Im Dunstkreis der Subkultur: Spektakuläre Ereignisse in einem Hochsicherheitsgefängnis
Von Alfred Görlach
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Über dieses E-Book
In mehreren Funktionen (Vollzugsdienst- und Ausbildungsleiter, Stationsbeamter und langjähriger Vorsitzender des Personalrates) wurde ich mit praktisch allen außergewöhnlichen Vorkommnissen persönlich betraut oder habe sie direkt erlebt.
Des Weiteren war ich bis 2011 als Leiter des Sicherheitsdienstes für alle besonderen Geschehnisse und außerordentlichen Problemlagen verantwortlich.
Eine Vielzahl von Hintergrundinformationen sind aufgrund der umfangreichen und komplizierten Verflechtungen oft selbst erfahrenen Vollzugsbeamten in ihren Dimensionen selten bekannt geworden.
Für Außenstehende handelt es sich um kaum nachvollziehbare "knastinterne" Besonderheiten und Straftaten innerhalb einer der damals größten Haftanstalten des Landes Hessen mit der höchsten Sicherheitsstufe.
Eine kleine Auswahl der spektakulärsten Fälle kommt hier zur Darstellung.
Alfred Görlach
Ähnlich wie Im Dunstkreis der Subkultur
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Buchvorschau
Im Dunstkreis der Subkultur - Alfred Görlach
Für die engagierte Durchsicht
des Manuskripts bedanke ich mich
ganz besonderes bei Sigrid
Was ist in einem Gefängnis normal?
Alfred Görlach
Titelseite der Gefangenenzeitschrift „Wendepunkt" aus dem Jahr 2003
Inhalt
Vorwort
Biografie
Stationsdienst in der JVA Butzbach
Wory w sakone (Diebe im Gesetz)
Nachschlüssel
Kindermörder
Feuer
Gefährliche Vorführung
Revolver
Sicherungsverwahrung
Kokain
Nazi-Größen
Mord und Selbstmord
Adjutant
Dissertation
Fiffi
Gänsebratenessen, Ausführungen von Gefangenen
Geiselnahme
Käfig und Bunker
King-Kong
Lady Snow, Piece, Shore und Sprit
Raggebaskero mit Diridari im Kittchen
Massenpsychologische Risiken
Mehrfachmörder als Verwaltungskiller
Hybristophilie
Stasi-Knast
Suizid prohibitus
Organisierte Kriminalität und Überwürfe
BTM – Schmuggel und Bedrohungslagen
Wurfanker und andere Entweichungen
Zeugenschutzprogramm
Zigarren
Zucker
Ref. Werner P. N., Dr. div. amtl. Dekan
Razzien
Pferde
Killer-Bernd
OMCG (Outlaw Motorcycle Gangs) im Hochsicherheitsbereich
Zellenflutung
Flucht nach 5 Tagen
Sechs bemerkenswerte Todesfälle
Erweitertes Glossar eines Teiles der verwendeten Fachbegriffe
Häufig genannte interne Abkürzungen
Vorwort
„Schreib das doch mal auf …"
So oder ähnlich wurde mir immer wieder in Gesprächen vorgeschlagen, wenigstens einige der Begebenheiten, die sich während meiner Dienstzeit in der Justizvollzugsanstalt Butzbach und anderen Gefängnissen zugetragen haben, zu Papier zu bringen.
Um ein Erinnerungsstück zu schaffen, vor allem für meine Familie, komme ich diesem Wunsch hiermit gerne nach.
Einige Fälle sind aus den Medien bekannt. Dennoch habe ich aus Gründen des (oft posthumen) Persönlichkeitsschutzes die Namen geändert oder nicht genannt. Hier gibt es lediglich zwei Ausnahmen, bei denen es sich aufgrund der Personen oder Tatausführungen um historische Begebenheiten handelt.
