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Ich bin Artemis: Dämonenschatten
Ich bin Artemis: Dämonenschatten
Ich bin Artemis: Dämonenschatten
eBook416 Seiten5 Stunden

Ich bin Artemis: Dämonenschatten

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Über dieses E-Book

Innerhalb weniger Tage sterben zwei Kinder unter tragischen Umständen an Artemis' Schule. Ein unglücklicher Post mit einem Foto von ihrem Mitschüler Ben auf einer Party am Vorabend seines Selbstmordes landet in den sozialen Netzwerken und sorgt dafür, dass ihre Klassenkameraden ihr die Schuld an seinem Tod geben. Die Hölle des Shitstorms, und das Mobbing, das daraufhin über sie hereinbricht, sind für Artemis kaum zu ertragen.

Als ausgerechnet Ben ihr einen geheimnisvollen Abschiedsbrief durch seinen besten Freund Ilja schickt, und ihr ein Grimoire vererbt, das angeblich magische Kräfte besitzt, ist sie überzeugt: Das kann nur ein äußerst grausamer Scherz sein.

Die digitalen Puzzleteile aus Bens Hinterlassenschaften führen Artemis und ihre neuen Freunde Ilja und Jenna in die Schatten ihrer Welt, die immer dunkler wird. Gelingt es ihr, die Todesfälle aufzuklären und das heraufdämmernde Grauen zu besiegen, oder wird Bens Erbe auch sie ins Unglück stürzen?

Der Auftakt der mehrbändigen All-Age Urban-Fantasy-Reihe um die junge Dämonenjägerin Artemis und ihre Freunde Ilja und Jenna.
SpracheDeutsch
HerausgeberEpyllion Verlag
Erscheinungsdatum9. März 2023
ISBN9783947805822
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    Buchvorschau

    Ich bin Artemis - Holger Kellmeyer

    Prolog

    Die beiden Jungen sprangen gleichzeitig ab. Nur legte Leif von Anfang an mehr Kraft in den Absprung. Er tauchte vor Christopher ins Wasser ein und zog mit mehr Dynamik voran.

    Der Trainer wandte sich von den beiden Schwimmern ab und der Klasse zu. „Seht hin!, rief er. „Die Kraft sorgt für den Vorsprung. Was ich immer sage.

    Kaum durchbrachen sie die Oberfläche und pflügten mit kräftigen Kraulschlägen durch das Wasser, feuerten die Kursteilnehmer ihre Favoriten an, als würden sie spüren, wie sich die Wut der beiden in dem Becken entlud.

    Leif und Christopher hatten schon am Vormittag Streit gehabt. Vor allen Augen waren sie im Flur der Schule aneinandergeraten. Leif war danach mit einem blauen Auge in den Unterricht gekommen.

    Solche Geschichten machten auf der Langenfeldschule schnell die Runde. Die anderen Schwimmer des Schwimmvereins Blau-Weiß wussten also schon Bescheid. Sie hatten Leif und Christopher bereits in der Umkleide und unter der Dusche gemieden. Es war kaum ein Wort gewechselt worden. Und nun explodierte die drückende Atmosphäre geradezu.

    Herr Biehler, ihr Trainer, hatte garantiert auch Wind von der Sache bekommen. Denn letztlich war er es gewesen, der allen erklärt hatte, dass heute ein Mann-gegen-Mann Einsatz anstand. Er hatte die Gruppen eingeteilt und Leif und Christopher als Gegner bestimmt.

    Bei keinem anderen Wettkampf hatte er mehr getan, als nur schweigend am Rand zu stehen, die Pfeife zwischen seinen fleischig roten Lippen und den Blick streng aufs Wasser gerichtet. Jetzt kommentierte er jeden Armzug, jeden Beinschlag. Er sezierte die Wende, die Leif an der anderen Seite des Beckens ausführte und erzählte die Geschichte von Phelps und Cavics, einhundert Meter Butterfly bei den Olympischen Spielen in Peking im Jahr 2008. „Er hat nur mithilfe seiner ausgestreckten Fingerspitzen gewonnen. Aber auch, weil jeder Rückstand durch Dynamik und Perfektion aufzuholen ist."

    Niemand erwartete, dass Christopher nach dem missglückten Start noch gewinnen könnte, obwohl er ein Kämpfer war. Seine Rollwende gelang ihm absolut perfekt. Während Leif sich ein wenig zu langsam unter Wasser drehte und keinen fehlerfreien Abstoß von der Wand schaffte, sah es bei Christopher aus wie in einem Lehrvideo. Mit unnachahmlicher Kraft stieß er sich ab und holte seinen Widersacher ein, noch bevor der den ersten Armzug ausführte.

    „Stark, Christopher! Stark!, brüllte Biehler. „Wie Phelps!

    Die meisten Jungen im Schwimmkurs – es war ein reiner Jungenkurs – feuerten Christopher an. Nicht, weil sie wussten, worum es in dem Streit vom Vormittag gegangen war und sie Partei ergriffen. Sie mochten einfach den mehr, der auf der Gewinnerseite stand.

