsträßer in der Form einer ausreichenden Bildung und in einem guten Leumund. Der Unterricht würde sechs Monate kostenfrei angeboten werden. Dem sei eine fünfjährige Verpflichtung bei freier Kost, Kleidung, Invaliditätsschutz und mäßiger Vergütung gefolgt. Eine Entpflichtung habe dann eher besonderer Gründe bedurft. Eine Empfehlung von Bergsträßer ist, den Einstieg über die somatische Ausbildung zu machen.⁵²

    Bergsträßer gibt die möglichen Ausbildungskosten nur sehr unbestimmt an und begründet das damit, dass die Kosten alleine darin variieren würden, ob die Schule in eine Anstalt integriert sei. Im Falle der Ausbildung ehemaliger Delinquenten sollte wie in der Charité eine fünfmonatige curriculare Theorieausbildung vorgeschaltet werden. Minimale schulische Vorkenntnisse setzt er voraus. Dabei empfiehlt er eine Aufteilung der Ausbildung in Praktiken und Seminaren, die sich albwechseln. Die Praktika sollen mit freier Logis und Beköstigung erfolgen und die Gebiete „Innere Medizin, „Äußere Medizin, Frauenheilkunde und Geisteskrankheiten abdecken. Dies kommt den heute praktizierten Pflegeausbildungskonzepten sehr nahe. Neben der Anatomielehre im Sektionssaal sollten die Krankheitsbilder erfasst werden können und Zwangsmittel und Sturzbäder geläufig sein. Die Ausbildung sollte über Ärzte vor Ort erfolgen. Zum Ende sollte ein Examen mit den entsprechenden Zensuren stehen. Die Jahrgangsbesten sollten öffentlich bekannt gegeben und diese später besser entlohnt werden. Die Arbeitgeber würden dann noch eine Liste der positiv Examinierten erhalten. Die Wärter sollten intellektuell das Verhalten der Patienten erfassen können, sich selbst emotional kontrollieren können und frei von Rachsucht sein. Bergsträßer rät von Frömmelei und Glaubensnötigung ab, fordert jedoch eine moralische Integrität sowie Grundkenntnisse im Lesen und Schreiben.⁵³

    Um diejenigen, die diese Ausbildung durchlaufen haben, im Beruf zu halten, empfiehlt Bergsträßer eine Identifikation mit dem Beruf und der Arbeitsstelle (dürfte dem heutigen corporated Idendity entsprechen) und ein Leiten der Aufseher durch das eigene Vorbild. Anstelle des Entwertens sollte die Leistung der Wärter wertgeschätzt werden. Weiterhin empfiehlt er ein ausreichendes Gehalt, Verpflegung und die Anerkennung besonderer Leistungen (Gratifikationsmodell), Aussicht auf auskömmliche Pensionen und entsprechende Ruhephasen. Dies ähnelt durchaus heutigen Tarifforderungen.⁵⁴

    Zweiter Abschnitt

    Im Abschnitt „Aufsicht und Kontrolle erwartet Bergsträßer, dass die Direktion den „Geist der Anstalt vorgibt. Dies umfasst auch Therapiekonzepte vorzugeben (den zur Heilung der Irren entworfenen Plan). Die Aufsicht hat demnach den „Irren, den „Wärtern und seitens der der oberen Beamten auch den „Aufsehern" zu gelten.⁵⁵

    Die Aufgaben der Wärter war es, die Pflege und die Aufsicht über die „Irren zu garantieren. Damit sicherten sie diese in den Räumlichkeiten und garantierten die Behandlung. Bergsträßer empfahl, dass die Wärter über die Abteilungen rotieren sollten und dass die Überwachungsund Pflegefunktion getrennt werden sollte. Mit diesen Ideen eilte Bergsträßer seiner Zeit weit voraus. Die Wärter sollten zudem die Zimmer reinigen, wo es nötig sei, auch die Betten machen und die Nachtwache sichern. Weiterhin sollten diese für die körperlich Kranken sorgen, Einkäufe machen, Weißwaren aus dem Magazin abgeben, das Essen holen und austeilen, das Geschirr spülen, die Kranken bändigen und baden sowie die Zimmer heizen und beleuchten. Weiterhin sollten sie bei Beschädigungen die Handwerker bestellen. Die Aufgabe der Wärterinnen war nicht nur die Versorgung des eigenen Haushaltes neben dem Beruf, sondern auch des Privathaushaltes der Vorgesetzten. Sie hatten weiterhin die Bautätigkeit zu verwalten und die Verwaltungsgänge zu verrichten. Aufgrund dieser vielschichtigen Tätigkeiten empfahl Bergsträßer eine Spezialisierung der Wärter in diejenigen, die die ärztlichen und die die „ökonomischen Maßnahmen durchführen. Die damaligen Wärter- /Patientenschlüssel lagen in der Hubertusburg bei durchschnittlich einen Wärter auf sieben Kranke, in Siegburg bei einen auf acht, in Frankreich auf einen auf zehn, in Prag bei einen auf sechs und im Juliusspital in Würzburg bei einen auf fünf Kranke. Dabei wurde der Schlüssel bei Akutkranken auf bis zu eine Pflegkraft auf einen Patienten angehoben.⁵⁶

