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Große Damen, große Steine
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eBook359 Seiten4 Stunden

Große Damen, große Steine

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Über dieses E-Book

Johanna Schmid möchte nur das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden: Eine Besichtigung archäologischer Stätten in Frankreich für die Planung ihrer nächsten Exkursion und gemeinsame Wohnmobil-Ferien mit ihrer englischen Freundin Scarlett.
Doch was entspannte, genüssliche und manchmal auch lehrreiche Zweisamkeit werden sollte, wird unversehens durch reisende Esoterik-Damen, gestohlene Museumsschätze und einen verschwundenen Archäologen zu einem Ereignis ganz anderer Art.
Interessant, findet Scarlett. Doch denken das auch die französischen Gendarmen?
SpracheDeutsch
HerausgeberMachandel Verlag
Erscheinungsdatum17. Sept. 2019
ISBN9783959593793
Große Damen, große Steine

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    Buchvorschau

    Große Damen, große Steine - Martina Schäfer

    Cover des Krimis mit Abbildung eines Menhirs in der Bretagne

    Große Damen, große Steine

    Krimi

    Martina Schäfer

     ©Martina Schäfer 2023   

    Machandel Verlag

    Neustadtstr.7, 49740 Haselünne

    Cover: Elena Münscher, Bildquelle Foto: Wikipedia, Jean-Charles Gruillo

    Bildquelle Vektorgrafik: depositphotos.com

    Landkarte: Lesniewski /depositphotos.com

    ISBN 978-3-95959-379-3

    Informationen zum Buch 

    Alle Personen sind frei erfunden, doch die Beschreibung der archäologischen Stätten und die Folgerungen der Archäologen aus den Funden entstammen wissenschaftlichen Arbeiten und werfen ein interessantes Licht auf unsere ferne Vergangenheit.

    In diesem Buch gibt es einige erklärungsbedürftige Wörter und Anspielungen, jeweils gekennzeichnet mit (*). Diese numerierten Klammern sind gleichzeitig ein Link zu den Erklärungen und Anmerkungen im Anhang.

    Von den Nummern der Anmerkungen im Anhang können Sie direkt zurückspringen zu der Textstelle, die Sie verlassen haben.

    Sie können natülich auch das Buch einfach lesen und den Anhang komplett ignorieren. Dann sehen Sie bei einem späteren Blick in den Anhang des Buches, ob Ihr kriminalistischer Spürsinn gut ausgeprägt ist und Sie die Bedeutung der unbekannten Wörter richtig erraten haben.

    Widmung

    Gewidmet FemArc, 

    dem Netzwerk archäologisch arbeitender Frauen e.V.

    www.femarc.de 

    Landkarte

    Große Damen, große Steine

    Landkarte der Bretagne

    Tag 1 am Nachmittag

    Leise dümpelte der Körper ...

    Scarlett Maddison lief mit weiten Schritten an der Wasserkante entlang, bückte sich hin und wieder, hob etwas hoch, besah es im Gegenlicht und ließ es dann entweder wieder in den Sand fallen oder steckte es zufrieden in eine der weiten Taschen ihres dunkelgrünen Allwetter-Mantels.

    Hin und wieder wandte sie den Kopf und warf Johanna Schmid, die im Sand vor der niedrigen Steilküste saß, von weitem einen symbolischen Handgruß zu, wobei ihr der Seewind die rote Haarmähne über das markante Hakennasenprofil wehte.

    Johanna pulte mit den Zehen Löcher vor sich in den Sand, der durchsetzt war mit Muschelscherben und kleinen Steinen. Der Strand war schön, doch noch schöner fand sie das Ziel des Weges, der etwa einen Meter oberhalb ihres Kopfes verlief: Les Pierre Plattes, eine der schönst gelegenen Megalithanlagen der Welt. Das fand sie zumindest – und sie kannte eine Menge dieser Anlagen zwischen Sligo und Gibraltar. Klar, Les Pierre Plattes war für jeden unbedarften Touristen nichts weiter als eine lang gestreckte Steinkammer in einem 120 Grad Winkel, einen sogenannten Knickdolmen, an dessen Eingang außerdem ein etwa zwei Meter hoher Menhir emporragte. Tapfer der Witterung trotzend peilte er über das Meer hinweg eine kleine Insel an, die Einheimische gegenüber den Touristen mit leichtem Grinsen als „Popo-Berg bezeichneten. Doch Johanna war sich der wahren Bedeutung des einheimischen Namens dieser uralten Steine bewusst. Korrekt übersetzt bedeutete er „Brüste der Meabhan, einer mythischen Königinnen- oder Göttingestalt aus dem irisch-bretonisch-walisischen Sagenkreis.

