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Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen: Grundlagen und Handlungswissen für die Soziale Arbeit
Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen: Grundlagen und Handlungswissen für die Soziale Arbeit
Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen: Grundlagen und Handlungswissen für die Soziale Arbeit
eBook504 Seiten4 Stunden

Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen: Grundlagen und Handlungswissen für die Soziale Arbeit

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Über dieses E-Book

Violence in its various forms is a concern for social work in all fields of action. Professionals have a particular responsibility when the violence arises in the context of a structural power relationship, as when it is exercised against children in families, in couple relationships or in institutions. The book brings together current knowledge about this violence: It clarifies terminology and provides an overview of the manifestations, prevalence, consequences, sources and conducive conditions as well as the legal aspects of violence. With reference to the three contexts, the particular dynamics of violence are analyzed and conclusions for prevention and intervention are drawn. The textbook thus provides the basic knowledge about violence in dependency relationships and offers impulses for practice at the same time.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum6. Juni 2023
ISBN9783170366589
Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen: Grundlagen und Handlungswissen für die Soziale Arbeit

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    Buchvorschau

    Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen - Claudia Bundschuh

    Inhalt

    Cover

    Titelei

    Vorwort zur Reihe

    Zu diesem Buch

    1 Gewaltverständnisse und begriffliche Einordnungen

    1.1 Vorgeschichte des aktuellen Gewaltverständnisses

    1.1.1 Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

    1.1.2 Gewalt gegen Frauen

    1.1.3 Gewalt gegen andere Bevölkerungsgruppen

    1.2 Gegenwärtiges Gewaltverständnis

    1.3 Kategorien von Gewalt

    1.4 Definitionen von Gewalt

    1.5 Erscheinungsformen interpersoneller Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen

    1.5.1 Physische Gewalt

    1.5.2 Psychische Gewalt

    1.5.3 Sexualisierte Gewalt

    1.5.4 Mischformen

    Literatur

    2 Prävalenzen

    2.1 Einführung in die Prävalenzforschung

    2.2 Gewalt gegen Kinder in der Familie

    2.2.1 Empirische Erfassung der Gewalt

    2.2.2 Prävalenzen international

    2.2.3 Hellfeld in Deutschland

    2.2.4 Dunkelfeldstudien in Deutschland

    2.2.5 Risikofaktoren

    2.3 Gewalt in Paarbeziehungen

    2.3.1 Gewalt gegen Frauen in heterosexuellen Paarbeziehungen

    2.3.2 Gewalt gegen Männer in heterosexuellen Paarbeziehungen

    2.3.3 Gewalt im Geschlechtervergleich

    2.3.4 Gewalt in gleichgeschlechtlichen und trans*Paarbeziehungen

    2.3.5 Risikofaktoren

    2.4 Gewalt in Institutionen

    2.4.1 Ausmaß von Gewalt in Einrichtungen der Behindertenhilfe und in der Altenhilfe bzw. Pflege

    2.4.2 Ausmaß von Gewalt in Einrichtungen der Jugendhilfe

    2.4.3 Ausmaß von Gewalt in weiteren Institutionen

    2.5 Fazit

    Literatur

    3 Auswirkungen von Gewalt im Leben Betroffener

    3.1 Einleitung

    3.2 Ein kritischer Blick auf Studien zu Gewaltfolgen und deren Belegbarkeit

    3.3 Verbreitung von Folgen personeller Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Erwachsene

    3.3.1 Übergreifende Erkenntnisse

    3.3.2 Auswirkungen von Gewalt gegen Kinder

    3.3.3 Auswirkungen von Gewalt gegen Jugendliche und Erwachsene

    3.4 Folgen von Gewalt als subjektiv »sinnhafte« Reaktionen – die Bewältigungsperspektive

    3.4.1 Die Bedrohlichkeit der Gewalt und die zur Bewältigung verfügbaren Ressourcen: Traumatisierung, Resilienz und Bewältigungsstile

