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Propheten und Begründer der Weltreligionen: Jesus und Mohammed: Biographie von Jesus Christus und Prophet Muhammad
Propheten und Begründer der Weltreligionen: Jesus und Mohammed: Biographie von Jesus Christus und Prophet Muhammad
Propheten und Begründer der Weltreligionen: Jesus und Mohammed: Biographie von Jesus Christus und Prophet Muhammad
eBook590 Seiten8 Stunden

Propheten und Begründer der Weltreligionen: Jesus und Mohammed: Biographie von Jesus Christus und Prophet Muhammad

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Über dieses E-Book

In der Anthologie 'Propheten und Begründer der Weltreligionen: Jesus und Mohammed' wird eine außergewöhnliche literarische Brücke geschlagen, die Leser durch die Tiefen des Glaubens, der kulturellen Unterschiede und der gemeinsamen Lehren zweier Weltreligionen führt. Durch das präzise Zusammenspiel zwischen historisch-kritischen Analysen und erzählender Poesie eröffnen die Beiträge von Martin Dibelius und Essad Bey neue Perspektiven auf die vielschichtigen Persönlichkeiten und das philosophische Gewicht, das Jesus und Mohammed in ihren jeweiligen Traditionen zukommt. Die Sammlung hebt sich durch ihre Fähigkeit hervor, ein breites Spektrum an literarischen Stilen zu vereinen und dabei tiefgehende Einsichten in das Wesen religiöser Führung und Prägung zu gewähren. Die Autoren Martin Dibelius und Essad Bey, beide renommiert in ihren jeweiligen Disziplinen, bringen einzigartige Perspektiven in die Diskussion ein. Während Dibelius, ein herausragender Theologe und Neutestamentler, durch seine akribischen Studien zur christlichen Überlieferung glänzt, bietet Essad Bey, ein vielseitiger Schriftsteller mit tiefer Verbundenheit zum Nahen Osten, einen eindringlichen Blick auf den Islam und seine historischen Wurzeln. Ihre Werke spiegeln ein breites Verständnis der historischen, kulturellen und literarischen Kontexte wider, die für ein tiefes Verständnis beider Figuren unabdingbar sind. Diese Sammlung bietet Lesern eine seltene Gelegenheit, die Komplexität und den Reichtum der Lehren von Jesus und Mohammed durch die Augen zweier meisterhafter Erzähler zu erkunden. Die Anthologie ermutigt dazu, über den Horizont der eigenen Vorstellungen hinauszublicken und sich auf eine Reise der Erkenntnis und des Verstehens einzulassen. Für jeden, der an der Schnittstelle von Religion, Geschichte und Literatur interessiert ist, stellt 'Propheten und Begründer der Weltreligionen: Jesus und Mohammed' eine essenzielle Lektüre dar, die zu Dialog und Reflexion anregt.
SpracheDeutsch
HerausgeberSharp Ink
Erscheinungsdatum15. Apr. 2024
ISBN9788028368166
Propheten und Begründer der Weltreligionen: Jesus und Mohammed: Biographie von Jesus Christus und Prophet Muhammad

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    Buchvorschau

    Propheten und Begründer der Weltreligionen - Martin Dibelius

    Martin Dibelius, Essad Bey

    Propheten und Begründer der Weltreligionen: Jesus und Mohammed

    Biographie von Jesus Christus und Prophet Muhammad

    Sharp Ink Publishing

    2024

    Contact: info@sharpinkbooks.com

    ISBN 9788028368166

    Inhaltsverzeichnis

    Jesus (Martin Dibelius)

    Mohammed (Essad Bey)

    Martin Dibelius

    Jesus

    Inhaltsverzeichnis

    1. Jesus in der Geschichte

    2. Die Quellen

    3. Volk, Land, Herkunft

    4. Die Volksbewegung

    5. Das Reich Gottes

    6. Die Zeichen des Reiches

    7. Der Menschensohn

    8. Der Mensch vor Gott

    9. Die Feinde

    10. Glaube und Unglaube

    1. Jesus in der Geschichte

    Inhaltsverzeichnis

    Von Jesus redet der christliche Glaube, die christliche Kirche, die christliche Lehre. Von Jesus redet aber auch die Weltgeschichte, die Geschichte des Alten Orients wie des römischen Kaiserreichs, die Geschichte der jüdischen wie der christlichen Religion. Nur sind es sehr verschiedene Gesichtspunkte, unter denen sie das Christentum betrachten und von Jesus reden.

    Der christliche Glaube beruht auf der Überzeugung, daß in Jesus sich Gott selbst geoffenbart habe. Gott ist es, der in seinen Worten redet; daß diese Worte menschlich sind, schon in ihrer uns verlorenen ursprünglichen Prägung durch eine uns fremde semitische Sprache, muß zugegeben werden; aber die christliche Theologie bemüht sich nicht nur um den Sinn der uns erhaltenen griechischen Übersetzung, sondern auch um die Bedeutung dieser Worte als Offenbarung Gottes. Gott ist es, der nach christlichem Glauben auch in Jesu Taten handelt; daß wir sie nicht alle kennen, daß wir auch die, die uns berichtet werden, nur so kennen, wie sie die Gläubigen von damals ihrer Zeit schilderten, wird dabei vorausgesetzt. Der christliche Glaube bekennt aber auch, daß Gott in Leiden und Tod Jesu seinen Willen offenbarte, ja, daß er ihn nicht im Tode ließ, sondern zu sich erhöhte, „von dannen er wiederkommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten". Daß die geschichtlichen Berichte an diesem Punkt teils auseinandergehen, teils überhaupt versagen, zeigt nur, daß der Glaube hier den Boden irdischen Geschehens verläßt und sich allein auf Gottes Handeln und Wollen richtet. Eine Störung und Widerlegung des Glaubens ist es nicht.

    Die Geschichte betrachtet Jesus unter einem völlig anderen Gesichtspunkt. Am Rande des römischen Reiches, in einem kleinen, nicht wichtigen Lande des Orients und in einem weltpolitisch nicht hervorragenden Volk, tritt ein Mann auf mit der Verkündigung einer nahen Weltwende durch Gottes Eingreifen. In Gottes Namen richtet er Drohung, Verheißung und Forderung an seine Hörer, in Gottes Auftrag verrichtet er auffallende Taten, heilt Kranke, gewinnt Anhänger; er gerät in der Hauptstadt mit den religiösen und politischen Autoritäten in Konflikt und wird hingerichtet. Seine Anhänger aber sammeln sich in dem Glauben, daß er auferstanden, zu Gott aufgenommen sei und demnächst in Herrlichkeit auf Erden erscheinen werde. Dieser Glaube aber, in allerlei Veränderungen und Ausweitungen, macht seinen Weg ins römische Reich und gewinnt einen beträchtlichen Teil der Menschheit (und gerade der abendländischen!). Die Geschichtswissenschaft bemüht sich nun um eine Antwort auf die Frage, warum gerade diese Botschaft, und nicht eine andere orientalische oder griechische Verkündigung, so entscheidend in die Geschichte eingegriffen und das Geschick ganzer Völker bestimmt hat. Aber Kritik allein führt dabei nicht zum Ziel. Je weniger Glauben man den christlichen Berichten schenkt, je mehr man Bewegung und Botschaft Jesu als eine unter vielen in die Zeitgeschichte einreiht, desto rätselhafter wird jene weltgeschichtliche Wirkung!

