Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Kreislauf der Unendlichkeit - Open: Band 1 des Science Fantasy Epos mit Star Wars Vibes
Kreislauf der Unendlichkeit - Open: Band 1 des Science Fantasy Epos mit Star Wars Vibes
Kreislauf der Unendlichkeit - Open: Band 1 des Science Fantasy Epos mit Star Wars Vibes
eBook496 Seiten5 Stunden

Kreislauf der Unendlichkeit - Open: Band 1 des Science Fantasy Epos mit Star Wars Vibes

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

**Der Auftakt eines epischen Science Fantasy Epos mit Star Warws Vibes und großartigem Weltenbau**
Auf noch fremden Planeten, in ferner Zukunft …
…wird Nic Lenista aus seinem glamourösen Leben gerissen und muss vor der Regierung fliehen.
Dabei trifft er auf Mirija, eine rebellische Draufgängerin, die zu ihren Gunsten einen Deal mit ihm eingeht.
Dieser führt sie zu Silias Castillen, dem abenteuerlustigen Sohn eines von der Regierung verfolgten Todeskandidaten.
Als der oberste Befehlshaber des Systems, Arijc Callos, erfährt, dass die drei zusammenarbeiten, schmiedet er finstere Pläne. Doch das Aufeinandertreffen von Nic, Mirija und Silias könnte den Lauf ganzer Galaxien für immer verändern …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum8. Dez. 2023
ISBN9783910615878
Kreislauf der Unendlichkeit - Open: Band 1 des Science Fantasy Epos mit Star Wars Vibes

Ähnlich wie Kreislauf der Unendlichkeit - Open

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Kreislauf der Unendlichkeit - Open

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Kreislauf der Unendlichkeit - Open - Ariana Tuma

    Kreislauf_1.jpg

    Copyright 2023 by

    Dunkelstern Verlag GbR

    Lindenhof 1

    76698 Ubstadt-Weiher

    http://www.dunkelstern-verlag.de

    E-Mail: info@dunkelstern-verlag.de

    Alle Rechte vorbehalten

    Für meine Oma.

    Durch alle Universen

    und zurück hab ich dich lieb.

    Inhalt

    Triggerwarnung

    Prolog

    Mirija

    Nic

    Silias

    Arijc

    Jerijco

    Darèk

    Pedro

    Jannijc

    Fèrrie

    Filas

    Rona

    Mènco

    Nic

    Jannijc

    Mirija

    Arijc

    Nic

    Mènco

    Silias

    Jerijco

    Jannijc

    Nic

    Pedro

    Mirija

    Darèk

    Arijc

    Pedro

    Nic

    Jerijco

    Silias

    Jannijc

    Mirija

    Darèk

    Arijc

    Nic

    Silias

    Mirija

    Arijc

    Silias

    Pedro

    Darèk

    Jerijco

    Mirija

    Arijc

    Silias

    Pedro

    Filas

    Mirija

    Caspar

    Jannijc

    Jerijco

    Silias

    Caspar

    Filas

    Nic

    Arijc

    Filas

    Arijc

    Epilog

    Glossar

    Das Kristallsystem und seine Planeten

    Danksagung

    Triggerwarnung

    Meine Lieben,

    Am Ende des Buches findet ihr eine ausführliche Triggerwarnung, da sie euch sonst spoilern könnte. Bitte schaut sie euch an, wenn ihr euch bei folgenden Begriffen getriggert fühlt:

    Tod, Krieg, Verlustangst

    Habt Spaß beim Lesen!

    Eure Ariana <3

    Tyrannische Götter.

    Hüter, gesandt um sie zu verdammen.

    Sie richteten die Tyrannen.

    Die Gesandten verschwanden.

    Ob sie ihr Werk vollendeten, blieb geheim.

    Dennoch gingen sie in die Geschichte ein.

    Und sie werden für immer verewigt sein.

    Unter den Namen:

    Licht.

    Dunkelheit.

    Schatten.

    Prolog

    Das Einzige, was zu hören war, war das Schnaufen der Männer, die zwei Kreuze hochzogen. Niemand aus der Menge sprach. Einer Menge, die so dicht aneinander stand, so viele hunderte Meter Schulter an Schulter, dass es niemandem gelang, dem Blut zu entkommen, das ihre Stiefel rot färbte.

    Nur wenige hatten Tränen in den Augen, als sie die zwei Leichen an den Kreuzen erkannten. Diese wenigen wagten es nicht, sich zu wehren. Nicht mehr nach einem solch langen Kampf.

    In den einst friedlich plätschernden Flüssen der Stadt Omnia, trieben leblose Körper in einer roten Flut, die weißen Häuser waren zu Ruinen geworden. Zerstörte Statuen versperrten jahrtausendalte Wege und hatten ebenso alte Bäume unter sich begraben. Die Stadt des Gleichgewichts und des Friedens war in den Mittelpunkt des Todes gerückt.

    Langsam voller Anspannung teilte sich die Menge für drei Männer, die in gebrochener Haltung an Ketten zur Hinrichtung geführt wurden. Gerade als sie an der Spitze der Menge ankamen, im Schatten der Kreuze, richtete man diese mit einem letzten Ächzen in eine vertikale Position auf.