    3.4.2 Die Bedeutung von Gewalt als Erfahrung von Ohnmacht, Vertrauensbruch und Beschädigung der sozialen Position

    3.4.3 Die Bedeutung von Gewalt als Beschädigung von Bewältigungsressourcen

    3.5 Gewalt als Folge von Gewalt – die biografische Entwicklungsperspektive

    Literatur

    4 Bedingungen für die Entstehung von Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen

    4.1 Kontexte der Entstehung von Abhängigkeitsverhältnissen

    4.2 Wodurch Abhängigkeit für Gewalt anfällig wird

    4.3 Faktoren, die die Entstehung von Gewalt fördern

    4.3.1 Grenzen gängiger Erklärungsmodelle

    4.3.2 Gesellschaftliche Entstehungsbedingungen: Die Makroebene

    4.3.3 Institutionelle Faktoren: Die Mesoebene

    4.3.4 Die symbolische Gewalt von Makro- und Mikrofaktoren

    4.3.5 Faktoren in der Lebenswelt: Die Mikroebene

    4.3.6 Die individuelle Lebensgeschichte

    4.4 Statt Ursachenforschung auf Wege und Entwicklungen achten – vom Nutzen der Pfadmodelle

    4.5 Umgang mit Gewalt und Prävention

    Literatur

    5 Gesetzgeberische Maßnahmen zur Verhinderung und Sanktionierung von Gewalt

    5.1 Zivil- und jugendhilferechtliche Maßnahmen

    5.1.1 Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

    5.1.2 Gewalt in Paarbeziehungen

    5.1.3 Gewalt in Institutionen

    Literatur

    5.2 Strafrechtliche und strafprozessuale Vorschriften

    5.2.1 Materielles und formelles Strafrecht

    5.2.2 Das Strafrecht und seine Begrenzungen

    5.2.3 Materielle Strafvorschriften

    5.2.4 Strafprozessrecht

    5.2.5 Zukunftsperspektiven

    Literatur

    6 Besondere Beziehungskonstellationen und mögliche Schutzmaßnahmen

    6.1 Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

    6.1.1 Gewaltauslösende Dynamiken bei Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Familie

    6.1.2 Prävention

    6.1.3 Intervention

    6.1.4 Wirksamkeit von Prävention und Intervention

    Literatur

    6.2 Gewalt in Paarbeziehungen

    6.2.1 Differenzierungen, Typisierungen und die Komplexität des Einzelfalls

    6.2.2 Muster der Gewalt

    6.2.3 Geschlechtsbezogene Hintergründe der Beziehungsgewalt

    6.2.4 Bewältigung und Dynamiken der Gewalt

    6.2.5 Intervention

    6.2.6 Prävention

    Literatur

    6.3 Gewalt in Institutionen

    6.3.1 Hemmschwellen und Impulse für die Entwicklung des Problembewusstseins

    6.3.2 Institutionen

    6.3.3 Risikofaktoren für die Gewaltausübung

    6.3.4 Prävention und Intervention

    Literatur

    7 Empfehlungen zur Förderung des gesamtgesellschaftlichen Engagements in der Prävention und Intervention

    Abkürzungsverzeichnis

    Autorinnenverzeichnis

    empty
    Grundwissen Soziale Arbeit

    Herausgegeben von Rudolf Bieker

    Das gesamte Grundwissen der Sozialen Arbeit in einer Reihe: theoretisch fundiert, immer mit Blick auf die Arbeitspraxis, verständlich dargestellt und lernfreundlich gestaltet – für mehr Wissen im Studium und mehr Können im Beruf.

    Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

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    https://shop.kohlhammer.de/grundwissen-soziale-arbeit

    Die Herausgeberinnen

    Prof.in Dr. phil. Claudia Bundschuh hat die Professur für Pädagogik des Kindes- und Jugendalters an der Hochschule Niederrhein inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Sozialpädagogik in der Kinder- und Jugendhilfe, Handlungskonzepte zur Prävention von/Intervention bei Gewalt und Vernachlässigung, Jugendsozialarbeit sowie die Aufarbeitung von Gewalt in Institutionen der Erziehung und Bildung.

    Prof.in Dr. phil. Sandra Glammeier hat die Professur für Heil- und Inklusionspädagogik in der Sozialen Arbeit an der Hochschule Niederrhein inne. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Differenzsensible Pädagogik, Gewalt im Geschlechterverhältnis sowie Handlungsorientierungen und Macht in Sozialer Arbeit und Behindertenhilfe.

    Claudia Bundschuh

    Sandra Glammeier (Hrsg.)

    Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen

    Grundlagen und Handlungswissen für die Soziale Arbeit

    Verlag W. Kohlhammer

    Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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    1. Auflage 2023

    Alle Rechte vorbehalten

    © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

    Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

    Print:

    ISBN 978-3-17-036656-5

    E-Book-Formate:

    pdf: ISBN 978-3-17-036657-2

    epub: ISBN 978-3-17-036658-9

    Vorwort zur Reihe

    Mit dem sogenannten »Bologna-Prozess« galt es neu auszutarieren, welches Wissen Studierende der Sozialen Arbeit benötigen, um trotz erheblich verkürzter Ausbildungszeiten auch weiterhin »berufliche Handlungsfähigkeit« zu erlangen. Die Ergebnisse dieses nicht ganz schmerzfreien Abstimmungs- und Anpassungsprozesses lassen sich heute allerorten in volumigen Handbüchern nachlesen, in denen die neu entwickelten Module detailliert nach Lernzielen, Lehrinhalten, Lehrmethoden und Prüfungsformen beschrieben sind. Eine diskursive Selbstvergewisserung dieses Ausmaßes und dieser Präzision hat es vor Bologna allenfalls im Ausnahmefall gegeben.

