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PROTO-AGENT JOHN EAGLE, BAND 2: Sechs Romane in einem Band!
PROTO-AGENT JOHN EAGLE, BAND 2: Sechs Romane in einem Band!
PROTO-AGENT JOHN EAGLE, BAND 2: Sechs Romane in einem Band!
eBook926 Seiten13 Stunden

PROTO-AGENT JOHN EAGLE, BAND 2: Sechs Romane in einem Band!

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Über dieses E-Book

Der Prototyp des modernen Geheimagenten ist ein Mann wie John Eagle: von den Apachen gehärtet, von Weißen geschult, unterstützt von den Waffen der Zukunft.

John Eagle erledigt ebenso gefährliche wie phantastische Missionen, wie es sie auf Erden kein zweites Mal gibt! Seine Befehle erhält er von Mr. Merlin - aus einer geheimen Kommandozentrale, tief verborgen unter einem Vulkan auf Hawaii; seine Gefährten sind Tod und Verderben, sein Ziel ist die ganze Welt...

Paul Edwards' legendäre Roman-Serie PROTOAGENT JOHN EAGLE enthält sämtliche Zutaten, die das Genre des Agenten-Romans so unwiderstehlich machen: knallharte, spannungsgeladene Action vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, wunderschöne Frauen, exotische Schauplätze und Over-the-top-Science-Fiction-Elemente - sowie im Falle von JOHN EAGLE zusätzlich eine unübertroffen eingefangene 1970er-Jahre-Atmosphäre.

Dieser Band enthält die Romane Die Killer-Cyborgs, Die vier Zeros, Die grüne Göttin, Stahlschädel, Die einäugige Bombe und Tödlicher Mohn.

SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum4. Sept. 2019
ISBN9783748714569
PROTO-AGENT JOHN EAGLE, BAND 2: Sechs Romane in einem Band!

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    Buchvorschau

    PROTO-AGENT JOHN EAGLE, BAND 2 - Paul Edwards

    Das Buch

    Der Prototyp des modernen Geheimagenten ist ein Mann wie John Eagle: von den Apachen gehärtet, von Weißen geschult, unterstützt von den Waffen der Zukunft.

    John Eagle erledigt ebenso gefährliche wie phantastische Missionen, wie es sie auf Erden kein zweites Mal gibt! Seine Befehle erhält er von Mr. Merlin - aus einer geheimen Kommandozentrale, tief verborgen unter einem Vulkan auf Hawaii; seine Gefährten sind Tod und Verderben, sein Ziel ist die ganze Welt...

    Paul Edwards' legendäre Roman-Serie PROTOAGENT JOHN EAGLE enthält sämtliche Zutaten, die das Genre des Agenten-Romans so unwiderstehlich machen: knallharte, spannungsgeladene Action vor dem Hintergrund des Kalten Krieges, wunderschöne Frauen, exotische Schauplätze und Over-the-top-Science-Fiction-Elemente - sowie im Falle von JOHN EAGLE zusätzlich eine unübertroffen eingefangene 1970er-Jahre-Atmosphäre.

    Dieser Band enthält die Romane Die Killer-Cyborgs, Die vier Zeros, Die grüne Göttin, Stahlschädel, Die einäugige Bombe und Tödlicher Mohn.

      DIE KILLER-CYBORGS (The Deadly Cyborgs)

    Erstes Kapitel

    Antonio Da Zara trug zwei Garnituren warmer Unterwäsche und drei Paar Socken übereinander.

    Er kippte die letzten Tropfen Fior di Alpi und zog seine gesteppte Nylonhose an. Dann schlüpfte er in die gefütterten Stiefel und verschnürte sie. Der kleine, aber stämmige Mann stand auf und ging hinüber zum Fenster. Er zog den Vorhang etwas zur Seite. Dicke Schneeflocken behinderten die Sicht. Selbst den 8160 Meter hohen Dhaulagiri konnte man nicht sehen.

    Da Zara zuckte mit den Schultern. Er wandte sich wieder seinen Kleidern zu, die auf dem Bett lagen. Seine Bewegungen waren die eines durchtrainierten Athleten. Nur die weißen Strähnen in seinem sonst schwarzen Piratenbart deuteten auf die Tatsache hin, dass er schon weit über fünfzig Jahre alt war.

    Vor dem Zweiten Weltkrieg war er Offizier der Alpenjäger gewesen, während des Krieges hatte er in Norditalien als Guerillaführer gekämpft, später war er Bergsteiger in den Alpen, den Anden und im Himalaya gewesen. Jetzt war er Sicherheitsoffizier von Basis 1. Da Zara zog zwei warme Sweater übereinander. Um den Hals schlang er sich ein grünes Tuch - ein Geschenk von Sir Edmund Hillary, dem Bezwinger des Mount Everest.

    Er schlüpfte in die Parka und verschloss sie sorgfältig. Bevor er die pelzgefütterten Handschuhe anzog, schnallte er den Gürtel um. Daran baumelten ein Eispickel, Krampen, Haken, ein Seil und Notrationen.

    Da Zara warf sich die finnische 7,65-Millimeter-Maschinenpistole über die Schulter, schnappte sich den Bergstock und stapfte durch den schweren Vorhang ins Freie, um seine nächtliche Kontrollrunde zu beginnen.

    Von den Stiefeln bis zur Parka war seine Bekleidung schneeweiß - zur Tarnung.

    Basis 1 war auf dem Gipfel erbaut. Halb war sie wissenschaftliches Forschungszentrum, halb Militärposten und Trainingslager. Ihre getarnten Bauten waren durch ein Netz unterirdischer Gänge miteinander verbunden. Der Nachschub wurde meist mit Jeeps über den gewundenen Pfad von Katmandu heraufgebracht. Wichtige Besucher kamen per Flugzeug und landeten auf der versteckt angelegten Gipfelpiste.

    Antonio Da Zara bewachte Basis 1 mit seinen zweihundert Sherpas, die in Nordost-Nepal angeworben worden waren - drahtige, zähe Gebirgsmenschen von unwahrscheinlicher Ausdauer.

    Der Wind erstarb, als Da Zara über die schneebedeckte Straße ging. Hinter einer Wolke kam der Mond hervor. Das Schneetreiben hatte aufgehört, die Luft war kristallklar. Da Zara marschierte auf einem Pfad, der von infraroten Lampen markiert war.

    Jetzt, da der Wind nachgelassen hatte, war es nicht ausgesprochen kalt. Höchstens ein paar Grad unter Null. Da Zara achtete auf die Zeit, während er ging. Er zählte seine Schritte. Mehr als einmal hatte er in seinem Alpinistenleben sein und anderer Menschen Leben dadurch gerettet, dass er auch bei schlimmstem Schneetreiben seinen Weg fand. Es gab ihm ein Gefühl der Selbstsicherheit, als er am Ende des Pfads die Lichter der Hangars aus der Dunkelheit auftauchen sah. Da Zara hatte sich nur um elf Schritte verschätzt.

    Hundert Meter weiter rief jemand in schrillem Gurkha- Dialekt die Parole aus. Da Zara fröstelte. Ruhig gab er die Parole zurück. Eine schlanke, weiße Gestalt mit einer Maschinenpistole gesellte sich zu ihm.

    Unter seiner Kapuze grinste ihn der Sherpa an. Da Zara erkannte Anting, einen Korporal, der sich auf zwei

    Jahre verpflichtet hatte.

    »Alles ruhig, eh?«, fragte Da Zara.

    »Wie immer.«

    Er erwiderte Antings Gruß und wandte sich nach rechts, um seinen Kontrollgang wiederaufzunehmen. Etwas von der Straße entfernt standen weitere Posten, die von den Klippen aus ins Tal hinabspähten. Diese Männer waren am weitesten von der Basis entfernt. Aber selbst in den härtesten Nächten vergaß Da Zara nie, sie zu kontrollieren.

    Allerdings wusste er, dass er sich auf die Männer verlassen konnte. Sie wussten genau, dass trainierte Bergsteiger an dieser Stelle den Berg hinaufklettern konnten. Aber sie wussten natürlich auch, dass das Lärm machen würde und über eine Stunde dauern würde. Da Zara kontrollierte diese Posten, damit ihre Aufmerksamkeit nicht nachließ. Der Offizier streifte sich die Eisenkrampen über die Stiefel und überquerte dann den steilen Weg am Abhang des Berges. Jetzt war er ganz nahe am nächsten Posten. Eigentlich hätte der schon vor ein paar Minuten die Parole ausrufen müssen.

    Da Zara blieb stehen. Irgendetwas war hier faul. Aber Da Zaras Ärger verstärkte nur seine Aufmerksamkeit. Leise nahm er die MP von der Schulter. Ohne die Handschuhe auszuziehen, prüfte er Magazin und Abzug, um sicher zu sein, dass alles trotz der Kälte funktionierte. Dann entsicherte er die Waffe.

    Mit der Maschinenpistole in der Rechten, den Bergstock in der Linken, marschierte Da Zara weiter. Im selben Moment, in dem er das Geräusch hörte, warf sich der Mann zu Boden. Vorsichtig kroch er voran. Er sah nichts - keine Bewegung; auch das Geräusch wiederholte sich nicht. Alles war ruhig wie zuvor. Da Zara hatte nur das Gefühl, dass der Laut irgendwo über ihm erklungen war.

    Dann verbannte er den Gedanken daran und kroch zu dem Körper. Es war einer der Wachtposten. Der Mann lag reglos im zertrampelten, blutigen Schnee. Sein Gesicht, der Körper, der Tarnanzug - alles war blutig und zerfetzt. Seine Waffe lag zerschmettert neben ihm.

    Da Zara kniete neben dem Toten. Er zog einen Handschuh aus und tastete nach der Brust. Der Mann war - noch warm, Blut sickerte aus den Wunden.

    Da Zara drehte den Kopf des Toten zu sich. Es war Ang Tharkay, ein älterer Sherpa - sehr beliebt bei den übrigen. Der Brustkorb war eingeschlagen, ein Arm des Mannes mehrfach gebrochen. Blutige Eingeweide hingen aus dem Leib. Da Zara richtete sich auf wackligen Beinen auf. In seinem ganzen Soldatenleben hatte er nicht einen Toten gesehen, der so zugerichtet gewesen war - ausgenommen Menschen, die von Minen zerfetzt worden waren. Aber hier hatte es keine Detonation gegeben. Aus den Wunden zu schließen, konnte Da Zara nur annehmen, dass der arme Teufel von Krallen zerfetzt worden war.

