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Stunde Null bis Pall Mall: Wie Goslar und Umgebung die Besatzungszeit von 1945 bis 1948 erlebt
Stunde Null bis Pall Mall: Wie Goslar und Umgebung die Besatzungszeit von 1945 bis 1948 erlebt
Stunde Null bis Pall Mall: Wie Goslar und Umgebung die Besatzungszeit von 1945 bis 1948 erlebt
eBook358 Seiten11 Stunden

Stunde Null bis Pall Mall: Wie Goslar und Umgebung die Besatzungszeit von 1945 bis 1948 erlebt

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Über dieses E-Book

Über die Zeit der Besatzung in Deutschland – von der sogenannten „Stunde Null“ im Mai 1945 angefangen – gibt es wenig anschauliche Literatur. In diesem Buch werden die Verhältnisse in der britischen Besatzungszone am Beispiel der Region Goslar dargestellt.

Wie war es wirklich in Goslar und Umgebung, als der Krieg zu Ende war, als die Amerikaner das Gebiet besetzten und nachher die Engländer kamen?
In verschiedenen Berichten aus Tagebüchern, Zeitungsmeldungen, Briefen, Aufzeichnungen und Notizen vielerlei Art wird diese fast vergessene, unsichere Zeit wieder lebendig.
Eine umfassende Darstellung – historisch und aktenkundig fundiert – gibt es für Goslar noch nicht.
Jedoch die hier gesammelten zum Teil sehr persönlichen Beiträge von unterschiedlichen Zeitzeugen, vermischt mit lapidaren Vermerken diverser Herkunft, geben dem Interessierten ein anschauliches Abbild der damaligen Zeit und dem Dabeigewesenen einen Blick in vielfache Erinnerungen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum7. Jan. 2015
ISBN9783738688313
Stunde Null bis Pall Mall: Wie Goslar und Umgebung die Besatzungszeit von 1945 bis 1948 erlebt
Autor

Hannelore Giesecke

Hannelore Giesecke, Jahrgang 1927. Dipl. Bibliothekarin. Von 1950 bis zur Pensionierung 1992 Leiterin der Stadtbücherei Goslar, seitdem 'ehrenamtlich' tätig im Stadtarchiv Goslar. Veröffentlichungen: Emilie. Ein leiser Abschied. Leben in Goslar 1816-1931. Aus einem Tagebuch zusammengestellt. Norderstedt: Books on Demand 2009. 178 S. Nebenbei Erlebtes. Goslar 1930-1948. Aus dem Alltagsleben der Tante Marie. Norderstedt: Books on Demand 2012. 559 S. Nun muß sich alles wenden. Goslarer Allerlei 1948-1970. Aus gesammelten Zeitungsberichten. Norderstedt: Books on Demand 2013. 470 S. Sie lebten auch in, Goslar. Mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten, die nur kurz oder länger in Goslar lebten. Norderstedt: Books on Demand 2014. 149 S. Stunde Null bis Pall Mall. Wie Goslar und Umgebung die Besatzungszeit von 1945 bis 1948 erlebt. Norderstedt: Books on Demand 2014. 303 S.

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    Buchvorschau

    Stunde Null bis Pall Mall - Hannelore Giesecke

    Bondy

    VORWORT

    Wie war es denn wirklich, als der Krieg zu Ende war, als die Amerikaner Goslar besetzten und nachher die Engländer kamen?

    Eine fachkundige, kompetente Aufarbeitung des damaligen Geschehens in Goslar ist noch nicht erfolgt und gegenwärtig auch kaum durchzuführen, da etliche der umfangreichen städtischen Archivalien, die den Zeitraum ab 1945 betreffen, leider zu den wegen Schimmelbefalls ausgelagerten und nicht zugänglichen Beständen des Stadtarchivs gehören, wie zum Beispiel die Akten Ernährungs- und Wirtschaftsamt, Wohlfahrtsamt, Jugendamt, Sozialamt, Polizeiverwaltung, Kulturamt, Kämmerei, Liegenschaftsamt, Bauamt, Amt für Statistik.

    Erst nach einer intensiven reinigenden und trocknenden Behandlung dieser Bestände wird eine archivische Bearbeitung möglich sein.

