Im Fokus: Genetik: Dem Bauplan des Lebens auf der Spur
Von Nadja Podbregar und Dieter Lohmann
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Im Fokus - Nadja Podbregar
Nadja Podbregar und Dieter LohmannNaturwissenschaften im FokusIm Fokus: Genetik2013Dem Bauplan des Lebens auf der Spur10.1007/978-3-642-37548-4_1© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
1. DNA - auf Spurensuche im Erbgut
Nadja Podbregar¹
(1)
MMCD NEW MEDIA GmbH, Fürstenwall 228, 40215 Düsseldorf, Deutschland
Nadja Podbregar
Email: redaktion@scinexx.de
Zusammenfassung
Unsere genetische Betriebsanleitung umfasst drei Milliarden Buchstaben und würde ausgedruckt einige Bücher füllen. Dennoch passt sie bequem in die kleinste Einheit unseres Organismus: in unsere Zellen. Unser Erbgut steuert und beeinflusst nahezu sämtliche Vorgänge unseres Körpers, von der Frage, ob wir Mann oder Frau sind, über unser Aussehen bis hin zu Anfälligkeiten für körperliche und psychische Krankheiten. Wie aber dieser genetische Code aussieht und was genau in ihm steht, war lange unbekannt. Erst nach und nach entzifferten Forscher die Form, Sprache und genaue Funktion unserer Gene - und erlebten dabei einige Überraschungen.
Unsere genetische Betriebsanleitung umfasst drei Milliarden Buchstaben und würde ausgedruckt einige Bücher füllen. Dennoch passt sie bequem in die kleinste Einheit unseres Organismus: in unsere Zellen. Unser Erbgut steuert und beeinflusst nahezu sämtliche Vorgänge unseres Körpers, von der Frage, ob wir Mann oder Frau sind, über unser Aussehen bis hin zu Anfälligkeiten für körperliche und psychische Krankheiten. Wie aber dieser genetische Code aussieht und was genau in ihm steht, war lange unbekannt. Erst nach und nach entzifferten Forscher die Form, Sprache und genaue Funktion unserer Gene – und erlebten dabei einige Überraschungen.
Wettlauf zur Doppelhelix – die Struktur der DNA
„Ich glaube, Entdeckungen waren von so perfekter Schönheit. So beschrieb James Watson vor rund 60 Jahren ein mehr als zwei Meter hohes Metallgerüst aus Pappe und Drähten, das einer schraubenförmig gewundenen Strickleiter glich – die Doppelhelix. Auf einer knappen Seite, illustriert lediglich durch eine einzige Abbildung, veröffentlichte er zusammen mit Francis Crick am 25. April 1953 in der Zeitschrift Nature den Modellvorschlag für die räumliche Struktur unseres Erbguts, der Desoxyribonukleinsäure (DNA). Es schien, als wären sich die beiden Forscher der zukunftsweisenden Bedeutung ihres Modells ziemlich sicher, denn schon im zweiten Satz wiesen sie auf „die neuartigen Eigenschaften von beträchtlichem biologischen Interesse
hin.
Doch zugetraut hätte den beiden „wissenschaftlichen Clowns, wie der Biochemiker Erwin Chargaff sie damals bezeichnete, eine solche Entdeckung zunächst niemand. Hochbegabt, schrieb sich James Watson schon im Alter von 15 Jahren an der Universität von Chicago zum Biologiestudium ein. Sein Interesse galt damals vor allem der Vogelwelt und so drückte er sich erfolgreich um jeden Chemie- und Physikkurs. Daher war es wenig verwunderlich, dass seine Kenntnisse auf diesem Gebiet eher bescheiden ausfielen, als der damals erst 23-jährige Zoologe im Herbst 1951 an das Cavendish Laboratory ins britische Cambridge kam. Dort traf er auf den 13 Jahre älteren britischen Physiker Francis Crick, der seine Kollegen vor allem durch sein dröhnendes Lachen nervte. Der Institutsleiter Sir Lawrence Bragg fasste Cricks bisheriges Forscherdasein damals mit den Worten zusammen, dass „Francis nun schon ununterbrochen geredet habe, und so gut wie nichts von entscheidendem Wert dabei herausgekommen sei.
