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Zen – der Weg des Fotografen: Tägliche Übungen für mehr Kreativität in der Fotografie
Zen – der Weg des Fotografen: Tägliche Übungen für mehr Kreativität in der Fotografie
Zen – der Weg des Fotografen: Tägliche Übungen für mehr Kreativität in der Fotografie
eBook369 Seiten4 Stunden

Zen – der Weg des Fotografen: Tägliche Übungen für mehr Kreativität in der Fotografie

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Über dieses E-Book

Der Weg zu ausdrucksstarken Bildern beginnt mit dem Sehen dessen, "was ist". Wie Sie mit Ihrer Kamera zu einer achtsamen, authentischen Wahrnehmung der Welt wie auch Ihres Inneren finden und so besser fotografieren, lernen Sie mit diesem Buch. Es hilft Ihnen in sechs Lektionen, Kreativität und fotografischen Ausdruck sowie Ihr Thema und Ihren Stil zu entwickeln.
Sie gehen den "Weg des Fotografen" ganz praxisnah, mit der Kamera in der Hand, mit täglichen Übungen zu Konzentration, Achtsamkeit und Beobachtungsgabe, die sich eng an die Lehren des Zen anlehnen. Dabei schulen Sie Ihr handwerkliches Können und schärfen Ihren Blick für das Wesentliche.
Ob Sie dabei mit einem Smartphone oder einer Digitalkamera fotografieren, ob Sie in die Fotografie einsteigen oder als Fotoprofi neue Inspiration suchen – dieses Buch hilft Ihnen, einen neuen und tiefen Zugang zu Ihrer Kreativität zu finden.
SpracheDeutsch
Herausgeberdpunkt.verlag
Erscheinungsdatum3. Jan. 2019
ISBN9783960886068
Zen – der Weg des Fotografen: Tägliche Übungen für mehr Kreativität in der Fotografie

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    Buchvorschau

    Zen – der Weg des Fotografen - David Ulrich

    Einleitung … damit du deinen Vers dazu beitragen kannst

    »Nicht der Schrift-, sondern der Photographieunkundige wird, so hat man gesagt, der Analphabet der Zukunft sein.«

    László Moholy-Nagy, 1934

    Fotografie ist eine mächtige Form des visuellen Ausdrucks – und jeder kann sie nutzen.

    Wahrscheinlich hat jeder einzelne von Ihnen eine hochentwickelte Kamera in der Tasche. Schließlich wollen Sie in der Lage sein, jederzeit sofort ein Foto zu machen, sobald Sie sich inspiriert fühlen. Mit einem solchen Gerät können Sie in allen Situationen – vielleicht mit Ausnahme hochkomplexer Beleuchtungsszenarien oder unter extremen Bedingungen – aufregende Fotos machen. Digitalkameras – insbesondere solche in Smartphones – haben unsere Herangehensweise an die Welt ebenso revolutioniert wie unsere Interaktion mit anderen. Keine Erfahrung ist perfekt, keine Mahlzeit beendet, keine Freundschaft vollzogen, solange wir nicht ein Foto gemacht haben. Das Foto beweist, dass das alles wirklich passiert ist. Ich war Zeuge dieses Ereignisses, traf diesen Menschen, genoss diese Erfahrung.

    Allzu oft lenkt uns moderne Technologie ab, saugt uns unsere Energie aus, zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich – weg vom Wesentlichen. Wenn Sie aber durch die Kamera auf die Welt blicken, fällt Ihr Blick auf eine Geste, ein Bild, einen Ausdruck und Sie erleben den unersetzlichen Funken von Achtsamkeit und Gegenwart. Dies kann eine plötzliche Eingebung sein, die den Schleier Ihres selbstbezogenen Denkens lüftet und Sie näher ans Leben im Hier und Jetzt heranführt. Die Kamera kann dabei helfen, Ihre Wahrnehmung zu befreien, um die Dinge klar und aufmerksam zu betrachten, etwas darüber zu erfahren, wer Sie wirklich sind, und Ihr Wesen für einen nicht mehr versiegenden Quell von Empathie und Mitgefühl für all die zu öffnen, denen Sie auf Ihrem Weg begegnen. Die Kamera ist die Bestätigung für das »Ich bin« des Daseins und seine Existenz in der Welt.