    Einem Sagenwesen, das auch ihrer englischen Freundin, der Jugendherbergsleiterin Scarlett, nicht unbekannt war.

    Johannas Gedanken wanderten zurück zum Beginn dieser Ferien.

    Aus ihrer rheinischen Universitätsstadt war sie mehrere hundert Kilometer mit ihrem klapprigen Wohnmobil angereist, das sie sich mittlerweile von ihrem schmalen Assistentinnengehalt leisten konnte. An der Fähre von Calais war ihre Freundin Scarlett, frisch aus dem Norden angeschippert, ihr um den Hals gefallen und hatte sodann schnurstracks ihr Gepäck in das Mobil gehievt. Innerhalb kürzester Zeit waren sie Richtung Westen, Sonnenuntergang und Bretagne unterwegs – mit Unterbrechungen, die dem Ausgleich ihrer beinahe dreimonatigen gegenseitigen Abstinenz dienten, hatten sie sich doch das letzte Mal am siebten Januar geküsst, als Johanna schweren Herzens ihre englischen Weihnachtsferien in Scarletts Heimatdorf Rosefieldsgarden under Newdover upon River Test beenden musste.

    Doch nun war es März, vorlesungsfreie Zeit, zu deutsch Semesterferien, und der blühende Ginster überschüttete die grüngrauen Hügel Nordwestfrankreichs mit einem vagen Versprechen nach Frühling, Muschelsammeln und kleinen Austernbars in leicht heruntergekommenen Hafenstädtchen am Meer.

    So konnte Johanna das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, nämlich der Vorbereitung einer Exkursion des Hauptseminars „Nordeuropäisches Neolithikum" zu den Megalithanlagen und weiteren prähistorischen Sehenswürdigkeiten in der Bretagne. Es war schließlich die Arbeit am Institut für Ur- und Frühgeschichte, die ihr die Butter auf dem Brot, das Benzin für den Wohnbus sowie häufiges Pendeln zwischen Nordrhein-Westfalen und  Hampshire ermöglichte.

    Besagtes Wohnmobil parkte derzeit auf einem großen, meist leeren Parkplatz hinter dem Deich, während Johanna und Scarlett die letzten Sonnenstrahlen am Strand genossen.

    Hin und wieder hörte Johanna hinter und über sich auf dem Weg die trappelnden Schritte und aufgeregt murmelnden Stimmen kleinerer oder größerer Touristengruppen aus aller Herren Länder, die entweder aus dem laufnahen Kerpenir herüber gewandert waren oder einem der Busse entstiegen, die immer mal wieder auf dem großen Parkplatz Halt machten.

    Doch ihr Interesse galt anderen Dingen. Vorsichtig hatte sie ein paar der größeren Kieselsteine aus dem Sand aufeinandergesetzt und darum herum einen Zwergensteinkreis aufgebaut. Scarlett wandte sich nun von der Wasserlinie ab und kam mit ihren weiten Schritten langsam den Strand herauf auf sie zu.

