Licianas Pakt
Von D. Snow und Martin Schampatis
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Über dieses E-Book
D. Snow
D. Snow, 1999 in Rostock geboren, hat das Gymnasium beendet und studiert. Schreiben gehörte für sie seit ihrer Kindheit zu ihrem Leben. Mit 14 trat sie in ihrer Heimatstadt einem Literaturkreis bei, um sich mit Gleichgesinnten über das kreative Schreiben auszutauschen. Bis heute ließ das Autorendasein sie nicht los und mit Hilfe ihrer ausgeklügelten Fantasie hat sie eine komplexe Fantasy-Welt erschaffen. Momentan sucht sie für ihre Hauptreihe einen Verlag.
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Buchvorschau
Licianas Pakt - D. Snow
Prolog
»A lles begann mit dem Feuer«, murmelte die alte Frau, die sich zum Kamin gebeugt hatte und in der Glut stocherte, um die züngelnden Flammen neu zu entfachen. »Nicht viele kennen diese Geschichte – dabei ist sie so bedeutsam wie keine andere. Einst sind die Wesen unter uns gewandelt und haben Angst und Schrecken verbreitet. Doch das ist lange her.«
»Erzählt uns davon, Magistra«, ertönte eine fordernde Stimme hinter ihr.
Als die Magistra sich umdrehte, entdeckte sie sieben Kinder, die es sich vor dem gemütlichen Ohrensessel bequem gemacht hatten. Einige von ihnen kannte sie, anderen war sie stets nur flüchtig begegnet. Im Laufe ihrer Tätigkeit hatte sie viele Geschichten erzählt, doch ob diese Geschichte geeignet für die empfindlichen Ohren wäre? Eigentlich war es eine Schande, dass die Novizen noch nie davon gehört hatten, markierten die damaligen Ereignisse doch einen wichtigen Umbruch in der Struktur des geheimen Ordens. Ächzend richtete sie sich auf, hielt sich den schmerzenden Rücken und humpelte zu dem Sessel, in den sie sich vorsichtig sinken ließ. Einer der Novizen hastete zur nebenan stehenden Kommode, holte ein Kissen und bettete es unter ihre geschwollenen Füße. Welch ein Privileg – welch außergewöhnlicher Eifer.
»Ihr wollt es wirklich wissen, hm?«, fragte sie schmunzelnd.
»Es wäre uns eine Ehre, Magistra.« Der Junge, der ihr das Kissen gebracht hatte, deutete eine Verbeugung an. Er war noch jung, bestenfalls zwölf. Die Kinder des Ordens wurden ihren Eltern entrissen, sobald das Mana in ihnen erwachte. Hier lernten sie eine neue Familie kennen – eine Familie, der sie bis in alle Ewigkeit treu ergeben waren.
»Die Geschichte ist lang«, gab die alte Frau zu bedenken. »Morgen früh ruft euer Zirkeltraining. Ihr seid euch sicher, dass ihr sie hören wollt?«
Einstimmiges Nicken. Etliche neugierige Augenpaare waren auf die alte Frau gerichtet, die nach dem auf dem Beistelltisch liegenden Notizbüchlein griff und es aufschlug. »Nun gut. Wie ich gerade sagte: alles begann mit dem Feuer.«
* * *
Liciana schrie auf, als ein brennender Balken vor ihr auf den Boden krachte. Hektisch riss sie ein Stück von ihrer weinroten Robe ab und hielt es sich vor Mund und Nase. Ihre Augen tränten, weil der beißende Rauch in ihnen brannte.
Wo waren die anderen?
Alles war so schnell gegangen. Gerade eben noch hatten sie scherzend im Kreis beisammengesessen und sich über Magistra Maive ausgelassen, da hatte sie auch schon der dichte Rauch aufgescheucht. Anfangs war sie bei den anderen Novizen gewesen, hatte sich an Ido gehalten, der sie mit unerschütterlicher Ruhe hinter den anderen herführte. Doch dann war sie unaufmerksam geworden, hatte sich nach etwas umgedreht, was sie für nichts weiter als einen flüchtigen Schatten gehalten hatte – nur für wenige Sekunden. Und war Ido fort gewesen, ebenso wie alle anderen.
Sie war allein in den brennenden Gemächern der alten Versammlungshalle, aus der es kein Entkommen gab.