    Auch die Goslarsche Zeitung erschien in diesen Jahren nicht, erst wieder Ende 1949. Daher kann vorerst die oben gestellte Frage fast nur mit Hilfe der überlieferten Erinnerungen von Zeitzeugen beantwortet werden, und die sind ungemein vielschichtig, zum Teil sehr ähnlich, aber auch oft widersprüchlich. In der Wertung kommt es dabei auf den Betrachter an.

    Im Stadtarchiv Goslar findet man dazu in den zugänglichen „Kleinen Erwerbungen und den Akten „Verfügungen und Bekanntmachungen der Militär-Regierung 1945-47 etliche kleinere und größere Berichte, Vermerke, Notizen, Aufrufe, Schreiben und Briefe, deren Inhalt sehr Verschiedenartiges der fraglichen Zeit darlegen.

    Den ‚Zulieferern‘ dieser Zusammenstellung aus vielen kleinen bunten Teilchen, sei an dieser Stelle herzlichst gedankt.

    Die Anregung, mit diesen – partiell sehr persönlichen – Erlebnissen etwas Erhellendes in das Grau der Besatzungszeit zu bringen, stammt von meinem Sohn Donald, der auch die geschichtlichen Erklärungen zusammenstellte.

    Goslar, im Oktober 2014

    Hannelore Giesecke

    Zum Ende des Krieges war ich noch keine 18 Jahre alt, und mein Tagebuch aus jenen Tagen ist dementsprechend natürlich kein umfassendes Zeitdokument, wenn ich auch vom Bahnhofsdienst und vom Katastropheneinsatz in Hildesheim eindrucksvoll berichtete.

    So steht unter dem 1. Februar 1945: … Wir haben gestern Abend Menschen geholfen, die seit 11 Tagen aus Thorn unterwegs sind. Sie haben mehrmals die überfüllten Züge an sich durchfahren lassen müssen. Sie erzählten uns Entsetzliches. Viele Frauen verloren die Nerven, wurden wahnsinnig und durchschnitten sich und ihren Säuglingen und Kleinkindern die Kehlen …

    Und am 2. April 1945: … Hildesheim sieht schlimm aus. Man erkennt die Altstadt nicht wieder. Alles Trümmer und Schutt. … Wir haben in Hildesheim toll geschuftet. Es war nicht einfach für uns. Man mutete uns tatsächlich manches zu, was wir uns niemals hätten träumen lassen …

    7. April 1945: … Goslar soll nun ja endlich und endgültig zur Lazarettstadt ernannt worden sein. Wir haben augenblicklich über 5.000 Verwundete hier liegen. Am Achtermann, Niedersachsen usw. sind schon die weißen Rote-Kreuz-Fahnen aufgezogen. Alle Lazarette sind überfüllt, dauernd kommen noch neue Transportzüge …

    Am Donnerstagabend beim Bahnhofsdienst habe ich ein junges Ehepaar mit einem 12 Wochen alten Jungen aufgelesen. Sie sind vierzehn Tage lang immer vor den Amis her geflohen; sie kamen aus dem Westerwald. Die Keller in der „Bergkanne" und in der „Hans-Schemm-Schule" waren schon überfüllt. Mir tat das Lüttche so leid, da habe ich sie mit nach Haus genommen. Nun sind die Schm.s noch hier. Er hat heute seine Einberufung nach Stendal bekommen. Frau Schm. wird bleiben, ob bei uns, ist noch fraglich.

    8. April 1945: Der Feind steht unmittelbar vor Goslars Toren. … Jeden Augenblick kann es „Feindalarm" geben. Wir bleiben natürlich hier. Wo sollten wir auch noch hin?

    Der Oberharz wird sehr wahrscheinlich verteidigt …

    Heute Nachmittag wurde nun wirklich der Flugplatz gesprengt. Gestern Morgen ging’s schon wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Sämtliche Fenster und Türen wurden aufgesperrt, um den entstehenden Luftdruck auszugleichen. Nun war es ja gar nicht so schlimm. Es hat nur so ein bißchen gerumst.

