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Descent – Legenden der Finsternis: Die Tore von Thelgrim
Descent – Legenden der Finsternis: Die Tore von Thelgrim
Descent – Legenden der Finsternis: Die Tore von Thelgrim
eBook417 Seiten5 Stunden

Descent – Legenden der Finsternis: Die Tore von Thelgrim

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Über dieses E-Book

Ein widerwilliges Trio muss eine geheimnisvolle Stadt zu untersuchen und dabei gegen ein dämonisches Unwesen kämpfen – ein atemberaubender Roman aus dem Descent-Universum.   Als drei verschiedene Abenteurer angeheuert werden, um die Versiegelung von Thelgrim, der großen Zwergenstadt, zu untersuchen, haben alle drei Bedenken. Einer von ihnen ist ein gesuchter Verbrecher und die beiden anderen wollen nicht zusammenarbeiten – aber bei so einer Bezahlung kann man schlecht ablehnen. Als sich die drei auf einem geheimen Weg nach Thelgrim begeben, ahnen sie nicht, was sie dort erwartet. Terrinoth befindet sich im Umbruch und neue Bedrohungen lauern in der Dunkelheit.
SpracheDeutsch
HerausgeberCross Cult
Erscheinungsdatum20. Feb. 2023
ISBN9783986660772
Descent – Legenden der Finsternis: Die Tore von Thelgrim

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    Buchvorschau

    Descent – Legenden der Finsternis - Robbie MacNiven

    1

    Der Mann namens Slevchek schlug mit der Faust auf den Tisch, sodass die Münzen sich über das zerkratzte, klebrige Holz verteilten.

    »Betrüger«, bellte er und funkelte Raythen wütend an. Der Zwerg erwiderte seinen bösen Blick und sein eines dunkles Auge blitzte im schwachen Kerzenlicht des Schankraums.

    »Kleiner Rat, Menschling«, sagte er. »Es ist nicht sonderlich klug, jemandem Betrug beim Kartenspiel vorzuwerfen, der einen gerade geschlagen hat. Lässt einen wie einen schlechten Verlierer aussehen, was du zugegebenermaßen wahrscheinlich auch bist. Aber für die Zukunft: Wenn du mit Beleidigungen um dich werfen willst, solltest du das tun, solange du vorne liegst. In der zweiten Runde vielleicht oder in der dritten, als du noch gewonnen hast. Das macht es glaubwürdiger.«

    Raythen hatte keine Ahnung, ob irgendwas von dem, was er gerade gesagt hatte, Slevcheks zugegebenermaßen unterentwickeltes Hirn erreicht hatte. Der stämmige Händler kochte vor Wut; er hatte die Fäuste geballt, sein Kiefer mahlte und sein Gesicht hatte einen noch hässlicheren puterroten Ton angenommen. Seine Gefährten, zwei weitere menschliche Händler, die rechts und links von ihm saßen, schienen hin- und hergerissen zwischen ihrem Wunsch, ihrem Freund beizuspringen, und ihrem Unwillen, mitten in der Schenke eine Szene zu machen.

    Raythens Einschätzung nach war es dafür ein bisschen spät. In der Schankstube im Untergeschoss von Skelligs Schenke war es totenstill geworden, nachdem die Säufer ihre Aufmerksamkeit voller Erwartung auf den Tisch gerichtet hatten, an dem Raythen und seine Mitspieler saßen. Der Streit brodelte schon den ganzen Abend vor sich hin und Slevchek war immer betrunkener und angriffslustiger geworden. Er hatte sich über Raythens anfängliche Niederlagen lustig gemacht, dann jedoch zunehmend aggressiv reagiert, als der Zwerg seine Verluste erst zurückgewonnen und schließlich seinen Vorsprung ausgebaut hatte.

    Natürlich hatte der dümmliche Mensch recht – Raythen hatte betrogen. Nichts Besonderes, aber selbstverständlich waren die Karten gezinkt. Raythen hatte ein paar doppelte Karten im Ärmel und eine zusätzliche Baronatskönigin, die er unter einem Teller mit halb aufgegessenen gebratenen Hühnerflügeln versteckt hatte, mit denen er sich ganz bewusst viel Zeit gelassen hatte.