    Johanna schaute ihr lächelnd entgegen, als sie hinter sich eine Frauenstimme hörte, die auf Deutsch sagte: „Steinkreise haben keine Mitte, sie sind sowieso meistens eher oval – eben, ein Symbol für das Weltenei. Anscheinend waren irgendwelche Touristen auf dem Weg stehen geblieben und schauten wohl auf ihr kleines Kunstwerk hinunter. Nun erklang eine energische Stimme: „Gehen wir rasch weiter – da vorne ist das Grab. Johanna konnte sich gerade noch vornüber beugen und ihr Gesicht hinter ihrem neuesten Archäologiekrimi verstecken, denn diese Stimme kam ihr ganz ungeheuer bekannt vor! Auf keinen Fall wollte sie sich und Scarlett diesen schönen Frühlingsnachmittag am Meer durch eine Begegnung der ganz anderen Art verderben: Nämlich mit Dr. Adele Breitmann-Donnerstag, oder wie auch immer genau diese Dame hieß, der sie, respektive der tapfere bayrische Kommissar Trettenhuber, vor einigen Jahren auf einer Tagung an einem süddeutschen Pfahlbausee das Leben gerettet hatten. Die Mörderin, eine weitere Wissenschaftlerin , hatte sie dort zum zweiten Opfer ihres eifersüchtigen Rachefeldzuges auserkoren. Das erste Opfer war leider dieser gütige Professor gewesen, der sie gerne als Assistentin an sein Institut geholt hätte.(*1)

    „Freitag – Freitag war‘s, nicht Donnerstag oder Montag oder so."

    „Please? Scarlett stand plötzlich vor ihr und schaute sie verdutzt an. „Friday? Robinson Crusoe’s friend?

    „Nein, nein, Dr. Adele Breitmann-Freitag – eigentlich Adelheid Breitmann-Freitag, eine – ach nee, besser,  die  Vertreterin der sogenannten Matriarchatsforschung in unserem Lande, in ihrer Einbildung allerdings der ganzen Welt. Ich hatte sie auf einer Tagung erlebt, auf der ein möglicher neuer Chef von mir ermordet wurde. Ein ziemlich verrücktes Huhn und nur allzu bereit, anderer Leute Theorien im Sinne ihrer Ideologie zu verdrehen."

    „Drahm loves her, I guess?"

    „Aber sicher – er ist bis heute der tiefen Überzeugung, dass ich nur durch ihn dem Sumpf dieser Esoterikerinnen entkommen konnte."

    „Und die läuft hier frei herum?"

    „Ja, ist auch nicht so verwunderlich. Die Bretagne mit all ihren Dolmengöttinnen und Busenbergen ist wohl ein Mekka für Leute wie sie."

    „Stonehenge den Esomännern und die Bretagne den Esofrauen?"

    „So in etwa! In einem Frauenreiseführer zu archäologischen Plätzen in ganz Europa kannst du auf der Seite 223 lesen: ‚Erstaunlich ist bereits hier, wie die Steinanlagen auch von offizieller Seite als Kultplätze der Göttin benannt werden.’" (*2)

    Johanna Schmid schnaubte empört und Scarlett lachte: „Das ist gut fürs Tourismusgeschäft, findest du nicht?"

    „Das ist Okkupation des Heiligen zum Aufblasen des eigenen Egos."

    „Du nennst diese Plätze also auch heilig."

    „Aber wir wissen nicht, wem sie heilig waren, weshalb sie heilig waren, welche Inhalte mit dieser Heiligkeit verbunden waren."

    „Maybe the fear for death? Ist das nicht der Urgrund aller Religion?"

    Sie setzte sich neben Johanna und fuhr ihr liebevoll durch die Haare.

    „Or love ... Scarlett richtete sich auf. „Ich hätte wirklich Lust, mal zu hören, was sie erzählt. She doesn’t know me ...,  sprang hoch, klopfte sich den Sand aus ihrem grünen Reitermantel und stapfte leise vor sich hin kichernd den Steilhang Richtung Les Pierres Plattes hinauf.

    Johanna schüttelte den Kopf und vertiefte sich wieder in ihr Buch. Das Traurige vieler Krimis, die im Prähistoriker- oder Archäologiemilieu spielten, war wohl, dass sie nicht von Prähistorikerinnen oder Archäologen geschrieben wurden und dass man ihnen das anmerkte: An die Exaktheit einer Agatha Christie würde wohl nie jemals wieder eine Autorin oder ein Autor heranreichen.

    Sonnenhochstand am Tag der Grablegung vor ungefähr 6000 Jahren

    Sorban richtete den Heiligen Speer neben sich auf und ließ seinen Blick schweigend über den Strand, die umliegenden Dünen und die Menschenmenge streifen, welche das Lange Grab mit der neu angebauten Kammer umstanden. 