    Immer wieder riefen sie seinen Namen. Sie schwenkten die Fäuste in der Luft, und als die beiden Schwimmer am Ende der Bahn ankamen, sprangen sie alle wie elektrisiert von ihren Sitzen. Sie stürzten vor an den Beckenrand, um zu sehen, wer das Rennen gewann.

    Tatsächlich siegte Christopher.

    Breit grinsend stieg er zwischen den Startblöcken aus dem Wasser und ließ sich von den anderen bejubeln und feiern.

    Der Trainer rief sie mit einem Pfiff zusammen, ohne ein einziges Wort über den Wettkampf zu verlieren. Stattdessen zählte er Namen auf. Es waren die Namen aller, die ihre Rennen am heutigen Tag verloren hatten. Leif blieb im Wasser. Er sah auch nicht auf, als sein Name fiel. „Ab ins Wasser mit euch. Die anderen, der Trainer zeigte beim Grinsen seine Zähne, pfiff einmal laut, um sicherzugehen, dass sie ihm wirklich aufmerksam zuhörten, „können gehen.

    Ungläubig starrten sie ihn an.

    „Ihr zwölf könnt gehen, wiederholte er daher. „Heute ist internationaler Losertag. Dass ihr gut seid, habt ihr bewiesen. Und ihr, Biehler wandte sich denen zu, die inzwischen ins Becken gestiegen waren, „habt uns gezeigt, wo eure Schwächen liegen. Wenn wir ein gutes Team sein wollen, müssen wir sie euch austreiben."

    Dann zählte er für jeden einzelnen Verlierer die Gründe auf, wegen derer sie versagt hatten.

    „Leif: deine Rollwende. Sie hat dich den Sieg gekostet. Deine Stärken liegen im Absprung und im Zug. Es braucht tatsächlich nur einen einzigen Augenblick, und dein ganzer Vorsprung ist zunichte, weil du wie ein Tintenfisch mit seinen Saugnäpfen an der Wand klebst", beendete er seine Kritik.

    Zornig starrte Leif auf die Wasseroberfläche.

    „Wenn ihr nicht heimwollt, brüllte Biehler die Gewinner an, die immer noch am Beckenrand standen, „dann schnappt euch die Stangen da drüben und helft euren Partnern, besser zu werden. Ich muss den Job ja nicht allein machen.

    Man konnte Christopher ansehen, dass er darüber nachdachte. In diesem Moment tauchte Leif jedoch unter und schwamm zum anderen Ende des Beckens. Das nahm Christopher die Entscheidung ab. Er verabschiedete sich und ging.

    Der Trainer hatte jedem Schwimmer eine eindeutige Aufgabe gegeben und genau erklärt, wie oft sie die Übungen wiederholen sollten. Leif übte jedoch nur halbherzig und wurde von Biehler immer wieder zurückgeschickt. „Nochmal von vorn!", brüllte er den Jungen dabei an.

    Das Becken wurde allmählich leerer, weil jeder, der seine Übungen zur Zufriedenheit des Trainers durchgezogen hatte, gehen durfte.

    „Ich bleibe", rief Leif trotzig, als der Trainer zu ihm herübersah.

    „Du hast noch zwanzig Minuten, gab er zurück. „Bis dahin bin ich umgezogen und dann will ich nach Hause.

    „Keine Angst. Ich brauche nur eine einzige Bahn."

    Biehler erkannte den Frust und die Resignation in Leifs Blick. Er nickte. „Übertreib nicht", lautete sein letzter Kommentar, ehe er sich abwandte.

    Leif wartete, bis alle gegangen waren. Dann stieg er aus dem Becken und stellte sich auf seinen Starterblock. Er starrte so lange auf das Wasser, bis sich die Oberfläche wieder beruhigt hatte und spiegelglatt vor ihm lag. Konzentriert ging er in die Sprungposition. In der Schwimmhalle war es totenstill. Dann hörte er, wie in der Lehrerumkleide die Dusche eingeschaltet wurde. Sein Trainer begann zu singen.

    Leif sprang.

    Ein perfekter Absprung, wie immer. Sein Körper schnitt förmlich durch das Wasser. Für einen kurzen Augenblick glaubte er, einen Schatten zu sehen, als ob jemand neben ihm eingetaucht war. Jemand, der zurückgekommen war, um sich mit ihm zu messen? Oder um ihm Gesellschaft zu leisten?

    Mit einem Mal entlud sich in Leif der Zorn seines ganzen Lebens. Er spürte, wie er wieder durch die Oberfläche brach, seine mächtigen Kraulzüge zerteilten das Wasser. Er schoss voran, und der Schatten, wer auch immer es sein mochte, blieb zurück. Vielleicht Christopher, um den Wettkampf noch einmal zu wiederholen.

