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Psychoonkologie - Schwerpunkt Brustkrebs: Ein Handbuch für die ärztliche und psychotherapeutische Praxis
Psychoonkologie - Schwerpunkt Brustkrebs: Ein Handbuch für die ärztliche und psychotherapeutische Praxis
Psychoonkologie - Schwerpunkt Brustkrebs: Ein Handbuch für die ärztliche und psychotherapeutische Praxis
eBook732 Seiten7 Stunden

Psychoonkologie - Schwerpunkt Brustkrebs: Ein Handbuch für die ärztliche und psychotherapeutische Praxis

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Über dieses E-Book

Praxisnah vermittelt dieses Werk aktuelles psychoonkologisches Basiswissen für die gesamte Brustkrebs-Behandlungskette. Erstmals werden Erkenntnisse aus Neurobiologie, Stress- und Psychotraumaforschung und ressourcenorientierte psychotherapeutische Verfahren umfassend auf psychoonkologische Fragestellungen bezogen. Auch ein spezifisches psychoonkologisches Screening-Instrument wird zum ersten Mal detailliert dargestellt.
Ein interdisziplinäres Team von Autorinnen und Autoren gibt einen fundierten Überblick - einschließlich der medizinischen Grundlagen - und viele Anregungen für die ärztliche und psychotherapeutische Praxis. Andere Berufsgruppen, Patientinnen und Angehörige können hiervon ebenfalls profitieren. Praxisrelevanz, Anschaulichkeit, Vielfalt und Kreativität zeichnen dieses Handbuch aus.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. März 2006
ISBN9783170273009
Psychoonkologie - Schwerpunkt Brustkrebs: Ein Handbuch für die ärztliche und psychotherapeutische Praxis

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    Buchvorschau

    Psychoonkologie - Schwerpunkt Brustkrebs - Susanne Ditz

    Geleitwort

    Jede schwere Erkrankung – und das ist der Brustkrebs – betrifft den Körper, die Psyche, die Beziehungen zu den Mitmenschen und zur Welt, lässt nach dem Sinn des Lebens fragen, nach der Zukunft. Es stellt sich aber nicht nur die Frage nach der jeweiligen Krankheit, sondern auch danach, wie Betroffene, Ärzte und Ärztinnen, Psychologen und Psychologinnen, die Beziehungspersonen ganz allgemein mit dieser Krankheit umgehen können, damit so viel Lebensqualität wie möglich erhalten bleibt. Eine Frau mit Brustkrebs ist in ihrer ganzen Person, auch in ihrer Identität als Frau, und in ihrer ganzen Lebenssituation von dieser Krankheit betroffen: deshalb ist es so wichtig, die Behandlung und die Begleitung erkrankter Frauen aus möglichst vielen Perspektiven zu ermöglichen.

    Ein Buch zum Thema der Psychoonkologie muss sich mit den neusten Ergebnissen sowohl an die ÄrztInnen als auch an die PsychologInnen wenden, dabei jeden Berufsstand auch sensibilisieren für die Belange des anderen Berufsstands. Es geht um Psychoonkologie, also um die Frage, wie sich eine lebensbedrohliche Krankheit auf die Psyche auswirkt: Ein Verlust betrifft uns immer psychisch – und der Verlust der Gesundheit, oder auch der körperlichen Unversehrtheit – ist ein schwerwiegender Verlust. Dieser muss verarbeitet werden und dadurch kann die Erkrankte in der Regel besser mit der Erkrankung umgehen. Im Rahmen der Psychotherapie ist man zunehmend sensibel und kompetent geworden im Umgang mit körperlichen Erkrankungen, besonders auch im Umgang mit Ressourcen. Diese Kompetenz muss aber sichtbar und abrufbar werden. Das gelingt am besten mit einem Buch, in dem ExpertInnen auf ihrem Gebiet in verhältnismässig kurzen Beiträgen das Wesentliche zu einem Thema darstellen.

    Besonders freut es mich, dass ressourcenorientierte Verfahren in diesem Buch einen wichtigen Platz einnehmen: Ohne Aktivierung der Ressourcen eines Menschen verändern sich Lebenssituationen nicht oder nur ungenügend. Wie krank Menschen auch sein mögen, sie sind immer auch vital, bringen Kompetenzen mit aus ihrer Zeit vor der Erkrankung, haben Wünsche und Pläne. Menschen sind nie nur krank, sie haben immer auch gesunde Strebungen, die zu unterstützen von großer Bedeutung ist.

    Ich wünsche diesem Buch, das interdisziplinär das Thema des Brustkrebs aus der ganzen Lebenswelt eines Menschen heraus versteht und viele praktische Hinweise zur Therapie gibt, eine große Leserschaft.

    Vorwort

    Jährlich erkranken in Deutschland ungefähr 350.000 Menschen neu an Krebs, davon etwa 50.000 Frauen an Brustkrebs. Das bedeutet, dass viele Ärztinnen, Psychotherapeutinnen und andere Berufsgruppen innerhalb und außerhalb onkologischer Behandlungssettings direkt oder indirekt mit der Diagnose und deren Folgen konfrontiert sind. Aktuelle Studien zeigen, dass über 40 % der an Krebs erkrankten Menschen erhebliche psychische Beeinträchtigungen aufweisen und dass psychische Variablen einen bedeutenden Einfluss auf den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität haben. Dem wird in der derzeitigen medizinischen Krebsbehandlung nicht genügend Rechnung getragen. Die Verbesserung der psychosozialen Unterstützung von Brustkrebspatientinnen wird in politischen Erklärungen und in neuen Programmen wie den Disease Management Programmen (DMP) stets als eine wichtige Aufgabe betont, trotzdem ist die psychoonkologische Versorgung in diesen Programmen nicht ausreichend verankert. Die geforderten strukturierten psychosozialen Unterstützungs- und Behandlungsprogramme gibt es bisher kaum. Dies ist auch eine Folge der fehlenden finanziellen Absicherung. Darüber hinaus müssen die Inhalte derartiger Programme, insbesondere was die psychologische Begleitung und Behandlung angeht, neu definiert werden. Das vorliegende Buch gibt dazu viele innovative Anregungen und stellt einige neue Ansätze und Vorgehensweisen erstmals vor. Aktuelle Erkenntnisse, etwa aus Neurobiologie, Stress- und Traumaforschung, werden auf psychoonkologische Fragestellungen bezogen. Gleichzeitig werden psychoonkologische und psychotherapeutische Ansätze dargestellt, die sich in der Praxis bewährt haben. Auch ein neu entwickeltes psychoonkologisches Screening-Instrument, der BC-PASS (Breast Cancer-Psychosocial Assessment Screening Scale), wird erstmals umfassend beschrieben. Die wesentlichen Kennzeichen des Buches sind seine Vielfalt, Praxisrelevanz, Anschaulichkeit, Lebendigkeit und Kreativität.