    Unten, vor dem Eingang zum Langen Grab, hatten die Träger die Bahre mit dem Toten am Fuße des Menhirs abgesetzt. Es waren die edelsten, tapfersten und klügsten Männer seines und des Toten Clans, schnelle, geschickte Fischer, starke, unverwüstliche Jäger, geduldige Austernsammler, sonnenverbrannte Bauern mit schwieligen Händen und Väter oder Brüder der Axtschlägerinnen, die drüben, auf der Insel der Meabhan, die heiligen Geräte aus den groben Rohstücken schlugen, die von weit her aus dem Inland angeliefert wurden.

    Sorban hatte sich so aufgestellt, dass sein Speer, der Menhir am Fuße des Hügels vor dem Eingang zur Kammer und die ferne Einkerbung zwischen den Brüsten der heiligen Insel in einer Linie lagen, Drohung und Ehrfurcht zugleich, Angriff oder Schutz. 

    Doch der Himmel war trübe und grau, die Sonne verhüllte sich angesichts des Schrecklichen, das geschehen war, das Meer kabbelte ungeduldig und nagte am Strand. Er musste den richtigen Zeitpunkt des Höchststandes der Sonne auf anderem Wege erkennen, den Moment, da der Schatten des Menhirs den Eingang in die Unterwelt kennzeichnen würde. Denn da war kein Schatten, nur trübe, graue Luft, als trauerten selbst die Großen Kräfte um Soltans frühen Tod.

    Hinter den Trägern standen die Bewohner der Dünen-Siedlung, deren kleine Dächer kaum über die Bodenwellen herausragten. Große Körbe gefüllt mit allem Reichtum umgaben die Bahre seines Mutterbruders (*3): Helles Getreide, dunkel geräucherte Fleischstücke, Krüge, überschäumend vom Met in kleinen, feuchten Lachen, als wütete selbst dieses Getränk, das Vergessen bescherte, gegen die Ungeheuerlichkeit dessen, was wohl drüben auf der Heiligen Insel geschehen war, tropfende Körbe voller Austern und eine kleine Schale mit den Perlen, die sie hin und wieder in den Muscheln fanden, dem wahren Reichtum der Austernfischer und somit auch seines Clans.

    Abordnungen aus anderen Siedlungen und Stammesgebieten waren herübergekommen. Sie legten Fellbündel, Decken, kunstvolle Geräte, die seltenen, kleinen Grünsteindolche von weit her aus dem Süden und Töpferwaren am Fuße des neben dem Grabeingangs stehenden Menhirs ab, Tontöpfe voller Linsen und Bohnen, Vorratsgefäße, die zum Aufhängen in Netze gewickelt waren und in denen sich getrocknetes Obst befand, das eher landeinwärts wuchs: Pflaumen und Äpfel, von fleißigen Händen gesammelte Haselnüsse und Eicheln aus den höher gelegenen Nachbargebieten, Säcke mit Emmer und Einkorn, bauchige Gefäße mit vergorener Gerste und gestocktem Rinderblut.

    Nun fehlten nur noch die heiligen Äxte aus Feuerstein, manche so groß und schwer, dass sie kaum mit einer Hand angehoben werden konnten, manche klein und filigran, eingefügt in Arm- und Halsketten, in Diademe der Großen Kräfte, die sie alle umgaben.

    Sorban wandte den Blick von all der Fülle ab und schaute über das unruhige Meer, auf dem sich jetzt neun Coracles näherten. Im vordersten stand SIE, hoch aufgerichtet, mit wehendem Haar, dahinter die anderen Boote, tief liegend, schwankend in der unruhigen See, beladen mit den Zeichen der Großen Kraft aus der Tiefe, die nun mal in den Frauen schlummerte und ihnen Macht verlieh.

    Auch die Äxte würden mit dem Toten in die Tiefe des Grabes gegeben werden in der Hoffnung, dass er, wie alle Toten, einst wieder geboren würde aus dem Schoss der Erde, verwandelt, verjüngt, das Rad des Lebens weiter zu treiben.

    Und sich zu rächen!

