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"Können Sie denn gar nichts mehr für mein Kind tun?": Therapiezieländerung und Palliativmedizin in der Pädiatrie
"Können Sie denn gar nichts mehr für mein Kind tun?": Therapiezieländerung und Palliativmedizin in der Pädiatrie
"Können Sie denn gar nichts mehr für mein Kind tun?": Therapiezieländerung und Palliativmedizin in der Pädiatrie
eBook361 Seiten3 Stunden

"Können Sie denn gar nichts mehr für mein Kind tun?": Therapiezieländerung und Palliativmedizin in der Pädiatrie

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Über dieses E-Book

Mit Beiträgen von U. Baier-Schröder, G.D. Borasio, C. Burkhard, A. Duroux, W. Eisenmenger, A. Enders, A. Faschinger, G. Fröhlich, M. Führer, M. Griese, R.J. Jox, S. Müller, T. Nicolai, D. Niethammer, K. Reiter, A. Renz, T. Roser, I. Schmid, A. Schulze, M. Silc, C. Sommerauer, I. Wermuth, S. Zang, S. Zehentmeier
Diese im deutschen Sprachraum bisher einmalige Monographie gibt einen Einblick in die Problematik der Betreuung schwerstkranker und sterbender Kinder aus der Sicht der beteiligten Berufsgruppen (Ärzte, Pflegende, Sozialpädagogen, Seelsorger). Der Stand der Wissenschaft bei Schmerztherapie und Symptomkontrolle, juristische Aspekte und die Aufgaben der ambulanten Kinderkrankenpflege sowie die Rolle eines Kinderhospizes werden eingehend besprochen. Darüber hinaus diskutieren die Autoren Kernfragen der interdisziplinären Zusammenarbeit sowie verschiedene pädiatrische Krankheitsbilder mit ihrer speziellen Problematik am Lebensende und stellen modellhafte Versorgungsstrukturen als Ausblick für die Zukunft vor.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum14. Juni 2006
ISBN9783170272927
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    Buchvorschau

    "Können Sie denn gar nichts mehr für mein Kind tun?" - Monika Führer

    Geleitwort

    Dietrich Niethammer

    Der katholische Theologe Franz Böckle schrieb 1979 in einem Artikel mit der Überschrift »Menschenwürdig sterben« ein Kapitel mit dem Titel »Sterbehilfe als Lebenshilfe«, das er mit folgenden Worten begann: »Sterben ist ein Stück Leben. Tod und Sterben fallen nicht zusammen. Der Tod bedeutet ein Ende, einen Zustand . ... Das Sterben ist dagegen der Weg, den der Mensch in seiner letzten Lebensphase bis zum Tod zurücklegen muss. Es ist immer ein kürzeres oder längeres Stück Leben. Der Beistand, den wir den Sterbenden leisten, ist daher immer ein Stück Lebenshilfe, eine Hilfe im letzten beschwerlichen Stück unseres Lebens«.[1] Auch wenn der Autor sicher primär an das Sterben von Erwachsenen gedacht hat, so besteht keine Frage, dass das Gesagte ebenso für Kinder und Jugendliche gilt, die sterben müssen. Dieser Aufruf zum Helfen ist aber nicht nur an Seelsorger oder Laien gerichtet, sondern er gilt in gleicher Weise auch uns Ärzten. Die Kinderheilkunde hat – wie die gesamte Medizin in Deutschland – diese Aufforderung lange Zeit kaum wahrgenommen. Zu sehr war man wohl mit den Fortschritten der Diagnostik und Therapie beschäftigt, die in der Tat eindrucksvoll sind. Für die Befassung mit dem letzten Lebensabschnitt eines Menschen blieb so kein Raum. Natürlich gab und gibt es Kinderärzte, die die ihnen anvertrauten Patienten bis zum Schluss intensiv begleiten, und die Etablierung der psychosozialen Dienste an vielen Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin machen die zunehmende Sensibilisierung der Ärzte für die Not ihrer Patienten und deren Familien deutlich. Während in den angelsächsischen Ländern seit Beginn der 1990er Jahre Veröffentlichungen über Palliativmedizin sprunghaft zugenommen haben und die Diskussionen um die Einrichtung von Hospizen – auch für Kinder – einen immer breiteren Raum eingenommen haben, ist diese Entwicklung in Deutschland nur sehr zögerlich in Gang gekommen. Noch immer sehen das viele Ärzte nicht als ihre primäre Aufgabe an, noch immer ist die Schmerztherapie häufig unzureichend und noch immer hat die Palliativmedizin keinen hohen Stellenwert in der Ausbildung. Und außerhalb der Medizin ist es eher die aktive Sterbehilfe nach holländischem oder Schweizer Vorbild, die zu öffentlichen Diskussionen anregt. Selbst der Tübinger katholische Theologe Hans Küng hat vor einigen Jahren dazu aufgerufen, mit der Zielsetzung, ein menschenwürdiges Sterben zu erreichen, die aktive Sterbehilfe bei uns zu legalisieren. Ich hatte ihm damals auf diese Forderung geantwortet, dass immer dann Menschen menschenunwürdig sterben müssen, wenn sie in der letzten Phase ihres Lebens alleine gelassen werden. Und die tödliche Spritze ändert daran nichts, sondern sie enthebt die Betreuer nur ihrer Pflichten [2].