    »Hallo!«, rief eine Stimme, und Da Zara schwang mit der Waffe im Anschlag herum. Eine weiße Gestalt rannte auf ihn zu. Da Zara erkannte Dalu, den anderen Posten.

    »Haben Sie gerufen, Captain?«, fragte Dalu auf Englisch mit Gurkha-Akzent.

    Wortlos schüttelte Da Zara den Kopf. Er ging zur Seite und deutete auf den toten Ang.

    »Aiyeee!«, rief Dalu. Er fiel auf die Knie und schnatterte aufgeregt im Gurkha-Dialekt los. Dann fasste er sich wieder. Er betastete den Lauf der Waffe des Toten. »Kalt«, stellte er fest. »Wir hörten auch keine Schüsse, nur Geschrei!« Einen Moment wandte er die Augen zu dem toten Ang, dann blickte er rasch fort.

    »Wie konnte das geschehen, Captain?«, fragte er. Da Zara gab keine Antwort. Er überlegte, was er jetzt tun musste. Die Basis musste alarmiert werden, man musste sofort die Wachen verstärken und Streifen ausschicken. Ja, Streifen, welche die Wachtposten unterstützen konnten...

    Da Zara wandte sich an den Sherpa »Dalu...«

    Aber Dalu hatte sich aufgerichtet und schritt aufmerksam durch den Schnee. Da Zara hatte Angst, der Mann könne in der Dunkelheit abstürzen. Er folgte in dessen Fußstapfen. Aber ehe Da Zara ihn erreicht hatte, kniete Dalu nieder und deutete auf den Boden. Im lockeren Neuschnee erkannte man Abdrücke. Riesige, fünfzehige Abdrücke. Über ein Dutzend. Zwei Abdrücke waren etwas tiefer, als wäre von hier aus jemand mit einem gewaltigen Sprung auf die höhergelegenen Felsen gesprungen.

    »Yeti!«, sagte Dalu.

    »Yeti«, wiederholte Da Zara das Gurkha-Wort, das den sagenhaften Schneemenschen des Himalaya bezeichnete.

    Zweites Kapitel

    Der Bericht von Basis 1 war per Mikrowellen an Mr. Merlins Hauptquartier auf Makaluha gesandt worden.

    Samson hatte sich in seinem Bungalow aus dem Bett gerollt. Es dauerte fast fünf Minuten, ehe er die Bedeutung der Nachricht erfasst hatte, die sein aufgeregter Adjutant ihm gemeldet hatte. Aber als er den Sinn kapiert hatte, brüllte Samson etliche Befehle und raffte sich auf.

    Eine seiner Anweisungen lautete, sofort Mr. Merlin zu wecken. Der richtete sich auf: ein großer, weißhaariger Mann, dessen Beine kraftlos über die Bettkante baumelten. Seit 1918 war Mr. Merlin gelähmt.

    »Ja?«, fragte er mit tiefer Stimme.

    »Sir, eine Nachricht von Basis 1. Sie wurden angegriffen«, stammelte Samsons Adjutant.

    »Angegriffen?«

    »Eine kleine Attacke«, sagte der Mann eilig. »Nur ein Mann wurde getötet. Aber...«

    »Aber?«, raunzte Merlin.

    »Der General wollte, dass Sie Bescheid wüssten, weil es so komische Begleitumstände gibt.«

    »Also!«

    »Sir«, sagte der Mann hilflos, »Rogers meldet, dass der Sherpa von einem... Dass der Sherpa von einem Schneemenschen getötet wurde!«

    Merlin starrte auf den Telefonhörer in seiner Hand. War Samsons Adjutant betrunken? »Das meldet Rogers?«, fragte er ungläubig.

    »Jawohl. Ich habe die Meldung vor mir liegen, Sir, ich kann sie Ihnen vorlesen.«

    »Nein!«, sagte Merlin. »Geben Sie sie an mein Büro weiter. Und wecken Sie Polly.«

    Mr. Merlin drückte auf den Knopf in der Armlehne; summend rollte ihn sein Elektrokrankenstuhl hinüber an seinen Schreibtisch.

    Eine große, hübsche Frau kam barfuß ins Zimmer. Ihr grüner Morgenmantel verbarg kaum ihre ansehnlichen Kurven. Merlin sagte: »Zieh den Vorhang vor das grelle Licht. Wir haben zu arbeiten.«

    »Sei doch nicht so verdammt autoritär um halb sechs morgens«, maulte Polly Perkins. Über zwanzig Jahre war sie Merlins Geliebte gewesen. Die Leidenschaft war zwar vorüber, aber sie hingen aneinander.

    Mr. Merlin gab ihr einen Klaps aufs Hinterteil. Ungerührt ging Polly hinüber zur Kontrolltafel und drückte auf den Knopf, der die Vorhänge zuzog. »Was möchtest du frühstücken?«, fragte sie.

    Merlins Augen überflogen die vor ihm liegende Meldung. Er gab keine Antwort.

    »Frühstück?«, fragte Polly nun etwas lauter.

    »Spiegelei auf Schinken«, knurrte Merlin und las mit wachsendem Erstaunen die Nachricht.

    Jetzt las auch Polly das Blatt und legte es wieder auf den Schreibtisch.

    »Gib mir...«, begann Merlin.

    »...alle Computerangaben über Yetis?«, vollendete sie den Satz. Sie verließ den Raum, und Merlin hörte sie nebenan telefonieren. Die Leute im Computerraum waren noch nicht ganz fertig. Es dauerte zwanzig Minuten, ehe die Angaben auf dem Bildschirm an Merlins Schreibtisch aufleuchteten.

    Sie besagten kaum mehr als das, was in den Zeitschriften bisher über Yetis erschienen war. Mr. Merlin war Wissenschaftler und außerdem Realist. Die Mischung aus Spekulationen, Mutmaßungen und Geheimnis ärgerte ihn. Die Angaben begannen mit einer umständlichen Schilderung der alten Legenden über den Schneemenschen: Angeblich war der Yeti ein riesiger, menschen- oder affenähnlicher Gigant, der in den oberen Regionen des Himalayas hauste, weit fort von bewohnten Gebieten. Und der Yeti war bösartig. In jedem Sherpa-Dorf kursierten Gerüchte über verschwundene Leute und gerissenes Vieh. Und stets hatte man dann Yeti-Spuren entdeckt. Den Sherpa-Erzählungen waren schließlich auch ernsthaftere Geschichten aus dem Westen beigefügt. Danach gab es drei Theorien.

    Nummer 1: Es hatte nichts mit dem Yeti auf sich. Die angeblichen Begegnungen und auch die Fotos seiner Spuren waren Unsinn. Alles über den Yeti war reine Einbildung.

    Nummer 2: Es war doch was dran an den Geschichten. Die Fußabdrücke stammten von großen Affen oder Bären, die hoch im Gebirge lebten. Und die ungewöhnliche Form der Abdrücke war durch schmelzenden Schnee oder durch Verwehungen entstanden.

    Nummer 3: Es gab den Yeti tatsächlich. Irgendwo im Himalaya hauste eine unbekannte Gattung Menschenaffen oder gar menschenähnliche Wesen, die es verstanden, sich allen Nachforschungen geschickt zu entziehen.

    Als geschulter Wissenschaftler und Realist entschied sich Merlin für Theorie Nummer 1.

    Aber Rogers, Kommandeur von Basis 1, war ein zuverlässiger und gescheiter Mann, ebenso sein Sicherheitsoffizier Da Zara. Beide hatte Merlins Stabschef Samson, ein pensionierter Vier-Sterne-General, sorgfältig ausgesucht. Wenn Rogers und Da Zara den Tod eines Mannes unter Hinweis auf einen Yeti meldeten, war das Grund genug, darüber nachzudenken. Merlin schnitt eine Grimasse und stellte sich vor, was für Schwierigkeiten Rogers und Da Zara in den nächsten Tagen mit ihren Sherpas bekommen würden, wenn sich die Yeti-Sache erst herumgesprochen hatte.

    Mr. Merlin trommelte mit den Fingern. Wie konnte man die Sherpas beruhigen? Wenn die Wachmannschaften verschreckt wurden, war Basis 1, sein Schlüsselposten in Asien, in ernster Gefahr. Merlin dachte nach. Er war kein impulsiver Mensch. Und er wusste, dass unnütze Aufregung immer schadete. Meist ereignete sich das Allerschlimmste doch nicht. Und oft schon hatten sich Probleme von selbst wieder erledigt. Laut sagte er: »Man muss abwarten. Erst mal gar nichts unternehmen.« Er wollte seine Entscheidung so lange aufschieben, bis er Fotos und andere Unterlagen aus Nepal erhalten hatte.

    Jetzt hörte er wieder Pollys Stimme. Sie telefonierte immer noch im Nebenzimmer. Er trank gerade den letzten Schluck Tee, als sie mit ihrem Stenoblock hereinkam. »Eine neue Meldung von Basis 1«, sagte Polly Perkins ruhig. »Ein zweiter Sherpa, zunächst vermisst, ist gefunden worden. Tot. Seine Leiche war ebenso grauenhaft zugerichtet wie die andere. Man hat noch mehr Yeti-Spuren entdeckt.«

    Mr. Merlin nickte. Sein Gesicht wirkte verbissen, eine Weile stieß er Flüche und Verwünschungen aus. Polly wartete, bis sich der Sturm wieder gelegt hatte. »Noch was: Rogers meldet Panik unter den Nepalesen, besonders unter den Sherpa-Frauen. Er will, dass wir etwas unternehmen. Und zwar rasch!«

    Mr. Merlin grollte. »Etwas unternehmen«, wiederholte er. »Verdammt! Ein großes Problem, das ich da beim Frühstück lösen soll.«

    Polly lächelte freundlich, den Bleistift in der Hand, und wartete auf seine Entscheidung.

