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Gefallene Herzen
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eBook233 Seiten3 Stunden

Gefallene Herzen

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Über dieses E-Book

Der 18jährige London Lox wohnt alleine in einem Anwesen in Sydney in Australien und führt ein einsames, von Problemen gebeuteltes Leben. Nach einem schrecklichen Autounfall, bei dem sein Vater und sein älterer Bruder ums Leben gekommen sind kommt er mit seinem Leben nicht mehr zurecht. Er gibt sich die Schuld am Tod seines Vaters und Bruders, weil er am Steuer des Unfallautos gesessen war. Die Menschen in der Stadt meiden ihn und verbreiten böse Gerüchte über ihn. Sie behaupten, dass die Anschuldigungen seiner eigenen Mutter, er hätte den tödlichen Unfall absichtlich verursacht wahr wären. London kann niemandem mehr vertrauen und versinkt in einem Sumpf aus Depressionen, Magersucht, Drogen und selbstverletzendem Verhalten. Sein Leben ist nur mehr ein einsamer Kampf gegen sich selbst, ohne Aussicht auf Besserung.
Bis zu dem Tag, an dem der gleichaltrige Schüler namens Colin Concker in sein Leben tritt. Trotz all der bösen Gerüchte, die über London in der Stadt kursieren, freundet sich Colin mit dem mysteriösen Einzelgänger an. Er findet heraus, dass Londons Lebenssituation genau anders herum ist, als alle Leute behaupten. In Wirklichkeit war London nie Täter, sondern immer das Opfer der Menschen in seiner Umgebung.
Eine enge Freundschaft entsteht zwischen den beiden, die einzige Freundschaft in Londons Leben seit vielen Jahren. Colin, der bisexuell ist und sich insgeheim in London verliebt hat, findet heraus, dass auch London mehr als nur Freundschaft für ihn empfindet. Die leidenschaftlichen Küsse und ersten sexuellen Erfahrungen mit Colin sind die einzigen Lichtblicke in Londons problematischem Leben. Zum ersten Mal ist er glücklich. Trotzdem kämpft er mit den Dämonen seiner Vergangenheit und landet schließlich nach einem Selbstmordversuch im Krankenhaus. Colin ist in dieser schwierigen Zeit für ihn da. Auch seine beiden Schulfreunde David und Michael, zwischen denen sich auch eine Liebesbeziehung entwickelt hat akzeptieren London in ihrem Freundeskreis und helfen ihm, dass es ihm wieder besser geht.
Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus gesteht Colin London seine Liebe bei einem romantischen Date am Strand. Doch anstatt Colins Liebe zu erwidern packen London plötzlich wieder seine Selbstzweifel und er flüchtet. Von einem Tag auf den anderen beschließt London nach Melbourne umzuziehen. Er möchte seine Vergangenheit hinter sich lassen und ein neues Leben beginnen. Spontan bucht er ein Flugticket, er verabschiedet sich von niemandem. Sein Freund Colin, der verzweifelt auf eine Antwort von London wartet, erhält nur einen kurzen Abschiedsbrief ...
SpracheDeutsch
HerausgeberHimmelstürmer
Erscheinungsdatum13. März 2020
ISBN9783863618179
Gefallene Herzen

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    Buchvorschau

    Gefallene Herzen - Lori Maine

    Quadrat

    Himmelstürmer Verlag, part of Production House, 31619 Binnen

    www.himmelstuermer.de

    E-Mail: info@himmelstuermer.de

    Originalausgabe, April 2020

    © Production House GmbH, Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages.

    Zuwiderhandeln wird strafrechtlich verfolgt

    Rechtschreibung nach Duden, 24. Auflage

    Coverfoto: 123RF.com

    Umschlaggestaltung: Olaf Welling, Grafik-Designer AGD, Hamburg. www.olafwelling.de

    ISBN print 978-3-86361-816-2

    ISBN e-pub 978-3-86361-817-9

    ISBN pdf 978-3-86361-818-6

    Alle hier beschriebenen Personen und alle Begebenheiten sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist nicht beabsichtigt.

