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Freundschaften und Cromwells Kopf
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eBook273 Seiten3 Stunden

Freundschaften und Cromwells Kopf

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Über dieses E-Book

Roland Olivier kehrt nach zwei Jahrzehnten an seinen Studienort Cambridge zur Beerdigung seines Freundes David Jonathan zurück. Seine Reise in die Vergangenheit beginnt im legendären Pub „Eagle“, in dem die Freunde Francis Crick und James Watson am 28. Februar 1953 den staunenden Kneipengästen verkünden, dass sie das Geheimnis des Lebens entdeckt haben. Inspiriert von Crick und Watson wollten Roland und David auch ein ungelöstes Geheimnis des Lebens enträtseln – das Geheimnis der Freundschaft. In der Universitätsbibliothek will Roland den vor 20 Jahren verlorenen Faden wieder aufnehmen. Durch ein Versehen wird er dort eingeschlossen und hat viel Zeit – es ist Ostern – für sein Vorhaben, was ihm recht ist. Rolands Streifzug führt ihn weit zurück, bis vor die Mauern von Troja und zu dem legendären Achilles, von dort aus verfolgt er die Spur der Freundschaft durch mehr als zwei Jahrtausende auf vielen Ebenen. Dabei entsteht ein dichtes, buntes Mosaik aus philosophischen und anderen Betrachtungen, Literatur, Geschichte, Geschichten – immer wieder ergänzt und zusammengefügt durch Rolands Reflexionen, Handlungen und Erinnerungen. Als die Grenzen verschwimmen, entsteht etwas gänzlich Neues. Und so wird auch noch das Geheimnis gelüftet, wie Vinetas Glocken klingen.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum8. Juni 2022
ISBN9783748760313
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    Buchvorschau

    Freundschaften und Cromwells Kopf - Axel Schnell

    ZUM GELEIT

    Roland Olivier kehrt nach zwei Jahrzehnten an seinen Studienort Cambridge zur Beerdigung seines Freundes David Jonathan zurück. Sie hatten sich vor 20 Jahren aus den Augen verloren. Rolands Reise in die Vergangenheit beginnt im legendären Pub „Eagle", in dem die Freunde Francis Crick und James Watson am 28. Februar 1953 verkünden, dass sie das Geheimnis des Lebens entdeckt haben. 1962 erhielten die chaotisch-genialen Forscher für die erfolgreiche Entschlüsselung der DNA den Medizinnobelpreis. Inspiriert von Crick und Watson wollten Roland und David auch ein ungelöstes Geheimnis des Lebens enträtseln – das Geheimnis der Freundschaft. Sie ist nicht mit Regeln zu erzwingen oder zu gängeln wie andere menschliche Beziehungen. Freundschaft bewegt sich außerhalb gesellschaftlicher Normen, schafft sich seit vielen Jahrhunderten einen eigenen Raum und hat ihr Geheimnis nie ganz enthüllt.

    Schon die antiken Philosophen hatten sich intensiv mit der Freundschaft, ihren Formen und ihrer Bedeutung auseinandergesetzt. Aristoteles’ Gedanken lieferten ein Fundament, das bis heute trägt. Für den Philosophen war Freundschaft Bestandteil des Glücks, etwas, das unabdingbar zum „gelingenden Leben" gehörte.

    Roland und David waren nicht nur Freunde, sie hatten auch versucht, das Geheimnis der Freundschaft in seiner ganzen Tiefe zu ergründen. In der Universitätsbibliothek will Roland den vor 20 Jahren verlorenen Faden wieder aufnehmen. Durch ein Versehen wird er in die Bibliothek eingeschlossen und hat viel Zeit – es ist Ostern – für sein Vorhaben, was ihm recht ist. Rolands Streifzug führt ihn weit zurück, bis vor die Mauern von Troja und zu dem legendären Achilles, von dort aus verfolgt er die Spur der Freundschaft durch mehr als zwei Jahrtausende. Er liest Platon, der mit seinem Freund eine Diktatur der Philosophen errichten wollte, Aristoteles, Cicero, für den ohne Freundschaft die Sonne aus der Welt wäre, Plutarch, der schon früh Hinweise gibt, wie man den Schmeichler vom Freund unterscheidet. Vom Mittelalter, das nur die Freundschaft in Gott kennt, gelangt Roland zur Renaissance und der Wiedergeburt der Antike mit ihrer Tugendfreundschaft. Über die Aufklärung, das 18. Jahrhundert, das wegen seiner geradezu kultischen Verehrung der Freundschaft Jahrhundert der Freundschaft genannt wird, die Industrielle Revolution gelangt er schließlich ins 20. Jahrhundert. Roland verfolgt nicht nur die Gedanken der Philosophen, sondern auch die der Dichter.