    Das Buch wendet sich an alle Berufsgruppen, die von Krebs betroffene Menschen behandeln, beraten oder begleiten und kann auch für Patientinnen und Angehörige eine Orientierungshilfe und ein Leitfaden sein. Es ist besonders auf die Bedürfnisse von Psychologinnen und Psychologen und von Ärztinnen und Ärzten ausgerichtet, die mit onkologischen Patienten und speziell mit Brustkrebspatientinnen arbeiten oder arbeiten wollen, sowohl innerhalb als auch außerhalb von Disease Management Programmen. Es vermittelt das nötige aktuelle psychoonkologische Basiswissen und gibt vielfältige Anregungen zu einem integrativen, ressourcenorientierten Vorgehen. Darüber hinaus gibt es einen fundierten Überblick über die grundlegenden medizinischen Behandlungsmöglichkeiten. Der medizinische Behandlungsverlauf, orientiert an aktuellen Richtlinien, wird eingehend dargestellt und kritisch diskutiert. Dieser doppelte Fokus soll auch das gegenseitige Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen der beteiligten Berufsgruppen fördern und zu interdisziplinärer Kooperation ermutigen.

    Die akute Bedrohung durch die Krebsdiagnose und die meist unmittelbar einsetzenden und einschneidenden Behandlungsmaßnahmen erfordern spezifische Interventionen. Diese müssen stabilisierend, problemzentriert, lösungsorientiert und Ressourcen aktivierend sein. Das Buch bietet die Möglichkeit, eigene therapeutische Kompetenzen zu erweitern und den ganzheitlichen Blick in der Arbeit mit Krebspatientinnen zu schärfen. Grundlage ist dabei eine salutogenetische Haltung. Das Handbuch ist sowohl für neu in diesem Arbeitsbereich Tätige, als auch für erfahrene Praktikerinnen und Praktiker hilfreich. Es bietet einen umfassenden Überblick und vermittelt gleichzeitig neue Anregungen und konkrete Handlungsstrategien. Darüber hinaus zeigt es Kriterien für eine Qualitätskontrolle auf.

    Wir haben uns explizit entschieden, vor allem Frauen als Autorinnen für dieses Kerngebiet der Frauengesundheit zu gewinnen. Die Vielfalt der Themen und Sichtweisen wird durch ein interdisziplinäres Team gewährleistet. Die Autorinnen und Autoren sind in ihrer Disziplin jeweils ausgewiesene Expertinnen und Experten und engagierte Repräsentanten ihrer Fachverbände und Arbeitsgebiete. Sie werfen aber auch einen kritischen Blick auf ihr Fach. Die Mehrzahl sind Dozentinnen des durch das ID Instituts für Innovative Gesundheitskonzepte in Kassel regelmäßig durchgeführten Curriculums Psychoonkologie. Dieses Curriculum wird von der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe (DGPFG) ausdrücklich empfohlen.

    Die Autorinnen und Autoren dieses Buches gehen mit den Geschlechtszuschreibungen unterschiedlich um. Dort, wo nicht explizit ein Geschlecht gemeint ist, werden die Formen abwechselnd bzw. frei gehandhabt und beziehen sich auf beide Geschlechter. Wir danken allen Beteiligten für ihr Engagement und besonders für die vertrauensvolle und atmosphärisch ausgesprochen angenehme Zusammenarbeit. Wir wünschen und hoffen, dass die Informationen und vielfältigen Anregungen aufgegriffen werden, um die psychoonkologische Behandlung im Sinne einer ganzheitlichen biopsychosozialen Medizin zu verbessern.

    Teil I

    Basiswissen

    1 Aktuelle Entwicklungen in der psychoonkologischen Versorgung. DMP Brustkrebs, Risiken und Chancen

    Margarete Isermann

    1 Hintergrund und Ziele der Disease-Management-Programme

    Jedes Jahr erkranken bundesweit fast 50.000 Frauen neu an Brustkrebs und mehr als 18.000 Frauen sterben jedes Jahr an den Folgen der Erkrankung. Die medizinische Versorgung von Brustkrebspatientinnen in Deutschland war bisher durch eine Vielzahl von Versorgungsangeboten und Leistungsanbietern gekennzeichnet, die weitgehend unvernetzt agierten. Dies führte zu Informationsdefiziten an wichtigen Schnittstellen und zur Verunsicherung und Orientierungslosigkeit der betroffenen Frauen. Weiterhin bestand und besteht ein erheblicher Qualitätsunterschied in der medizinischen Behandlung zwischen den einzelnen Kliniken und Zentren aber auch den ambulanten Leistungsanbietern.

    Einen Ansatz, um hier Abhilfe zu schaffen, bieten Disease-Management-Programme (DMP). Die DMP sollen die medizinische Versorgung von chronisch kranken Menschen verbessern. Es gibt bisher Programme für Diabetes mellitus, Brustkrebs und die koronare Herzerkrankung, weitere Programme werden vorbereitet. Grundlage der DMP ist die Risikostrukturausgleichsverordnung (RSAV) in der 4. Fassung. Grundsätzlich geht es beim RSA nicht primär um eine Verbesserung der Versorgung sondern um einen finanziellen Ausgleich zwischen Krankenkassen mit einem hohen Anteil sog. „schlechter Risiken (u. a. chronisch Kranke) gegenüber denjenigen mit einem hohen Anteil sog. „guter Risiken (junge, gesunde Versicherte). Obwohl Brustkrebs in dem Sinne keine chronische Krankheit ist, wurden 2002 die rechtlichen Voraussetzungen für DMP Brustkrebs durch die 4. RSAV geschaffen. Die Krankenkassen erhalten für jede in ein DMP eingeschriebene Patientin Geld aus dem Risikostrukturausgleich. Das heißt, in die Disease-Management-Programme fließt, ganz im Gegensatz zu den sonstigen Bereichen des Gesundheitswesens, derzeit zusätzliches Geld. Entsprechend erhalten auch die Leistungsanbieter zusätzliche Vergütungen aus dem DMP.

    Im DMP Brustkrebs soll die Behandlungsqualität u. a. durch die Orientierung an evidenzbasierten Leitlinien, durch umfangreiche Forderungen an die Strukturqualität der an den Programmen teilnehmenden ambulanten und stationären Einrichtungen sowie durch die zwingende Vorgabe interdisziplinärer Kooperation verbessert werden. Für das Brustkrebs-DMP werden beispielsweise quantitative Anforderungen bezüglich der Mindestzahl von Operationen gestellt: Mindestens 150 Brustkrebsoperationen jährlich und mindestens 50 pro Operateur (Anlage 3 zu §§ 28b bis 28g der vierten Verordnung zur Änderung der Risikostrukturausgleichsverordnung). Es werden auch genaue Vorgaben gemacht bezüglich Diagnostik, operativer Therapie, Strahlentherapie, Hormon- und Chemotherapie, Nachsorge, Diagnostik und Therapie fortgeschrittener Erkrankungen und besonders auch bezüglich der Dokumentation und Qualitätssicherung. Gleichzeitig soll durch die Konzentration der Versorgung auf wenige, spezialisierte Brustzentren eine verbesserte Ergebnisqualität erreicht werden.