    Für Studierende bedeutet die Beschränkung der akademischen Grundausbildung auf sechs Semester, eine annähernd gleich große Stofffülle in deutlich verringerter Lernzeit bewältigen zu müssen. Die Erwartungen an das selbständige Lernen und Vertiefen des Stoffs in den eigenen vier Wänden sind deshalb deutlich gestiegen. Bologna hat das eigene Arbeitszimmer als Lernort gewissermaßen rekultiviert.

    Die Idee zu der Reihe, in der das vorliegende Buch erscheint, ist vor dem Hintergrund dieser bildungspolitisch veränderten Rahmenbedingungen entstanden. Die nach und nach erscheinenden Bände sollen in kompakter Form nicht nur unabdingbares Grundwissen für das Studium der Sozialen Arbeit bereitstellen, sondern sich durch ihre Leserfreundlichkeit auch für das Selbststudium Studierender besonders eignen. Die Autor:innen der Reihe verpflichten sich diesem Ziel auf unterschiedliche Weise: durch die lernzielorientierte Begründung der ausgewählten Inhalte, durch die Begrenzung der Stoffmenge auf ein überschaubares Volumen, durch die Verständlichkeit ihrer Sprache, durch Anschaulichkeit und gezielte Theorie-Praxis-Verknüpfungen, nicht zuletzt aber auch durch lese‍(r)-freundliche Gestaltungselemente wie Schaubilder, Unterlegungen und andere Elemente.

    Prof. Dr. Rudolf Bieker, Köln

    Zu diesem Buch

    Die Wahrung der physischen und psychischen Integrität ist eine der zentralen Voraussetzungen für ein gutes Leben. Dass Menschen grundlegende und umfassende Anerkennung erfahren, stellt eine wichtige Basis für das menschliche Wohlergehen und die gelingende Lebensgestaltung dar. Anerkennung im Sinne Honneths (1994) bedeutet, dass Menschen Empathie und Zuneigung empfangen und in ihren Bedürfnissen anerkannt sowie als (Rechts-)‌Subjekte geachtet und in ihren Eigenschaften und Fähigkeiten wertgeschätzt werden und Zugehörigkeit erfahren. Erleben sie stattdessen Missachtung, Ausgrenzung und Gewalt kann dies mit einem Verlust an Selbst- und Weltvertrauen, an Selbstachtung und Selbstwertschätzung einhergehen und damit zu gravierenden Einschränkungen in ihrer Lebensgestaltung bis zu hin zu einer kaum gelingenden Alltagsbewältigung führen.

    Insbesondere personale körperliche, psychische oder sexuelle Gewalt können sich zerstörerisch auswirken. Sie bedeuten nicht nur eine Verletzung der menschlichen Grundbedürfnisse, sondern auch einen Kontrollverlust über den eigenen Körper und die Psyche, einen Verlust am Sicherheitsempfinden und Zuversicht. Solche Erfahrungen konfrontieren Menschen mit ihrer Verletzbarkeit und mit einer grundlegenden Unsicherheit der Welt.

    Erfahren Dritte von Gewalt, gibt es keine neutralen Positionen. Betrachten wir den Schutz der physischen und psychischen Unversehrtheit als Menschenrecht, so erfordert Gewalt immer eine ethische Haltung im Sinne der Solidarität und Parteilichkeit mit den Betroffenen. Der Versuch, ›sich herauszuhalten‹ bzw. sich neutral zu verhalten, bedeutet de facto eine Positionierung zugunsten der Gewalttätigen.

    Um die Gewalt beenden und verarbeiten zu können, sind Betroffene auf die Intervention, Wieder-Anerkennung, Hilfe und Unterstützung durch Dritte angewiesen. Allzu oft wird die Gewalt aber als solche von Dritten lieber ›übersehen‹, beschönigt, verleugnet oder vertuscht. Für die Gewaltbetroffenen geht damit eine erneute Missachtung einher, die teilweise genauso belastend oder noch zerstörerischer wirken kann als die Gewalt selbst. Hier sind alle Menschen in ihrer Solidarität gefordert, ganz besonders aber die Fachkräfte in sozialen Berufen.