    Große Namen der Literatur gehören dazu, aber auch ein populärer Autor wie Karl May. Seine Literatur hat immer wieder maßgeblich junge Menschen beeinflusst. Die Liste seiner Fans und Bewunderer liest sich stellenweise wie das Who is Who der deutschen Literatur, Philosophie und Politik. Dazu gehören Ernst Bloch, Heinrich Mann und Hermann Hesse.

    Aber es geht nicht nur um die Geschichten der Freundschaft, sondern auch um ihre Geschichten. Berühmte Freundespaare werden lebendig, wie Lessing und Mendelssohn, Goethe und Schiller. Diese Geschichten sind manchmal auch skurril. So ließ sich Goethe nach der Umbettung Schillers den Schädel des Freundes in seine Bibliothek bringen und ehrte ihn mit einem Gedicht. Sie zeigen darüber hinaus, wie sehr sich Freunde gegenseitig beflügelt haben und dadurch reiche Kulturschätze entstanden sind. Und ganz nebenbei entpuppt sich Knigge als Enfant terrible und Lessing als gefürchteter Feuilletonist.

    Dieses Buch verfolgt das Thema Freundschaft auf vielen Ebenen durch die Zeiten. Dabei entsteht ein dichtes, buntes Mosaik aus Theorien, Literatur, Geschichte, Geschichten – immer wieder ergänzt und zusammengefügt durch Rolands Reflexionen und Erinnerungen. Und als die Grenzen verschwimmen, wird auch das Geheimnis gelöst, wie die Glocken von Vineta klingen ... 

    DAS GEHEIMNIS DES LEBENS

    Das Geheimnis des Lebens wurde am 28. Februar 1953 in einem Pub in Cambridge von zwei Stammgästen enthüllt. Neun Jahre später erhielten sie dafür den Medizin-Nobelpreis. Zwischen Ale und Scotch verkündeten die beiden Freunde Francis Crick und James Watson die erfolgreiche Entschlüsselung der Erbsubstanz DNA. Es war das erste Mal, dass sie ihr Doppelhelix-Modell in der Öffentlichkeit vorstellten.

    Mehr als 50 Jahre später trank Roland Olivier an einem Gründonnerstag im Traditionspub „Eagle sein zweites Ale. Auch er war einem Geheimnis des Lebens auf der Spur, aber im Gegensatz zu Crick und Watson wusste er es noch nicht. Und es sah am Anfang auch noch nicht so aus. Der 46-jährige Deutsche war nach 20 Jahren in den Ort und den Pub seiner Studentenzeit zurückgekehrt. Was ihn hierhergebracht hatte, war nicht das Leben, sondern der Tod. David Jonathan, sein bester Freund aus dieser längst vergangenen Zeit, war bei einem Segelunfall ertrunken. Die beiden Freunde hatten im Laufe der Jahre den Kontakt zueinander zunehmend verloren und sich nur noch sporadisch geschrieben. Als Roland Olivier die Todesnachricht erhielt, machte er sich auf den Weg. Von der offiziellen Zeremonie hatte er sich früh abgesetzt. Er fand, das war eine Sache zwischen ihm, David und dem „Eagle, in dem er sich jetzt melancholisch an die alten Zeiten erinnerte. Hier hatten sie sich früher stundenlang die Köpfe heißgeredet. Hier hatten sie große Pläne geschmiedet – und auch über Crick und Watson gesprochen, von deren Großtat ein Metallschild an der Außenwand des Pubs kündet. Es gab Zeiten, da wollten die beiden Freunde einfach genauso berühmt werden wie die mehr als unkonventionellen Forscher und möglichst auf eine vergleichbare Art.