Bereits 1949 hatte Erwin Chargaff nachgewiesen, dass in der DNA die Basen Adenin und Thymin sowie Cytosin und Guanin jeweils im Verhältnis eins zu eins, möglicherweise paarförmig vorliegen. Jetzt galt es herauszufinden, wie die Basen zueinander angeordnet sind und wie sie zusammengehalten werden. Im November 1951 hörte Watson – zunächst eher desinteressiert – einen Vortrag der Physikerin Rosalind Franklin vom nahegelegenen Londoner King's College, in dem sie ihre jüngsten Röntgenbeugungsaufnahmen der DNA präsentierte. Er war begeistert von ihrer Idee, die DNA könnte möglicherweise in einer gewundenen Helixstruktur vorliegen, die aus zwei, drei oder vier Windungen besteht. Zurück in Cambridge versuchte er zusammen mit Crick diese Struktur nachzubauen. Basierend auf chemischen Gleichungen vermuteten sie einen Aufbau aus drei Ketten, die schraubenförmig von Magnesium-Ionen zusammengehalten werden, dessen Molekülarme nach außen zeigen würden.
Doch Watson hatte nicht richtig aufgepasst und so berechneten sie die chemische Struktur ihres Modells schlichtweg falsch. Ein Zusammentreffen mit Rosalind Franklin und dem Biophysiker Maurice Wilkins aus London wurde zur Blamage auf ganzer Linie. Der Verriss durch die Kollegen war gnadenlos. Die von diesen beiden Forschern zuvor gemachten Röntgenbilder zeigten deutlich, dass entgegen Watsons und Cricks Annahme die tragenden Ketten nicht innen liegen konnten, und dass Magnesium-Ionen kaum in der Lage seien, diese Struktur zu tragen. Erwin Chargaff besuchte Watson und Crick im Juli 1952. Sein wissenschaftliches Urteil über die beiden Jungforscher war ebenfalls vernichtend: „Enormer Ehrgeiz und Angriffslust, vereint mit einer fast vollständigen Unwissenheit und Verachtung der Chemie". Als sei dies nicht genug, verschlimmerte sich der wissenschaftliche Rückschlag durch die Nachricht, dass sich der renommierte Chemiker Linus Pauling jenseits des Atlantiks ebenfalls für den Aufbau der Erbinformation interessierte und einen Modellvorschlag ankündigte. Die Zeit drängte. Das Schlüsselerlebnis zum Erfolg kam dann durch eine eher beiläufige Geste: Ende 1952 zeigte Maurice Wilkins Watson und Crick im Vorbeigehen eine Röntgenstrukturanalyse seiner Kollegin Franklin – ohne deren Wissen. Es war die Aufnahme einer neu entdeckten Strukturform der DNA. Danach stand für die beiden Forscher fest: Die DNA besteht aus zwei Ketten, die sich strickleiterförmig umeinander winden. Ihre Molekülarme, die jeweiligen komplementären Basen, werden dabei durch Wasserstoffbrückenbindungen zusammengehalten. Wie ein Puzzle setzten Watson und Crick nun ihr Metallgerüst der Doppelhelix zusammen. Diese Variante überzeugte auch die schärfsten Kritiker.
Die Veröffentlichung des „Watson-Crick-Modells" der DNA-Struktur gilt vielen als die Geburtsstunde der molekularen Genetik. Zusammen mit Maurice Wilkins teilten sich James Watson und Francis Crick 1962 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie zu je einem Drittel. Rosalind Franklin, deren Arbeit erst den entscheidenden Hinweis gab, ging dagegen leer aus. Sie starb 1958 im Alter von nur 37 Jahren an Gebärmutterkrebs und konnte den Ruhm ihrer langjährigen Arbeit nicht mehr ernten. Franklin und auch Wilkins sind heute fast vergessen. Das Modell der Doppelhelix bleibt mit den Namen Watson und Crick verbunden.
Die Sprache der Gene
Seit 1953 ist die Grundstruktur unserer Erbsubstanz bekannt – und auch, dass sie die Bauanleitung für all das beinhaltet, was uns ausmacht – vom Aussehen über unsere Gesundheit bis hin zu vielen anderen Eigenschaften. Jedes Basenpaar, so viel war schon früh klar, entspricht dabei einem Buchstaben in dieser Bauanleitung. Aber wie wird aus dieser kryptischen Anleitung ein Lebewesen, und wie ein einzigartiges Individuum?
Begeben wir uns auf Spurensuche. Nach Zusammentreffen einer mütterlichen Eizelle und eines väterlichen Spermiums besitzt jeder Mensch in jeder seiner Zellen zwei mal 23 Chromosomen. Die Hälfte dieser mehr oder weniger X-förmigen Gebilde stammt von der Mutter, die andere aus dem Spermium und damit vom Vater. Die Chromosomen sind dabei im Prinzip nichts anderes als die kompakt verstaute Lager- und Transportform unserer Erbinformation, der Desoxyribonukleinsäure (DNA). Stark komprimiert liegt unsere gesamte DNA zusammen mit Hüllstrukturen aufgeteilt auf die einzelnen Chromosomen vor.