Die Ereignisse fanden zwischen Ende der 1970er-Jahre und etwa 2009 statt. Zwischenzeitlich wurden die damals geltenden Bestimmungen durch fünf neue Hessische Strafvollzugsgesetze sinngemäß ersetzt. Somit könnte bereits die Frage einer „historischen Einordnung" dieser von mir nachfolgend beschriebenen Vorkommnisse zur Überlegung gelangen.
Die JVA Butzbach, ein Hochsicherheitsgefängnis, beschäftigte im geschilderten Zeitraum etwa 230 Bedienstete, davon ca. 170 im uniformierten Dienst. Diese waren oftmals zuständig für bis zu 800 inhaftierte Gefangene, verurteilt wegen schwerster Straftaten. Etwa 10 % verbüßten eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Zahlreiche der dargestellten Ereignisse sind in ihrem komplizierten Umfang selbst Vollzugsbediensteten kaum bekannt. Wichtig erschienen mir daher auch die Darstellung vieler Hintergründe und die Ergänzung zusätzlicher Informationen.
In meiner Stammanstalt, der JVA Butzbach, erlebte ich sämtliche außergewöhnlichen Vorgänge direkt vor Ort: zunächst als Stationsbeamter, dann als Vorgesetzter und in meinen folgenden Funktionen als Ausbildungsleiter, Vollzugsdienstleiter und Sicherheitsdienstleiter, oder auch als Vorsitzender des Personalrates.
Vervollständigt wurde dieses Wissen durch die Besonderheit, dass ich in meiner Zeit als Vollzugsbeamter niemals erkrankte – die einzige Ausnahme bildete ein (unverschuldeter) schwerer Dienstunfall. Diese „Ausnahmesituation" im Jahre 1983 führte zum Tod meines Kollegen und versetzte mich zehn Wochen lang in den Krankenstand.
Aus dem Topf meiner jahrzehntelangen, interessanten beruflichen Erfahrungen habe ich wunschgemäß einige Fälle geschöpft, die nachfolgend zum Tragen kommen. Ich gehe davon aus, dass ich einen kleinen Einblick in den doch noch recht unbekannten „Knastalltag" und auffälligen besonderen Vorkommnissen im Zeitraum um die Jahrtausendwende geben kann.
Der Buchtitel „Im Dunstkreis der Subkultur" soll verdeutlichen, dass selbst im kriminellen Gefängnismilieu Grenzen überschritten werden.
Alfred Görlach
Pohlheim, im Juni 2023
Biografie
Geboren 1951, verheiratet, 2 Kinder, 4 Enkelkinder
Seit 2011 Amtmann i.R.
Abgeschlossene Berufsausbildungen:
Technischer Zeichner, Landwirt, Physiklaborant
Wehrpflicht 15 Monate, Stabsunteroffizier d.R.
Justizvollzug JVA Butzbach ab 1978:
Einstellung als Angestellter („Arbeitsaufseher")
Zweijährige Laufbahnausbildung für den allgemeinen Justizvollzugsdienst des Landes Hessen
Tätigkeiten als Stationsbeamter, Ausbildungsleiter, Vollzugsdienstleiter,
Überleitung in den gehobenen Dienst, Sicherheitsdienstleiter
Ehrenamtliche Tätigkeiten:
15 Jahre Vorsitzender des Personalrates der JVA Butzbach
Ehrenamtlicher Richter beim Verwaltungsgericht Gießen
12 Jahre Mitglied im Hauptpersonalrat beim Hessischen Ministerium der Justiz
Mitglied in Prüfungskommissionen (Laufbahnprüfungen, Einstellungsprüfungen) des Hess. Justizvollzuges
12 Jahre Mitglied im Vorstand des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands, Landesverband Hessen
12 Jahre Vorsitzender im Kreisverband Deutscher Bund für Vogelschutz (jetzt NABU) Gießen, Lahn-Dill
Gründung von 35 Naturschutzvereinen, Mitglied im Landesvorstand des DBV
12 Jahre Kreisbeauftragter für Vogelschutz der Staatlichen Vogelschutzwarte für Hessen
Mitglied in verschiedenen Gremien des Naturschutzes
Stationsdienst in der JVA Butzbach
Vorbemerkung
Wie muss sich ein Außenstehender das Tagesgeschehen in einem Gefängnis der Sicherheitsstufe I vorstellen?