    Auf der Grundlage dieser rechtlichen Vorgaben werden nun entsprechend der Länderhoheit die regional etwas unterschiedlichen Einzelverträge ausgestaltet. In Hessen und Berlin wurde beispielsweise der Rahmenvertrag zwischen den Krankenkassen und den Krankenhäusern und nicht der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) geschlossen, in Nordrhein-Westfalen und anderen Ländern zwischen den Kassen und der KV. In Nordrhein-Westfalen gab es bereits vor den Disease-Management-Programmen Initiativen zur Verbesserung der Versorgung von Brustkrebspatientinnen, insbesondere die vom Gesundheitsministerium initiierte „Konzertierte Aktion gegen Brustkrebs". Folgerichtig wurde der bundesweit erste DMP-Vertrag im Oktober 2002 zwischen der KV Nordrhein und den gesetzlichen Krankenkassen im Rheinland geschlossen, wobei besonders die AOK Rheinland eine bedeutende Rolle innehatte.

    Parallel zu den DMP werden derzeit in den einzelnen Ländern Brustzentren zertifiziert, wobei die Qualitätskriterien teilweise noch über die Anforderungen der DMP hinausgehen. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen wurden beispielsweise rund 50 Brustzentren zertifiziert mit einem Einzugsbereich von jeweils etwa 360.000 bis 450.000 Einwohnern. Davor behandelten etwa 250 Krankenhäuser in NRW Brustkrebspatientinnen. Es wurde vereinbart, die Anforderungen, die von den Krankenhäusern im Rahmen des DMP und bei der Anerkennung als Brustzentren zu erfüllen sind, mittelfristig zusammenzuführen. Krankenhäuser, die später nicht als Brustzentrum anerkannt werden, sollen auch aus dem DMP-Vertrag ausscheiden (MGSFF NRW 2003).

    2 Spezifische Probleme der psychosozialen Versorgung von Brustkrebspatientinnen

    2.1 Mängel des bisherigen Versorgungssystems

    Ein ausdrückliches Ziel des Brustkrebs-DMP war die Verbesserung der psychosozialen Versorgung der an Brustkrebs erkrankten Frauen. Es besteht ein hoher Bedarf an psychoonkologischer Begleitung von Brustkrebspatientinnen (s. Kap. 3.2). In der medizinischen Routineversorgung von Brustkrebspatientinnen fehlt aber bisher in der Regel die strukturelle Einbeziehung psychoonkologischer Unterstützungsangebote. Falls überhaupt vorhanden, weist die psychoonkologische Versorgung in den einzelnen Bereichen Akutklinik, Rehabilitation und ambulante Versorgung sehr vielfältige Strukturen auf. Zudem wird sie in den Akutkliniken von den unterschiedlichsten Berufsgruppen, vor allem von Seelsorgern, Sozialarbeiterinnen, Sozialpädagogen, Psychologinnen aber auch von Ärzten und Krankenschwestern geleistet, in Universitätskliniken häufig von kurzfristig über Drittmittel im Rahmen von Forschungsprojekten eingestellte Mitarbeiterinnen. Überhaupt gab es lediglich in Universitätskliniken und großen Zentren nach der immer noch aktuellen Studie von Weis et al. aus dem Jahre 1998 ein nennenswertes psychosoziales Angebot. Dabei wurden in Universitätskliniken weniger als 20 % eigene Fachkräfte in den onkologischen Abteilungen beschäftigt. In den Großkliniken waren primär die Sozialdienste und die Klinikseelsorge Anbieter. Liaisondienste kamen außerhalb von Universitätskliniken kaum vor und selbst psychologische, psychosomatische oder psychiatrische Konsiliardienste waren dort selten. Kleine Kliniken verfügten praktisch über keine psychoonkologische Versorgung. Selbst in den Universitätskliniken waren nur rund 17 % der Fachkräfte ausschließlich für Tumorpatienten eingestellt, die restlichen für alle Patienten. Ein spezielles Angebot für Brustkrebspatientinnen wurde gar nicht genannt. Die Autoren folgern: „Insgesamt ist deutlich geworden, dass die psychosoziale Versorgung in den Akutkliniken sich primär auf den klassischen Sozialdienst und die Krankenhausseelsorge beschränkt, während die psychoonkologische Betreuungsarbeit unter Einbeziehung neuerer Interventionsansätze zwar vereinzelt vorhanden ist, zahlenmäßig jedoch einen geringen Anteil ausmacht. Die wenigsten Akutkliniken verfügen über Psychologenstellen oder entsprechend fachpsychotherapeutisch ausgebildete Kräfte" (Weis et al. 1998, S. 340).

    Der Schwerpunkt der professionellen psychosozialen Unterstützung von Brustkrebspatientinnen lag bisher bei den Rehabilitationskliniken, vereinzelten Beratungsstellen und der „normalen" Richtlinienpsychotherapie. Welche Patientin überhaupt eine psychoonkologische Unterstützung erhält und welcher Art diese Unterstützung ist, war bisher weitgehend dem Zufall überlassen, zumal es auch an psychoonkologischen Screenings zur Erfassung des individuellen Behandlungsbedarfs fehlte (s. Kap. 4.1).

    2.2 Die psychosoziale Versorgung im Rahmen von DMP, Fragen der Strukturqualität

    Professionelle psychosoziale Angebote für Brustkrebspatientinnen sind auch in den Disease-Management-Programmen bisher nicht adäquat verankert. Im Gegensatz zu den klar definierten medizinischen Therapievorgaben unter Ziffer 1.4 der Anlage 3 zu §§ 28b bis 28g RSAV heißt es bezüglich der psychosozialen Betreuung lediglich:

    „Im gesamten Versorgungsprozess sind Maßnahmen der psychosozialen Betreuung zu berücksichtigen. Die psychosoziale Betreuung ist an die individuelle Situation (Krankheitsphase, Therapieverfahren etc.) anzupassen. Hierfür ist im Rahmen von strukturierten Behandlungsprogrammen ein strukturiertes Unterstützungs- und Beratungsangebot vorzusehen.

    Die psychosoziale Betreuung erfordert kommunikative Kompetenzen und eine erhöhte diagnostische Aufmerksamkeit gegenüber psychischen Konflikten und Belastungssituationen bei den Patientinnen und deren Angehörigen. Es ist zu prüfen, ob die Patientin einer weitergehenden Behandlung durch qualifizierte Leistungsanbieter bedarf."

    Das heißt, konkrete Anforderungen, etwa an die Inhalte dieser strukturierten Behandlungsangebote oder die berufliche Qualifikation derjenigen, die diese psychosoziale Betreuung leisten, werden nicht definiert. Für die Nachsorge ist unter Ziffer 1.5.2 der Anlage 3 noch einmal explizit definiert:

    „Die psychosoziale Beratung und Betreuung der Frauen soll integraler Bestandteil der Nachsorge sein. Ihr ist in diesem Rahmen ausreichend Zeit einzuräumen. Hierzu gehört auch die Beratung über die Möglichkeiten der sozialen, familiären und beruflichen Rehabilitation.