    »Trau keinem Dunwarr, wenn es um Gold geht«, spie Slevchek über den Tisch hinweg und musste sich anschließend Speichel vom stoppeligen Kinn wischen. »Vor allem einäugigen, einhändigen!«

    Normalerweise hätte eine solche Bemerkung einem Zwerg gegenüber dafür gesorgt, dass dem Menschen der Schädel mit einem Barhocker oder einer Axt eingeschlagen wurde, doch Raythen hatte das alles schon öfter gehört. Außerdem war er kein normaler Dunwarr. Er lächelte. »Komm schon, Menschling, es steht drei-drei. Wenn ich betrüge, stelle ich mich offensichtlich nicht sehr geschickt an«, sagte er.

    »Du hast all die großen Pötte gewonnen«, jammerte einer von Slevcheks Gefährten, ein wehleidiger kleiner Mann mit eingesunkenen Augen, dessen Name Raythen sich gar nicht erst gemerkt hatte.

    »Ich war nicht derjenige, der die Einsätze erhöht hat«, erinnerte er ihn. »Das wart ihr drei.«

    Er konnte spüren, dass die Aufmerksamkeit der gesamten Schenke auf ihnen ruhte, eine Tatsache, der sich Slevchek und seine Freunde nicht bewusst zu sein schienen. Im Moment war das die einzige Variable, die Raythen nicht ganz behagte. Mit diesen drei Idioten könnte er die ganze Nacht so weitermachen, aber was, wenn sich einer der anderen einmischte? Was, wenn einer der anderen Gäste seine Tricks bereits kannte oder einfach nur einen schärferen Blick und einen klareren Verstand als das menschliche Trio besaß? Früher am Abend waren ihm zwei Elfen aufgefallen und einer der Schankwirte hatte ihn eine gute Stunde lang angestarrt, und das noch bevor Slevcheks Gebrüll die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit erregt hatte. Und er fürchtete, dass das wohl nichts mit seinem guten Aussehen zu tun hatte.

    »Die Hand«, verkündete Slevchek und zeigte energisch darauf. »Die Hand ist nicht echt!«

    Raythen seufzte betont schwer. »Das hatten wir doch schon«, sagte er und sprach dabei absichtlich laut genug, dass der gesamte Schankraum ihn hören konnte. »Ja, die Hand ist nicht echt. Nein, ich habe keine Karten oder Münzen darin versteckt. Siehst du?«

    Er packte die hölzerne Prothese mit der anderen Hand, löste sie und zog sie aus dem Ärmel seines grünen Mantels.

    »Massive Schöneiche«, erklärte er und schleuderte sie über den Tisch. »Untersuch sie selbst. Noch mal.«

    Slevchek schnappte sich das geschnitzte Teil und musterte es mit zusammengekniffenen Augen. Er blinzelte heftig, um seinen alkoholgetrübten Blick zu klären. Dann stieß er ein frustriertes Grunzen aus und warf sie dem Komplizen zu seiner Rechten zu, der sie in alle Richtungen drehte und nach Anzeichen für einen Schwindel suchte.

    »Wenn ihr dann fertig wärt, hätte ich sie gern zurück«, sagte Raythen und streckte seine gesunde Hand aus. »Und vielleicht könnten wir auch aufhören, einen alten Zwerg zu beleidigen und zu erniedrigen, und uns wieder dem Spiel widmen. Oder wollt ihr Menschlinge lieber aufgeben?«

    »Ich will mein Geld wiederhaben«, knurrte Slevchek und schlug erneut auf den Tisch, während sein Freund Raythen widerwillig seine Armprothese zurückgab.

    »Du kannst es zurückgewinnen«, meinte der Zwerg fröhlich und befestigte seine Hand. »Was hältst du von einer neuen Runde? Alles oder nichts?«

    »Lügner«, bellte Slevchek und versuchte, sich von seinem Platz zu erheben, landete jedoch sofort wieder auf dem Hintern. Er fummelte an seinem Gürtel herum und zog einen langen, schmalen Nierendolch. Das Kerzenlicht funkelte auf der schlanken Klinge. »Gib mir mein Geld!«

    Mit seiner guten Hand packte Raythen die Vorderseite von Slevcheks Wams. Er ignorierte das Messer und zog ihn nach vorn, sodass er gegen die Tischkante gepresst wurde. Dabei stieß er einen Bierkrug um und verstreute Karten und Münzen.