    Die chaotisch-genialen Doktoranden Watson und Crick waren ihrem Institutsleiter ein Dorn im Auge. Eigentlich sollte Watson über Viren und Crick über Proteine forschen, aber dazu zeigten sie keinerlei Neigung. Sir Lawrence Bragg, Institutsleiter und Nobelpreisträger, hatte sie in ein gemeinsames Büro verbannt, weil er das Gespann keinem der Kollegen zumuten wollte. Crick und Watson zeigten keinen Respekt vor den wissenschaftlichen Gepflogenheiten ihrer Zeit. Sie waren schrill, schräg, machten Witze – dann nervte Crick seine Kollegen mit lautem Gelächter – und wechselten urplötzlich zu scharfsinnigen und genialischen Betrachtungen, denen nicht unbedingt alle folgen konnten – oder wollten.

    Aber die Verbannung war nicht wirklich ein Ärgernis für die beiden Freunde. Denn mit Büros hatten sie es sowieso nicht so und Labore waren auch nicht ihre Welt. Lieber schlenderten sie wild gestikulierend über den Campus von Cambridge oder gingen gleich ins „Eagle. Zeitzeugen erinnern sich daran, dass die beiden künftigen Nobelpreisträger stundenlang über zwei große Themen redeten: DNA-Strukturen und Mädchen. Rund 50 Jahre später erklärte Watson in einem Interview: „Ich entdeckte die Struktur der Gene, weil ich eine Freundin finden wollte. Das ist wahrscheinlich ganz normal. Warum kauft man ein altes Gemälde? Um Frauen zu gefallen. Warum macht man Karriere? Um ein Mädchen zu kriegen. Ich war damals 25 und hatte mehr die Mädchen als die Gene im Kopf.

    Crick und Watson waren auf eine grandiose Weise ignorant: Einige der besten Wissenschaftler hatten damals die Erforschung der DNA auf ihre Fahnen geschrieben. Bekannt war, dass der Bauplan des Lebens in der Zelle sitzt und aus Basen besteht. Auf Röntgenaufnahmen war schon schemenhaft etwas zu erkennen, das wie eine verdrehte Strickleiter aussah – die DNA. Das ungelöste Rätsel war, wie die Basen in dieses Grundgerüst passten. Und anfangs sah es auch nicht so aus, als ob ausgerechnet Crick und Watson die Antwort darauf finden könnten. Sie hörten sich die Ergebnisse an, aber sie hörten nie genau zu. Wenn sie der etablierten Forscherelite ihre Schlussfolgerungen vorstellten, war das wissenschaftliche Desaster deswegen schon vorprogrammiert.

    Der renommierte Molekularbiologe Erwin Chargaff war nach einem Besuch bei dem Duo 1952 völlig irritiert. Sie hatten – mal wieder – bewiesen, dass sie mit Chemie nicht allzu viel anfangen konnten und schlicht die Molekülstrukturen der Basen vergessen. Und überdies machten sie auch noch seltsame Bemerkungen. Der merklich erschütterte Chargaff nannte sie „wissenschaftliche Clowns und formulierte in späteren Erinnerungen an das Treffen: „Es war mir klar, dass ich einer völligen Neuheit gegenüberstand. Enormer Ehrgeiz und Angriffslust, vereint mit einer fast vollständigen Unwissenheit und Verachtung der Chemie, dieser realsten aller Wissenschaften.

    Es konnte wohl nur Crick und Watson gelingen, angesichts dieser dramatischen Unkenntnis letztlich doch Erfolg zu haben. Denn gleichzeitig setzten sie bei ihren Forschungen alles auf die Frage nach der chemischen Struktur der Gene, was damals kein anderer Wissenschaftler in dieser Ausschließlichkeit tat. Crick und Watson sparten sich die mühselige Kärrnerarbeit im Labor. Sie nahmen die Ergebnisse vorhandener Forschungen, konzentrierten sich erstmals einen knappen Monat lang und hatten das Modell der Doppelhelix-Struktur des DNA-Strangs. Es war nicht im Labor entstanden, sondern vor ihrem „geistigen Auge" im Reich der Imagination.

    Chargaff brachte die Leichtigkeit, mit der die „wissenschaftlichen Clowns ihr Ziel erreichten, völlig durcheinander. Er selbst hatte „viele schweißbedeckte Jahre und „unzählige Stunden mit seinen DNA-Forschungen verbracht. Angesichts des Erfolgs von Crick und Watson „konnte ich nicht umhin, äußerst verblüfft zu sein, erklärte Chargaff. In seinen Memoiren räumte Crick später ein: „Es stimmt, dass wir beim Herumpfuschen über Gold stolperten. Tatsache bleibt aber, dass wir auf Gold aus waren."