    Merlin schüttelte den Kopf. Er brauchte Zeit zum Nachdenken. Er winkte Polly hinaus.

    Mr. Merlin - das war nicht sein richtiger Name - verabscheute die Öffentlichkeit. Wäre dem nicht so gewesen, dann hätte er mit Fug und Recht den Titel »reichster Mann der Welt« für sich beanspruchen können. Aber das war nicht sein Stil. Er hielt sein Privatleben geheim. Manchmal sagte er scherzhaft zu Polly: »Ich könnte J. Paul Getty oder Howard Hughes noch beibringen, wie man in der Verborgenheit lebt. Beide könnten von mir lernen!«

    Alles, was die Welt von ihm wusste, war die Tatsache, dass er ein Multimillionär mit Abscheu vor Publicity war. Eine sehr einflussreiche Person, aber vor allem unheimlich reich. Mr. Merlins Großvater war schlimmer gewesen als all die Geldbarone Amerikas im 19. Jahrhundert. Schlimmer als alle zusammen. Und erfolgreicher. Wenn die übrigen dem Dollar nachjagten, hatte Merlins Großvater immer im Verborgenen sein Geld gescheffelt. Und das machte er so brutal, wie es in jener Zeit der Eisenbahnen und Dampfschiffe üblich war. Er hinterließ seinem Sohn hundert Millionen Dollar. Und Mr. Merlins Vater hatte seinem Sohn fünfhundert Millionen vererbt. Mit diesem Vermögen im Rücken hatte es Merlin nie sonderlich interessiert, noch mehr zu verdienen. Es lief einfach automatisch und vermehrte sich wie von selbst. Er wusste nur ungefähr über seinen Besitz Bescheid. Wie viele Milliarden er hatte, konnte er nicht sagen. So hatte er sich ein- für allemal aus dem Finanzleben zurückgezogen.

    Im Jahr 1917 war er zu den Ledernacken eingezogen worden. Er hätte natürlich den Krieg hinter einem sicheren Schreibtisch in einem Washingtoner Ministerium verbringen können. Stattdessen meldete er sich zum Fronteinsatz nach Frankreich. Während der Ardennenkämpfe zerschmetterte ihm ein deutsches Geschoss die Wirbelsäule. Seitdem konnte er nicht mehr gehen.

    Alice, seine Frau, war das einzige Mädchen, das er wirklich geliebt hatte. Aber sie starb qualvoll an Krebs. Nur Dr. Fortesque wusste, dass Merlin ihr schließlich eine Überdosis Morphium gegeben hatte, um sie zu erlösen.

    Mr. Merlin ähnelte einem Renaissance-Menschen. Er war auf jeden Fall ein Paradoxon, in mancher Beziehung völlig harmlos, andererseits ein gerissener Fuchs. Obgleich er Atomphysik studiert hatte, freute er sich über Märchen und sah sich Disneyfilme an. Er beherrschte acht Sprachen in Wort und Schrift. Er hatte das Bhagavad-Gita ins Englische übersetzt. Als Hobby hatte er Kriminalromane geschrieben, die Bestseller wurden, natürlich unter falschem Namen, unter dem er auch den Verlag gekauft hatte, der diese Bücher herausbrachte.

    Das Haus mit den vierzig Zimmern, das sich Merlin auf dem Makaluha - einem erloschenen Vulkan auf seiner Privatinsel vor Hawaii - gebaut hatte, war das Hauptquartier seiner weltweiten Geheimdienstorganisation. Ohne Profit arbeitete er zum Nutzen der Vereinigten Staaten und der ganzen westlichen Welt.

    Denn Mr. Merlin war ein überzeugter Patriot.

    Nur zwei Menschen außer Merlin selbst wussten diese Dinge - der Präsident der USA und sein Verteidigungsminister. Energisch biss Mr. Merlin auf seine Zigarre. Jetzt musste etwas geschehen, um die Sache in Basis 1 wieder in Ordnung zu bringen Er nahm die Zigarre aus dem Mund. »Polly! Bring deinen Block!«, rief er.

    Sie kam lächelnd herein. Seine manchmal grobe Art verletzte sie nicht, denn sie mochte ihn.

    »Verschlüsselte Nachricht an Basis 1. Muss sofort hinaus!«, sagte Mr. Merlin. »Dringlichkeitsstufe 1. Merlin an Kommandeur von Basis 1. Einsatz aller Mittel, um angeblichen Yeti zu fangen oder zu töten. Erlaube auch riskante Einsätze aller Kaukasier. Sherpas brauchen sich nicht zu beteiligen, falls sie nicht wünschen. Wenn für das Unternehmen dienlich, muss auch Beschädigung von Basis 1 in Kauf genommen werden.«

    Sie las es nochmals vor. »Ist das genau der Wortlaut?«

    »Selbstverständlich!«

    »Streich das angeblich bei Yeti weg. Es klingt, als glaubtest du Rogers und Da Zara nicht.«

    »Verdammtes Frauenzimmer. Wer hat hier zu befehlen?«

    »Du.«

    »Gut! Dann nimm jetzt das Tablett fort und lass mich arbeiten.«

    Sie holte das Tablett. Noch ehe sie die Tür erreicht hatte, rief er murrend: »Also gut. Du hast Recht. Streich das Wort angeblich

    Drittes Kapitel

    Die vier Männer aßen ihr Abendbrot am großen Schreibtisch in Rogers Büro. Rogers, Kommandeur von Basis 1, aus der Kadettenschule West Point hervorgegangen, ehemaliger Fallschirmjägeroffizier unter General Samson in Korea, war verwundet und hochdekoriert aus der Armee ausgeschieden.

    Sein Stellvertreter Tinsdale war ein blasser, blonder Brite, der sich ebenfalls in Korea hervorgetan hatte. Schoendienst, Da Zaras Untergebener, sah man deutlich an, dass er seit achtundvierzig Stunden ununterbrochen im Dienst gewesen war. Der breitschultrige Riese hatte die Armee nach dem Vietnamkrieg verlassen.

    »Also Sie sind gegen den Einsatz der Hubschrauber, Antonio?«, fragte Rogers.

    »Si, colonello.«

    »Wir können vier Helikopter in wenigen Stunden bereitstellen«, meinte Tinsdale. »Zwei könnten dann ständig über der Basis kreisen und jede Bewegung aus der Luft beobachten.«

    »Aber die Maschinen können doch auf keinen Fall ununterbrochen kreisen, oder?«, fragte Da Zara.

    »Ja, aber...«, sagte Tinsdale.

    »Ich bin für Captain Da Zaras Plan. Er gibt uns mehr Spielraum«, sagte Schoendienst mit ärgerlicher Stimme.

    Tinsdale hieb mit der Faust auf den Tisch. »Ich bin dafür, den Burschen Saures zu geben. Wenn die Hubschrauber über der Basis kreisen und hier unten alle Scheinwerfer brennen, merken wir jede Annäherung. Dann können wir ein- für allemal mit den Yetis aufräumen!«

    Rogers nickte verständnisvoll und sah zu Da Zara hinüber. Der große Ex-Fallschirmjäger nahm an der Diskussion kaum teil, nur gelegentlich stellte er ein paar Fragen. Da Zara wusste, dass Rogers mit seinem eigenen Vorschlag erst herausrücken würde, wenn alle anderen ihre Vorschläge geäußert hatten.

    »Keine Ihrer Ideen hält sich an die Anweisungen von Mr. Merlin«, meinte Da Zara.

    »Mit ein bisschen Glück könnten wir einen gefrorenen Yeti nach Makaluha bringen«, meinte Tinsdale hartnäckig. Da Zara nickte und schnitt sich ein großes Stück von seinem Steak ab.

    Rogers warf ein: »Die Vorschrift lautet, alle Mittel einzusetzen, um einen Yeti zu fangen oder zu töten.«

    »Eben«, sagte Tinsdale. »Wir sollen alle Mittel einsetzen. Alle. Warum dann nicht die Hubschrauber?«

    Da Zara kaute auf seinem Fleisch. Eigentlich hatte er keinen Hunger. Aber er musste nachts hart ran, da wollte er seinem Körper auf Vorrat Nahrung zuführen. »Ich glaube, wir sollten weiter wie die Spinne im Netz lauern. Mit etwas Glück kommen wir heute Nacht an einen Gefangenen.«

    »Sehr zweifelhaft, Antonio«, meinte Tinsdale. »Wir haben in zwei Nächten vier Leute verloren...«

    Da Zara nickte grimmig. Noch zwei Sherpas waren tot aufgefunden worden.

    »Wie lange können Sie bei diesen Verlusten noch Ihre Mannschaft Zusammenhalten?« protestierte Tinsdale. »Ich finde diese Nepalesen sehr gut, aber sie sind nun mal Primitive. Und diese Todesfälle treffen sie an ihrem wundesten Punkt - sie glauben an Geister.«

    Das war es. Da Zara hatte die Furcht in den Augen seiner sonst so mutigen Gurkhas gesehen. Falls nochmals so etwas passierte, würden sie mit ihren Frauen auf- und davonlaufen. Er brauchte keine Antwort zu geben, denn es klopfte.

    Der junge Mann, der draußen im Vorzimmer arbeitete, kam herein und brachte Da Zara ein Paket in braunem Ölpapier. »Das kommt aus der Waffenkammer. Für Sie, Captain.«

    Da Zara wickelte das Paket aus. Es enthielt eine riesige Pistole.

    »Großer Gott«, sagte Tinsdale. »Was ist denn das für eine Waffe, Antonio?«

    »Eine .44er Ruger Magnum«, sagte Da Zara und betrachtete die Stahlöse, die er in der Werkstatt hatte anschweißen lassen. Später wollte er die Waffe mit einem Brustriemen unter der Schulter tragen, damit er sie beim Handgemenge im Schnee nicht verlor.

    »Keine große Treffsicherheit«, sagte er zu Tinsdale. »Aber keine Handfeuerwaffe der Welt hat eine größere Durchschlagskraft.« In der Tasche seiner Parka hatte Da Zara ein Dutzend Kugeln, vorn wie Dumdumgeschosse abgefeilt.