    Der nachsorgende Arzt soll prüfen, ob die Patientin einer weitergehenden Diagnostik und/oder Behandlung bedarf (z. B. bei posttraumatischen Belastungsstörungen, Angststörungen, depressiven Störungen). Bei psychischen Beeinträchtigungen mit Krankheitswert sollte die Behandlung durch qualifizierte Leistungserbringer erfolgen."

    Die Mindestanforderungen an diese „qualifizierten Leistungserbringer für die eigentliche psychotherapeutische Behandlung sind in den Verträgen über die konkreten Programme definiert, die auf dieser gesetzlichen Grundlage geschlossen werden. Dabei unterscheiden sich die Voraussetzungen an die Strukturqualität bezüglich der psychologischen Behandlung („Auftragsleistung). Im Bezirk Nordrhein werden beispielsweise nur Psychologische Psychotherapeuten zugelassen, während in Hessen auch nicht-approbierte Psychologen „mit Erfahrung in der Therapie onkologischer Patientinnen" diese Leistungen erbringen können. Bezüglich der in den Verlautbarungen zum DMP immer besonders hervorgehobenen jährlichen Fortbildungspflicht ist lediglich eine einmalige jährliche Fortbildung zum Thema Onkologie vorgeschrieben, ohne dass Umfang oder Inhalte festgelegt sind.

    Zur entsprechenden Strukturqualität der stationären Einrichtungen besagt der 2002 geschlossene Vertrag zwischen den Krankenkassen und der der KV Nordrhein in der Anlage 2 immerhin:

    „Gleichzeitig muss entsprechend der jeweiligen individuellen Situation der Patientin eine psychosoziale Betreuung sichergestellt sein... Soweit eine stationäre Einrichtung die vorgenannten Strukturen nicht selbst sicherstellen kann, ist eine Kooperation... mit niedergelassenen Vertragsärzten entsprechender Qualifikation (vgl. hierzu Anlage 3 „Auftragsleistung) in einer für die Patientin zumutbaren Entfernung nachzuweisen. Über eine entsprechende Zusammenarbeit ist eine schriftliche Kooperationsvereinbarung zu treffen....

    Diese Kooperationsvereinbarung muss mindestens folgende Inhalte verpflichtend regeln: die Einhaltung der Anlage 3 der RSAV, die Teilnahme an Fortbildungen und Tumorkonferenzen bzw. Qualitätszirkeln und den Informationsaustausch.

    2.3 Probleme der praktischen Umsetzung

    Strukturierte Behandlungsprogramme, die ein strukturiertes Unterstützungs- und Beratungsangebot bieten, wie es unter Ziffer 1.4. der Anlage 3 zu §§ 28b bis 28g RSAV gefordert wird, gibt es in der Praxis bisher kaum. Häufig werden von den Brustzentren eher nach dem Zufallsprinzip Kooperationsverträge mit einzelnen niedergelassenen Psychotherapeuten geschlossen, um formal den Forderungen zu genügen. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass eine flächendeckende psychoonkologische Betreuung und eine strukturelle Einbindung qualifizierter Fachkräfte zum jetzigen Zeitpunkt kaum zu verwirklichen wäre. Auf der Seite der Leistungsanbieter gibt es noch zu geringe Kapazitäten an speziell fortgebildeten Psychoonkologinnen und Psychotherapeutinnen. „Für die psychoonkologische Begleitung oder begleitende Psychotherapie der betroffenen Frauen werden bald „händeringend Psychotherapeuten gesucht, die entsprechend fortgebildet sind und nach überprüfbaren Leitlinien arbeiten (Bühring 2003, S. 481). Allerdings werden derzeit neue psychoonkologische Curricula entwickelt, die speziell auf die Teilnahme am DMP Brustkrebs zugeschnitten sind. Die Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen war die erste Kammer, die sich hier mit einer breit angelegten Fortbildung ihrer Mitglieder engagierte. Die Qualität derartiger Fortbildungen ist jedoch für Außenstehende teilweise schwer erkennbar. Eine zusätzliche Schwierigkeit besteht darin, dass der Titel „Psychoonkologe/ Psychoonkologin noch nicht geschützt und deshalb die Qualifikation der Leistungserbringer nicht einfach zu bestimmen ist. Es ist auch fraglich, ob angesichts der unterschiedlichen Anforderungen im stationären und ambulanten Bereich, in der Rehabilitation, in Beratung und Psychotherapie, angesichts der unterschiedlichen Berufsgruppen und auch angesichts der unterschiedlichen Krankheitsbilder in der Onkologie eine einheitliche „Psychoonkologie-Ausbildung überhaupt sinnvoll ist.

    2.4 Probleme der Finanzierung

    Ein viel bedeutenderes Problem ist aber die fehlende finanzielle Grundlage der ambulanten psychoonkologischen Begleitung außerhalb der Richtlinienpsychotherapie. Daraus resultiert nicht nur eine Unterversorgung, sondern auch eine Über- und Fehlversorgung, da Brustkrebspatientinnen häufig nur eine kurzzeitige Intervention benötigen, aber im Rahmen der Richtlinientherapie häufig das volle Stundenkontingent ausgeschöpft wird (s. Kap. 4.1). Es fehlen strukturierte psychoonkologische Screening- und Behandlungsprogramme mit entsprechender Finanzierung. Verschiedene Ansätze dazu führten bisher zu keinem Ergebnis. Die Psychotherapeutenkammer NRW hat bereits 2002 einen umfassenden Vorschlag einschließlich einer Kostenkalkulation vorgelegt. Grundlage ist ein standardisiertes Screening zur Erfassung psychosozialer Belastungsfaktoren mit nachfolgendem Beratungsgespräch sowie einem explorativen Einzelgespräch. Entsprechend den Ergebnissen werden verschiedene individuelle Interventionsmodule außerhalb der Richtlinienpsychotherapie vorgeschlagen, sowie bei entsprechender Indikation eine Richtlinienpsychotherapie (Joisten 2002, www.ptknrw.de). Die Not der niedergelassenen Gynäkologinnen und Onkologen angesichts des deutlichen psychischen Unterstützungsbedarfs ihrer Patientinnen bei fehlenden Strukturen führt teilweise zu sehr individuellen Lösungsversuchen. Onkologische oder gynäkologische Praxen beschäftigen so stundenweise auf Honorarbasis Psychotherapeuten und bezahlen diese aus eigener Kasse oder sogar aus Zuwendungen der Pharmaindustrie. Viele Gruppenangebote werden von Klinikmitarbeiterinnen, Seelsorgern oder niedergelassenen Psychotherapeutinnen in ihrer Freizeit durchgeführt. Patientinnen zahlen häufig selbst einen Beitrag für derartige Gruppenangebote. In wenigen Fällen leisten auch Krankenkassen Zuschüsse zu entsprechenden Angeboten (Reuter et al. 2004).