    11. April 1945: Sie sind da! Gestern um ½ 2 Uhr <13.30> kündete die Sirene den Feind an … Eine Unmenge von amerikanischen Panzern, Lastwagen, Autos usw. hat unsere Stadt besetzt. … weiße Fahnen … der Oberbürgermeister soll es so angeordnet haben. …

    Wir sind in der Nacht noch einmal kurze Zeit im Keller gewesen, denn irgendein Geschütz schoß derart, daß Fenster und Türen klapperten und das ganze Haus dröhnte. …

    Heute früh klebten überall Bekanntmachungen an den Häusern. Nur in der Zeit von 9-12 Uhr darf ein Familienmitglied das Haus zum Einkaufen verlassen. Das ist wenig Zeit, weil man überall so lange anstehen muß …

    Die unwahrscheinlichsten Berichte über den Einzug der Amerikaner und die Geschehnisse an den Tagen davor kursierten in der Stadt. Widersprüchlichst die Anordnungen über Verteidigung oder kampflose Übergabe, weiße Fahnen oder nicht: Der Aufruf im „Harzer Tageblatt" vom 7. April Nur der Kampf kann den Sieg bringen! gezeichnet vom Oberbürgermeister (der davon nichts gewußt haben wollte) und vom Kreisleiter (der schon bald seiner bereits davongegangenen Familie gefolgt war) gegen die Durchsage vom Lautsprecherwagen am gleichen Tag abends Goslar keine Festung!

    Der Chef der Firma „Fotokopist – später „Reprografia. Janos Bondy, schrieb: Der Dienstag 10. 4. begann mit strahlendem Sonnenschein. Vormittags war ich – wie immer – im Büro, um noch einige wichtige Vorbereitungen bezw. Eingrabungen unter die Erde zu veranlassen. Gegen 11 Uhr rief mich Ruth an, daß auf jede Raucherkarte zusätzlich die fast unheimlich scheinende Menge von 240 Stück Zigaretten pro Person abgegeben werde. Das war eigentlich das erste Anzeichen höchster Alarmbereitschaft. Durch einen glücklichen Umstand gelangte ich mittags schon nach wenigen Minuten Wartezeit in den Besitz der uns zustehenden 480 Zigaretten. Nach dem Mittagessen zu Hause ging ich nochmals kurz ins Büro, um von dort einen Leiterwagen zu holen, den Berthe zum Kartoffelkaufen benötigte. Um 13 Uhr 40 Min. heulte die Sirene. Sie schien nicht enden zu wollen. Jetzt war es also so weit. Ich raste mit dem Leiterwagen durch die Breite Strasse nach Hause. Ganz Goslar raste. Die Menschenschlangen vor den Geschäften lösten sich in rasende Einzelkörper auf. Es wird ein unvergessliches Bild bleiben, wie die ganze Strasse in wilder Bewegung war. Ich landete zu Haus. …

    Danach: Draussen geschah nichts. Die unheimliche Stille wurde nur sehr selten durch teils nahes teils entferntes Schiessen unterbrochen. …

    Etwa gegen 15 Uhr 30 Min., als immer noch Ruhe herrschte und nirgends ein Schuss fiel, wagten wir uns in die Stadt hinein. … Einige wenige amerikanische Militärwagen standen mitten auf dem Marktplatz, vor ihnen patrouillierend amerikanische Soldaten, umringt und bestürmt von Goslars Kindern. So sahen also die Barbaren aus, jeder einzelne mit einer Zigarette im Mund. Auf unserem weiteren Spaziergang durch die Strassen begegneten wir vielen Amerikanern, zu Fuss, auf Wagen und Motorrädern, teils in friedlichstem Gespräch mit der Bevölkerung. … Vom Bahnhof in Richtung Ernährungsamt und weiter stauten sich in grosser Zahl die amerikanischen Wagen, Panzer usw. Vor ihnen standen und lagen die Soldaten, essend, rauchend, Cognac und Sekt trinkend. Ihre Gesichter braun gebrannt, alle gut aussehend, wohl genährt und sympathisch im Ausdruck. Wir besahen uns das Schauspiel etwa 1 Stunde lang und bewunderten die fabelhafte Ausrüstung. Dazwischen sausten die kleinen wendigen Militärautos fast geräuschlos umher, es roch viel nach Benzin, ein schon lange vermisster Geruch hier in Deutschland.