    Die Kontrolle über die Wärter einer Abteilung übernahmen die Aufseher. Sie kamen unangemeldet auf die Stationen, kontrollierten die Anwesenheit der Wärter, die Ausführung ihrer Aufgaben und die Umsetzung der ärztlichen Anordnungen. Neben der Anleitung, dem Anhalten und Ermahnen hatte diese auch die Dokumentation inne. Sie erstatteten allmorgendlich dem Arzt Bericht über die nächtlichen Vorfälle und Notfälle, vor allem dann, wenn ein Arzt benötigt werde. Daher hatten diese durchgehend vor Ort zu sein. Aufgrund dieser Tätigkeiten begründet sich die Empfehlung von Bergsträßer, für diese Tätigkeit umgeschulte Unteroffiziere im mittleren Alter zu wählen. Aufgrund der Autoritätswahrung sollten diese von den Wärtern getrennt qualifiziert werden. Darüber hinaus sollten diese auch über Fachzeitschriften ein Selbststudium betreiben. Vorteilhaft sah Bergsträßer auch ein militärisches Auftreten und geregelte Familienverhältnisse. Eine Alternative für das Amt der Aufseher seinen auch Absolventen der chirurgischen Bildungseinrichtungen, da diese zur Not auch chirurgische Hilfe leisten könnten und man darüber hinaus einen Chirurgen im Haus einsparen würde. In der Hubertusburg hatte seinerzeit ein Aufseher fünfzig Patienten unter sich. Im Vergleich dazu würden in Sankt Petersburg ein Oberaufseher und zwei Aufseher diese Arbeit verrichten. Die Größe einer Station bemaß Bergsträßer mit 20 Patienten. Sollten gemeinsame Abteilungen bestehen, sollten ein Oberaufseher und ein ihm unterstellter Aufseher die Tätigkeit ausüben. Eine Rolle der Aufseher sei auch, für private Probleme der Wärter ansprechbar zu sein. Bergsträßer empfahl bei weiblichen Patienten verheiratete Männer als Aufseher einzusetzen, da diese mehr Autorität bei Patienten wie Wärterinnern genießen würden.⁵⁷

    Bergsträßer beschrieb, dass die Oberbeamten dem ärztlichen Direktor, seinen untergeordneten Ärzten sowie den Geistlichen unterstellt gewesen seien. Diese hatten die Aufsicht über die Aufseher Wärter und Patienten.⁵⁸


    ²⁶ (Höll, Schmidt-Michel, & Otto, 1989)

    ²⁷ Vgl. (Griesinger, 1869, S. 352)

    ²⁸ Vgl. (Haeckel, 1868, S. Kapitel 19)

    ²⁹ (Busch, Margarete, 1995), (Fleischhauer, 1991)

    ³⁰ (Basting, 1845)

    ³¹ (Wagnitz, 1794)

    ³²(Reil,1803,S. 151)

    ³³ Vgl. (Jäppelt,1980,1890,S. 53)

    ³⁴ §§ 1,2

    ³⁵ (Nostitz und Jänckendorff von, 1829, S. 166)

    ³⁶ § 3

    ³⁷ § 4

    ³⁸ § 5

    ³⁹ § 6

    ⁴⁰ § 7

    ⁴¹ § 8

    ⁴² § 9

    ⁴³ § 10

    ⁴⁴ § 11

    ⁴⁵ § 12,13

    ⁴⁶ § 14

    ⁴⁷ § 15

    ⁴⁸ § 16

    ⁴⁹ § 17

    ⁵⁰ §. 18

    ⁵¹ §. 19

    ⁵² §. 20

    ⁵³ §. 21

    ⁵⁴ §. 22

    ⁵⁵ §. 23

    ⁵⁶ § 24

    ⁵⁷ § 25

    ⁵⁸ § 26

    Zusammenfassung der Abhandlung: „Über die Strafanstalten von Sachsen"