    Lori Maine

    Gefallene Herzen

    Roman

    Kapitel 1

    Es war Mitte September, als Colin einen großen Jungen am Schulgelände einsam und allein gehen sah. Das Schuljahr hatte gerade wieder begonnen und die Schüler der Conservatorium High School in Sydney an der Ostküste Australiens waren gerade dabei, sich wieder an den Rhythmus des Schulalltags zu gewöhnen. In den drei Jahren, in denen Colin nun schon in Sydney lebte und hier zur Schule ging, hatte er diesen Jungen noch nie gesehen.

    Der Fremde war von Kopf bis Fuß in schwarz gekleidet. Die Kapuze seines übergroßen Pullovers hatte er weit über seinen Kopf gezogen. Man konnte nur seine Nasenspitze von der Seite sehen, ansonsten war sein Gesicht komplett von seiner Pulloverkapuze versteckt. Sein Kopf hing nach unten. Die Hände hatte der mysteriöse Junge in seinen Ärmeltaschen verborgen. Seine abgenutzten schwarz-weißen Converse Schuhe machten kaum ein Geräusch, als er am Gehsteig mit großen Schritten schnell ging, ja fast schon lief. Es schien so, als ob er auf der Flucht vor irgendjemandem wäre.

    ***

    Colin sah den Jungen erst Mitte März des nächsten Jahres wieder, als er sich an einem Dienstagnachmittag mit seinen Freunden David und Michael im Sydney Hyde Park traf.

    „Hey, wer ist denn eigentlich der Typ, der dort drüben geht?", fragte Colin und nickte in Richtung des fremden Jungen, der einige Meter entfernt an ihnen mit gesenktem Blick vorbei schlurfte.

    Michael hob seinen Kopf und sah in dieselbe Richtung, wie Colin. Er stupste David an, der nun von seinem Sandwich aufblickte. Davids Gesicht wurde blass als er den fremden Jungen, der am Gehsteig entlang ging, erblickte. Mikes und Davids Augen trafen sich.

    „Ähmmm ... ehhhm … das ist dieser eine Typ, der noch vor ein paar Jahren in unsere Schule gegangen ist und dann rausgeschmissen wurde. Aber Colin … ich sag‘s dir: Halt dich besser von ihm fern! Du kannst jeden hier in der Stadt fragen, die Leute haben alle dieselbe Meinung: Er ist gefährlich", sagte David ganz leise, fast schon flüsternd.

    Colins Neugier war geweckt. Ein seltsames Gefühl, gemischt aus Neugierde und Faszination überkam ihn jedes Mal, wenn er ein kleines Stück des großen fremden Jungen in der Ferne erhaschte. Er bemerkte, dass sich die vorbeigehenden Leute, sobald sie den geheimnisvollen Jungen sahen, mit hasserfüllten, angewiderten Blicken so schnell wie möglich von ihm abwandten. Einige wechselten sogar schnell die Straßenseite, als sie ihn sahen.

    Woher kommt dieser Junge? Wo ist er zu Hause? Warum wurde er aus der Schule geschmissen? Was hat er gemacht, dass ihn alle so sehr hassen?

    Die Gedanken rasten durch Colins Kopf und die letzte Frage sprach er auch laut vor seinen beiden Freunden aus.

    David schüttelte sofort energisch seinen Kopf und verweigerte, weiter über den Fremden zu sprechen.

    Als David eine halbe Stunde später gegangen war, kamen Michael und Colin in ihrem Gespräch noch einmal auf den geheimnisvollen Jungen zurück. Michael packte Colin an der Schulter, als David sie nicht mehr sehen konnte. „Tut mir leid, dass er dich vorhin so abgewürgt hat. David mag den Typ nicht."

