Sucht, Trauma und Bindung bei Kindern und Jugendlichen
Von Frank M. Fischer und Christoph Möller
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Rezensionen für Sucht, Trauma und Bindung bei Kindern und Jugendlichen
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Buchvorschau
Sucht, Trauma und Bindung bei Kindern und Jugendlichen - Frank M. Fischer
Inhalt
Cover
Titelei
Geleitwort der Reihenherausgeber
1 Einleitung und Kasuistik
1.1 Einleitung
1.2 Kasuistik
2 Epidemiologie und Definition
2.1 Sucht und Trauma als Komorbidität
2.2 Sucht und Bindungsstörung bei Kindern und Jugendlichen
3 Grundlagen: Neurobiologie und Psychopathologie
3.1 Trauma und Sucht bei Kindern und Jugendlichen
3.1.1 Sucht, Trauma und Bindung als implizite Gedächtnissysteme
3.1.2 Die neurophysiologischen Folgen des Schreckens
3.1.3 Trauma als Verlust der Erzählbarkeit
3.1.4 Bleibende Symptome des Schreckens
3.1.5 Sucht und Trauma: Fantasie und Realität
3.1.6 Kognition, Affekt und Sensomotorik
3.1.7 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
3.1.8 Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung (DESNOS)
3.1.9 Chemische Dissoziation bei PTBS: Entzug
3.1.10 Komplexe Dissoziative Störungen (ESD und DIS)
3.1.11 Trauma bei Kindern und Jugendlichen mit Suchterkrankung
3.1.12 Neurobiologie der Entstehung von Ego-States
3.1.13 Ego-State-Theorie: Die Entstehung der inneren Bühne
3.2 Bindung, Sucht und Trauma: Sicherheit suchen
3.2.1 Bindung und Belohnung als emotionale Basis
3.2.2 Entwicklung braucht Sicherheit
3.2.3 Bindung vermittelt Aufschub von Belohnung
3.2.4 Epigenetik von Bindung, Sucht und Trauma
3.2.5 Bindung und Abhängigkeit als transgenerationales Erbe
3.2.6 Feinfühligkeit als Bindungsqualität der Eltern
3.2.7 Bindungsstörung und die Droge als Übergangsobjekt
3.2.8 Sichere und unsichere Bindungsmuster
3.2.9 Bindungsverhalten, Regression und Suchtverhalten
3.2.10 Bindungsstörungen und Abhängigkeit
3.2.11 Bindungsstörung mit Suchtverhalten
3.2.12 Bindungstrauma, desorganisierte Bindung und Ego-States
3.3 Theorie und Praxis: Folgerungen für die Therapie
3.3.1 Sucht, Kindheit und Jugend
3.3.2 Fünfzehn Regeln für die therapeutische Praxis
4 Diagnostik
4.1 Diagnostik von Traumafolgestörungen
4.2 Diagnostik von Bindungsstörungen
5 Integrative Therapie von Sucht, Trauma und Bindungsstörung bei Kindern und Jugendlichen
5.1 Ambulante Strategien der Motivationsförderung
5.2 Stationäre Therapie: Grundvoraussetzungen und Setting
5.3 Regeln für den Entzug
5.4 Regeln für das Teamwork
5.5 Stabilisierung: Die Kraft der Imagination nutzen
5.6 Das Herstellen von Sicherheit
5.7 Gruppentherapie: Probleme und Möglichkeiten
5.8 Regression: Strategien der kindlichen Reifung
5.9 Die Innere Bühne: Ego-State-Therapie bei ESD und DIS
5.9.1 Eine innere Bühne entwickeln
5.9.2 Den inneren Betäuber verstehen und wertschätzen
5.9.3 Das sehn-süchtige Kind: Das innere Kind ernähren
5.9.4 Umgang mit Täter-Introjekten und inneren Verfolgern
5.10 Kognitive Traumatherapie: Arbeit am Narrativ
5.11 Arbeit am Affekt: Scham, Schuld und Angst
5.11.1 Scham
5.11.2 Schuld
5.11.3 Angst
5.12 Bindungsorientierte Therapie
5.12.1 Korrigierende Bindungserfahrungen herstellen
5.12.2 Bindung im System: Familientherapie
5.12.3 Die Gruppe als zweite Bindungschance
5.12.4 Imagination und Bindungsrepräsentanz
5.13 Umgang mit Dissoziation: Trigger und Dissoziationsstopp
5.14 Konfrontation und Exposition bei Sucht und Trauma
5.14.1 Trauma, Sucht und Narration: Traumalandkarte
5.14.2 Screentechnik
5.14.3 Traumakonfrontation mit EMDR: Standard- und Suchtprotokoll
5.14.4 EMDR bei komplexer PTBS, DESNOS, DDNOS und DIS
5.15 Körperlichkeit: Umgang mit verkörpertem Schrecken
5.16 Achtsamkeit: Vom Umgang mit der gegenwärtigen Zeit
5.17 Rückfallprävention: Sicherheit suchen und finden
6 Fazit und Ausblick
Danksagung
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
emptySucht: Risiken – Formen – Interventionen
Interdisziplinäre Ansätze von der Prävention zur Therapie
Herausgegeben von Oliver Bilke-Hentsch,
Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank und Michael Klein
Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:
emptyhttps://shop.kohlhammer.de/sucht-reihe
Die Autoren
Dr. med. Frank M. Fischer ist Oberarzt am Kinderkrankenhaus auf der Bult Hannover und leitet die Suchttherapiestation für Kinder und Jugendliche »Teen Spirit Island«.