    Wir waren alle ganz benommen und verwirrt bei dem Gedanken, dass jetzt, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, amerikanische Soldaten und Kraftwagen durch Goslars Strassen zogen.

    Vom Güterbahnhof, wohin die Menschen strömten, kamen sie zurück, schwer bepackt mit riesigen Kartons, Säcken, auf Leiterwagen, Kinderwagen und sonstigem Gefährt. Auf dem Gelände wimmelte es von Menschen, die in den aufgebrochenen Güterwaggons wühlten und im wahrsten Sinne des Wortes plünderten. Nicht die Amerikaner, nein die Deutschen und sonstigen Ausländer, die sich hier aufhielten. Sie schleppten Tausende von Zigaretten heraus, Säcke mit Erbsen, die sich über die Erde ergossen, wo das Volk wühlte und kratzte. Auf den Güterwagen standen die Leute und warfen herunter: Treibriemen, Gurte, Gummischläuche, Sohlenleder, Konserven und vieles mehr.

    Plötzlich schritt deutsches Bahnpersonal ein und vertrieb das Volk vom Gelände. Um einen Sack Erbsen zankten sich einige deutsche Frauen mit Ausländern, als ein Bahnbeamter dem Streit ein Ende bereiten wollte und den Sack wegnahm. Die Ausländer stürzten sich auf ihn, es entstand eine wilde Schlägerei, die Kämpfer lagen am Boden, mit dem Erfolg, dass sich das übrige Volk über den Sack hermachte. Endlich erschienen amerikanische Soldaten und vertrieben mit 3 Schuss aus ihren Gewehren die gesamte Menschenmenge.

    Dann vor der Post. Ein amerikanisches Militärauto fuhr vor. Die Amerikaner verlangten Einlass in die noch von deutschen Beamten verschlossene Tür. Nach einigem starken Klopfen öffnete ein deutscher Postbeamter, mechanisch grüssend mit erhobener Hand „Heil Hitler! – „Nix mehr Heil Hitler machen! erwiderte der Amerikaner und verschwand mit dem Beamten in der Post. …

    Dann zog ich heimwärts, wo unsere Nachbarn – bisher überzeugte Nationalsozialisten- gerade damit beschäftigt waren, die bereits im Keller versteckten Hitler-Bilder zu zerschneiden und die Bronze-Büsten ins Wasser zu werfen.

    Mein Eindruck vom ersten Tag der Besetzung: Ein erleichtertes Aufatmen ging durch die Bevölkerung.

    Während ich hier schon seit fast 3 Stunden schreibe, erbebt unsere kleine Wohnung von dem schweren Artilleriefeuer, das die Nähe der tobenden Schlacht verkündet.

    Im Schimmerwald waren die Munitionslager gesprengt worden. Dazu Tagebuchnotizen von Horst-Günther Lange: Lochtum. Am 10. April abends rückten die Panzer ohne Widerstand in Vienenburg ein. – In den frühen Abendstunden dieses Tages erhielt Bürgermeister Bosse die amtliche Mitteilung: Heute abend wird die Muna im Schimmerwald gesprengt. Die Einwohner sollten das Dorf verlassen und möglichst im Norden oder Westen des Ortes Schutz suchen.

    Gegen 20 Uhr brach die Dunkelheit ein. Überall aus den Häusern kamen Menschen mit angstverzerrten Gesichtern, Männer und Frauen, Mütter mit weinenden Kindern.

    Viele strebten dem „Kalten Brunnen zu, um an der Böschung gegenüber dem „Feuerteich vor dem Detonationsdruck sicherer zu sein. Andere zogen weiter ins ‚Gebiet‘ oder in die Lehmkuhle. Gegen 21 Uhr brach die Hölle los. Die Menschen hatten Anweisung erhalten, sich so eng wie möglich an den Boden zu pressen und den Mund zu öffnen. Plötzlich zuckte die Erde, während gleichzeitig im Südosten ein greller Feuerschein den Himmel erhellte. Sekunden später erschütterte eine furchtbare Detonation die Luft. Eine Sprengung folgte der anderen, über zwei Stunden lang.