Die Buchstaben der genetischen Information sind die Basen Adenin (A), Guanin (G), Thymin (T) und Cytosin (C). Sie verbinden sich jeweils zu Paaren – A–T und C–G – und halten so die beiden außen liegenden Gerüststränge der DNA zusammen. Sie bilden quasi die Sprossen dieser genetischen Strickleiter. Betrachtet man nur einen Strang der DNA mit jeweils dem zu diesem gehörenden Sprossenteil, ergibt sich eine lange Reihe von Basenbuchstaben. Und in diesen steckt der genetische Code. Denn jeweils drei dieser Buchstaben zusammen ergeben ein Wort: die Angabe, welche Aminosäure an welcher Stelle in das zu produzierende Protein eingebaut werden soll. Und mehrere dieser Wörter ergeben einen Satz – die Bauanleitung für ein Protein. Diese Moleküle wiederum sorgen als eine Art biochemisches Mädchen für Alles dafür, dass Zellen und Gewebe entstehen, dass Signale im Körper ausgetauscht werden und dass unser Stoffwechsel funktioniert.
Wie aber wird aus der Bauanleitung ein Protein? Dies erfolgt in der sogenannten Proteinbiosynthese. Damit die Information für ein Protein aus der DNA ausgelesen werden kann, muss das Erbgut an dieser Stelle zunächst entpackt werden. Die normalerweise als Doppelstrang vorliegende DNA teilt sich in zwei Einzelstränge auf. Die freien Ärmchen der Strickleitersprossen werden dadurch zugänglich. Und genau das ist das Entscheidende. Denn jetzt können mithilfe von Enzymen genaue Kopien dieses Strangabschnitts entstehen, einfach indem sich an jedes freie Ärmchen wieder eine passende Base anlagert. Einziger Unterschied: Statt Thymin bindet sich an das Adenin die Base Uracil. Verbunden sind diese neu kombinierten Basen ebenfalls über einen Gerüststrang, diesmal aber der sogenannten Ribonukleinsäure (RNA). Ist die Kopie fertig, trennen Enzyme diesen Strang samt seinen Basen von der DNA ab und es ist eine transportfähige Kopie dieses Erbgutabschnitts entstanden, die sogenannte Boten- oder Messenger-RNA (mRNA). Dieser Schritt des Kopierens und Umschreibens wird als Transkription bezeichnet.
Doch das ist erst der Anfang. Jetzt transportiert die mRNA das kurze Stück kopierter Erbinformation aus dem Zellkern in das Zellplasma zu den Ribosomen, den „Proteinfabriken" der Zelle. Sie bestehen aus zwei unterschiedlich großen Untereinheiten, zwischen die sich die mRNA einschiebt – wie ein Tonband am Tonkopf wandert die mRNA nun Stück für Stück an einer Art Ableseeinheit vorbei. Sie liest aus, welche drei Basen – und damit welches Wort des genetischen Codes – jeweils vorliegen. Gleichzeitig sammeln sich an den Ribosomen zahlreiche Bausteine für das zukünftige Protein: Aminosäuren, an die jeweils ein kurzes Stück RNA angekoppelt ist, das genau drei Basenbuchstaben umfasst. Wie ein Etikett verrät dieser Code, welche Aminosäure an dieser Transport-RNA (tRNA) hängt. Im Ribosom wird nun jeweils der zum Code der ausgelesenen mRNA passende Aminosäurebaustein angedockt und mit der im Code als nächstes folgenden Aminosäure verbunden. So entsteht nach und nach eine Kette aus miteinander verbundenen Aminosäuren – ein Polypeptid, das dann zur nächstgrößeren Einheit verkoppelt wird, dem Protein. Erst durch diesen Prozess der Übersetzung des genetischen Codes in eine Aminosäureabfolge, die sogenannte Translation, kann die DNA ihre Funktion erfüllen.
