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Der Roman eines geborenen Verbrechers
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eBook170 Seiten2 Stunden

Der Roman eines geborenen Verbrechers

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Über dieses E-Book

In dieser Autobiografie eines Mörders und Gewohnheitsverbrechers liest man im ersten Teil eine genaue Exploration durch Ärzte und Psychiater und im zweiten Teil, die selbst geschriebenen Zeilen von Antonio M.
SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum20. Dez. 2016
ISBN9783736835214
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    Buchvorschau

    Der Roman eines geborenen Verbrechers - Antonio M.

    Vorrede

    Dieses Buch kann und soll nicht nach gewöhnlichen Gesichtspunkten beurteilt werden: Der Titel Roman ist subjektiv gerechtfertigt, insofern die Empfindung, welche den Helden dieser Blätter veranlaßte, sie zu schreiben, sicher nicht von der verschieden ist, welche viele zeitgenössische Autoren veranlaßte, ihre Gedanken und Gefühle in einer oft selbstbiographischen Form herauszugeben. Dostojewski's »Schuld und Sühne«, Zola's »Bête humaine« und Gabriele d'Annunzio's »Giovanni Episcopo« und »l'Innocente« sind die letzten Proben dieser pathologischen Litteratur, wo die Genialität der Verfasser zu einer tiefen Intuition krankhafter Bewußtseinsphasen sich erhebt und die Kunst das Ansehen der Wahrheit erreicht.

    In diesem Fall ist die Kunst arm, aber die Aufrichtigkeit ist vielleicht größer, und die Unerfahrenheit des Verfassers dient dazu, ihr Relief zu geben; denn wenn das Wahre sich hervorhebt und einen unverkennbaren stilistischen Ausdruck annimmt, so kann das Unwahre nicht, wie bei den berufsmäßigen Schriftstellern, den Firnis stilistischen Schmuckes oder der angenehmen Täuschung erlangen.

    So kommt es, daß das, was nach der Absicht des Verfassers ein Kunstwerk sein sollte, in der That ein wissenschaftliches Dokument geworden ist.

    Der Verbrecher, diese antisoziale Individualität kann sich mit Recht als die great attraction der zeitgenössischen Litteratur bezeichnen: Feuilletonromane und Gerichtsberichterstattung, um nicht vom wirklichen Kunstwerk zu reden – alles dreht sich um den Verbrecher und die verschiedenartigsten Gefühle werden wachgerufen; das gewöhnliche Interesse, das sich am Unwahrscheinlichen entzündet, das Mitleid mit dem Unglück, die Hoffnung auf die Rehabilitation, der Fatalismus.

    Auch die Wissenschaft ist der Frage näher getreten, und wenn die Kunst das Interesse des Abenteuers dem des psychologischen Einzelfalls hintanstellt, so tritt für die Wissenschaft das Studium des Verbrechens hinter dem Studium des Individuums zurück. Zwischen der Darstellung des Verbrechers, wie sie von den alten und wie sie von den neuen Schriftstellern geübt werden, ist genau derselbe Unterschied wie zwischen dem althergebrachten Studium des Verbrechens, das durch die Macht der Tradition noch in den Gesetzen herrscht, und der neuen Wissenschaft, welche das Studium des Verbrechers fordert.

    Aber die Wissenschaft hat notwendiger Weise vorerst in der Allgemeinheit stehen bleiben müssen, sie mußte Hunderte und aber Hunderte von Verbrechern beobachten, um das mehr  oder weniger häufige Wiederkehren eines physischen oder psychischen Charakters zu erkennen, und aus diesen Beobachtungen sind Theorien hergeleitet, welche nicht immer auf jeden einzelnen Fall passen. Ebenso wie die Bewohner eines Landes nicht völlig dem Nationaltypus entsprechen, ebenso wenig entsprechen die Insassen der Gefängnisse dem Verbrechertypus.

    Diese Mannigfaltigkeit der kriminellen Elemente, die nur eine Folge der Mannigfaltigkeit der Ursachen ist, von denen die Menschengeschicke abhängen, ließ den Typus in der Vorstellung der Gelehrten unbestimmt und unsicher erscheinen.

