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Die atheistische Gesellschaft und ihre Kirche
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eBook105 Seiten1 Stunde

Die atheistische Gesellschaft und ihre Kirche

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Über dieses E-Book

„Ich liebe meine Kirche, aber ich verzweifle an ihr.“ – ein bemerkenswerter Satz aus dem Munde eines evangelischen Pfarrers. Justus Geilhufe hat sich an zwei Dinge gewöhnt: an die allzu erwartbaren Äußerungen der EKD und ihre notorische Selbstüberschätzung, aber auch an die lebendige, beinahe anarchische Kraft des Glaubens an der Basis, besonders im Osten Deutschlands. Hier sei bereits Realität, was dem Westen noch bevorstehe, nämlich völliges Desinteresse an Kirchenpolitik. Dafür wächst das Interesse an der Botschaft und dem Vorbild Jesu. Ein ebenso persönlicher wie provokanter Bericht über verdrängte Realitäten der Kirche und neue Chancen für den Glauben.
SpracheDeutsch
HerausgeberClaudius
Erscheinungsdatum11. Okt. 2023
ISBN9783532601228
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    Buchvorschau

    Die atheistische Gesellschaft und ihre Kirche - Justus Geilhufe

    Kapitel 1

    Für einen Hochsommertag führte die Elbe am Abend des 17. Juni 1990 noch recht viel Wasser und schob ein mächtiges, leicht faulig riechendes Wasser an den Sandsteinpackungen unterhalb der vertrockneten Elbwiesen vorbei. Über ihnen thronte das altehrwürdige Dresdner Diakonissenkrankenhaus und ließ die ersten lauen Momente eines heißen Sommertages durch die klappernden Holzfenster hinein. Dieses Klappern störte meine Mutter, die frisch im Wochenbett die Übertragung der ersten und zugleich letzten von Volkskammer und Bundestag gemeinsam gefeierten Gedenkveranstaltung zum Volksaufstand in der DDR über einen knarzigen Stern-Recorder verfolgen wollte. Sie bat die noch recht junge Diakonisse, die gerade das Fenster schloss und das Tablett mit dem Abendessen verräumte, das Radio etwas lauter zu machen. Die Frau mit dem gestärkten weißen Häubchen auf dem Kopf drehte sich um und nestelte an dem groben Plastik herum, solange bis die Übertragung tatsächlich besser zu hören war. Mit einem leisen „Guten Abend" öffnete sie die Tür zum Gang und meine Mutter konzentrierte sich wieder auf die Stimmen aus dem Berliner Schauspielhaus.

    Den Flur weiter hinten lag ich währenddessen neben in den letzten Monaten erstaunlich wenig gewordenen Säuglingen und blinzelte in das blau-rosa Licht eines Sommerabends, in dessen Schwüle etwas geballt war von allem, was sich in den kommenden Jahren schmerzvoll bahnbrechen würde. Etwas, das seine Wurzeln im gerade vergangenen Sozialismus, dessen Abschied man in diesem Moment in der DDR-Volkskammer feierte, und seine Entfaltungsmöglichkeiten im neu anbrechenden Zeitalter des Geldes hatte.