    Die Köpfe der drei Männer zuckten hoch. Ihre Augen waren von den Tränen geschwollen, die Körper zerschunden und ihre Kleidung tiefrot. Sie blickten hoch zu ihren Freunden.

    Dorian Castillen war der Erste in der Reihe und zog seine Freunde mit sich. Sein Körper zitterte.

    Der zweite Mann namens Enijo Endôr hob schwach den Blick. Er bereute es noch im selben Moment wissen zu wollen, wohin diese Seile führten, denn im immer stärker werdenden Morgenlicht wirkten die toten Gesichter seiner Freunde dunkel verfärbt. Ihre Köpfe hingen herab, die Augen aufgerissen, wie als stünden sie noch immer ihrem Mörder gegenüber, die Lippen gespalten. Hätte Enijo gewusst, wer ihr Mörder war, er wäre sich nicht sicher gewesen, ob er noch die Kraft gehabt hätte, sich zu rächen.

    Links von Enijo zuckte Antonio Valenti zusammen, als Blut auf seine Schulter tropfte. Ein Wimmern entfuhr dem Mann, als auch er es zum ersten Mal wagte, seinen toten Freunden über sich ins Gesicht zu blicken. Dann legte sich sein müder und trotziger Blick auf den Mann, welcher sich nun entspannt vor sie stellte.

    Arijc Callôs war hochgewachsen, mit pechschwarzem Haar und schmalem Gesicht. Zumindest dachten das seine drei alten Freunde. Aber seit dem heutigen Tag hatte er etwas Fremdes an sich. Jegliche Narben von Wunden, die sie ihm vor sechs Jahren zugefügt hatten, waren verschwunden. Doch diese Eigenart war nicht die Veränderung, die sie am meisten verunsicherte. Selbst der Fakt nicht, dass er vor ihren Augen gestorben war, und auch nicht der irre Ausdruck in seinem Gesicht.

    Es waren seine Augen.

    Sie waren vor sehr vielen Jahren rehbraun gewesen. Stattdessen leuchteten sie nun voller Euphorie in einer Farbe von flüssigem Gold.

    Schreie durchbrachen die Stille und ließen Arijc herumfahren.

    Die Menge teilte sich erneut und gab einen blonden Mann frei. Die linke Hälfte seines Gesichts war vom Feuer rötlich verfärbt, die Pilotenjacke ebenso vom Blut getränkt wie die Kleidung der Verurteilten.

    Caspar Jordån wehrte sich nicht. Er ließ sich vor den alten Freund führen, um ihn mit einem verachtenden Blick zu strafen. Man hatte Caspar die Handflächen aneinandergebunden, die einzige Art und Weise, einen Alienor daran zu hindern, seine Waffe erscheinen zu lassen. Mit gefletschten Zähnen wurde er auf die Knie gezwungen. Im Blick seiner silberblauen Augen lag purer Hass, als er zu Arijc hochsah.

    Hinter ihm und den Kreuzen, im Kontrast zur aufgehenden Sonne, stand ein monumentales Bauwerk aus weiß glänzendem Marmor. Dessen jahrtausendealter ausgetretener Treppenaufgang war von vom Kampf zerstörten Statuen flankiert, deren Gesichter so leblos auf ihn herunterblickten wie die seiner toten Freunde.

    »Ach, Cassy …«

    Arijc streckte die schlanke Hand nach ihm aus.

    Mit einer einzigen, kaum wahrnehmbaren Bewegung wich Caspar ihm aus. Arijc erstarrte. Mit seinem Blick durchbohrte er seinen alten Freund.

    »Du hast schon einmal besser ausgesehen. Deine Schönheit«, er machte eine wegwerfende Bewegung, als würde er nach der passenden Beschreibung suchen, »ist irgendwie verschwunden. Wie ist das passiert?«

    Caspar lachte kurz und zynisch auf. »Ha, ich weiß auch nicht, Archie. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich seit zwei Tagen durchgekämpft habe und mit meinem Schiff abgestürzt bin. Aber ist bloß so eine Vermutung.«

    »Ach, Cassy«, begann Arijc, verzog selbstgefällig die einst toten Züge und macht eine fahrige Handbewegung, »Dir werde ich nichts antun. Du warst damals nicht dabei.«

    Ein Blitz durchfuhr Caspar, und er sah Arijcs Tod vor seinem inneren Auge. Bis aufs kleinste Detail war er ihm beschrieben worden. Es war wahr; an jenem Tag, vor sechs Jahren, war er als einziger der Freunde nicht dabei gewesen. Er ahnte, worauf der Totgeglaubte hinaus wollte, aber sein Herz musste es selbst hören. »Wovon sprichst du?«

    Arijc trat auf die Seite und deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf Dorian, Enijo und Antonio.

    Er genoss Caspars Reaktion. Und gab ein Zeichen.

    Die drei Männer stöhnten, als sie an den Seilen hochgezogen wurden. Ihre Gesichter verzerrten sich unter den Schmerzen, die ihre angeschlagenen Körper erleiden mussten. Caspar traten Tränen in die Augen, als seine Lippen zitternd nach Worten suchten. Er konnte lediglich stumm mitansehen, wie seine Freunde hoch in die Luft gezogen wurden, bis sie auf selber Höhe mit Lennart und Lars, den Gekreuzigten, hingen. Sein scharfsinniger Verstand ließ nach, als er die beiden Toten erblickte.