    »Ich habe nicht gelogen, was die Hand angeht, du dümmlicher Menschling«, knurrte er. »Sie ist massiv. Zufällig habe ich allerdings noch eine dritte, und die zielt gerade unter dem Tisch mit einer geladenen Armbrust auf deine Kronjuwelen. Also beruhige dich, lächle und spiel noch eine Runde, sonst verbringst du den Rest der Nacht damit, einen Pfeil aus deinem wertvollsten Schatz zu ziehen. In Ordnung?«

    Raythen sah Slevchek unverwandt in die Augen. Ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt und der Geruch des ungewaschenen, betrunkenen, idiotischen Menschlings war beinahe mehr, als der Zwerg ertragen konnte. Er beobachtete die langsam einsetzende schmerzliche Erkenntnis in Slevcheks trübem Blick, die einem wütenden Aufblitzen wich.

    »Wähle deine nächsten Worte mit Bedacht, mein Freund«, forderte er. Das war der entscheidende Moment, auf den er gewartet hatte, seit er die drei Händler zu einem Spiel aufgefordert hatte. Entweder würde Slevchek hinnehmen, was gerade geschah, und Skelligs Schenke unverletzt, aber mit leichterer Börse verlassen, oder Raythen würde gezwungen sein, selbst schnell das Weite zu suchen und das Geld mitzunehmen, das er bisher ergaunert hatte. Das Ass in seinem Ärmel – in diesem Fall nicht ganz wörtlich gemeint – war eine falsche Hand, die er manchmal einsetzte, um Gegner zu verwirren. Ein zusätzlicher Ärmel war in seinen schweren grünen Mantel eingenäht, der seinen echten Arm und seine Hand verbarg, während die Aufmerksamkeit seines Gegenübers auf der hölzernen Prothese ruhte. Sein Finger krümmte sich ein klein wenig um den Abzug der Armbrust, die er unter dem Tisch umklammert hielt.

    Wenn man seine Karten richtig ausspielte, ging man in neun von zehn Fällen als Sieger hervor.

    »Raythen«, sagte eine Stimme und ruinierte den Augenblick.

    Raythen, der noch immer die Vorderseite der Tunika des Händlers gepackt hielt, und Slevchek hoben beide langsam den Blick. Während der Zwerg sich bemüht hatte, seinen Standpunkt zu verdeutlichen, war ein Bär von einem Mann an ihren Tisch getreten. Er trug einen fellbesetzten Umhang, hatte den Schädel kahl rasiert und sein gewaltiger, struppiger Schnurrbart hing fast bis auf seine Brust. Er ragte über dem Tisch auf und musterte Raythen eindringlich.

    »Du bist spät dran«, grollte er.

    Raythen ließ die Tunika abrupt los, sodass Slevchek auf seinen Stuhl zurücksackte. Mit geübten Handgriffen entlud er rasch die unter dem Tisch verborgene Armbrust, während er den großen Mann anlächelte.

    »Weißt du, Cayfern, eigentlich war ich zu früh. Ich konnte dich allerdings nirgends finden, also dachte ich, ich leiste diesen netten Herren hier Gesellschaft, bis ich dich entdecke. Ich muss wohl die Zeit aus den Augen verloren haben. Entschuldige bitte.«

    Während seiner kleinen Rede hatte er die Armbrust zusammengeklappt und in seinen Rucksack geschoben. Cayfern brummte. Er schien die Aufmerksamkeit, die er in der Schenke erregte, gar nicht zu bemerken – der große Mensch war praktisch eine kleine Berühmtheit in diesen Breiten, ein wohlbekanntes Gesicht in den Tavernen und Gasthäusern, die sich an den vereisten Straßen von Frostgate drängten.

    »Wenn du besseres Geld verdienen willst als mit Taschendiebstählen in Tavernen, schlage ich vor, du kommst mit«, sagte er. »Sofort.«

    »Absolut«, erwiderte Raythen, stand auf und verbeugte sich knapp vor den Händlern. »Ich fürchte, die Pflicht ruft.«

    Slevchek kam unsicher auf die Beine, um dem Störenfried die Meinung zu sagen, und Raythen konnte sich das Grinsen nicht verkneifen, während er mitverfolgte, wie sich die Wut des Mannes in Verzweiflung verwandelte, als dieser erkannte, dass er Cayfern kaum bis zum Kinn reichte.