    In »Zen – der Weg des Fotografen« geht es nicht nur um das Fotografieren. Es geht um Sie. In sechs Lektionen soll Ihnen dieses Buch helfen, mit einer Kamera Ihre Kreativität zu entwickeln und zu pflegen – in allen Bereichen Ihres Lebens. Es möchte Sie lehren, zu sehen und in aller Tiefe und mit allen Sinnen den gegenwärtigen Moment wahrzunehmen. Es hilft Ihnen, das großartige Gebot des Sokrates – Erkenne dich selbst! – zu verstehen und den Keim Ihres authentischen Selbst freizulegen, der unter vielen Schichten der Konditionierung und Sozialisierung verborgen ist. Und ja, natürlich lernen Sie hier auch, besser zu fotografieren und effektiv durch Bilder zu kommunizieren.

    Die sechs Lektionen in diesem Buch bilden einen Zyklus und stecken voller Anregungen und Schlüsselkonzepte, die Ihnen helfen, Ihre eigenen Arbeiten zu entwickeln. Sie sind für jedermann relevant, egal ob Sie Profi sind oder ob Sie erst seit kurzem ein wachsendes Interesse entwickeln, mit Ihrer Smartphone-Kamera zu arbeiten. Die Lektionen lassen sich flexibel an verschiedene Entwicklungsstufen anpassen. Sie haben vielleicht schon viele tausend Fotos gemacht und die technischen Aspekte sind Ihnen vertraut, aber Sie suchen einfach nach neuer Inspiration. Oder Ihnen ist bereits klar, was Sie mit Ihrer Kamera zum Ausdruck bringen möchten, Sie sind aber mit den Verfahren, die über »Point and Click« hinausgehen, schlicht nicht vertraut. So oder so ist dieses Buch das richtige für Sie. Für das erstmalige Durcharbeiten der Lektionen sollten Sie 12 – 15 Wochen ansetzen, was etwa der Länge eines Universitätssemesters entspricht. Diesen Bearbeitungszyklus können Sie dann im Laufe der Jahre immer wieder von vorn durchlaufen. Ich habe diesen Lektionen den größten Teil meines Lebens gewidmet, immer mit dem Ziel des persönlichen und künstlerischen Erwachens vor Augen.

    40 Jahre lang hat dieses Buch Stück für Stück in meinem Kopf Gestalt angenommen. Ich bin Professor für Fotografie an einem ganz normalen amerikanischen College und habe Menschen aller Altersstufen, kultureller Hintergründe und Berufsgruppen in Kursen und Workshops zum Thema Fotografie unterrichtet. Ich unterrichte Kinder und Erwachsene überall in den USA einschließlich meiner aktuellen Heimat Hawaii und habe Fotokursprogramme in Hongkong und China entwickelt. Einige meiner Schüler streben danach, die Fotografie zu ihrem Beruf zu machen, andere suchen den Reichtum eines kreativen Ausdrucks in ihrem Privatleben. Ich habe unzählige Male verfolgt, wie meine Schüler die große Freude und Erfüllung entdeckten, die damit einhergeht, sich selbst kreativ auszudrücken. Dies hilft ihnen, Hoffnung und Selbstvertrauen zu gewinnen und gibt ihrem Wesen eine Stimme, die entweder zuvor verborgen oder von Angst und Unsicherheit verdeckt war. Wenn sie dann diese ihnen ganz eigene Art, die Welt zu sehen, entdecken, erschließen sie ihr ganz eigenes Potenzial.

    In dem Moment, in dem meine Schüler die Fotografie als Mittel zur persönlichen Entwicklung nutzen, überschreiten Sie die vorgeblichen Grenzen ihrer Gedanken und Ausdrucksfähigkeit. Dies hat mich im Innersten angerührt und ich habe so viel daraus gelernt, wie sie die Welt durch eine Kamera sehen. Es war ihr Wunsch nach Hilfsmitteln, Übungen und Anleitung, der dieses Buch entstehen ließ. Seine sechs Lektionen haben sich für Generationen von Schülern bewährt. Meinen Schülern schulde ich tiefsten Dank.

    In »Zen – der Weg des Fotografen« wird die Kamera zum edelsten aller Zwecke eingesetzt: zu sehen lernen, was ist.

