Auf »Plagiatsjagd«: Eine Streitschrift
Von Stefan Weber
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Über dieses E-Book
Stefan Weber schildert nicht nur die spektakulärsten von ihm aufgedeckten Plagiatsfälle, er sucht die Ursachen für die Bildungsmisere ebenso wie mögliche Auswege. Ein geistreiches und punktgenaues Plädoyer für eine andere, bessere Universität und Wissenschaft.
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Buchvorschau
Auf »Plagiatsjagd« - Stefan Weber
»Die zentrale Aufgabe der Universitäten heute ist die Hervorbringung möglichst zahlreicher unfähiger Akademiker.«
(Selbstzitat, aus Diverse: Addendum, 2019, »Bedingt studierfähig?«, Titelseite)
»Aber wir produzieren Texte nicht, damit sie gelesen werden, sondern damit sie nicht gelesen werden. Darauf beruht das ganze System.«
(Volker Rieble im Tagesspiegel, 2019¹)
Eine sehr persönliche Einleitung
Der österreichische Philosoph Ernst von Glasersfeld sagte zu mir einmal: »Als ich an die Uni kam, dachte ich, dass es um die Forschung geht. Aber es ging um die Menschen dort.« Glasersfeld wiederum zitierte seinen Lehrer und Mentor, den italienischen Kybernetiker Silvio Ceccato, gerne mit folgendem Bonmot: Als Ceccato von einer wissenschaftlichen Konferenz kam, schüttelte er nur den Kopf und sagte zu Glasersfeld: »Alles Trotteln.«
Mein Lieblingsphilosoph und einer meiner wenigen akademischen Freunde, Josef Mitterer, bemerkte 2022 in einem Interview in der Zeitschrift »Information Philosophie«: »Akademische Karrieren, das habe ich später in manchen Berufungskommissionen gelernt, haben wenig mit Können und Qualifikation zu tun, mehr mit glücklichen Zufällen und anderen Aufstiegshilfen.«² Mir gegenüber wiederholte Mitterer oft den Satz: »Erfolg ist für die akademische Karriere eher hinderlich.« Daneben sagte er auch oft: »Du müsstest jetzt eine Frau sein.« Aber Letzteres ist ein anderes Thema.
Nun, ich sage nicht, dass an den Universitäten nur unfähige Leute angestellt werden. Ich habe Wissenschaftler kennengelernt, die für ihre Arbeit und damit die Wissenschaft brannten: etwa Siegfried Zielinski oder Hermann Maurer. Aber ich hatte es auch immer wieder mit dem Typ »Professor Untat« (nach dem gleichnamigen Buch von Uwe Kamenz) zu tun. Von einem verbeamteten ordentlichen Professor erzählte ein Kollege: »Er lässt um Punkt 16 Uhr den Bleistift fallen.« Sein Forschungsfreisemester, ein vom Steuerzahler finanziertes Privileg, verbrachte er nicht etwa mit Forschen und Publizieren, sondern mit Action Painting auf Kreta. Ein anderer Professor, selbe Generation, auch verbeamteter Ordinarius, hatte eine Hängematte in seinem Büro aufgespannt und jedwedes Publizieren längst eingestellt. Seinem Assistenten sagte er: »Die paar Jahre bis zur Rente sitze ich jetzt auch noch ab.« Es sind dies keine Einzelfälle. Warum, fragt man sich, wurden diese Leute angestellt, wer hat sie warum ausgesucht?
Ich verfolge dazu seit Längerem eine kulturpessimistische These, die besagt, dass jeder im System dazu neigt, niemanden anzustellen, der ihm in Bezug auf Qualifikationen überlegen ist. Negativ gewendet: »Schlechte stellen noch Schlechtere an.« Damit wird sichergestellt, dass die nachfolgende Generation die Inkompetenzen der Generation, die bereits im Amt ist, nicht so schnell bemerkt. So bleiben die Hierarchien intakt. Es handelt sich bei meiner Vermutung um eine Abwandlung des sogenannten Peter-Prinzips.
Ich war bei einigen Vorsing-Terminen dabei (»Vorsingen« ist der akademische Begriff für den Probevortrag, der vor Erhalt einer akademischen Stelle zu absolvieren ist). Mehr als einmal habe ich mich gewundert, was da los ist: Bekam am Ende der mit dem uninspiriertesten Vortrag, mit den schlechtesten Powerpoint-Folien, ja mit den meisten Fehlern auf den Slides die Professur? Ein Kollege sagte zu mir: »Es geht bei solchen Verfahren primär um die Personen. Inhalte kommen erst sekundär ins Spiel.« Inhalte werden erst dann schlagend, wenn es darum geht, Argumente für die bereits vorab favorisierte Person oder gegen die zu verhindernde Person (was dann auch schon vorab feststand) zu konstruieren.
