Das Wrack des Piraten: Kurzroman
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Im Jahr 1818 in Valparaiso betritt ein Fremder die Schenke der ehrenwerten Wirtin Señora Fostero, behandelt diese aber wie eine alte Bekannte und spricht von alten Schulden, die sie ihm gegenüber hat. Sie wird aus ihm nicht klug. Dann interessiert er sich auch noch für ein altes Schiffswrack. Piraten kommen ins Spiel, ein Schatz ...
Coverbild: YUCALORA / Shutterstock.com
Friedrich Gerstäcker
Friedrich Gerstäcker (geb. 1816 in Hamburg, gest. 1872 in Braunschweig) war ein deutscher Schriftsteller, der vor allem durch seine Reiseerzählungen aus Nord- und Südamerika, Australien und der Inselwelt des indischen Ozeans bekannt war. Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Die Regulatoren von Arkansas“ (1846) und „Die Flußpiraten des Mississippi“ (1847). Daneben veröffentlichte er eine Vielzahl von spannenden Abenteuerromanen und -erzählungen, aber auch Dorfgeschichten aus der deutschen Heimat. In seinen Erzählungen verstand er es die Landschaften und kulturelle Verhältnisse anschaulich darzustellen, so dass noch heute ein überwiegend jugendliches Publikum seine bekannten Romane liest. Seine Erzählungen und Romane regten im Nachgang zahlreiche Nachahmer an, zu denen auch Karl May zählte. Er profitierte sehr stark von den Schilderungen Gerstäckers, da er weniger in der Welt herumgekommen war und aus eigenen Erlebnissen zu berichten hatte. Insgesamt hinterließ Friedrich Gerstäcker ein monumentales 44-bändiges Gesamtwerk. (Amazon)
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Das Wrack des Piraten - Friedrich Gerstäcker
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Im Jahr 1818 in Valparaiso betritt ein Fremder die Schenke der ehrenwerten Wirtin Señora Fostero, behandelt diese aber wie eine alte Bekannte und spricht von alten Schulden, die sie ihm gegenüber hat. Sie wird aus ihm nicht klug. Dann interessiert er sich auch noch für ein altes Schiffswrack. Piraten kommen ins Spiel, ein Schatz ...
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1. Kapitel – La pulperia
In dem Seitenstübchen einer kleinen, aber deshalb nicht unbedeutenden Pulperia oder Schenkwirtschaft am westlichen Ende der Stadt Valparaiso saß am Abend des 5. August des für Chile besonders wichtigen Jahres 1810 eine ziemliche Anzahl Gäste, die Nationen bunt genug durcheinandergemischt, versammelt und besprach besonders die Hauptinteressen des Tages. Das waren die Absetzung des Generalkapitäns Carrasco, die am 18. Juli in San Jago, der Residenz des Landes, stattgefunden, und den Antrag des berühmten, über die Kordilleren zu ihnen herübergekommenen Alvarez de Jonte, eine Regierungsjunta zusammenzuberufen und dadurch das spanische Joch, das noch auf ihren Schultern ruhte und ihnen mit jedem Jahre drückender und unerträglicher wurde, abzuwerfen.
Señora Fostero, übrigens die vortrefflichste lebendige Empfehlung, die je hinter einem Wirtstisch gesessen, und hier zugleich ehrbare Besitzerin dieses lebendigen Platzes, würde es uns sicher übel nehmen, wollten wir uns nicht erst einen Augenblick, und sei es nur durch kurzen Gruß, mit ihr beschäftigen, ehe wir uns ihren versammelten Gästen zuwenden.
Señora Fostero, oder kurzweg Señora, wie sie von den Fremden, und Tia mia oder Tantchen nicht selten von den älteren und mehr vertrauten Stammgästen genannt wurde, wog in der Tat zwei andere Schenkwirtinnen, nicht allein an Umsicht und Geistesgegenwart in schwierigen Verhältnissen oder Erfahrung, was das praktische Leben betraf, nein, auch an wirklichem chilenischen Marktgewicht auf und konnte in jeder Hinsicht, selbst in moralischer, was in Valparaiso nicht wenig sagen will, als Muster einer wahrhaft vortrefflichen Wirtin hingestellt werden. Ihre Jugendzeit war aber nicht so ruhig und sorglos verflossen, als es ihr Alter, bei gutem Auskommen und kräftiger Gesundheit, zu werden versprach. Zweimal verheiratet, hatte sie beide Männer verloren. Der erste war ein wilder, unbändiger Gesell gewesen, der sich mit dem ordentlichen und ehrbaren Daheimsitzen, wie es einem verheirateten Manne zukommt, nicht vertragen konnte, seine unruhigen Neigungen zuliebe deshalb mit dem Gelde seiner Frau einen kleinen Schoner kaufte und damit zwischen den Inseln und der chilenischen Küste Handel trieb. Die Sache ging auch mehrere Jahre vortrefflich, einmal aber verfloss die gewöhnliche Zeit seiner Rückkehr, und er kam nicht.