    Lennarts goldblondes Haar schimmerte im Morgenlicht rötlich und verbarg sein Gesicht. Obwohl sich Caspar gegen den Gedanken wehrte, sah er immer wieder seine grünen Augen. Er war nicht durch die Kreuzigung gestorben. Schon lange davor hatte man ihm ein Schwert in den Bauch gestoßen.

    Lars, zu Caspars Rechten, war erschossen worden. Ein einziger Schuss, kalt, tödlich. Mitten durch die Brust. Das weißblonde Haar trug rote Schlieren, die grauen Augen starrten ins Leere.

    Meine Freunde, dachte Caspar, wie konnte uns das passieren?

    Die letzten Momente hatte Arijc jeden kleinsten Muskel in Caspars Gesicht beobachtet und wandte sich nun selbstgefällig zu Dorian um.

    Schwer atmend lehnte er den Kopf an seine Schulter und blickte mit halb geschlossenen Liedern zu Arijc herab.

    »Deine Frau hat gebettelt, Dorian. Um das Leben eurer Kinder.«

    Aus Dorians Augen quollen Tränen, doch der Klang seiner Stimme verriet nichts davon. Aus ihr klang die pure Verachtung. »Ich hätte dich damals in deiner Gosse verrecken lassen sollen.«

    »Ach, Dorian!« erklang begeistert die Antwort, »So kenn ich dich ja nicht! So schlecht gelaunt. Da erinnerst du mich ziemlich an Filli. Wo ist der überhaupt, hm?«

    Caspar wartete gespannt auf Dorians Reaktion. Als er sich leicht bewegte, klickten die Waffen der Wächter hinter ihm.

    Dorian lachte kalt auf. »Und wenn ich es wüsste, glaub mir du beschissenes Arschloch, ich würde es dir niemals sagen.«

    Arijc gab ein tiefes, grollendes Lachen von sich und wirbelte zu Caspar herum. »Ach, ein ganz neuer Dorian! Was Schmerz und Leid mit einem Menschen anstellen können, interessant, findest du nicht?«

    Als Caspar keine Antwort gab, machte Arijc zwei große Schritte in seine Richtung, packte ihn am Kragen und zog ihn hoch, bis ihre Gesichter Millimeter voneinander entfernt waren. Caspar stöhnte voller Schmerzen auf.

    »Findest du nicht, Cassy?«

    Caspar erstarrte. Niemals würde er sich die Blöße geben und vor seinem alten Freund mentale Schwäche zeigen. Dennoch suchte er etwas Vertrautes in seinen Zügen. Vergeblich.

    »Gut«, flüsterte Arijc ihm ins Ohr, als Caspar weiterhin schwieg, »wenn du es so willst.«

    Und ehe sich Caspar versah, gaben Arijcs Finger drohend den Befehl.

    Eine Frau wurde aus der Menge gezogen, alle Waffen auf sie gerichtet. Ein kleiner Junge stolperte hinterher. Das hellblonde Haar war zerzaust und seine silberblauen Augen von Tränen strahlend und gerötet. Caspar schrie wie ein verletztes Tier auf.

    Plötzlich wich alle letzte Kraft aus seinem Körper. Die stolze, aufrechte Haltung war verschwunden. Flehend suchte er Arijcs Blick. »Nein, … bitte nicht … Arijc.«

    »Untertänigkeit, Cassy. Untertänigkeit«, sagte er und warf ihm einen langen Blick zu.

    »Diese Lektion wirst du lernen müssen, wenn du mein Angebot annimmst. Untertänigkeit ist etwas Tolles, Caspar Jordån. Etwas, das einen retten kann. Oder noch besser … die Menschen, die man liebt.«

    Langsam ließ er ihn wieder zu Boden. »Untertänigkeit.«

    Caspar blieb mit gesenktem Kopf auf den Knien.

    »Ich mache dir ein Angebot. Eine Wahl, die sich die anderen nur erträumen können, also entscheide dich nicht falsch.«

    Er deutete mit einem Nicken hinter sich. Caspar sah wieder zu seinen Freunden hinauf.

    Dorian lebte noch. Enijos Kopf bewegte sich leicht, doch es konnte auch einfach die Täuschung des Windes sein, der durch seine Locken strich.

    Antonio schien tot.

    Selbstgefällig stützte Arijc die Hände in die Hüften, verlagerte sein Gewicht auf das rechte Bein und legte den Kopf schief.

    »Dir schenke ich eine wundervolle Wahl, wirklich. Und eines Tages wirst du mir dafür dankbar sein. Warum ich das tue?«

    Ein schmales Lächeln umspielte seine Lippen, und er zuckte leicht mit dem Kopf. Ihr alter Freund hatte schon immer divenhafte Züge an sich gehabt. Hatte von den Freunden immer die umfangreichsten Geschichten erzählt, sie mit den ausschweifendsten Gestiken untermalt. Das hatten sie an ihm geliebt. Deshalb hatten sie miteinander gelacht, gefeiert, geweint.

    Nun war es vorbei.