Eines dieser sonderbaren akademischen Auswahlverfahren betraf meinen eigenen Doktorvater, Peter A. Bruck. Er unterrichtete als »Professor auf Zeit« für fünf Jahre am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg, aus Kanada kommend. Ein Seminar hieß »Ästhetik des Alltags«, in der Hauptvorlesung aus der Kommunikationswissenschaft ging es zwei Semester lang um Politische Ökonomie der Medien, um Semiotik, Ethnomethodologie und Cultural Studies. Im Diplomanden- und Dissertantenseminar diskutierten wir wirklich Texte. Ein Minderheitenprogramm.
Obwohl Bruck die Finanzmittel für seine eigene Lebenszeitstelle im Ministerium aufgetrieben hatte, kam er nach Ablauf der fünf Jahre nicht in den Dreiervorschlag für die Professur. Eine Studentin, die sich schlecht behandelt fühlte, und eine Assistentin rebellierten. – Ein seltsames Narrativ, das sich in meiner eigenen akademischen Nichtkarriere wiederholen sollte. Brucks Stelle erhielt ein bekennender Neomarxist.
Seit ich bei Peter A. Bruck im Jahr 1996, im Jahr des Endes seiner »Professur auf Zeit«, meine Doktorarbeit eingereicht hatte, geht es mir mit der Universität wie Herrn Sattmann aus der »Piefke-Saga« mit Tirol – und im Speziellen mit »Lahnenberg«: Ich wäre so gerne drinnen, einer von ihnen, aber sie lassen mich einfach nicht (ganz) hinein. Forschungsprojekte, Publikationsförderungen, Lehraufträge, einzelne, sogar manchmal bezahlte Vorträge – ja. Bücher schreiben (wie dieses) als reines Hobby, als Denksport und weil man glaubt, doch etwas zu sagen zu haben zur Wissenschaft – ja. Aber eine Anstellung, gar auf Lebenszeit? Oh nein!
Warum ist das so? Bin ich einfach ein schlechter Wissenschaftler und überschätze ich mich notorisch selbst? Als ich einem weiteren meiner wenigen Mentoren, dem damaligen Siegener Literaturwissenschaftler Siegfried J. Schmidt, über meine Probleme mit meinem ersten späteren akademischen Chef und Ordinarius (1998–99) erzählte, grinste Schmidt: »Sind Sie ihm zu gut?« Als 28-Jähriger, verunsichert von einem autoritär auftretenden Professor, habe ich das noch nicht verstanden. Aber es führt wieder zu meiner seltsamen Hypothese: Stellen Schlechte nur noch Schlechtere an? Kann der Stellvertreter, der Assistent oder eben nur der Projektmitarbeiter, der ich damals war, mehr »auf dem Kasten haben« als der Chef? Dass mein damaliger Chef und »Professor für Angewandte Kommunikationswissenschaft« seinen Computer gar nicht benutzen konnte und sich noch gedanklich im Reich der Lochkarten befand, bemerkte ich anfangs nicht. SPSS und E-Mailingliste, das muss Teufelszeug für ihn gewesen sein.
Als ich als Projektmitarbeiter auf Zeit im Rahmen eines vom österreichischen Forschungsförderungsfonds (FWF) finanzierten Forschungsprojekts an die Salzburger Universität kam, ging ich davon aus, dass man sich über den Zuschlag freuen würde. Ich habe damals, 1998, nicht begriffen, dass das Gegenteil der Fall war. Das Institut hatte zuvor so gut wie kein FWF-Projekt, und die allgemeine Haltung war folglich: Warum der Weber, warum nicht ich/wir? Der Assistent des Professors, auf den der Projektantrag lief, war sofort »eingeschnappt« und nicht mehr gut auf mich zu sprechen. Eine damalige Habilitandin besuchte ich in ihrem Büro und erwartete ein positives Gespräch. Die Stimmung war ab der ersten Silbe nicht mehr locker wie vor dem Projektzuschlag. Sie sagte: »Als ich das mit deinem Projekt erfahren habe, war ich schockiert.«
Was war geschehen? Ich hatte ein FWF-Projekt zur Journalismusforschung bewilligt bekommen, mit systemtheoretisch-konstruktivistischem Hintergrund. Die Kollegin wollte ihre Habilitationsschrift ebenfalls auf der Basis von Luhmanns Systemtheorie schreiben. Ich dachte, es gäbe Synergien. Super, wir ziehen in Bezug auf die Theorienwahl am selben Strang! Aber wir waren vom Tag des Erhalts meiner Stelle an Konkurrenten, ja Feinde. Die Kollegin erstaunte mich schließlich mit dem Satz: »Jetzt muss ich mein Thema ändern.« Sie ist heute Professorin in der Schweiz, schaffte es bis zur Vizerektorin an einer der größten Universitäten dort.