    »Die da ziehen Sie der finnischen Maschinenpistole vor?«, fragte Schoendienst.

    Da Zara nickte. »Eine 7,65er Kugel aus der Suomi stoppt jedes Lebewesen, selbst einen Elefanten, wenn man alle siebzig ins Ziel bringt. Aber auf kurze Distanz, wenn man vielleicht nur einmal feuern kann - tja, ich habe eben Vertrauen in diese Kanone«, sagte Da Zara achselzuckend.

    Rogers lächelte. »Dann machen wir es also, wie Captain Da Zara vorschlägt. Für die nächsten paar Nächte gilt: keine erkennbaren Vorbereitungen, unauffällig die Posten verstärken und alle Männer mit Signalpistolen ausrüsten. Wir erwarten weitere Angriffe und müssen vorbereitet sein. Inzwischen beruhigen Sie die Nepalesen, Gordon. Und wie Schoendienst vorschlug, sollen zwei Abteilungen Gurkhas im Bereitschaftsraum bei den Hangars warten.«

    Rogers blickte in die Runde, wartete, ob jemand noch eine Frage hatte. Dann stand er auf. »Ich bin im Kommandoraum«, sagte der hochgewachsene Oberst und verließ das Zimmer.

    »Ich gehe zu den Hangars.« Tinsdale ging ebenfalls. Über die Schulter rief er Da Zara zu: »Viel Glück, Antonio.«

    Dankbar lächelte Da Zara. Zu dem ermüdeten Schoendienst sagte er: »Sie schlafen sich erst mal aus, mein Freund.«

    Erleichtert zog sich Schoendienst zurück. Nun allein, kaute Da Zara bedächtig das Steak weiter. Seine Augen wanderten zu der großen, hässlichen Pistole hinüber. War seine Entscheidung richtig? Konnte ihn diese Waffe besser schützen als die MP? Da Zara seufzte. Wie sollte ein Soldat realistische Vorbereitungen treffen, wenn sein Gegner ein Fabelwesen war?

    Stunden später machte Da Zara seinen Kontrollgang. Er musste sich auch bei den entlegenen Posten zeigen, um die Sherpas zu ermutigen. Nur die kühnsten unter ihnen hatten sich für die Außenposten gemeldet. So einer war auch Pasang, der nur noch zwanzig Meter von ihm entfernt stand. Aufmerksam spähte der Sherpa ins Tal hinab.

    Da Zara wusste, dass angreifende Yetis diesmal nicht so entkommen konnten wie in den Nächten zuvor. Diesmal war man zu ihrem Empfang gerüstet.

    Da Zara hatte das Ende seines Kontrollabschnitts erreicht. Er wandte sich um und ging mit der Waffe in der Hand in seiner eigenen Spur zurück zu Pasang. Der kam auf den Offizier zu: »Nichts Neues, Da Zara Sahib«, sagte der Sherpa.

    »Gut«, antwortete der Italiener, »aber bleib wachsam!«

    Pasang nickte heftig. Da Zara erinnerte sich daran, dass der Sherpa aus demselben Dorf stammte wie Ang Tharkay, der Mann, der als erster getötet worden war. Pasang würde auch ohne Aufforderung auf Posten sein, denn er hätte nur zu gern einem Yeti das Magazin seiner MP in den Pelz gejagt. Der Gurkha nickte noch einmal und wandte sich ab. Auch Da Zara nahm seinen Marsch wieder auf. Wind kam auf, und Schnee rieselte vom Himmel. Erst in einzelnen Flocken, dann in Massen.

    Hier oben konnte sich ein Angreifer unbemerkt bis auf ein paar Meter an ihn heranmachen, das wusste Da Zara. Und er fragte sich wieder, ob es richtig gewesen war, die Magnum zu wählen. Sicher, ihre Durchschlagskraft war einmalig. Aber wenn er mit dem ersten Schuss sein Ziel verfehlte, würde er Bruchteile von Sekunden brauchen, ehe er wieder abdrücken konnte. Sekundenbruchteile, die über sein Leben entscheiden konnten. Da Zara verscheuchte die sinnlosen Gedanken und spähte durch den wirbelnden Schnee. In der Dunkelheit da draußen lauerte vielleicht schon die Gefahr.

    Da Zara war fast drei Stunden lang Streife gegangen, als er das Geräusch zum zweiten Mal in seinem Leben hörte - ein seltsames Kratzen von Stahl auf Felsen. Es war genau dasselbe Geräusch, das er in jener Nacht gehört hatte, in der Ang Tharkay gestorben war.

    Bei dem Schneegestöber war es unmöglich, die Richtung zu bestimmen, aus der das Kratzen an seine Ohren gedrungen war. Da Zara fragte sich, kam es von unterhalb, rechts von ihm? Er entsicherte die Magnum und hielt sie mit beiden Händen. Der Mann wartete darauf, dass sich das Geräusch wiederholte, um sofort Pasang über Sprechfunk zu alarmieren. Aber er wollte jetzt nicht gleich alle Posten aufschrecken, immerhin konnten ihm seine angespannten Nerven auch einen Streich gespielt haben.

    Da Zara tastete sich vorsichtig voran und zählte dabei seine Schritte. Nur ein paar Meter trennten ihn vom Abgrund. Plötzlich zerriss ein Schrei die Luft, gellend vor Entsetzen und tödlicher Angst. Da Zara wirbelte herum, rannte den Abhang hinauf, aber der Schnee behinderte ihn und machte ihn unbeholfen.

    Aus dem Gestöber tauchten zwei Gestalten auf. Er sah deutlich, dass sie miteinander kämpften. Der Kleinere trug einen weißen Tarnanzug - und der andere war ein menschenähnlicher Riese mit unheimlich langen Armen. An seinem breiten Schädel waren keine Ohren. Sein Pelz war mit Schnee bestäubt.

    Aus zehn Schritt Entfernung feuerte Da Zara. Der Yeti schleuderte die kleine Gestalt beiseite. Und dann kam das Ungetüm geradewegs auf Da Zara zu. Es brüllte, schnaubte und versuchte, nach der Waffe zu greifen. Schließlich sprang es Da Zara mit einem gewaltigen Satz an. Der Captain machte zwei Schritte rückwärts, stürzte zu Boden, aber genau das rettete ihm das Leben. Unglaublich, aber der Yeti überwand die Distanz mit einem einzigen Satz, obwohl er Da Zaras Kugel im Leib hatte. Auf dem Rücken liegend, schoss der Mann noch einmal, als das Wesen dicht an ihm vorbeistürzte. Der schwere Körper rollte den Abhang hinab und kippte über den Rand der Klippe. Da Zara hörte die grässlichen Geräusche, die der Yeti machte, als er im Fall gegen Felsen stieß.

    Da Zara rappelte sich auf und rannte durch den Schnee zu Pasang hinüber. Der Sherpa lag im Sterben. Aus hässlichen Wunden in Brust, Hals und Armen strömte das Blut, aber Pasang konnte noch sprechen. Da Zara beugte sich über den Nepalesen.

    »Yeti - riecht nicht - «, flüsterte er. Da Zara merkte, dass Pasangs Augen brachen. Es ging zu Ende. Aber noch im Sterben stieg plötzlich neue Furcht in den Augen des Sherpas auf.

    Instinktiv schnellte sich Da Zara nach links. Er spürte eine Bewegung hinter sich - ein zweiter Yeti! Mit ausgestreckten Armen, an den Händen riesige Klauen, kam er näher. Mit einem Satz war Da Zara hoch, sprang mit seiner ganzen Kraft und beiden Stiefeln gegen ein Knie des Ungeheuers. Ihm war, als wäre er gegen Granit gesprungen. Da Zara stürzte wieder und riss im Fallen an dem Riemen der Magnum.

    Der Yeti flog durch die Luft und landete mit seinen krallenbewehrten Füßen genau an der Stelle, wo gerade noch Da Zaras Brust gelegen hatte. Aber mit unheimlicher Geschwindigkeit richtete er sich wieder auf und fletschte die Fangzähne. Da Zara umklammerte seine Waffe mit beiden Händen und setzte ein Dumdumgeschoss genau in die breite Brust des Angreifers. Doch das grauenhafte Wesen schüttelte sich nur und stierte Da Zara aus seltsam leeren Augen an. Dann kam es wieder auf den Mann zu. Da Zara setzte die Pistole auf die Brust des Yetis und drückte noch einmal ab. Das Ungeheuer zuckte zusammen, machte aber noch einen Schritt nach vorn. Auch seine letzte Kugel schoss Da Zara dem Yeti mitten in die Brust. Dann ließ er sich auf die Knie nieder, suchte fieberhaft nach den Extrakugeln in seiner Tasche. Auch der Yeti war in die Knie gebrochen. Seine Klauen griffen an die blutende Brust. Der Pelz hatte sich gerötet. Dann schlossen sich die furchtbaren Augen, und der Yeti sank mit dem Gesicht zuerst in den Schnee.

    Der ganze Berg war jetzt hell erleuchtet. Überall stiegen gelben Leuchtkugeln auf. Da Zara lud erst seine Waffe neu, ehe er nach dem Sprechfunkgerät an seinem Gürtel langte. Er zitterte, aber er schämte sich dessen nicht. So hautnah war Da Zara dem Tod noch nie gewesen.

    Er hörte Hubschrauber über sich kreisen und rief mit krächzender Stimme in das Gerät: »Da Zara auf Posten 17. Sanitäter hierher!« Sekunden später hörte er Schoendienst: »Verstanden, Antonio. Wir kommen sofort.« Jetzt wandte sich Da Zara Pasang zu. Aber in der zerschmetterten Brust des Sherpas war kein Funken Leben mehr. Da Zara zog einen Handschuh aus und fühlte nach dem Puls des Mannes. Nichts. Dann hob er ein Lid - aber in den Augen stand nur die große Leere.

    Er nahm die Hand wieder von Pasangs Gesicht und seufzte. Fünf Tote in drei Nächten. Musste man mit weiteren Angriffen rechnen? Wie viele Yetis lauerten noch draußen? Oder waren nur diese beiden unterwegs gewesen?