In jedem Bereich der JVA Butzbach gibt es besondere Abläufe, um spezielle Tätigkeiten auszuführen. Auf diese Weise wird die Funktionsfähigkeit, vor allem aber die Sicherheit und Ordnung, zu jeder Zeit gewährleistet. Dienstanfänger benötigen in aller Regel ein Jahr oder länger, um die wesentlichen Handlungen zu verinnerlichen.
Hinzu kommen für die „Neuen" die Probleme mit den jeweiligen Inhaftierten.
Durch Personalausfälle (krankheitsbedingt etc.) werden sie zudem häufig kurzfristig in ihnen kaum bekannten Bereichen eingesetzt. Das erfordert eine herausragende geistige Wendigkeit und Flexibilität.
Nicht zu vergessen: die in diesem Buch geschilderten „besonderen Vorkommnisse, bei denen die Haftanstalt zunächst einmal „stillsteht
.
Im nachfolgenden Artikel „Stationsdienst" habe ich ausschließlich allgemeine Abläufe angeführt. Jede Station hat zusätzliche Besonderheiten abzuwickeln.
* * *
Ich beschreibe nachfolgend die Situation der Stationsbeamten, wie sie sich etwa im Jahr 2000 gestaltete. Die grundsätzlichen Abläufe auf den 12 Stationen sind aber im Allgemeinen ähnlich geblieben.
Obwohl die festgesetzte Belegungsfähigkeit bei etwas über 500 Inhaftierten lag, mussten oftmals über 800 Gefangene (1979) untergebracht werden. Das führte zu weiteren Spannungen zwischen allen Beteiligten!
Es war im Hafthaus keine Mittags- oder Pausenzeit in den Schichten vorgesehen (dies war basierend auf einer geheimen Abstimmung durch den Personalrat aller Kollegen – ab 1990 auch Kolleginnen – so festgelegt worden). Es fand sich immer auch eine Minute Zeit, um eine Tasse Kaffee zu trinken und ein Brot zu sich zu nehmen.
Man wollte beim Frühdienst (ab 6 Uhr) um 14.00 Uhr Feierabend haben und im Spätdienst gleichfalls nach 8 Stunden um 22.00 Uhr den Dienst beenden.
Lediglich in den Arbeitsbetrieben gab es deshalb eine Pause, da diese den Gefangenen zustand und das Personal sich auch daran halten musste.
Was geschah also zwischen dem Aufschluss (06.00 Uhr) und dem Einschluss (22.00 Uhr) auf den Stationen?
Rapport an der Zentrale, Feststellen aller Stationsbeamten, wichtige Informationen
Aufschluss der Hausarbeiter und Stationshelfer, Frühstück abholen
Frühstücksausgabe, Lebendkontrolle, Meldung Bestand: Urlauber, Schüler, Kranke, Methadonsubstitution an Zentrale
Bestandsmeldung an die Zentrale
Arbeitsumschlüsse, 1. Etappe: Schlosserei, Lehrschweißerei, Schreinerei, Elektriker, Maurer, Maler, Wäscherei, Kammer, 2. Etappe: Werkhofküche, Kammer, Schreinerei, Fremdbetriebe im Werkhof
Meldung an die Zentrale: Wo genau arbeitet jeder Gefangene aktuell in welchem Arbeitsbetrieb im Werkhof
Müll abtragen, Kostanforderung an die Küche für Mittag fertigen, Aufgliederung Moha-Kost¹, Diät, pp.
Abwicklung der Freistunden und abwechselnd eine Stunde Aufsicht in den Höfen (Gruppen- und Einzelfreistunden)
Duschen der Gefangenen
Stündlich Post und Zustellungsunterlagen pp. an der Zentrale holen
Umschlüsse zum Arzt, Anhörungen, Polizei, Besuche (Regelbesuch, Einzel- Trennscheibenbesuch, Familienbesuche, Ehrenamtliche, Rechtspfleger pp.)