Das herrschende Gefühl, das mir in den ersten Tagen und Wochen meiner Tätigkeit am Institut entgegengebracht wurde, war der Neid, die Missgunst. Ein Büronachbar warf mir in einer E-Mail »imperiales Gehabe« vor. Und dies, nachdem ich das Büro geputzt, das Regal neu geordnet und einige Pflanzen in mein Büro gestellt hatte. Das war einfach schon zu viel der Veränderung, das sah nach Okkupation, wenn nicht nach dauerhaftem Verbleib aus. – Den Schulterschluss habe ich damals nicht bemerkt: Wie können wir den Verbleib Webers verhindern? Wie können wir verhindern, dass er uns etwas wegnimmt? Wie können wir ihn scheitern sehen?
Ich war damals leicht zu verunsichern. Erst nach eineinhalb Jahren traute ich mich, mein erstes Protestrundmail zu schreiben (es sollten mehrere in den kommenden Jahrzehnten werden). Ich schrieb, dass ich unter einem »Professor für angewandte Wissenschaft« arbeiten musste, »der seinen Computer nicht anwenden kann«. Ich beschwerte mich auch beim Fördergeber FWF, und der zuständige Fachbereichsleiter sagte mir am Telefon, er könne da im Einzelfall nichts machen, solche Beschwerden wie die meine seien »an der Tagesordnung«.
Neben der mit dem Peter-Prinzip verwandten Hypothese »Schlechte stellen noch Schlechtere an« gibt es eine zweite Beobachtung, die mich an den Universitäten seit Langem verunsichert. Diese Hypothese ist verwandt mit dem Matthäus-Effekt (»Wem gegeben wird, dem wird noch mehr gegeben.«). Sie lautet: »Milde Professoren ziehen mittelmäßige bis schlechte Studierende an, wodurch diese Professoren noch milder werden.« Ich habe an den Universitäten wiederholt diese Tendenz erlebt: Tatsächlich intellektuelle Professoren, die viel verlangen, unterrichten vor fast leeren Hörsälen. Jene Professoren, die wenig verlangen, am Schluss Multiple-Choice-Tests machen und diese vielleicht auch noch maschinell auswerten lassen, haben full house. Wer viele Diplomanden und Dissertanten hat, bekommt noch mehr Diplomanden und Dissertanten. Ich vermute als Ursache, dass es sich herumspricht, dass man bei diesem Kollegen leichter durchkommt. Somit setzt sich eine weitere Abwärtsspirale in Gang: Je mehr Studierende der bereits milde gestimmte Professor hat, desto weniger genau kann und wird er kontrollieren. Was schlichtweg zur Folge hat, dass er noch milder wird. Ein Teufelskreis. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass ich frisch berufene Professoren erlebt habe, die besonders milde Noten vergaben, um sich erst einmal in der Studentenschaft beliebt zu machen und um auch den Kollegen zu zeigen: Mit mir gibt es keinen (rechtlichen) Ärger. Und milde Noten, studentenfreundliche Beurteilungen wirken sich wiederum positiv auf Evaluationen der Lehrenden durch die Studenten aus. Umgekehrt gesprochen: Die giftigsten Evaluationen erhielt ich etwa in meinen Bachelorseminaren immer von jenen Studenten, die sich am Rande der Studierunfähigkeit bewegten und den Anforderungen an ein solches Seminar schlichtweg nicht gewachsen waren.
»I love my job.« Das postet eine wissenschaftliche Kollegin von mir häufig auf Facebook. Auch ich liebe die Wissenschaft, ich liebe Themen wie Sprachphilosophie, Medieninnovationen, gute wissenschaftliche Praxis, die philosophische Betrachtung der letzten und großen Fragen des menschlichen Daseins. Ich liebe das Nachdenken über infinite Regresse und das verstärkte Lügner-Paradoxon.³ Aber die Wissenschaft, genauer: die Universität, sie liebt mich nicht. Und ich glaube an sie, die Universität, auch nicht mehr. Es geht mir wie dem Gläubigen, der sagt: Ich glaube an Gott, aber nicht an die Kirche. Mich fasziniert die Wissenschaft, aber ich sehe mit Schrecken die gelebte Praxis an den Universitäten. Mir wird von Professoren berichtet, die am Tag ihrer Emeritierung ihre Bücher verbrannten. Nun, ich wäre der Typ, der dann weiterarbeiten möchte.
Meine »Karriere« am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg endete erwartungsgemäß nach eineinhalb Jahren mit Ablauf des Forschungsprojekts. Mein Doktorvater brachte es immerhin auf fünf Jahre Verbleib. Was wäre aus dem Institut geworden, wenn er und ich und einige andere aus dem damaligen Diplomanden- und Dissertantenseminar eine Dauerstelle bekommen hätten? – In den Folgejahren habe ich es immer wieder beobachtet: Hochqualifizierte Leute wurden nicht angestellt. Weil sie hochqualifiziert waren? Da war