    Lombroso, der eine graphische Reproduktion des typischen Verbrecherschädels erlangen wollte, nahm seine Zuflucht zur zusammengesetzten Photographie, indem er die zu einer Aufnahme nötige Zeit in sechs Abschnitte teilte, und in jedem dieser Abschnitte einen anderen Schädel vor das Objekt brachte. Auf diese Weise wiederholten sich die jedem Schädel gemeinsamen Züge und kamen schärfer zum Ausdruck, und während die Photographie nicht als die Reproduktion eines einzelnen bezeichnet werden konnte, ähnelte sie allen in ihren typischen Elementen.

    »Der Typus ist eine synthetische Impression«, hat Gratiolet gesagt. Und Goethe definierte ihn als ein »abstraktes und allgemeines Bild«.

    Geoffroy St.-Hilaire schrieb: »Der Typus einer Art zeigt sich niemals unseren Augen, er erscheint nur unserm Geist. Er ist eine Art festen und gemeinsamen  Mittelpunktes, um den sich die verschiedenen Differenzierungen als Abweichungen und Schwankungen gruppieren.«

    Anderseits schien das Studium des Typus notwendiger als das des Einzelfalls, da ja die synthetische Impression immer dem analytischen Studium voraufgeht.

    Heutzutage glaubt man diese synthetische Impression erreicht zu haben, und der Verbrecher wird physisch und psychisch als ein Typus beschrieben, der zwischen dem Wilden, dem Epileptiker und dem moralisch Irrsinnigen rangiert.

    Gegen diesen Glauben lehnt sich das analytische Studium auf. Nachdem die typischen Verbrechercharaktere abstrakt beschrieben sind, läßt sich feststellen, wer als Verbrecher angesehen werden kann, und man kann zum Studium des Individuums fortschreiten.

    Das hat zuerst Lombroso erkannt, der in seinem »Archiv« zahlreiche Einzelfälle beschreibt und in seinem »Palimsesti del carcere« verschiedene Selbstbiographien von Verbrechern veröffentlicht hat. Aber vielleicht ist das Studium immer ein hastiges gewesen, da es mehr dem Zweck dienen mußte, dem allgemeingiltigen Gesetz die Grundlage zu liefern, als die Untersuchung der Einzelfälle zu vertiefen und zu beleben. Und daraus kann man keinen Vorwurf herleiten, die Wissenschaft war dazu noch nicht reif und hatte anderes und dringlicheres zu thun.

    Diese Veröffentlichung soll einen Beitrag bilden zu dem Studium der Verbrecherpersönlichkeit, einerseits durch  den Bericht der Erlebnisse, die der Verbrecher mit eigener Hand niedergeschrieben hat, andererseits durch das Gutachten des berühmten Gelehrten Silvio Venturi, Professors an der Universität Neapel und Direktors des Irrenhauses zu Girifalco, der Gelegenheit hatte, den Verbrecher zu beobachten und zu studieren.

    II

    Der Held dieses Buches lebt und befindet sich zur Zeit in einem der zahlreichen Gefängnisse des Königreichs Italiens. Mit Rücksicht auf seine Familie und seine Kinder habe ich seinen Namen nicht vollständig gegeben und die Namen vieler Persönlichkeiten verschwiegen. Wenn er von dieser Veröffentlichung wüßte, würde er wahrscheinlich gegen diese Unterdrückung protestieren, die doch nichts weiter ist als ein Akt der Rücksicht gegen sein Unglück. Es ist unzweifelhaft, daß er von der Publikation seines Buches seine Rehabilitation erwarten würde, denn er nennt sich stets einen Unglücklichen, nie einen Schuldigen, und widmet seine Denkwürdigkeiten, die so voll Schmutzigkeiten sind, dem Liebling unter seinen Söhnen.