»Ido!«, schrie sie erneut, obwohl sie wusste, dass er sie nicht hören würde, und hustete, als ein Schwall Qualm in ihre Atemwege drang. Ihre Stimme klang krächzend und brüchig. »Ido – Ido, wo bist du! Verdammt nochmal … wo seid ihr alle?«
Verzweifelt drehte sie sich im Kreis, suchte nach einem Ausweg, doch überall war dunkler Rauch, der ihre Sicht verschleierte. An den Wänden leckten lodernde Flammen empor. Der einzige Fluchtweg war versperrt. Die Hitze versengte ihre Haare und sie hatte das Gefühl, dass ihre Haut in Flammen stand.
Halbblind stolperte sie vorwärts, versuchte, durch den dichten Tränenschleier vor ihren Augen etwas zu erkennen. Mit zitternden Fingern nahm sie den Stofffetzen von ihrem Mund und band ihn im Nacken zusammen, sodass sie die Hände freihatte. Als sie sich vorwärts tastete, stieß ihre Hand auf etwas so Heißes, dass sie vor Schmerz aufschrie. Wimmernd wich sie zurück und presste die verbrannte Hand an ihren Leib. Verzweifelt versuchte sie, an eines der Fenster zu gelangen – ihre letzte Rettung. Doch sie scheiterte. Es war einfach zu hoch, ließ sich nicht öffnen.
»Nein«, keuchte Liciana. »Nein … Ido …«
Es gab keinen Ausweg mehr. Über ihren rasch pochenden Herzschlag hinweg vernahm sie das Knistern des Feuers, das bedrohlich näherkam, sie immer weiter einkesselte. Der flammende Tod, der sich mit lautlosen Schritten an sie heranpirschte – ein Gedanke, der ihren Puls noch weiter in die Höhe trieb. Sie durfte nicht sterben. Nicht so – nicht jetzt! Zitternd umklammerte sie den Fensterrahmen, versuchte, sich mit aller Macht auf den Beinen zu halten.
Ich muss hier raus!, schrie eine imaginäre Stimme sie an, nicht einfach aufzugeben, zu kämpfen, doch Liciana spürte eine Erschöpfung, die sich nicht aufhalten ließ. Vor ihren Augen drehte sich alles. Benommen fasste sie sich an den Kopf. Ihr war schwindelig. Der Sauerstoffmangel forderte seinen Preis. Mit bebenden Knien ließ sich an der Wand hinabgleiten und versuchte krampfhaft, Luft in ihre erschöpften Lungen zu zwängen. Die Tränen, die ihre Wangen hinabliefen, brannten heißer als die Flammen, die sich bedrohlich näherten.
So darf es nicht enden!, schoss ein sich aufbäumender Gedanke durch ihren Kopf, schrie gegen die Ohnmacht an, die sie zu übermannen drohte. Doch Liciana schenkte dem keine Beachtung. Konnte es nicht. Das goldene Flackern vor ihr schien immer mehr zu einem undurchdringlichen Grau zu verschwimmen.
»Na, na«, ertönte plötzlich eine leise Stimme neben ihr. »Wer wird denn gleich weinen?«
Liciana fuhr herum – doch da war niemand.
Was zum …?
»Du wirkst nicht wie jemand, der zum Weinen neigt«, ertönte die Stimme abermals, dieses Mal aus einer anderen Richtung.
Als Liciana sich die tränenden Augen rieb und durch den dichten Rauch blinzelte, entdeckte sie eine vermummte Gestalt nur wenige Meter entfernt. Obwohl die knisternden Flammen ihr spitzes Kinn erhellten, lag der Rest ihres Gesichts im Dunkeln.
Liciana keuchte. »Wer – wer bist du? K-kannst du mich hier rausbringen?«
»Das kommt darauf an«, hauchte die Stimme, nun eindeutig belustigt.
»Was? Worauf?«
Die Gestalt trat näher heran und zog ihr mit einem Ruck den Stofffetzen vom Gesicht. Eiskalte Finger strichen über Licianas Haut, als wollten sie Muster in den Ruß malen.
»Interessant. Du bist anders«, murmelte sie.