    Die Gesichtspunkte des Glaubens und der Geschichte lassen sich nicht einfach verbinden. Man kann nicht das, was der Glaube sagt, geschichtlich beweisen. Glaube wäre ja nicht Glaube, wenn man ihn jedem anbeweisen könnte. Glaube setzt den Entschluß voraus, auf eine Botschaft, eine Wahrheit, eine Hoffnung hin das Leben (und das Sterben) zu wagen. Dabei muß jene Botschaft über andere menschliche Botschaften hinausgehoben werden: als Offenbarung, als Gottes Wort. Und gerade dieses entscheidende Herausheben aus den Zusammenhängen des Geschehens kann man von der Geschichte nicht verlangen. Auch wenn die Geschichte nicht nur feststellt, sondern urteilt, kann sie es doch nur im Rahmen jener Zusammenhänge tun. Sie kann erforschen, warum das Christentum die Menschen anzog und worin es anderen Kulten überlegen war. Aber die Historie kann diese Fragen niemals mit dem Hinweis auf Gott erledigen. Mit einer andern Antwort aber, sie laute wie sie wolle, kann sich wieder der Glaube nicht zufrieden geben.

    Verbinden läßt sich wissenschaftliche Arbeit und christlicher Glaube wohl im einzelnen Menschen; wenn es anders wäre, würde dies Buch nicht geschrieben sein. Nur muß dieser Mensch darauf achten, daß ihm nicht Gewißheiten seines Glaubens als wissenschaftliche Ergebnisse erscheinen; und umgekehrt, daß er nicht „gesicherte" Resultate seiner Forschung deswegen für Heilswahrheiten ausgibt, weil sie gesichert sind. Der Forscher hat seine kritische Arbeit zu leisten, ohne — im voraus — nach dem Ergebnis zu blicken. Allein das bedeutet nicht, daß er innerlich unbeteiligt sein muß. Wer immer unbeteiligt ist, lernt nie die große Kunst des Verstehens. Dem Glauben wie der leidenschaftlichen Ablehnung Jesu erschließt sich oft Wesentliches — und Nietzsches Kritik am Christentum ist nur ein Beispiel für die Scharfsichtigkeit der Feindschaft. Es gibt keine im absoluten Sinn voraussetzungslose Geschichtswissenschaft; die Wesensart des Forschers und seine eigene Erfahrung wirkt mit an jedem geschichtlichen Bild, das er entwirft. Er kann nur so gewissenhaft wie möglich die kritische Technik seiner Wissenschaft anwenden und so redlich wie möglich das Vergangene gegenwärtig machen. Er muß, im Falle des Lebens Jesu, die Begrenztheit unseres Wissens deutlich machen (s. Kap. 2). Er muß aber auch der eigentümlichen Lebendigkeit der Überlieferung, ihrem hohen Alter und ihrer relativen Einheitlichkeit ihr Recht werden lassen.

    Denn trotz aller Begrenztheit unseres Wissens steht es doch nicht so, daß wir auf ein Bild Jesu verzichten oder gar an der Geschichtlichkeit seiner Gestalt zweifeln müßten. Wir können zwar den Ablauf der Ereignisse dieses Lebens, abgesehen von den letzten Tagen, nicht schildern. Die Gemeinden, die Sprüche und Geschichten von ihm sammelten, waren weder an Entwicklung noch an Psychologie interessiert. Wohl aber waren sie darauf bedacht, Worte und Taten Jesu aufzubewahren, und das ist ihnen auf ihre Weise, die nicht die unsere ist, gelungen. Schon zehn bis fünfzehn Jahre nach Jesu Tod erhält Paulus wie die anderen Missionare solche Traditionen, mündlich oder schriftlich. Schon vierzig Jahre nach Jesu Tod existieren Bücher mit solchen Sammlungen in den Gemeinden. Und das unzweifelhaft späteste unserer vier Evangelien, das des Johannes, ist etwa 90 Jahre nach Jesu Tod bereits in Ägypten, fern seinem Ursprungsland, gelesen worden — und ein kleines Fragment eines solchen ägyptischen Exemplars liegt heute, im Original, in der John Rylands Bibliothek in Manchester! Unsere Evangelien haben also um 100 n. Chr. bereits alle vier existiert. Auch zeigen Zitate der christlichen Schriftsteller im zweiten Jahrhundert, daß es noch mehr solcher Bücher gab, daß die Berichte allmählich durch fremde Gedanken und Geschichten erweitert, ja entstellt wurden, daß aber eine einheitliche Grundlage vorhanden war. Diese ganze Entwicklung überschauen wir heute viel besser als noch vor fünfzig Jahren. Darum wird die immer einmal wieder auftauchende Meinung, die Geschichte Jesu sei der ins Menschliche versetzte Mythus eines Gottes, immer unglaubwürdiger. Denn wenn dem so wäre, müßte eine umgekehrte Entwicklung angenommen werden; es müßten an erster Stelle jene ins Mythische reichenden Darstellungen des zweiten Jahrhunderts angesetzt werden, an letzter unsere Evangelien des Markus und Lukas.

    Auch der Zweifel an der Erhaltung unserer Evangelien in ihrer ursprünglichen Gestalt stellt sich immer mehr als unberechtigt heraus. Wohl gibt es in den massenhaften Abschriften zahlreiche Abweichungen; aber man ist immer wieder erstaunt, wie unwesentlich, aufs Ganze gesehen, diese „Varianten" sind. Jenes älteste Fragment des Johannes-Evangeliums aus der Zeit von 100—140 weicht nicht mit einem Wort von unseren gedruckten griechischen Texten ab. Wir besitzen sorgfältige Handschriften der Evangelien vom dritten und vierten Jahrhundert an. Die griechischen und römischen Klassiker aber kennen wir nur aus Handschriften, die durch erheblich längere Zeiträume vom Datum der Abfassung getrennt sind. Kein Buch der Antike ist in so alten, so zahlreichen und so relativ übereinstimmenden Texten auf uns gekommen wie die Evangelien und die Paulusbriefe!

    So kann die Geschichtswissenschaft ohne Bedenken die Gestalt Jesu in den Kreis ihrer Untersuchungen einbeziehen; die dafür notwendigen Grundlagen sind ihr gegeben. Sie muß versuchen festzustellen, was wir von der geschichtlichen Erscheinung Jesu wissen. Sie kann dabei dem Glauben nicht beweisen, was er und nur er zu sagen hat. Wohl aber kann sie Bekennern wie Gegnern des Christentums vor Augen stellen, worum es ihnen geht: was die einen zum Weiser ihres Lebens erheben und was die anderen für sich ablehnen oder in seiner Weltwirkung bekämpfen. Die Bedeutung solchen Wissens um die geschichtliche Wirklichkeit auch für den Glauben hat bereits der Evangelist Lukas betont, wenn er dem Theophilus, dem er sein Buch widmet, als Zweck der Darstellung nennt: „daß du die Zuverlässigkeit der Lehren erkennst, in denen du unterrichtet wurdest".