    Indessen sein Name existiert heute nicht mehr, statt dessen trägt er eine Nummer, denn das Gesetz hat ihn jeder Persönlichkeit entkleidet, und sein Name gehört nur seinen armen Kindern. Die elementarste Menschlichkeit mußte mich veranlassen, den Namen eines Mannes zu verschweigen, den das Gesetz der bürgerlichen Rechte beraubt  und die Wissenschaft der moralischen Verantwortlichkeit bar erklärt hat.

    Besser als sein Name wird seine Erzählung und die im vorigen Jahre aufgenommene Photographie wirken, und das Zeugnis des Prof. Venturi dürfte jeden Zweifel über die Authentizität zerstreuen.

    Ich habe M… nicht gesehen und kann mir ein Urteil über ihn nur aus dem Kontrast bilden, welcher zwischen seiner Selbstbiographie und seinem wirklichen Lebenslauf besteht.

    Venturi, der berühmte Verfasser der Degenerazioni psicosessuali, der bei dem letzten Prozeß gegen M… als Sachverständiger hinzugezogen wurde, hat sich lebhaft zum Studium des Helden hingezogen gefühlt; ihm übergab M… das Manuskript seiner Denkwürdigkeiten, und auf diesem Wege ist es an mich gelangt. Ich würde es nicht veröffentlicht haben, wenn mir der wissenschaftliche Beistand des Psychiaters gefehlt hätte, und wenn dieser mich nicht in den Stand gesetzt hätte, die objektive Wahrheit gegenüber der subjektiven Darstellung des M… festzustellen.

    Nach den Ermittelungen Venturi's gebe ich im Folgenden eine Biographie des M…, welche in vielen Fällen den Schlüssel zum Verständnis der Selbstbiographie abgeben, deren Lücken ausfüllen und die Fälschungen aufdecken wird, die entweder von einer ihm oft selbst unbewußten irrtümlichen Auslegung der Dinge oder von der Verbrechereitelkeit diktiert sind.

    III

    Antonino M… wurde in Parghelia, Provinz Catanzaro, im Jahre 1850 geboren. Er ist heute 42 Jahre alt. Er war einer jener kleinen Grundbesitzer, die für die südlichen Provinzen charakteristisch sind. Seine Eltern sind tot; sein Vater starb im Alter von 45 Jahren an Bauchfelltuberkulose (tabes mesenterica), die Mutter mit 37 Jahren in der Entbindung. Der Vatersbruder starb als Verrückter, er hatte eine bescheidene Bildung, aber glaubte, daß er an Gelehrsamkeit und Weisheit unerreicht dastehe, er litt an gelegentlichem Verfolgungswahn, so daß er mehrere Male in große Erregung geriet, weil er meinte, daß unter seinem Bette Soldaten verborgen seien, die ihm nach dem Leben trachteten, und daß er sich von den Leuten, die nur in seiner Phantasie lebten, dadurch befreien wollte, daß er sein Haus ansteckte.

    Eine Vaterschwester, die noch lebt, wird in der ganzen Stadt die »Verrückte« genannt, sie führt ein einsiedlerisches Leben, flucht unaufhörlich und läuft aus dem Hause.

    M… hat einen Bruder und eine Schwester, die gesund sind.

    Im Alter von 10 Jahren wurde M… mehrere Monate krank, man hielt ihn für schwindsüchtig, aber er genas vollständig. Er genoß keinen anderen Unterricht, als in der Elementarschule seiner Vaterstadt, einer Schule, die vor dreißig Jahren als ein legalisierter Analphabetismus bezeichnet werden kann. Das ist bemerkenswert, denn es macht die Proben von Genie, die sich in der Selbstbiographie fanden, noch auffälliger.

    Mit siebzehn Jahren begannen die Verhängnisse seines – wie er es nennt – bejammernswerten Lebens. Eines Tages schoß er auf öffentlichem Platz, ohne ersichtlichen Grund, nur um eine seinem Bruder zugefügte Kränkung zu rächen – auf einen Landsmann, der sofort eine Leiche war. Der Gerichtshof in Monteleone verurteilte ihn zu fünf Jahren Gefängnis.