    Aus Gründen, die nur Arijc selbst zu verstehen schien. Als er Caspar diese rhetorische Frage stellte, drehte er sich um, ging zu dem kleinen Jungen und kniete sich vor ihn hin.

    Ängstlich versteckte sich das Kind hinter den Beinen seiner Mutter.

    »Komm her, mein Junge«, sagte Arijc mit einer Stimme, die jeden um ihn herum verwunderte.

    »Wenn du ihm auch nur ein Haar krümmst, das schwöre ich dir, Arijc, werde ich dich töten«, knurrte die Mutter.

    Mit einer beinahe unschuldigen Neugierde blickte der Mann zu ihr hoch.

    »Du unterschätzt eine Frau, wenn sie ihr Kind beschützt.« Sie deutete Arijcs Gedanken richtig.

    »Ach, Tinka. Glaube mir, ich unterschätze euch Frauen nicht, aber sieh nur, wer von euch allen noch übrig geblieben ist … .«

    Diese einfachen Worte ließen Tinka zurückweichen, als ob er ihr pures Gift anbieten würde. Ihre Augen zuckten, und ihr Atem zitterte.

    Arijcs kalter Blick reichte, um zu wissen, dass er sie alle hatte töten lassen.

    »Ich gebe dir Recht: Ihr Frauen beschützt eure Kinder auf eine ganz eigene Art und Weise. Selbst wenn es keine Hoffnung mehr für sie gibt.«

    Tinka zitterte. »Warum? Das Wie erspare ich dir. Sag mir nur, warum.«

    Eine eigenartige, angespannte Stille legte sich über sie. Alle wussten, dass ein Thema aufgegriffen wurde, das normalerweise nicht erwähnt werden durfte. Arijcs Augen veränderten sich, wurden kurz dunkel und verletzlich. Dann erbost über seine eigene Schwäche, begann seine Stimme zu brodeln.

    »Es ist nicht deine Schuld, Tink. Die deines Mannes zur Hälfte. Sie haben mir alles genommen, was ich je geliebt habe, und nun werde ich dasselbe tun. Ich habe es schon getan. Das nennt man Gerechtigkeit.«

    Mit diesen Worten streckte er dem Jungen die Hand hin. »Ihm werde ich nichts tun. Genauso wie seinem Vater.«

    Tinka schüttelte mit tränennassen Augen trotzig den Kopf. »Er muss schon selber zu dir wollen, Arijc. Zwingen werde ich meinen Sohn nicht.«

    »Tinka«, warnte Caspar und schluckte die Tränen hinunter, die seine Stimme brechen ließen.

    Arijc betrachtete das Gesicht des Kindes, und ein Ausdruck, den niemand der Anwesenden deuten konnte, legte sich auf seine Züge.

    »Du siehst deinem Vater sehr ähnlich. Hast du deinen Vater lieb?«

    Hinterhältig linste er zu Caspar hinüber, dessen Haltung sich nun änderte.

    Tinka hielt angespannt den Atem an.

    Arean blickte mit seinen großen blauen Augen zu seinem Vater, der mit verzerrtem Gesicht auf Arijcs nächsten Schachzug wartete.

    »Ja.«

    »Arijc, bitte. Nicht meinen Jungen«, flehte Caspar.

    Dieser lächelte schmal bei dem Gedanken, wie schnell sein alter Freund die erste Lektion gelernt hatte.

    »Möchtest du heute Abend auch eine Geschichte von deinem Vater hören?«

    Der Junge wurde unsicher und drehte sich ängstlich zu seiner Mutter um. Energisch zog Arijc das Gesicht des Kindes wieder in seine Richtung.

    »Möchtest du?«

    Eine erschreckende Klarheit lag in den Augen des Jungen. Eine Erkenntnis, die für einen Sechsjährigen mehr als ungewöhnlich war.

    Arean dachte nach. Mit festem Blick stellte er Arijc eine einzige, beinahe provozierend klingende Frage. »Was, wenn ich von Onkel Enijo eine Geschichte hören möchte?«

    Arijc lächelte kühl und berechnend. »Onkel Enijo!«, rief er verächtlich. Er zog Arean grob am Arm hoch, sodass der Junge aufschrie, als seine Füße den Boden unter sich verloren. Die Mutter brüllte und versuchte sich loszureißen. Ein Schlag mit dem Schwertknauf auf den Kopf ließ sie zu Boden sinken.

    »Dein süßer Neffe mit seinen strahlenden Augen möchte eine Gute-Nacht-Geschichte von dir hören! Wie findest du das, hm!? Du verdammter Geschichtenerzähler!«

    Arijcs Stimme überschlug sich, doch Enijo rührte sich nicht mehr.

    »Cassy, sieh nur, Enijo und Tonio scheinen von uns gegangen zu sein. Wie schade!«

    Sein Blick war kalt, als er herumwirbelte. Den Jungen fest in seinen Armen haltend. Dieser wehrte sich und schrie.

    Plötzlich ließ er das Kind fallen. Er warf es von sich wie ein Stück Abfall. Arean keuchte, als das Blut von seinen Knien auf das Pflaster tropfte. Noch bevor er anfangen konnte zu weinen, verharrte er stumm in seiner Haltung.

    Es war totenstill. Caspar fixierte voller Entsetzen das Gesicht seines Sohnes.