    Vorwort

    Bergsträßer folgt konsequent dem Gedanken der sächsischen Strafrechtsreform und versucht diesen weiter zu führen. Er stellt der Strafe als Genugtuung, Rache oder Sühne dem Primat der Resozialisierung gegenüber. Weiterhin plädiert er für eine strukturierte Nachsorge. Diese Gedanken klingen selbst in heutiger Zeit nicht immer banal. Bergsträßer beschreibt einen von Prinz Johann Georg, Herzog zu Sachsen gegründeten Nachsorgeverein für Strafentlassene. Dabei wägt er die Vorteile dieser Einrichtung differenziert ab. Als weiteren Beleg dieses Engagements benennt er die Anregung von Bernhard August Freiherr von Lindenau, sein Buch über das Justizsystem zu verfassen.⁵⁹ Die Orientierung und kritische Auseinandersetzung mit dem kurz zuvor 1823 in Auburn (New York) und dem in Pennsylvania entwickelten Besserungssystem galt einem System der Kombination einer nächtlichen Einzelverwahrung mit täglicher Arbeit und Schweigegebot. Der Besserungsgedanke war neu und löste die mittelalterliche Kerkerhaft ab. Der Besserungsgedanke begann mit John Howard⁶⁰, der ab 1773 in der Grafschaft Bedfort die Gefängnisse leitete. Dem entsprach die religiöse Vorstellung der Quäker in Pennsylvania, für die grausame Strafen oder Marter inakzeptabel waren. Zum Vermeiden der Isolationsfolgen diente ein abgegrenzter Hofzugang. Das Ziel änderte sich von der Rache weg hin zur Reue. Weiterhin propagierte er im Sinne von Louis Andre Gosse⁶¹, Genf, ein gestuftes Modell, bei dem anfänglich die frisch Inhaftierten isoliert wurden, im Falle einer Reue und Besserung konnten diese auch vorzeitig entlassen werden. Die körperliche Unversehrtheit wurde erstmalig zum Grundprinzip. In Deutschland hat sich später mit der Entwicklung von Bruchsal (1844) das Modell von Pentonville in London (1842) durchgesetzt. Man schuf Zellen mit einer Mischung im Männergefängnis aus Einzel- und Gruppenhaft. Man begann mit der Einzelhaft und änderte dies dann in eine Gemeinschaftshaft mit Schweigegebot. 1849 wurde dies auch in Berlin-Moabit eingeführt. Bergsträßer hat sich damals auf die zu seiner Zeit zugänglichen Schriften und Informationen gestützt. Hinsichtlich der Geschichte der Hubertusburg bediente er sich der Akten der früheren Schlossverwalter, unterschiedlicher Sekundärschriften und mündlichen Überlieferungen. Bisweilen bleibt die Quellenqualität offen. ⁶²

    Cap. I.

    Bergsträßer beginnt seine Abhandlung mit einer geschichtlichen Darstellung des Schlosses Hubertusburg.⁶³ Dieses wurde ursprünglich als Jagdschloss konzipiert und dementsprechend dem heiligen Hubertus geweiht. Er schildert, dass der Standort aufgrund seines Wildreichtums der „Mutzschener Haide und seiner Lage zwischen Oschatz, Grimma, Wurzen und Torgau bevorzugt wurden. Die Region bot sich für die Parforcejagd an, da abgesehen vom Collmberg nur wenige Hügel und vor allem wenige Sümpfe die Jagd behindert haben. Hinzu kam ein Fischreichtum (Horstsee, Göttwitzsee u.a.). 1579 wurde durch das Königshaus (Churfürst August der Oekonomische, 1553 – 1586) in der Region Land gekauft. Hinsichtlich der Bauphase gab es bereits damals unvereinbare Informationen in den Quellen wie Bersträßer betont. Als einen der Hintergründe nennt Bergsträßer den Quellenverlust durch den Brand des neuen Amtshauses in Mutzschen 1681. Danach verlagerte man das Amtshaus in die Hubertusburg. Die Parforcejagd baute Fürst Egon von Fürstenberg auf, weshalb er Piqueurs und Parforcehunde aus Frankreich und Pferde aus England einführen ließ. Die Herrscher Georg II. und Georg III. verweilten regelmäßig in der „churfürstlichen" Jagdwohnung. Friedrich August I. verstarb dann 1716 und dessen Sohn ließ ab 1719 die Jagd wieder aufleben. Nach dessen Heirat gab man das aktuelle Jagdschloss zum Bau in Auftrag. Den Wald parzellierte man quadratisch, legte diesen trocken und ließ die Anbauflächen mit Mauern zum Schutz vor Wildverbiss einfrieden. Zur Zeit von Bergsträßer waren diese Mauern noch vorhanden.⁶⁴

    Es siedelten sich in der Folge Beamte, Künstler und Handwerker in Wermsdorf an und man errichtete zwei Ziegelbrennereien. Als der Kronprinz 1724 das Schloss noch vor der Vollendung bezogen hatte, machte man noch Vergrößerungen und Umbauten. So verlegte man erst dann den Jägerhof in ein Seitengebäude. Man verlagerte dann die Poststation von Calbitz nach Wermsdorf. 1742 stellte man die Hubertusburg fertig und nutzte sie für regelmäßige Jagdereignisse.⁶⁵

    Das Hauptpalais wurde in zwei Bauphasen erbaut. Die erste gestaltete man in einer U- Form bis zum Jahr 1739.⁶⁶ Neben der Pflasterung und diverseren Basseins beschreibt Bergsträßer den Hubertussaal mit elf Bogenfenstern. Die Kapelle wurde zuerst auf der linken Seite des Hubertussaals angeordnet, so dass die U- Form geschlossen wurde. Dafür riss man 1739 nochmals ein Gebäudeteil ein. 1773 ließ der Sohn August des Starken die Seitenflügel miteinander verbinden und einen Hof entstehen. 1742 setzte man den vergoldeten Hirsch auf den Turm.⁶⁷