    Für die Brustzentren gibt es im Rahmen der DMP keine zwingenden Vorschriften zur Einstellung von psychoonkologischen Mitarbeiterinnen. Einige Akutkliniken stellen jetzt zwar Psychoonkologinnen ein, dies ist aber der Einsicht und dem „good will der Klinikleitungen zu verdanken, die dazu keine zusätzlichen Mittel erhalten. Dabei ist die psychoonkologische Betreuung im stationären Bereich relativ „preiswert. Thomas und Köhle errechneten für einen psychosozialen Liaisondienst für 50 onkologische Betten auf vier Stationen einen Personalbedarf von drei Mitarbeiterinnen (zwei Psychologinnen, eine Sozialarbeiterin). Dadurch würde sich der Pflegesatz um 8,19 € erhöhen. Um diese Kosten zu decken, müsste sich die Liegezeit nur bei jeder dritten Aufnahme um einen Tag verkürzen (Thomas und Köhle 1998).

    Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren legt im stationären Bereich Personalrichtwerte von einer halben Stelle (Arzt/Psychotherapeut/Psychologe) je 20 im Jahresdurchschnitt belegte Planbetten fest (ADT 1999). Ähnlich wird in den AWMF-Leitlinien zur „Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Mammakarzinoms der Frau gefordert, dass eine psychoonkologische Fachkraft in das Behandlungsteam integriert ist (www.krebsgesellschaft.de). Die Kliniken konnten aber bisher die psychosozialen Leistungen im DRG-System (Diagnosis Related Groups: Fallpauschalen) nicht angemessen berechnen. Die Einführung des OPS (Operationen- und Prozeduren-Schlüssel) 2005 macht es nun möglich, diese Tätigkeiten nach den Erfordernissen des DRG-Systems zu erfassen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychosoziale Versorgung im Akutkrankenhaus hat dazu einen Leitfaden zum OPS (2005) „Psychosoziale Leistungen im Akutkrankenhaus dokumentieren und kodieren erarbeitet, der im Internet verfügbar ist (www.sektion-klinische.de).

    Eine strukturell fest eingebundene psychosoziale Unterstützung von Brustkrebspatientinnen würde die Behandlungskosten nur unerheblich erhöhen. Angesichts des positiven Einflusses auf den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität würden sich „Investitionen" in diesem Bereich auch unter Kostengesichtspunkten relativ kurzfristig auszahlen.

    Fazit für die Praxis

    Die medizinische Versorgung von Brustkrebspatientinnen war in Deutschland bisher durch eine Vielzahl unvernetzter Versorgungsangebote, durch erhebliche Qualitätsunterschiede und durch Informationsdefizite an wichtigen Schnittstellen gekennzeichnet. Auch fehlte die strukturelle Einbeziehung professioneller psychoonkologischer Unterstützung. Disease-Management-Programme (DMP) sollen hier Abhilfe schaffen. Es war ein ausdrückliches Ziel der Brustkrebs-DMP, die psychosoziale Versorgung der an Brustkrebs erkrankten Frauen zu verbessern. Dies ist aber, obwohl formal gefordert, auch in den Disease-Management-Programmen bisher nicht adäquat verankert. Verschiedene Initiativen zur Einbindung strukturierter Unterstützungs- und Beratungsangebote führten bisher zu keinem Ergebnis. Die mangelnde psychosoziale Betreuung von Brustkrebspatientinnen ist primär ein Finanzierungsproblem. Zwar zeichnen sich vereinzelt bereits Verbesserungen in den stationären Einrichtungen ab, diese beruhen jedoch noch weitgehend auf dem „good will". Im ambulanten Bereich gibt es bisher keine gesicherte Finanzierung unterstützender psychotherapeutischer Angebote außerhalb der klassischen Richtlinienpsychotherapie, was neben einer Unter- und Fehlversorgung auch teilweise zur Überversorgung führt.

    Eine frühzeitige und strukturell fest eingebundene psychosoziale Unterstützung von Brustkrebspatientinnen würde sich sogar auch unter Kostengesichtspunkten auszahlen.

    Literatur

    ADT (Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren e. V.) (1999) Memorandum: Zur Konzeption und zum Personal- und Finanzbedarf der Tumorzentren in Deutschland, 4. Aufl., München

    Bühring P (2003) Psychotherapie bei körperlichen Erkrankungen: Chancen nutzen. Deutsches Ärzteblatt, PP(2):481

    Joisten H (2002) Schwerpunktthema: Disease-Management-Programme – wie es weiterging. Psychotherapeutische Praxis 2(4):175–198

    Krankenkassenverbände Hessen (2004) Strukturierte Versorgung bei Brustkrebs. Gemeinsame Presseerklärung der Krankenkassenverbände in Hessen vom 5.2.2004

    MGSFF Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie NRW (2003) Broschüre: Brustzentren in Nordrhein-Westfalen: Konzepte – Verfahren – Perspektive, Düsseldorf

    Reuter E, Rehse B, Schwickerath J (2004) Patientinnenseminare. Ein psychosoziales Angebot zur verbesserten Nachsorge brustkrebsbetroffener Frauen in der Region. Psychotherapeutische Praxis 4(4):170–176

    Thomas W, Köhle K (1998) Psychosozialer Liaisondienst in internistisch-onkologischen Akutkliniken – Bedarf, Inanspruchnahme, Kosten. In: Koch U, Weis J (Hrsg) Krankheitsbewältigung bei Krebs und Möglichkeiten der Unterstützung. Schattauer, Stuttgart

    Weis J, Koch U, Matthey K, Wilhelm P (1998) Ist-Analyse der psychosozialen Versorgung von Krebspatienten im Akut- und Rehabilitationsbereich. In: Koch U, Weis J (Hrsg) Krankheitsbewältigung bei Krebs und Möglichkeiten der Unterstützung. Schattauer, Stuttgart

    2 Was ist Brustkrebs?

    2.1 Epidemiologie, Onkogenese, Risikofaktoren des Mammakarzinoms

    Frank Melchert

    1 Epidemiologie

    In Deutschland treten jährlich, je nach Quelle der Hochrechnung, 46.000–50.000 neue Brustkrebserkrankungen auf. Das Mammakarzinom ist damit vor Darmkrebs, Leukämien und Lymphomen, Tumoren des Gebärmutterkörpers, Magenkrebs, Bronchialkarzinom und Ovarialkarzinom die häufigste Krebserkrankung der Frau und macht 26 % aller jährlichen Malignomneuerkrankungen bei Frauen aus. Derzeit muss jede 10. Frau damit rechnen, im Laufe ihres Lebens ein Mammakarzinom zu entwickeln. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 63,5 Jahren. Mehr als die Hälfte aller Brustkrebsfälle wird erstmalig im Alter von über 60 Jahren, ein Drittel über 70 Jahren diagnostiziert (Abb. 2.1). Alle 11 min. trifft eine Frau in Deutschland die Diagnose Brustkrebs und alle 27 min. stirbt eine Frau an den Folgen dieses Tumors (Untsch et al. 2003).