    Den Initiatoren dieses Buches für Palliativmedizin in der Pädiatrie ist zu danken, dass sie sich der Aufgabe gestellt haben, diesem Misstand entgegen zu wirken und Autoren gefunden zu haben, die die verschiedensten Aspekte kompetent erörtern. Mit dem von ihnen gewählten Untertitel »Therapiezieländerung und Palliativmedizin« haben sie auch deutlich gemacht, dass der Beginn der Sterbephase in der Tat mit der Änderung des therapeutischen Ziels einhergeht, nicht aber die Beendigung der ärztliche Tätigkeit bedeutet. Das ist wohl vielen Ärzten immer noch nicht bewusst. War bis zu diesem Zeitpunkt die Heilung das Ziel der ärztlichen Bemühungen, so sind es ab jetzt das Lindern und das Trösten, dass unsere Aufgabe bestimmt. Es geht also in diesem Buch ganz wesentlich um das ärztliche Handeln angesichts des Sterbens eines Menschen. Und natürlich geht es auch um die Rolle der Pflege und eines ganzen Teams von Menschen, deren intensive Zusammenarbeit im Interesse des Sterbenden und seiner Angehörigen unerlässlich ist. So wie wir es als Kinder bestaunt haben, wenn St. Martin den nackten Bettler in die Hälfte seines von ihm mit dem Schwert zertrennten Mantels einhüllt, so sollten wir nicht zaudern, den Mantel der Palliativmedizin um die Betroffenen zu legen. Im Unterschied zu St. Martin müssen wir aber den Mantel nicht zerteilen, sondern die Palliativmedizin ist ein wichtiger Teil der Medizin, der von ihr nicht getrennt gesehen werden kann. Ein anderer katholischer Theologe, Paul Sporken, sagt in seiner Schrift »Menschlich sterben« [3], dass es müßig sei zu fragen, wer dem Sterbenden den persönlichen Beistand leisten soll. Dies würde im Grunde der Patient selber bestimmen, indem er zu erkennen gibt, von wem er geholfen haben will. Das kann der Arzt, die Krankenschwester, ein Verwandter oder auch der Seelsorger sein. Und an anderer Stelle sagt er: «Jeder ehrliche Versuch, einem Sterbenden zu helfen ist an sich schon wertvoll. Wir dürfen es riskieren, dass wir es noch nicht vollkommen können.«[4] Aber bemühen sollten auch wir Ärzte uns darum, in dem wir unsere ärztliche Kompetenz auch auf dem Gebiet der Palliativmedizin zu vervollkommnen versuchen.

    Literatur

    [1] Böckle F. Menschenwürdig sterben. In: Honnefelder L. Rager G., ed. Ärztliches Urteilen und Handeln. Zur Grundlegung einer medizinischen Ethik. Frankfurt: Insel Verlag, 1994.

    [2] Niethammer D. Menschenwürdig sterben aus der Sicht des Arztes. In: Jens W., Küng H., ed. Menschenwürdig Sterben. Ein Plädoyer für Selbstverantwortung.

    München: Piper, p. 133–146, 1995.

    [3] Sporken P. Menschlich Sterben. Düsseldorf: E.A.Patmos, 1972.