    „Aber wieso mag er ihn nicht, Mike? Was hat er ihm denn so Schlimmes getan?" Colin war verwirrt und verzweifelt, dass seine Freunde ihm keine Antworten auf seine Fragen geben wollten, obwohl sie anscheinend mehr wussten, als er.

    „Ich weiß es leider selbst nicht so genau, Colin. Sorry", antwortete Michael und sah zur Seite, um den Augenkontakt zu unterbrechen. Damit war die Unterhaltung beendet. Colins bester Freund aus der Schule, der blauäugige Michael, der von allen Mike genannt wurde, hatte seine Haare gerade rot gefärbt. Er spürte, dass Colins Neugier geweckt war und er sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben würde. Aber er konnte seinem etwas kleineren, leicht muskulösen Freund mit rabenschwarzen Haaren keine Antworten geben.

    ***

    Am Abend half Colin seiner Mutter, das Abendessen zu kochen. Er tat das gern. Das war die einzige Gelegenheit, die er unter der Woche hatte, um Zeit mit ihr zu verbringen. Seine Mutter, Johanna Concker, arbeitete Vollzeit als Buchhalterin in einer großen Firma in der Innenstadt von Sydney. Deshalb war sie tagsüber so gut wie nie zu Hause.

    „Mama?", fragte er leise.

    Johanna drehte sich vom Herd zu ihm um, während sie ihre Hände an ihrer Schürze abtrocknete.

    „Was ist denn, Colin?", fragte sie, während sie die Schürze abstreifte und sich auf einen der Hochsessel am modernen Esstisch in der Küche setzte.

    „Hast du von diesem Jungen gehört, der vor ein paar Jahren angeblich von der Schule geflogen ist und den alle Leute in der Stadt anscheinend hassen?", fragte Colin.

    Seine Mutter nickte ruhig. „Ja, ich weiß schon, wen du meinst … meine Arbeitskollegin Elisabeth hat einmal von ihm erzählt. Wie war nochmal sein Name? Lucas? Logan? Hmmmm …?"

    Colin blickte seine Mutter mit hoffnungsvollem Blick an. Er seufzte erleichtert, als seine Mutter schließlich ausrief: „LONDON! Ja, er heißt genauso wie die englische Hauptstadt! London - das ist sein Name!"

    London. So ein schöner, außergewöhnlicher Name.

    Colin war etwas erschrocken von seinen eigenen Gedanken. Er sollte wohl besser nicht positive Gedanken über einen Jungen haben, von dem alle sagten, er sei gefährlich. Für Colin war es schon immer sehr wichtig gewesen, nicht mit den falschen Leuten in Kontakt zu treten.

    Der Name „London" beschäftigte Colin in dieser Nacht und auch noch in den darauffolgenden Nächten. Colin war selbst überrascht, wie oft er über diesen fremden Jungen nachdachte, vor allem, nachdem er von mehreren Leuten gewarnt worden war, dass der fremde Junge gefährlich sein sollte. Was auch immer das genau zu bedeuten hatte.

    Was war es nur, dass Colin an diesem Jungen so faszinierte?

    Kapitel 2

    London rammte seinen Schlüssel ins Schlüsselloch und stieß die Eingangstür zu seinem großen Haus auf. Im Haus war es komplett still und dunkel. Alle Lichter waren aus. Außer London wohnte hier niemand. Er mochte es nicht, in diesem riesigen Haus ganz allein zu wohnen. So viel Platz brauchte er für sich alleine eigentlich gar nicht.

    London warf seine schwarze Umhängetasche auf die Couch und holte sich eine Wasserflasche aus der Küche. Mit einem großen Schluck trank er die halbe Flasche leer. Anschließend schraubte er den Deckel wieder auf die Flasche und wischte seine feuchten Mundwinkel mit dem überlangen Ärmel seines schwarzen Pullovers ab.