    In Deutschland sterben pro Jahr etwa 19.000 Frauen an Brustkrebs. Bei Frauen im Alter zwischen 35 und 55 Jahren ist das Mammakarzinom die häufigste Todesursache. Nach dem Bronchial- und den kolorektalen Karzinomen nimmt die Brustkrebserkrankung bezüglich der Sterblichkeit an Malignomerkrankungen den 3. Platz ein. Es ist für 18 % aller Krebstodesfälle bei Frauen verantwortlich (s. Tab. 2.1). Das Verhältnis zwischen Mortalität und Inzidenz beträgt etwa 0,4, womit Deutschland in der westlichen Welt nur einen mittleren Rang bezüglich der Überlebensrate bei Brustkrebs einnimmt. Die relative 5-Jahres-Überlebensrate wird mit etwa 73 % angegeben (Kreienberg et al. 2002).

    Die Überlebensraten sind sowohl alters- als auch vor allem stadienabhängig. So sind nach den Daten des Münchener Tumorzentrums knapp 1/4 aller Sterbefälle auf pT3/-T4-Tumoren zurückzuführen (Abb. 2.2). Nur 41,8 % aller Patientinnen in Deutschland sind 15 Jahre nach Erstdiagnose noch am Leben.

    Abb. 2.1: Altersverteilung bei Diagnosestellung (modifiziert nach Engel J, Hölzer D, Kerr J et al. 2003)

    Tab. 2.1: Epidemiologische Basiszahlen zum Mammakarzinom (modifiziert nach Engel J, Hölzer D, Kerr J et al. 2003)

    2 Onkogenese

    Die Karzinogenese ist als multifaktoriell beeinflusstes Geschehen anzusehen. Dabei stellt eine vorhandene familiäre Belastung einen Hauptrisikofaktor dar. Etwa 12 % aller Patientinnen mit einem Mammakarzinom berichten über eine erstgradige Verwandte mit derselben Erkrankung, 1 % haben zwei oder mehr betroffene Familienmitglieder.

    Hereditäre Mammakarzinome unterscheiden sich von sporadischen Fällen durch das frühere Erkrankungsalter, die höhere Prävalenz von bilateralen Manifestationen und eine größere Anzahl von assoziierten Tumoren in den betroffenen Familien. Im Gegensatz dazu treten die meisten sporadischen Mammakarzinomerkrankungen im späteren Lebensalter und öfter einseitig auf. 1994 und 1995 wurden zwei Gene (BRCA1 und BRCA2) entschlüsselt, die bei Vorliegen einer autosomal dominant vererbten Keimbahnmutation mit familiärer Häufung von Mammakarzinomen in Verbindung gebracht werden. Dennoch lassen sich weniger als 5 % aller Mammakarzinome ursächlich auf eine Mutation in einem der beiden Gene zurückführen. Vererbte Mutationen in anderen Tumorsuszeptibilitätsgenen wie p 53, PTEN, ATM oder Mismatch-Repair-Genen werden für weniger als 1 % aller hereditären Mammakarzinome verantwortlich gemacht.

    Abb. 2.2: Relatives Überleben in Abhängigkeit vom Tumorstadium (pT-Kategorie) (modifiziert nach Engel J, Hölzer D, Kerr J et al. 2003)

    Internationalen Daten zufolge erkranken 20–82 % der Trägerinnen mit einem BRCA1-Gendefekt und 25–70 % der BRCA2-Gendefekt-Trägerinnen bis zum 70. Lebensjahr an einem Mammakarzinom. Bei mehr als 60 % der Patientinnen tritt das Mammakarzinom vor dem 50. Lebensjahr auf. 40 % der praemenopausal erkrankten Patientinnen und 12 % der jenseits des 50. Lebensjahres erkrankten Personen entwickeln ein kontralaterales Mammakarzinom.

    Die Diskussion um die prophylaktische Mastektomie gestaltet sich kontrovers. Ein statistisch signifikanter positiver Effekt auf das Gesamtüberleben, insbesondere im Vergleich mit einem intensiven Früherkennungsprogramm konnte bislang nicht beschrieben werden (Kuschel & Kiechle 2002).

    3 Risikofaktoren

    Das Alter ist der wichtigste Risikofaktor für die Entwicklung eines Mammakarzinoms. So liegt die altersspezifische Inzidenz zwischen 50 und 70 Jahren um den Faktor 5 höher als im Alter zwischen 35 und 40 Jahren. Eine 65-jährige Frau hat bereits eine dreimal höhere Wahrscheinlichkeit, in ihrem nächsten Lebensjahr ein Mammakarzinom zu entwickeln, als eine 45-Jährige.

    Ein weiterer starker Risikofaktor ist die familiäre Belastung (s.o.). Hat eine Frau eine Verwandte 1. Grades (Mutter oder Schwester) mit einem Mammakarzinom, so steigt ihr persönliches Risiko um den Faktor 3 bis 4. Liegt eine Keimbahnmutation im BRCA-Gen vor, beträgt ihr Risiko bereits das 7- bis 8-fache einer familiär nicht belasteten Frau. War eine Frau bereits an einem Mammakarzinom erkrankt, so hat sie ein 5-fach erhöhtes Risiko, erneut an einem Mammakarzinom zu erkranken.

    Tab. 2.2: Risikofaktoren für die Entwicklung eines Mammakarzinoms (modifiziert nach Kuhl H 2005)

    Neben diesen „starken Risikofaktoren" spielen weitere Parameter eher eine untergeordnete Rolle (Tab. 2.2). Frühe Menarche und späte Menopause bedeuten einen verlängerten Einfluss von Östradiol und Progesteron, wohingegen der protektive Effekt der Laktation mit der Suppression der Ovulation und der Corpus-luteum-Funktion zusammenhängt. Übergewicht, Insulinresistenz, Dyslipidämien und verstärkter Alkoholkonsum sollen das Risiko erhöhen. Weitere Faktoren wurden untersucht, wie der Einfluss einer langfristigen Schichtarbeit, der durch eine verlängerte Lichtexposition und der dadurch verminderten Melatoninfreisetzung erklärt werden könnte oder der Zusammenhang mit der kumulativen Antibiotikaanwendung, der eher eine geschwächte Immunabwehr widerspiegelt (Kuhl 2005).

    Zu der Frage, ob eine Hormonsubstitution das Brustkrebsrisiko bei postmenopausalen Frauen erhöht, wurden in den letzten 25 Jahren in über 50 epidemiologische Studien und durch mindestens 8 Metaanalysen untersucht. Die Ergebnisse der einzelnen Studien sind inkonsistent (Tab. 2.3). Nach den meisten Studien ist die Brustkrebsmortalität bei Hormonanwenderinnen niedriger. Möglicherweise haben Patientinnen unter einer Hormontherapie häufiger am Screening teilgenommen, so dass die Diagnose früher gestellt werden konnte.