Hon.-Prof. Dr. med. Christoph Möller ist Chefarzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Kinderkrankenhaus auf der Bult.
Frank M. Fischer
Christoph Möller
Sucht, Trauma und Bindung bei Kindern und Jugendlichen
3. Auflage
Verlag W. Kohlhammer
Für die Mitarbeiter der Suchttherapiestation »Teen Spirit Island« Hannover und für unsere großartigen kleinen Patienten.
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Pharmakologische Daten verändern sich ständig. Verlag und Autoren tragen dafür Sorge, dass alle gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung hierfür kann jedoch nicht übernommen werden. Es empfiehlt sich, die Angaben anhand des Beipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
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3. Auflage 2023
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-044094-4
E-Book-Formate:
pdf:
ISBN 978-3-17-044095-1
epub:
ISBN 978-3-17-044096-8
Geleitwort der Reihenherausgeber
Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte im Suchtbereich sind beachtlich und erfreulich. Dies gilt für Prävention, Diagnostik und Therapie, aber auch für die Suchtforschung in den Bereichen Biologie, Medizin, Psychologie und den Sozialwissenschaften. Dabei wird vielfältig und interdisziplinär an den Themen der Abhängigkeit, des schädlichen Gebrauchs und der gesellschaftlichen, persönlichen und biologischen Risikofaktoren gearbeitet. In den unterschiedlichen Alters- und Entwicklungsphasen sowie in den unterschiedlichen familiären, beruflichen und sozialen Kontexten zeigen sich teils überlappende, teils sehr unterschiedliche Herausforderungen.
Um diesen vielen neuen Entwicklungen im Suchtbereich gerecht zu werden, wurde die Reihe »Sucht: Risiken – Formen – Interventionen« konzipiert. In jedem einzelnen Band wird von ausgewiesenen Expertinnen und Experten ein Schwerpunktthema bearbeitet.
Die Reihe gliedert sich konzeptionell in drei Hauptbereiche, sog. »tracks«:
Track 1:
Grundlagen und Interventionsansätze
Track 2:
Substanzabhängige Störungen und Verhaltenssüchte im Einzelnen
Track 3:
Gefährdete Personengruppen und Komorbiditäten
In jedem Band wird auf die interdisziplinären und praxisrelevanten Aspekte fokussiert, es werden aber auch die neuesten wissenschaftlichen Grundlagen des Themas umfassend und verständlich dargestellt. Die Leserinnen und Leser haben so die Möglichkeit, sich entweder Stück für Stück ihre »persönliche Suchtbibliothek« zusammenzustellen oder aber mit einzelnen Bänden Wissen und Können in einem bestimmten Bereich zu erweitern.
Unsere Reihe »Sucht« ist geeignet und besonders gedacht für Fachleute und Praktiker aus den unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Suchtberatung, der ambulanten und stationären Therapie, der Rehabilitation und nicht zuletzt der Prävention. Sie ist aber auch gleichermaßen geeignet für Studierende der Psychologie, der Pädagogik, der Medizin, der Pflege und anderer Fachbereiche, die sich intensiver mit Suchtgefährdeten und Suchtkranken beschäftigen wollen.
Die Herausgeber möchten mit diesem interdisziplinären Konzept der Sucht-Reihe einen Beitrag in der Aus- und Weiterbildung in diesem anspruchsvollen Feld leisten. Wir bedanken uns beim Verlag für die Umsetzung dieses innovativen Konzepts und bei allen Autoren für die sehr anspruchsvollen, aber dennoch gut lesbaren und praxisrelevanten Werke.