    In pädagogischen, sozialarbeiterischen, pflegerischen und therapeutischen Berufen sind Fachkräfte vergleichsweise häufig mit Gewaltbetroffenen und mit Gewalttätigen in Kontakt. Oft geschieht dies unwissentlich, weil die erlebte oder ausgeübte Gewalt nur verhältnismäßig selten offen kommuniziert wird. Selbst wenn Fachkräfte in ihrem Arbeitsfeld bisher noch nie direkt auf das Problem angesprochen worden sind, können sie sich allein aufgrund der Prävalenzen von Gewalt und damit der statistischen Wahrscheinlichkeit sicher sein, dass betroffene und gewaltausübende Menschen Teil ihrer Zielgruppe sind. Dies gilt in allen (sozialen) Arbeitsfeldern: von der Kindertageseinrichtung, dem Jugendzentrum, dem Allgemeinen Sozialen Dienst, der Schuldnerberatung über das Wohnheim, die Wohnungslosenhilfe, den ambulanten Pflegedienst oder die Werkstatt für behinderte Menschen bis hin zum Kulturprojekt, um nur wenige Beispiele zu nennen.

    Ob Betroffene Wieder-Anerkennung und Unterstützung zur Beendigung der gewaltförmigen Verhältnisse erhalten und Gewalttätige mit entsprechenden Sanktionen und ggf. Einforderungen von Haltungs- und Verhaltensveränderungen konfrontiert werden, hängt ganz entscheidend von der Wahrnehmung, der Haltung, dem Wissen, den Kompetenzen und dem daraus resultierenden Handeln dieser Fachkräfte ab. In ihrer Verantwortung liegt aber nicht nur ein professionelles Intervenieren, wenn sie Gewalt vermuten oder davon erfahren, sondern auch die Prävention im Sinne der Verhinderung von Gewalt. Um Gewalt abzubauen und unwahrscheinlicher zu machen, muss Prävention an den gewaltbegünstigenden gesellschaftlichen Strukturen und Kulturen sowie an den damit verbundenen Motiven und biografischen Hintergründen der potentiell Gewalttätigen ansetzen, die Widerstandsfähigkeit der potentiell Betroffenen sowie die Zivilcourage Dritter stärken und die Institutionen am Gewaltschutz und an der Inverantwortungnahme der Täter:innen ausrichten.

    In besonderer Verantwortung für die Prävention, Intervention und Hilfe sind Fachkräfte in den jeweiligen Berufen, wenn die Gewalt im Kontext eines strukturellen Machtverhältnisses ausgeübt wird, wie es im Geschlechter- und im Generationenverhältnis sowie im Verhältnis zwischen Fachkräften und Klient:innen in entsprechenden Institutionen besteht. Da in solchen Machtverhältnissen die einen stärker auf die anderen angewiesen sind als umgekehrt, entstehen besondere Abhängigkeitsverhältnisse, die mit Gewalt gegen die strukturell Schwächeren bzw. Untergeordneten einhergehen können.

    Gewaltbelastete Abhängigkeitsverhältnisse, mit denen Fachkräfte in sozialen Berufen vergleichsweise oft zu tun haben und die daher in diesem Buch im Mittelpunkt stehen sollen, bestehen für Kinder und Jugendliche in Familien, für Frauen in Paarbeziehungen sowie für Kinder und Erwachsene (insbesondere für Menschen mit Behinderungen und Senior:innen) in Institutionen. Deshalb ist es zentral, dass Fachkräfte sich selbst im Sinne der Professionalität und ihre Institutionen im Sinne einer achtsamen Organisationskultur und klaren Organisationsstruktur so aufstellen, dass Gewalt unwahrscheinlicher wird und – wenn sie doch (im Privaten oder in den Einrichtungen durch Mitarbeitende oder durch andere Klient:innen) ausgeübt wird – wahrgenommen, aufgedeckt, abgestellt, sanktioniert und aufgearbeitet wird und die Betroffenen Unterstützung erfahren.

    Zu diesen speziellen Gewaltverhältnissen in Familien, Paarbeziehungen und Institutionen existieren inzwischen umfassende wissenschaftliche, praxisbezogene und politische Diskurse. Mit diesem Buch soll den in diesen Gewaltdiskursen unterschiedlich gewichteten Erkenntnissen Rechnung getragen werden, dass physische, psychische und sexualisierte Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Erwachsene trotz gewachsenem Problembewusstsein weiterhin häufig und mit zum Teil massiven Folgen ausgeübt wird, dass die Gewaltformen phänomenologisch Gemeinsamkeiten aufweisen und für die Entstehung der Gewalttaten in den verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen vergleichbare Ursachen und Risikofaktoren diagnostiziert werden. Alle drei Aspekte sind von herausragender Bedeutung für Prävention und Intervention, da die Verbindungslinien zwischen den Gewalttaten gleichsam den roten Faden in der Konzeptionierung und Umsetzung von generalistisch ausgerichteten Maßnahmen gegen Gewalt bilden.