    Dem Jungen schien es die Sprache zu verschlagen, als er sich zitternd gegen die Kraft, die seinen Körper erfasst hatte, zu wehren begann.

    Caspar verstand.

    Arijcs rechte Hand war zu dem Kind gestreckt, welches sich langsam und starr in die Luft erhob.

    Augenblicklich durchströmte Caspar eine schier unbändige Kraft, die ihm verhalf, gegen die Männer anzukommen, welche seine Fesseln hielten. Schnaubend wie ein Tier erhob er sich.

    »Der Körper eines Kindes ist zerbrechlich, Cassy. Und du hast doch gehört, wie gerne er noch eine Geschichte hören würde. Oder willst du etwa, dass das hier die letzte Geschichte ist, die er kennenlernen durfte?«

    »Was erwartest du von mir?«, fragte Caspar grollend.

    »Werde meine rechte Hand und deiner Familie und dir soll es an nichts fehlen.«

    Caspar Jordån willigte ein, nichts ahnend, dass er nicht nur das Schicksal seiner Familie besiegelte.

    Erster

    Teil

    Und ihr Schicksal stand schon fest,

    bevor sie überhaupt glaubten, es hätte begonnen.

    Festgelegt von der Schicksalsweberin.

    Auszug aus den Botschaften von Aloura.

    10 Jahre später

    Mirija

    Kauun, Threos

    Zeitmarke 7943.272

    »Geht es dir gut genug?«

    Mirijas Blick lag weit in der Ferne. Verlor sich am endlosen Horizont. Die Sonne stand nun hoch genug, um schlangenartige Schatten über die Wüste zu werfen und schimmernde schwarze Reflexionen zu hinterlassen.

    Für manch anderen wäre dieser prächtige Anblick etwas Faszinierendes gewesen, für Mirija war es die reinste Qual.

    Jeden Sonnenaufgang, den sie sah, bedeutete erneut einen Tag in Sklaverei. Ihr Blick wanderte zurück zum Steinbruch, in welchem sie Nacht für Nacht Kristalle schürften, die dann zu Geld verarbeitet wurden. Dann zu dem gigantischen Eisenzaun, welcher im Licht der Scheinwerfer unheilvoll glänzte. Vor knapp zwei Stunden war dort eine Sklavin niedergeschossen worden, welche versucht hatte zu fliehen.

    »Sternchen?«, fragte Darèk flüsternd und Mirija hob den Kopf von der Schulter des Mannes, der sie großgezogen hatte. Darèk Parèz. Gerade einmal vierundzwanzig.

    »Bist du wach genug?«

    Mirija winkte unwirsch ab, murmelte eine beruhigende Antwort und setzte sich auf der abgesessenen Holzbank der Messing-Gondel, welche die Sklaven zurück zur Stadt kutschierte, aufrechter hin, wodurch Mènco zu ihrer Linken jammerte.

    Ihr allerbester Freund. Ständig beisammen. Und sie beide spürten, dass sie ein tiefes Band verband.

    Mirija erinnerte sich noch gut, als sie ihn halb verhungert in den Straßen von Threos gefunden hatte. Selbst jetzt, obwohl sie gleich alt waren, wirkte er mit seiner schmächtigen, zarten Figur zerbrechlich. Er war ein Fennek-Fangaro, eine Spezies, die als Mischung aus Mensch und Tier geboren wurde. Und je nach Belieben konnten sie sich zu einer vollkommenen humanen Gestalt oder in eine tierische wandeln. So wie die meisten Fangaro bevorzugte Mènco eine Mischung aus beidem.

    Aber dies war ihm als Latuks nicht erlaubt. Er musste als vollkommener Mensch herumlaufen, was er zutiefst verabscheute.

    Desorientiert blickte er unter schwerlidrigen Augen auf. Das sandfarbene strähnige Haar hing ihm ins schmale, spitze, braun gebrannte Gesicht. Ein erschöpftes Lächeln bildete sich auf seinen feinen Lippen, er gähnte, und dann schien ihm einzufallen, was sie alle zusammen in der nächsten Stunde vorhatten.

    Anstatt direkt zu ihrem Quartier im Sklavenviertel – ein längst vergessenes Gotteshaus – zu gehen, würden sie durch die Tore in die Stadt Threos spazieren – welche täglich nach Sonnenaufgang geöffnet wurden.

    »Mirija«, fing Darèk erneut an, so leise, dass die Wächter in ihren einfarbigen Uniformen sie nicht hören konnten, »wenn du zu erschöpft sind, lassen wir es bleiben.«

    »Ich kann deinen Part übernehmen«, meldete sich Ben wispernd zu Wort und lehnte sich nach vorn.

    »Wir machen es«, zischte Mirija gereizt. Dann sah sie Darèk direkt in die tiefschwarzen Augen, welche vor Müdigkeit und körperlicher Anstrengung rötlich verfärbt waren. »Ich mache es.«

    Ben knetete seine Hände, die wie ihre durch die groben und spitzen Kristallbrocken aufgerissen waren. Dann nickte der Junge, rieb sich müde das elfenbeinblasse Gesicht und fuhr sich sorgenvoll durch die weißblonden Haare.

    Darèk deutete Mirijas Glänzen in den Augen genau richtig, zog ihr Gesicht sanft zu sich und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.