    Anschließend beschreibt Bergsträßer nochmals die Ursprungskapelle genauer.⁶⁸

    Der Autor betont, dass man beabsichtigte, die Hubertusburg weitestgehend autonom funktionieren zu lassen. Daher siedelte man eine Schmiede, Kasernen, eine Konditorei, eine Kellerei, eine Küche und Stallungen einschließlich eines Opernhauses mit an.⁶⁹

    Bergsträßer hebt die großen Feste hervor, die die Hubertusburg prägten. Er schildert, dass einige Fürsten ganzjährig in der Hubertusburg verweilten. Vor allem im Quartal nach dem 3. November, zu St. Hubertustag, hielten sich viele Menschen im Schloss auf. Daneben feierte man das Fischerfest und plante, analog der Moritzburg für Kahnfahrten Gondeln anzuschaffen und den Garten direkt mit dem Horstsee zu verbinden. Auch prüfte bereits eine Baukommission, Teile des Sees mit einer Mauer zu umfassen, was jedoch der österreichische Erbfolgekrieg verhindert hat. Den weiteren Ausbau der Hubertusburg stoppte der siebenjährigen Krieg. Auf der Hubertusburg wurden der Prinz Clemens Wenzeslaus Hubertus Franciscus Xaverius und der letzte Churfürst von Trier, Clemens Theodor, Herzog von Sachsen geboren und getauft.⁷⁰ Auf der Hubertusburg wurde der Heinrichsorden gestiftet und vergeben.

    Bergsträßer hatte Kenntnisse, dass bereits früh in der Bauphase ein katholischer Geistlicher, Pfarrer Hauschild, auf der Hubertusburg seinen Dienst aufnahm. Er bezieht sich dabei auf Unterlagen zu einem Streit um die Seelsorgebezirke (Parochialstreitigkeiten), den der damalige Pfarrer mit der katholischen Gemeinde um die Arbeiter des Schlossbaus, Beamten und Hofbediensteten gehabt hatte. Als erster fester katholischer Geistlicher verrichtete Jacobus Lallement, Priester der Erzdiözese Mainz, der am 01.07.1738 sein Amt angetreten hat, seinen Dienst in der Hubertusburg. 1742 konnte dieser aufgrund von Streitigkeiten mit der protestantischen Gemeinde nicht mehr in der Hubertusburg gehalten werden, so dass er durch den Kaplan Johannes Kirstein abgelöst wurde. In der Hubertusburg gab es gemischtkonfessionelle Ehen, bei denen die Kinder protestantisch erzogen wurden. Dies unterschied Sachsen vom Preußischen Modell. Dort nahmen die Kinder die Konfession des Vaters an.⁷¹ Mit der Zeit nahmen die Spannungen zwischen den Konfessionen ab. Ab 1742 verrichtete der Hofkaplan Pfarrer Schubert in der Hubertusburg seinen Dienst. Diesem unterstellte man, dass er 1761 persönlich bei Friedrich II. vorsprach und die Schlosskapelle und Teile der Fürstenloge vor der Plünderung bewahrte.⁷² 1828 schloss man die Gemeinden Leisnig, Mügeln, Sornzig, Oschatz, Grimma, Colditz und Wurzen in der Hubertusburger Kirchgemeinde zusammen, wobei sich in der Hubertusburg auch die katholische Schule befand.⁷³

    Mit dem Beginn des siebenjährigen Krieges endeten die Feste auf der Hubertusburg. Nach der Marodierung von Schloss Charottenburg durch die sächsichen Truppen befahl 1760 Friedrich II. das Jagdschloß Hubertusburg zu plündern. Dies vollzog sich zweistufig. Die erste Stufe galt den Vorräten, dem Prunk, den Spiegeln, den Gemälden und selbst den Tapeten. In der Folge verkaufte Quintus Icilius⁷⁴ das Schloss an die Geschäftsleute Ephraim und Itzig für deren Kredite an Friedrich II., die dann die Plünderung vollendeten. Diese versilberten dann selbst die Glocken, die Uhr und das Kupferdach. Dabei trug man die Statuen ab und entfernte die vergoldeten Schlösser, die Bänder, die Riegel, die Türbeschläge, die Türen, die Fenster sowie die Wandverkleidungen. Vom Metall ließ man dann Geld prägen.⁷⁵

    Sachsen verlor die Gefechte bei Roßbach, Hochkirchen und Torgau. Ab Herbst 1762 verhandelten der Churprinz von Sachsen Friedrich Christian und Friedrich II. den Frieden, der dann am 15. Februar 1763 beschlossen wurde. Als Örtlichkeit nennt Bergsträßer den rechten Rundflügel im Jagdschloss Hubertusburg, die Amtswohnung des katholischen Pfarrers.⁷⁶

    Im gleichen Jahr verstarben sowohl im Oktober Friedrich August II. als auch im Dezember sein Sohn. Die Nachfolge trat Friedrich August III. an. Dieser setzte seine Schwerpunkte zugunsten einer Industrialisierung und der sozialen Frage. Man sicherte die Hubertusburg gegen die Witterung, indem man die Dächer mit Schiefer und den Turm mit Kupfer deckte.