    »Zen – der Weg des Fotografen« steht in der Tradition großartiger Bücher, die künstlerisches Schaffen mit persönlichem Wachstum verbinden. »Der Weg des Künstlers« von Julia Cameron hilft Menschen dabei, ihre natürliche Kreativität wiederzuentdecken und Zweifel und Ängste zu überwinden. »Garantiert zeichnen lernen« von Betty Edwards stimuliert Vorstellungskraft und Innovationsfähigkeit des menschlichen Gehirns durch das Zeichnen, und der Klassiker »Acting. Die ersten sechs Schritte« von Richard Boleslavsky vermittelt die Kunst der Konzentration und der eingehenden Betrachtung durch die Schauspielerei. Diese Bücher sind ausgesprochen populär und erfolgreich – sie haben sich tausend-, in einigen Fällen sogar millionenfach verkauft. Was diese Bücher für ihre jeweilige künstlerische Richtung bedeuteten, will »Zen – der Weg des Fotografen« für die Fotografie sein. Hierzu setzt es die Kamera zum edelsten aller Zwecke ein: zu sehen lernen, was ist.

    Im Kern geht dieses Buch weit über die Fotografie als solche hinaus: Es zielt auf die Entwicklung einer echten inneren Praxis ab. Hierzu verwende ich eine Sprache, die dem traditionellen Zen entstammt. Ich selbst gehöre keiner Zen-Linie an, aber mein Fotolehrer Minor White hat Zen ausgiebig studiert und in seinen Unterricht integriert. Das Wort »Zen« verweist auf den folgenden Seiten weniger auf eine ganzheitliche Lehre als auf deren Geist. Ich fühle mich nicht berufen, kompetent über Zen zu sprechen; berichten kann ich jedoch über meine Erfahrungen als Suchender, Fotograf und Lehrer.

    So wie in »Zen und die Kunst des Bogenschießens« Pfeil und Jagdbogen zur Vermittlung der Prinzipien des Zen verwendet werden, erhalten Sie hier wirklichkeitsnahe Lektionen, bei denen wir die Kamera einsetzen. Im Zen ist die authentische Erfahrung das wichtigste Mittel des Verstehens, während die westliche Aufklärung lehrt, dass das Verständnis der Ratio entstammt. In einem Koan – einer Art Zen-Rätsel – wird gefragt: Wie sah dein ursprüngliches Gesicht aus, bevor du geboren wurdest? Dieses Rätsel lässt sich nicht mit dem Verstand beantworten. Zen setzt die Praxis über die Theorie und deswegen ist auch »Zen – der Weg des Fotografen« ausgesprochen praxisorientiert. Sie finden hier zahlreiche Werkzeuge und Übungen, die Ihnen dabei helfen, Ihr Ganzsein und Ihr unverwechselbares Wesen zu erkennen.

    Auf die Frage, warum sie an meinen Fotokursen teilnehmen, nennen Schüler eine Menge Gründe. Im Laufe der Jahre ist mir aufgefallen, dass das zunächst meistgenannte Ziel, »bessere Bilder zu machen«, immer mehr durch zwei andere, wesentlichere Ziele ersetzt wurde. Erstens fühlen sich viele Schüler von der Quelle ihrer Kreativität entfremdet. Sie leben ein hochgradig strukturiertes Leben, das von der »Tyrannei des Dringlichen« beherrscht wird, und haben weder Zeit noch Raum, um sich auf eine Suche nach ihren kreativen Ausdrucksmöglichkeiten und ihrer Selbstverwirklichung einlassen zu können. Vor allem nehmen sie eine diffuse Frustration wahr – ein Gefühl, dass ein wesentlicher Teil ihres Selbst verloren gegangen, verschüttet worden ist. Sie wollen ihre Fähigkeit zum innovativen Denken wiedergewinnen und in authentischer Weise kreativ sein – sich selbst treu.