    Den Rückkehrern ins Dorf bot sich ein furchtbares Bild. Überall auf den Straßen lagen zerbrochene Dachziegeln und Glasscherben. In den Wohnungen waren Türen und Fenster aus den Angeln gerissen, auf den Fußböden befand sich zentimeterhoch Mörtel und Staub. Die meisten Dächer wiesen riesige Löcher auf.

    Den Tagebuchaufzeichnungen des Direktors des Gymnasiums, Werner Brökelschen, kann man entnehmen, daß aus dem Rathaus telefonisch Weisung erfolgt war, weiße Fahnen zu hissen, obwohl der Gauleiter Lauterbacher noch am Sonntag, 8. April, in seinem Aufruf an alle Volksgenossen darlegte: Nur an wenigen Stellen wurde die weiße Fahne gehißt. In allen diesen Fällen hat das Standgericht sofort gesprochen; dort wo das Standgericht infolge der Feindbesetzung nicht einschreiten konnte, hat der Werwolf gesprochen.

    Zu allem Wirrwarr kam noch hinzu, daß im Siemensviertel ein Abgesandter der Kreisleitung alle Häuser mit weißer Flagge in ein Verzeichnis eintrug, was die dortigen Bewohner so erregte, daß sie dem Mann fast mit Gewalt die Notizen entrissen.

    Fest steht, daß die amerikanische Truppe angesichts der Lazarettstadt-Schilder und der großen weißen Rote-Kreuz-Fahnen vor der Stadt verharrte, einen Boten mit einem US-Kampfwagen zum Rathaus schickte, der das Stadtoberhaupt zu Verhandlungen über Kampf oder Übergabe Goslars zur Stadtgrenze herbeordern sollte.

    Bei dem „Boten" handelte es sich um einen Heißumer Polizeibeamten, der mit dem Fahrrad seine minderjährige Tochter, die in einem Goslarer Haushalt beschäftigt war, aus der gefährdeten Stadt Goslar holen wollte, auf seiner Fahrt von den amerikanischen Panzern überholt wurde und an der Hildesheimer Straße den entscheidenden Auftrag erhielt.

    Tatsächlich feuerten noch versprengte Soldaten und fanatisierte Hitlerjungen vom Fuße des Nordbergs oberhalb der Füllekuhle auf die anrückenden amerikanischen Panzer.

    Der Oberbürgermeister im Rathaus beauftragte dann telefonisch den Stadtkämmerer, Heinrich Wulfert, der sich befehlsgemäß bei Auslösung des Feindalarms sofort von zuhause aus zum Befehlsstand am Oberen Triftweg begeben hatte, für ihn die Verhandlungen mit dem Führer der amerikanischen Panzertruppe an der Stadtgrenze aufzunehmen. Begleitet wurde Wulfert vom Stadtsyndikus Dr. Rudolf Böttcher.

    Die Verhandlungen über kampflose Übergabe der Stadt, sofortiges Einstellen der Feindseligkeiten und weiße Fahnen an allen Gebäuden gestalteten sich ziemlich schwierig. Goslars Schicksal hing wirklich am seidenen Faden.

    Wulfert berichtete darüber: Alsdann begaben wir uns in den Wagen des Autovermieters Julius Niethammer und fuhren durch Nonnenweg, von-Garßen-Straße, Am Heiligen Grabe zur Astfelder Straße. Bereits am Eingang zur Straße Am Heiligen Grabe wurde der Wagen von Ecke „Astfelder – Hindenburg- Straße" durch im Anschlag befindliche MG- und Maschinenpistolen-Schützen gezwungen zu halten. Böttcher, Niethammer und ich gingen dann zusammen zum Führer der Panzertruppen, der an der Straßenkreuzung die Männer erwartete. Panzer waren aufgefahren in der von-Hindenburg- und Astfelder Straße und laufend rollten weitere an. …

    Der Kommandant verlangte außerdem, sofort den Schützen am Nord- und Steinberg den Befehl zu geben, daß diese das Feuer einstellten.