    [4] Sporken P. Sterbebeistand: Aufgabe und Ohnmacht. In: Engelke, E., Schmoll, H.-J., Wolff, G., ed. Sterbebeistand bei Kindern und Erwachsenen. Stuttgart: Ferdinand Enke, p. 30–48, 1979.

    Vorwort

    Diese Monographie basiert auf dem 1. Münchner Symposium zur Pädiatrischen Palliativmedizin, das am 17.1.2004 im großen Hörsaal der Frauenklinik der Universität München stattfand. Das Symposium wurde von den Herausgebern dieses Bandes im Auftrag des Arbeitskreises Pädiatrische Palliativmedizin am Dr. von Haunerschen Kinderspital organisiert. Der Arbeitskreis hatte sich Anfang 2003 konstituiert und war in allen Bereichen der Münchner Universitätskinderklinik auf ein lebhaftes Echo gestoßen: alle zwei Monate treffen sich seitdem ca. dreißig Interessierte aus allen Professionen (Ärzte, Pflegende, Sozialarbeiter, Psychologen, Seelsorger, ambulante Pflegedienste, Kinderhospizinitiativen), um die neu entstehenden Aktivitäten in den Bereichen Kinderpalliativmedizin und Kinderhospizarbeit im Großraum München vorzustellen, zu vernetzen, und gemeinsam weiterzuentwickeln. Rasch war die Idee zu einem Symposium geboren, das als Titel die schwierigste Frage tragen sollte, welche Ärzten von Eltern in der Palliativsituation gestellt wird: »Können Sie denn gar nichts mehr für mein Kind tun?« Dieser Satz löst regelmäßig Ratlosigkeit, Trauer, und auch Wut über die eigene Ohnmacht in den Angesprochenen aus. Dass dem nicht so sein muss, dass Hoffnung auch einen Platz hat, wenn Heilung nicht mehr möglich ist, dass die moderne Palliativmedizin ein weites Spektrum an Möglichkeiten bietet, um den letzten Lebensabschnitt eines unheilbar erkrankten Kindes für alle Beteiligten lebenswert zu gestalten, dies alles sollte im Symposium zum Ausdruck kommen. Die Resonanz war mit über 350 Besuchern überwältigend, und die wiederholten Nachfragen nach einer schriftlichen Zusammenfassung der Inhalte haben uns ermutigt, den vorliegenden Band zusammenzustellen.

    Unser Dank gilt allen, die geholfen haben, damit die Publikation dieses Buches möglich wurde. Zuallererst sind wir der Elterinitiative Großhadern, und insbesondere ihrer Vorsitzenden, I.K.H. Prinzessin Ursula von Bayern, zu großem Dank verpflichtet. Die Unterstützung durch die Elterninitiative, die durch das Logo und das Motto »Ein Herz für kranke Kinder« auf der Titelseite unterstrichen wird, war für die Veröffentlichung von entscheidender Bedeutung. Den Autorinnen und Autoren danken wir für die große Mühe, die mit der Umwandlung eines mündlichen Vortrages in ein Buchkapitel regelhaft verbunden ist, sowie für die Geduld, mit der sie unsere Korrekturen und Nachfragen ertragen haben. Herrn Prof. Dr. Dietrich Niethammer gilt unser herzlicher Dank für seine Bereitschaft, dem Buch ein Geleitwort mit auf den Weg zu geben. Herr Prof. Dr. Dietrich Reinhardt, Direktor der Münchner Universitäts-Kinderklinik und Dekan der medizinischen Fakultät der LMU und Herr Dr. Poensgen vom Kohlhammer-Verlag haben das Projekt von Beginn an motivierend und unterstützend begleitet. Und last but not least möchten wir uns bei Frau Christina Forster für ihre engagierte, kompetente und immer hilfsbereite Art bei der Erstellung des Layout und des Stichwortverzeichnisses herzlichst bedanken.

    München, im Februar 2006

    Monika Führer

    Ayda Duroux

    Gian Domenico Borasio

    Einleitung

    Pädiatrische Palliativmedizin – Eine interdisziplinäre Herausforderung

    Monika Führer, Gian Domenico Borasio

    Der Begriff Palliativmedizin leitet sich vom lateinischen Pallium (der Mantel) ab. Dieses Bild des schützenden und lindernden Mantels beschreibt die Aufgabe, schwerkranke und sterbende Menschen und ihre Familien mit allen ihren Bedürfnissen wahrzunehmen und zu betreuen. Dabei steht nicht die Bekämpfung der Krankheit, sondern die Symptomlinderung und die Verbesserung der Lebensqualität im Vordergrund.