    »Ich würde mich setzen, wenn ich du wäre, Slevchek«, riet ihm Cayfern. »Genieß den Rest deines Biers und geh dann friedlich nach Hause zu deiner Frau.«

    Beim Sprechen legte er Slevchek eine Hand auf die Schulter und tätschelte sie. Erneut sank dieser zurück auf seinen Stuhl.

    Raythen vermied jeglichen Blickkontakt mit allen Anwesenden, schob seinen Gewinn in seinen Rucksack, schwang ihn sich über die Schulter und folgte Cayfern durch die Schankstube in einen kleinen Raum hinter dem Tresen. Einst war es eine Vorratskammer gewesen, doch die Regale waren leer und mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Der einzige Hinweis auf ihren früheren Zweck waren ein paar alte Säcke Schrotmehl, die sich in einer Ecke stapelten. Ein einzelner Tisch und vier Stühle füllten den engen Raum aus, der von einer einsamen, rußenden Talgkerze erhellt wurde. Cayfern setzte sich so hin, dass er die Tür genau im Auge behalten konnte; sein Stuhl knarrte unter seinem Gewicht.

    Raythen zögerte, bevor er ihm gegenüber Platz nahm. Sie waren nicht die Einzigen im Raum. Eine Frau saß bereits am Tisch und wirkte ganz offensichtlich gelangweilt, während sie einen kleinen Steinsplitter zwischen ihren Fingern hindurchgleiten ließ. Sie trug einen bestickten goldenen Mantel, der sich ab der Taille in langen, fließenden Falten auffächerte. Darunter war ein weißes Hemd mit Trompetenärmeln zu sehen. Ihr langes, dunkles Haar war zu einem Zopf geflochten, der ihr über den Rücken fiel. Ein rot-goldenes Tuch hielt ihr die Haare aus der Stirn. Armreifen und Armbänder zierten ihre Handgelenke und ein Stab aus geschnitztem Knochen lehnte am Stuhl hinter ihr. Auf dessen Spitze thronte ein blauer Tansanit, der wie die Tiefen des Ozeans zu schimmern schien. Ihr Gesicht war schmal und scharf geschnitten wie das eines Falken. Raythen konnte die Magie, die sie verströmte, praktisch spüren.

    »Ich wusste nicht, dass wir Gesellschaft haben«, bemerkte er.

    »Setz dich«, knurrte Cayfern.

    Er gehorchte. Die Frau ließ den Steinsplitter, mit dem sie gespielt hatte, in die Seitentasche eines Beutels gleiten, der an ihrer Hüfte hing. Raythen musterte sie unverhohlen.

    »Darf ich der Erste sein, der sagt, welch eine Ehre es ist, einer Runenhexe zu begegnen?«, fragte er.

    »Du kennst mich?«, entgegnete sie mit einem schweren Akzent. Falls sie überrascht war, ließ sie es sich nicht anmerken.

    »Jeder Abenteurer, der es wert ist, angeheuert zu werden, hat von der großen Astarra gehört, der besten Schülerin Greyhavens«, erklärte Raythen und lächelte sie an.

    »Ich kann dich schon jetzt nicht leiden«, sagte die Zauberin. Raythen lachte. Nicht gemocht zu werden war für ihn nun wirklich nichts Neues.

    »Astarra, das ist Raythen, ehemals aus der Dunwarr-Stadt Thelgrim«, stellte Cayfern ihn vor. »Er wird dich auf deiner Expedition begleiten.«

    »Wird er das?«, hakte Raythen nach und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Cayfern zu. »Das ist gut zu wissen. Soweit ich gehört habe, hat Raythen nur mildes Interesse daran bekundet, warum der große Cayfern in den Schenken und Tavernen von Frostgate verkünden ließ, dass er Raythen sucht.«

    »Ich kenne dich gut genug, Zwerg«, erwiderte Cayfern. »Ich weiß, wenn du im Skelligs fette, betrunkene Händler abziehst, heißt das, deine Geldbörse ist leer. Mein Auftraggeber bietet an, das zu ändern. Du wirst den Auftrag annehmen.«

    »Das hängt ganz davon ab«, schoss Raythen zurück.

    »Es ist gutes Geld.«

    »Das ist ein Anfang, aber mich beschäftigt eher die Gesellschaft.«

    »Wenn du Astarra kennst, weißt du auch über ihre Fähigkeiten Bescheid«, entgegnete Cayfern und nickte knapp in Richtung der Frau.