    Er fischte sein Handy aus der Hosentasche seiner schwarzen Jeans und drückte auf der Schnellwahltaste die Nummer seiner Mutter. Tief in seinem Inneren wusste er jedoch, dass seine Mutter seine Anrufe niemals beantworten würde.

    Trotzdem versuchte er jeden Tag sie anzurufen. Er wollte alles, was in der Vergangenheit passiert war, wieder gut machen. Doch je mehr er sich bemühte, umso mehr schien alles nur noch schlimmer für ihn zu werden.

    Als er die Stimme des Anrufbeantworters hörte, seufzte er etwas enttäuscht. Er drückte den roten Knopf, um den Anruf zu beenden und ging über die lange, breite Wendeltreppe in den ersten Stock, wo sein Zimmer war. London zog seinen übergroßen schwarzen Pullover aus und nahm nacheinander die Armbänder ab, die fast seinen ganzen linken Unterarm bedeckten. Er strich mit dem rechten Zeigefinger und Mittelfinger über die vielen dünnen Narben, die unter den Armbändern zum Vorschein kamen.

    London blickte in den großen Spiegel, der in seinem Zimmer hing und betrachtete sich von oben bis unten. Das Spiegelbild, das ihm entgegen blickte hasste er. Seine Augen füllten sich mit Tränen.

    Er ging ins Badezimmer. Als er auf die Waage stieg, überkreuzte er seine Finger in der Hoffnung, dass er endlich wieder etwas Gewicht verloren hätte. 53 Kilo.

    Ein Arzt hätte wohl zu ihm gesagt, dass er bei einer Größe von knapp über 1.80 Meter einen zu niedrigen Body-Mass-Index hatte und im Untergewichtsbereich lag. Doch davon wollte London nichts wissen. Seine Gedanken kreisten nicht um das Gewicht, das er hatte, sondern um das Gewicht, das er noch verlieren wollte.

    London wusste genau, dass ihn jeder einzelne Mensch in der Stadt, in der er lebte ablehnte, ja wahrscheinlich sogar hasste. Es gab nichts, was er dagegen hätte tun können. „Zerstöre das, was dich zerstört", hatte sein großer Bruder einmal zu ihm gesagt. Und genau das tat London. Er zerstörte sich selbst.

    Als er in letzter Zeit auf der Straße unterwegs gewesen war, war ihm ein gleichaltriger Junge mit schwarzen Haaren aufgefallen, der ihn aus der Ferne angestarrt hatte. Der einzige Unterschied zu allen anderen Leuten, die ihn immer anstarrten war, dass London spürte, dass der Blick dieses Jungen nicht hasserfüllt war. Irgendetwas an diesem Jungen fand London interessant. Er musste die ganze Zeit an ihn denken. In London brennte die Frage: Wer ist das?

    Plötzlich rumorte Londons Magen lautstark. Er aß seit einigen Monaten nur noch selten, vielleicht ab und zu einmal ein Stück Obst oder einen Salat. Die meiste Zeit konnte er den stechenden Hunger, der durch seinen Magen schoss, ignorieren.

    Niemand auf dieser Welt kannte London wirklich. Er war schon lange Zeit ganz allein, auf sich selbst gestellt. London wollte eigentlich, dass das auch in Zukunft so bleiben würde. Eine seiner größten Ängste war es, von anderen Menschen, die er nicht kannte, verletzt zu werden. Diese große Angst war es auch, die ihn davon abhielt, Kontakte mit anderen Menschen einzugehen. Doch selbst, wenn er versuchen würde, Freundschaften aufzubauen, würde er wahrscheinlich auf nichts anderes als Ablehnung stoßen. Die Leute lehnten ihn sowieso ab, obwohl sie ihn nicht wirklich kannten.