Sport (Hof und Sporthalle)
Haftraumkontrollen (täglich mindestens 3 Hafträume genau kontrollieren)
Abholen der Mittagskost im C-Flügel
Ausgabe der Mittagskost, Bestandskontrolle zu einem bestimmten Zeitpunkt
Übersicht ständig prüfen. In der Lage sein zu wissen, wo sich die umgeschlossenen Gefangenen aktuell befinden
Viele telefonische Anfragen, Anrufe über Funk
Meldungen über Auffälligkeiten, Wahrnehmungen schreiben, Beurteilungen von Gefangenen, Teilnahme an Sitzungen
Bestandsmeldung an die Zentrale
Ab ca. 14.00 Uhr übernahm dann der Spätdienst:
Übergabe aller laufenden Dienstgeschäften durchführen
Postausgabe, mündliche Eröffnung von amtlichen Mitteilungen der Behördenleitung, Sozialarbeiter pp. an Gefangene
Freistunden (abwechselnde Aufsicht in den Höfen) des Werkhofes nach Arbeitsende
Rückschluss der einrückenden Gefangenen
Aufsicht Sport nachmittags
Vorführungen je nach Situation
Tagsüber ständige Beantwortung von Fragen, Forderungen, Beleidigungen pp. von Gefangenen über die Zellenrufanlage, Anrufe beim Sozialdienst und/oder psychologischen Dienst
Teamsitzungen: Besprechungen Sozialdienst, psychologischer Dienst
Einschluss vor Abendkostausgabe
Essenholer, Hausarbeiter ausschließen für Abendkostempfang, Abholen im C-Flügel
Abendkostausgabe
Bestandskontrolle durchführen, Meldung an Zentrale
Umschluss zu unterschiedlichen Freizeitveranstaltungen
Führung der stationsinternen Kladden, Excellisten, Verfügungen von Bereichs- und Sicherheitsdienstleitung umsetzen
Aufschluss zur „offenen Station", ab sofort ständige Gespräche, Diskussionen, Fragen von Gefangenen, die sich auf der Station bewegen
Kontrollgänge auf der Station zur Vermeidung von Auseinandersetzungen/Schlägereien der nicht eingeschlossenen Verurteilten
Regelmäßige Erörterung mit dem Bereichsleiter (direkter Vorgesetzter aller Stationsbeamten eines Flügels)
Rückschluss der Gefangenen und Nachtverschluss
Einschlusskontrollen aller Hafträume, letzte Meldung an die Zentrale
Ab 22.00 Uhr übernahm der Nachtdienst:
Im Nachtdienst waren die Stationen nicht mehr besetzt. Der Nachtdienst bestand bis zum Jahr 2000 aus neun Beamten (ab 1990 auch Beamtinnen).
Besetzt waren die Außenpforte, Zentrale im Hafthaus und seit etwa 2005 die Sicherheitszentrale.
Im Hafthaus befanden sich Bedienstete für die Ablösung der unterschiedlich besetzten vier Wachttürme sowie für alle weiteren anfallenden Tätigkeiten:
Zugänge durch die Polizei abfertigen
Probleme der Gefangenen über Sprechanlage
besondere Vorkommnisse abarbeiten
regelmäßige Kontrollgänge auf allen 12 Stationen und allen 3 Flügeln
bewaffnete Doppelstreifen außerhalb des Hafthauses pp.
Ablösen der Turmposten reihum ca. alle 2 Stunden
An Sonn- und Feiertagen wurden zu meiner Zeit zwei Schichten mit je 12 Stunden gefahren. Man hatte eine Stunde Pause, insgesamt also 13 Stunden.
Außerdem gab es im Dienstbetrieb das sogenannte „Englische Wochenende". Hierbei handelte es sich um den Wechsel von der Spätdienst-Woche zur Frühdienst-Woche:
Diese Wochenenden haben mir persönlich gut gefallen. Bei einer 40-Stunden-Woche waren an diesen drei Tagen schon 28 Stunden geleistet worden.