    Er steigerte seine Anstrengungen. Das Ende der Bahn lag vor ihm. Er begann die Rollwende, drehte sich, berührte mit den Füßen die Beckenwand und stieß sich ab. Dunkelheit jagte über ihn hinweg und an ihm vorbei. Diesmal konnte er diesen Schatten merkwürdigerweise ganz genau erkennen. Die Intuition des Jungen, der bereits sein Leben lang professionell schwamm, versagte unter der aufkommenden Panik. Das Wasser drang ihm in die Lungen und vertrieb die Luft darin. Er geriet aus dem Takt, sein Zug verlor an Kraft. Er drehte sich zur Seite, sah, wie sich das Schwarz um ihn legte, dann spürte er, wie es ihn nach unten riss.

    Leif hielt inne. Genau das war der Fehler. Anstatt davon zu schwimmen, sackte er mit einem Mal zu Boden. Farben tanzten vor seinen Augen. Licht blitzte auf. Es war das kälteste Licht, das er je gesehen hatte.

    Nach etwa einer halben Stunde kehrte sein Trainer wieder zurück, und wollte Leif anschreien, weil der nicht aus dem Wasser gekommen war. Er mochte den Jungen, nur dieser idiotische Stolz würde ihn eines Tages noch das Leben kosten. Diesen Gedanken bereute Biehler beinahe im selben Moment. Denn noch während er den ersten Schritt in die Halle setzte, sah er ihn.

    Leif trieb leblos auf der Wasseroberfläche. In Rückenlage. Mit vor Schreck weit geöffneten Augen und verzerrtem Mund starrten seine kalten Augen an die Decke. Biehler erkannte sofort, dass der Junge nicht mehr lebte. Trotzdem sprang er voll bekleidet, ohne zu zögern ins Wasser, um den armen Schüler zu bergen.

    Eins

    Zuerst war Artemis wütend. Niemand hatte sie nach ihrer Meinung gefragt. Und jetzt standen ihre besten Freundinnen, Meli und Luisa, vor ihrem Bett und breiteten wild durcheinanderredend die gekauften Outfits auf ihrer Tagesdecke aus.

    Artemis hatte nur mitbekommen, dass die Idee von Luisa stammte. „Das Matching-Outfits-Commando", rief sie immer wieder stolz.

    „Auf der Bacchusparty werden die sich alle nach uns umdrehen", ergänzte Meli mit funkelnden Augen.

    Seit zwei Monaten war an der Langenfeldschule nichts anderes mehr Thema. Das Bacchusfest galt als das legendärste Event. Erst mit fünfzehn Jahren durften die Schülerinnen und Schüler zum ersten Mal teilnehmen und Eintrittskarten in der Aula kaufen. Trotz der astronomisch hohen Preise ging jeder hin, der eine Karte ergattern konnte. Die Erlöse kamen dem Abschlussjahrgang zugute, der sich damit einen pompösen Abiball finanzierte. Trotzdem herrschte bei allen Beteiligten an ihrer Schule geschlossene Partysolidarität. Und da bekannt war, dass es ausreichend zu trinken, gute Musik und natürlich Skandale geben würde, über die die gesamte Schülerschaft dann den Rest des Jahres ablästern konnte, freute sich jeder brennend darauf.

    Meli hatte vor, um jeden Preis aufzufallen. Ihr war alles recht, um der Shootingstar des Abends zu werden. „Es ist Tradition, sagte sie immer. „Einer verlässt die Party als Star, einer als Loser.

    Von daher wunderte es kaum, dass Meli sofort auf Luisas Idee, in drei identischen Outfits auf der Party aufzutauchen, angesprungen war. Nur hatten sie Artemis nicht gefragt. Deshalb steckte ihr der Zorn wie ein kantiger Stein in der Kehle. Stumm sah sie zu, wie Meli ihr die Kleidung präsentierte.

    „Und das ist deine Farbe, Artemis! Du wirst aussehen wie eine Queen. Das bringt deine Wangen zum Leuchten."

    Wenn man so aussah wie Meli und Luisa, konnte man sich vielleicht über die Farbe unterhalten, dachte Artemis. Die beiden hatten das unverschämte Glück, klein und niedlich auszusehen. Sie waren zwar nicht so schlank wie die Influencer in den Social-Media-Kanälen, aber Meli hatte einen sportlich trainierten Körper und das perfekte, herzförmige Gesicht, das es ihr erlaubte, in fast jeder Bluse hinreißend auszusehen. Luisa hatte etwas mehr Kurven. Artemis fand, dass sie das nicht weniger attraktiv machte. Im Gegenteil. Nur Artemis fiel aus der Reihe. Sie war nicht nur einen guten Kopf größer als die meisten in ihrem Jahrgang, sondern außerdem war die obere Hälfte ihres Körpers eher eckig geraten, die Schultern etwas zu breit und spitz. Ihren Hintern über den langen Beinen fand sie derzeit etwas zu groß und rund. Du und deine eingebildeten Problemzonen, würde ihre Mutter wohl dazu sagen. „In diesem Haus darf man aussehen, wie man will, sagte sie gern. „Ignoriere die Schönheitsideale der Medien. Glaubst du wirklich, so sehen die Menschen auf der Straße aus? Das ist doch alles bearbeitet und ein Filter drübergelegt.