    In dieser Stadt zwischen den grünen Elbhängen und dem welligen Gebirgsvorland wurden innerhalb von Wochen aus vormals jungen FDJlern Männer, die nun mit Kühnengruß die Straßenbahn bestiegen. Vom Diakonissenkrankenhaus brauchte es einen Umstieg und die Tatrabahnen, deren Sitzschalen hinten eine ovale Öffnung genau auf den Hüftknochen aussparten, deren Abdruck noch lange, viel länger als der Magen schmerzte, sofern man von einem der groben Füße frontal in den Sitz hineingetreten wurde, beförderten uns langsam und ruckelnd zum alten Dorf in der Stadt. Die Inhaberin des nach der Wende gegründeten Fotogeschäfts am Rande des alten Dresdner Dorfkerns zog mich als Sechsjährigen immer über die Ladentheke, damit ich ihr auf das aufgequollene rote Alkoholikergesicht einen Kuss gab. Ihre weichen Wangenhaare wischten dabei immer über meine Nase. Den Eltern erzählte ich davon nie. So lange, bis sie mich einmal ohne Vorwarnung weiter hinter die Theke, in die Ruinen und den Schutt des Hinterhofs führte, mich in einen alten weißen Polo setzte, mit mir in ihre mittlerweile aufgelöste Wohnung in einem der braunen 50er-Jahre-Neubaublöcke fuhr, wo ich zwischen aufgerissenem, speckigem Teppich und braun lackierten Nachtspeicheröfen „Spielzeug" aussuchen durfte. Das Spielzeug waren tütenweise alte Kaugummis in 10er-Packungen, die sie vor Jahren als Werbegeschenke zur mittlerweile gescheiterten Geschäftseröffnung gekauft hatte. Zuhause gab es nie Kaugummis. Deshalb fand ich den Ausflug gut. Und doch blieb diese trostlose Welt der leeren grauen Blöcke und alkoholkranken Existenzen fremd. Es war eine Welt da draußen. Eine Welt da draußen, in deren drückend warmer Luft die Gewalt lag, vor der es in meiner Kindheit kein Entkommen gab. Ihren ersten Höhepunkt erreichte sie in eben jenem Jahr, in dem ich geboren wurde. Von da an war sie die grundlegende Erfahrung von uns allen, die nach der Wende im Osten dieses fremden und ganz neu vereinten Deutschlands aufgewachsen sind. Die Nazis in den Tatrabahnen, die Nazis auf den Marktplätzen, die Nazis auf dem Schulweg, die Nazis auf dem Parkplatz vor dem neu errichteten Einkaufszentrum. Die Nazis und die großen, von gelbem Schleim durchzogenen Rotzpfützen vor ihren Schuhen oder unterhalb der Bänke, auf denen sie saßen, waren unser Leben. Wir wussten bald, wann wir zu rennen hatten, wohin man nicht gehen konnte und wann man sich verdrücken musste. Gewalt wurde normal.

    Als ich ein Kind noch war

    Da war mir gar nicht klar

    Wohin die Vögel ziehn

    Wenn kalt schon die Winde wehn

    Der Vater lachte leis

    Die fliehn vor Schnee und Eis

    Fliegen nach Süden

    Um immer die Sonne zu sehn

    Nach Süden, nach Süden

    Wollte ich fliegen

    Das war mein allerschönster Traum

    Hinter dem Hügel

    Wuchsen mir Flügel

    Um vor dem Winter abzuhaun

    Abzuhaun

    Und heimlich in der Nacht

    Hab ich mich aufgemacht

    Wollte nach Süden gehn

    Um immer die Sonne zu sehn

    So lief ich querfeldein

    Wohl über Stock und Stein

    Doch gar nicht weit hinterm Haus

    Da fiel schon der erste Schnee

    Nach Süden, nach Süden

    Wollte ich fliegen

    Das war mein allerschönster Traum

    Hinter dem Hügel

    Wuchsen mir Flügel

    Um vor dem Winter abzuhaun

    Abzuhaun

    Lift

    Dieses Dresden meiner Kindheit war eine von unzähligen Städten im ehemaligen Einflussbereich des Warschauer Paktes, in denen sich jene Gewalt nach der Wende chaotisch breit machte, die jahrzehntelang perfide geregelt vom autoritären Staat ausging. Hier, an den Ausläufern des Dresdner Elbhanges neben den von Punks und jungen Familien bewohnten Ruinen der Neustadt, in einem sauberen Haus, durch das agile Frauen mit weißen Häubchen auf den dünnen Harren huschten, erschien sie jedoch beinahe unscheinbar im Gegensatz zu jener Hölle, die Peter Hitchens, ein nicht mehr ganz junger Journalist des „Daily Express", zur gleichen Zeit in Moskau mitzuerleben

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