    Neben den Gläubigen stehen heute, bedeutsamer als je seit den ersten Jahrhunderten, die Gegner des Christentums. Ihnen geht es jetzt nicht mehr um den Kampf gegen Vorstellungen oder Forderungen, die zum Christentum gehören, aber nicht seinen Bestand ausmachen. Was bekämpft wird, ist das Wesen des Christentums selbst; was erstrebt wird, ist nicht eine Reform der Kirche, sondern ein Verschwinden des Christentums überhaupt. Dieser Kampf, der selbst Geschichte werden wird, kann nicht durch Wissen entschieden werden; es sind stärkere Kräfte, letztlich eben Kräfte des „Glaubens", die beide Seiten einzusetzen haben. Das Christentum hat diese Auseinandersetzung nicht zu scheuen, darf sie aber seinen Anhängern auch nicht verkleinern. Sie hat sich seit Jahrzehnten angekündigt; sie wird in unserer Generation nicht zu Ende geführt werden.

    Voraussetzung einer echten Entscheidung ist aber dies, daß nicht gegen Phantome gekämpft wird, sondern gegen den wirklichen Gegner. Wer das Christentum radikal beseitigen will, darf nicht Daten der Kirchenpolitik aufgreifen, sondern muß das Christentum ins Auge fassen als Erscheinung der Gegenwart wie der Vergangenheit, das reformatorische, das mittelalterliche, das biblische Christentum. Immer wieder zeigt sich, ein wie verzerrtes Bild von den Anfängen des Christentums verbreitet ist. Im Interesse des Glaubens hat man diese Anfänge über die geschichtlichen Zusammenhänge erhöht — so lange bis ihre Geschichtlichkeit zweifelhaft wurde. Im Interesse der Bildung hat man menschliche Größe und vollendete Sittlichkeit, Reichtum der Gefühle und Einzigartigkeit der Erlebnisse im Neuen Testament gefunden. Es gibt aber „schönere, es gibt interessantere, es gibt auch „moralischere, energischer zur Nacheiferung aufrufende Bücher als das Neue Testament. Das Neue Testament ist weniger und ist mehr. Es ist der schlichte, unter menschlicher Bedingtheit zustande gekommene Niederschlag eines Geschehens. Ob in diesem Geschehen Gott seinen Willen offenbar gemacht habe — das ist die Entscheidungsfrage im Kampf um das Christentum. Eine wissenschaftliche Darstellung wie die folgende kann nicht die Entscheidung enthalten, aber sie kann das Geschehen kennen lehren.

    2. Die Quellen

    Inhaltsverzeichnis

    Unser Wissen von der Geschichte Jesu ist begrenzt. Eine Begrenzung ist es schon, daß wir die Urteile der Gegner nicht unmittelbar vernehmen: denn von nichtchristlichen Zeugnissen über Jesus ist uns nur weniges erhalten, und dieses wenige ist interessant, fügt aber dem Bilde, das wir aus christlichen Quellen gewinnen, nichts Wesentliches hinzu (siehe unten Nr. 1). Unter den christlichen Quellen stehen die Evangelien des Neuen Testaments im Vordergrund; von den außerbiblischen christlichen Nachrichten über Jesus haben wir nur Bruchstücke. Die Evangelien der Bibel aber sind nicht literarische Schriften, deren Verfasser auf Grund von Erfahrung und Erkundung das Wirken Jesu selbständig darstellen. Sie sind weder modernen noch antiken Biographien zu vergleichen; und darin liegt eine weitere Einschränkung unseres Wissens (Nr. 2). Sie haben viele Fragen, deren Beantwortung wir von einem geschichtlichen Lebensbilde Jesu erwarten würden, überhaupt nicht behandelt. Das Johannes-Evangelium ist zwar eine selbständige Leistung, hat es aber nicht in erster Linie auf die Vermittlung geschichtlicher Kunde abgesehen. Die drei anderen Evangelien aber sind Sammlungen von Überlieferung — und zwar im wesentlichen der gleichen Überlieferung, nur in verschiedener Ausformung, Anordnung und Rahmung. Diese Überlieferung enthält Worte Jesu und Geschichten von ihm. Und dabei wird eine dritte Begrenzung unseres Wissens bemerkbar. Sie liegt darin, daß hier nicht fortlaufende Geschichte berichtet wird, sondern einzelne Geschichten erzählt werden — und dies in der Weise des Volkes, des frommen Volkes, das Taten Gottes bewundern und nicht sich menschliche Zusammenhänge überlegen will (Nr. 3). Es liegt dieser Erzählungsweise fern, kritische Fragen aufzuwerfen und zu untersuchen, ob und warum dies hätte geschehen oder jenes hätte gesagt werden können. Unser sicheres Wissen von der Geschichte Jesu beruht also auf dem, was die ersten Gemeinden von dem Leben ihres Meisters überlieferten, und ist begrenzt durch die Eigenart dieser Überlieferung.

    1. Die nichtchristlichen Zeugnisse von Jesus sollen trotzdem hier genannt werden, weil immer einmal die Frage auftaucht, ob sie nicht anderen und besseren Bericht von Jesus gäben als die Evangelien. Das mit Recht berühmteste unter ihnen steht in den Annalen des Tacitus (XV 44), die nach 110 entstanden sind; hier wird erzählt, wie Nero sich zu der Beschuldigung verhält, die ihm selber den Brand zur Last legt: „um nun dem Gerücht ein Ende zu bereiten, wußte Nero Schuldige zu erfinden und mit den härtesten Strafen zu bedenken; es waren die ohnehin wegen allerlei Schändlichkeiten verhaßten Leute, die beim gemeinen Volk Chrestianer hießen. Der Name hängt zusammen mit einem ,Christus, den der Prokurator Pontius Pilatus unter der Herrschaft des Tiberius hatte hinrichten lassen. Trotz solcher augenblicklichen Schwächung kam der verderbliche Aberglaube wieder auf, und nicht nur in Judäa, wo diese Plage entstanden war, sondern auch in Rom, wo alles, was schimpflich und schändlich ist, aus der ganzen Welt zusammenströmt und gern gepflegt wird. Was in diesen Worten nicht Kritik (an den Christen und an der Stadt Rom) ist, sondern geschichtliche Mitteilung, das konnte Tacitus wohl von jedem römischen Christen ums Jahr 100 erfahren. Wir brauchen also nicht nach besonderen Quellen zu suchen; sehr gut könnten sie auch nicht gewesen sein, da Tacitus den Namen Jesus gar nicht kennt und Christus offenbar für einen Eigennamen hält. Den Namen verändert das Volk, wenn es die Anhänger des jüdischen Propheten als Chrestianer bezeichnet; dieses durch den bekannten Namen Chrestus nahegelegte Mißverständnis ist auch sonst bezeugt. Wenn wir es als verbreitet annehmen, können wir auch bei einem anderen römischen Historiker eine Erwähnung Jesu finden. Sueto-nius erzählt in seinem etwas später als die Annalen des Tacitus geschriebenen Werk „Über das Leben der Kaiser (V 25, 4), daß Claudius „die Juden, die auf Veranlassung des Chrestus beständig Unruhen erregten, aus Rom auswies. Wenn diese Nachricht etwas mit dem Christentum zu tun hat, so handelt sie von Unruhen, die durch das Eindringen des Christentums in die römische Judenschaft verursacht wurden. Sueton hätte dann in diesem Zusammenhang den Namen Christus vernommen, ihn als Chrestus gedeutet und als Bezeichnung eines römischen Juden mißverstanden.