    Wenn es nur so einfach wäre, dachte Artemis zerknirscht und wechselte ihren Blick von ihrem Spiegelbild zu den Kleidern auf ihrem Bett. Melis Komplimente erzielten jedenfalls nicht die erhoffte Wirkung. Wie denn auch?

    Da Artemis nur ihre langen, schwarzen Haare hinter die Ohren streifte, um deutlich sichtbar kritisch eine Braue zu heben, verzog Meli die Lippen, als hätte sie in etwas Saures gebissen.

    „Sweet Queen Fifteen", sang Luisa, die offenbar gar nicht bemerkte, was zwischen ihren Freundinnen unausgesprochen vorging.

    Der Anblick von Melis saurer Miene erzielte bei Artemis wie immer das gewünschte Ergebnis. Sie riss sich zusammen und ermahnte sich, fair zu bleiben. Immerhin war sie die letzten zwei Tage kaum erreichbar gewesen. Ihre Mutter lebte während der Konzertproben regelrecht in dem alten Opernhaus. Artemis hatte ihr versprochen, ihr in der Woche so oft wie möglich Gesellschaft zu leisten. Immerhin war sie selbst ebenfalls nicht gern allein. Nur war der Empfang dort in den Katakomben miserabel. Trotzdem meldete sich eine widerspenstige Stimme in ihr: Eine kurze Nachricht wäre immer gegangen.

    Artemis’ Schweigen löste bei Meli einen genervten Gesichtsausdruck aus, weswegen sich Artemis regelrecht auf die Zunge beißen musste, um nichts Falsches zu sagen.

    Endlich brach Meli das Schweigen und schlug den Ton an, den Artemis’ Mutter seit einiger Zeit als verletzte Diva bezeichnete. „Andrea Sanovic, sagte Meli so streng, dass sogar Luisa zusammenzuckte. „Kevin Jakobs. Zacharias Loess, zählte sie weiter auf und machte eine dramatische Pause. „Rosa Hicks", beendete sie mit dunkler, drohender Stimme ihre Liste.

    Luisa schüttelte sich. „Müssen wir jetzt ausgerechnet über die reden?", fragte sie.

    „Was haben die vier gemeinsam, Artemis?, hakte Meli nach, wartete aber keine Antwort ab. „Das Bacchusfest ist berühmt für seine Skandale. Rosa Hicks zum Beispiel, sie war genau wie wir fünfzehn Jahre alt, als sie zum ersten Mal auf der Festwiese im Wald gewesen ist. Ihr Leben ist seitdem ruiniert.

    „Eine einzige Sekunde auf dieser Party kann genügen, um zu entscheiden, wie es für den Rest der Schulzeit mit dir weitergeht, stimmte Luisa ernst zu. „Auf dieser Feier werden Geschichten geschrieben.

    „Ihr seid die größten Übertreiber der Schule", warf Artemis halbherzig ein, weil sie wusste, dass die beiden recht hatten. Sie kannte die Geschichte von Rosa Hicks nur zu gut.

    Das Bacchusfest war nicht offiziell von der Schule genehmigt, sondern von den Schülerinnen und Schülern der Abschlussjahrgänge organisiert. Seitdem die Feier existierte, wurde nur im Flüsterton darüber gesprochen. Eigentlich gehörte genau das zum Spiel. Denn was war so heimlich an einem Fest, über das jeder Bescheid wusste, nicht nur die Eltern, sondern auch die Schulleitung. Lehrern und Eltern war der Zutritt zum Wald nicht erlaubt. Die ganze Stadt drückte beide Augen zu, natürlich nur, solange sich die Teenager an gewisse, unausgesprochene Regeln hielten. Fünfzehn- bis Siebzehnjährige erhielten zusätzlich zu ihren Tickets grüne Leuchtarmbänder. So konnte viel einfacher erkannt werden, wem kein Alkohol verkauft werden durfte.

    Trotzdem war das Bacchusfest keine gewöhnliche Schülerparty. Nicht so, wie eine Geburtstagsfeier, ein Jahrgangstreffen oder die alljährliche Faschingsfete. Niemand wusste genau, wann und mit wem die Legende vom Fest, das Schicksale bestimmt, begonnen hatte. Inzwischen waren so viele spektakuläre Geschichten im Umlauf, dass man geradezu mit der Erwartungshaltung dort erschien, dass etwas passieren musste.

    Als Artemis mit Beginn der fünften Klasse an der Langenfeldschule eingeschult worden war, hatte die Geschichte von Zacharias Loess gerade die große Runde gemacht. Der Junge wäre überhaupt nicht der Typ für einen Skandal gewesen, hatte es geheißen. Als Meli ihr Zacharias auf dem Schulhof gezeigt hatte, war er Artemis wie ein völlig durchschnittlicher Schüler vorgekommen. Absolut keine äußerliche Besonderheit. Schwarze, kurze Haare, graue Kleider, etwas schlaksig. Ein Junge, der einfach viel zu leicht zu übersehen gewesen war. Wäre er in ihrer Klasse, hatte Artemis damals gedacht, dann hätte sie ihn in den Ferien bereits vergessen gehabt.