Die arme Frau wartete ein, zwei, drei Jahre, er kam immer noch nicht, und so war sie endlich wohl genötigt, dem Führer eines andern Schoners zu glauben, der mit Lorenzo Fajardo von Tahiti ausgelaufen, nicht weit von den Inseln einen der dort nicht seltenen Taifune erlebt hatte, dem er nur unter unendlicher Gefahr und dem Verlust beider Masten entging. Dieser wollte zwei Tage später Trümmer eines andern Fahrzeugs gefunden haben, die er, der Bemalung nach, für die Reste von Fajardos Schoner hielt, und da der Unglückliche auch in späteren Jahren verschollen blieb, war kein Zweifel mehr, dass er seinen frühen Tod in den Wellen gefunden hatte.
Seine Frau hatte mit ihm ein einziges Kind, eine Tochter.
Sechs Jahre nach dem Verlust ihres ersten Mannes verheiratete sie sich zum zweiten Male mit einem geborenen Chilenen, Fostero; diese Ehe blieb aber kinderlos, und auch Fostero starb schon im dritten Jahre ihrer Verbindung an den Folgen eines unglücklichen Sturzes von einem wildgewordenen Pferde. Señora Fostero heiratete aber nicht wieder, sondern führte, mehr um eine Beschäftigung zu haben, als wirklichen Broterwerbs wegen, ihre Wirtschaft allein fort und gab ihre Tochter Manuela, als diese etwas herangewachsen war, nach Santiago zu einer Schwester, um sie dort in der Hauptstadt des Landes erziehen zu lassen. Valparaiso war damals nicht allein nur noch ein kleines, unbedeutendes Hafenstädtchen, sondern eine Pulperia, eben auch kein geeigneter Platz, ein junges, hübsches Mädchen großzuziehen. Seit einigen Tagen befand sich Manuela nun zu kurzem Besuch bei ihrer Mutter.
Ihre Gäste zu bedienen, hatte Señora Fostero zwei junge Mädchen aus Guilotta in ihr Haus genommen, Marequita und Juana, die jetzt wie flüchtige Grazien in dem kleinen, aber nicht besonders erleuchteten Zimmer umherschlüpften, bald hier, bald da Getränke oder Früchte – Oliven, Orangen und Trauben – herbeizuschaffen. Die behaglichste Ecke des kleinen Gemachs nahmen aber vier Personen ein, mit denen ich den Leser vor allen Dingen näher bekannt machen muss. Nicht gerade der Älteste von ihnen, aber doch jedenfalls der, der durch seine Persönlichkeit und auch vielleicht einer kleinen Abweichung in der Kleidung wegen, manchem der nach ihm Eintretenden auffiel, verdient unsere erste Beachtung. Er führte augenscheinlich das Wort, behandelte dabei Señora Fostero auf das Vertraulichste, ja, ich möchte fast sagen, protegierend. Obgleich er heute zum ersten Mal ihre Schwelle betreten hatte, scherzte er mit den beiden Aufwärterinnen, ohne dabei jemals das Gesicht auch nur zu einem Lächeln zu verziehen, und betrug sich überhaupt in einer so ungezwungenen und freien, jedoch immer anständigen Weise, als ob er hier seit Jahren aus und ein gegangen sei, und doch erinnerte sich keiner von ihnen, ihn auch nur je gesehen zu haben. Mit allen Ländern der Welt war er bekannt – von den am entferntesten liegenden Teilen der Erde sprach er so, dass man stets denken musste, er rede von seiner Heimat, und sein sonnengebräunter Teint, seine harten, wohl in Gefahren und Beschwerden gestählten Züge wie das ganze Kräftige seines Körpers straften diese Meinungen denn auch nicht Lügen.