    Hier schloß er Freundschaft mit den berühmtesten Camorristen jener Zeit; die berüchtigsten kalabrischen Briganten, die in den Gefängnissen Catanzaros saßen, waren, wie er sagt, seine treuesten Freunde.

    Er nahm an einem Aufstand im Gefängnis teil, der durch das Eingreifen der Zivilbehörden von Catanzaro beigelegt wurde. Von hier aus kam er nach Pizzo, dann nach Lucera di Puglia.

    In Pizzo blieb er nur einen Monat, aber das genügte schon für ihn, die Strafgefangenen zu einem Fluchtversuch zu verleiten, der nur durch Zufall mißlang.

    Von Pizzo kam er nach Neapel in das Gefängnis del Carmine, wo er von dem Haupt der Camorristen herzlich aufgenommen wurde. Fortan hatte er seinen Genossen Liebe und Achtung und dem Masto blinden Gehorsam geschworen; er war Mitglied der Camorra. Mit lebhaftem Verstand begabt, begriff er rasch die Regeln der Gesellschaft, sein Name war bekannt und gefürchtet wie der eines alten Genossen. Von Neapel kam er nach Foggia und dann nach Lucera mit einigen Gefährten, die ihn als Haupt der Camorra anerkannten.

    So fand er, ein Jüngling noch, ehe er noch den Einfluß der ersten Strafe richtig gefühlt hatte, welche Verbrecher von nicht verdorbenen Anlagen demütigt, im Gefängnis einen Ort, welcher der Entwickelung einer verbrecherischen Persönlichkeit Vorschub leistet, die nur schlechter und raffinierter aus dem Gefängnis heraus kommt: der impulsive und blutdürstige Charakter hat dort oft Gelegenheit, hervorzubrechen und nicht immer in richtiger Beziehung zu den Thatsachen, die entweder falsch interpretiert werden oder sich als kleine Funken erweisen, welche einen ganzen Brand entfachen, der von dem immer brennenden Herd ausgeht. Wenig fehlte und er hätte eines Tages den Krankenwärter erschlagen, der nach seiner Darstellung in das Chinin Kalkstaub mischte.

    Von Lucera, wo ihn das Sumpffieber heimsuchte, kam er nach der Strafanstalt zu Neapel. Hier setzte er sich sofort mit den Camorristen in Beziehung und nahm Teil an einem heftigen Kampf zwischen kalabrischen und neapolitanischen Camorristen, einer wahren Schlacht, bei der sechzehn tötlich verwundet, einem Wächter die Eingeweide ausgerissen, zwei getötet und einer leicht verwundet wurde. Von Natur blutdürstig, fand er im  Kampf seine eigentliche Atmosphäre. Als Camorrist tätowierte er sich, indem er sich auf die Brust ein Losungswort der Camorra schrieb: Tod der Schmach!

    IV

    Nach verbüßter Strafzeit kehrte er nach Parghelia zurück, blieb hier einen Monat und wurde dann Soldat. Auch als solcher setzte er sein schlimmes Leben fort. Er duldete keine Vorwürfe, keine Tadel, verachtete die Vorgesetzten, verlor ihre Achtung und zettelte Intriguen gegen sie an. Seine gewaltthätige, blutdürstige, bösartige Natur wurde durch ein übertriebenes Selbstgefühl angestachelt: überall witterte er Nachstellung, Mangel an Respekt, Verrat; überall sah er Kränkungen und Aufreizungen.

    Zeitweilig war er ruhig und friedlich; während solcher immer kurzen Periode war er freundlich gegen die Kameraden, die Vorgesetzten und seine fern weilende Familie. Aber plötzlich war das vorbei, die Luft nahm in seinen Augen eine andere Farbe an, und Zorn- und Wutausbrüche, Flüche, Blut- und Rachedurst waren die Folgen, ohne einen anderen Grund, als daß ein Wort oder eine Handlung mißgedeutet wurde, die für jeden anderen ohne Belang gewesen wären.

    Eines Tages gebot ein Vorgesetzter ihm Ruhe – er ohrfeigte ihn und versuchte ihn zu töten. Er wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt; nachdem diese verbüßt waren,

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