    Dass sie überhaupt den Nobelpreis bekamen, verdankten sie aber auch ihrer Neigung zu Partys. Peter Pauling hatte zwar die Gene des Vaters, aber nicht dessen Brillanz geerbt. Linus Pauling war der wohl renommierteste Chemiker seiner Zeit und erntete zwei Nobelpreise für sein Schaffen. Der für die Entdeckung der DNA-Struktur war allerdings nicht darunter, obwohl Linus Pauling sehr nah dran war. Was Peter an wissenschaftlichem Talent fehlte, machte er – ganz im Sinne Crick und Watsons – durch legendäre Partys wett. Sir Lawrence Bragg schaute sich eine Weile das Treiben des Neuzugangs im Cavendish Laboratory an und steckte ihn dann ins Büro von Crick und Watson. Die drei sprachen über das Übliche: die DNA und die Vorzüge der Frauen aus unterschiedlichen Ländern. Watson erinnerte sich fast fünfzig Jahre später: „Peter und ich haben im gleichen Laboratorium gearbeitet, und wir waren beide hinter Frauen her. Ich bin dabei nur unglücklich geworden, Peter aber hat echte Probleme bekommen. Die Frauen mochten ihn zu sehr."

    Auf das fröhliche Treiben fiel ein finsterer Schatten, als Peters Vater seinem Sohn Ende 1952 in einem Brief mitteilte, dass er sich wieder der Erforschung der DNA zuwenden wolle. Das war ein echter Schock für die chaotischen Forscherfreunde. Linus Pauling fürchteten sie wirklich als Konkurrenten.

    Der zuverlässige Peter gab seinen Party-Freunden auch das unveröffentlichte Manuskript, das ihm sein Vater in der ersten Februarwoche 1953 zusandte. Darin stellte er sein Modell zum Aufbau der DNA vor – es war schraubenförmig, wie das von Crick und Watson, die sich schon am Ende ihrer Träume wähnten. Doch dann stellten sie fest, dass der Meisterchemiker die Nukleinsäure nicht richtig dargestellt hatte – ein dummer Anfängerfehler. Die Gefahr war, dass auch Linus Pauling das bemerkte. Crick und Watson gaben sich sechs Wochen bis Mitte März, um das Rennen um den Nobelpreis zu gewinnen. Sie gingen früher durchs Ziel. Als sie am 28. Februar 1953 im Eagle verkündeten: „Wir haben das Geheimnis des Lebens entdeckt., hatten sie es am Morgen dieses Tages tatsächlich geschafft. Crick und Watson waren sich ihrer Sache sehr sicher, allein weil das Modell „viel zu schön war, um nicht richtig zu sein. Das Geheimnis war geknackt worden von einem Ex-Physiker (Crick) und einem ehemaligen Studenten der Ornithologie (Watson). Sogar Sir Lawrence Bragg zollte dem zwei Meter hohen Modell der Doppelhelix höchsten Respekt. Allerdings sah er es erst eine Woche später, am 28. Februar lag er mit Grippe im Bett.

    Der Artikel zum Aufbau der Doppelhelix erschien am 25. April 1953 in „Nature – er zählte ganze 128 Zeilen und 900 Wörter, war mit einer schlichten Zeichnung illustriert und endete mit dem Satz: „Es ist unserer Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass die spezifische Paarbildung, die wir hier voraussetzen, unmittelbar einen möglichen Kopiermechanismus für das genetische Material nahe legt. Die Geschichte der Entdeckung des Doppelhelix-Modells ist auch die Geschichte zweier Freunde, die sich gegenseitig auf so hohem Niveau inspirierten, dass 1 plus 1 nicht 2, sondern 10 ergeben habe, wie es ein Kollege der beiden Forscher beschrieb.

    Roland Olivier und David Jonathan hatte die Geschichte der Freunde und Nobelpreisträger immer sehr gut gefallen. Die Missachtung der Autoritäten, die Verachtung vorgefasster Meinungen und Traditionen konnten sie genau so gut nachvollziehen wie das Interesse an Mädchen und Partys. Crick und Watson hatten ihre Rebellion mit einem Nobelpreis gekrönt – das konnte sich doch nun wirklich sehen lassen … Eines Abends beschlossen Roland und David bei einem Ale im „Eagle, dass auch sie eines Tages in diesem Pub ein bedeutendes Geheimnis des Lebens verkünden würden. Und sie wussten auch schon, worum es gehen sollte. Francis Crick hatte sich Ende der 70er Jahre einem anderen großen Geheimnis des Lebens zugewandt, dem menschlichen Bewusstsein und seinem Ursprung. Crick behauptete, er könne dieses Geheimnis mit naturwissenschaftlichen Methoden lösen, aber der große Durchbruch blieb ihm diesmal versagt. Roland und David faszinierte diese Frage. Aber sie wollten auf völlig andere Weise an das Problem herangehen. Ungewöhnlich sollte der Weg sein. Es war das „Eagle selbst, dass sie auf die erste Idee brachte.