    Das Mädchen schloss für einen kurzen Moment die Lider und zog die stechende, kühle Luft des Morgens durch die Nase. Schon in wenigen Stunden würde diese Kälte zu einer unnatürlichen, tödlichen Hitze werden. Ruckelnd zogen die Tyras die von Sklaven gefüllte Gondel über die sandigen Hügel in Richtung Threos. Schon nach kurzer Zeit kippte Mèncos Kopf erneut auf die Schulter des Mädchens, und sie spürte die fettigen Haarspitzen auf ihren Schlüsselbeinen. Ausgelaugt und nach Schlaf flehend, zwang sie sich wach zu bleiben und lehnte die ausgeprägten Wangenknochen auf Mèncos dichtes Haar, während sie den Sonnenaufgang beobachtete und Darèks Arm um sich spürte. Weit in der Ferne war er nicht mehr als ein einziger blutroter Punkt inmitten von türkisenen und orangen Farbverläufen.

    So türkis muss das heluianische Wasser sein, dachte Mirija schwermütig. Dass sie Heluianerin war, hätte sie niemals verleugnen können. Die breiten Wangenknochen, die kurze Nase, welche von Sommersprossen überzogen war und große nussige Locken, die sie zu einem langen Zopf geflochten hatte. Eine Heluianerin die noch nie das Wasser gesehen hatte oder sich zumindest nicht daran erinnerte, meinte Ben oftmals spöttisch. Jedes Mal ärgerte sie es, dass er recht hatte, und jedes Mal war sie danach zutiefst traurig.

    Sie konnte sich an ihre Heimat kaum erinnern. Bloß Gefühle, schemenhafte Szenen, unscharfe Gesichter.

    So alt und vergessen wie der staubige Boden, über den die Gondel gerade fuhr.

    In diesem Moment blieb diese ruckartig stehen, und Mirijas Kopf knallte unsanft gegen Mèncos. Erschrocken fuhr er hoch, die schwarzen Augen entsetzt aufgerissen. Er rechnete einfach mit allem.

    »Was ist passiert?!«

    »Nichts«, murmelte Mirija. Nichts, wie immer. Es passierte nie irgendetwas. Seit zehn Jahren.

    »Wir sind da.«

    Threos. Eine bekannte, altertümliche Stadt auf Kauun. Begehrenswert wegen ihrer berühmten Sehenswürdigkeiten wie der Klippe des Ozeans oder dem Goldtempel und sonst noch irgendeinem Quatsch, der für Mirija mehr als uninteressant war.

    Für sie bedeutetet diese Stadt ihr persönlicher Albtraum.

    Hunger.

    Durst.

    Demütigung.

    Eine Stadt, die von den Ärmsten der Armen und den Reichsten der Reichen zugleich bewohnt wurde.

    So früh am Morgen lag sie noch im Schatten, doch selbst am Nachmittag, nachdem die Sonne zwei ganze Himmelsrichtungen gewandert sein würde, würde die riesige Felskante, an deren Fuß sie erbaut worden war, Schatten spenden.

    Voller Verachtung blickte Mirija zu den Ausläufen dieser steinigen trockenen Gebirgskette hinauf. Sie war von blauem Kristall – Tansanit – der Energiequelle des Planeten durchmasert, und eine einzige dünne schwarze Linie spaltete sie in zwei Hälften. Auf der rechten Seite glitzerten noch die letzten Lichter in den Casinos und Restaurants, in denen die Reichen ihre nächtlichen Feste gefeiert hatten. Meterlange Terrassen mit farbigen Laternen, Paare, die in schwebende Stoffe gehüllt waren und feinen eliaatanischen Wein tranken.

    Gelächter, Geld, Ruhm, alles, was Mirija nicht kannte.

    Die linke Seite des Felshanges wiederum wirkte unnatürlich glatt. Lediglich einzelne waagrechte, perfekt symmetrische Linien zierten diesen Anblick.

    Hangareingänge zum persönlichen Himmelshafen der Arcano.

    Was sich im Inneren des riesigen Gesteins befand, konnte niemand wirklich beantworten, dass die Arcano von dort aus die Stadt steuerten, war klar. Einheitlich wurde es das Arcano – Center genannt.

    Selbst in dieser frühen Morgenstunde flogen schon einzelne Schiffe in oder aus dem arcanischen Hangar. Noch mehr landeten im Himmelshafen von Threos.

    Wäre ich doch so frei, dachte Mirija und musste beim Gedanken an ihren Traum eines eigenen Schiffes lächeln, dann würde ich alle Plätze dieser Welten bereisen.

    Sie hatte sich schon viele Varianten überlegt, aber das schlanke, schnittige, in strahlenden türkisenen Farben gehaltene Schiff, wie ihre Erinnerung an Helu, gefiel ihr am besten.

    Einem dieser Schiffe folgte sie mit müden, neugierigen Augen.

    Es flog direkt auf das Himmelsportal zu.

    Acht einzelne kreisrunde Scheiben, welche senkrecht untereinander gereiht mitten am Himmel hingen, als hätte sie dort jemand vergessen. Jede Scheibe stand für einen Planeten und strahlte in dessen Kristallfarbe.