    Ich ging dann mit Böttcher zum Schieferweg, wir wollten zunächst versuchen, zum Kampfkommandanten, Oberer Triftweg, zu gelangen, um festzustellen, was für Truppen noch in Goslar waren, um danach die entsprechenden Entschlüsse zu fassen.

    Helmut Bäume, ersichtlich ist, alle einsatzfähigen Soldaten bereits aus Goslar abgezogen worden.>

    Wir wurden jedoch von den amerikanischen Schützen gezwungen, die Richtung wieder zu wechseln und zum Schieferweg abzubiegen.

    Das Ziel: „Feuer einstellen" erreichten sie vorerst nicht, wohl aber weiteres Hinhalten mit dem Führer der amerikanischen Panzertruppen, mehrmaliges Hin- und Herfahren zwischen Stadtgrenze, Rathaus, Befehlsstand und Lazarett Achtermann.

    Der Oberbürgermeister hatte inzwischen mitgeteilt, daß er die Stadt verlasse. Böttcher und ich hielten uns dann für den Empfang eines amerikanischen Befehlshabers weiter auf dem Rathaus bereit. Nach einiger Zeit erschien dann Major Rogers mit einem deutschsprechenden amerikanischen Offizier. Mit diesen wurde dann im Senatorenzimmer verhandelt. …

    Ich wurde darauf von dem Major Rogers zum Bürgermeister bestellt und mir eine entsprechende in englischer und deutscher Sprache ausgefertigte Urkunde ausgehändigt.

    Schon am nächsten Tag wurden viele Häuser – besonders am Stadtrand – durch die Amerikaner beschlagnahmt, und die Bewohner mußten umgehend und oft ganz und gar ohne irgendwelche Habseligkeiten ihre Wohnungen verlassen. Zum Teil dauerte die Belegung durch die Besatzungsmacht mehrere Jahre. Auch etliche Hotels wurden requiriert und die Gäste vertrieben, wie zum Beispiel im Hotel „Kaiserworth", in dem nun 20 amerikanische Offiziere Quartier nahmen.

    Heinrich Wulfert 1957

    Karl-Heinz Knoke berichtete über das „Kriegsende 1945 in Oker": … am Dienstag, dem 10. April 1945. Wir waren zur Schule gegangen, aber ein Unterricht fand nicht mehr statt.

    … Ehe alle Jugendlichen den Schulhof verließen, wandte sich Lehrer Binder, er war Hauptmann der Reserve, insbesondere an die Schüler der älteren Jahrgänge und appellierte an sie, entgegen der Propaganda des damaligen Regimes, sich nicht an irgendwelchen feindseligen Aktionen gegen die anrückenden Amerikaner verwenden zu lassen.

    Um die amerikanischen Truppen am Heinrich Wulfen 1957 Vormarsch zu hindern, sollte im Bereich der Straße Im Schleeke, zwischen der dort befindlichen Shell-Tankstelle und den Fabrikgebäuden der jetzigen Firma H.C. Starck, durch Volkssturmleute eine Panzersperre errichtet werden. Aufgefordert dazu wurden die Volkssturmmänner durch die für sie zuständigen NS-Zellenwarte am 10. April 1945 gegen 11 Uhr. Es erübrigt sich eigentlich zu bemerken, daß die Sperre nicht mehr gebaut wurde! Ohnehin hatte ein älterer realistisch denkender Betriebsingenieur der Firma Borchers den ‚Planern‘ der Panzersperre vorgehalten, die Zermalmungskraft eines Panzers wohl stark zu unterschätzen, und daß es für einen solchen eine Kleinigkeit sei, die Gebäude zu zerstören, um die Sperre zu überwinden. Schließlich wolle man auch nach Kriegsende ein intaktes Werk weiter betreiben.

    Die einrückenden Amerikaner ließen dann den Okerschen Arzt Dr.Kurt Brinkmann und einige seiner Nachbarn als „Schutzschild" den Panzern bis über die Harzburger Brücke vorauslaufen.