    Londons Gedanken schweiften zurück zu dem Jungen, der ihm aus der Ferne letztens im Park aufgefallen war. Diese asiatischen Gesichtszüge und die schwarzen Haare und dunkelbraunen, sanften Augen konnte er nicht mehr vergessen. Dieser Junge war der Einzige, der ihm nicht jedes Mal hasserfüllte Blicke zuwarf, wenn er über die Straße ging. Trotzdem würde London niemals den Mut aufbringen, den Jungen anzusprechen. Das Letzte was er wollte war, von diesem Jungen jemals zurückgewiesen oder verletzt zu werden, so wie er es von allen anderen Menschen gewohnt war.

    Kapitel 3

    London ignorierte den stechenden Hunger in seinem leeren Magen als er durch die dunklen Seitenstraßen seines Wohnviertels spazierte. Er hatte aufgehört, auf die Uhr zu schauen, aber er wusste, dass es bereits später als zwei Uhr in der Nacht war. London litt an Insomnie, er konnte so gut wie nie in der Nacht einschlafen. Eine weitere „seltsame und „abnormale Eigenschaft an ihm. Heute Nacht konnte er wieder einmal überhaupt nicht schlafen. Wie immer versteckte er seine Hände in den Hosentaschen und zog die Kapuze seines Pullovers tiefer in sein Gesicht. Wenn ihn irgendjemand von der Seite sehen würde, würde man ihn so nicht erkennen.

    Nachdem er ein paar Runden durch den nahegelegenen Hyde Park und an unzähligen gut gepflegten Vorgärten vorbeigegangen war, beschloss er wieder nach Hause zu gehen, bevor er noch irgendetwas Dummes anstellen konnte, wie zum Beispiel vor ein Auto zu springen. Die Idee erschien ihm nicht so schlecht, aber er wollte nicht, dass der betroffene Autofahrer dann irgendwelche Probleme bekommen könnte.

    Er war es gewohnt, selbstzerstörerische Gedanken zu haben. Die tagtäglichen abwertenden Blicke und Kommentare der Leute in der Stadt verstärkten seine negativen Gedanken noch mehr. In der letzten Woche drehten sich Londons Gedanken aber zum ersten Mal nicht mehr nur um die hasserfüllten Blicke und Kommentare der Leute auf der Straße, sondern um den Jungen mit den schwarzen Haaren, der ihn im Park beobachtet hatte. London wunderte sich, warum dieser Junge, der ungefähr im gleichen Alter, wie er selbst sein musste, ihn immer neugierig anstarrte.

    Was findet der Typ an mir nur so besonders?

    ***

    Colin wusste, dass er versuchen musste, sich mehr auf seine Hausaufgaben zu konzentrieren, um das Schuljahr gut abzuschließen. Stattdessen war er in letzter Zeit oft bis spät in der Nacht wach und dachte an diesen blonden, dünnen, fremden Jungen, der immer schwarz gekleidet war. Colin konnte es einfach nicht ändern – er fühlte sich irgendwie zu ihm hingezogen.

    „Hallo??? Mama???", rief Colin von seinem Zimmer hinaus in den Flur und seine Stimme hallte durch das ganze Haus. Als er keine Antwort bekam, versuchte er sich wieder in sein Geografiebuch zu vertiefen.

    Mit einem traurigen Gefühl im Bauch blitzten Erinnerungen der letzten drei Jahre seines Lebens mit seiner Familie in seinem Kopf auf. Nachdem sein Vater die Familie vor drei Jahren verlassen hatte und seine Schwester Melinda im Sommer desselben Jahres nach Melbourne gezogen war, um an der Universität Gesang zu studieren, war seine Mutter Johanna dazu gezwungen gewesen, für Colin sowohl die Mutter– als auch die Vaterrolle auszufüllen. Colin liebte seine Mutter über alles und er war dankbar für alles, was sie für ihn tat. Trotzdem wünschte er sich, sie würde wieder mehr Zeit zu Hause mit ihm verbringen. Er vermisste es, eine Mutter zu haben, die immer für ihn da war.