Insbesondere die schweren und chronifizierten Suchterkrankungen des Kindes- und Jugendalters sind überzufällig häufig mit Bindungsstörungen und (sequentiellen oder einzelnen) Traumatisierungen in der Vorgeschichte verbunden. Auch wenn sowohl »Bindung« als auch das »Trauma« zwischenzeitlich fast eine Art Modethema geworden sind, ist es im Einzelfall von höchster Bedeutung, die Funktionalität eines Drogenkonsums auch im Kontext dieser Faktoren zu sehen und entsprechend die Diagnostik und Therapie durchzuführen.
Im vorliegenden Band werden diese beiden anspruchsvollen Themen – primär unter psychodynamischem Aspekt – schrittweise hergeleitet, so dass auch den tiefenpsychologisch nicht speziell geschulten Fachpersonen der schrittweise biographische Zugang und das Grundverständnis deutlich werden.
Nicht zuletzt im Kontext der aktuellen Migrations- und Flüchtlingsentwicklungen sind beide Themen nicht nur für das betroffene Individuum und seine Familie, sondern auch für Institutionen und gesundheitspolitisch von hoher Bedeutung.
Oliver Bilke-Hentsch, Luzern
Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, Köln
Michael Klein, Köln
1 Einleitung und Kasuistik
1.1 Einleitung
Jugendliche mit Suchterkrankungen haben es nach wie vor schwer in Kliniken der Kinder- und Jugendpsychiatrie, sie finden dort keinen Platz. Rückfälle in den Drogenkonsum und das schwierige Sozialverhalten machen die Therapie zu einer Herausforderung. Sucht ist wie eine Infektion, sie erzeugt sozusagen eine starke Abwehr im Immunsystem der anderen. Aber noch etwas lastet den Jugendlichen an: Ihr kompliziertes Bindungsverhalten. Sie wechseln den Gesichtsausdruck, wirken unberechenbar, sind aggressiv oder überangepasst, man weiß nicht, woran man bei ihnen ist. Der Grund dafür liegt oft in einer früh entstandenen Bindungsstörung und Bindungstraumatisierung, die niemand mehr sehen und die auch von den Jugendlichen nicht erzählt werden kann. Warum ist das so? Der Grund liegt in den neurobiologischen und psychopathologischen Mechanismen von Trauma und Bindungsstörung begründet. Sie ähneln denen der Sucht und verstärken sich gegenseitig. Besonders bei den früh und schwer abhängig gewordenen Jugendlichen gibt es einen besonders starken Zusammenhang von Sucht und Trauma als häufige Komorbidität. Die Klärung dieses Zusammenhangs ist eine sich gegenwärtig vollziehende neurobiologische Innovation und wirkt sich aktuell vielfach auf das Verständnis von Sucht aus: Einerseits wird die Droge als chemisches Dissoziationsmittel in seiner Schutzfunktion bei Traumastörungen erkennbar, andererseits zeigt sich, wie ähnlich Sucht- und Traumagedächtnis funktionieren. Daraus resultiert für die Therapie der Sucht die Möglichkeit, von den Erkenntnissen der Traumatherapie zu profitieren und umgekehrt. Die Notwendigkeit eines integrativen trauma- bzw. bindungsfokussierten Ansatzes in der Suchttherapie ist auch dadurch begründet, dass gerade die früh abhängig gewordenen Jugendlichen mit Traumaerfahrung im Erwachsenenalter das Klientel der hoffnungslosen Dauerkonsumenten bilden. Es braucht eine frühe und nachhaltige Intervention schon im Kinder- und Jugendalter. Darüber hinaus zeigt sich, dass viele Methoden der Traumabehandlung ganz allgemein für die Sucht angewendet werden können. Die Bindungsforschung ergänzt diesen Zusammenhang mit einem das Leben umspannenden Fundament: Kommt es durch frühe Traumatisierung zu einer Bindungsstörung, wird das Trauma auf dramatische Weise unsichtbar und versteckt sich hinter einem desorganisierten Bindungsverhalten, das weitere Komorbiditäten erzeugt. Aus diesem Grund sind Trauma und Bindungsstörung therapeutisch nur schwer zugänglich und gehen oftmals mit einer Sucht einher.