Es war ein nicht gerade sehr großer, aber wohlgewachsener Mann, jedenfalls in einem südlichen Lande geboren, mit krausem schwarzem Haar und noch schwärzerem, vollgelocktem und gutgehaltenem Bart, den die linke Hand gewöhnlich teilend voneinander strich, wenn die rechte das volle Glas zu den Lippen führte. Über seine hohe Stirn lief aber, von oben aus dem Haar kommend bis nach der Nasenwurzel hinunter, ein schmales schwarzes Pflaster, was ihm ein eigenes und keineswegs freundliches Aussehen gab und das von den beiden Mädchen schon seit seinem Eintreten mit heimlichem Grausen betrachtet und besprochen worden war. Seine dunklen Augen verrieten, besonders wenn er sprach, Feuer und Geist; nahm er aber manchmal auf kurze Zeit an dem Gespräch nicht teil und warf dann, wie in Gedanken versunken, forschende Blicke über das Zimmer und auch wohl über die darin versammelten Gäste – dann glühten seine Augen mit einem wilden, unheimlichen Glanz unter den buschigen Brauen und dem schwarzen Pflaster hervor. Selbst das reizende Antlitz Manuelas, die sich vor etwa einer halben Stunde neben ihrer Mutter niedergelassen hatte, vermochte dann kaum, wenn der Blick des finsteren Mannes auf sie fiel, den starren, harten Ausdruck in seinen Zügen zu mildern.
Dem ersten flüchtigen Eindruck nach schien er in die gewöhnliche chilenische Tracht der unteren Klassen gekleidet, denn einer jener ganz ordinären blauen Ponchos mit gelb- und rotgemustertem Rand, wie sie sonst fast nur die Peons und ärmeren Farmer tragen, hing über seinen Schultern und verhüllte dadurch den Oberkörper vollkommen, aber am Hals und aus der im Poncho befindlichen Öffnung, durch welche der Kopf gesteckt wird, waren die Kragen einer feinen tuchenen Jacke und eines schneeweißen Hemdes sichtbar, und unter dem Poncho, von dem niederen Stuhl bis fast zur Erde hinabreichend, hingen die beiden Quasten einer schwerseidenen chinesischen Schärpe nieder, wie sie eigentlich nur die vornehmen Chilenen oder vielleicht Seeleute trugen, die das chinesische Meer befahren hatten. Sein breitrandiger schwarzer Filzhut, ebenfalls mit einer dicken rotseidenen Schnur umwunden, hing hinter ihm auf der Stuhllehne.
Der Zweite, der seinen Stuhl an dem Tisch belegt hielt, aber die meiste Zeit neben Señora Fostero und Manuela saß, um mit diesen zu plaudern, und der nur dann und wann, wenn Manuela zuweilen das Zimmer verließ, zu seinem Sitz am Tisch zurückkehrte, war ein junger Mann von etwa sechsundzwanzig Jahren, mit leichtem, fast hellbraunem Schnurrbart und kastanienbraunem lockigem Haar und klarblauen, lebendigen Augen. Seine vom feinsten Stoff gefertigte Kleidung, mit dem goldenen Streifen um die blaue Tuchmütze, verriet den englischen Seeoffizier. Edward Wilkinson war Leutnant auf Seiner Majestät Fregatte „Terpsichore", aber vor einiger Zeit bei einem feindlichen Zusammentreffen mit einem französischen Kriegsschiff so schwer verwundet worden, dass ihn sein Kapitän, als er später Valparaiso erreichte und der junge Mann immer noch in Lebensgefahr schwebte, dort ließ, um seine Heilung leichter und bei besserer Pflege zu bewerkstelligen, Sein Schiff, nach der peruanischen Küste bestimmt, wollte ihn dann bei seiner Rückkehr nach Valparaiso wieder mitnehmen.
Von der Schusswunde der Franzosen war er nun allerdings schon seit mehreren Wochen wiederhergestellt, dafür aber von einem andern Geschoss desto gefährlicher und wohl unheilbar getroffen: von der Liebe zu dem holden Wirtskinde, das er in Santiago in dem Haus ihrer Tante kennen gelernt hatte.
Er selbst war ein Waise; in seinen Vermögensverhältnissen unabhängig, folgte er der See mehr aus Neigung als um seinen Lebenserwerb dadurch zu finden. Doch die Liebe zu dem holden Wesen, die sich mit dem wilden, herumschweifenden Seeleben nicht vertrug, tat dieser ersten Neigung bedeutend Abbruch, und er baute schon allerhand liebe, hoffnungsreiche Pläne, sich