    Man ersetzte zudem die Türen und Fenster mit einfachen Materialien. Zu Beginn nächtigten das Jagdgefolge in der Hubertusburg und der Kurfürst selbst im Jagdhaus in Sitzenroda. Erst ab 1820 stieg dieser wieder selbst in der Hubertusburg im linken Rundflügel ab. Die Möbel wurden von den anderen sächsischen Schlössern zusammen getragen. Die restlichen Räumlichkeiten nutzten ehemalige Hofbedienstete, pensionierte Offiziere, Witwen und Waisen vornehmer Familien als Unterkunft. Im Jahr 1770 sei das Hauptpalais und ein Teil der Gnadenwohnungen an die neu gegründete Fayencefabrik abgegeben worden. Zu dieser Zeit haben zusätzliche 56 Familien die Hubertusburg bewohnt.⁷⁷

    Man versuchte Delfter Porzellan zu imitieren und übertrug die Leitung einem Mitarbeiter der Meißner Porzellanfabrik. Dieser richtete in Torgau im Schloss Hartenfels eine Wohnung und Werkstätte ein. Dann schuf man im Bereich des französischen Jägerhofes nebst dem daran gelegenen Hundezwinger eine Manufaktur. Den Ton gewann man aus dem Fasanenholz. Die Qualität der Produkte war mangelhaft. Nachdem man mehrfach die Glasuren wechselte, erreichte man durch einen Wechsel des Rohmaterials eine akzeptable Qualität. Später erweiterte man die Fabrik. Diese erstreckte sich nun über den französischen und deutschen Jägerhof mit ihren Häusern, Ställen und Hundezwingern, die ehemalige königl. Küche mit Zubehör und mehrere Gnadenwohnungen. Ungeachtet dessen gelang es lange Zeit nicht, mit den englischen Waren konkurrenzfähige Produkte zu erzeugen. Erst nachdem man Wissen aus Meissen nutzte, gelang es ein ausreichend weißes Porzellan zu brennen. Die Fabrik wurde dann an einen Privatmann veräußert, unter dem dann zunehmend das Personal abgebaut und die Fabrik schließlich geschlossen wurde.⁷⁸

    Das Hauptpalais nutzte man ab 1791 als Militärmagazin. Dies schloss auch die Stallgebäude um den Schmiedehof herum ein. Im Hubertusburgsaal richtete man zwei Getreideböden ein. Auch sämtliche Säle und Zimmer der ersten und zweiten Etage wurden zu Böden vorgerichtet. Die Fenster versah man mit Belüftungsöffnungen, Läden und Drahtgitter. Dem Personal stellte man im Erdgeschoss Räume als Diensträume und Wohnungen zur Verfügung. Daneben richtete man auch Wachstuben zum Schutz des Magazins im linken Rundflügel ein. Die Lager füllten sich rasch und dienten in den Kriegsjahren nicht nur dem sächsischen, sondern vor allem auch dem französischen Heer als Quartier. 1809 konfiszierten die österreichischen und braunschweigischen Truppen das Magazin. Die Truppen verließen dann die Hubertusburg bald wieder. Wenige Jahre wurden die Räume als Lazarett genutzt.⁷⁹