In diesem Buch wird auch die schwere chronische Traumatisierung thematisiert, die bei Kindern mit einer Abspaltung (Dissoziation) von Persönlichkeitsanteilen einhergeht. Diese Anteile nennt man auch Ego-States. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen mit Suchtstörung haben verschiedene Ich-Anteile, die sich in der Sucht- und Trauma-Therapie teilweise anpassen und sich scheinbar gut auf die therapeutische Beziehung einlassen können. Es gibt aber andere Anteile, die zunächst unerkannt bleiben oder die Therapie zu zerstören beginnen, weil sie ihren Untergang befürchten. Es handelt sich um destruktive, täterloyale Anteile, die einer Therapie im Weg stehen. Auf der »inneren Bühne« gibt es auch einen Anteil, der einen »inneren Betäuber« darstellt und der Suchtmittel als Betäubung einsetzt, um Täter-Anteile in Schach zu halten. Die Droge fungiert dann meist als chemisches Dissoziationsmittel und als Bindungsfigur zugleich. Für junge Menschen, die aufgrund von Trauma und destruktivem Bindungserleben zur Sucht gelangt sind (und das sind bei den früh abhängig gewordenen Jugendlichen sehr viele), gilt es nun, neue therapeutische Ansätze zu entwickeln. Es soll hier ein integrativer Ansatz dargestellt werden, der sich seit vielen Jahren in der stationären und ambulanten Therapie unserer Klinik bewährt und weiterentwickelt hat. Theoretisch wie praktisch soll gezeigt werden, dass sich die Methoden der Sucht- und Traumabehandlung zwar ergänzen, dass sie aber auch das verbindende Konzept der Bindungstheorie brauchen.
Diese Erkenntnis ist umso wichtiger, als Bindungsstörungen häufig mit Beginn der Pubertät und der Adoleszenz nicht mehr diagnostiziert werden. Plötzlich verschwindet die Diagnose auf dem Radar des Helfersystems. Traumatische zwischenmenschliche Erfahrungen zerstören jedoch das Vertrauen in Bindungen und soziale Sicherheit. Das Bindungsverhalten ändert sich grundlegend und bestimmt womöglich das ganze weitere Leben. Die Gefahr, dass fehlende positive Bindungserfahrungen und somit fehlende soziale Verstärker durch Drogenkonsum als alternative Stimulierung des Belohnungssystems ersetzt werden, ist groß. Die Folgen bleiben ein Leben lang: Das Suchtgedächtnis vergisst nie. Das Bindungsgedächtnis auch nicht. Dies gilt besonders für suchterkrankte Jugendliche und Adoleszente, deren Hirnreifung noch nicht abgeschlossen ist. Die Pubertät ist die Risikozeit für psychiatrische Erkrankungen und es gilt, frühzeitig Wege zu finden, um traumatisierte Kinder und Jugendliche vor der irreversiblen Chronifizierung eines Bindungstraumas zu schützen.
Der aktuelle Stand der Forschung und der (neurobiologische) Zusammenhang von Sucht, Trauma und Bindung werden in Kapitel 3 möglichst prägnant und bereits mit klarem Praxisbezug herausgearbeitet. Um das Verständnis des Theorie-Teils zu unterstützen, werden jeweils Fallbeispiele vorangestellt. Was in der Theorie oft logisch und sinnvoll erscheint, lässt sich nicht selten im therapeutischen und klinischen Alltag nur schwer in ein eindeutiges Schema bringen. Wie dies aber auch bei komplexen Störungsbildern mit hoher Komorbidität möglich ist, soll das kontrastreiche Nebeneinander von Fall und Forschung nachzeichnen. Das Ausweichen des Patienten auf Nebenthemen und in ein Vermeidungsverhalten, der lange Weg voller Rückschläge, Abbrüche, Wiederholungen und sogar Verschlechterungen ergeben oftmals erst einen Sinn, wenn die theoretischen Grundlagen ausreichend in den Blick genommen werden. Erst wenn verstanden wird, worum es bei Trauma und Bindung tatsächlich geht, ergeben sich daraus viele praktische Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Die Theorie gibt Orientierung. Die Epidemiologie versucht ebenfalls, anhand von Studien und Definitionen zur Orientierung innerhalb der komplexen Zusammenhänge beizutragen.