    Das Quietschen der jahrtausendealten Eisentore – ein Abklatsch derer, die aus massivem Gold am einzigen Ein- und Ausgang standen, holte Mirija aus ihren täglichen Träumen zurück. Diese hier waren der Eingang ins Latuksviertel. Das Steinbruchgelände war bloß durch dieses eine Tor zugänglich. Damit die restlichen Bewohner der Stadt nicht von schlechtem Gewissen geplagt wurden, wenn sie die Latuks nachts arbeiten sahen. Obwohl … dieser Gedanke war zu gutgläubig, Kauuner hatten selten ein schlechtes Gewissen. Der Glaube, dass die Einwohner so denken konnten, war aus Mèncos Kopf entsprungen, nicht Mirijas. So naiv war sie schon lange nicht mehr.

    Mènco versprühte eine unheilvolle Spannung, wie jedes Mal, wenn sie in den Morgenstunden zurückkehrten.

    Die seelischen Schmerzen, an seine erste Begegnung mit dieser Stadt, hatte er nie ganz überwunden.

    Quietschend blieb die Gondel hinter dem Eingang stehen und Mirija, Mènco, Darèk und Ben erhoben sich mit schweren Gliedern, viel zu erschöpft, um in der kommenden Stunde einen Überfall zu begehen.

    ***

    Die Frau kam näher.

    Nur noch ein Stück, dachte Mirija.

    Noch näher.

    Noch ein kleines Stück.

    Der Händler fluchte und schrie. Mirija grinste frech, als sie kopfüber von der Stange seines Obststandes baumelte, ihre Hand vorsauste und Madam Toulouse ihrer Kette entledigte.

    Ein gellender Schrei ließ die Leute um sie herum zusammenzucken und hektisch um sich blicken. Taschendiebstähle kamen oft vor.

    Das Mädchen hievte sich mit Schwung wieder hoch, was ein kurzes Ziehen in ihren Bauchmuskeln hinterließ und verschwand zwischen Tüchern und Leuten.

    Mirija rannte und rannte, genau wissend, dass, wenn sie stehen blieb, ihr letzten Stündlein schlagen würde. Die Leute um sie herum schenkten ihr keine Aufmerksamkeit, wunderten sich lediglich, was diese Latuks wohl schon wieder angestellt hatte. Denn eines hatten die Menschen in den letzten zehn Jahren gelernt.

    Resignation. Somit verwickelten sie sich nicht in die Probleme anderer.

    Mirija erklomm mit ihren langen Beinen drei Stufen auf einmal, als sie die nächste Treppe hinauf zur städtischen Oberfläche nahm. Schwungvoll packte sie eine Laterne, hob wie ein Vogel kurz vom Boden ab und rannte in die entgegengesetzte Richtung weiter und ließ die unterirdischen Einkaufsstraßen, aus denen sie gerade gekommen war, hinter sich.

    Sie befand sich nun in der normalen bürgerlichen Stadt. Die quadratischen Häuser links und rechts von ihr wirkten wirr und unüberlegt aufeinandergestapelt. Dächer, Terrassen, Treppen und verwinkelte Balkone und alles in den staubigen braunen Tönen des kauunischen Sandes.

    Lokale boten ihr Essen auch außerhalb auf kleinen hölzernen Tischen und Stühlen an, irgendwo spielte ein vereinsamter Straßenmusikant, an dem sich die Leute schlichtweg vorbei drängten, ohne ihm Beachtung zu schenken.

    Schon die nächstbeste Möglichkeit ergriff sie, um von der Straße fortzukommen und verschwand in einer Häusernische, die unregelmäßigen Treppen hochrennend. Sie sprang über Dächer, landete auf Terrassen – wo sie meistens wüste Beschimpfungen über sich ergehen lassen musste – störte Familien beim Mittagessen, bis sie schlussendlich bei ihrem Ziel angelangt war.

    Schnaufend verharrte sie kurz auf einem flachen Dach und übersah einen großen Teil der verwinkelten Stadt. An einer Ecke kniete sie nieder und beobachtete das rege Treiben unter sich. Schienen verringerten ihre Sicht auf den verdreckten Boden des Viertels unter ihr.

    Schräg darunter, so nah, dass sie selbst die Stimmen der Passagiere, die am Bahnsteig warteten, vernahm, war mitten zwischen alle den verwinkelten Wohnhäusern eine kleine Bahnstation gebaut worden: Downtown.

    Sie trug diesen Namen nicht umsonst.

    Die Passagiere, die dort auf ihren Halt warteten, waren teilweise noch ärmlicher angezogen als Mirija. Sie wagten es als freie Bürger nicht in den Müllcontainer des Kleiderhandles zu stöbern. Sie warteten alle unter einem kleinen, einst wohl schönen Vordach mit gekringelten Verzierungen und einem verblassten Schild an der Seite des Treppenaufgangs, auf dem noch schwer zu entziffern der Name der Haltestelle stand.

    Unter den Schienen, welche auf Stützen gebaut und wahllos in die Mauern der Häuser geschlagen worden waren, hingen Tücher. Sowohl zur Lärmdämmung als auch zum Schutz vor dem Dreck, den Passagiere manchmal gedankenlos aus der Gondel warfen. Unter alle den Tüchern und den Schienen, verbarg sich eine dunkle Gasse. Vor den torlosen Eingängen saßen alte Frauen und Männer traurig und ohne Lebensfreude, Kinder rannten umher, lachten nicht wissend, wie hart ihr Leben bald werden würde.