    Zu den einzelnen Kapiteln

    Kapitel 1 bis 5 dienen der Konturierung des aktuellen Erkenntnisstands zu Verbreitung, Auswirkung, Hintergründen und möglichen rechtlichen Konsequenzen in den drei hier betrachteten Abhängigkeitsverhältnissen: Im ersten Kapitel setzt sich Claudia Bundschuh mit Gewaltverständnissen, begrifflichen Einordnungen und Erscheinungsformen von Gewalt auseinander (▸ Kap. 1). Im zweiten Kapitel geben Monika Schröttle und Maria Arnis nach einer Einführung in die Prävalenzforschung einen Überblick über die Prävalenzen in den drei Gewaltkontexten (▸ Kap. 2). Auf die Folgen und die Bewältigung von Gewalt konzentriert sich Cornelia Helfferich im dritten Kapitel (▸ Kap. 3). Im vierten Kapitel analysiert Carol Hagemann-White die Bedingungen für die Entstehung von Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen (▸ Kap. 4). Das fünfte Kapitel konzentriert sich auf gesetzgeberische Maßnahmen zur Verhinderung und Sanktionierung von Gewalt. Hier erläutert Petra Ladenburger die zivil- und jugendhilferechtlichen Maßnahmen und Martina Lösch die strafrechtlichen und strafprozessualen Vorschriften (▸ Kap. 5).

    Im Kapitel 6 wird ins Bewusstsein gerückt, inwiefern trotz aller Gemeinsamkeiten jedes Abhängigkeitsverhältnis eine spezifische Beziehungs- und Prozessdynamik hervorbringt, die im Hinblick auf die Intervention, Hilfe und Prävention zu berücksichtigen ist:

    Die Tathandlung »Misshandlung« etwa ist in allen drei Settings ähnlich und erzeugt auch in verschiedenen Altersgruppen vergleichbare körperliche und letztlich auch psychische Verletzungen. Jedoch gibt es bei allen drei Settings im Hinblick auf die Dynamiken zentrale Unterschiede sowie in Bezug auf die fall- bzw. gruppenspezifische Prävention und Intervention verschiedene Zuständigkeiten und Angebotszuschnitte. Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe haben einen Schutzauftrag, sie müssen Eltern in der gewaltfreien Erziehung anleiten und müssen Kinder und Jugendliche zur Aufdeckung ermutigen, aber dann auch angemessene Hilfen zur Beendigung anbieten. Bei Gewalt in Paarbeziehungen ist die Präventionsentwicklung noch nicht sehr breit aufgestellt, wohl aber die Intervention. Bei den Institutionen sind wir vor allem bei der Frage, was strukturell getan werden muss (Schutzkonzeptentwicklung), um Gewalt zu verhindern und im Fall des Falles dann auch einzugreifen (Verfahrensabläufe der Intervention). Kapitel 6 soll die für den jeweiligen Gewaltkontext spezifischen Besonderheiten entsprechend detailliert beleuchten und der Tatsache Rechnung tragen, dass Fachkräfte Ansatzpunkte für die konkrete Handlungspraxis in ihrem Arbeitsfeld benötigen (▸ Kap. 6). Dazu fokussieren Susanne Witte (▸ Kap. 6.1: Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Familie), Sandra Glammeier (▸ Kap. 6.2: Gewalt in Paarbeziehungen) und Claudia Bundschuh (▸ Kap. 6.3: Gewalt in Institutionen) die spezifischen Dynamiken und Präventions- sowie Interventionsstrategien in den drei Gewaltkontexten.

    Im Kapitel 7 werden abschließend handlungsfeldübergreifend Empfehlungen zur Förderung des gesamtgesellschaftlichen Engagements in der Prävention und Intervention gegeben (▸ Kap. 7).