    Der Generalmajor von Langenau befahl nach dem russischen Feldzug 1812, für die Kranken des sächsischen Armeecorps ein Lazarett im Schloss Hubertusburg anzulegen. Das königliche Absteigequartier verschonte man. Um die vielen kranken und verletzten Heimkehrer aufnehmen zu können, räumte man einen Teil des Magazins. Weiterhin funktionierte man die Steingutfabrik und die ehemalige Hofküche zur Lazarettküche, zur Feldapotheke und zum Laboratorium um. Dann richtete man Quartiere für den Lazarettkommandanten, den Administrator, die wachhabenden „Officiere", den Generalstabsarzt, die Wundärzte, den Feldapotheker, den Provisor, die Controleurs u.s.w. ein. Um den nötigen Platz zu bekommen, mussten die vormaligen Bewohner das Schloss räumen. Damit schuf man in den Gnadenwohnungen Raum für die kranken Offiziere, wogegen die anderen Soldaten die Räume des Magazins bewohnten. Den Brühlschen Pavillon bezogen der Administrator des Lazaretts und den Pavillon gegenüber die gemeinen Chirurgen. Dort befanden sich auch die Feldapotheke und weiteres Personal. Der Chirurg des Stabes wurde in der Schmiede einquartiert. Die durchziehenden Truppen umgingen die Hubertusburg, da man eine Ansteckung durch die grassierenden Seuchen befürchtete. In der Zeit des Waffenstillsandes wurden vom 4. Juni bis 17. August 600 Männer der französischen Kavallerie im Hubertusburger Schloss untergebracht. Vom 13.07. bis 25.07.1813 richtete man gegen dem Widerstand der Lagerverwaltung ein französisches Lazarett für 4000 Mann ein. Das königliche Absteigequartier nahm man davon aus. Damit betrieb man parallel ein sächsisches und ein französisches Lazarett. Aufgrund der Raumknappheit baute man die Küche auf dem Schlosshof auf. Ab dem 17.08.1813 trafen täglich Wagenladungen mit Schwerverwundeten und Kranken ein. Davon verstarb die Mehrzahl. Im Schmiedehof lagerten zudem russische und österreichische Kriegsgefangene, die offenes Feuer unterhielten, was zu einem hohen Feuerrisiko führte. Ein einziges Mal griff am 12.09.1813 die russische und österreichische Kavallerie an, welcher sich das Lazarettkommando in einem kurzen Gefecht auf dem Hof erwehrte. Im Rahmen der Völkerschlacht⁸⁰ kam es neuerlich zu einem hohen Aufkommen von Verwundeten und Sterbenden, so dass man im Lindigt große Massengräber ausheben musste, um diese dort zu bestatten. Die Verhältnisse in der Hubertusburg entgleisten unter dem Ansturm verwundeter Sachsen, Franzosen, Österreicher, Preußen, Russen, Polen und anderer Nationalitäten. Bergsträßer berichtet von sieben- bis achttausend Toten alleine in der Hubertusburg. Dabei überlebte lediglich ein Drittel das Lazarett. Bergsträßer berichtet von einem Gerücht, nachdem ein Spekulant 1830 versucht haben soll, die Gebeine auszugraben, um daraus Knochenmehl zu gewinnen, was man ihm verwehrt hat. Die Kapelle verschonte man damals, da dort 200 verwundete Russen untergebracht waren und der Mesner Venus alle Kerzen angezündet habe. Am 02.01.1814 entstand die Überlegung, das gesamte Schloss, mit Ausnahme der königlichen Absteige, zu einem Lazarett umzufunktionieren. In den anderen sächsischen Lazaretten mangelte es am Platz. Das Lazarett diente weiterhin als Militärlazarett und Invalidenhospital. Die Entscheidung zögerte sich hinaus, und nach der Rückkehr von Friedrich August am 7. Juni 1815 nach Sachsen gab man diesen Gedanken auf. Dieser besuchte dann erstmalig am 30.10.1815 wieder die Hubertusburg, dafür räumte man dann das sächsiche Lazarett. Die vertriebenen Schlossbewohner kehrten wieder ins Schloss zurück und man nutzte wieder das Magazin.⁸¹

    Damit diente die Hubertusburg wieder teilweise als Jagdschloss. Das letzte jährlich stattfindende königliche Jagdlager erfolgte 1826. Danach ließ der Nachfolger König Anton das Schwarzwild ausrotten. Königin Maria wollte die Hubertusburg noch besuchen, sie verstarb jedoch bei der Rückreise von Leipzig. Über eine Nacht wurde sie in der Hubertusburg aufgebahrt. 1835 gründete König Anton in einem Teil des Schlossgebäudes eine Bildungsanstalt für Landvermesser, die ein Jahr in Betrieb blieb. Aufgrund der Einführung von Grundsteuern musste man das Land neu vermessen. Friedrich August IV. wies 1837 an, das königliche Absteigequartier zur Einrichtung für arme alte Männer und Frauen und Teile des Seitengebäudes des Schlosses für eine Heilanstalt für schwer chronisch Kranke, für eine Versorgungs-Anstalt für Blödsinnige und Epileptische und zu einer neuen Strafanstalt umzufunktionieren. Der Bedarf einer Strafanstalt begründete sich in der Reform des Kriminalgesetzes. Man übergab einige Gebäude an die Commission für Straf- und Versorgungs-Anstalten. Das Gelände teilte sich in der Zuständigkeit zwischen vier Ministerien auf. Das Finanzministerium war für die Dienst- und Gnadenwohnungen, das Kriegsministerium für das Militärmagazin, das Kultusministerium für den öffentlichen Unterricht, die Schlosskapelle, die Wohnung des katholischen Geistlichen und des Schullehrers und das Innenministeriums für die Straf-, Heil- und Versorgungsanstalten zuständig. Als besonderen Termin benannte Bergsträßer den 26.06.1843, an dem der König die Hubertusburg besuchte, um die neuen Straf-, Heil- und Versorgungsanstalten zu inspizieren.⁸²

    Cap. II.