    Tab. 2.3: Relatives Risiko (RR) für die Entwicklung eines Mammakarzinoms bei postmenopausalen Frauen unter der Therapie mit Östrogen (ERT) oder Östrogen-Gestagen-Kombinationen (HRT), (CI = Konfidenzintervalle) (modifiziert nach Kuhl H 2005)

    Bei der Beurteilung des Brustkrebsrisikos unter einer Hormontherapie werden häufig die Resultate der Re-Analyse der Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer angeführt, bei der 51 epidemiologische Studien bewertet wurden. Nach fünfjähriger Hormonanwendung wurde eine signifikante Erhöhung des Risikos für die Diagnose Brustkrebs gefunden (RR=1,4; 95 % CI 1,2–1,5). Diese Risikoerhöhung war 5 Jahre nach Beendigung der Therapie nicht vorhanden (RR = 0,9; 95 % CI 0,7–1,1).

    Die Reanalyse setzte sich aus Einzelstudien zusammen, die hinsichtlich Qualität, Methodik, Beobachtungszeitraum und Studienzentren inhomogen waren. Zudem fehlten bei 61 % der Studienteilnehmerinnen Angaben über die verwendeten HRT-Präparate. 80 % hatten überwiegend eine Östrogenmonotherapie und nur 12 % eine Östrogen-Gestagen-Kombinationstherapie erhalten. Aufgrund der methodischen Unzulänglichkeiten ist die Übertragbarkeit auf die heutige Hormonanwendung nicht möglich (Machens et al. 2005).

    Des weiteren hat die Women’s Health Initiative Study mit zwei Gruppen, einer Östrogen-Gestagen-Kombinationsbehandlung und einer Mono-Östrogen-Anwendung, publiziert 2002 und 2004, unterschiedliche Ergebnisse gezeigt. Die Kombinationsbehandlung (konjugierte Östrogene und Medroxyprogesteronazetat) zeigte ein (gering) erhöhtes Risiko (RR: 1,26 CI 1.0–1.59), die Monobehandlung (konjugierte Östrogene) ein vermindertes Risiko (RR: 0,77, CI 0.59–1.01)

    Die Internationale Menopause Society legte in einem Statement vom 16.02.2004 fest: Die Möglichkeit, dass die heutige Hormontherapie einen Anstieg bei Brustkrebs verursacht, wird weder durch die WHI-Studie geklärt und bedarf weiterer Untersuchungen (International Menopause Society 2004).

    Literatur

    Engel J, Hölzer D, Kerr, J et al. (2003) Epidemiologie. In: Tumorzentrum München (Hrsg) Manual Mammakarzinom, 9. Aufl. Zuckschwerdt, München Wien New York

    International Menopause Society (2004) Richtlinien zur Hormonbehandlung von Frauen in der Menopause und Postmenopause Positionspapier, 16.02.2004

    Kreienberg R, Volm T, Alt D (2002) Krankheitsbild: Mammakarzinom. In: Kreienberg R, Volm T, MöbusV, Alt D (Hrsg) Management des Mammakarzinoms. 2. Aufl.. Springer, Berlin Heidelberg New York Tokio

    Kuhl H (2005) Brustkrebs-Risiko bei Übergewicht: Keine Erhöhung durch eine Hormonsubstitution. GYNE 26(5):81–90

    Kuschel B, Aigner M, Kiechle M (2002) Das hereditäre Mammakarzinom. Onkologe 8:790–796

    Kuschel B, Kiechle M (2002) Genetik, Früherkennung und Prävention. In: Kutsch M, Sittek H, Bauernfeind J, Konecny G, Reiser M, Hepp H (Hrsg) Diagnostik und Therapie des Mammakarzinoms. W. Zuckschwerdt, München Wien New York

    Machens K, Schmidt-Gollwitzer K, Melchert F (2005) Hormonelle Veränderungen der Frau und „HRT" In: Handbuch Geriatrie. Deutsche Krankenhaus Verlagsgesellschaft mbH, Düsseldorf (in Druck)

    Untsch M, Georges B, Hepp H (2003) Mammakarzinom-Studien. Gynäkologe 36:850–861

    2.2 Früherkennung des Mammakarzinoms. Was ist gesichert?

    Carola Schöber

    Einleitung

    Bei steigender Inzidenz des Mammakarzinoms in Deutschland, es wird von etwa 50.000 Neuerkrankungen/Jahr ausgegangen, sollen verschiedene Ansätze von Kursen zur Selbstuntersuchung der Brust bis zum Mammographiescreening in speziellen Zentren dazu beitragen, die Brustkrebsmortalität in Deutschland zu senken.

    Etwa jede 10. Frau wird im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs erkranken. Diese Angabe bezieht sich auf die gesamte Lebenszeit eines Menschen, d. h. von der Geburt bis zum 80. Lebensjahr. Ein Blick auf die verschiedenen diagnostischen, insbesondere bildgebenden Verfahren, und auf die aktuelle Datenlage ist im Hinblick auf das Disease-Management-Programm Mammakarzinom sinnvoll.

    1 Was bedeutet Früherkennung?

    Unter dem Begriff „Früherkennung" werden die Diagnose eines Mammakarzinoms der Stadien T0, T1a, T1b und T1c sowie die Diagnose eines Tis – unabhängig von der Untersuchungsmethode – zusammengefasst. In diesen Krebsstadien kann mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Heilung durch einen kurativen Eingriff erreicht werden. Ab Stadium T1c (über 1 cm Tumorgröße) steigt die Anzahl der letztlich palliativen Situationen deutlich. Im Allgemeinen gilt das In-situ-Karzinom (in der Regel das duktale In-situ-Karzinom = DCIS), das als Präkanzerose angesehen werden kann, als Frühform des Mammakarzinoms.

    Tabelle 2.4: Stadieneinteilung bei Brustkrebs (modifiziert nach Tumorzentrum München. Mammakarzinome. Empfehlungen zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge. 8. Auflage. 2001. S. 31)

    Anmerkungen:

    ¹einschließlich M. Paget der Mamille, der M. Paget der Mamille kombiniert mit einem nachweisbaren Tumor wird entsprechend der Größe des Tumors klassifiziert

    ²von 0,1 cm oder weniger in größter Ausdehnung

    ³Die Brustwand schließt die Rippen, die Interkostalmuskeln und den vorderen Serratusmuskel mit ein, nicht aber die Pektoralismuskulatur

    ⁴d.h. Ödem (einschließlich Apfelsinenhaut), Ulzeration der Brusthaut oder kutanen Satellitenmetastasen der Haut der gleichen Brust

    ⁵klinisch

    Der Tumor verändert mit zunehmender Größe sein Malignitätspotential ab dem Übergang vom Stadium T1b in T1c (Hille et al. 2004). Das gehäufte Auftreten eines positiven Lymphknotenstatus (Nodalstatus) nimmt von etwa 10 % im Stadium T1a auf etwa 30 % im Stadium T1c zu. Malignome mit einer Größe von weniger als 1 cm haben eine 5-Jahres-Überlebensrate von über 90 % (Meyer et al. 1999).