    Athens, Ohio, David Ulrich

    Das ist der Preis für unsere umfassend vernetzte Welt mit ihrer ständigen Verfügbarkeit. Unsere Seele ist ausgedörrt. Das Herz unseres Geistes hat aufgehört zu schlagen. Wir sind nicht mehr mit den kreativen und fantasiebegabten Teilen unseres Denkens verbunden – dem, was häufig als »rechte Gehirnhälfte« bezeichnet wird. Die Rationalität herrscht auf Kosten von Intuition, emotionaler Weisheit und dem Wissen um die grenzenlosen Inhalte des Unbewussten. Wir haben die mächtige Sprache der Metaphern und Symbole aus den Augen verloren. Einer meiner Schüler beschrieb diesen Zustand als »den subtilen und allgegenwärtigen Zwang des systematisierten Denkens«. Die Poesie ist tot.

    Die Versenkung – das stetige Betrachten ein und derselben Frage aus immer neuen Richtungen, das Abwägen dieser Frage zu unseren Gefühlen, das Pflanzen von Keimen im Unbewussten, damit dort eine Antwort wachsen kann: Diese Kunst ist verloren gegangen. Meine Schüler haben das Gefühl, in der Echokammer ihres eigenen Geistes zu stehen, in der die immer gleichen Gewohnheiten und begrenzenden Denkmuster herrschen. Und sie wollen da raus.

    Ich habe Jahre damit verbracht, eine Antwort auf die Fragen und den Frust meiner Schüler zu finden. Eine befriedigende Antwort habe ich nicht gefunden, aber zwei Dinge sind ganz offensichtlich. Erstens: Kreativität ist unser natürliches Geburtsrecht. Jeder – auch Sie! – kann Kreativität lernen. Ein häufig genanntes Zitat von Picasso lautet: »Jedes Kind ist ein Künstler. Das Problem ist, ein Künstler zu bleiben, wenn man erwachsen geworden ist.« Zweitens: Unser Denken vollzieht sich im Verborgenen, in den Tiefen unseres Geistes. Nach Ansicht der modernen Psychologie läuft ein großer Teil des Denkens unbewusst ab – d. h. jenseits rationaler Gedanken –, und sie führt dazu zahlreiche Belege an. Uneins sind sich die Wissenschaftler hinsichtlich des Anteils der unbewussten Teile des Denkens, er wird aber gemeinhin auf 75 bis 95 Prozent taxiert. Echte Intelligenz integriert die bewussten und unbewussten Teile des Gehirns. Sie können sich Ihrer eigenen verborgenen Motivationen, Ihrer Symbolsprache und Ihrer Quellen für kreatives Denken und intuitives Verstehen bewusst werden.

    Die Kunst – vor allem die Fotografie – kann Ihnen dabei helfen, in die tieferen Schichten des Geistes vorzudringen und Sie so zurückführen zu einem unerschöpflichen Quell der Kreativität.

    Kreativität wie auch Zen sind Lebensweisen. Praktiziertes Zen bietet dieselben Freuden, Herausforderungen und Entdeckungen, die auch Kreativität hervorbringt, und übertrifft diese sogar. Etwas, was sowohl kreativem Arbeiten als auch Zen gemein ist, ist die Versenkung in einen Vorgang um seiner selbst und nicht des Ergebnisses willen – ganz im Hier und Jetzt. Die Freude am Nichtwissen, an Fragen und Entdeckungen und an der Suche nach dem Ruhepunkt in der Mitte des Hamsterrads sind grundlegende Eigenschaften, die sowohl der Künstler als auch der Suchende haben. Kreativität kann ebenso wie Zen dabei helfen, uns präsenter, wacher und lebendiger zu machen.

    Bereits sehr früh in meinem Leben habe ich herausgefunden, wie es ist, im Jetzt zu sein.

    Im Pfadfinderlager lernte ich einst das Schießen mit einer Kleinkaliberwaffe. Ich war verblüfft darüber, wie es ist, mit einer solchen Waffe zu üben. Es erforderte volle Aufmerksamkeit: Ein Moment der Ablenkung hätte katastrophale Folgen haben können. Mit meiner Hand entfesselte ich gewaltige Kräfte. Die schiere Energie war spürbar und ungemein befriedigend. Ich wollte also möglichst schnell eine eigene Schusswaffe. Mein lieber Vater verbot mir jedoch den Besitz von Waffen jeglicher Art. Stattdessen kaufte er mir eine Kamera. Die erfreuliche Folge war, dass meine Leidenschaft sich von den Waffen ab- und dem Schießen mit der Kamera zuwandte. Das Auslösen der Kamera gab mir ein ähnliches Gefühl der Allmacht, wie es zuvor der Abzug der Waffe getan hatte. Auch mit einer Kamera musste ich präsent, wachsam und in der Lage sein, flüchtige Momente festzuhalten. Die Fotografie gab mir dankenswerterweise ein ähnliches Machtgefühl, verbunden mit einem eleganten Sinn für Kreativität, wie es Mitte des 20. Jahrhunderts kein anderes Werk- oder Spielzeug in Amerika bot. Ich begab mich also auf eine höchst erfüllende kreative Reise, die sich bis zum heutigen Tag fortsetzt – fast 55 Jahre, nachdem ich meine erste Kamera bekommen habe.