Lesen im Buch des Lebens – das Humangenom Projekt
Es ist der 26. Juni 2000. US-Präsident Bill Clinton hat zusammen mit seinem britischen Amtskollegen Tony Blair zu einer außerordentlichen Pressekonferenz ins Weiße Haus gebeten. Das Thema ist nichts weniger als der Stoff, der uns zu Menschen macht: unser Genom. Denn Clinton und nach ihm die Vertreter zweier konkurrierender Forschergruppen – eine staatlich, eine privat – verkünden nun offiziell die Entschlüsselung unseres Erbguts. Sowohl die Wissenschaftler des internationalen Humangenomprojekts (HGP) als auch der Gentech-Pionier Craig Venter mit seiner Firma Celera haben eine erste Version vom „Buch des Lebens" dekodiert. Sein Text besteht aus gut drei Milliarden scheinbar willkürlich aneinander gereihten Buchstaben – endlosen Wiederholungen der Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin. Welche Worte diese Buchstaben aber formen und welche Sätze, wo sich welche Funktionseinheiten des Erbguts verbergen – all das ist zu diesem Zeitpunkt noch unklar.
Dennoch ist damit ein entscheidender Meilenstein der Genforschung erreicht. Entsprechend vollmundig spricht Clinton in seiner Rede von einer „neuen Ära der genetischen Medizin". Die Entzifferung des Genoms werde neue Wege eröffnen, Krankheiten vorzubeugen, sie zu diagnostizieren und zu heilen. Zwar sei die vorliegende Sequenz erst der erste Schritt zur vollen Entschlüsselung des menschlichen Genoms. Aber mithilfe dieser ersten Erkenntnisse werde es zukünftig leichter sein, auch die Funktionen und damit den Inhalt des Codes lesen zu lernen. Die Verkündung der Entschlüsselung sorgt für ein enormes Medienecho rund um die Welt: Zeitungen zeigen auf ihren Titelseiten Ausschnitte aus dem genetischen Buchstabensalat und feiern den Meilenstein als gewaltigen Fortschritt der Menschheit.
15 Jahre früher allerdings hatte das Ganze noch ganz anders ausgesehen. 1985 trommelte der Biologe Robert Sinsheimer ein paar auf dem Feld der Genetik erfahrene Kollegen auf dem Campus der Universität von Kalifornien in Santa Cruz zusammen und machte ihnen einen ungewöhnlichen Projektvorschlag: Warum nicht versuchen, das menschliche Genom zu sequenzieren? Die Reaktion war ebenso einmütig wie eindeutig: Mutig, aufregend – aber schlicht nicht machbar. Zu mühsam ist das Dekodieren selbst kleiner DNA-Abschnitte zu dieser Zeit noch, zu unfassbar gewaltig diese Aufgabe. Dennoch lässt die Idee einen der beteiligten Forscher, Walter Gilbert von der Harvard Universität, nicht mehr los. Er hat gemeinsam mit einem Kollegen rund zehn Jahre früher als erster eine Methode entwickelt, um den genetischen Code auszulesen – wenn es ums Sequenzieren geht, kennt er sich aus. Wieder und wieder sprechen er und allmählich auch einige Mitstreiter in den folgenden Jahren mit Kollegen, mit Vertretern der staatlicher Forschungseinrichtungen und Politikern. Doch vor allem die prospektiven Geldgeber bleiben skeptisch: Was, wenn sich am Ende herausstellt, dass das Ganze den gigantischen Aufwand nicht wert ist? Sollte man nicht vielleicht erst mal mit dem Erbgut eines einfachen, unkomplizierteren Organismus anfangen, wie beispielsweise einem Bakterium?
Nach viel Hin und Her und politischen Manövern ist es dann endlich soweit: 1988 lassen sich die US National Institutes of Health (NIH) breitschlagen, ein Projekt zur Entschlüsselung des menschlichen Erbguts zu koordinieren. Als Leiter bestimmen sie keinen geringeren als James Watson, einen der beiden Entdecker der Doppelhelix-Struktur der DNA. Doch der Anfang ist schleppend. Immer wieder brechen Streitigkeiten darüber aus, ob man nicht lieber erst gezielt nach Krankheitsgenen suchen sollte, statt mühsam alles zu sequenzieren. Ein Genetiker am National Institute for Neurological Disorders and Stroke (NINDS) tut sich hier besonders hervor: Craig Venter. Er und sein Kollegen haben eine neue Methode entwickelt, mit der sie Genfragmente mit bisher unerreichter Geschwindigkeit aufspüren können – allerdings ohne deren Funktion zu kennen. Dennoch sind die Leiter der NIH zunächst begeistert, denn einmal patentiert, könnten sich diese Gene zu barem Geld machen lassen, so hoffen sie. Watson wehrt sich und protestiert öffentlich gegen den „Ausverkauf des Erbguts". Das bleibt nicht ohne Folgen: Im April 1992 verliert Watson seinen Posten als Projektleiter und wird von Francis Collins abgelöst.