    Auch aus jüdischen Quellen ist nicht viel zu gewinnen. Der jüdische Geschichtsschreiber dieser Zeit, Josephus, erwähnt in seinem „Altertümer genannten Werk (XX 9, 1) die Steinigung des „Bruders Jesu, des sogenannten Christus, Jakobus war sein Name. Das ist nicht auffallend. Josephus, der in Rom um 90 schrieb, mußte wissen, daß man den Heiland der Christen „Christos nannte, als ob dies ein Eigenname wäre; für ihn als Juden war es aber die Übersetzung des Titels „Messias und mußte darum mit dem entwertenden Zusatz „sogenannt versehen werden. Gerade wenn man diese vorsichtige Haltung des Josephus versteht, kann man ihm die Worte nicht zuschreiben, die an anderer Stelle des gleichen Werkes (XVIII 3, 3) das Auftreten Jesu beschreiben. Denn dort heißt es u. a.: „dieser war der Messias (griech. ,Christos‘) und „am dritten Tage erschien er ihnen wieder lebend, was ja samt vielem anderen Wunderbaren die göttlichen Propheten von ihm gesagt hatten. Liest man vollends am Anfang dieser Stelle „Jesus, ein weiser Mann, wenn man ihn überhaupt einen Mann nennen darf, so kann kaum zweifelhaft sein, daß hier ein christlicher Einschub vorliegt oder mindestens eine christliche Überarbeitung. Ob es sich um das eine oder das andere handele, wird immer wieder gefragt. Die Entscheidung ist aber für unsere Betrachtung ohne Belang; denn selbst wenn wir genau wüßten, daß Josephus an dieser Stelle auch im ursprünglichen Text von Jesus gesprochen habe, könnten wir doch den Wortlaut nicht rekonstruieren; wir kennen nur Josephus-Handschriften, die den vollen christlich klingenden Text enthalten. Es gibt übrigens noch eine slawische Übersetzung des anderen Geschichtswerkes des Josephus, des „Jüdischen Krieges, die an einigen Stellen Jesus erwähnt. Da aber die wichtigste Stelle von jenem christlichen Zeugnis in den „Altertümern abhängig zu sein scheint, ist auch hier keine alte geschichtliche Kunde zu gewinnen. Endlich ist noch des großen, in Jahrhunderten entstandenen jüdischen Überlieferungswerkes, des Talmud, zu gedenken, der ein paar Anspielungen auf Jeschu ha-Noçri und seine Schüler enthält (z. B. er sei am Rüsttag des Passa gehängt worden, Babylon. Talmud, Traktat Sanhedrin 43a). Aber da es sich hier nur um letzte Nachklänge von Geschichtlichem, und sogar auch um Verwechslungen und Verzerrungen handelt, kommt der Talmud als Quelle für das Leben Jesu nicht in Betracht.

    2. Wir sind also auf die christlichen Zeugnisse über Jesus angewiesen. Nun hat es zweifellos mehr Berichte von Jesu Worten und Taten gegeben als im Neuen Testament enthalten sind. Der Evangelist Lukas, der das Johannes-Evangelium noch nicht kannte, redet von „vielen Vorgängern und meint damit doch nicht nur Matthäus und Markus. Und bis in die jüngste Zeit hinein werden immer neue Bruchstücke entdeckt, die Sammlungen von Worten Jesu oder Erzählungen aus seinem Leben enthalten. Auch werden in Schriften der Kirchenväter Titel anderer Evangelien und Zitate aus ihnen angeführt (in deutscher Übersetzung bei Hennecke-Schneemelcher, Neutest. Apokryphen I, 3. Aufl., 1959). Aber was diese „apokryphen Texte von Jesu Leben erzählen, widerspricht häufig den feststellbaren Verhältnissen des Landes Palästina; zum Teil erscheint es auch als Deutung oder Ausarbeitung des Inhalts unserer biblischen Evangelien. Was die erwähnten Zeugnisse an Worten Jesu mitteilen, ist wertvoller. Wir finden da gelegentlich ein Wort, das nach Form und Inhalt den biblischen Sprüchen Jesu an die Seite gestellt werden darf. Wir finden vor allem Parallelen zu diesen Sprüchen, die zeigen, daß die Worte Jesu in verschiedenen Formen umliefen; der Vergleich ermöglicht es uns bisweilen, die älteste Form und den ursprünglichen Sinn eines Spruches festzustellen.

    Wenn das außerbiblische Material unsere geschichtliche Kenntnis von Jesus auch nur selten unmittelbar bereichert, so gewährt es uns doch einen Einblick in die Geschichte der Überlieferung. Deren wesentlichste Zeugen freilich sind und bleiben, auch angesichts aller neuen Funde, die drei ältesten Evangelien des Neuen Testaments, nach Matthäus, Markus und Lukas genannt. Was sie enthalten, ist im wesentlichen Tradition gleicher Art, d. h. es sind Geschichten aus Jesu Leben, Gleichnisse, die er erzählt hat, Sprüche und Spruchgruppen, in denen er sein Evangelium predigte, und am Schluß die Passions- und Ostergeschichte. Und häufig ist nicht nur die allgemeine Art dieselbe, sondern es ist auch der Text der einzelnen Stücke in den verschiedenen Evangelien eng verwandt, so daß sich die Unterschiede als Abwandlungen desselben Typs verstehen lassen. Dies zu veranschaulichen, kann man die Texte jener drei Evangelien in drei Spalten nebeneinander setzen; man erhält dann eine Zusammenschau oder Synopse, und dementsprechend redet man von diesen Evangelien als den synoptischen und von ihren Verfassern als den Synoptikern. Die Verwandtschaft zwischen ihnen erklärt sich also zunächst daraus, daß sie alle drei die gleiche in den Gemeinden — schriftlich oder mündlich — aufbewahrte Tradition vom Leben und Sterben Jesu sammeln, ordnen und in die Form einer zusammenhängenden Darstellung bringen wollten. Sie taten das in verschiedener Weise, aber ohne die Absicht, etwas Neues, Eigenes zu schaffen; sie waren also mehr Redaktoren als Autoren. Aber wenn die drei synoptischen Evangelien einander nicht nur in der Art der Überlieferung, sondern weithin auch im Text nahezu gleichen und gelegentlich auch dieselbe Anordnung haben, so erklärt sich das nicht nur aus der Gemeinsamkeit der Traditionsgrundlage. Die Evangelien sind, so scheint es, noch näher miteinander verwandt.

    Diese Verwandtschaft zu erklären, hat sich seit einem Jahrhundert und länger die Evangelien-Kritik, namentlich in Deutschland und Großbritannien, bemüht. Das Ergebnis dieser Arbeit war die sogenannte Zwei-Quellen Theorie, die in ihren Grundzügen heute weithin angenommen ist. Die Kritik hat durch Vergleichung der Texte in allen Einzelheiten (namentlich bei Matth, und Mk.) und der Anordnung der Stücke (namentlich bei Luk. und Mk.) erwiesen, daß das Markus-Evangelium die Quelle der beiden anderen Evangelien gewesen sein muß. Und die Kritik hat auch ein zweites wahrscheinlich gemacht: Matthäus und Lukas haben noch eine andere gemeinsame Quelle benutzt; denn sie stimmen auch in vielen Abschnitten, die bei Markus gar nicht Vorkommen, fast wörtlich überein. Diese Quelle kann man nur ungefähr aus den Texten rekonstruieren. Was sich dabei als ihr Inhalt ergibt, sind zum größten Teil Worte Jesu. Wieviel die Quelle sonst umfaßte, in welchem Teil der Kirche sie gelesen und wem sie zugeschrieben wurde, das wissen wir nicht. Wir nennen sie — aber erst seit Anfang dieses Jahrhunderts — Q (= Quelle), um ihr eine möglichst harmlose Bezeichnung zu geben.

