Aufbruch zum Yukon: Yukon River Band 1
Von Mira Bluhm
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Über dieses E-Book
1897 bricht in Alaska ein großer Goldrausch aus. Man sagt, dass ein Mann innerhalb eines Jahres eine Million Dollar in faustgroßen Nuggets aus den Claims schürfen kann. Die Freunde Henry und Tucker beschließen, ihr Glück zu versuchen, und machen sich auf den Weg nach Dawson City. Doch die Reise ist lang und beschwerlich, und zwischen den Goldsuchern herrschen Neid und Missgunst.
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Buchvorschau
Aufbruch zum Yukon - Mira Bluhm
Kapitel 1
Es war schon fast Mittag, als Henry und Tucker den Broadway hinunterschlenderten. Sie hatten beide einen Botengang zu erledigen gehabt und waren sich zufällig über den Weg gelaufen. Obwohl sie sich sowieso jeden Tag sahen, nutzten sie die Gelegenheit für ein Schwätzchen.
Hast du die Schlagzeilen gelesen? Herrgottnochmal, jeder geht zum Yukon River, und ich will auch dort hin.
Ach, komm schon. Was tut einer wie du in einem Land wie Alaska? Dort ist es so kalt, dass sogar den Eisbären die Ohren abfrieren.
Was schert mich die Kälte wenn ich nur das Gold dort bekommen kann? Wir gehen zusammen los. Dann zeigen wir den Typen dort mal was es heißt, wenn einem die Sonne aus dem Arsch scheint. Henry und Tucker, die Glückspilze, so werden sie uns nennen.
Tucker schüttelte entschlossen den Kopf. Also wenn schon, dann Tucker und Henry, darauf bestehe ich.
Henry musste über die Eitelkeit seines alten Freundes lachen. Dann also Tucker und Henry, was schert es mich, ob ich der Kopf oder der Schwanz der Firma bin, so lange wir ein Stück vom Kuchen abbekommen.
Beim Teufel Henry, es gibt keine Person in New York mit der ich mir lieber den Arsch an diesem gottverdammten Fluss abfrieren würde als mit dir.
Das Kompliment kann ich nur zurückgeben, Tucker.
Na gut Kumpel, ich muss mich dann mal beeilen, oder mein Boss bekommt wieder einen seiner berühmten Wutanfälle. Aber bevor du jetzt den restlichen Tag vom Yukon träumst, lass dir gesagt sein, dass ich eher auf den Mond fliege als dorthin zu gehen.
Henry blieb stehen und sah ungläubig seinem Freund hinterher, der in eine der Seitengassen abbog. In letzter Zeit sprach jeder über Alaska und über den Goldrausch, der dort ausgebrochen war. Er war fest entschlossen, seinen Freund zu diesem Abenteuer zu überreden, und er war zuversichtlich, dass er es am Ende schaffen würde. Auch wenn es schwieriger wäre, als er gehofft hatte.
Er war achtzehn Jahre alt, groß, breit gebaut mit breiten Schultern, mit Muskeln aus Stahl und einer unerschütterlichen Gesundheit. Außerdem hatte er das große Glück gehabt, das volle Haar und die großen grauen Augen seines Vaters zu erben. Er scheute keine harte körperliche Arbeit, denn sein Körper war dafür geschaffen. Er fürchtete das Wetter nicht, denn er wusste, dass er sich nicht erkälten würde. Und er wusste um sein Charisma und seine Anziehungskraft auf Frauen; mit seinem Aussehen würden auch die Abende in dem ungastlichen Alaska nicht langweilig werden. Ein Kerl wie er war für Abenteuer wie dieses bestimmt. Er würde seine Chance nutzen, das schwor er sich feierlich.
Tucker wiederrum hatte nichts zu verlieren. Seine Mutter war gestorben als er noch klein gewesen war, woraufhin sein Vater ihn in ein Armenhaus gebracht und sich vom Acker gemacht hatte. Als er noch keine zehn Jahre alt gewesen war, war er aus dem Armenhaus nach New York geflüchtet und hatte sich seither ganz allein über Wasser gehalten. Dabei hatte er es immer noch irgendwie geschafft, die Abende mit Lernen zu verbringen, sodass nicht nur ein Überlebenskünstler, sondern auch ein sehr gescheiter Mann aus ihm geworden war. Einen besseren Begleiter konnte man sich nicht wünschen.
Außerdem machten sie auch optisch einiges her. Tucker war das genaue Gegenteil des großen, blonden, breit gebauten Henry, nämlich klein, dürr und schwarzhaarig. Trotzdem war er genauso beliebt bei den Frauen wie sein Freund, was an seinem fein geschnittenen, hübschen Gesicht lag und zu einem guten Teil auch daran, dass er den perfekten Gentleman mimte. Gemeinsam zogen sie alle Blicke auf sich.
Die beiden Freunde waren gleich alt und hatten sich schon vor einigen Jahren kennengelernt. Es war an der Zeit, ihre Freundschaft auf die Probe zu stellen, und gemeinsam in die Zukunft zu blicken.
