Die Schlacht von Noreia: Eine alternative Darstellung
Von Walter Krüger
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Walter Krüger
Walter Krüger wurde am 9.November 1938 in Raguhn in Anhalt geboren und wuchs in Oranienbaum als ältestes von vier Geschwistern auf. Beeinflusst von der Dessau-Wörlitzer Kulturlandschaft und dem Bauhaus studierte er nach dem Abitur in Halle/Saale Architektur in Weimar. Seit 1964 lebte und arbeitete er in Berlin. Walter Krüger wurde 1988 zum Dr.-Ing. promoviert. Ab 1990 gründete er ein Architekturbüro und nahm aktiv am Wiederaufbau in den neuen Bundesländern teil. Neben seiner Tätigkeit als freischaffender Architekt widmete er sich seit 2010 wieder der wissenschaftlichen Arbeit. Heute lebt er in Potsdam. Seit seiner Kindheit interessierte sich Walter Krüger für historische Themen. Vor allem die Anfänge der europäischen Geschichte von der Antike bis zum frühen Mittelalter, die in Mitteleuropa trotz der gewaltigen Fortschritte durch Forschung und Archäologie noch weitgehend im Dunkeln liegen, hatten es ihm angetan. Sein Wissen und seine Erkenntnisse zu frühgeschichtlichen Themen sammelte und veröffentlichte er bisher in den populärwissenschaftlichen Büchern "Die Kimbern und Teutonen kamen nicht aus Jütland", in den drei Bänden der Buchreihe "Rom kämpft um den Rhein", in dem Buch "Germania magna" und in der dreiteiligen Buchreihe "Sweben und Römer".
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Buchvorschau
Die Schlacht von Noreia - Walter Krüger
EINLEITUNG
Römische Politik war untrennbar verbunden mit Kriegen. Sie dienten der Eroberung neuer Territorien, dem Zugriff auf fruchtbare Böden und Nahrungsgüter, auf tierische Produkte, auf wichtige Bodenschätze, auf Holz, auf Hilfskräfte für die Legionen und auf Sklaven.
Die Streitkräfte, bestehend aus Legionen und Hilfskräften, waren das wichtigste Instrument des römischen Senats und späteren Kaisertums zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Sie waren die Schule der führenden Politiker. Ihnen hatte sich das öffentliche Leben unterzuordnen. Legionslager und Kastelle, Versorgungszentren wie Vici und zivile Lager, die sich oft zu Städten entwickelten, Wasserleitungen, Werkstätten, Mühlen, befestigte Reichsstraßen, Stützpunkte, Zollstationen und Kurierdienste u.a.m. bildeten das Gerüst dieses Systems.
Über viele Jahrhunderte bewährte es sich erfolgreich. Dafür sorgten die führenden Personen der Republik im Senat, die Konsuln, die Statthalter und später die Kaiser. Römische Geschichte, so überliefern uns das ihre Autoren, wurde von Männern gemacht. Ihre Taten waren Gegenstand der Schriften. Manchmal überlieferten diese Männer ihre Handlungen sogar selbst, um als Beispiel Julius Caesar zu nennen, der die Gallischen Kriege beschrieb. Berühmt zu werden und berühmt zu bleiben, war das Ziel aller römischen Führungspersönlichkeiten, mit wenigen Ausnahmen. Es mussten siegreiche Schlachten geschlagen werden.
Erst durch die Beschreibung der Kriegszüge erschienen die bislang unbekannten Völker im Licht der Geschichte. Das trifft für die Kelten (Gallier), Germanen und Sweben ebenso zu wie für die Daker, Illyrer und späteren Slaven.