    „Aber das Bacchusfest hat sein Schicksal für immer verändert", klangen ihr Melis Worte von damals in den Ohren. Sie hatte schon zu der Zeit so viel Ehrfurcht vor diesen furchtbaren Partygeschichten gehabt, dass es Artemis gar nicht wunderte, wie lächerlich überdramatisch Meli heute noch damit umging.

    Zacharias jedenfalls hatte laut Schulhoflegende versucht, bei einer Mitschülerin zu landen, eine, deren Namen in Vergessenheit geraten war. Alles, was man noch wusste, war, dass sie ihn lautstark hatte abblitzen lassen und dass er ihr etwas zu verzweifelt hinterhergerannt war. Er war ausgerutscht und gestolpert, wodurch ihm ein kleines Buch aus der Hosentasche gefallen war. Mit einem panischen Schrei hatte sich Zacharias auf das kleine Notizbuch gestürzt. „Vielleicht hatte er es dabei, weil er es seinem Schwarm überreichen wollte, hatte Meli vermutet. Ein Oberstufenschüler war jedoch schneller gewesen. Er hatte es aufgehoben, kurz reingesehen und weitergereicht. „Ein letzter kleiner Schritt vom peinlichen Augenblick hin zu einer Teenagertragödie, hatte Meli die Geschichte kommentiert. Artemis vermutete, dass Meli von klein auf zu viele schlechte, amerikanische Teenagerserien gesehen hatte. Das Buch war voller Liebesgedichte gewesen und durch die Hände des Publikums bis hin zur großen Bühne gewandert, wo es ein Bandmitglied aufgeschlagen und die Verse laut vorgetragen hatte.

    Auf dem Einband des Buches hatte der Name des Jungen gestanden, der zur Bühne gestürzt war und unentwegt versucht hatte, es dem Sänger aus der Hand zu reißen. Vergeblich.

    Das Bacchusfest hatte sein Opfer gefunden.

    Und Rosa Hicks? An diese Erzählung erinnerte sich Artemis auch noch sehr genau. Diese Geschichte hatte ihr sogar eine Freundin ihrer Mutter erzählt, nachdem sie erfahren hatte, auf welche Schule Artemis gekommen war. „Die Langenfeldschule? Ist das nicht die Schule mit dem Rosa-Hicks-Fest?"

    Die Rosa-Hicks-Geschichte war für Artemis sogar eine Spur heftiger als die von Zacharias Loess.

    Was hätte schlimmer sein können, als dass die intimsten Gefühle ins Spotlight gerückt wurden? Würde sie Rosa Hicks fragen, würde sie vermutlich nur zwei Worte nennen: Jesus und Tequila.

    Rosa Hicks hatte in der Mädchentoilette ein rotes Armband gefunden. Sie war noch zu jung gewesen, um auf legalem Weg an ein Alkoholbändchen zu kommen. Ganz bestimmt war ihr das Band wie eine Eintrittskarte für die Welt der Beliebten ihrer Jahrgangsstufe erschienen. Natürlich hatte sie all ihren Freundinnen und eigentlich sogar jedem, der es wollte, Alkohol versprochen. Dadurch war sie sich bestimmt sicher gewesen, dass sie nicht Zacharias’ Nachfolgerin werden würde, sondern, wie Meli es hoffte, ein Shootingstar. Vermutlich wäre alles gut ausgegangen, wenn sie nicht mehr Tequila getrunken hätte, als gut für sie gewesen war.

    Auch wenn sie sich einfach nur übergeben hätte, wäre das nicht zwingend legendenwürdig gewesen. Doch als ihr Vater, der streng religiöse Pastor der Gemeinde, pünktlich um zweiundzwanzig Uhr gekommen war, um sie abzuholen, hatte Rosa Hicks ihren ganzen mit zu viel Tequila gefüllten Mageninhalt auf seinen Anzug erbrochen. Der Wutausbruch von Pastor Hicks war das Letzte, was es gebraucht hatte, um aus Rosa eine Aussätzige zu machen, sogar jetzt noch, obwohl sie mittlerweile in die Oberstufe ging.

    Artemis verstand das ganze Theater darum nicht. Warum konnte das niemand vergessen? Artemis fragte sich das nicht ernsthaft. Sie las die Antwort in Melis Gesicht ab: weil keiner es vergessen wollte.

    Die Schülerinnen und Schüler gierten geradezu danach, fünfzehn zu werden. So wie sie sich alle danach sehnten, ganz besonders Meli, dass wieder etwas geschah, was man als schicksalhaft ansehen konnte. Meli stellte sich diese Party wahrscheinlich wie eine Art Feuertaufe zum Erwachsenwerden vor. Außerdem betonte sie immer, dass sich dort entscheiden würde, welche Rolle sie alle in den restlichen Jahren ihrer Schulzeit einnehmen würden.

    Für Artemis war das Unsinn. Sie würde am liebsten einfach nur hingehen, um Spaß zu haben. Kein Druck, keine Erwartungen. Wenn Meli als Shootingstar daraus hervorgehen wollte, umso besser. Sie gönnte es ihr von Herzen.