    Self-portrait at Twelve und El Capitan, Yosemite Valley, 1962, David Ulrich

    Als Fotograf und Dozent habe ich den Einsatz von Kameras und Technologie mit dem Ziel gefördert, das Bewusstsein und die Individualität des Fotografen voranzubringen und gleichzeitig zu einer positiven Entwicklung der Gesellschaft beizutragen. Digitale Werkzeuge haben unsere Art zu reden, zu reisen und zu arbeiten, unser Streben und unsere Schwächen revolutioniert. Alle Werkzeuge sind Erweiterungen des menschlichen Körpers. Der Pinsel ist eine Erweiterung des Auges und der Hand. Computer und Handys sind nichts anderes als Erweiterungen des menschlichen Nervensystems oder kürzer: unseres Gehirns. Die Kamera schließlich ist eine Erweiterung von Auge und Geist. Dies ist die zentrale Annahme von »Zen – der Weg des Fotografen«: dass die Kamera in unserer Hand unser Potenzial erweitern und uns helfen kann, unser in der Konditionierung gefangenes Selbst zu befreien.

    Die Fotografie gibt jedem von uns ein leistungsstarkes Werkzeug für kreative Inspiration, Selbstverwirklichung und auch persönliche, umfassende Kommunikation an die Hand.

    Es ist leicht, sich in moderne Kameras und Smartphones zu verlieben: Sie sind ästhetische und elegante Werkzeuge, die in der Hand zu halten und zu verwenden dank ihres innovativen Designs äußerst befriedigend ist. Und: Sie machen tolle Fotos. Praktisch jeder macht heute Fotos – und zwar jede Menge. Schätzungen zufolge werden allein in diesem Jahr eine Billion Fotos gemacht. Mit Instagram, Flickr und Snapchat können diese Fotos dann ohne Verzögerung weltweit verteilt werden. Die Fotografie gibt jedem von uns ein leistungsstarkes Werkzeug für kreative Inspiration, Selbstverwirklichung und auch persönliche, umfassende Kommunikation an die Hand.

    Um es mit Walt Whitman zu sagen:

    Oh ich, oh Leben! auf alle diese wiederkehrenden Fragen, Auf diesen unendlichen Zug der Ungläubigen, Auf die Städte, die voller Narren sind, Was habe ich darauf für eine Antwort – oh ich, oh Leben?

    Dies aber ist die Antwort: Du bist hier. Damit das Leben blüht und die Persönlichkeit. Damit das mächtige Spiel weitergeht und du deinen Vers dazu beitragen kannst.

    Welches wäre Ihr Vers?

    Es gibt viele Möglichkeiten, dieses Buch zu lesen. Sie können es, wenn Sie möchten, von vorne bis hinten durchlesen, oder Sie stöbern mal hier, mal dort und finden heraus, was für Sie interessant und wichtig ist. Nutzen Sie Werkzeuge und Übungen nach Belieben, wenn Sie sich bereit dazu fühlen. Oder Sie genießen die volle Dosis, verwenden »Zen – der Weg des Fotografen« als Leitfaden und führen die Übungen in der Art und Reihenfolge wie angegeben aus. Die sechs Lektionen orientieren sich an einer Lernabfolge: von bescheiden und einfach bis hin zu subtil und komplex. Die Lektionen bilden mehr oder minder auch den Übergang vom Selbst zum Anderen ab und helfen Ihnen, Ihre kreative Rolle in der Gesellschaft und im Dienste der Kultur als Ganzes zu finden.