    Sorban presste die Lippen aufeinander, dann hob er kurz entschlossen den Speer: „Halt! Er blickte vom Grabhügel den kleinen Steilhang hinunter, der Wind trug seine Stimme über den Strand und über die See: „Halt!

    Erstaunt sahen die Menschen zu ihm hinauf und er meinte selbst aus der Entfernung zu sehen, wie ein höhnisches Lächeln über IHR Gesicht glitt.

    „Was wagst du kleiner Clanführer?"

    Die Menschen bewegten sich unruhig, als sie diese offensichtliche Herabsetzung ihres Anführers vernahmen. Doch Sorban zuckte nur mit den Schultern. Die Meabhan, die Herrin über die Heilige Insel der Äxte, war nun mal mehr, als alle Clanführer hier an den Stränden zusammen genommen. SIE wusste, wie das Heilige Gestein, das von so weit herkam, bearbeitet werden musste, um in Farbe und Maserung wie ein Abglanz des Himmels zu strahlen. SIE allein war in der Lage, jene Kraft in die Äxte zu legen, die den Toten die Wiedergeburt garantierte. SIE schickte jährlich ausgewählte junge Frauen ins Inland zu dem mächtigen anderen Brüsteberg, aus dessen Tiefe das heilige Gestein für die Äxte geholt wurde, oder sogar noch weiter in den Süden hinab, zu den Bergwerken mit dem hell leuchtenden Feuerstein.

    Im Gegenzug versorgten alle Stämme und Siedlungen die Küste hinauf und hinab die Heilige Insel mit dem, was dort zum Leben gebraucht wurde: Nahrungsmittel, Stoffe und Leder für Kleidung, Holz für die Behausungen der Handwerkerinnen, Werkzeuge, das hellgrün, blutrot, erdgelb schimmernde Gestein zu bearbeiten.

    „Niemals, niemals wieder wirst DU diese Küste hier betreten. Es sei denn, DU bringst mir die Mörderin meines Mutterbruders gefangen, gefesselt hierher, dass wir Gericht über sie halten, wie es sich gebührt."

    „Wer sagt denn, dass es eine von uns war? Hatte er nicht auch seine Männer dabei, sein Gefolge?"

    „Aber DU garantierst den Frieden auf der Heiligen Insel. Selbst Blutsfeinde beten nebeneinander im Schatten ihrer Brüste, Verfolgte fliehen in den Schutz ihrer Großen Kraft. Doch dieser Frieden wurde gebrochen! Wer schlug meinen Soltan nieder? Wer bohrte ihm eine Klinge ins Herz, als er nichtsahnend und voller Vertrauen die Riten begehen wollte?"

    „Keine der Frauen! Frauen morden nicht! Sie geben Leben!"

    „Ha! Sorban stieß einen verächtlichen Ruf aus. „Die Heilige Insel ist nicht mehr heilig, niemand kann mehr darauf vertrauen, dort unverletzt zu verhandeln oder sich mit seinen Sorgen an die Großen Kräfte zu wenden. Die Konflikte zwischen den Dörfern werden zu Flammen werden, zur Feuersbrunst ein Streit zwischen den Clans. Der Ort, an dem alle sich trafen, ist zerstört, der Segen der Großen Kräfte dahin. Halt!, sage ich, halt!

    Während seiner Rede waren die Coracles näher an den Strand herangefahren und die Frauen machten Anstalten, den am Ufer Stehenden Seile zuzuwerfen, um sich aufs Trockene ziehen zu lassen.

    Auf ein Zeichen Sorbans hin sprangen mehrere seiner Männer zum Strand herab, drängten die Werdemänner (*4), die meistens die Seile in Empfang nahmen, zur Seite und stellten sich mit gekreuzten Speeren am Wasserrand auf.

    „Gebt den Männern die Körbe mit den Heiligen Äxten, dann fahrt zurück und kommt erst wieder, wenn ihr wisst, wer ihn getötet hat, wer den Heiligen Frieden brach!"

    „Sollen auch keine Heilerinnen und Hebammen mehr kommen?", fragte eine der anderen Frauen spöttisch, doch die Meabhan runzelte nur die Stirn, bedeutete der Fürwitzigen mit einer kurzen Handbewegung, sich zurückzuhalten, senkte den Kopf und dachte kurz nach.