    CROMWELLS KOPF

    Seit dem Auftritt von Crick und Watson hatte sich in dem Pub nur wenig geändert. Der solide dunkle Holzboden hatte schon ganze Generationen getragen, Mobiliar und Täfelung an den Wänden waren aus dem gleich haltbaren Material. Wer einen belastbaren Blick in die Zukunft wagen wollte, konnte es hier tun. Der 400 Jahre alte Pub würde auch in 50 Jahren noch so aussehen. Im „Eagle kreuzen sich die Zeitlinien. Viele große Geister – wie etwa Charles Darwin – hatten zu ihrer Zeit an den massiven Tischen Platz genommen. Und manche Geister können sich anscheinend gar nicht mehr vom „Eagle trennen. Das „Cambridge GHOST BOOK bescheinigt dem Pub eine „long-standing reputation as a haunted building. Diverse Geister aus verschiedenen Epochen sollen bereits gesichtet worden sein. Und von einem Tisch wird berichtet, dass er sich manchmal heftig bewegt. Den Gästen, die hier Platz nehmen, wird von der Pub-Leitung empfohlen, die Gläser stets festzuhalten. Warum, fragten sich Roland und David, sollten nicht die Geister den Weg zum menschlichen Geist weisen?

    Auch die Colleges von Cambridge sind ein Biotop für Gespenster. So wird der Geist von Oliver Cromwell angeblich gelegentlich im Sidney Sussex College gesichtet, in das er am 23. April 1616 eintrat. Es war der Tag, an dem Shakespeare starb. Rund 350 Jahre später wurde der einbalsamierte Kopf des Mannes, der im Bürgerkrieg Charles I. hinrichten ließ, in einer Keksdose aus Zink an geheimer Stelle in der Kapelle des Colleges beigesetzt.

    Charles I. hatte 11 Jahre versucht, ohne Parlament zu regieren. Als er es 1640 wieder einberief, ging es ihm um höhere Steuern für den Krieg gegen Schottland. Die Gegner des Königs – darunter Cromwell – forderten im Gegenzug mehr Rechte. Charles I. wollte die Opposition verhaften lassen, doch die kam ihm mit einem Staatsstreich zuvor. Cromwell finanzierte aus eigener Tasche die Ironsides, die beste Reitertruppe des Parlaments, die letztlich Schlacht entscheidend im Bürgerkrieg der Royalisten gegen die Bürgerlichen war. Cromwell wurde Lordprotektor von England, Schottland und Irland und lehnte stets die ihm angebotene Königskrone ab.

    Nur sehr wenige Menschen wissen, wo genau Oliver Cromwells Kopf jetzt liegt. Damit sollte ausdrücklich verhindert werden, dass Royalisten oder andere, die Cromwells Taten missbilligen, den Kopf entweihen. Für diese Vorsichtsmaßnahme gibt es sehr gute Gründe. Der zu Lebzeiten mächtige Cromwell wurde 1658 in Westminster Abbey bestattet. Schon 1660 kehrte der Sohn Charles I. nach England als König zurück. Charles II. kündigte eine Amnestie für alle am Bürgerkrieg Beteiligten an – ausgenommen waren nur die, die an der Hinrichtung seines Vaters beteiligt waren. Es war zu spät, um Cromwell zur Verantwortung zu ziehen, aber Charles II. wollte zumindest ein Exempel statuieren. Schließlich wurde Cromwell posthum hingerichtet und sein einbalsamierter Kopf an einer Stange auf dem Parlament ausgestellt. Ein Sturm wehte ihn 1688 herunter und ein Wachsoldat stahl den Kopf von Cromwell; der Soldat gestand das erst 1702 auf seinem Totenbett und gab seinen Verwandten auch das Versteck im Kamin preis.