    Köln/Porta Westfalica, im Juli 2022

    Claudia Bundschuh & Sandra Glammeier

    1 Gewaltverständnisse und begriffliche Einordnungen

    Claudia Bundschuh

    T Was Sie in diesem Kapitel erwartet

    Wenn Menschen von Gewalt sprechen, meinen sie nicht zwangsläufig dasselbe. Die Einschätzung, welche Phänomene als Gewalt einzuordnen sind, ist weder epochen- noch kulturübergreifend einheitlich. Die jeweils gültigen gesellschaftlichen Normen und Werte drücken sich in der Deutung von Phänomenen und also auch in unserer Sprache aus, weshalb Begriffe niemals wertneutral, sondern immer zeitgeschichtlich und kulturell geprägte Konstruktionen sind. Auch während einer Epoche und in einer Kultur gibt es unterschiedliche Zuordnungen, die z. B. vom eigenen biografischen Erfahrungshintergrund und/oder von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe beeinflusst werden.

    In diesem Kapitel wird zur Veranschaulichung ausgewählter Wechselwirkungen zunächst die Entwicklung (▸ Kap. 1.1) unseres gegenwärtigen Gewaltverständnisses (▸ Kap. 1.2) behandelt. Anschließend werden jene in der aktuellen Fachdiskussion relevanten Kategorien (▸ Kap. 1.3), Definitionen (▸ Kap. 1.4) und Erscheinungsformen (▸ Kap. 1.5) von Gewalt getrennt voneinander dargestellt.

    1.1 Vorgeschichte des aktuellen Gewaltverständnisses

    Gewalt in ihren unterschiedlichen Formen gab es zu allen Zeiten und in allen Kulturen. Auch in der Gegenwart sind sämtliche Erscheinungsformen von Gewalt in unterschiedlicher Häufigkeit und Intensität Bestandteil der Realität zwischenmenschlicher Beziehungen. Anders formuliert: »Erkenntnisse der Gewaltforschung legen nahe, dass es eine gewaltfreie Gesellschaft bisher nicht gegeben hat. Nüchtern betrachtet ist Gewalt ein sozialer Tatbestand, der zum menschlichen Handlungspotential gehört« (Frech 2018: 106). In welchem Ausmaß (z. B. in Einzelfällen oder regelmäßig), gegen welche Personen und in welchen Kontexten es zu Gewalt kommt, ist stets abhängig von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (politisches System, Rechtssystem etc.; ▸ Kap. 2).

    Im Wandel begriffen sind einerseits die Mittel und Wege zur Ausübung von Gewalt. So ermöglicht beispielsweise die digitale Kommunikation heute neue Zugänge zu Menschen und damit einhergehend neue Möglichkeiten, um auf Menschen einzuwirken. Andererseits zeigen gesellschaftliche Veränderungen auch immer wieder ihren Niederschlag in einer Neuausrichtung der Bewertungen von und Reaktionen auf Gewalttaten.

    Ein Blick allein in die Geschichte des westlichen Kulturkreises lässt erkennen, dass Gewalt in der Vergangenheit nicht durchgängig problematisiert wurde, vielmehr partiell gesellschaftlich akzeptiert und rechtlich legitimiert war. Beispielhaft soll hier der Wandel in der Einschätzung von Gewalt gegen Kinder und Gewalt gegen Frauen in den letzten hundert Jahren skizziert werden.

    1.1.1 Gewalt gegen Kinder und Jugendliche

    Körperliche Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, die heute als Kindesmisshandlung bezeichnet wird, wurde in der Vergangenheit in weiten Teilen der Bevölkerung als Notwendigkeit für die Förderung der Entwicklung junger Menschen eingeordnet, sofern sie nicht mit nachhaltigen körperlichen Schädigungen einherging. Für den Beginn des 20. Jahrhunderts lässt sich eine breite Akzeptanz des autoritären Erziehungsstils konstatieren, der als Disziplinierung von Kindern und Jugendlichen durch Zwang und körperliche Züchtigung, als Einforderung uneingeschränkter Unterordnung insbesondere gegenüber dem Familienoberhaupt und Funktionsträgern außerhalb der Familie realisiert wurde. In der Familie hatte allein der Vater als unangefochtenes Familienoberhaupt ein rechtlich verankertes körperliches Züchtigungsrecht (vgl. u. a. Maiorino 2003: 3 f.). Laut § 1631 Abs. 2 BGB a. F. galt: »Der Vater kann kraft des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden.« Die ›Tracht‹ Prügel oder die Schläge mit dem Rohrstock zählten dabei durchaus zu den als angemessen deklarierten Körperstrafen.

    Für die Züchtigung durch Lehrkräfte gab es keine vergleichbare Gesetzesgrundlage. Ihr Züchtigungsrecht war indessen als sogenanntes Gewohnheitsrecht weitgehend anerkannt. Gleiches galt für Erzieher:innen in der Jugendhilfe (vgl. Runder Tisch »Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren« 2010).