    „Was haben diese vier Ereignisse gemeinsam?, wiederholte Meli, offensichtlich noch immer, ohne eine Antwort zu erwarten. „Es sind die Geschichten von Einzelgängern. Ehrlich gesagt hätte ich damit gerechnet, dass gerade du Luisas Idee mega findest.

    „Und wieso das?"

    „Das ist ja das Geniale daran. Luisa kicherte. „Wir fallen als Trio auf, stehen gemeinsam im Rampenlicht, ohne dass es einen von uns direkt treffen kann.

    „Wie diese Sache mit den Herdentieren, ergänzte Meli. „Erzähl ihr davon, du bist schließlich darauf gekommen.

    Luisa errötete. „Wenn ein Beutetier in der Wildnis lebt, ist es am sichersten innerhalb der Herde. Wenn es sich mittendrin versteckt, in der Gruppe sozusagen, dann kann es nicht so leicht gefressen werden."

    Unsicher sah Artemis von einer zur anderen. Dieser Gedankengang war ausgesprochen dumm und naiv, fand Artemis. Wenn eine Party aus einem Einzelgänger einen Verlierer zaubern konnte, war es auch denkbar, dass man sich die nächsten Jahre über die drei lustig machte. Tatsache war außerdem, dass die große Gemeinsamkeit der Geschichten nicht darin bestand, dass Einzelgänger zu Verlierern wurden, sondern dass jeder von ihnen krampfhaft versucht hatte, cool zu sein. Doch wie hätte sie das Meli sagen können? Oder Luisa, die gefühlt zum ersten Mal in ihrem Leben eine Idee geäußert hatte, von der Meli haltlos überzeugt zu sein schien.

    Andererseits … Wenn es nichts brachte, etwas zu sagen, wenn ihr Zorn zu nichts anderem als zu Konflikten führte, konnte sie es auch gleich sein lassen und das unabwendbare Ende dieser Diskussion vorwegnehmen.

    Der Klügere gibt nach, sagte ihre Mutter gern.

    „Sieh es dir wenigstens an", bettelte Meli und schob dabei ihre Unterlippe vor.

    Noch ehe sich Artemis versah, lief Meli um das Bett herum auf sie zu und hielt Artemis eine der goldfarbenen Blusen vor die Brust. „Es ist absolut deine Farbe, versicherte sie. „Wirklich. Ich schwör dir, du wirst umwerfend aussehen.

    „Als du vorhin gefragt hast, was die Geschichten gemeinsam haben, sagte Artemis ruhig. „Weißt du, was ich geantwortet hätte? Sie wartete keine Antwort ab. „Jedes Mal hat jemand auf Teufel komm raus etwas versucht. Warum können wir nicht einfach nur Spaß haben? Einfach nur wir drei? Die coolsten und geilsten Mädchen unserer Stufe." Artemis grinste schief.

    Meli fiel ihr lachend um den Hals. „Wir sind wirklich die Geilsten", stimmte sie ihr zu. Dann schob sie Artemis einen Schritt zurück. „Nein, nicht wir: Du bist die Geilste. Sie blinzelte mit ihren langen Wimpern, Melis Version eines Welpenblicks. „Wirst du sie wenigstens anprobieren? Einmal anziehen?

    Luisa klatschte in die Hände und sah sie bettelnd an. „Wenn sie dir nicht gefällt oder dir nicht passt, können wir sie noch umtauschen, nicht wahr, Meli?"

    Artemis seufzte und beugte sich dem Druck. Sie zog sich die Bluse über. „Sag mal, wie geht dein Plan eigentlich weiter? Ich meine, wenn wir eine Herde sind, fällst du ja genau so sehr auf wie Luisa und ich."

    „Exakt, sagte Meli. „Das ist das Geniale daran. Wir fallen auf, im positiven Sinn. Was soll da schon schief gehen?

    „Wir könnten schrecklich aussehen", murmelte Artemis und drehte sich in Richtung des Spiegels. Frustriert hielt sie inne. Sie sah alles andere als schlecht aus. Meli hatte einen verdammt guten Geschmack. Die Bluse saß wie angegossen. Nie im Leben hätte Artemis etwas Goldfarbenes gekauft. Dennoch: Sowohl die Farbe als auch dieser Stoff standen ihr. Sie sah zu ihren Freundinnen. Meli und Luisa hatten sich ihre Blusen ebenfalls angezogen. Sie nahmen Artemis vor dem Spiegel in ihre Mitte. Luisa legte den Kopf auf ihre Schulter.

    „Ich finde es nicht okay, dass ihr mich zwingt, diese tolle Bluse zu tragen", knurrte Artemis. Sie spürte selbst, dass der innere Widerstand sich bereits aufzulösen begann.

    „Ich weiß", flötete Meli unschuldig.

    „Selfie-Time!", rief Luisa und stürzte vom Spiegel zu ihrer Handtasche, um ihr Smartphone zu suchen.

    „Für die wichtigste Party des Jahres", sagte Artemis, um Meli weiter zu besänftigen. Sie wusste, wie viel diese Feier ihrer Freundin bedeutete, und auch wenn sie all das nicht ganz so wichtig nahm wie sie, wollte sie der langen Freundschaft zuliebe wenigsten so tun als ob.