»Ich verstehe kein Wort«, schluchzte Liciana. »Bitte, weißt du einen Weg hier heraus? Ich halte nicht mehr lange durch …«
»Du bist stärker, als du denkst«, erwiderte die Gestalt. »Aber ihr Menschen seid sonderbare Kreaturen, eigentümlich …«
Liciana erstarrte, als eine kühle Hand die ihre ergriff und sie emporzog.
»Folge mir.«
Gemeinsam durchquerten sie die brennende Versammlungshalle, wobei Liciana eher stolperte. Der Sauerstoffmangel machte ihr immer mehr zu schaffen, sie konnte kaum einen Schritt geradeaus machen. Sie hatte den Eindruck, dass der Griff der Hand sich lockerte, war sich aber nicht sicher. Als sie unter einem brennenden Bogen hindurch wankte, krachten hinter ihr glühende Balken zu Boden. Die peitschende Hitze versengte ihre feinen Nackenhärchen. Vor ihr zeichnete sich der verschwommene Umriss eines dunklen Rechtecks ab. Ein Ausgang …?
Sie wandte sich zu der Gestalt um, doch da war niemand. Absolut niemand.
Habe ich mir das alles nur eingebildet? Der Gedanke war erschreckend, doch ihre Hand umklammerte nunmehr nichts als Leere. Mit letzter Kraft taumelte sie durch die Dunkelheit und hustete, als einladender Sauerstoff in ihre Atemwege drang. Vor ihr erkannte sie unscharf das Flackern von Fackeln und vernahm Idos brüllende Stimme: »Das ist mir völlig egal, Magistra Maive, ich gehe da jetzt rein, und wenn ich als Häufchen Asche wiederkomme -«
Dann: »Liciana!«
Ist das mein Name? Der Gedanke schien nicht ihr selbst zu entstammen, und dennoch wusste sie, dass er zu ihr gehören musste. Wie ein umherwandelnder Geist wirbelte dieser eine Satz durch ihren Kopf, wie Herbstlaub, das vom Wind verweht wurde. Aber sie war sich nicht sicher. Dichter Nebel umhüllte ihren Verstand. Liciana versuchte, sich gänzlich aufzurichten, um mehr Sauerstoff in ihre Lungen pumpen zu können, doch plötzlich schoben sich schwarze Schatten vor ihr Blickfeld. Sie spürte nur noch starke Arme, die sie umschlossen, bevor sie erschöpft zu Boden glitt. Ein letztes Mal klärte sich ihr Blick und fiel auf den brennenden Eingang, in dem sie einen dunklen Schatten erahnte, der sie zu beobachten schien. Sie blinzelte. Blickte unsicher erneut in die Richtung, aber da war nichts. Der Schatten war verschwunden.
Dann schwanden ihre Sinne.
Kapitel 1 – Das Erwachen
Als Liciana zu sich kam, erblickte sie zunächst einen Kronleuchter, der grelles Licht verströmte. Geblendet kniff sie die Augen zusammen. Die Dunkelheit war so sanft und einladend zu ihr gewesen. Wie eine tröstlich wärmende Decke, in die sie sich an einem kalten, bedrohlichen Winterabend warm eingekuschelt hatte.
Sie war noch am Leben. Das grenzte an ein Wunder, wenn man bedachte, dass das Feuer sie von den anderen getrennt hatte. Die Bilder der letzten Nacht überrollten sie, schoben sich vor ihr inneres Auge und brachten die Erinnerung an beißenden Rauch mit sich, der in ihren Atemwegen brannte, an wabernde Hitze, die Panik und die Angst, dem Feuer womöglich nie mehr zu entrinnen und in seinem flammenden Schlund unterzugehen. Dann erinnerte sie sich an die verschwommene Gestalt, die ihr inmitten des Flammenmeers begegnet war, und die Erleichterung über ihr Erwachen verblasste. Sie war sich nicht sicher, ob sie es sich womöglich nur eingebildet hatte, aber da war jemand gewesen – jemand, der ihr geholfen, sie geführt hatte.
Aber wer hätte das sein sollen? Inmitten einer brennenden Versammlungshalle … kein Mensch wagt sich dorthin … mein Verstand muss mir etwas vorgegaukelt haben …
Ein letztes Mal holte Liciana tief Luft, um sich zu sammeln, dann schlug sie erneut ihre Augen auf.