1993 zieht Collins eine eher klägliche Bilanz: Gehe die Sequenzierung im bisherigen Tempo weiter, könne man nicht vor dem Jahr 2005 damit rechnen, fertig zu werden. Schuld daran sind einerseits nur langsame Fortschritte in der Automatisierung der Entschlüsselung – und zu wenig Geld für die Entwicklung und den Kauf modernster Sequenzierer. Andererseits aber auch die Vorgabe, mit möglichst 99,99-prozentiger Genauigkeit zu arbeiten. Immerhin beteiligen sich inzwischen immer mehr Forschungseinrichtungen, auch anderer Länder, an dem Unterfangen. Wachgerüttelt werden die HGP-Forscher und Verantwortlichen dann 1995 – durch Craig Venter. Dieser, inzwischen bei einer privaten Firma tätig, veröffentlicht nun das erste Erbgut eines kompletten Organismus, der Mikrobe Haemophilus influenzae. Und hat, dank modernster Computertechnik, dafür nur ein Jahr gebraucht. Aber auch Collins und die HGP-Forscher kommen allmählich voran – wenngleich noch immer langsamer als vielen lieb ist.
1998 dann folgt der nächste Venter-Coup: Vor einem Jahrestreffen vom Genforschern verkündet der Forscher vollmundig, er werde eine neue Firma gründen und mit ihr in nur drei Jahren das menschliche Genom entschlüsseln – und zu einem Bruchteil des für das HGP veranschlagten Geldes. Helfen soll ihm dabei eine neu entwickelte, automatisierte Sequenziermaschine. Jetzt müssen Collins und seine Leute reagieren. Sechs Monate später kündigen sie ihrerseits an, nun eine verschärfte Gangart vorlegen zu wollen. Schon 2003 statt 2005 soll das gesamte Genom entziffert sein. Und bis zum Frühjahr 2001 wolle man zudem eine rund 90 Prozent genaue erste Arbeitsversion des Erbguts veröffentlichen. Der Wettlauf zwischen Craig Venter und seiner Firma Celera wird nun zu einem Kopf-an-Kopf Rennen. Hinter den Kulissen allerdings wird bereits über eine gütliche Einigung verhandelt. Der Vorschlag seitens des HGP: Beide Projekte sollen ihre erste Version gleichzeitig auf einer gemeinsamen Pressekonferenz vorstellen und gleichzeitig publizieren. Dies geschieht dann am 26. Juli 2000 auch. Publiziert wird dann allerdings streng nach Projekten getrennt: Das HGP veröffentlicht im britischen Magazin Nature, Venter und sein Team bei der US-Konkurrenz Science.
Inzwischen kennen die Forscher weit mehr als nur die grobe Buchstabenfolge unseres Erbguts. Und längst existieren für viele Erbkrankheiten und genetisch bedingte Erkrankungen Gentests, die die Diagnose erleichtern – wie von Clinton 2000 prognostiziert. Eines aber sorgte für Rätselraten, je mehr Gene man identifizierte: Auf der gesamten rund drei Milliarden Basenpaare langen DNA des Menschen lagen nur rund 23.000 Gene – und dazwischen gab es lange Bereiche, deren Funktion man nicht kannte.
Junk-DNA – vom Schrott zum Steuerpult
Jedes Gen, bestehend aus einer bestimmten Abfolge der Basenpaare Cytosin, Adenin, Guanin und Thymin, enthält Informationen, um ein bestimmtes Protein zu produzieren. Es ist quasi die Bauanleitung für diese wichtigen Funktionsträger unseres Organismus. Schnell wurde aber klar, dass weite Bereiche unsers Erbguts eben keine offensichtlichen Bauanleitungen enthielten. Sie schienen aus unsinnigen, teilweise vielfach wiederholten, funktionslosen DNA-Abschnitten zu bestehen. Als „Junk-DNA" – Schrott-DNA – bezeichneten Wissenschaftler demzufolge diese Abschnitte auch.
Doch als sich Genforscher den Anteil der verschiedenen Teile unserer DNA genauer anschauten, wurden sie stutzig: Denn unser Erbgut besteht im Prinzip sogar aus fast nur „Junk": 44 Prozent der DNA besteht aus Wiederholungen – zahllosen Kopien von Genen und Genbruchstücken. Weitere gut 52 Prozent sind