    „Den Frieden brecht ihr, Sorban. Doch sei es. Der Mord geschah auf meiner Insel, da hast du Recht, und auch ich werde nicht ruhen, bis der Täter oder die Täterin gefunden wurde. Ich beuge mich, für dieses Mal, deinem Wunsch. Aber wenn euch ein Unfall geschieht, eine Krankheit ausbricht, eine Frau im Kindsbett liegt, dann werden wir die Heilerinnen herüber schicken und ihr werdet das sicher annehmen. Mögen euch die Heiligen Äxte Frieden bringen und deinem Onkel einst die selige Wiederkehr."

    SIE gab den Frauen in den Coracles ein Zeichen und diese stellten die schwer beladenen Körbe mit den Äxten, die eigentlich ein Abbild des weiblichen Schoßes waren, aus dem alles neu geboren wurde, in das flache Wasser, von wo sie eilig von umstehenden Werdemännern an den Wächtern mit ihren Speeren vorbei den Strand hinauf geschleift wurden.

    Aus einem der Boote rief nun eine Frau der Meabhan etwas zu, was Sorban auf seinem erhöhten Posten nicht verstehen konnte, aber die jungen Leute stockten und auch einige der Speermänner nickten zustimmend.

    Die Meabhan wandte sich noch einmal an Sorban: „Um wirklich nachforschen zu können, reicht es nicht, wenn wir uns auf die Bewohnerinnen der Heiligen Insel beschränken. Wir müssen die Möglichkeit haben, auch hier, an Land, Nachforschungen anstellen zu können."

    Einer der Speermänner warf ihr eine Frage zu und die Meabhan nickte: „Sorbans Mutterbruder, der große Clanführer, der die Dörfer hier an der Küste einte und den Weg ins Inland sicherer machte, war nun mal nicht alleine bei uns, sondern einige Männer begleiteten ihn. Unter anderem auch du!" SIE starrte Sorban finster an.

    „Glaubst du etwa, ich...?" Beinahe wäre er vom Grabhügel herunter gesprungen und IHR an die Kehle.

    „Ich glaube gar nichts!, rief die Meabhan. „Doch im Augenblick bist du, der Sohn seiner Schwester, der Einzige, den ich hier sehe, der von seinem Tod Vorteile hat: Du bist nun Clanführer! Wolltest du das nicht schon immer sein? 

    Alle Körbe waren mittlerweile ausgeladen und SIE bedeutete den Frauen, die Coracles zu wenden.

    „Mara!" 

    Eine junge Frau hob den Kopf und schaute zu Sorban hoch. 

    „Mara ist die Tochter von Soltans jüngstem Bruder, ich denke, dass du ihr vertrauen kannst, ist sie doch aus deiner Sippe. Sie ist klug, eine erfahrene Jägerin und begabte Steinschlägerin. Wenn ich Fragen an das Festland habe, werde ich Mara zu euch schicken und ich erwarte, dass ihr ehrlich antwortet und ihr in allen Dingen helft, um die sie euch bittet."

    Mit einem letzten finsteren Blick über die Schulter befahl SIE den Frauen in den neun Coracles, die nun leichter und höher auf dem immer unruhiger werdenden Wasser schaukelten, die Paddel ins Wasser zu tauchen. Gemeinsam im Rhythmus singend fuhren die Frauen ihre Rundboote auf die Heilige Insel zurück.

    Tag 1 am Nachmittag

    Leise dümpelte der Körper im brackigen Wasser ... 

    Ein kurzes Schleifen hinter ihr. Scarlett kam den sandigen, kleinen Abhang herunter geschlittert und ließ sich lachend neben Johanna auf die Decke fallen.

    „Oh Mann!, grinste sie mit ihrem englischen Akzent, „what did Dr. Drahm once say? Es läbe die Beschreibung ...

    „... es sterbe die Interpretation. Nein, das war er abwechslungshalber nicht, der Satz stammt von Dr. Josche Boskarp (*5), unserem Paläolithikprofessor, er hat ihn mir auf eine meiner Seminararbeiten geschrieben."