    Bergsträßer blickt zurück und beschreibt, dass die Konstitution des Landes Sachsen 1572 als Freiheitsstrafen nur das Zuchthaus und das Gefängnis vorsahen. 1771 wurde in Torgau und 1803 in Colditz ein Arbeitshaus eröffnet. Es handelte sich um Maßregeleinrichtungen für „sittlich entartete Personen (Trinker, Arbeitsverweigerer, Vagabunden). 1716 gründete man das Zuchthaus Waldheim im kurfürstlichen Schloss, um dort neben Gefangene auch Menschen mit schweren körperlichen und geistigen Krankheiten, Waisen und Findelkinder zu betreuen. Eine ähnliche Funktion wurde dann 1771 dem Schloss Hartenfels in Torgau zuteil. Dieses wiederum gründete auf einem 1730 eingerichteten Waisen- und Armenhaus. 1775 richtete man dann im Schloss Osterstein in Zwickau ein Zuchthaus für katholische Häftlinge ein. Diese Häftlinge wurden zuvor in Luckau, Torgau und im „Georgenhaus in Leipzig und später in Waldheim versorgt. Aufgrund des Festungsbaus löste man das Zuchthaus in Torgau wieder auf und verlegte diese Häftlinge nach Prettin, wohin zwischenzeitlich auch die Waldheimer Inhaftierten verschubt wurden. Im Rahmen des Wiener Friedenstraktates ging die Strafanstalt von Lichtenburg an das Königreich Preußen, so dass ein zunehmender Bedarf nach einer Strafanstalt entstand. Keine Anstalt sollte eine gemischte Belegung haben. Daher wurden die körperlich schwerkranken und unheilbaren Geisteskranken von Waldheim nach Colditz und die heilbaren in die Heilanstalt zu Sonnenstein verlegt. Die Waisen wurden in die Anstalt nach Bräunsdorf gebracht. Die Correctionsarbeitsanstalt zu Colditz war Teil der Strafanstalt in Zwickau. Bräunsdorf war dem Directorium der Commission für Straf- und Versorgungsanstalten (Staatsminister von Lindenau) unterstellt.⁸³

    1837 wurde die Änderung im Criminalgesetz umgesetzt. Die Todesstrafe - nun allerdings mittels Enthauptung - wurde beibehalten. Dies galt auch für die Festungshaft. Für Zivilisten kam diese jedoch nur nach einer Begnadigung in Frage. Auch andere Strafen bis hin zur körperlichen Züchtigung wurden beibehalten. In der Schwere folgte die Zuchthaus- der Todesstrafe. Dort haben die Häftlinge schwere Arbeit verrichten müssen. Zeitgleich verloren diese ihre Ehrenrechte, Ehrenzeichen, Rang, Titel, die akademische Würden, Beamtenbefähigung und Gewerbeerlaubnis für alle Zeiten. In dieser Strafe gab es zwei Graduierungen, der erste Grad trug eine zweifarbigen Anstaltskleidung, Beineisen (die Frauen einen an eine Kette befestigten Klotz) und bei Aufnahme wurde eine Strafverschärfung von einem zwanzigtägigem ununterbrochenen Dunkelarrest, einem „harten Lager, Entziehung warmer Kost auf 30 Tage in Zweitagesportionen mit jeweiligen Unterbrechungen verhangen. Beim zweiten Grad fehlten diese Verschärfungen. Weitere Haftverschärfungen gab es in Form einer körperlichen Züchtigung von 30 bis 90 Rutenhieben, soweit dies der Häftling körperlich ertragen hat können. Die Zuchthausstrafe konnte lebenslänglich oder unter zwanzig Jahre betragen. Beim ersten Grad betrug die Strafe mindestens zwei und beim zweiten über ein Jahr. 1838 wurde als neue Strafform das Arbeitshaus eingeführt. Dies füllte die Lücke zwischen Gefängnis- und Zuchthausstrafe. Hier war ebenso eine Anstaltskleidung zu tragen und zu arbeiten. Verschärfungen gab es in der Form von einem zwanzig- oder dreißigtägigen harten Lager oder einer bis zu dreimonatigen Kostbeschränkung (Wasser und Brot, die jeden dritten Tag unterbrochen wurde). Die Strafrahmen lagen zwischen 2 Monaten und 10 Jahren. Es konnten auch Gesamtfreiheitsstrafen gebildet werden. Dabei war es auch möglich, eine höhere Strafart zu substituieren. Das Verhältnis vom Arbeits- zum Zuchthaus ersten Grades stand zwei zu eins. Eine dreimonatige Zuchthausstrafe zweiten Grades konnte seinerseits in einen Monat Zuchthaus ersten Grades überführt werden. Beim Gefängnis und Arbeitshaus war die Kleidung einheitlich grau und es bestand eine Arbeitspflicht. Der Verlust der Bürgerrechte war fakultativ. Beim Gefängnis waren die Kostbeschränkung, Arbeit und sonstige Behandlung milder. Beim Überverdienst verblieben während der Strafzeit bei den Züchtlingen ersten Grades ein Viertel, den Züchtlingen des zweiten Grades ein Drittel, bei den Insassen des Arbeitshaus die Hälfte. Man hat zudem die entehrenden Folgen der Zuchthausstrafe und des Arbeitshauses in der Städteordnung und im Staatsdienergesetz erlassen. Die Häftlinge des Arbeitshauses hatten eine Stunde Hofgang, die von ihrem Arbeitspensum von 14 Stunden abgezogen wurde. Weiterhin wurde an den Sonntagen das Gemüse in Fleischbrühe gekocht und sie konnten die Überverdienste in „Victualien umsetzen und sich bis zu ½ Pfund Fleisch alle 14 Tage kaufen. Dies hat nach Bergsträßer jedoch nicht für die Hubertusburg gegolten, da die Arbeiten nicht schwer genug gewesen und das Leben für viele besser gewesen ist als diese es von der Freiheit her kannten. Daher sollte der Überverdienst (entspricht dem heutigen Eigengeld) für die Zeit nach der Entlassung angespart werden. Im Gegenzug wurde weniger Disziplin gefordert. Unter dreimonatige Gefängnisstrafen wurden in Gerichtsgefängnissen verbüßt. Währten diese länger, mussten sie in den allgemeinen Landesgefängnissen verbüßt werden. Wenn die Gefangenen ihre Verpflegung selbst haben bestreiten können, hat es keine Erschwernisse der Haft gegeben. Sonst mussten diese arbeiten. Der Grund war, die Häftlinge von den schwerer Bestraften zu trennen. Auch hier konnte vertretungsweise vier Monate Gefängnis durch zwei Monate Arbeitshaus getauscht werden.