    Für den Kinderarzt ist es täglich geübte Selbstverständlichkeit, das Kind in der Beziehung zu seiner Familie und als sich entwickelnde Persönlichkeit mit unterschiedlichsten Bedürfnissen zu sehen. Die spezielle Beschäftigung mit dem Sterben und Tod von Kindern steckt hingegen gerade in Deutschland noch in ihren Anfängen. Pionierarbeit auf diesem Gebiet wurde in England geleistet, das weltweit erste Kinderhospiz – Helen House – wurde 1982 in Oxford eröffnet. Auch die WHO erkannte die Bedeutung einer adäquaten Symptomkontrolle und umfassenden Betreuung sterbender Kinder und verabschiedete 1998 eine eigene Definition für pädiatrische Palliativmedizin [1]. Um die extremen Belastungen, die sich aus der Diagnose einer lebensverkürzenden Erkrankung und dem Krankheitsverlauf ergeben, bewältigen zu können, benötigen Kinder und Jugendliche und ihre Familien umfassende medizinisch-pflegerische, psychosoziale und, wenn erwünscht, auch seelsorgerische Hilfe. Dies wird von der WHO-Definition als »aktive, ganzheitliche Betreuung für Patienten und ihre Familien, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind« beschrieben. Das Ziel ist die bestmögliche Lebensqualität für die Patienten und ihre Familien. Dieses Ziel ist nur in der interdisziplinären und multiprofessionellen Zusammenarbeit zu erreichen.

    Gerade an den Kinderarzt stellt die Palliativbetreuung hohe Ansprüche, da die betroffenen Kinder häufig seltene, sehr komplexe Krankheitsbilder zeigen und an vielfältigen belastenden Symptomen leiden. Einige Beispiele dafür finden sich in Abschnitt B dieser Monographie. Unsicherheiten in der Symptomkontrolle haben ihre Ursache in eklatanten Defiziten in der Aus- und Weiterbildung. Bisher ist die Palliativmedizin nur an einigen wenigen medizinischen Hochschulen verbindlich in das Curriculum aufgenommen. Zwei Kapitel befassen sich in Abschnitt C eingehend mit Schmerztherapie und Symptomkontrolle bei schwerstkranken Kindern. Häufig leiden Kinder mit starken Schmerzen unnötig, weil Eltern, aber auch Ärzte und Pflegende, den Einsatz von Opioiden fürchten oder aus Angst vor Abhängigkeit ganz ablehnen. Noch größer ist die Verunsicherung beim Einsatz von Opioiden in der Therapie der Atemnot, da hier die Sorge vor einer Verkürzung des Lebens besonders groß ist. Weitere Symptome, wie z. B. Übelkeit/Erbrechen, Depression oder Angst können große diagnostische Probleme verursachen und werden in ihrer Auswirkung auf die Lebensqualität häufig unterschätzt. Für eine gute Palliativmedizin ist es außerdem notwendig, den rechtlichen Rahmen für Entscheidungen am Lebensende zu kennen und sich in seinen Entscheidungen nicht durch tradierte »Mythen« (beispielsweise zum Nahrungs- und Flüssigkeitsbedarf von Sterbenden) sondern durch wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse (z. B. zum Krankheits- und Todesverständnis von Kindern und ihrer Einsichtsfähigkeit) leiten zu lassen. Zwei Kapitel beleuchten diesen Aspekt ärztlicher Praxis, dessen Unkenntnis oft zu unbegründeten Ängsten führt.

    Die bestmögliche Symptomkontrolle ist die Basis für jedes weitere Unterstützungsangebot im Rahmen der palliativmedizinischen Versorgung. Erst wenn das Kind weitgehend symptomfrei ist und die Eltern die Erfahrung gemacht haben, dass sie im Krisenfall mit rascher und kompetenter Hilfe rechnen können, bleibt der Familie genug Kraft, um psychische, soziale und spirituelle Bedürfnisse zu erkennen und entsprechende Angebote wahrzunehmen. Die Bereitstellung und Koordination dieser Angebote ist ein wesentlicher Bestandteil der pädiatrischen Palliativmedizin.