    In der Nacht vom 10. zum 11. April wurden die unterirdisch im Schimmerwald bei Stapelburg angelegten Munitionsbunker (Muna) gesprengt. Die Detonationen wirkten sich selbst in Oker noch so stark aus, daß vielfach der Putz von den Zimmerdecken fiel.

    Kartenausschnitt Schimmerwald bei Bad Harzburg – Britische Besatzungszone 1945

    Erika Wellner geb. Bothe hatte an diesem markanten Tag richtig Glück; sie erinnerte sich: Wegen einer Erkrankung wurde ich aus der Munitionsfabrik Diekholzen bei Hildesheim, in der wir Arbeismaiden (RAD) kriegsdienstverpflichtet arbeiten mußten, vorerst beurlaubt. Vom März bis April ’45 weilte ich in der Naturklinik „Jungborn" in Eckertal zur Kur.

    Vom letzten Aufenthalt zu Haus in Goslar nahm ich am 8. April mein Fahrrad mit zum „Jungborn", um beweglicher zu sein, was sich dann als gute Entscheidung erwies. Als am 10. April die Amerikaner sich immer weiter näherten, wurde uns Patienten frei gestellt, nach Haus zu fahren. Ich nahm meinen Koffer und fuhr mit dem Fahrrad los.

    Durch den Schimmerwald und Oker in Richtung Goslar. An der Okerstraße wurde ich von „Volksstürmern" und Hitlerjungen am Weiterfahren gehindert. Sie standen mit Panzerfäusten bewaffnet an der Straße, um die Panzer aufzuhalten. Ich konnte deshalb nur auf Um- und Nebenwegen am Petersberg vorbei zur Wohnung in der Kornstraße fahren, die ich ziemlich erschöpft erreichte.

    Es dauerte dann auch keine Stunde mehr, bis die amerikanischen Panzer vom Marktplatz kommend, die Kornstraße hinunterfuhren. Wir sahen damals die ersten dunkelhäutigen Soldaten auf den Panzern.

    Damit begann die Besatzungszeit, und für uns war der Krieg vorbei! Leider noch nicht für alle Deutschen.

    Daß sie nur um wenige Stunden dem ziemlich gefährlichen Inferno im Schimmerwald entkommen war, wurde der damals 19-Jährigen erst später klar.

    <1886 hatten die Brüder Adolf und Rudolf Just zwischen Stapelburg und Eckertal in der freien Natur ein Sanatorium nach den Grundsätzen der wieder entdeckten Naturheilkunde eingerichtet, in dem nach den Heilmethoden: Licht, Luft, Lehm und Wasser die Patienten Heilung erfuhren, darunter berühmte, wie zum Beispiel Franz Kafka und Hans Albers, bei Freikörperkultur aber noch mit getrennten Damen- und Herrenparks.

    Unter russischer Besatzung wurde es als Lungenheilanstalt genutzt, aber im Zuge des Ausbaus der innerdeutschen Grenze zur Grenzsicherung 1961 abgerissen, denn das Gelände des so lange Zeit sehr erfolgreichen Unternehmens lag zwischen den beiden Todeszäunen.)

    Von einem anderen Patienten, der nach schwerer Krankheit Anfang April ’45 nach Ilsenburg zur Kur geschickt worden war, hörte seine Frau in Goslar nach der Besetzung durch die Amerikaner nichts mehr. Die Post war eingestellt, eine Verbindung nach Ilsenburg bestand nicht. Erst als die Straßen nach den Kampfhandlungen wieder frei waren, gelangte die Frau nach Ilsenburg und mußte dort im Sanatorium erfahren, daß ihr Mann bereits vor Wochen verstorben und längst beerdigt war. Die Umbettung zum Goslarer Friedhof konnte dann nach über einem Vierteljahr erfolgen.

    Aus Othfresen wurde erzählt, daß die Zuckerfabrik und der Schafstall mitten im Ort brannten, daß eine Granate die Kirchturmuhr traf und daß 5 blutjunge Landser vom Flakgeschütz, 16-17 jährig, aus Erdlöchern dreimal auf die anrückenden amerikanischen Panzer schossen, von Granaten ‚niedergemäht‘ und später auf dem Othfresener Friedhof betattet wurden. Sechs ältere Flaksoldaten hatten sich in Sicherheit gebracht und wurden mit Zivilkleidung versorgt.