Leider ist uns keine zusammenhängende Geschichte überliefert. Wir verfügen nur über Bruchstücke, mehr oder weniger vollständig. Über manche Zeitabschnitte und Völker fehlen die Aussagen. Es ist deshalb schwierig, historische Zeitläufe durchlaufend zu schildern. Mit einer Reihe von populärwissenschaftlichen Büchern wurde versucht, anhand dieser Überlieferungen eine frühe Geschichte der Vorfahren deutsch sprechender Bevölkerungsgruppen zu formulieren.
Das erste Buch behandelt kritisch den Zug der Kimbern und Teutonen. Es stellt den gemeinsamen Zug und die Herkunft in Frage. Drei folgende Bücher behandeln die sogenannten Gallischen Kriege Caesars, in denen der Rhein als römische Grenze angestrebt wurde.
Ein weiteres Buch behandelt die Versuche der Römer, die Germania Magna zu erobern. Sie misslangen. Schließlich wurden die Kämpfe der Römer mit den Sweben um und entlang der Donau in drei Bänden dargestellt.
Nicht alle Schlachten wurden von den Römern gewonnen. Es lohnt sich, an einige davon zu erinnern. Besonders an solche, die geheimnisumwittert sind. Gegner Roms wurden in der Regel Barbaren genannt. In diesem Begriff liegt neben der allgemeinen Vorstellung, es mit Fremden zu tun zu haben, auch eine große Portion Abwertung und Missachtung. Römer fühlten sich in jeder Hinsicht anderen Völkern überlegen und betrachteten sich als die uneingeschränkten Herren der damaligen Welt.
Wie negativ sie über ihre barbarischen Gegner dachten, schlägt sich häufig in den Berichten über die Feldzüge und Schlachten nieder. Nur wenige Ausnahmen ließ die römische Geschichtsschreibung zu, in denen gegnerische Heerführer eine gewisse Anerkennung erfuhren, denken wir an Ariovist, Marbod, Arminius und Ballomar.
In diesem Buch geht es um eine bedeutende Schlacht. Sie ist bekannt unter dem Begriff „Schlacht bei Noreia 113v.Chr." Die Mehrheit aller Berichte über diese Schlacht geht davon aus, dass sie irgendwo in Kärnten stattgefunden haben soll. Das setzt zwei Dinge voraus: Den Marsch der römischen Truppen über schwierige Alpenpässe und das Eindringen von Völkern aus dem nordischen Tiefland in das alpine Hochgebirge.
In dieser Schlacht sollen die Römer die in Noricum eingefallenen germanischen Stämme, die Kimbern und Teutonen, heimtückisch angegriffen haben. Der Kampf endete mit einer schweren Niederlage der Römer, denn sie verloren fast zwei Legionen. Die siegreichen Germanen nutzten ihre Stärke nicht, um sich auf römischem Gebiet anzusiedeln, was als Absicht angegeben wird, sondern verließen die Region in Richtung Oberrhein.
Fast alles an dieser Schlacht ist zweifelhaft überliefert worden, bis auf die Tatsache, dass sie stattgefunden und den Auftakt zu den über zehn Jahre dauernden Kriegen mit den Kimbern und Teutonen gegeben hat. In diesem Buch wird versucht, die Schlacht in einen größeren Zusammenhang als überliefert einzuordnen und zu klären, wer tatsächlich gegen wen gekämpft hat. Es entsteht eine alternativer Betrachtung und Darstellung.
Walter Krüger, Potsdam im April 2024
Noricum und Noreia
Was steckt hinter diesen Begriffen?
Die Bezeichnung Noricum wurde von den Römern überliefert und gilt allgemein als gesicherter, d.h. zuverlässiger Name eines antiken Königreichs in den Ostalpen, heute auf den Gebieten Kärntens und der Steiermark. Es wurde um 200v.Chr. durch den Zusammenschluss von 13 Stämmen gegründet. Diese hohe Zahl in dem relativ kleinen Königreich resultiert aus der in Hochgebirgen üblichen territorialen Gliederung nach Tälern. Es ging weniger um ethnisch verschiedene Volksgruppen. Die Bewohner eines Tales bildeten den Gau. Die Bezeichnung Noricum verweist auf keinen Stamm, sondern auf einen von allen Gaubewohnern anerkannten Oberbegriff - Nordleute.