    Erste Initiativen und Konzepte für den Aufbau palliativmedizinischer Versorgungsstrukturen werden in Abschnitt C vorgestellt, wobei sowohl die Rolle der ambulanten Pflegedienste als auch die Möglichkeiten der neu entstehenden stationären Kinderhospize und das Modell einer Koordinationsstelle für pädiatrische Palliativmedizin beschrieben werden. Sie haben alle das Ziel, die Familien in einem Netz koordinierter Hilfe aufzufangen, um so Zeit und Raum für die wichtige Abschiedsarbeit in der Familie zu schaffen.

    Die beiden zentralen Ziele der pädiatrischen Palliativmedizin sind die Verbesserung der Lebensqualität des betroffenen Kindes oder Jugendlichen und seiner Familie und die Prävention von Störungen und Erkrankungen, die sich aus den Belastungen während der schweren Krankheit und aus einer erschwerten Trauer bei den Eltern und Geschwistern entwickeln können. Darüber hinaus bietet die bewusste, durch palliativmedizinische Kenntnisse gestützte Begleitung schwerstkranker Kinder und ihrer Familien für alle beteiligten professionellen und ehrenamtlichen Helfer die Chance, die eigenen Ansprüche und Ziele mit der Realität zu konfrontieren und eine persönliche Bereicherung zu erfahren.

    Literatur

    [1] World Health Organization: Cancer Pain Relief and Palliative Care in Children. WHO, Geneva 1998.

    Teil A: Grundsätze pädiatrischer

    Palliativmedizin – ein multiprofessioneller Überblick

    Die Rolle des Arztes

    Monika Führer

    Alles, was wir sind, unser Denken, unsere Haltung, was und wie wir sprechen, unser Tun und Lassen gestaltet die Welt, in der unsere Kinder leben und sterben.

    1 Der Arzt als Begleiter des Kindes

    »Ja die Kinder, sogar die ganz kleinen, hatten nicht irgendeinen Kindertod, sie

    nahmen sich zusammen und starben das, was sie schon waren, und das, was sie

    geworden wären.«

    Rainer Maria Rilke, aus »Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge«

    Die erste und wichtigste Aufgabe des Kinderarztes ist es, das Kind auf seinem Weg zu begleiten. Am häufigsten tut er das in gesunden Tagen, wenn er seine Pflichten der Für- und Vorsorge wahrnimmt. So lernt er das Kind als eine sich verändernde und entwickelnde Persönlichkeit kennen. Er erlebt das Kind von Anfang an als eigenständig in seinen Empfindungen und Bedürfnissen und verfolgt, wie es diese zunehmend zu artikulieren und durchzusetzen lernt. Dieses von Alter und Entwicklungsstand abhängige, individuell sehr unterschiedlich ausgeprägte und veränderliche Nebeneinander von Abhängigkeit und Autonomie kennzeichnen die besondere Beziehung zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen und damit auch seinem Arzt.

    Der Arzt muss sich stets bewusst sein, dass selbst ein sehr kleines oder schwer behindertes Kind empfindet und will. Das Kind als Patient ist der primäre Partner in der Kommunikation. Dies stellt erhebliche Anforderungen gerade auch an die nonverbalen Fähigkeiten der Kommunikation und Beobachtung von Kinderärzten. Die grundsätzliche Haltung, mit dem Kind und nicht über das Kind zu kommunizieren, wird von den Kindern häufig mit größerer Ruhe und Aufmerksamkeit, geringerer Angst und besserer Kooperation beantwortet. Die Basis der Kind-Arzt Beziehung wird dabei oft in den ersten Minuten des Kontaktes gelegt, muss aber immer wieder erneuert werden.