    Später verkaufte die Familie ihr einzig wertvolles „Erbstück an einen Museumsbesitzer in London. Nach dessen Tod wurde das Museum aufgelöst und der Schauspieler Samuel Russell erwarb 1773 den Kopf. Pikanterweise war Russell – ein Abkömmling von Cromwells Tochter Francis – ohne jeglichen Familiensinn. Als der Verkauf an das Sussex College misslang, stellte er den Kopf nahe Covent Garden in London öffentlich aus. 1787 kaufte ein Antiquitätenhändler den Kopf und verkaufte ihn mit erheblichem Gewinn 1799 an die Gebrüder Hughes. Cromwell war immer noch ein gutes Investment. Am 18. März 1799 erschien eine Anzeige im „Morning Chronicle, in der angekündigt wurde, dass der „Kopf des mächtigen und berühmten Usurpators Oliver Cromwell gegen Geld im „Mead Cort/ Old Bond Street (wo im vergangenen Jahr die Klapperschlange gezeigt wurde) besichtigt werden könne. Die Ausstellung wurde ein Flop. Vielleicht hatte es die potenzielle Kundschaft gestört, dass Cromwell endgültig zu einer Art Rummelplatzattraktion heruntergekommen war, vielleicht war aber auch nur der Eintrittspreis zu hoch gewesen. 1814 kam Cromwells Kopf in den Besitz der Familie Wilkinson, die ihn 1960 an das Sussex College übergab. Heute steht Cromwells Statue vor dem Parlament und in einer BBC-Umfrage kam er unter die zehn beliebtesten Briten.

    Roland und David hatten sich schon früh für Geschichte interessiert. Und Sydney Sussex war das College, das sie als Historiker bevorzugt hatten – allein schon wegen der Geschichten um Cromwell. Beide wurden im selben Jahr aufgenommen. In Cambridge, wo sich unter anderem Isaac Newton und Stephen Hawking um das rationale Denken verdient machten, stehen Geister nicht im Widerspruch zum Geist der Vernunft. Mitte des 19. Jahrhunderts gründeten Fellows des Trinity Colleges den Ghost Club. Vornehmlich ging es um eine naturwissenschaftliche Erklärung dieser Phänomene.

    1862 zog der Club nach London um und trifft sich dort heute im renommierten „The Victory Services Club", der als Militärclub gegründet wurde und sich mit so prominenten Namen wie Marschall Montgomery schmücken kann. Das Clubjahr beginnt und endet jeweils am 31. Oktober – eine Reminiszenz an die Zeit, als zu Allerseelen die Namen der lebendigen und toten Clubmitglieder verlesen wurden. Denn traditionell endet die Mitgliedschaft dort nicht mit dem Tod. Ein prominentes Mitglied war/ist Charles Dickens. Cambridge kann im keinesfalls spukarmen Groß-Britannien die meisten Geistererscheinungen vorweisen (selbst das Tourist Office ist davon nicht verschont), was sicherlich auch an den Nebeln des Flusses Cam liegt, die aus der Sumpflandschaft rund um die Stadt auftauchen und durch ihre Straßen wabern. Kein Wunder, dass hier seit Mitte des 19. Jahrhunderts eine der größten Sammlungen paranormaler Studien weltweit entstand, die 1991 an die Universitätsbibliothek Cambridge ging.

    Cambridges Colleges haben gleichzeitig mehr Geister und mehr Nobelpreisträger hervorgebracht als jede andere Universität auf dem Globus. Und auf dem alehaltigen Nährboden des „Eagle" blühte so manche Theorie erst zur Vollreife auf – wie die von Crick und Watson.

    Roland erinnerte sich, wie er mit David auf den Geisterpfad von Cambridge gegangen war, und lächelte. Sie hatten sich ganze Nächte um die Ohren gehauen und auch einige wohlige Schauer verspürt. Aber eines Nachts stellten sie fest, dass ihnen Partys und Mädchen näher waren als alle Geister von Cambridge. Roland und David gaben ihren Plan nicht auf, das Rätsel des Bewusstseins zu entdecken, und warteten darauf, dass auch bei ihnen „1 plus 1 nicht 2, sondern 10 ergeben" würde wie bei Crick und Watson. Und eines Tages hatten sie die Lösung. Sie mussten etwas im menschlichen Bewusstsein finden, was seit Jahrtausenden die Menschen beschäftigt hatte und

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