Kapitel 5 des Buches bringt die wichtigsten Aspekte der integrativen Therapie von Sucht, Trauma und Bindungsstörung in wesentlichen Begriffen in einen Zusammenhang. Sowohl die ambulante als auch die stationäre Arbeit und Therapieorganisation werden dabei berücksichtigt. Es kommt die Therapieplanung und Psychoedukation ebenso zur Sprache wie verschiedene Techniken der Stabilisierung, der systemischen Rahmung und der praktischen Traumakonfrontation. Zuletzt werden auch verschiedene Formen der EMDR-Anwendung kurz dargestellt. In Bezug auf die frühen dissoziativen Traumafolgestörungen der Kindheit, die bei abhängigen Jugendlichen eine große Rolle spielen, werden Aspekte der Ego-State-Therapie und der Arbeit mit Ich-Anteilen auf der inneren Bühne vertieft. Das besondere Anliegen des Buches ist es, sich auf frühkindliche Traumafolgestörungen im Zusammenhang mit jugendlicher Suchtentwicklung einzulassen, ohne dass bisher aus wissenschaftlicher Sicht das letzte Wort dazu gesagt wäre. Im Gegenteil, es handelt sich noch um Neuland. An dieser Stelle hoffen wir, dass unsere langjährige Erfahrung einen praktikablen Weg zeigen kann.
1.2 Kasuistik
Die folgenden Fallbeispiele repräsentieren typische Patienten, wie sie auf unserer Station und in unserer Sucht-Ambulanz behandelt werden. Die Beispiele sollen exemplarisch veranschaulichen, mit welchen Herausforderungen die Therapeuten konfrontiert werden, wenn sie es mit kombinierten Sucht-, Trauma- und Bindungsstörungen zu tun hat. Eine gute Balance von Stabilisierung und Konfrontation ist von großer Bedeutung. Der Therapeut muss erkennen können, ob sich der Patient tatsächlich mit seiner dissoziativen Seite der Sucht auseinandersetzt oder ob er »Ausweichmanöver« (die Vermeidung, den Krankheitsgewinn) vorzieht, um seine gewohnte Abwehrstrategie nicht aufgeben zu müssen. Die Sucht-Seite unterstützt massiv die Vermeidung. Sich dem Trauma zu stellen heißt auch, sich der Sucht zu stellen und umgekehrt. Beide Seiten suchen die Vermeidung in der dissoziativen Betäubung. Der therapeutische Weg aus dieser sich selbst verstärkenden, fatalen Struktur ist lang und gezeichnet von Rückschlägen, Rückfällen, Scham und sogar Verschlechterungen während der Therapie. Der Therapeut braucht Leidenschaft, Vertrauen und viel Wissen, um den krisenhaften, turbulenten Entwicklungen der Patienten mit Ruhe begegnen zu können. Vor allem braucht es aber auch eine gute Nähe-Distanz-Regulation des Therapeuten. In der Arbeit mit traumatisierten Patienten ist das Wissen um die Grenzen der Empathie von großer Bedeutung. Es ist wichtig zu wissen, wann Empathie sein darf, wann sie nötig ist und wann sie sich verbietet. Es braucht das Wissen um den richtigen Augenblick. Und es braucht ein hohes Maß an Selbsterfahrung, denn die Gefühle, die der traumatisierte und bindungsgestörte Patient im Therapeuten auslöst, können bedrohlich oder vernichtend sein: wie zum Beispiel das Gefühl, etwas in der Therapie falsch gemacht zu haben, dem Patienten etwas »angetan« zu haben. Täter-Gefühle sind typisch und können den Therapeuten allen Vorbereitungen zum Trotz stark belasten. Es braucht daher immer auch ein »kritisches Organ«, das sich einschaltet, wenn wir uns zu sehr in traumatische Biographien einzufühlen versuchen.
Fall 1: Anja (Dissoziative Identitätsstörung und innere Bühne)
Anja hatte bereits einen langen therapeutischen Weg hinter sich, bevor sie es zu uns auf die Suchttherapiestation schaffte. Zwei Jahre zuvor hatte sie auf einer Jugendstation eine Traumatherapie begonnen. Die Therapie sei schwierig gewesen, weil sie immer wieder heimlich während der Ausgänge Alkohol getrunken habe und die Eltern wenig kooperativ gewesen seien. Es gab Geheimnisse, die nicht thematisiert werden durften. Nach der Therapie ging Anja in eine Jugendhilfeeinrichtung, die sich auf traumatisierte Jugendliche spezialisiert hatte. Auch hier trank Anja immer mehr Alkohol und hielt sich nicht an Absprachen. Daher riet der Supervisor zu einer Suchttherapie auf »Teen Spirit Island«. Über Anjas Trauma waren zum Teil nur Mutmaßungen und Andeutungen bekannt. Der Vater stand als Täter unter Verdacht, massiv Gewalt in der Familie ausgeübt zu haben. Die Mutter habe dies nie bestätigt. Es dauerte lange, bis