    „Skandalös. Meli reckte sich, sodass sie direkt in Artemis’ Ohr sprechen konnte und Luisa sie nicht hörte. „Lächle. Für Luisa. Es ist die erste geniale Idee ihres Lebens, flüsterte sie.

    Artemis grinste gequält. Im Spiegel sah sie diese gefühllose Fratze, die sie immer machte, wenn sie Meli echt ätzend fand. Ein Wunder, dass keine ihrer Freundinnen es bemerkte. Meli genoss es einfach, sich überlegen zu fühlen und Luisa sah jetzt auch mehr Meli ins Gesicht als Artemis.

    „Dir gefällt es?", fragte Luisa sie, ohne den Blick von Meli zu nehmen.

    „Wir sehen mega aus", sagte Artemis. Auch wenn es tief in ihr immer noch spürbar brodelte, waren diese Worte alles, aber keine Lüge.

    Zwei

    „Wie aufgeregt kann man sein?", wimmerte Luisa auf der Rückbank. Sie tastete in der Dunkelheit nach Artemis’ Hand und drückte sie. Lustigerweise hatte Meli kurz zuvor ihre andere Hand ergriffen. Sie saßen also nicht nur eng aneinander gezwängt im hinteren Teil des Volvos, sie hielten auch noch Händchen, was sich für Artemis nach vielem anfühlte, aber nicht nach cool und erwachsen.

    Im Radio sang The Weeknd von blendenden Lichtern, was Artemis wieder nach der Lichtshow Ausschau halten ließ. Die Sonne war inzwischen untergegangen. Der Himmel weigerte sich noch, das letzte Sonnenlicht loszulassen. Wie ein sich langsam ausbleichendes, milchig blaues Tuch hing der Himmel über der Stadt, die sie in ein paar Minuten aus den Augen verlieren würden. Noch führte die Straße am Waldrand den Berg hinauf. Aber vor ihnen erschien bereits der scharfe Linksknick, hinter dem das Auto von den Bäumen verschluckt werden würden. Als sich der Volvo noch unten auf dem kurzen Abschnitt der Bundesstraße befunden hatte, waren die ersten Himmelsstrahler eingeschaltet worden und hatten sich schwach aber verheißungsvoll hinauf in den Himmel bewegt. Zwei große Skybeamer, die wie Leuchtfeuer den Weg weisen wollten. Natürlich dachte Artemis sofort an das berühmte Batman-Signal.

    Schade, dass wir so früh losgefahren sind, dachte sie. In größerer Dunkelheit war der Effekt bestimmt beeindruckender und gänsehauterregend.

    „Danke, dass Sie uns hinbringen, sagte Meli zu Artemis’ Mutter und riss Artemis aus ihren Gedanken. „Das ist wirklich superlieb von Ihnen.

    „Das ist kein Problem, Meli, versicherte sie. „Und ihr wollt wirklich nicht, dass ich euch wieder abhole?

    „Mama!", rief Artemis vorwurfsvoll.

    „Schon gut. Ihr sollt nur wissen, dass ihr mich jederzeit aus dem Bett klingeln könnt, wenn ihr doch noch ein kostenloses Taxi braucht." Verschwörerisch warf sie einen Blick in den Rückspiegel. „Außerdem würde ich euch garantiert keine Vorwürfe machen. Nicht wie andere Eltern. Ich bin nämlich eine coole Mutter."

    „Man wird keine coole Mutter, indem man sagt, dass man es ist", sagte Artemis und spürte, wie sie knallrot anlief. Obwohl Meli, Luisa und sie bereits seit der Grundschule beste Freundinnen waren und die beiden bei ihnen zu Hause ein und aus gingen, war ihre Mutter ihr hin und wieder doch peinlich.

    „Da hast du natürlich recht, antwortete ihre Mutter und grinste. „Es wäre aber sicherlich total cool, wenn ich keine Fragen stellen würde, ganz egal, in welchem Zustand ihr heute Nacht bei mir einsteigt?

    „Keine Fragen sind immer gut. Luisa kicherte. „Sie waren bestimmt auch eine krasse Teenagerin. Ich kann Sie mir richtig gut vorstellen.

    „Gab es das Bacchusfest damals schon?", wollte Meli wissen.

    Ihre Mutter lachte. „Ich war bestimmt nicht halb so wild wie ihr, versicherte sie. „Aber ja, das Fest gibt es schon ewig. Zu meiner Zeit war das Bacchusfest eins der angesagtesten Events des Jahres. Es wird bestimmt immer noch von den beiden Oberstufenjahrgängen organisiert, oder nicht? Ich erinnere mich noch, dass wir damals mit der Organisation an der Reihe waren. Ich bin für die Blumendekoration verantwortlich gewesen.

    „Und die Geschichten?", hakte Luisa aufgeregt nach. Ihr Zappeln machte Artemis nervös. Am liebsten hätte sie ihr die Hand auf das Bein gelegt, damit sie damit aufhörte. Sie wagte es jedoch nicht, ihre Hand loszulassen. Daher drückte sie warnend einmal etwas fester zu, woraufhin Luisa unruhig mit dem Hintern hin und her rutschte.