    Das Markus-Evangelium und die Quelle Q sind die wichtigsten Formungen des Überlieferungsstoffes, die den beiden größeren Evangelien, Matthäus und Lukas, zugrunde liegen. Dabei bot ihnen Markus anscheinend mehr Geschichten, Q mehr Sprüche und Sammlungen von Sprüchen, sogenannte „Reden", dar. Wir wissen nicht, woher die Stoffe stammen, die Matthäus und Lukas sonst noch enthalten, z. B. einige Sprüche der Bergpredigt und der Rede gegen die Pharisäer bei Matthäus, manche der großen Gleichnisse bei Lukas. Die Überlieferung, die in den christlichen Gemeinden gepflegt wurde, war sicher umfassender als das, was die synoptischen Evangelien von ihr enthalten; und vieles Überlieferungsgut lebt gewiß nur, mehr oder minder entstellt, in den apokryphen Zeugnissen oder, selbständig verarbeitet, im Evangelium des Johannes weiter. Das, was wir von der alten Überlieferung am sichersten besitzen, ist jedenfalls bei den Synoptikern zu finden. Sie sind vor Johannes geschrieben, der sie offenbar kennt. Matthäus und Lukas nehmen bereits auf die Zerstörung Jerusalems Bezug (Matth. 22, 7; Luk. 21, 20) Johannes, der nach Ausweis jenes neugefundenen Papyrusblattes aus dem ersten Teil des zweiten Jahrhunderts um diese Zeit bereits in Ägypten gelesen wurde, ist um 100 anzusetzen. Also fällt die Entstehung der Evangelien etwa in die letzten dreißig Jahre des ersten Jahrhunderts; die Tradition, die den Evangelien zugrunde liegt, entstammt demnach der Zeit vorher.

    Wenn wir also nach den Quellen für unser geschichtliches Wissen von Jesus fragen, so müssen wir versuchen, auf diese Traditionen zurückzugreifen. Ihr Wesen und ihren Wert gilt es zu bestimmen. Die Evangelien sind Vermittler dieser Tradition. Ihre Eigenart, die Person ihrer Verfasser, die Frage, inwieweit sie die Namen Matthäus, Markus, Lukas mit Recht tragen, alles dies steht für die geschichtliche Betrachtung des Wirkens Jesu nicht im Vordergrund.

    3. Wir wenden uns darum jetzt der in den Evangelien gesammelten Tradition von Jesus zu. Was sie darstellt und unter welchen Bedingungen sie entstand, müssen wir uns zunächst von ihr selbst sagen lassen. Was wir auf diesem Wege erschließen, können wir dann mit dem vergleichen, was wir sonst, vor allem aus den Paulusbriefen, über das Urchristentum wissen.

    Auf den ersten Blick sieht man, daß die Überlieferung sowohl Geschichten von Jesus als auch Worte Jesu enthielt. Manche Geschichten sind freilich nur gerahmte Worte. Eine Frau preist Jesu Mutter selig und erhält von ihm zur Antwort: „nein, sondern selig sind, die Gottes Wort hören und halten (Luk. 11, 27. 28). Johannes der Täufer läßt aus dem Gefängnis an Jesus die Frage richten, ob er der Verheißene sei, und Jesus verweist in seiner Antwort darauf, daß die Zeichen des Reiches Gottes in seiner Nähe geschehen, aber er schließt mit der Warnung: „wohl dem, der nicht irre wird an mir! (Matth. 11, 2—6; Luk. 7, 18—23). In diesen Fällen sind die Antworten nicht ohne die Frage zu verstehen, die Sprüche nicht ohne den Rahmen. Aber viele Worte sind ohne geschichtlichen Rahmen überliefert, verständlich in sich selbst, dem geschichtlichen Zusammenhang entnommen; auf solche Weise treffen sie den Hörer oder Leser viel unmittelbarer als im Rahmen einer Erzählung. Daß ein Bedürfnis nach derartiger Überlieferung vorhanden war und auch später noch erfüllt wurde, zeigen die beiden Papyrusblätter mit Sprüchen Jesu, die 1897 und 1904 aus den Funden im ägyptischen Oxyrhynchus veröffentlicht wurden (die Handschrift deutet auf das 3. Jahrhundert): hier sind Sprüche ganz verschiedenen Inhalts nacheinander angeführt, jeder aber bezeichnenderweise eingeleitet mit den Worten: „Jesus spricht (nicht: sprach!). In der Quelle Q, bei Lukas und erst recht bei Matthäus sind diese Sprüche häufig so verbunden, daß ganze „Reden entstehen, wie die Bergpredigt; das sind natürlich nicht ursprüngliche Reden, die ein Thema entwickeln und durchführen, sondern es sind Zusammenstellungen von Sprüchen und Spruchgruppen, nach Themen geordnet und also zum praktischen Gebrauch der Christengemeinden bestimmt. Sie sollen für Fragen ihres Lebens Antwort und Weisung aus dem Mund ihres Meisters haben. Das war das entscheidende Motiv für die Sammlung der Worte Jesu ohne geschichtlichen Rahmen.

    Wir erhalten aus diesen Sammlungen einen sehr lebendigen Eindruck von der Art, wie Jesus geredet hat. Er hat nicht, wie etwa die griechischen Philosophen, im Zwiegespräch mit Schülern oder Gegnern Gedanken entwickelt, oder in kleinen Abhandlungen „gelehrt. Er hat vielmehr wie die großen Propheten des Alten Testaments in Gottes Namen Botschaft verkündet. Er hat in Heilrufen —das sind z.B. die „Seligpreisungen — und Mahnrufen die Hörer gewarnt und beschworen. Er hat aber auch wie ein Weisheitslehrer in kurzen Sprüchen, oft in Bildworten, Gottes Forderung und des Menschen Stellung zu Gott zum Ausdruck gebracht. Diese kurzen Sprüche, Rufe, Warnungen und Gebote sind meist so plastisch und einprägsam formuliert, daß es nicht erstaunlich ist, wenn sie im Ohr der Hörer hafteten, im Kreis der Anhänger von Mund zu Mund weitergegeben wurden, so daß sie schließlich ohne wesentliche Entstellung niedergeschrieben werden konnten. Da Jesus aramäisch sprach, die Überlieferung aber, die in den Evangelien auf uns gekommen ist, ausschließlich in griechischer Sprache geformt ist, mußten die Worte Jesu übersetzt werden. In den ersten Gemeinden an der Sprachgrenze im Norden Syriens, z. B. in Antiochia, gab es sehr viele zweisprachige Menschen. So wird sich die Übertragung sehr einfach so vollzogen haben, daß diese, was sie in der einen Sprache gehört hatten, in der anderen weitersagten. Es ist also nicht an eine einheitliche Übersetzungsarbeit zu denken, wie sie unseren modernen Bibelübersetzungen zugrunde liegt, sondern an eine vielfältige Übertragung. Es sind auch tatsächlich dieselben Sprüche in ganz verschiedenartigem Gewand auf uns gekommen. Wir sehen aber gerade an solcher Doppelüberlieferung, daß sie zwar in der Form abgewandelt, aber doch in der Sache nicht wesentlich entstellt wurden. Wir können auch sonst wahrnehmen, daß die Weitergabe mit große Treue geschah, dank dem unbelasteten Gedächtnis der unverbildeten Anhänger Jesu und dank ihrer Verehrung für das Wort des Meisters. Schon Paulus, und erst recht die Kirche nach ihm, hat andere Ausdrucksformen und eine neue Begriffswelt: wenn in der Tradition der Worte Jesu davon nichts oder doch nur wenig zu spüren ist, so bietet das Gewähr für eine relative Ursprünglichkeit der Überlieferung. Wohl mögen sich gelegentlich andere ähnliche Worte, vor allem aus der Spruchweisheit des Judentums, zu den echten Worten Jesu hinzugefunden haben; aber sie veränderten nichts am wesentlichen Inhalt. Von unechten Worten wird man nur dort reden können, wo deutlich spätere Verhältnisse, Zustände oder Fragen der bereits bestehenden Kirche vorausgesetzt werden.