    Es war ein trostloses Leben, man könnte sogar meinen trostloser als das der Latuks. Diese Menschen hier hatten nicht einmal mehr die Aufgabe, nachts zu arbeiten. Sie erhielten kaum bis keinen Lohn, da sie keine Arbeit fanden und hatten mit ihrem Dasein abgeschlossen.

    Mirija befühlte die schwere Goldkette zwischen ihren Finger. Spürte alleine schon am Gewicht, wie viel Geld für sie dabei herausspringen würde.

    Sie brauchten das Geld, um zu überleben. Den Gedanken, dass Darèk, Mènco oder Ben sterben könnten, versuchte sie stets zu verdrängen. Aber er war präsent. Wie die dunkle Höhle; tief im hintersten Teil ihres Kopfes versteckt. Dort, wo all die alten, schrecklichen und grausamen Erinnerungen warteten wieder frei zu kommen. Aber das würden sie nicht. Niemals.

    Das Läuten einer Glocke ließ Mirija aufblicken, und sie fixierte die Schienen, welche über die breite Straße rechts von ihr auf den Stützen verliefen und sich dahinter zwischen zwei Hauswänden verloren.

    Ein paar Bewohner, die auf der Höhe der Gondel wohnten, schlossen hölzernen Fensterläden, die noch an einer Angel hingen oder zogen die Tücher vor, damit die Passagiere nicht in ihre Wohnung blicken konnten.

    Die Gondel erschien, ein offenes Fahrzeug mit runden bläulichen Dach und Messingstäben an den Seiten, an denen sich die Passagiere festhielten. Die Sitze waren so alt und ausgesessen, dass man kaum noch erraten konnte, aus welchen Material sie bestanden.

    Quietschend kam das Fahrzeug zum Stehen, und Mirija ließ sich sanft und geduckt auf das Dach der Gondel nieder. Die Passagiere bemerkten sie nicht.

    Ein weiteres Läuten erklang, und das Fahrzeug setzte sich wieder in Bewegung.

    Mirija grüßte lächelnd eine Frau, die eine Zigarre paffend aus dem Fenster gelehnt, die ganze Szene beobachtete. Zuerst zeigte sie keine Regung, dann nickte sie anerkennend, und ein kurzes Zucken des rechten Mundwinkelns deutete ein Lächeln an.

    Das Mädchen setzte sich ruhig in den Schneidersitz und genoss den leichten Fahrtwind. Die Gondel glitt um Häuserwindungen, quietschte, wenn die Kurve zu scharf war.

    Sie überquerte eine breite, etwas belebtere Straße. »Da! Da ist sie! Auf der Gondel!«

    Mehrere Wächter, grün uniformierte Leutnants, deuteten zu ihr hoch und zückten ihre Waffen.

    »Scheiße«, zischte Mirija und legte sich flach auf das Dach, als die Schüsse ertönten.

    Im nächsten Moment verschwand die Gondel wieder im schmalen Gang zwischen den Häusern.

    Unruhe überkam sie. Erschwerend hinzukam, dass ein kleiner kniffliger Teil ihres Coups in wenigen Sekunden stattfinden würde. Und als ihr dieser Gedanke durch den Kopf schoss, kamen sie zu einem geraden Teil der Strecke, noch mehrere hundert Meter entfernt von einer Brücke. Die Jastinè – Brücke.

    Dort baumelte auch schon Mènco kopfüber auf einem Seil, das Ben auf der Brücke stehend mit beiden Händen fest umklammert hielt.

    Mirijas Atem beschleunigte sich, und der Gedanke, dass die Wächter wussten, wo sie sich befand, war keine Hilfe, dabei ruhig zu bleiben. Sie legte sich rücklings auf das Dach, den Kopf aber weiterhin leicht gehoben, um die Entfernung abzuschätzen. Unscharf erkannte sie Darèks Gesicht und sie wusste, dass er besorgt war.

    Der Kopf der Gondel verschwand unter der Brücke, mit einem knappen halben Meter Abstand zwischen Dach und Gestein. Mirija schätze weiterhin ab. Es musste genau sein. Sie fixierte Mènco, dessen wildes, helles Haar strähnig herunterhing und der sie ebenso angespannt fokussierte.

    Noch nicht. Jetzt. Nein, noch immer nicht … Jetzt!

    Mirija warf die Kette senkrecht nach oben, so gut es ging, senkte schnell die Arme und legte sie direkt neben ihren Körper, ehe sie der kühle Luftzug der Dunkelheit umschloss.

    Mit zuckenden Bewegungen setzte sie sich schnell auf, als die Bahn wieder ins Freie fuhr und blickte hinter sich.

    Mènco hatte die Kette gefangen. Darèk hielt sie mit ausgestreckter Hand über seinen Kopf. Ein breites Grinsen zierte sein Gesicht.

    Erleichtert lachte Mirija auf, und die Gondel verschwand um die Ecke.

    Nur wenige Meter vor ihr war die nächste Haltstelle.

    Schnell sprang sie auf ihre Füße und suchte nach einem

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1