    Altersentsprechende und einfühlsame Kommunikation ermöglicht erst Anamnese, körperliche Untersuchung und weiterführende Diagnostik. Die Vorbereitung auf jeden einzelnen Schritt mit dem Kind kann ein aufklärendes Gespräch mit dem elfjährigen am Tag vor einem geplanten Eingriff ebenso wie ein freundliches Lächeln und beruhigende Worte für einen Säugling vor einer Blutentnahme sein. Kommunikation findet also immer vor dem Hintergrund der individuellen, entwicklungsbedingten Möglichkeiten des Kindes statt. So entwickeln Kinder erst allmählich die Fähigkeit der zeitlichen Einordnung. Für ein Kleinkind ist die Gegenwart entscheidend, Zukünftiges ordnen kleine Kinder gerne mit Hilfe des Tag/Nacht-Wechsels ein, etwa wenn sie darauf bestehen, dass man ihnen sagt, wie oft sie bis zu einem ersehnten Ereignis, wie z. B. der Entlassung aus dem Krankenhaus, noch schlafen müssen.

    Empfindungen und Willen des Kindes zu achten, heißt jedoch nicht, es mit nicht altersgemäßen Entscheidungen zu überfordern.

    In der Betreuung schwerstkranker und sterbender Kinder sind diese kommunikativen Fähigkeiten des Arztes ganz besonders gefordert. Nach der Definition der WHO für die Palliativversorgung von Kindern beginnt diese bereits mit der Diagnose einer Krankheit, die zu einer deutlich verkürzten Lebenserwartung mit dem voraussichtlichen Tod im Kindes- oder Jugendalter führt. Das bedeutet, dass bereits mit dem Diagnosegespräch die besondere, aktive, die Familie mit einbeziehende Betreuung eingeleitet wird (Textkasten 1). Die Begleitung wird von diesem Zeitpunkt an geprägt von unterschiedlichen Anteilen kurativer und palliativer Angebote. Die Entwicklung ist dabei selten linear und spiegelt das Auf und Ab von Hoffnung auf Heilung und Akzeptanz eines frühen Todes wieder.

    Textkasten 1

    Die Palliativversorgung von Kindern umfasst die aktive Betreuung der körperlichen, geistigen und spirituellen Bedürfnisse des Kindes vom Zeitpunkt der Diagnosestellung an und schließt die Unterstützung der Familie mit ein. ...

    Eine effektive Palliativversorgung benötigt einen multidisziplinären Ansatz, der die Familie einbezieht und regionale Unterstützungsangebote nutzbar macht.

    (WHO, 1998)

    Manchmal haben diese Kinder bereits eine lange Krankheitsgeschichte mit zum Teil traumatisierenden Erfahrungen hinter sich, manchmal haben sie die einschneidende Erfahrung gemacht, dass sie Fähigkeiten und Autonomie, die sie eben erst erworben haben, wieder verlieren. Bei einem relativ großen Teil der betroffenen Kinder (Abb. 1) beginnt die Erkrankung bereits in der Neonatalperiode, sie kommen bereits krank oder behindert zur Welt und verbringen oft einen großen Teil ihrer frühen Kindheit in Kliniken. Ihre Entwicklung ist durch ihre Erkrankung, aber auch durch die äußeren Bedingungen, eingeschränkt. Dabei können die seelische, geistige und körperliche Entwicklung diskordant verlaufen. Die Krankheitserfahrung schränkt die kindliche Erlebniswelt ein. Trotz all dieser Einschränkungen wissen schwerkranke Kinder um ihren Zustand, sie nehmen oft sehr aufmerksam Veränderungen in ihrem Befinden, aber auch in den Gesichtern und im Verhalten der Menschen in ihrer Umgebung wahr. Die erste Informationsquelle der Kinder über ihren eigenen Zustand ist ihr Körper. Gerade sehr kleine Kinder oder Kinder mit langer Krankheitserfahrung spüren, wenn ihre Kraft zu Ende geht.

    Der Arzt muss in seiner Kommunikation mit dem sterbenden Kind vor allem offen sein für die Signale, die vom Kind ausgehen. Ehrlichkeit bedeutet für das Kind, mit seinen Fragen und Ängsten nicht alleine zu bleiben [1]. Ehrlichkeit bedeutet, dem Kind ungestörten Raum zu geben und dabei zu akzeptieren, dass Kinder sich die Personen ihres Vertrauens selbst aussuchen. Ehrlichkeit bedeutet nicht, das Kind mit einer Wahrheit zu überfallen, nach der es nie gefragt hat.