    Artemis’ Mutter warf ihnen durch den Rückspiegel einen fragenden Blick zu, und Artemis verdrehte die Augen, als ob sie dem Ganzen nicht den geringsten Glauben schenkte. „Jedes Jahr passiert irgendetwas Spektakuläres, erklärte Artemis ihr. „Etwas, worüber das restliche Jahr geredet und getratscht wird.

    „Sterne werden geboren", sagte Luisa und beugte sich vor, um einen Blick auf Meli zu erhaschen.

    „Meistens schrecklich peinliche Dinge, die einem noch lange nachhängen", ergänzte Artemis. Zwischen Luisas Aufregung und Melis vor Stolz angespannter Haltung hatte sie das Bedürfnis, auf gar keinen Fall den Sinn für die Realität zu verlieren.

    „Nein, so übertrieben haben wir es nicht gesehen, gestand ihre Mutter. „Ich erinnere mich noch daran, wie wir damals einen Schönheitswettbewerb auf der Bühne veranstaltet haben. Spielen eigentlich noch echte Musiker auf der Feier?

    „Ein Schönheitswettbewerb?" Luisa drückte sich jetzt die Nase an der Fensterscheibe platt. Sie seufzte schwärmerisch.

    „Ein DJ legt Musik auf, sagte Meli. „Echte Bands gibt es dort seit den 90ern nicht mehr.

    Ohne hinzusehen wusste Artemis, dass es jetzt an ihrer Mutter war, die Augen zu verdrehen. Denn wenn man sie fragte, gab es keinen größeren Sittenverfall als den Untergang echter Musik, wie sie es nannte.

    Artemis musste sich in diesem Moment eingestehen, dass Luisas Aufregung sie angesteckt hatte. In ihrem Brustkorb kribbelte es, als ob jemand darin Strom eingeschaltet hatte. Es war nicht einfach nur das erste Bacchusfest, an dem sie teilnahm, sondern die erste große Party überhaupt. Eine, die bis lange nach Mitternacht ging, ohne die Anwesenheit von Erwachsenen. Die Nächte, die mit solchen Partys begannen, endeten meistens mit einer großen Liebesgeschichte oder zumindest einem kleinen Abenteuer. Artemis glaubte, ein Kribbeln in der Luft zu spüren, das ihr verriet, dass heute Nacht wirklich alles möglich sein konnte. Irgendwoher mussten diese Serien es schließlich haben. Vielleicht steckte ja doch ein Funken Wahrheit in ihnen. Auf einmal wünschte sie es sich.

    Gedankenverloren hatte sie inzwischen die Hände ihrer Freundinnen losgelassen und die goldene Bluse glattgestrichen und zurechtgezupft. Erst als sie Melis amüsierten und selbstzufriedenen Blick auffing, begriff sie, was sie da überhaupt tat.

    „Da ist es! Luisa japste nach Luft und trommelte aufgeregt mit den Zeigefingern auf der Armablage, ehe sie wieder Artemis’ Hand packte und ganz fest zudrückte. „Da oben das Licht, das muss es sein.

    „Hast du dein Handy dabei?", fragte Artemis´ Mutter rasch.

    „Klar, antwortete Meli anstelle von Artemis gedehnt. „Sie muss doch die Fotostory machen.

    Das war der eigentliche Plan. Die „Matching Outfits" sollten wie eine Rüstung gegen Peinlichkeiten funktionieren und ein erster Hingucker sein. Dass Artemis gleichzeitig live von der Party auf ihrem Social Media Account berichten wollte, würde für den nötigen Fokus sorgen.

    „Das ist es nämlich, was uns von den Generationen vor uns unterscheidet, hatte Meli erklärt. „Wir können die Macht des Internets für uns nutzen.

    Schon vor ein paar Tagen hatte Artemis alle nötigen Einstellungen ausprobiert: Sie kannte sich bestens mit den Filtern aus und hatte die Standardeinstellung so angepasst, dass sie jemanden auf einer nächtlichen Waldparty wie einen Star bei den Oscars aussehen lassen konnte. Dass sie seit jeher ein gutes Auge für Situationen besaß, bewiesen ihre inzwischen knapp vierhundert Follower, die selbst jedes noch so belanglose Foto begeisterte.

    „Fotografierst du uns, wie wir aussteigen?", drängte Meli.

    „Na klar."

    Als ihre Mutter in dem kleinen Wendekreis am Ende der Waldstrecke parkte, kletterte Artemis über Luisa aus dem Wagen und dokumentierte, wie erst Luisa, dann Meli möglichst elegant aus dem Wagen stiegen. Anschließend wechselte sie mit Luisa, damit es auch Bilder von ihr gab.

    „Du rufst mich an, wenn du etwas brauchst, erinnerte ihre Mutter sie zum Abschied. „Es ist mir egal, wie spät es ist. Ich bin immer für euch da, ja? Artemis drückte ihre Mutter

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