    Der Krieg ist zu Ende – und was kommt nun?

    Der ‚Tag der Befreiung‘ oder die ‚Stunde Null‘ werden offiziell mit der Kapitulation Deutschlands und damit der Niederlage der nationalsozialistischen Diktatur auf den 8. Mai 1945 festgeschrieben. Für viele Regionen war dieser Tag allerdings entsprechend früher, je nachdem, wann die Besatzung durch alliierte Truppen begann. Für Goslar galt also der 10. April 1945 als Ausgangspunkt für eine in jeder Hinsicht ungewisse Zukunft.

    Mit der Konferenz der Alliierten in Jalta auf der Halbinsel Krim vom 4. bis 11. Februar 1945 der ‚Großen Drei‘ – US-Präsident Theodore Roosevelt, der britische Premierminister Winston Churchill und der sowjetische Diktator Josef Stalin – konkretisierte sich die Behandlung Deutschlands nach seiner Niederlage. Bereits hier wurden die unterschiedlichen Interessen deutlich, am Ende des unruhigen Verlaufs der Konferenz war für Deutschland der Beschluß der ‚Großen Drei‘ von Bedeutung, daßeine vollständige Entwaffnung und Entmilitarisierung Deutschlands sicherzustellen und hohe Reparationszahlungen zu leisten sind. Darüber hinaus wurde Frankreich zur vierten Macht der alliierten Kontrolle Deutschlands. Die gemeinsame Verwaltung der Hauptstadt Berlin wurde von ursprünglich drei Sektoren auf vier Sektoren erweitert.

    Im November 1943 bereits hatte sich die ‚Anti-Hitler-Koalition‘ in Teheran für eine Zergliederung Deutschlands ausgesprochen, auch der ‚Morgenthau-Plan‘ stand noch im Raum. Dieser – benannt nach dem US-amerikanischen Finanzminister Henry Morgenthau – sollte Deutschland zum Agrarland ohne Industrie umstrukturieren. Doch eine kontrollierte deutsche Industrie erschien nicht nur sicherer, sondern auch den eigenen wirtschaftlichen Interessen der Alliierten sowie der erhofften Neuordnung Europas mehr zu entsprechen.

    Auf der ‚Potsdamer Konferenz‘ vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 wurden die Weichen für die Neuordnung Deutschlands und damit für das künftige Europa gestellt. Ergebnis war das ‚Potsdamer Abkommen‘. Obwohl es sich nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelte, wurden Gültigkeit und Wirkung der Verabredungen eingehalten.

    Errichtung eines Rates der Außenminister der fünf Hauptmächte (USA, Großbritannien, Frankreich, Sowjetunion und China) zur Vorbereitung von Friedensverträgen mit Deutschlands Verbündeten, zur Regelung ungelöster territorialer Fragen und zur Beratung und Lösung der deutschen Frage.

    Zur Festlegung politischer und wirtschaftlicher Grundsätze für die Behandlung Deutschlands in der Besatzungszeit.

    Regierungsgewalt durch die Oberbefehlshaber der Streitkräfte der vier Großmächte in ihren Besatzungszonen und gemeinsam im Alliierten Kontrollrat.

    völlige Abrüstung und Entmilitarisierung. Auflösung aller Streitkräfte, inkl. SS, SA, NSDAP. Aufhebung aller nationalsozialistischen Gesetze.

    Entnazifizierung der Bevölkerung, Verhaftung und Verurteilung der Kriegsverbrecher.

    Demokratisierung des Erziehungssystems, der Justiz, der Verwaltung und des öffentlichen Lebens.

    Verbot der Waffenproduktion, Beschränkung der Industriekapazität, Dezentralisierung und Dekartellisierung der Wirtschaft unter alliierter Kontrolle.

    Reparationen. Ansprüche sollten aus den jeweiligen Besatzungszonen befriedigt werden, darüber hinaus sollte die Sowjetunion Industrieausrüstungen und andere Reparationsleistungen aus den Westzonen erhalten.

    Königsberg und das nördliche Ostpreußen fielen – vorbehaltlich einer

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