    Johanna und Scarlett hatten einmal zu Beginn ihrer Beziehung ausgemacht, sich in den gegenseitigen Muttersprachen zu unterhalten, um in Übung zu bleiben. Nur wenn es ganz emotional hoch und her ging, war die eigene Sprache erlaubt, um das gefühlsmäßige Timbre hinter den Worten besser herüber bringen zu können.

    „Tscha – Beschreibung!" Scarlett nahm ein Stöckchen, wischte mit der Hand eine Fläche im Sand frei und malte vier abstrakte Muster in den Sand: Ein schiefes Siebeneck, ein Kreuz mit drei Querbalken, einen leicht trunken aussehenden Stern und einen eierigen Kreis.

    „That’s it!" Zufrieden blickte sie auf ihr Werk.

    „Aber solche Krakeleien findet man nicht im Pierres Plattes."

    „Ach, das ist doch gar nicht so wichtig. Ich entwickle dir gerade das Weltbild der – ähm – der, wie hießen nochmal die Leute, die das hier gebaut haben?"

    „Chasseen-Kultur, vermutlich."

    „Also gut – da haben wir also erst mal dieses Siebeneck, das ist ja klar, Symbol des Himmels und das Sternbild ... äh, des ..."

    „Fleißigen Lieschens?", ging Johanna lachend auf das Spiel ein.

    „Richtig, das Lieschen. Du weißt ja, dass wir in den Mythen viele Spuren des früheren Wissens finden."

    „Über tausende von Jahren schriftloser Zeiten hinweg."

    „Oh ja, das ist die subversive Kraft, meine Liebe, davon zehren wir in Hampshire bis heute."

    „Ich dachte vom Tourismus."

    „Das ist doch nur eine patriarchale Spielart. Die Menschen spüren die Kräfte der Orte und kommen deshalb zu Tausenden gepilgert, bis heute."

    „Du machst das gut – und jetzt hier, das Kreuz mit den vielen Armen?"

    „Na, das ist doch sonnenklar, siehst du das nicht?"

    „Es steht ja nichts drunter."

    „Das muss es doch auch gar nicht. Das ist natürlich das Symbol für das Männliche. Aber weil es hinter dem Zeichen für die Große Göttin kommt ..."

    „Ich dachte, das sei das Sternbild vom fleißigen Lieschen?"

    „Das ist doch das Gleiche, Jo, die Himmel ist die Göttin und das Sternbild."

    „Okay, das männliche Prinzip ist also dem fleißigen Lieschen nachgeordnet. Woher weißt du eigentlich, dass die von links nach rechts schrieben – könnte doch auch von rechts nach links gehen, dann wäre das Fleißige Lieschen dem Manne untertan."

    „Jetzt bist du im typischen Klischeedenken unserer Zeit verhaftet."

    „Aha – und was ist mit dem besoffenen Stern und dem wackeligen Ei?"

    „Da alles Leben aus dem Ei geboren ist ..." 

    „Jetzt liest du aber rückwärts."

    „Unterbrich mich nicht immer! Du musst deinen Geltungsdrang ein wenig zügeln, schließlich bin ich hier die Dozentin."

    „Entschuldigung."

    „Ja, viele Frauen halten es nicht aus, wenn eine von ihnen voraus ist, als Pionierin neues Land betritt. Ich habe mehr als dreißig Jahre geforscht, um Frauen an meinen Ergebnissen teilnehmen zu lassen ..."

    Johanna prustete los und nahm Scarlett in den Arm: „Du warst doch bei dem Pfahlbaumord noch gar nicht dabei."

    „Erinnere dich, als ich im Herbst bei euch war, hat uns Dr. Drahm auf ein Bier eingeladen und ihr habt beide von diesem Fall erzählt."

    „Und da im Ganggrab hat sie auch so geredet?"

    „Ja, und auch ein oder zwei Frauen, die Fragen stellten, so runtergeputzt. Ich habe mich vorne am Eingang aufgehalten. Als die eine der Fragerinnen nach draußen ging, bin ich ihr auf die Deckplatten gefolgt und habe sie ein bisschen ausgefragt."

    „Und?"