    Ein Helikopter kam tiefer und tauchte den Schnee ringsum in grelles Licht. Eine Minute später stob ein Jeep den Bergweg herauf. Schoendienst und vier Sherpas rannten durch den tiefen Schnee zu ihm.

    »Sind Sie verletzt?«, fragte einer der Nepalesen. Da Zara schüttelte den Kopf und deutete auf den Toten vor sich. »Ich habe zwei von den verdammten Untieren erledigt. Einer stürzte die Klippen hinunter, morgen suchen wir ihn. Der andere liegt dort drüben.«

    Er führte Schoendienst zu dem toten Yeti. Die Kreatur war riesengroß - fast zwei Meter - und mit rötlich schwarzem Pelz bedeckt. Der Kopf ähnelte dem eines Mongoloiden, war glattrasiert und hatte da, wo die Ohren hingehörten nur rosige Haut.

    Die vier Sherpas standen furchtsam herum. Schoendienst sagte: »Die Ärzte wollen sicher einen Blick auf ihn werfen, ehe er steifgefroren ist.« Aber er musste die Nepalesen barsch anfahren, ehe sie das Ungeheuer an Armen und Beinen packten. Murrend hoben sie den schweren Körper hoch. Einer der Männer stolperte dabei rückwärts und hatte plötzlich ein Stück Yeti-Pelz in der Hand. Angewidert warf er es fort. Aber Schoendienst und Da Zara eilten hinzu und hoben das Fellstück auf. Es ähnelte einem Handschuh - hatte aber vorn Löcher, damit die Klauen hindurchpassten.

    Sie hoben die Hand des toten Ungeheuers an. Um das Handgelenk lag ein Metallband. Von da aus gingen fünf Drähte zu den vier Fingern und dem Daumen, die alle mit riesigen Klauen bewehrt waren.

    »Zum Teufel«, fluchte Schoendienst. »Zum Teufel, was ist das bloß?«

    Viertes Kapitel

    »Wie soll ich zwei dieser Körper von Nepal nach Kalifornien transportieren? Vor allem: ohne Hilfe und Wissen der Regierungen beider Länder? Das ist unmöglich!«, sagte Lynch.

    »Auf den ersten Blick«, lächelte Mr. Merlin. »Aber Baker braucht die Yetis dringend«, meinte General Samson zu seinem Adjutanten und stieß dicke Rauchwolken aus seiner Pfeife.

    »Aber...«, sagte Lynch.

    »Haben Sie den Kurier bereit, der die Fotos und Tonbänder mitnehmen soll?«, fragte General Samson.

    »Jawohl, Sir.«

    »Baker weiß schon Bescheid«, sagte Merlin. »Er ist versessen darauf, das Material auszuwerten. Aber er weiß natürlich, wie schwer wir es mit dem Transport der beiden Leichen haben.«

    »Wir werden uns was einfallen lassen«, lenkte Lynch ein.

    »Unmögliches erledigen wir sofort«, grinste General Samson.

    »Wunder dauern etwas länger«, ergänzte Mr. Merlin den bekannten Spruch. Vergnügt schaute er die beiden Männer an. »Lasst uns jetzt ein wenig ausruhen. Es war ein langer Tag.«

    Die Männer erhoben sich. Samson, der ehemalige Vier-Sterne-General und jetzige Stabschef, schüttelte Merlin die Hand. »Das kann man wohl sagen«, meinte er. Dann gingen sie.

    Mr. Merlin schloss die Augen und rieb sich die Nase. Seit zwanzig Stunden, seit die Nachricht von Basis 1 eingegangen war, dass es Da Zara gelungen sei, zwei Yetis zu töten, hatte er an seinem Schreibtisch gesessen.

    Den ganzen Tag über war eine Unmenge neuer Meldungen eingegangen. Als Wichtigstes ging daraus hervor, dass die Yetis Menschen waren. Zwar hatte man sie durch chirurgische Eingriffe verändert und vor allem ihre Kräfte vervielfacht, aber es handelte sich um Menschen. Die wichtigsten Körperstellen, Schädel, Bauch und Brust, waren durch Plastikplatten geschützt.

    Alle paar Minuten waren dann weitere aufregende Berichte von der Obduktion in Basis 1 bei Merlin eingetroffen. So hatte man herausgefunden, dass der Verdauungstrakt der Yetis entfernt und durch einen ausgeklügelten, künstlichen Versorgungsspeicher ersetzt worden war. Ein autarkes Stoffwechselsystem sorgte dafür, dass die Ungeheuer ohne Flüssigkeitsverlust leben konnten. Elektronische Schrittmacher unterstützten Herz und Lungen, während die Augen durch Miniaturkameras ersetzt worden waren. Schließlich hatten die Yetis an Stelle der Ohren Parabolmikrophone.

    Mr. Merlin und sein Stab waren von einer Überraschung in die andere gestürzt, wenn wieder eine neue Nachricht von Basis 1 die Dechiffriermaschine in Makaluha passiert hatte. Und es war schon Nacht, als endlich der Kurier mit dem Film- und Tonbandmaterial in Hawaii eingetroffen war. Erst danach konnten Merlin und seine Leute das Problem richtig studieren.

    Die erste Entscheidung lautete: sofort eine Ladung Magnums, .45er Colts und Thompson-MPs an Basis 1.

    Mr. Merlin erinnerte sich, dass er mit einem Blick auf die gewaltigen Yeti-Leichen gesagt hatte: »Vielleicht reichen .45er Kaliber nicht mal aus. Möglicherweise brauchen die da oben Elefantenbüchsen!«

    Entscheidung Nummer zwei hieß, Dr. Baker in das Geheimnis einzuweihen. Baker war schon seit Jahren einer der Gefolgsleute von Mr. Merlin. Dieser hatte über Funk mit ihm gesprochen und ihn vorinformiert. Baker war genau der richtige Mann - Doktor der Medizin und Biophysik. Ungeduldig würde Baker jetzt darauf warten, endlich an seine Aufgabe gehen zu können.

    Die dritte Entscheidung musste erst noch gefällt werden: Wie schmuggelte man die Yetis aus Nepal heraus und in die USA zu Dr. Baker?

    Im Gegensatz dazu war die vierte Entscheidung umso leichter zu. treffen: die Lage erforderte unbedingt den sofortigen Einsatz von John Eagle, Prototyp des modernen Agenten.

    Mr. Merlin seufzte und drückte auf eine Sprechtaste. »Polly, ist der Kurier schon draußen?«

    »Er wartet hier.«

    »Lass ihn noch warten und komm zu mir.«

    Mr. Merlin hatte das ganze Material über die toten Yetis samt Obduktionsbefunden vor sich aufgebaut. Er macht eine Handbewegung danach und meinte zu Polly: »Pack alles in ein Kuvert, versiegle es und steck es in den Kurierkoffer, den Lynch mitgebracht hat.«

    Beim Zusammenpacken fiel Pollys Blick auf das Farbfoto eines der toten Yetis. Hastig blickte sie wieder fort. Bald war alles verschnürt, und Polly steckte das Paket in den Lederkoffer mit Schnappschloss. Am Metallbügel des Koffers war eine Kette befestigt, die in einer Art Handschelle endete.

    »Jetzt bring ihn rein«, sagte Merlin.

    Mit einem Lächeln bat Polly den Mann herein. Er war mittelgroß, dunkelhaarig und etwa Mitte Zwanzig.

    »Sie heißen?«, fragte Mr. Merlin.

    »Grimes, Sir.«

    »Gut, Grimes, Sie werden für uns nach Kalifornien fliegen. Allerdings nicht lange dort bleiben. Morgen Nachmittag müssen Sie wieder zurück sein.«

    Grimes nickte wortlos.

    »Am Flughafen erwartet Sie ein Wagen, der Sie dann zu einem bestimmten Hotel bringen wird. Dort treffen Sie Mr. Goodrich, Ihren Kontaktmann. Er hat den Schlüssel für Ihr Anhängsel.« Merlin rieb sich die Stirn. »Den Mann, dem Goodrich den Kofferinhalt gibt, werden Sie nicht kennenlernen, obgleich er auf derselben Hoteletage wohnt wie Sie. Bis er das Material an Sie und Goodrich zurückgibt, werden sie beide ihn bewachen. Dann fliegen Sie und Goodrich hierher zurück - Sie mit dem Koffer am Handgelenk, Goodrich mit dem passenden Schlüssel.«

    »Ja, Sir«, sagte Grimes. Als Mr. Merlin nichts weiter hinzufügte, trat er zu dem Koffer, ließ die Handfessel um sein Gelenk schnappen und ging, von Polly begleitet, hinaus.

    »Was sind das für Kreaturen?«, fragte sie, als sie zurückkam.

    »Cyborgs.«

    »Und was sind - bitte schön - Cyborgs?«

    »Das ist ein Kürzel - es bedeutet cybernetisch gesteuerte Organismen.«

    »Cybernetisch?«, wiederholte Polly verständnislos. »Das hat wohl mit Computern zu tun, wie?«

    »Eng sogar. Cybernetik ist die Wissenschaft von der Steuerung oder Regelung von Bewegungsabläufen in Technik, Biologie, Medizin und vielen anderen Fachgebieten, oft durch Computer.«

    »Ach ja, vor einiger Zeit nannte man Computer doch Rechengehirne, ich entsinne mich noch daran.«

    »Gut. Jedenfalls schlug damals jemand vor, in einen Menschen einen Computer einzubauen, um zu sehen, was passiert - mit dem Menschen natürlich, nicht mit dem Computer. Aber das war Spinnerei. Eine echte Sciencefiction-Idee. Niemand nahm das tatsächlich ernst.«

    »Wegen ethischer Bedenken?«, fragte Polly.

    »Natürlich. Das wäre doch so, als wollte man für die Verhaltensforschung mit Menschenbabys statt mit Schimpansen experimentieren. So etwas erwägen nur verbrecherische Gehirne.«

    »Erzähl mir nichts mehr davon«, sagte Polly voller Entsetzen. »Bitte!« Sie blickte in sein müdes Gesicht. »Und leg dich jetzt schlafen, ja?«

    Mr. Merlin sah sie vor Müdigkeit nur noch verschwommen. Da war doch noch etwas zu erledigen gewesen? Ach ja! »Verständige Samson, er soll morgen als erstes veranlassen, dass John Eagle alarmiert wird.«

    »Soll auch Camp 3 verständigt werden?«, fragte Polly.