    Viele Fotografen und ihr Werk werden in diesem Buch erwähnt. Informieren Sie sich online über sie, oder besser noch: Leihen Sie ihre Bücher aus Ihrer Stadtbücherei aus, denn schließlich reicht die Abbildungsqualität online häufig nicht an die Vierfarbreproduktionen in Druckwerken heran. Ich habe auch eine Liste der Bücher, die ich für die Recherche verwendet oder im Text zitiert habe. Und ich habe Bücher aufgeführt, die sich besonders für die fotografische Ausbildung eignen.

    Sie werden überrascht sein, wie viel Sie einfach dadurch lernen können, dass Sie eine Kamera benutzen. Für den Einstieg brauchen Sie kein fotografisches Wissen und doch werden Sie feststellen, dass Sie schon nach kurzer Zeit Ihre eigene authentische Sichtweise entdecken werden. Eine Kamera mit Einstellmöglichkeiten oder ein Profigerät und Kenntnisse zur Bedienung mögen Ihnen dabei helfen, Ihren kreativen Pfad weiterzugehen, aber notwendig sind sie nicht. Es ist nie zu früh oder zu spät. Sie schaffen das. Viele meiner Schüler sind erwachsen und haben die Schule schon vor vielen Jahren verlassen. Sie werden lernen, wie Sie ausdrucksstarke Fotos machen und dabei Zugang zu Ihrer eigenen Kreativität finden. So werden Sie am Ende Schöpfer – und nicht nur ein Konsument – von Inhalten. Viele Menschen empfinden es als befreiend zu lernen, mit der Kamera zu sehen – ganz unabhängig davon, wie viel technisches Geschick oder was für eine Kamera sie haben. Es ist nicht das Equipment, das einen Fotografen ausmacht.

    »Zen – der Weg des Fotografen« richtet sich an jeden – ob Fotograf(in) oder nicht. In diesem Buch erzähle ich immer wieder kleine Anekdoten und gebe die Erfahrungen mancher meiner Schüler wieder. Und ich zeige auch einige ihrer Bilder. Da ich derzeit abwechselnd formal am College lehre und Workshops für Mitglieder meiner Gemeinde durchführe, finden Sie in »Zen – der Weg des Fotografen« einen breiten Querschnitt von Werken verschiedenen Niveaus. Hierzu gehören auch solche von Anfängern. Meine Schüler erzählen häufig, dass das Befolgen dieser Anleitung auch in vielen anderen Bereichen ihres Lebens jenseits der Fotografie hilfreich für sie ist. Wenn Sie eine Sache gut machen, dann hilft Ihnen das bei jeder anderen Aktivität, die Sie in Angriff nehmen möchten.

    Ich werde Sie ermutigen, Ihnen Dinge beibringen, Sie unterstützen und Sie herausfordern. Sie müssen es nur zulassen. Ich werde Sie schulen und Ihnen helfen, die Mittel für einen reichhaltigen kreativen Ausdruck zu finden. Ich werde Sie herausfordern, Risiken einzugehen, Dinge auszuprobieren, die Sie vorher nicht ausprobiert haben, und Ihre vorgeblichen Grenzen zu überschreiten. Trauen Sie sich, sich mir zu öffnen und gemeinsam mit mir in neue und unbekannte Gebiete vorzustoßen?

    Mit der Kamera für die Hosentasche oder auch einem großen Profigerät können Sie die Ursprünge Ihrer eigenen Kreativität wiederentdecken, die Schleier lüften, die Ihr innerstes authentisches Selbst vor Ihnen verbergen, und die Natur der Welt selbst, ihre vielen Wunder, ihre Freuden und Ungerechtigkeiten und ihre blendende Schönheit sehen, die einen oft auch schwer ums Herz macht. Durch eine Kamera können Sie Ihre tief empfundenen Sorgen vermitteln, Ihre ganz eigenen Wahrnehmungen übersetzen, bei anderen Leidenschaft, Freude oder Tränen auslösen und sogar die Welt verändern. Eine Kamera kann Sie anderen näher bringen und Ihnen helfen, Einfühlungsvermögen zu entwickeln und einen direkten Zugang zu den Motiven, Handlungen und Worten anderer zu gewinnen. Sie hilft Ihnen, die vielen Ebenen Ihres Selbst zu verstehen und eine authentische und wechselseitige Beziehung mit der Welt um Sie herum aufzubauen. Vor allem aber kann Ihre Kamera Ihnen helfen, den Augenblick zu erfassen und mit ihm zu interagieren. Durch das Bildermachen können Sie Ihren eigenen Blick auf die Welt, Ihre eigene Stimme, Ihren eigenen Vers entdecken und ausdrücken.