    „Die Frau war eher kritisch gegenüber ihrer Reiseleitung eingestellt und machte ein paar ziemlich aufmüpfige Bemerkungen. Im Prinzip betet ihre Reiseleiterin, diese Adele Breitmann-Freitag, das nach, was in jedem Reiseführer steht, angereichert, wie ich es dir vorgemacht habe, durch eine Art männliches Prinzip, das von der Axt oder, ihrer Meinung nach, durch jene Stäbe, wie man sie auch im Table des Marchand sehen kann, symbolisiert wird."

    „Heros nennt sie dieses Prinzip, und der arme Kerl wird jährlich geopfert."

    „Jedes Jahr! Woher hatten die denn alle diese vielen Männer?" Scarlett riss in gespieltem Entsetzen ihre wundervollen Rabenaugenbrauen hoch.

    „Kriegsgefangene?"

    „Jo, Dear, das kann doch nicht sein, Frauen sind friedlich und führen keine Kriege."

    „Seid fruchtbar und mehret euch?"

    Scarlett grinste: „Aber nicht doch! Männer sind auch auf dieser Reise verboten. Aber diese aufmüpfige oder gar kritische Frau auf der Deckplatte meinte zwischendurch, sie habe das Gefühl, dass eine der Teilnehmerinnen doch irgendwo einen Lover in Petto hätte, der der Frauengruppe heimlich folge."

    „Na so was!" Johanna warf Häufchen Sand von einer Hand in die andere.

    „Doch, doch! Diese Frau Aufmüpf beschrieb sie als eigentlich reichlich verklemmt und sehr reiseleiterinnenhörig ..."

    „Abhängig!"

    „Sure, diese Madame Verklemmt also schliche sich immer mal abends aus dem gemeinsamen Esssaal fort, natürlich nur, wenn kein Vortrag angesagt sei."

    „Na, immerhin, schließlich haben die Mädels dafür gezahlt!"

    „Einmal, hat sie erzählt, sei auch so ein kleiner, etwas dicklicher Typ im gleichen Café wie die Frauen gesessen und habe sie angestarrt."

    „Der soll sich mal nicht erwischen lassen, sonst landet er noch als Bratheros auf dem matriarchalen Grill!" Johanna lachte vergnügt auf.

     „Aber hast du noch mehr erfahren?"

    „Aufmüpf erzählte mir, dass die Frauengruppe eine zweiwöchige Tour zu den Megalithen der Bretagne mache. Aber nicht nur besichtigen und, Zitat: ‚patriarchale Wissenschaftlichkeit überwinden’, sie feiern auch Rituale, neulich nachts sind sie heimlich in das Alignement von Kerlescan eingestiegen und haben dort den Vollmond ..."

    „... die Vollmondin!" 

    „... angebetet. Was hast du eigentlich gegen die armen Esofrauen? Sind doch bloß harmlose Spinnerinnen."

    „Es ist nicht unbedingt die Ideologie, die mich stört. Ideologien sind nun mal die Pickel im Gesicht der Prähistorie, das ist seit zweihundert Jahren so. Nein, aber stell dir mal vor, wir fahren irgendwo nach Japan oder Indien, gehen dann in einen der Tempel und fangen an, ein christliches Ritual zu feiern, was glaubst du, was die Leute sich freuen würden."

    „Wir Engländer haben so etwas mehr oder minder ein paar Jahrhunderte lang getan, und nun leben in Pakistan etwa drei Millionen Menschen christlichen Glaubens. Der Islam ist Staatsreligion, da haben es religiöse Minderheiten nicht leicht."

    „Wir sind auch nicht besser als ihr. Nur, weil die Menschen, denen diese großen Steine aus irgendwelchen Gründen heilig waren, nicht mehr leben, wagen wir es, ihnen irgendwelchen geistigen Schrott überzustülpen."

    „Aber  ihr  doch nicht, Jo,  ihr  seid doch anständige Wissenschaftler!"

    „Dein Glaube an uns ehrt dich! Aber wenn du mal deine Nase in Texte zur Ur- und Frühgeschichte aus den 50-iger oder 60-iger Jahren des vorigen Jahrhunderts steckst,

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