    In größeren Zusammenhängen hat Jesus geredet, wenn er in parallelen Wiederholungen die gleiche Mahnung auf verschiedene Gebiete anwandte, z.B. auf Almosen, Beten und Fasten (Matth. 6, 2—6. 16—18) oder auf Mord, Ehebruch und Eid (Matth. 5, 21—37, doch ist der Abschnitt vom Evangelisten mit Einzelsprüchen aufgefüllt). Aber der parallele Bau dieser „Spruchgruppen" bietet, wie jeder am deutschen Text nachprüfen kann, dem Gedächtnis eine solche Hilfe, daß auch hier eine relativ treue Bewahrung des Textes im Gedächtnis gut möglich erscheint.

    Und schließlich sind hier noch die längsten zusammenhängenden Redestücke zu nennen, die uns als Worte Jesu überliefert sind: die größeren Gleichniserzählungen; also nicht jene Gleichnisse, in denen mit wenigen Sätzen ein — meist alltäglicher — Vorgang zur Erhellung eines Gedankens aus dem Evangelium beschrieben wird, sondern die ausführlichen Geschichten, in denen ein — zumeist außerordentlicher, schon an sich fesselnder — Vorgang dargestellt wird, um einen Satz der Botschaft beispielhaft zu belegen oder vom anderen Gebiet her zu belichten. Es sind die bekanntesten „Gleichnisse, um die es sich hier handelt: Verlorener Sohn, Arbeiter im Weinberg, Barmherziger Samariter, Unbarmherziger Knecht, Ungerechter Haushalter, Reicher Mann und armer Lazarus, Anvertraute Gelder, Festmahl. Die meisten dieser Geschichten zeichnen sich durch volkstümliche Motivierung wie durch ebenso volkstümliche Stilisierung des Berichts aus (die drei Wanderer im „Barmherzigen Samariter, die Wiederholungen in den „Arbeitern im Weinberg" usw.). Faßlichkeit und Einprägsamkeit eignen dieser Erzählung in so hohem Grade, daß die Möglichkeit guter Erhaltung nicht zu bezweifeln ist. Wohl aber zeigt ein Vergleich der doppelt erhaltenen Gleichnisse (Festmahl, Anvertraute Gelder), was auch eine Kritik der Einleitungen und Ausleitungen einzelner Gleichnisse lehrt: man hat in den Gemeinden diese Gleichnisse oft überdeutet, d. h. mehr aus ihnen herausgeholt, als sie eigentlich besagen wollten. Hatte Jesus selbst in dem ungerechten Haushalter einen verbrecherischen, aber entschlossenen Menschen gezeigt, der sich nach dem Zusammenbruch seiner alten Existenz eine neue (mit betrügerischen Mitteln) aufbaut, so wollte man nun, wie der Anhang Luk. 16, 9—13 zeigt, auch noch eine Belehrung über die rechte Verwendung von Geld und Gut herauslesen. Das Gleichnis von den Gästen beim Festmahl, die der Einladung nicht folgen, genügte nicht; es wurde so umgestaltet, daß man das Schicksal des Judenvolkes darin erkennen konnte (vgl. Matth. 22, 2—10 mit dem einfacheren Text Luk. 14, 16—24). Im allgemeinen aber sind diese Deutungen und Anpassungen an spätere Verhältnisse wohl erkennbar, weil sie zu Gang und Sinn der Gleichniserzählung gewöhnlich in Spannung stehen. Dieser Sinn erschließt sich am einfachsten, wenn man alle rahmenden und deutenden Bemerkungen beiseite läßt und sich an den Wortlaut der Erzählung hält. Daran, daß der Text die Meinung Jesu meist so deutlich erkennen läßt, sieht man, daß er selbst von jenen Ausgestaltungen und Deutungen nur wenig betroffen ist.

    Wir haben bisher die Überlieferung der Worte Jesu betrachtet, um aus der Art dieser Tradition zu erschließen, in welchem Umfang diese ursprünglich ohne biographischen Zusammenhang überlieferten Texte geschichtlich zuverlässig sind und als Quelle für ein historisches Bild Jesu dienen können. Kleine Veränderungen, wie sie schon die Übertragung aus dem Aramäischen ins Griechische mit sich brachte, müssen dabei vorausgesetzt, können aber im einzelnen nicht festgestellt werden. Eine Diskussion darüber, ob ein einzelner Spruch „echt" sei, ist oft müßig, weil die Gründe für oder wider nicht schlagend sind. Im allgemeinen wird der Historiker gut tun, auf die Masse der Überlieferung zu sehen und nicht zuviel auf ein einzelnes Wort zu bauen, falls es von der übrigen Tradition abweicht.

    Wichtigere Veränderungen der überlieferten Worte Jesu durch die Gemeinden sind festzustellen, wenn das Wort sich mit Jesu Würde und Schicksal befaßt. Denn die Gemeinden konnten Ahnungen seiner Würde und Andeutungen seines Schicksals nicht weitergeben ohne auszudrücken, was sie jetzt, nach der Entscheidung, über Jesu Würde wußten und von Jesu Schicksal dank dem Osterglauben verstanden hatten. Das gilt von Worten wie den Leidensverkündungen (Mk. 8,31; 9,31; 10, 32 und Parallelen), die ohne Zusammenhang, sozusagen nur als Belehrungen ohne besonderen geschichtlichen Anlaß, im Text stehen; es gilt aber auch von Worten, die sich in Geschichten finden, etwa von der berühmten Antwort Jesu auf das Messiasbekenntnis des Petrus, die so nur im Matth. Ev. (16, 17—19) zu lesen ist. Es gilt endlich auch von den Reden Jesu im JohannesEvangelium. Da die Evangelien nicht Biographien sind, sondern Bücher, die den christlichen Glauben bezeugen und belegen wollen, konnten die Evangelisten jene Worte, falls sie ihnen als Ahnung und Andeutung überliefert waren, gar nicht aufnehmen, ohne die Erfüllung der Ahnung und ohne den vollen Glauben statt der Andeutung auszusprechen. Die Frage ist nur, ob und wie viele solcher Worte ihnen schon überliefert waren. Und diese Frage ist auf literarischem Wege zumeist nicht lösbar. Hinter ihr steht aber die andere Frage, inwieweit Jesus selbst schon bei seinen Lebzeiten seine Botschaft zur Botschaft von sich und seiner Würde ausgestaltet hat. Und diese Frage ist an ihrem Ort zu behandeln (s. Kap. 7).