Henry vertrieb die Gedanken aus seinem Kopf und eilte die White Street hinunter, wo das Gebäude stand, in dem er arbeitete. Es war sein erstes Jahr bei der Firma; der Junge, der vor ihm hier gearbeitet hatte, war gefeuert worden. Das könnte auch ihm jederzeit blühen, und er sehnte sich jeden Tag in die Zeit zurück, in der er für den warmherzigen alten Mister Leslie gearbeitet hatte, der inzwischen leider verstorben war. Die beiden Dreckssäcke, für die er nun arbeitete, hasste er richtig. Aber wenn alles nach Plan lief, wäre er nicht mehr lange hier, und bis dahin hieß es durchhalten.
Liebling, einer der beiden Inhaber, kam gerade aus seinem Büro. Er war fett, schwerfällig und noch dazu geschmacklos gekleidet.
Da bist du ja endlich
, schnauzte er Henry an. Sag mal, du brauchst wohl ein volles Jahr um von der Duane Street hierher zu wandern, was?
Henry zog eine Augenbraue hoch, bemühte sich aber, das Gesicht nicht zu sehr zu verziehen. Ich bin so schnell gegangen wie ich konnte, Sir. Sie verlangen doch nicht, dass ich laufe, als stünde die Stadt in Flammen, oder?
Das habe ich nie gesagt! Hast du Mister Marks heute schon gesehen?
Nein, habe ich nicht.
Hilf mir mal. Ich hab dich hingeschickt, um einen wichtigen Botengang zu erledigen. Und du hast ihn nichtmal gesehen. Wie kann das sein?
Er war nicht dort
, verteidigte sich Henry. Deshalb habe ich ihn nicht gesehen. Wenn das nicht mal ein Grund ist.
Du bist ein Idiot, warum habe ich dich überhaupt eingestellt?
Ich befolge Ihre Anweisungen, Mister Liebling. Ich überbringe Nachrichten, dafür werde ich bezahlt.
Die Anweisung bestand nicht nur darin, die Nachricht zu überbringen, die Anweisung beinhaltete, mit Mister Marks zu sprechen.
Henry schüttelte entschlossen den Kopf. Davon war nie die Rede.
Lügner!
Liebling spuckte das Wort geradezu aus, als wäre es eine besonders eklige Medizin. Dabei nahm sein Gesicht einen gefährlichen Rotton an. Offensichtlich stand er kurz vor einem cholerischen Anfall.
Inzwischen hatten sich einige Mitarbeiter im Gang versammelt, die die Szene aus einem sicheren Abstand beobachteten. Henry war sicher, dass sie nur darauf warteten, dass er Liebling eins überzog. Der Kerl hatte es verdient. Erst vor kurzem hatte er sein Gehalt von zehn Dollar pro Woche auf sechs Dollar gekürzt, und jetzt nannte er ihn einen Lügner.
Henrys Hände zuckten, aber er ließ sich nicht dazu hinreißen, sie einzusetzen. Nehmen Sie das zurück! Niemand nennt mich einen Lügner, Mister Liebling. Sie nehmen das zurück.
Ich nehme nichts zurück.
Liebling drehte sich um und ging auf seine Bürotür zu.
Sie nehmen das zurück!
, rief Henry ihm hinterher. Sofort! Hören Sie!
Die schwere Eichentür schloss sich hinter Mister Liebling, ohne dass er auf Henrys Rufen reagiert hätte. Alle Augen ruhten nun auf Henry, der als Lügner bezeichnet worden und dann unbeachtet stehengelassen worden war. Das konnte er sich nicht gefallen lassen. Er rannte Liebling hinterher in dessen Büro, wo dieser gerade vor dem Regal stand, um sich einen Stapel Papiere zu nehmen. Henry packte ihn am Kragen seines feinen Anzugs und schleifte ihn zurück in den Flur. Vor den Augen seiner Kollegen verpasste Henry ihm eine Ohrfeige, die heftig genug war, um Lieblings goldgeränderte Brille mehrere Fuß über den Boden schlittern zu lassen, während der Fettsack vor Schreck zu Boden sackte.
Das haben Sie nun davon! Nennen Sie mich nie wieder einen Lügner!
Lieblings Unterlippe zitterte. Er sah erst Henry an, dann blickte er flehend von einem der Angestellten zum andern. Hilfe! Polizei!
, wimmerte er, als er merkte, dass niemand einschreiten würde, um ihn zu verteidigen. Bringt ihn weg! So bring ihn doch jemand weg!
Niemand bewegte sich vom Fleck.
Liebling funkelte Henry bitterböse an, während er seine Brille einsammelte und sich aufrappelte. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, hastete er nach draußen an die frische Luft.
Von dem Lärm angezogen betrat Mister Herzog den Flur. Er war neben Mister Liebling der zweite Inhaber der Firma. Henry, ich dachte, du wärst ein ruhiger und besonnener Mann
, sagte er in seinem üblichen singenden Ton, den Henry beinahe so sehr hasste wie Lieblings Bellen.
Das bin ich auch
, gab Henry zurück. Aber niemand hat das Recht, mich einen Lügner zu nennen. Außerdem bin ich es leid, dass Mister Liebling ständig nur nach Fehlern sucht, um mir wieder einmal das Gehalt zu kürzen. Geben Sie mir das Geld, das Sie mir aufgrund der letzten Kürzung noch schulden, und ich werde gehen.
Nein.
Mister Herzog schüttelte entschieden den Kopf. Ich will nicht, dass Sie gehen. Kommen Sie mit in mein Büro, und dann schaffen wir das aus der Welt.
"Es