Werkhof
In der JVA Butzbach haben bis zum Jahr 2008 täglich ca. 220 Gefangene in den Werkbetrieben gearbeitet.
Die Gefangenen verließen den Haftbereich gegen 07.00 Uhr und rückten in den Werkhof ein. Dort gab es u.a. ein eigenes Dusch- und Kantinengebäude. Das Mittagessen wurde ebenfalls dort eingenommen. Für die komplizierte Abwicklung des Dienstbetriebes in den einzelnen Arbeitsbetrieben musste eine Reihe von Vorschriften genau eingehalten werden.
Gegen 15.30 Uhr wurde erneut in den Haftbereich eingerückt, verbunden mit einzelnen körperlichen Kontrollen an der Zwischenpforte.
Der Durchschnittsversdienst der Inhaftierten schwankte zwischen 300 € bis 400 € im Monat und wurde jährlich von der Landesjustizverwaltung neu festgesetzt. Einen bestimmten Betrag sparte die Anstalt auf dem Konto des beschäftigten Häftlings an (Überbrückungsgeld). Der Rest konnte bei Bedarf u.a. für den Kauf von Elektronikgeräten oder Lebensmittel beim Anstaltskaufmann verwendet werden. Dort gab es alle Lebensmittel, außer Alkoholika oder sicherheitsrelevante Gegenstände, zu kaufen.
Diese gesetzlichen Voraussetzungen wurden in einer Vielzahl besonderer Erlasse des Ministeriums sowie Verfügungen der Anstalt in der Praxis umgesetzt.
Es gab sogenannte Eigenbetriebe und Fremdbetriebe:
Die Eigenbetriebe wurden von einem oder mehreren Beamten (seit 1990 auch Beamtinnen) mit entsprechender Meisterprüfung geführt.
Zu nennen sind Schlosserei, Schreinerei, Schneiderei, früher Schuhmacherei, Wäscherei oder Hilfsbetriebe der Hauswirtschaft (wie Küche oder Metzgerei).
Inhaftierte hatten die Möglichkeit, in bestimmten Betrieben eine Ausbildung zum Facharbeiter zu absolvieren, bis hin zur Meisterprüfung. Alle Prüfungen erfolgten neutral vor der Industrie- und Handelskammer.
Bei den Fremdfirmen wurden Produkte hergestellt oder Geräteteile montiert, die außerhalb der Justizvollzugsanstalt Verwendung finden.
Die Führung dieser Betriebe oblag stets Beamtinnen oder Beamten des allgemeinen Vollzugsdienstes. Diese hatten jedoch täglich oder sporadisch eine fachlich zuständige Person dieser Firma von außerhalb an ihrer Seite.
Luftbildaufnahme
Die panoptische Bauweise ermöglicht es im Innern der Vollzugsanstalt von einer Stelle in der Mitte (Ebene 2) in jeden Flügel Einsicht zu nehmen. Im rechten kleineren Flügel sind Teile der Verwaltung untergebracht. Rechts hinten befinden sich die Wirtschaftsgebäude mit Küche, Waschküche und Bekleidungskammer.
Im vorderen Bereich erkennt man die neue Sporthalle, rechts daneben das „alte Lazarett".
Ab Ende der 1990iger Jahre wurde an den A-Flügel das „neue" Bezirkskrankenhaus angegliedert.
Die beiden Höfe teilen sich in den Sporthof und den Freistundenhof.
Im hinteren Areal ist ein Teil des Werkhofes zu erkennen. Dieser verfügt über eine gesonderte Werkhofpforte.
1 Besondere Kostform für die muslimischen Gefangenen, muss genau gemeldet und getrennt bei jeder Mahlzeit ausgegeben werden, im Hafthaus sowie auch bei den arbeitenden muslimischen Gefangenen im Werkhof.
Wory w sakone (Diebe im Gesetz)
Hierbei handelt es sich in fast allen Haftanstalten um eine kriminelle Parallelwelt, umgangssprachlich als „Russenmafia" bezeichnet, der einflussreiche organisierte Schwerverbrecher angehören.