    Es ging vielleicht alles rascher, wenn man gleich in Basis 1 begann, dachte Merlin. Laut sagte er: »Nein, jetzt noch nicht.« Er drückte auf den Motorknopf seines Rollstuhls und fuhr zum Aufzug.

    Fünftes Kapitel

    Das Harquahala-Gebirge ist hoch und trocken. Tagsüber brennt die Sonne erbarmungslos und taucht es in glühende Hitze. Nachts fallen die Temperaturen so stark, dass sie selbst im Sommer empfindlich kalt sind, ja sogar einen ungeschützten Menschen erfrieren lassen können.

    John Eagle war ein Mensch und bis auf ein Baumwollhemd auch ungeschützt. Aber ihm machte die Kälte nichts, während er sein Pferd in dieser mondlosen Nacht den Berg hinabritt. Er war quicklebendig und freute sich darauf, dass bald vor ihm seine Ranch auftauchen würde.

    Mit seinem Mustang »Sooty« war Eagle für drei Tage im Gelände gewesen. Für »Sooty« hatte er einen Sack Hafer mitgenommen, für sich nichts weiter als den Apachenbogen und Pfeile.

    Egale war der Sohn eines schottischen Ingenieurs und einer adligen Engländerin. Aber erzogen worden war er indianisch. Seine Mutter war gleich nach der Geburt des Sohnes - fern ihrer Heimat, in Arizona - gestorben. Dort arbeitete ihr Mann beim Straßenbau. Eagles Vater hatte den Kleinen in die Obhut von White Deer gegeben, der Tochter eines Apachenhäuptlings. Und bei diesem Stamm wuchs der Junge nach dem Tod des Vaters auch auf.

    Kein Wunder, dass er wie ein Apache fühlte.

    Der Weiße in John Eagle hatte die moderne Ranch erbaut. Aber der Apache in ihm hatte dafür gesorgt, dass die Wände aus rohen, selbstgeformten Steinen hochgezogen wurden. Und es war der Indianer in ihm, der ihn unempfindlich gegen die Kälte machte und der sich nach ein paar Tagen im Freien dagegen sträubte, wieder in einem Haus leben zu müssen. Aber es war der Weiße in ihm, der John daran erinnerte, dass es auch Pflichten für ihn gab.

    Er sprang vom Pferd und öffnete das Tor. Sooty brauchte nicht zum Stall geführt zu werden. Eagle schloss das Tor wieder und folgte dem Tier. Im Dunkeln rieb er es ab. Dann nahm er die Satteltaschen und ging zum Haus. Später, wenn sich das Pferd etwas abgekühlt hatte, wollte er es füttern.

    Wie immer hatte er die Haustür unverschlossen gelassen. Er stieß sie weit auf und zündete mit einem Streichholz die Kerosinlampe an. Ihr gelbliches Licht brach sich in den blanken Bodenfliesen. Der Schein erhellte den spärlich, aber geschmackvoll eingerichteten Raum, an dessen Wänden indianische Gegenstände hingen, die Eagle ebenso liebte wie ein behagliches Feuer im Kamin. Dafür schätzte er weder Elektrizität noch Klimaanlage in seinem Haus.

    Eine Wandseite war mit gutgefüllten Bücherregalen bedeckt. Hier stand auch Eagles Telefon. Er hatte es sich eigens in diese Einsamkeit legen lassen müssen. Wahrscheinlich war es überhaupt eines der teuersten Telefone in ganz Amerika gewesen. An das Telefon war ein Tonband angeschlossen, dessen weiße Lampe brannte. Das bedeutete: wichtige Nachricht, während ein rotes Lämpchen die normalen Gespräche meldete.

    Eagle ging rasch hinüber und drückte auf einen Knopf. Erst ein Rauschen, Knistern - dann: »Eagle, hier ist Samson. Von jetzt ab stehen Sie auf Abruf.«

    Also war es wieder soweit. Sie brauchten ihn für einen Einsatz. Und das vielleicht schon bald. Wahrscheinlich würde er nicht einmal mehr über Camp 3 eingewiesen werden. Aber oft war das ohnehin die größte Quälerei, schlimmer sogar als der Einsatz.

    Eagle rieb sich das Kinn und dachte nach, was er jetzt zu tun hatte. Auf jeden Fall musste er hierbleiben. Allein. Also würde er die Verabredung, die er mit Ruth Lone

    Wolf fürs Wochenende getroffen hatte, wieder absagen. Natürlich konnte er Ruth nicht die vierhundert Meilen mit ihrem Thunderbird von Albuquerque bis hier herauf rasen lassen, nur damit sie ihm beim Packen für eine seiner Blitzreisen nach Camp 3 oder Hawaii half. Also auf jeden Fall absagen. Und dann musste er seinem Nachbarn Tommy Long Hawk - auch einem Apachen - Bescheid geben, damit dessen Sohn sich um die Ranch kümmerte.

    Eagle bereute es wirklich, Ruth wieder ausladen zu müssen. Von allen Frauen, die er je gemocht hatte, war sie ihm die liebste. Sie war halb Irin, halb Sioux-Indianerin. Und genau die Frau mit der Raffinesse einer Städterin, die der Weiße in John Eagle brauchte; andererseits war sie das einfache Mädchen, das der Apache in John liebte. Bei Ruth sorgte - wie früher bei White Deer - das Indianische dafür, dass sie keinen unnützen Fragen stellte, wenn er wieder plötzlich zu einem Einsatz geschickt würde.

    Für seine Art Job brauchte Egale beides - das Können der Weißen und die Instinkte der Apachen. Wobei das Indianische in Krisen überwog. So konnte er einen Feind hundert Meilen pro Tag über schlechtes Gelände zu Fuß verfolgen - egal ob in Wüsten, im Gebirge oder im Dschungel.

    John Eagle war genauso, wie sich Mr. Merlin seinen Prototyp vorgestellt hatte. Er entsprach dem Begriff einer Ein-Mann-Armee. Für seine besonderen Aufgaben war Eagle von Mr. Merlin in einem Spezialtraining gedrillt worden, das einen anderen Menschen vermutlich umgebracht hätte. Außerdem verfügte er über Waffen und Ausrüstung, die ihrer Zeit weit voraus waren.

    Zwischen Eagle und Merlin bestand ein Vertrag, den der Apache bis in jede Einzelheit auswendig kannte. Danach bekam er für die fünf Jahre, die er als Protoagent arbeitete, jährlich hunderttausend Dollar. Sofern er am Ende der Laufzeit noch am Leben war, erwartete ihn ein Bonus von einer Million Dollar, dazu Landbesitz, ein hoher Orden, lebenslange Steuerfreiheit und noch vieles mehr.

    Andererseits verpflichtete der Kontrakt ihn aber auch, fünf Jahre alle Aufträge - auch die gefahrvollsten - zu übernehmen, die Mr. Merlin bereithielt. Alle Einsätze leistete Eagle als Staatenloser; die Vereinigten Staaten würden nichts tun, um ihn vor Gefängnis, Folter oder Tod zu bewahren. Außerdem musste er absolutes Stillschweigen garantieren. Falls er sein Schweigen brach oder zu erfahren versuchte, wer sich hinter dem Namen Mr. Merlin verbarg, konnte das für ihn Tod oder lebenslange Einzelhaft bedeuten.

    John Eagle hatte das Wort des US-Präsidenten, dass dieser Vertrag peinlich genau eingehalten würde.

    Der Apache machte Feuer. Dann nahm er das Hirschfleisch aus der Satteltasche - er hatte das Tier draußen mit Pfeil und Bogen erlegt - und schnitt sich ein Steak ab. Als das Holz etwas heruntergebrannt war, legte er zwei Klötze nach. Dann ging er hinaus, um Sooty zu füttern. Er tätschelte dem Tier wie Abschied nehmend den Hals.

    Sechstes Kapitel

    Kalt und steif wachte Susan Blackwood auf. Und, ja, nackt. Also hatte man sie wieder in die harte Zelle gesteckt. Aber - wie lange war sie nun hier? War sie gestern Abend sofort eingeschlafen? Oder hatten sie sie schon gestern Nachmittag hergebracht? Wachte sie heute zum ersten Mal auf? War jetzt früher Morgen?

    Energisch schüttelte sie den Kopf und setzte sich kerzengerade auf. Ein paarmal atmete sie tief durch, um die Panik zu bekämpfen. Sie musste jetzt ganz klar denken, sich erinnern. Falls sie den Überblick verlor, war das schon der erste Schritt zum Zusammenbruch, das wusste Susan noch aus den Agentenkursen zum Thema Gehirnwäsche.

    Sie warf das dünne Laken fort und stellte sich in die kahle Zelle, die in Dr. Chens Bergfestung lag. Susan streckte die Arme, bis ihr die Schultern wehtaten. Dann zog sie - erst eins, dann das andere - die Knie bis zur Brust. Als die Muskeln schon etwas geschmeidiger waren, steigerte sie das Tempo. Nach fünfzehn Minuten Gymnastik atmete sie heftig. Die Haut ihres schlanken Körpers hatte sich gerötet, und sie begann zu schwitzen.

    Susan krabbelte wieder unter das Laken. Ihr Kopf war jetzt klarer. Sie erinnerte sich auch wieder, dass die Wächter zu ihr in die »weiche« Zelle gekommen waren - vor sechs oder sieben Stunden. Man hatte sie gepackt und mit dem Aufzug ein Stockwerk tiefer gebracht.

    In der harten Zelle hatten die Posten in militärischer Haltung dagestanden, während sie sich auszog - nur die Augen der Männer verrieten ihre Erregung. Aber so war es immer, wenn sie sich vor ihnen ausziehen musste, und nie blieb einer allein mit ihr. Ihr Körper war eine Überlebenschance für sie. Und sie hätte sich bei günstiger Gelegenheit ohne weiteres einem der Wächter hingegeben, wenn es ihre Situation verbessert hätte. Aber sie ahnten das. Darum waren immer mindestens zwei zugleich in ihrer Zelle.