    1.1 Die Vorstellung von Krankheit, Sterben und Tod entwickelt sich mit dem Kind

    Grundlage aller Kommunikation mit dem Kind sind die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie [2]. Die Vorstellungen von Tod und Sterben verändern sich entsprechend der verschiedenen Entwicklungsstufen. Zunächst erlebt sich der Säugling noch als Einheit mit der unmittelbaren Bezugsperson, meist der Mutter. Indem das Kind das eigene Getrenntsein erfährt und sich gleichzeitig an seine engsten Bezugspersonen bindet, entwickelt es Vertrauen zu vertrauten, aber auch Angst vor fremden Menschen. Körperliche Missempfindungen werden als sehr bedrohlich empfunden. In den ersten beiden Lebensjahren haben Kinder noch keine Vorstellung von Krankheit und Tod. Neben dem unmittelbar körperlichen steht das seelische Leiden durch Trennung im Vordergrund.

    Kinder im Alter zwischen 3 und 5 Jahren können insbesondere mit der Dimension Zeit noch nicht umgehen und verstehen Tod nicht als endgültig und irreversibel. Magisches, egozentrisches Denken lässt Kinder diesen Alters häufig an ihre eigene Allmacht und die ihrer Eltern glauben. Auch in dieser Altersgruppe spielt Trennungsangst die größte Rolle, sie kann in diesem Alter jedoch vom Kind geäußert werden. Die Versicherung durch die Eltern oder andere wichtige Bezugspersonen, »... dass ich Dich nicht allein lasse, solange Du mich brauchst«, nimmt dem Kind diese fundamentale Angst.

    Ab dem Vorschul- oder frühen Schulalter erkennen die meisten Kinder im Tod etwas Endgültiges, sie verstehen, dass ein Mensch, der gestorben ist, nicht wiederkommt. Diese Erkenntnis ist schon für gesunde Kinder ängstigend, besonders dann, wenn sie bei ihren Fragen nach dem, was nach dem Tod kommt, Unsicherheit und Ratlosigkeit bei ihren Bezugspersonen spüren. Da sich Kinder in diesem Alter bereits stärker nach außen öffnen, suchen sie die Beantwortung ihrer Fragen oft nicht mehr nur im Gespräch mit den Eltern. Wird Tod und Sterben durch eigene Krankheitserfahrung oder Todesfälle in der nächsten Umgebung zu einem wichtigen Thema, wenden sich die Kinder auch an Erzieher, Lehrer, Krankenschwestern und mit zunehmendem Alter auch an andere Kinder. Damit ist es z. B. völlig unmöglich, Kindern aus gut gemeinter Schonung den Tod eines kleinen Gefährten auf der Station zu verheimlichen. Kinder mit ihren Phantasien über den Tod anderer oder den eigenen Tod alleine zu lassen, ist gerade in diesem Alter besonders problematisch, da die 5–10Jährigen den Tod häufig personalisieren und dazu neigen, sich schuldig zu fühlen und Krankheit und Tod als Strafe zu erleben. Zudem haben oft schon Kinder in diesem Alter das Bedürfnis, ihre Angelegenheiten zu regeln. Sie möchten bestimmte Menschen noch einmal sehen, etwas essen oder tun, was vielleicht während der intensiven Behandlung verboten war, und häufig verschenken sie Dinge aus ihrem Besitz oder bestimmen, wer ihr Lieblingsspielzeug nach ihrem Tod bekommen soll. Dabei entwickeln manche Kinder eine plötzliche Rastlosigkeit, die die Bedeutung dieses Abschließens sichtbar macht. Sie kommen erst zur Ruhe, wenn diese Aufgabe erfüllt ist. Fragt man Eltern nach dem Tod ihres Kindes, ob sie mit dem Kind über sein Sterben gesprochen hatten, so bereute kein Elternteil, ein solches Gespräch geführt zu haben, aber immerhin 27 % der Eltern, die mit ihrem Kind nicht gesprochen hatten, bereuen dies später, insbesondere dann, wenn sie das Gefühl hatten, dass das Kind sich seines nahenden Todes bewusst war [3].

    Ältere Kinder und Jugendliche unterscheiden sich hinsichtlich ihres Todesverständnisses nicht mehr wesentlich von Erwachsenen. Sie sind in der Lage, die Universalität, Endgültigkeit und Unvermeidlichkeit des Todes anzuerkennen. Sie sind in

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