    2 Zielsetzung und Nutzen der Früherkennung

    Oberstes Ziel einer qualitätsgesicherten Früherkennung des Mammakarzinoms ist eine Senkung der Sterblichkeitsrate. Ebenso wichtig ist das Erhalten und Wiedererlangen einer uneingeschränkten Lebensqualität. Wenn ein Brustkrebs frühzeitig entdeckt wird, liegt der mögliche Nutzen einer Früherkennung des Mammakarzinoms in längeren Überlebenszeiten, einer weniger invasiven Therapie und einer besseren Lebensqualität.

    3 Grenzen und unerwünschte Wirkungen der Früherkennung

    Früherkennungsuntersuchungen können zur psychischen Belastung führen. Dem ist dringend durch eine sorgfältige Aufklärung vorzubeugen. Eine Früherkennungsuntersuchung bedeutet für die Frau nicht selten eine Stresssituation, insbesondere das Warten auf das Untersuchungsergebnis ist dabei schwer. Bei Auffälligkeiten muss der Patientin ein abklärungsbedürftiger oder suspekter Befund mitgeteilt werden, mit dem sie meist nicht gerechnet hat. Häufig fällt der betroffenen Frau das Annehmen der endgültigen Diagnose „Brustkrebs" gerade dann schwer, wenn sie sich gesund fühlt und keinerlei Symptome aufweist.

    Auch ist zu berücksichtigen, dass bei der Früherkennungsuntersuchung Brustkrebserkrankungen entdeckt werden, die nie klinisch relevant geworden wären. Ein internationales Forscherteam hat jetzt errechnet, dass die Inzidenz des nichtprogredienten DCIS bei 111 Fällen und die Inzidenz des progredienten DCIS bei 210 Fällen pro 100.000/Jahr liegt. Dabei wurde das nichtprogrediente DCIS als DCIS definiert, welches auch ohne Therapie nicht zu einem invasiven Tumor entartet wäre. Ein progredientes DCIS zeigt eine Tendenz zur Entartung in Richtung invasives Mammakarzinom.

    Die überwiegende Mehrheit der durch Screening entdeckten DCIS wären ohne Therapie progredient. Es wurde ebenfalls untersucht, inwieweit die rechtzeitige Entdeckung von DCIS die Mortalität senkt. Es scheint jedoch so, dass dadurch nur wenige Leben gerettet werden können. Wichtiger wären Qualitätskontrolle und Training für Mammographiescreeningprogramme für die Entdeckung kleiner invasiver Tumoren. Nur damit lässt sich die Mortalität senken. (Yen et al. 2003; Duffy 2003).

    Die Aussagekraft der möglichen Sterblichkeitsreduktion um 20–30 % durch ein Mammographiescreening wird von vielen Ärzten und Frauen z. T. weit überschätzt. Die in Screeningstudien nachgewiesene Mortalitätssenkung entspricht mit 4 auf 3 pro 1000 Frauen einer absoluten Risikoreduktion von 0,1 % oder einer relativen Risikoreduktion von 25 % (Kürzl 2004).

    Ein Mammographiescreeningprogramm führt zu einer Verunsicherung nicht weniger Patientinnen, bei denen ein auffälliger Befund erhoben wird, die weitere Abklärung dann jedoch einen gutartigen Befund ergibt. Die Rate an diesen falsch positiven Befunden wird mit 6 % angegeben. Falsch negative Befunde wiegen Patientin und Arzt in falscher Sicherheit. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass seltener auch Brustkrebserkrankungen entdeckt werden, die nie klinisch auffällig geworden wären.

    4 Methoden der Früherkennung

    4.1 Klinische Untersuchung

    Hierunter soll die Selbstuntersuchung der Brust und die ärztliche Untersuchung verstanden werden. Die Selbstuntersuchung der Brust bewirkt eine wesentliche individuelle Motivation und Bewusstseinsförderung für präventive Maßnahmen. Ihre Wirksamkeit darf jedoch nicht überschätzt werden. Eine regelmäßige, sachgerechte Selbstuntersuchung begünstigt allerdings die frühzeitige Entdeckung von Karzinomen.

    Zur klinischen Untersuchung gehören Inspektion und Palpation der Brust, einschließlich der Mamille, des Brustwarzenhofes und der regionären Lymphabflussgebiete in aufrechter und liegender Haltung der Frau. Weil etwa 10–15 % der Karzinome – auch bei optimaler Qualität in Technik und Befundung der Mammographien – nicht erkennbar sind, ist die Palpation unerlässlich. Hierdurch wird sichergestellt, dass alle kritischen Randbereiche der Mamma, wie untere Umschlagfalte, sternumnahe Region und lateraler Drüsenkörperrand, der Diagnostik nicht entgehen, weil diese Bereiche bei der Mammographie evtl. nicht dargestellt werden können (Barth & Prechtel 1990).

    Inspektion

    Bei erhobenem und herabhängendem Arm werden die Größe und Kontur der Brust, Hautveränderungen und Brustwarzen betrachtet und sämtliche Auffälligkeiten dokumentiert. Die Brustgröße ist außerordentlich variabel. Wichtig ist zu erfassen, ob Seitendifferenzen (Anisomastie) eine Normvariante, Operationsfolge oder eine Retraktion des Brustareales bei diffusen Tumorprozessen sind.

    Die Kontur der Brust ist normalerweise konvex. Eine Abflachung oder Einziehung dieser Kontur kann – neben der Folge eines operativen Eingriffs – ein Retraktionsphänomen bei einem dahinter liegendem Tumor sein.

    Auftretende Hautveränderungen können diffus oder umschrieben sein. Einige Beispiele:

    Rötung bei Mastitis oder inflammatorischem Mammakarzinom,

    Bestrahlungsfolge,

    Hautverdickung,

    „Peau d’orange" (Orangenhaut).

    Umschriebene Hautveränderungen wie Warzen, Atherome oder Narben können mammographisch einen intramammären Befund vortäuschen. Eine ekzematöse Veränderung der Mamille kann auf einen Morbus Paget (ein In-situ-Karzinom der Mamille, evtl. mit invasivem Anteil) hinweisen.

    Palpation

    Die ärztliche Tastuntersuchung muss einfühlsam und mit Rücksicht auf die individuelle Schmerzempfindlichkeit der Frau durchgeführt werden. Hierbei werden systamatisch beide Mammae abgetastet. Beurteilt werden die individuelle Konsistenz des Drüsenkörpers, dessen Beweglichkeit gegen Haut und Thoraxwand sowie die Abhebbarkeit der Mamille von ihrem Untergrund.

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