In diesem Milieu geht es um komplizierte Zusammenhänge und Verkettungen, die sich selbst ermittelnden Polizei- oder auch Justizvollzugsbeamten „vor Ort" in ihrem kompletten Umfang nicht immer erschließen.
Im 1. Teil schildere ich eine in der JVA Butzbach verübte schwere Straftat dieser Gruppe.
Im 2. Teil dieses Kapitels werden Einordnung und Strukturen dieser besonderen Form der Organisierten Kriminalität (OK) aufgezeigt.
Im 3. Teil folgt die Recherche zu Hintergründen des Todesfalls.
Teil 1 (Die Straftat)
Morgens beim Betreten der Außenpforte der JVA Butzbach rief mich der dort verantwortliche junge Kollege zu sich in den Überwachungsraum. „Sie sollen sofort die Zentrale anrufen!"
Das bedeutete wie immer Sicherheitsprobleme und unkalkulierbare Begebenheiten. Ich nahm mein Funkgerät sowie meine persönlichen Schlüssel mit dem Generalschlüssel für alle Schließfunktionen der Haftanstalt und meldete mich an der Zentrale. Der dort diensthabende langjährige Kollege sagte: „Geh gleich durch auf B III! Es gibt wieder einen Toten im Freizeitraum."
Hierzu sei angemerkt, dass etwa ab 1998, aufgrund der massiven Überbelegung, auch die Freizeiträume zur Unterbringung von Gefangenen genutzt werden mussten. Oftmals waren in den üblichen Doppelzellen von 11 Quadratmetern drei Gefangene und in den Einzelzellen mit gut 8 Quadratmetern zwei Inhaftierte untergebracht.
In diesem großen Freizeitraum waren acht Verurteilte in je vier übereinanderstehenden Betten einquartiert.
Auf Station B III bot sich mir ein skurriles Bild. Auf dem Boden lag ein toter Häftling, mit leicht angewinkelten Beinen, die abgeschnittene Schlinge noch um den Hals. Der Rest des zu einem Seil gedrehten Hemdsärmels hing noch am oberen Metallpfosten des Stockbettes.
Zwischenzeitlich hatte der Bereichsleiter die anderen sieben Gefangenen in den leeren Kirchenraum zur Absonderung verbringen lassen.
Der Dienstbetrieb im Hafthaus ging zunächst weiter. Niemand nahm Notiz von dem Vorfall in dieser großen Gemeinschaftszelle.
Der Totenstarre nach zu urteilen, schätzte ich den Todeszeitpunkt auf mehr als zwei Stunden vor der Auffindesituation, da sich Arme und Beine des Verstorbenen kaum bewegen ließen – also noch vor der Frühstücksausgabe.
Bei Zimmertemperatur tritt die Totenstarre kurz nach dem Ableben ein und erreicht nach etwa 8 Stunden alle Teile des Körpers.
Wie immer bei Todesfällen wird der Sicherungs- und Alarmplan abgearbeitet. Auch hier hatte man bereits professionelle Vorarbeit geleistet: Anstaltsarzt, Sanitätsdienst des BZK², Kripo Friedberg, Staatsanwaltschaft, Behördenleitung und Justizministerium waren informiert worden.
Der Anstaltsarzt hatte bereits amtlicherseits den Tod festgestellt.
Bald darauf trafen die Kripobeamten ein, stellten die Lage dar, versuchten sich an der Spurensicherung und ermittelten mit einem bestimmten Messverfahren die Kerntemperatur und den genauen Todeszeitpunkt der Leiche.
Auf die Frage, ob wir seitens der Anstalt bereits eine Vernehmung vorgenommen hätten, teilte ich mit, dass wir erst später dazugekommen seien. Der Staatsanwalt wollte jedoch sogleich eine Einzelvernehmung der sieben Zellengenossen vornehmen. Ein Polizeibeamter würde ihn zu diesen Verhören begleiten.