    Es bestand auch die Möglichkeit einen Zuchthausaufenthalt mit einem zweimonatigen Aufenthalt im Arbeitshaus zu tauschen. Auch hier konnten Verschärfungen in der Form einer Kostreduktion auf Wasser und Brot (alle drei Tage unterbrochen) gesetzt werden.⁸⁴

    Mit der Forderung der neuen Strafmodelle war gefordert, drei verschiedene Anstaltsformen vorzuhalten. Dieses waren ein Zuchthaus, ein Arbeitshaus und ein Landesgefängnis. Die Strafanstalt in Waldheim verblieb als einziges Zuchthaus und die Strafanstalt in Zwickau wurde zum Arbeitshaus umgewandelt. Die Correctionärsanstalt verblieb in Colditz. Da man dort keinen Platz für die Frauen hatte, entstand das Arbeitshaus für Frauen in der Hubertusburg. Dort war bereits ein Landesgefängnis in den Räumen des Schlosses eingerichtet worden. Mit der Fertigstellung hielt die Hubertusburg ein Zuchthaus, zwei Arbeitshäuser, ein Landesgefängnis und eine Correktionärsanstalten für jugendliche Kriminelle vor. Dieses wiederum war die Folge des Artikels 66 des Criminalgesetzes, der besagte: „Kindern vor zurückgelegtem 12ten Jahre kann eine gesetzwidrige Handlung nicht als Verbrechen angerechnet werden, es ist jedoch in einem solchen Falle von den Richtern nach Befinden eine angemessene Züchtigung derselben durch die Eltern, oder, insofern dies nach den Verhältnissen nicht thunlich ist, durch andere Personen zu verfügen, auch nach den Umständen nebenbei ihre Unterbringung in eine Erziehungs- und Besserungsanstalt einzuleiten." Die erste dieser Anstalten wurde in Bräunsdorf als Corrextionärseinrichtung für verwahrloste und sittlich verwilderte Kinder eingerichtet. Bei einem Alter zwischen 12 und 18 Jahren wurde dies auch als Strafmilderungsgrund anerkannt, jedoch Gefängnisstrafen verhangen. War die Strafe zu schwer und über dem eines Arbeitshauses gelegen, dann war diese auch nach der Pubertät in Bräunsdorf zu verbüßen. Dort hat man deshalb auch speziell eine Zuchthausklasse eingeführt, um diese Jugendlichen von den anderen zu trennen. Waren die jungen Mädchen in der Pubertät, wurden sie in die Correctionärsselecta überwiesen. Die Verhältnisse in Zwickau waren ähnlich. Waldheim diente den Verbrechern beiderlei Geschlechts und war auch bei der Begnadigung für jugendliche Verbrecher vorgesehen. Zwickau hat die männlichen Korrektionäre übernommen und Waldheim die Frauen. Beim Arbeitshaus waren die Männer in Zwickau und die Frauen in der Hubertusburg untergebracht. Bei Gefängnisstrafen über drei Monate wurde diese für beide Geschlechter in der Hubertusburg vollstreckt. Bei Jugendlichen erfolgte der Vollzug in der „Correctionsclasse" in Bräunsdorf. Bei Männern erfolgte die Vollstreckung in Zwickau und bei den Frauen in Waldheim.⁸⁵

    Bergsträßer würdigt John Howard, der sich 1756 selbst in Haft befand und aus seinen Erfahrungen Empfehlungen zur Reform des Pönitärsystem gegeben hat. Ausgang waren dessen Erfahrungen in den Jahren 1774 bis 1776, als er in Mitteleuropa Willkür, „Verwilderung der Insassen, Hunger, Überfüllung, Feuchtigkeit und Krankheiten gesehen hatte. Er empfahl eine bessere Behandlung der Gefangenen, eine bessere Ausstattung der Gefängnisse, Einzelzellen, Trennung nach Alter, Geschlecht und nach der Strafschwere. Weiterhin forderte er Arbeit und „penitentiay houses, deren Ziel die Resozialisierung war. Er unterstellte

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