    ***

    Colin war in dieser Nacht wieder einmal allein zu Hause. Seine Mutter hatte ihn kurz angerufen und Bescheid gesagt, dass sie eine Nachtschicht wegen der Quartalsabschlüsse in der Buchhaltungsagentur, in der sie arbeitete, einschieben musste.

    Nachdem er sich nicht entscheiden konnte, was er nun allein daheim machen sollte, stand er vom Schreibtisch auf und ließ sich auf sein Bett fallen. Er griff nach einem Pullover und nach einem Paar Socken, die auf dem Boden herumlagen und zog sie an. Dann ging er aus dem Haus und verschloss die Tür hinter sich. Es war jetzt irgendwann mitten in der Nacht. Der Himmel war schwarz und der leuchtende Vollmond tauchte die Straße in ein sanftes, weißes Licht.

    Colin ging die Straße entlang und sah links und rechts die menschenleeren Straßen und Vorgärten, die nur vom Mond und den Straßenlaternen beleuchtet wurden. Außer dem leisen Surren der Grillen aus den Vorgärten war es auf der Straße mucksmäuschenstill. Als er das Ende der Straße erreicht hatte, bog er nach rechts in die nächste Seitenstraße ab. Plötzlich rammte er mit voller Wucht eine große, dünne Gestalt.

    Sowohl Colin, als auch die andere Person fielen am Gehsteig zu Boden. Die dunkle Person stöhnte kurz schmerzerfüllt wegen dem plötzlichen Aufprall auf.

    Colin sprang so schnell er konnte wieder auf. Er streckte der Person, die im Schatten eines Busches am Boden lag, seine Hand entgegen, um ihr oder ihm aufzuhelfen. Die Person ergriff Colins Hand jedoch nicht und rappelte sich alleine wieder auf. Schnell drehte die Person Colin den Rücken zu und begann wieder zurück in die Richtung zu gehen, aus der sie oder er gekommen war.

    „Hey du, ist alles in Ordnung bei dir?", rief Colin der Person so laut er konnte hinterher.

    Die Person blieb stehen und drehte sich langsam um.

    London hatte sich so lange danach gesehnt, einmal die Stimme des fremden Jungen, an den er sooft denken musste, zu hören. Nun konnte er einfach nicht weitergehen und so tun, als ob er ihm völlig gleichgültig wäre. Also blickte dem etwas kleineren, gleichaltrigen Jungen direkt ins Gesicht. Sie hatten sich noch nie so nah gesehen und inspizierten interessiert das Gesicht des jeweils anderen. London bemerkte Colins runde Wangen, die großen braunen Augen, die langen schwarzen Wimpern und das wuschelige schwarze Haar des etwa gleichaltrigen Jungen, der asiatische Vorfahren haben musste. Er sah perfekt aus.

    Colin hingegen war geschockt, als er realisierte, in wen er gerade gerannt war. Er war nicht nur schockiert, weil es dieser mysteriöse London war, den er schon einige Male auf der Straße beobachtet hatte, sondern auch weil ihm sofort auffiel, wie krank London aussah. Colin bemerkte, dass London für seine Größe viel zu dünn war. Seine Wangenknochen waren deutlich sichtbar und er hatte schwarze Ringe unter den Augen, die durch seine blasse Haut noch stärker sichtbar waren. Er nahm an, dass Londons Augen früher eigentlich hellblau gewesen sein mussten. Nun sah er aber in ein paar graue, müde Augen, die nur leicht am Rand blau schimmerten. Dass London viel zu dünn war, konnte man sogar trotz der weiten schwarzen Kleidung, die er trug, deutlich sehen. Colin fand das gar nicht gut.

    London wusste nicht, was er sagen sollte. Deshalb starrte er Colin einfach weiter an. Langsam fühlte er wieder den Hunger in seinem Magen rumoren. Er schüttelte sich leicht, um das Gefühl wieder los zu werden.

    „Hey du, alles in Ordnung bei

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