Ich klärte die Raumfrage mit der Innenpforte ab. Auf Nachfrage des Staatsanwaltes teilte ich diesem noch die Nationalitäten der Gefangenengruppe mit. Alle Straftäter kamen aus der ehemaligen Sowjetunion, aus Georgien, Usbekistan, Kasachstan und Russland.
Das zu erwartende Ergebnis der Befragung beruhte meinerseits auf Erfahrungswerten mit dieser kriminellen Klientel, und so prophezeite ich den anwesenden Polizeibeamten:
„Eigentlich können Sie sieben Kopien mit jeweils folgenden Aussagen anfertigen: Ich habe nichts gesehen! Ich habe nichts gehört! Ich habe geschlafen! Ich weiß von nichts‘."
So war es letztlich auch in diesem Fall.
Inzwischen wurde die Leiche vom Staatsanwalt freigegeben.
Bei Todesfällen hatte die Anstalt eine Kooperation mit einem Schreiner- und Bestattungsbetrieb aus der Nähe geschlossen, da zu jeder Zeit eine Abholung sichergestellt sein musste. Die Zentrale löste „stillen Alarm"³ aus. Anschließend konnte der Schreinermeister die Einsargung und den Transport zur Rechtsmedizin durchführen.
Die persönlichen Sachen des toten Häftlings nahm ein ZbV⁴-Beamter auf und verbrachte alles auf die Anstaltskammer zur restlichen Habe des Verstorbenen.
Der Dienstbetrieb ging indes weiter wie immer.
Die bereits vernommenen sieben Gefangenen konnten zurück in ihre große Gemeinschaftszelle begleitet werden. Der aus der Anstalt verbrachte tote Mitgefangene wurde aus dem Bestand genommen.
Es schließen sich später weitere administrative Tätigkeiten an, wie z.B. die Ermittlung der Angehörigen, Regelung des Nachlasses, Fragen der Bestattung, Zuständigkeit der Botschaft des Heimatlandes u.a.
Die Aufsichtsbehörde (Justizministerium) erwartete bereits umgehend (per Fax) einen ausführlichen Bericht über dieses besondere Vorkommnis.
Wurde bei der angelegten Strangulation durch Ziehen an den Beinen nachgeholfen? Diesbezüglich konnte die Rechtsmedizin keine Erkenntnisse gewinnen. Die Sache blieb im Dunkeln.
Zur Überleitung in Teil 2 möchte ich abschließend die Auffindesituation des erhängten Häftlings schildern:
Vom abendlichen Einschluss am Vortag bis zur morgendlichen Frühstücksausgabe (verbunden mit der sogenannten Lebendkontrolle) wurde in diesem Gemeinschaftshaftraum weder die Zellenrufanlage betätigt noch in irgendeiner Form Alarm geschlagen.
Der Stationsbeamte erzählte mir, dass er beim Aufschluss die sieben Inhaftierten wortlos am Tisch sitzend und Kaffee trinkend vorfand, während der achte Mitgefangene stranguliert und tot an einem oberen Bett hing.
Teil 2 (Hintergründe und Strukturen zu den „Dieben im Gesetz")
Ohne Kenntnis dieser besonderen Form der organisierten Kriminalität ist der Versuch einer Aufklärung, insbesondere in einem Sicherheitsgefängnis, von vornherein aussichtslos.
Zunächst ist erwähnenswert, dass sich all diese Verurteilten in einer Art russischer Geheimsprache, „Fenja genannt, verständigen. Eine besondere schriftliche Verständigung wird „Maljawa
genannt. Dafür habe ich vereidigte Übersetzer beauftragt, die sich hier auskannten (und hoffentlich nicht doch als „Maulwürfe"⁵ tätig waren).
Weiterhin gilt bei allen kriminellen Banden, insbesondere im Gefängnis, das „Grundgesetz, die „Heilige Omerta
. Das Schweigegebot.
Hinzu kommt eine interne Hierarchie der Russenmafia, deren Personen ich oft durch Rückfragen beim HLKA⁶, bei Sicherheitsdienstleitern anderer