Anders verhält es sich mit dem Begriff Noreia. Er ist nicht gesichert. In den Überlieferungen erscheint er in Verbindung mit einer Schlacht, die im Jahr 113v.Chr. zwischen den Römern und einem kimbrisch-teutonischen Heer stattgefunden haben soll. Als Ort des Kampfes wird Noreia genannt. Der Begriff dient wahrscheinlich nur dazu, diese besondere Schlacht von anderen zu unterscheiden. Wo der Ort lag, ist nicht überliefert.
Es gibt Meinungen, die Noreia für den Namen des Hauptortes im Königreich halten, sogar für den Königssitz. Doch diese Auffassung hat sich nicht durchgesetzt, weil der Nachweis einer vorrömischen Siedlung fehlt.
Der Name Noreia steht außerdem auf mehreren in Kärnten gefundenen Weiheinschriften, woraus die Ansicht abgeleitet wird, dass es sich um eine Göttin handeln könne. Wenn diese Bezeichnung, wie eine andere Auffassung sagt, von den Römern erfunden worden sei, dann hätte sie mit den ursprünglichen Bewohnern und deren Religion nichts zu tun. Doch das hilft als Erklärung auch nicht weiter.
Das Königreich Noricum hat es zweifellos gegeben. Darauf wird noch näher eingegangen. Von Noreia gibt es nicht mehr als den in den überlieferten Schriften genannten Namen. Ob es sich um eine Siedlung, einen Königssitz, eine Kultstätte, einen Gau oder eine Gottheit handelt, konnte bisher nicht geklärt werden. Dessen ungeachtet bleibt der Name untrennbar mit der Schlacht von 113v.Chr. verknüpft.
Die Kimbern und Teutonen haben gemäß den allgemein anerkannten Überlieferungen die Legionen des Konsuls Gnaeus Papirius Carbo vernichtend geschlagen und in die Flucht getrieben. Für die Römer blieb dieses Ereignis so bedeutend, weil es den Beginn einer langen Kette militärischer Auseinandersetzungen mit diesen germanischen Stämmen markierte. Geheimnisvoll und herausfordernd bleibt die Tatsache, dass es bis heute nicht gelungen ist, den Ort und Raum dieses Kampfes zu finden. Sollte es dennoch gelingen, dann würde man ihn Noreia nennen müssen.
Worin bestehen die Probleme mit dieser Schlacht?
Von der Schlacht zu erzählen, ist mit einer Reihe von Problemen verbunden. Sie beginnen damit, dass die römischen Autoren nicht über diese Kriegszüge schrieben, um den Lesern eine möglichst wahrheitsgetreue Darstellung anzubieten, sondern Literatur für die gehobenen Stände zu schaffen. Sie musste spannungsgeladen, gut geschrieben und vorteilhaft oder nachteilig für beteiligte Heerführer und Politiker sein.
Die zu bekämpfenden Barbaren hingegen mussten grausam, hinterhältig und blutrünstig erscheinen. So wie es in den Arenen der Gladiatorenkämpfer angesagt wurde. Allein die Nennung der Stammesnamen Kimbern, Teutonen und Ambronen sollte dem Leser Schauer über den Rücken jagen. Es war nicht von Bedeutung, ob die Barbarenstämme einzeln oder wie die Kimbern und Teutonen in Gruppen gegen die Römer kämpften. Sie hatten alle etwas Gemeinsames: Sie waren der römischen Kultur unterlegen, einer richtigen Sprache nicht mächtig und konnten deshalb bedenkenlos auch als Stammesverband ausgelöscht werden. So wuchsen in der Literatur zwei unterschiedliche Stämme oder Völker zu einem untrennbaren Begriff zusammen: Kimbern und Teutonen. Als literarische Schöpfung lobenswert, muss ihr Wahrheitsgehalt angezweifelt werden.