    Wir wenden uns nun den erzählenden Abschnitten der synoptischen Evangelien zu. Auch sie sind nicht von den Evangelisten geschaffen, sondern aus der bereits — mündlich und eventuell auch schriftlich — existierenden Überlieferung auf genommen. Jeder Leser auch des deutschen Textes kann merken, daß z. B. die in Mark. 1—12 enthaltenen „Geschichten völlig selbständige, in sich abgeschlossene Einheiten sind, die miteinander ihre Plätze tauschen könnten, ohne daß an dem Bilde des Wirkens Jesu etwas geändert würde. Einzig die Leidens- und Ostergeschichte bildet eine Ausnahme. Vorgänge aus der Zeit des Wirkens Jesu aber sind uns nur aus jenen isolierten Geschichten bekannt. Verzichten müssen wir also von vornherein auf Chronologie wie auf die Feststellung einer Entwicklung Jesu, seiner Erfolge, des Gegensatzes zu seinen Feinden — eine „Biographie Jesu in diesem Sinn läßt sich nicht schreiben. Wir kennen nur Einzelheiten, nicht Zusammenhänge.

    Aber diese Einzelheiten sind zum Teil mit großer Lebendigkeit erzählt. Wer auf diese Dinge achtet, bemerkt bald einen auffälligen Unterschied in dem Stil der Erzählung. Es gibt Geschichten, die nur das Notwendige, dies aber sehr deutlich sagen. Ein gutes Beispiel bietet die Segnung der Kinder, Mark. 10, 13—16, eine Erzählung, die von der Szenerie, den Personen, die die Kinder bringen, den Beweggründen der scheltenden Jünger schweigt, aber Jesu Wort und Jesu Tat einprägsam wiedergibt. Auch die umfangreichere Geschichte vom Gelähmten, Mark. 2, 1—12, gehört hierher: ihr geht es einzig um den Zusammenhang von Glauben, Vergebung und Heilung. Aber hier wird mit Worten nicht gespart: der seltsame Weg über das Dach bezeugt den Glauben derer, die den Kranken bringen; die Pharisäer bestreiten das Recht Jesu, Vergebung zu verkünden, und die Heilung bestätigt dieses Recht. Aber nichts wird gesagt von dem Kranken und seinen Empfindungen, nichts von der Art der Krankheit und der Art der Heilung. Neben diesem Typus steht ein zweiter, im allgemeinen durch Ausführlichkeit charakterisiert, vor allem aber durch das, was er so ausführlich beschreibt: Krankheitsbild, Heilung und Konstatierung des Erfolges stehen hier im Vordergrund. Ein gutes Beispiel bildet die große Erzählung von dem Dämon „Legion, Mark 5, 1—20. Es wird genau beschrieben, wie sich unter seinem Einfluß der Kranke verhält, wie Jesus ihn bannt und wie der Dämon seine Macht und Vielfältigkeit beim Ausfahren aus dem Kranken dadurch zeigt, daß er eine ganze Herde Schweine „besessen macht und in den See treibt.

    Sehr lehrreich ist es, beide Erzählungsarten am gleichen Thema zu beobachten. Im Markus-Evangelium wird zweimal eine Blindenheilung berichtet. Das eine Mal, in Jericho, Mark. 10, 46—52, sind es der Glaube des Blinden und der Ruf Jesu, die beschrieben werden; der Vorgang der Heilung wird mit einem Satz abgetan. Das andere Mal, in Bethsaida, Mark. 8, 22—26, gehört alles Augenmerk der Kur, die Jesus an dem Kranken vornimmt, und der allmählich sich einstellenden Genesung; von „religiösen" Beziehungen, etwa vom Glauben des Kranken und der Macht Jesu, ist kein Wort gesagt.

    Diese Erzählungsart ist also ausgesprochen weltlich. Und wir wissen genug von volkstümlichen Erzählungen, z. B. Heilungsberichten, außerhalb des Christentums, um feststellen zu können, daß dieser Stil dem dort üblichen entspricht. Die andere Erzählungsart dagegen, als deren Beispiele hier die Segnung der Kinder, die Heilungen des Gelähmten und des Blinden in Jericho genannt wurden, ist eigenständig und erklärt sich aus christlichen Voraussetzungen. Diese Art, von Jesus zu erzählen, will offenbar die Macht seines Wortes und die Kraft seiner Tat in den Vordergrund stellen. Diese Erzählungen wollen ganz unmittelbar Evangelium predigen. Man kann sich gut vorstellen, daß sie ursprünglich geformt worden sind, um die Predigt der Christen, die missionarische oder die Gemeinde-Predigt, zu bereichern, zu erläutern, zu belegen. Sie sind kurz und geschlossen genug, um in eine Verkündung des christlichen Glaubens als Beispiele eingelegt zu werden. Ich nenne sie darum Paradigmen. Es ist fast erstaunlich, in wie gerin-gem Maße sie die sonst üblichen Mittel volkstümlicher Erzählung verwenden und wie wenig sie die Fragen unserer Wißbegier zu beantworten vermögen. Sie müssen ihre wesentliche Formung wohl zu einer Zeit erhalten haben, da die Gemeinden mit der hellenistischen Welt noch kaum in Berührung gekommen waren, also in den ersten 20—25 Jahren nach Jesu Tod. Auf die gleiche Zeit kommen wir, wenn wir überlegen, daß Paulus selbst bereits solche Stücke der Gemeindetradition als Überlieferung erhalten hat und daß eines dieser Stücke, das vom Abendmahl, I. Kor. 11, 23, ganz den Typus der Erzählung zeigt, den wir aus den synoptischen Evangelien kennen. An Paulus aber müßten diese Traditionen gelangt sein, als er Christ (um 34 n. Chr.) oder als er Missionar wurde (einige Zeit später). Wir haben also in diesen Paradigmen sehr alte Überlieferung vor uns.

    Dabei ist es für unsere Frage nicht sehr von Bedeutung, ob diese Geschichten ursprünglich aramäisch erzählt und dann übersetzt wurden oder ob zweisprachige Menschen, nachdem sie von den Ereignissen auf aramäisch gehört hatten, diese Berichte in griechischer Sprache neu formten. In jedem Fall entstanden die griechischen Erzählungen zu einer Zeit, als noch viele Augenzeugen des Wirkens Jesu lebten. Sie, zumal die persönlichen Schüler Jesu, wären imstande gewesen, eine völlig entstellende Schilderung zu korrigieren. Wir haben also mit der Feststellung des hohen Alters dieser Paradigmen auch eine Gewähr erlangt für deren relative Geschichtlichkeit. Allerdings ist diese Geschichtlichkeit nur relativ zu nennen, weil diese Erzählungen ja von allem Anfang an stilisiert sind, um mit ihrem Bericht das Evangelium selbst zu verkünden. Sie können und wollen nicht geschichtlich treue Beschreibungen in dem Sinn sein, in dem ein modernes Protokoll zuverlässig in den Einzelheiten ist. Sie wollen in dem Vorgang das Handeln des Gottessohnes zeigen und mögen diese Absicht, ohne daß es dem Erzähler immer bewußt war, durch Auslassungen des Unwesentlichen, Überbetonung des Hauptsächlichen, Vergrößerung des Wunderhaften erreicht haben. Und überhaupt muß man sich erinnern, daß volkstümliche Erzählung immer mit solchen Mitteln arbeitet und niemals dem Protokoll entspricht. Eines gehört zum ändern: wären diese Geschichten exakte Darstellungen im Sinn der heutigen Geschichtschreibung, so könnten sie frühestens aus dem zweiten christlichen Jahrhundert stammen, in dem das Christentum zur Sache der Gebildeten wird. So wie sie sind, mit ihren Vorzügen und Mängeln, weisen sie auf eine frühe Entstehungszeit.