»Hat sie sich bewegt? Ja, hat sie!«, ertönte eine aufgeregte Stimme, die sie sofort erkannte. »Ich dachte schon, du überstehst das nicht. Ich bin so erleichtert.«
Liciana stemmte sich auf den Ellenbogen empor und sah Ido an ihrem Krankenlager sitzen. Er war größer als Liciana, beunruhigend groß für sein Alter. Seine sandfarbenen Haare, genauso geschnitten wie ihre eigenen, fielen ihm in zerzausten Strähnen in die Stirn. Ihre eigenen Haare waren dunkler, schokoladenbraun, wie Ido sie häufig bezeichnete, und ihre Augen leuchtend grün.
Liciana zwang sich zu einem Lachen, wobei ihre Stimme ein wenig kratzig klang, als sie erwiderte: »Es war wohl etwas zu früh, um mein Testament zu verfassen.«
Jetzt grinste auch Ido. »Deinen Humor hast du jedenfalls nicht eingebüßt. Wie geht es dir?«
»Ich hab’ Kopfschmerzen und mir tut alles weh. Was ist passiert, als ich von euch getrennt wurde?«
Ido strich sich unsicher eine Haarsträhne aus den Augen. »Nun ja, wir haben Panik bekommen, sind zum Ausgang gerannt und niemandem ist aufgefallen, dass du fehlst. Als wir endlich draußen waren, hat Magistra Maive uns durchgezählt und festgestellt, dass wir nicht vollständig sind. Mir ist sofort aufgefallen, dass du nicht dabei warst. Als ich der Magistra davon berichtet habe, ist sie im Dreieck gesprungen. Ich wollte gerade selbst zurück, um nach dir zu suchen, da kamst du bereits rußverschmiert aus dem Gebäude gewankt. Den Rest kennst du.«
Liciana runzelte die Stirn. »War da noch jemand? Hinter mir?« »Nein«, erwiderte Ido verwirrt. »Da war niemand. Warum fragst du?«
»Ach, nur so«, nuschelte Liciana in sich hinein und zupfte nervös am Saum ihrer Bettdecke herum, Idos neugierigem Blick ausweichend.
Aus den Augenwinkeln nahm sie sein Lächeln wahr, als er eine Hand hob und ihr eine Haarsträhne aus der Stirn strich. »Liciana, im gesamten Orden betrachten sie es als ein Wunder, dass du so etwas überhaupt überlebt hast! Du bist eine richtige Legende! Alle fragen sich, was vorgefallen ist. Du hast …«
Dann begann er, über Ruhm und Ehre zu schwadronieren, wovon Liciana zum einen nichts verstand und woran sie zum anderen keinerlei Interesse verspürte. Sie ließ sich zurück in die weichen Kissen sinken und starrte an die stuckverzierte Decke. Da war doch jemand gewesen, da war sie sich sicher. Diese Gestalt, die sie gefunden und gerettet hatte.
Stirnrunzelnd dachte sie darüber nach, während Idos anhaltender Monolog zu einem Hintergrundgeräusch verblasste. Vielleicht hatte sie sich das alles doch nur eingebildet. Ja, so musste es sein. Es gab sie nicht.
* * *
Sie hatte sich auf der Kommode niedergelassen, hockte dort wie ein Vogel auf einem Ast. Draußen war das Zwitschern ebenjener verklungen; sie alle hatten bei ihrem Erscheinen die Flucht ergriffen. Überall standen Fenster offen. In den steinernen Korridoren hatte sie keine Menschenseele angetroffen. Es war so leicht gewesen, sie hatten es ihr so leicht gemacht.
Abermals ließ sie ihren Blick schweifen. Das Zimmer war klein verglichen mit den imposanten Hallen des geheimen Ordens, und doch riesig im Vergleich zu dem merkwürdigen, metallischen Gestell, in dem sie dieses Mal erwacht war. Ohne Freiraum für ihren Flügel. Ohne eine Möglichkeit, der unangenehmen Steifheit zu entrinnen, die sich in ihren Gelenken festgesetzt hatte.
Dieses Zimmer verdiente zumindest diese Bezeichnung, obgleich es vergleichsweise schlicht eingerichtet war. Einige festgetretene Matten nebeneinander auf dem Boden, eine Anrichte in der