    Gewohnheitsrecht

    Ein Gewohnheitsrecht ist ein nicht schriftlich festgelegtes, aber durch Gewohnheit verbindlich gewordenes Recht (vgl. auch Beulke/Ruhmannseder 2008: 324).

    Während des Nationalsozialismus wurde das Züchtigungsrecht bekanntermaßen nicht in Frage gestellt und auch in der Nachkriegszeit wurde die körperliche Bestrafung als empfehlenswert in der Fachwelt hervorgehoben. So erklärte etwa der Leiter einer Universitätsklinik 1952:

    »Man bringt ein Kind schon in den ersten zwei Jahren zum Verbotsgehorsam. Falsch ist es, den Verbotsgehorsam erreichen zu wollen durch Zureden, durch Erklärungen oder durch zartes Wegleiten der Hand von der beabsichtigten Tat. Der schmerzende Schlag aber bleibt ihm in Erinnerung. Man könnte gewiss mit einer Nadel oder einem elektrischen ›Erziehungsstab‹ den Schmerz verursachen und die Rute war ja auch ein solches Erziehungsinstrument. Die Mutter gebe die Schläge lieber nicht, denn sie schlägt gewöhnlich nicht kräftig genug« (Weißer Ring e. V./Deegener 2013: 7).

    Ein sogenannter Bestseller in dieser Zeit war die Veröffentlichung von Johanna Haarer mit dem Titel »Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind«. Im Erziehungsratgeber empfahl die Ärztin und Autorin, Säuglinge vom ersten Tag an zu disziplinieren, körperliche Nähe und Zuwendung zu meiden und mit aller Härte vorzugehen:

    »Auch das schreiende und widerstrebende Kind muß tun, was die Mutter für nötig hält und wird, falls es sich weiter ungezogen aufführt, gewissermaßen ›kaltgestellt‹, in einen Raum verbracht, wo es allein sein kann und so lange nicht beachtet, bis es sein Verhalten ändert. Man glaubt gar nicht, wie früh und wie rasch ein Kind solches Vorgehen begreift« (Haarer 1941: 270 f.).

    Die bestehende Rechtslage, die mindestens bei massiver körperlicher Gewalt durchaus Sanktionen vorsah, fand zu jener Zeit kaum Beachtung.

    Mit Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes 1958 erfolgte zwar die Streichung des ausdrücklichen Züchtigungsrechts des Vaters aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Es wurde jedoch nun beiden Elternteilen als Gewohnheitsrecht weiterhin zugebilligt. Wohl durfte nach »weit verbreiteter Meinung [...] die Züchtigung als Erziehungsmittel nur im Rahmen des Erziehungszwecks und in dem davon gebotenen Maße verwendet werden, wobei auch Gesundheit und seelische Verfassung des Kindes zu berücksichtigen waren« (Entwurf eines Gesetzes zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung – BT-Drs. 14/1247 v. 23. 06. 1999: 3). Wie weit das »gebotene Maß« jedoch auch von Vertreter:innen der Justiz ausgelegt werden konnte, wird anhand von wenigen Gerichtsurteilen aus jener Zeit ersichtlich.

    Für pädagogische Fachkräfte blieben bundesweit einheitliche Gesetzesvorgaben zur Unterbindung der körperlichen Züchtigung gleichermaßen aus.

    In den 1960er Jahren wuchs die Kritik an Repressalien in der Erziehung und Bildung, zumal als Folge der Erziehung zu Gehorsam und Unterordnung auch die unkritische Mitwirkung vieler Menschen an den Gewalttaten des Nationalsozialismus vermutet wurde. Vertreter:innen unterschiedlicher Disziplinen (Erziehungswissenschaft, Soziologie, Kriminologie, Medizin), aber auch Teile der breiten Bevölkerung diskutierten vermehrt die Entwicklungsschädigungen durch körperliche Züchtigung und psychisch gewaltförmige Erziehungsmaßnahmen. Kinder- und Jugendschutzorganisationen setzten sich auf der Grundlage einer wachsenden Zahl wissenschaftlicher Befunde über die Auswirkungen von Beeinträchtigungen in Kindheit und Jugend in den folgenden Jahren intensiv für mehr Schutz junger Menschen vor Gewalt und Vernachlässigung durch Maßnahmen zur Unterstützung der Eltern in der gewaltfreien Erziehung, durch Öffentlichkeitsarbeit und Einmischung in die Politik ein.

    In den 1970er Jahren wurde schließlich das Verbot von Körperstrafen für Schulen bundesweit verankert, während eine entsprechende Regelung für Eltern noch nicht erfolgte.