Allein die Tatsache, dass diese Stämme 113v.Chr. in Noreia gemeinsam gegen Rom angetreten sein sollen, nach ihrem Sieg statt nach Oberitalien an den Rhein und an die Rhone zogen und den Kampf ab 109v.Chr. in der Provinz Gallia Transalpina fortsetzten, wirft Fragen auf. Warum dieser Ortswechsel? Außerdem tauchten neue Stämme als Verbündete auf. Tiguriner, Ambronen z.B. Diese Stämme kämpften nicht immer gemeinsam, sondern auch einzeln gegen römische Legionen. Der Krieg war erst zu Ende, als 102v.Chr. in Aix-en-Provence (Aquae Sextiae) die Teutonen unter König Teutobod und ein Jahr später, 101v.Chr. in Vercellae die Kimbern unter dem Boier Boierix, d.h. getrennt an verschiedenen Orten, von Gaius Marius (158/157-86v.Chr.) geschlagen wurden. Wie war es möglich, dass solch kriegserfahrene Heerführer nicht gemeinsam gegen Marius vorgingen, sondern sich räumlich und zeitlich getrennt von ihm schlagen ließen?
Eine Erklärung kann nur überzeugen, wenn man anerkennt, dass die Teutonen und Kimbern von Anfang an getrennt gegen die Römer kämpften. Die Teutonen im Westen an der Rhone, die Kimbern an der Ostgrenze Roms beidseitig der Julischen Alpen. Beide Heere hatten außer dem Ziel, den Römern schwere Schäden zuzufügen, keine Gemeinsamkeiten. Die Teutonen führten von 109v.Chr. bis 192v.Chr. durchgehend Krieg gegen die Römer; die Kimbern schlugen zweimal zu, einmal in Noreia 113v.Chr. und ein anderes Mal 102v.Chr. in Oberitalien; statt in Vercellae wahrscheinlich in Vicenza (Vicetia).
Unter diesem Gesichtspunkt bekommt die Darstellung der Schlacht von Noreia eine völlig andere Bedeutung als die bisher öffentlich gemachte. Überlieferungen sind mit Vorsicht zu genießen. Sie sind voller Widersprüche in den Abläufen des Zuges und in der Nennung geografischer Räume. Vor allem bleiben die Herkunft und die Gründe der Wanderungen der Kimbern und Teutonen in der Überlieferung im Dunkeln. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Römer allen Barbaren, die sich gegen sie zur Wehr setzten, den Hunger nach römischem Land unterstellten. Ein Motiv, das für ihre eigenen Eroberungszüge dauerhaft bestimmend war, jedoch äußerst selten für die Angreifer oder „Aufständischen". Es diente lediglich als fadenscheinige Begründung für ihre Kriegszüge.
Im Buch „Die Kimbern und Teutonen kamen nicht aus Jütland, das im Verlag „tredition
2018 erschien, wurde ausführlich auf diese Problematik eingegangen. Das Ergebnis weicht von der allgemeinen Erzählung über die Züge ab und stellt die These auf, dass es keinen gemeinsamen Zug der Kimbern und Teutonen gegeben hat.
Die Teutonen und Ambronen werden vom Verfasser am Niederrhein (in den Niederlanden, Belgien und Nordrhein-Westfalen) angesiedelt. Von dort aus führten sie ihre Kriegszüge mit den aus der Westschweiz stammenden Tigurinern gegen die Römische Republik in der neu gegründeten Provinz Gallia Transalpina.
Die Kimbern dagegen werden nicht als germanischer Stamm und Partner der Teutonen angesehen, sondern als ein pontisches Söldnerheer, finanziert von Mithridates VI., dem König von Pontos und Herrscher im Bosporanischen Reich