    Susan war noch weit vom Zusammenbruch entfernt, das wusste sie. Dabei kam ihr natürlich zugute, dass sie über die Technik der Gehirnwäsche Bescheid wusste. Jetzt also war wieder die »harte« Zelle dran - 6X12X6 Schritte - kahle Wände, ein Aborteimer, ein Napf für das kalte Essen und ein Gitter in der Tür, durch das sie von Zeit zu Zeit spähten.

    Manchmal ließen sie auch das grelle Licht tagelang brennen, bis sie fast schrie. Dann wieder ließen sie Susan ununterbrochen im Dunkeln, bis sie fast nach Gnade rief.

    Aber tatsächlich hatte sie bis jetzt noch nicht geschrien. Wieder lagen zwei Tage in der »weichen« Zelle mit dem Waschtisch, der Wärme und dem weichen Bett hinter ihr. Das war ihre Methode: mal hart, mal weich. Man wollte, dass sie sich nach der »weichen« Zelle sehnte, aber das wäre das erste Zeichen von Selbstaufgabe gewesen.

    Susan merkte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Verdammte Heulsuse, hör auf mit dem Selbstmitleid. Laut sagte sie: »Himmeldonnerwetter, du bist doch eine zähe Bulldogge, ein Bullenbeißer bist du!« Susan musste laut lachen. War das ein Zeichen ihrer Kraft oder schon der Beginn von Hysterie?

    Sie war sich über ihren Zustand nicht ganz klar. Der Wechsel von harter zu weicher Zelle begann sie zu verwirren. Natürlich war ihr bewusst, dass sie sich auf einen der Posten hätte stürzen und ihn mit ein paar Karateschlägen entwaffnen können. Mit so einer Knarre wollte sie die Bude schon noch ganz schön durcheinanderwirbeln, ehe man sie umbrachte. Sie glaubte selbst nicht mehr daran, dieses Labor im Berg je lebend verlassen zu können. Aber sie wusste eines ganz genau: Lieber wollte sie sterben, als zulassen, dass Dr. Chen den ersten weiblichen Cyborg aus ihr machte.

    Sie musste jetzt klaren Kopf behalten und ihn auch benutzen. Je mehr ihr Gehirn nachließ, desto eher würden sie ihren Widerstand brechen können. Dann war sie schon auf dem besten Weg, ein Cyborg zu werden - eines dieser unmenschlichen Wesen, die Dr. Chen unten in einem Dutzend Käfigen gefangen hielt.

    Dein Kopf muss arbeiten, muss denken! Langsam sagte sie sich die Reihen des Einmaleins auf - bis zu 25X25. Macht 625. Sie wusste nicht alles auswendig. Manchmal musste sie sich eine Tafel vorstellen, auf der sie im Geist die Rechnungen ausführen konnte. Als sie endlich bei 625 angekommen war, atmete sie erleichtert auf. Wie ein Kind freute sie sich darüber, dass ihr die Konzentrationsübung gelungen war.

    Sie haben dich noch nicht kleingekriegt, Mädchen. Aber jetzt mach dich an eine schwerere Aufgabe. Überleg mal, wie lange du schon hier eingesperrt bist. Du hast keine Uhr, keinen Kalender gesehen, du hattest keinen Stift, um dir was aufzuschreiben. Schaffst du das?

    Susan hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Genau das war auch einer der Gründe gewesen, weshalb man sie beim britischen Geheimdienst angenommen hatte. Jetzt begann sie nachzurechnen, wie lange es schon her war, seit man sie aus Peking in diese Bergfestung gebracht hatte.

    Die Tage glichen einander. Doch sie hatte sich für jeden Tag eine Besonderheit gemerkt. Nun erinnerte sie sich der Reihe nach an diese Besonderheiten.

    »89«, sagte sie laut. Sie war seit 89 Tagen hier eingesperrt. Davor war sie über ein Jahr als Medizinstudentin in Peking gewesen. Susan war 27 Jahre alt, hatte vier Jahre Praxis beim Geheimdienst hinter sich, aber körperlich wirkte sie wie eine Zwanzigjährige.

    Susan war kaum sechs Monate in Peking gewesen, als ihr Kontaktmann sie auf Dr. Chens geheimes Treiben aufmerksam gemacht hatte. Alles jedoch nur vage Hinweise. Der sowjetische Geheimdienst bekam regelmäßig solche Tips über die medizinische Versuchsanstalt, die von den Chinesen in Südtibet errichtet worden war.

    Als man sie zusammen mit zwei anderen Studenten für ein Praktikum ausgerechnet bei Dr. Chens Projekt ausgewählt hatte, war ihr das als großer Glücksfall erschienen. Erst als sie schon hier war, wurde ihr klar, dass man sie als westliche Agentin entlarvt hatte. Dr. Chens Lachen klang ihr noch in den Ohren, als er ihr erklärte, dass sie schon kurz nach ihrer Ankunft in der Volksrepublik überwacht worden sei.

    Und am selben Tag hatte er ihr auch gesagt, dass sie nicht als medizinische Assistentin nach Tibet gebracht worden sei, sondern als Versuchskaninchen. Dr. Chen grinste ihr ins erstarrte Gesicht. »Dank hoher Gönner in der Regierung konnte ich es einrichten, dass Sie nun hier sind. Denn ich will Sie haben - nicht sexuell, sondern für die Versuche, meine Liebe!«

    Dr. Chen kicherte bei seinen Worten. Susan Blackwood sah in die großen Augen hinter der randlosen Brille und war sich klar darüber, dass dieser Mann nicht ganz richtig im Kopf war - trotz seiner Brillanz.

    »Eine intelligente und durchtrainierte Frau in bester physischer Verfassung«, sagte Dr. Chen nachdenklich. »Das ist der nächste logische Schritt im Projekt Cyborg. Bis jetzt konnte ich nur aus verurteilten Häftlingen Cyborgs machen. Stupide Typen oder Missgeburten. Oft genug sogar beides.«

    Susan blickte ihn aus kalten Augen an: »Sie werden nie die Erlaubnis zur Weiterführung Ihrer Versuche bekommen, das wissen Sie ganz genau. Schließlich sind die Chinesen ein altes, zivilisiertes Volk. Man wird die Erlaubnis, die man Ihnen gab, noch einmal überprüfen. Und dann können Sie Ihr verrücktes Projekt durchs Klo spülen.«

    Chen Yu war ein schlanker, großer Mann voll nervöser Energie. Susan schätzte sein Alter auf Ende Dreißig. Ein Mensch mit unglaublicher Selbstbeherrschung. Aber nun explodierte er. »O nein!«, schrie er. »Chen Yu war lange genug in den Vereinigten Staaten, wo schon sein Vater und seine Mutter gelebt haben. Chen Yu musste allen hohen Tieren die Stiefel lecken - sogar nach seiner Rückkehr in sein Vaterland. Aber jetzt wird nichts mehr Chen Yu aufhalten! Denn er ist ein vom Schicksal Auserwählter!«

    Susan brüllte dagegen: »Sie sind ein Spinner!«

    Er war wieder ganz ruhig geworden. »Klammern Sie sich nur an diese Hoffnung. Aber ich an Ihrer Stelle würde versuchen, die Situation objektiv zu betrachten. Was soll's - ein paar Jahre als Cyborg, na und?« Chen breitete die Hände mit einer Geste aus wie jemand, der für Vernunft plädiert.

    »Unglücklicherweise wird es nur für ein paar Jahre sein, das kann ich Ihnen versichern«, fuhr er fort. »Unsere Cyborgs leben nicht lange. Denn die Operationen beeinflussen ihr Nervensystem zu stark. Ein Problem, das wir noch nicht lösen konnten. Natürlich bleibt Ihnen auch noch eine andere Wahl offen, falls Sie mir nicht helfen wollen: Sie können sich dagegen entscheiden und in unseren Gefängnissen verfaulen. Als überführte Spionin.«

    Susan Blackwood schüttelte sich bei der Erinnerung, während sie nackt unter dem Laken auf der Pritsche lag. Es nützte ihr nicht viel, wenn sie nur hier lag und Dr. Chen hasste.

    Dummes Ding, denk lieber über die Wachtposten nach. Sie sind deine einzige Chance. Wenn der russische Geheimdienst so gut über Chens Hauptquartier Bescheid wusste, dann bedeutete das, sie hatten einen ihrer Agenten hier eingeschleust. Vielleicht kam sogar Hilfe aus dieser Richtung, überlegte sie.

    Quatsch, sagte sich Susan. Der russische KGB hatte anderes zu tun, als britischen Spionen aus der Klemme zu helfen. Nein, sie musste sich auf die Wachen konzentrieren. Mit einer ihrer Waffen konnte sie ganz schön was anrichten, ehe man sie umlegte.

    Siebtes Kapitel

    Lynch, General Samsons Adjutant, bat John Eagle in den Monitorraum und schloss die Tür hinter ihm. Eagle warf sich in einen Klubsessel. Das Lämpchen über einem Gerät leuchtete. Eagle sah sich selbst auf dem Schirm. In Farbe.

    Über Lautsprecher ertönte Mr. Merlins Stimme: »Also John, das sieht mir ganz nach Ihrem schwierigsten Einsatz aus.«

    »Ich habe die Farbdias der Yetis gesehen. Ja, es wird ein harter Job.«

    »Kampf Mann gegen Mann kommt nicht in Frage. Haben Sie Dr. Bakers Tonbänder gehört?«

    »Ja, ziemlich verblüffend. Aber ich habe bei Bakers Bemerkungen über die seelischen Aspekte gestutzt; als Folge der Misshandlungen, denen diese armen Teufel ausgesetzt waren, müssen...«

    »Misshandlung ist genau der richtige Ausdruck«, sagte Mr. Merlin.

    »Baker meinte, kein Wesen könne so schwerwiegende Eingriffe überstehen, ohne verrückt zu werden. Ist es möglich, dass die beiden Yetis von Basis 1 geisteskrank waren?«

    »Darüber haben wir nachgedacht. Nie zuvor hat es dort irgendwelche Yeti-Überfälle gegeben, nie wurde ein Yeti in der Gegend von Basis 1 gesichtet. Trotzdem gibt es keinen Grund zur Annahme, die beiden seien durchgedreht und einfach ihrem Herrn und Meister fortgelaufen, um zufällig Basis 1 anzugreifen.«

    »Warum nicht?«, fragte Eagle.