    Darüber hinaus diskutierten Fachpersonen aus Wissenschaft und Praxis nicht mehr nur physische Gewalt, sondern auch psychische Gewalt als gefährdend für das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen (u. a. Trube-Becker 1982). Die Erscheinungsformen der Beeinträchtigungen des Kindeswohls wurden konkretisiert und öffentlich problematisiert, um Eltern und Fachkräfte der Erziehung und Bildung zu sensibilisieren. Prävention von und Intervention bei Misshandlung und Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen wurde überdies Lehrinhalt in den Qualifizierungen von Fachkräften der Kinder- und Jugendhilfe.

    1989 wurde die UN-Konvention über die Rechte des Kindes von den Vereinten Nationen verabschiedet.

    Art. 19 UN-Kinderrechtskonvention

    Gemäß Art. 19 gilt für die Unterzeichnerstaaten, also auch für Deutschland seit 1990: »Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-‍, Verwaltungs-‍, Sozial- und Bildungsmaßnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschließlich sexuellen Missbrauchs zu schützen.« Als Kinder gelten in der UN-Kinderrechtskonvention alle jungen Menschen bis 18 Jahre.

    Nach Jahren zähen Ringens kam zur Jahrtausendwende schließlich der Durchbruch auch im familiären Kontext. Die Sachverständigenkommission zum 10. Kinder- und Jugendbericht griff die unumstößlichen wissenschaftlichen Befunde 1998 folgendermaßen auf:

    »Körperliche, seelische und sexuelle Mißhandlung sowie Vernachlässigung können die Entwicklung eines Kindes in gravierender Weise beeinträchtigen und zu schweren seelischen und körperlichen Schädigungen und Störungen im Kindes-‍, Jugend- und Erwachsenenalter führen. [...] Als Langzeitfolgen dieser Kindheitstraumen hat man Depression, Schlafstörungen, Ängste, geringes Selbstwertgefühl, psychosomatische Beschwerden, soziale Probleme bis hin zur Dissoziation festgestellt« (BMFSFJ 1998: 115).

    Dem elterlichen Gewohnheitsrecht wurde auf der Basis dieser Erkenntnis rechtlich die Grundlage entzogen. Seit dem 8. November 2000 ist nun das elterliche Züchtigungsrecht endgültig abgeschafft. Im BGB ist stattdessen ausdrücklich das Recht von Kindern auf gewaltfreie Erziehung im § 1631 Abs. 2 BGB verankert.

    § 1631 Abs. 2 BGB

    Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.

    Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche war im 20. Jahrhundert zu keiner Zeit rechtlich zulässig, sondern durchgängig als Straftatbestand definiert.

    Bereits im Strafgesetzbuch (StGB) für das Deutsche Reich von 1871 waren im 13. Abschnitt »Verbrechen und Vergehen gegen die Sittlichkeit« als Straftatbestände aufgeführt, zu denen auch die sogenannte Unzucht mit Minderjährigen gehörte (von Schwarze 1876).

    Mit dem damaligen Sexualstrafrecht sollte jedoch – anders als heute – nicht vorrangig die sexuelle Selbstbestimmung geschützt werden, sondern vielmehr, wie die Überschrift zum 13. Abschnitt des Reichsstrafgesetzbuches schon deutlich macht, jeder Abkehr von der traditionellen Sexualmoral entgegengewirkt werden. D. h., hier wurde »das Sexualstrafrecht dazu instrumentalisiert, moralisch geprägte gesellschaftliche Normen zu wahren und Sittenverfall vorzubeugen. Im Vordergrund stand somit nicht die sexuelle Freiheit des Einzelnen, sondern der Schutz moralischer gesellschaftlicher Grundsätze auf geschlechtlichem Gebiet« (Kieler 2003: 15).

    Die gesellschaftliche Ächtung bewirkte gleichwohl nicht die flächendeckende Unterlassung einschlägiger Praxis, sondern lediglich ein Verschweigen der Realität. Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche fand im Verborgenen statt und Betroffene konnten nicht darauf hoffen, im Falle einer Aufdeckung Schutz und Hilfe zu erfahren. Sie mussten im Gegenteil mit einer Stigmatisierung als ›unzüchtig‹, ›frühreif‹ und ›moralisch verdorben‹ rechnen.

    Jene Teile der Bevölkerung, die den traditionellen Erziehungsstil kritisierten, stellten in den 1960er Jahren auch das bis dahin gültige Werte- und Normensystem zur Sexualität umfänglich in Frage, speziell die bislang geforderte Unterdrückung und strenge Reglementierung

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