    Etwas anders steht es mit jenen ausgeführteren Erzählungen, als deren Beispiel hier die Austreibung des Dämons „Legion" und die Blindenheilung zu Bethsaida genannt wurde. Sie sind offenbar nicht den Zwecken der Predigt dienstbar; in ihnen ist Erzählung, bisweilen recht farbenreiche Erzählung, Selbstzweck. So ist es kein Wunder, daß nichtchristliche Einflüsse zu spüren sind: entweder hat man ältere Geschichten beim Weitererzählen mit novellistischen Zutaten versehen — dann wäre die Hauptsache doch geschichtlich — oder man hat nichtchristliche Stoffe mit der Person Jesu verbunden — dann könnte von Geschichtlichkeit nicht die Rede sein. Die historische Zuverlässigkeit dieser Geschichten, die ich ihrer Erzählungsart nach Novellen nenne, ist also von Fall zu Fall zu prüfen, und nicht immer ist dabei Sicherheit des Urteils zu erreichen.

    Neben diesen Paradigmen und Novellen steht als zusammenhängender Bericht in den synoptischen Evangelien einzig die Leidensgeschichte (Mark. 14, 1—16, 8 und Parallelen). Hier bringt es die Sache selbst mit sich, daß der Erzähler eine fortlaufende Darstellung anstreben muß — und das um so eher, als die Leidensgeschichte in dem Ganzen der evangelischen Überlieferung eine besondere Stellung inne hat. Das ist am deutlichsten aus den Reden der Apostelgeschichte erkennbar: wenn die dort geschilderten Prediger, Petrus wie Paulus, von Jesu Leben reden, so erwähnen sie sein Leiden und seine Auferstehung regelmäßig, seine Tätigkeit als Heilender und Lehrender nur in eingeschränkter Weise. Ein anderes Zeugnis für die Besonderheit der Leidensgeschichte liefert der vierte Evangelist. Er, der sonst immer seine eigenen Wege geht, weiß von dem Leiden Jesu im großen und ganzen nicht anders zu erzählen als die anderen Evangelien. Nach alledem muß man annehmen, daß es bereits in der ältesten Zeit einen festen Typus der Leidensgeschichte gab, den man erweitern, von dem man sich aber nicht lösen konnte, weil er von Anfang an überliefert war. Dieser allgemeine Aufriß — von den Einzelheiten abgesehen — darf also als zuverlässig gelten; man hat bereits in den ältesten Zeiten in den Gemeinden übereinstimmend erzählt, wie es zu Jesu Tod kam. Das geschah zu einer Zeit, als zahlreiche Augenzeugen dieser Ereignisse am Leben waren — darauf deutet mittelbar auch Paulus, I. Kor. 15, 6 —; ja, es ist sogar wahrscheinlich, daß die älteste Leidensgeschichte an zwei oder drei Stellen auf solche Augenzeugen ausdrücklich Bezug nimmt: Mk. 14, 51; 15, 21; und vielleicht auch 15, 40 (s. Kap. 9).

    Wir überschauen jetzt, auf welche Quellen sich geschichtliche Kunde von Jesus gründen kann. Es sind im wesentlichen christliche Quellen, vornehmlich die Evangelien des Markus, Matthäus und Lukas. Es handelt sich aber nicht in erster Linie um das, was deren Verfasser wußten und gestalteten, sondern um den älteren Überlieferungs-Stoff, den sie in ihre Bücher aufnahmen. Dieser Stoff, der bereits vor der Abfassung der Evangelien teils mündlich, teils schriftlich in den Gemeinden in Umlauf war, bestand aus Geschichten, Sprüchen und anderen Redestücken (einschließlich der Gleichnisse) und der Leidensgeschichte. Da die Evangelisten diese Stoffe nur rahmten und verbanden, läßt sich die Tradition ohne Schwierigkeit aus dem Text der Evangelien erheben (Darbietung dieses Stoffes in deutscher Übersetzung bei M. Dibelius, Die Botschaft von Jesus Christus, 1935). Das Ursprüngliche ist also immer die Einzelgeschichte, der einzelne Spruch — nicht der verbindende Text, die Überleitungen oder zusammenfassenden Bemerkungen.

    In dieser Tradition die älteste Schicht zu unterscheiden, ist darum nicht schwer, weil wir die Entwicklung überschauen, die von der älteren Schicht zu einer jüngeren führt: die Umbildung der Geschichten durch weltlichen Stil und weltliche Motive; die Anpassung der Worte Jesu an die „Verhältnisse", die Überdeutung der Gleichnisse. Was davon noch frei ist, darf als alt gelten. Diese alte Schicht der Tradition dürfen wir geschichtlich für relativ zuverlässig halten, denn

    1. sie ist entstanden in der Zeit zwischen 30 und 70 n. Chr., also, wenn nicht durch Augenzeugen, so doch nicht ohne Zusammenhang mit ihnen;

    2. Sie ist relativ frei von außerchristlichen Einwirkungen; die Sprüche klingen weder gnostisch noch gesetzlich, die Erzählungen zeigen noch nicht die „weltliche Technik, die Gleichnisse lassen ihren ursprünglichen Sinn trotz späterer „Überdeutung erkennen;

    3. Kürze und Prägnanz dieser Überlieferungsstücke verleihen ihnen Einprägsamkeit in hohem Maße;

    4. die ältesten Überlieferungsstücke sind ihrer Formung nach geeignet, in die Predigt aufgenommen zu werden; ja diese Beziehung zur Predigt hat die Form oft wohl erst bedingt. Der Glaube ist es, der hier redet, nicht die Forschung; und gerade das ist es, was wir bei Gemeinden, die auf das Weitende warten, voraussetzen müssen. Das bedeutet freilich im einzelnen eine gewisse Einschränkung der Geschichtlichkeit, aber, auf das Ganze gesehen, auch ihre Verbürgung.

    3. Volk, Land, Herkunft

    Inhaltsverzeichnis

    Das Volk, in dem Jesus wirkte, war nicht mehr das Israel des Alten Testaments und noch nicht das Judentum des Talmud. Von dem alten Israel war es unterschieden durch das Fehlen staatlicher Selbständigkeit. Das kleine, aber kräftige israelitische Volk, das aus den einwandernden Hebräer-Stämmen und den kanaanitischen Ureinwohnern entstanden war, hat eine starke oder schwache politische Existenz nur bis 586 (oder 597) v. Chr. geführt, bis zur Eroberung Jerusalems und der Wegführung eines Teiles der Bevölkerung nach Babylon. Es folgte das Exil und dann die Reorganisation der jüdischen Gemeinde unter fremder Herrschaft. Im zweiten Jahrhundert begründeten die Makkabäer, im Anschluß an die Empörung gegen den syrischen König Antiochus IV. Epiphanes und seine Hellenisierungspolitik, noch einmal eine relativ selbständige Königsherrschaft, aber Thronstreitigkeiten und das Eingreifen der Römer — Pompejus eroberte 63 Jerusalem — beendeten die Existenz des Judentums als Staat. Die Herrschaft

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