    Alles, was Sie brauchen, ist eine Kamera. Irgendeine Kamera.

    Fangen wir an.

    Watermelon, Akron, Ohio, David Ulrich

    Grundlegende Prinzipien und Methoden

    Die nachfolgend beschriebenen Prinzipien und Übungen sind grundlegender Natur. Sie bilden das Fundament Ihrer fotografischen Praxis – sowohl bei der Lektüre dieses Buchs als auch dann, wenn Sie mit Ihrer Kamera auf Motivsuche sind. Diese Werkzeuge sorgen für gute Arbeitsgewohnheiten und eine gesunde, wache Geisteshaltung. Sie sind so etwas wie Tonleitern für Musiker oder Aufwärmübungen für Sportler. Für einen Fotografen sind diese Prinzipien und Methoden nicht nur ein Ausgangspunkt, sondern vielmehr eine ständige Praxis für sein kreatives Leben.

    Ihre täglichen Aufzeichnungen

    Wenn Sie ein Künstler an der Kamera sein möchten, müssen Sie häufig fotografieren. Kreativität braucht etwas, woran sie sich entzünden kann. Regelmäßiges und fortlaufendes Üben fördert Ihre Fähigkeiten und Ihre fotografische Vorstellungskraft. Natalie Goldberg, Autorin des ausgezeichneten Schreibbuchs »Schreiben im Café: Writing Down the Bones«, nutzt tägliches Schreiben als Übung, um die Kreativität anzuregen und »einen klaren Kopf zu bekommen«. Ihr Zen-Lehrer Dainin Katagari Roshi sagte zu ihr: »Warum machst du das Schreiben nicht zu deiner Zen-Praxis? Wenn du tief genug eintauchst, bringt es dich überall hin.« Ein ausgezeichneter Ratschlag. Während der gesamten Zeit, die Sie mit dem Studium dieses Buchs verbringen, empfehle ich Ihnen, mindestens 100 bis 200 Fotos pro Woche zu machen. Diese werden Ihre täglichen Aufzeichnungen sein, ähnlich einem freien Tagebuch mit Gedanken und Eindrücken. Vielleicht erscheint Ihnen diese Zahl sehr hoch gegriffen, aber für einen Fotografen ist sie das absolute Minimum. Zu Zeiten des Rollfilms fanden auf einem 35-mm-Film 36 Aufnahmen Platz und 100 Fotos waren gerade mal drei Filme.

    Bilder aus meinen täglichen Aufzeichnungen, aufgenommen mit einer Handykamera

    Fast jede der sechs Lektionen in diesem Buch hat einen abschließenden Abschnitt mit dem Titel »Werkzeuge und Übungen«. Hier finden Sie Vorschläge, wie Sie sich der Welt durch die Kamera nähern. Sie können diese Übungen im Rahmen Ihrer täglichen Aufzeichnungen machen. Sie meinen, Sie hätten nicht genug Zeit? Fassen Sie sich ein Herz! Fotografie ist eine schnelle Angelegenheit und die meisten Fotografen machen 200 Bilder in ein oder zwei Stunden.

    Fotografieren Sie täglich oder wenigstens beinahe täglich. Reservieren Sie eine bestimmte Tageszeit für das Bildermachen oder verpflichten Sie sich, im Rahmen Ihrer täglichen Aktivitäten zu fotografieren. Im Idealfall tun Sie beides – jeden Tag mindestens eine halbe oder eine ganze Stunde lang. Wenn Ihre Kamera Einstellungen erlaubt, aktivieren Sie zunächst den Programm- oder den Automatikmodus. Falls Sie mit Ihrem Handy fotografieren, machen Sie sich mit dessen Fokus- und Belichtungseinstellungen vertraut. Tippen Sie dazu in der auf Ihrem Display dargestellten Szene einmal auf den Punkt, der fokussiert werden und die Belichtungseinstellung bestimmen soll. Einige Smartphone-Apps ermöglichen je nach Kameramodell und Software getrennte Fokus- und Belichtungspunkte.

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