    Mit Ärger in der Stimme antwortete Mr. Merlin: »Es gibt genügend logische Gründe, um Basis 1 auskundschaften zu lassen, sie anzugreifen oder gar auszumerzen.«

    »Gibt es Beweise dafür, dass mehr als zwei Yetis existieren? Diese beiden könnten die einzigen der Welt sein.«

    »Das wissen wir nicht. Aber das ist mit ein Grund, weshalb Sie nach Nepal gehen.«

    »Ja«, sagte Eagle und unterdrückte seinen Ärger. Wirklich, der übelste Teil in seinem Leben als Protoagent waren diese einseitigen TV-Konferenzen mit Mr. Merlin. In ein Mikrophon zu sprechen und die Antworten über Lautsprecher zu empfangen, das war schon eine ärgerliche Art, sich mit einem anderen Menschen zu verständigen.

    Mr. Merlins Stimme sagte: »Sie werden bemerkt haben, dass Baker...«

    »Tun Sie mir einen Gefallen«, bat Eagle.

    »Ja?« Mr. Merlin antwortete so schneidend, wie Eagle es in seinem ganzen Leben noch nie gehört hatte. Zweifellos war Merlin nicht gewohnt, unterbrochen zu werden.

    »Schaffen Sie den verdammten Fernseher aus diesem Raum, ehe ich zurückkomme. Es ist, als spräche man mit seinem Spiegelbild.«

    Anhaltendes Schweigen. Eagle fragte sich, ob Mr. Merlin sich eine Notiz wegen des Fernsehers machte oder aber versuchte, seinen Groll zu beherrschen.

    »Ja. Also, Baker sagte, eines der Hauptprobleme bei der Entwicklung von Cyborgs seien die abnormen seelischen Reaktionen in bezug auf Sexualtrieb und so weiter. Aber er sagte nicht, unsere Cyborgs seien verrückt. Im Gegenteil: Es sei wahrscheinlich, dass sie nach den Eingriffen disziplinierte Diener ihres Herrn würden.«

    Eagle nickte wortlos.

    »Wir sind sogar sicher, dass diese Cyborgs nicht geisteskrank sind. Der Mann, der so erfolgreich Übermenschen herstellen kann, darf sich einfach nicht leisten, Verrückte zu produzieren. Es gibt zwar keine Anhaltspunkte dafür, aber zweifellos hat ihr Schöpfer einen Weg gefunden, um die Yetis so gefügig zu machen, dass sie ihr Schicksal geduldig ertragen.«

    »Weil wir gerade von ihrem Schöpfer sprechen - gibt es Neuigkeiten über Dr. Chen Yu?«, fragte Eagle.

    »Wir haben versucht, in China etwas über ihn zu erfahren.«

    »Und?«

    »Es ist gar nicht so einfach.«

    »Das weiß ich!« Eagle sagte das fast ungeduldig. Hier zu sitzen und mit seinem eigenen Spiegelbild zu plaudern, entsprach nicht seinem Temperament.

    »Er ist 39 Jahre alt und als Kind von Shanghai nach USA ausgewandert. Machte seinen medizinischen Doktor an der John-Hopkins-Universität und arbeitete später an der Staatsuniversität von Massachusetts als Chirurg. Belegte Kurse in Cybernetik am Technikum von Massachusetts. Dann machte er eines Tages Ferien in Hongkong - und verschwand in Rot China.«

    Mr. Merlin legte eine Pause ein.

    »Soweit die Tatsachen. Vielleicht ist dem noch etwas hinzuzufügen, wenn die neuen Berichte eingehen. Jedenfalls scheint Chen ein Psychopath zu sein. Aber kein Kommunist. Er ist völlig unpolitisch, dafür hegt er einen unheimlichen Hass gegen Amerika.«

    »Obwohl er seit seinem dritten Lebensjahr in USA lebte?«

    »Ja. Er hatte eine unglückliche Kindheit. Schon sein Vater war ein in Amerika ausgebildeter Chirurg. In den dreißiger Jahren kam er mit Frau und Kind ins Land, um uns alles über Akupunktur zu erzählen - nur wollte niemand etwas davon hören. Es scheint, dass er ein großer Idealist gewesen ist.«

    »Seiner Zeit weit voraus, wie?«, fragte Eagle.

    »Ja. Und natürlich hat man ihn als Quacksalber abgetan. Als Kind erlebte Chen Yu einen völlig verbitterten Vater. Und für die Mutter war es auch nicht leicht, ihren Sohn in einem fremden Land großzuziehen. Dazu kommt, dass auch sie verbittert darüber war, wie man ihren Mann behandelte.«

    »Sie legte in das Kind den Keim des Hasses?«

    »Möglich. Jedenfalls scheint Chen besonders auf seine Mutter fixiert gewesen zu sein. Und vom Vater übernahm er die Sucht, als Messias auftreten zu müssen. Aber trotz allem: Er ist ein brillanter Kopf.«

    Eagle dachte darüber nach. Dann sagte er: »Das sind nur Fetzen seines Charakterbildes. Ich möchte über alle Neuigkeiten unterrichtet werden, die noch kommen sollten.«

    »Das wird noch heute Abend geschehen. Sie fliegen dann mit PanAm bis Bangkok, weiter mit Air India nach Delhi und von dort nach Katmandu.«

    »In Ordnung.«

    Überraschenderweise lachte Mr. Merlin: »Sie scheinen froh zu sein, endlich abhauen zu können.«

    »Das bin ich auch.«

    »Oder wollen Sie nur meiner Stimme entgehen? Lynch und Samson haben versprochen, demnächst eine andere Lösung zu finden, damit Sie sich künftig ohne Ärger mit mir unterhalten können. Jetzt verabschiede ich mich von Ihnen. Viel Glück, John!«

    Noch ehe sich Eagle bedanken konnte, erlosch das Licht, der Fernseher wurde dunkel.

    In Katmandu wurde Eagle von zwei großen Männern empfangen. Sie trugen zwar Zivil, sahen aber wie ehemalige Polizisten aus. Die beiden packten Eagle in einen Ford und brausten mit ihm zu einer entlegenen Ecke des Flugplatzes, wo sie ihn in eine C-130 Hercules verfrachteten. Auf der Maschine stand in großen Lettern: Gesellschaft für Geologische Forschungen.

    Eagle achtete darauf, dass seine Ausrüstung gut verstaut wurde. Kaum hatte er sich angeschnallt, dröhnten auch schon die vier Turbopropeller los. Minuten später waren sie in der Luft. Zweimal kreiste der Pilot über der Stadt, um Höhe zu gewinnen. Durch das Bullauge sah Eagle unter sich den Königspalast, die vielen Tempel und die rotgedeckten Häuser. Dann schwenkte das Flugzeug auf Kurs tibetanische Grenze, zu Basis 1.

    In Gedanken kontrollierte Eagle noch einmal seine Ausrüstung. Da war zunächst die CO2-Pistole mit dem langen Lauf. Mit ihr konnte er lautlos die kleinen Todesnadeln verschießen. Außerdem hatte er seinen Tarnanzug mit Chamäleon-Element, Gesichtsmaske und Helm bei sich. Damit war er gegen Entdeckung durch die Cyborgs nahezu geschützt. Der nach seinen Maßen modellierte Plastikanzug hielt zwar keinem direkten Treffer stand, aber gegen Weit- oder Streifschüsse schützte er gut. Noch besser war die chemische Präparierung des Anzugs, die sich nach Bedarf jedem farbigen Untergrund anpasste - als perfekte Tarnung. Und außerdem konnte man in diesem Kleidungsstück über Batterie Hitze und Kälte regulieren. Ferner hatte er neuentwickelte Minigranaten mitgenommen, grüne und violette zum Einsatz gegen Menschen und Bauwerke, und drei orangefarbene mit Nuklear-Sprengkopf, mit denen man ganze Stadtteile oder Schlachtschiffe zerstören konnte. Natürlich hatten alle komplizierte Zeitzünder und Auslösemechanismen.

    Dann hatte er noch seinen zweiteiligen, zusammensetzbaren Bogen aus einer Speziallegierung mit fünfzig Pfeilen ausgewählt. Man konnte die Spitzen der Pfeile abschrauben, wenn sie durch einen Körper gegangen waren, und die Schäfte wieder verwenden.

    Weiter gehörten zu seinem Handwerkszeug Wasser- und Nahrungstabletten, die er hasste, eine Kompassuhr, ein Bergstock mit Stilett im Griff, starke Infrarotlampen, Spezialbrille und Minisender. Für diesen Auftrag hatte er noch Kletterstiefel und eine komplette Bergausrüstung mitgenommen. Nur Sauerstoff war nicht dabei, aber er hatte ja nicht vor, so hoch zu klettern, dass er in Atemnot geriet.

    Seine CO2-Pistole war für den Job in den Bergen umgerüstet worden. Sie hatte jetzt ein starkes Zielfernrohr und einen bequemen Griff. Wenn man noch den auf- schraubbaren Verlängerungslauf ansetzte, war sie eine treffsichere Waffe für Heckenschützen.

    Eagle fuhr aus seinen Gedanken hoch, als ihn ein Mitglied der Crew antippte und sagte: »Schauen Sie mal hinaus!«

    Da unten lag der Berg, den die Sherpas Tschomolungma nannten: »Göttin-Mutter der Erde«. Der Mount Everest, dessen drei Gipfel über 8800 Meter hoch und durch den Wolkenvorhang ragten. Dahinter sah er den Makalu und den Kangchendzonga.

    Als er so hinabschaute, verstand Eagle, weshalb man diese Gipfel das Dach der Welt nannte. Als dann etwas später der Dhaulagiri - der weiße Berg - auftauchte, wusste John, dass Basis 1 erreicht war. Und schon setzte die Hercules zur Landung auf der versteckten Piste an.

    Mit einem dumpfen Rumpeln berührten die Räder die Rollbahn, die Propeller rotierten langsamer,

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