    »Ganz genau«, bestätigte Raythen. »Und ich vermute, dass diese Fähigkeiten nicht billig sind. Also, welche Aufgabe ist dermaßen gefährlich, dass dein mysteriöser Auftraggeber genug Geld lockermacht, um eine Runenhexe anzuheuern? Und was noch viel wichtiger ist: Auf wen warten wir noch?«

    »Das habe ich mich auch schon gefragt«, schaltete sich Astarra ein.

    »Vier Stühle«, fügte Raythen hinzu und deutete mit dem Kinn auf den letzten freien Platz. Der Raum war offensichtlich für dieses Treffen vorbereitet worden und er kannte ihren Gastgeber gut genug, um sicher zu sein, dass er nicht versehentlich einen zusätzlichen Stuhl aufgestellte hatte.

    Cayfern schwieg. Er war ein wohlbekannter Unterhändler in den nördlichen Baronaten, ein Mittelsmann zwischen den Einzelkämpfern, Halunken und Draufgängern, die Orte wie die Freie Stadt Frostgate bevölkerten, und jenen, die sie für Aufträge in ganz Terrinoth anonym anheuern wollten. Raythen war zuvor schon viermal von ihm kontaktiert worden, hatte allerdings keine Ahnung, ob derjenige, der ihn bezahlt hatte, jedes Mal derselbe oder ein anderer Kunde gewesen war. Wichtig war nur, dass Cayfern bei der Abrechnung immer die volle Summe zahlte. Es war klar, dass er seine Auftraggeber sorgfältig auswählte, und in dieser Branche war das eine Menge wert.

    Der Mittelsmann antwortete nicht auf Raythens Frage. Stattdessen blickte er an ihm vorbei zur Tür. Raythen drehte sich auf seinem Stuhl um, als sie sich öffnete.

    Eine groß gewachsene Gestalt trat ein. Sie musste sich unter dem Türsturz hindurchducken. Im schmutzigen Licht der Kerze wirkte sie auf den ersten Blick wie ein Albtraum. Der Mann wirkte auf schmerzhafte Weise ausgemergelt und blass, seine Haut schien sich zu straff über seinen ausgeprägten Schädel zu spannen. Seine Ohren liefen nicht in einer Spitze zusammen, sondern in drei, seine Augen waren so schwarz wie frisches Pech und lagen tief in den knochigen Höhlen. Er trug zerschlissene dunkle Roben und schwere metallene Ringe um Hals und Handgelenke, als hätte man ihn gefesselt, doch es waren keine Ketten damit verbunden. Sein einziger sichtbarer Schmuck war ein großer, seltsam anmutender Schlüssel, der an seiner Hüfte hing.

    Raythen griff nach der Axt unter seinem Mantel, während Astarra auf die Füße sprang. Nur Cayfern reagierte nicht, und als er sprach, klang er völlig gelassen. »Willkommen, Shiver.«

    »Was im Namen von Kellos heiligen Flammen ist das?«, wollte Astarra wissen und hob ihren Stab. Ihre Augen waren geweitet und ihre Knöchel traten weiß hervor, weil sie den arkanen Leiter so fest umklammerte. Die Gestalt, die diese Aufregung verursacht hatte – ein Tiefenelf, wie Raythen jetzt erkannte –, musterte sie vollkommen emotionslos; Raythen konnte allerdings spüren, wie die Temperatur in der Vorratskammer sank, als hätte jemand ein Fenster zur eisigen Straße draußen geöffnet. Sein Atem bildete Wölkchen.

    »Das ist das dritte Mitglied eurer Expedition«, erklärte Cayfern, als wäre es das Offensichtlichste in ganz Mennara. »Sein Name ist Shiver. Wie der Rest von euch wurde er explizit von meinem Auftraggeber ausgewählt.«

    »Er ist ein Dunkelmagier«, zischte Astarra, die offenbar die Aura des Eindringlings wahrnehmen konnte. »Was bist du, Kreatur? Ein Nekromant? Ein Sklave des Ynferneums?«

    »Bist du Cayfern?«, fragte der Elf den großen Mann und ignorierte Astarra. Seine Stimme klang heiser und rau, als würde er sie nicht oft benutzen.

    Cayfern nickte. »Der bin ich. Mein Auftraggeber dankt dir für dein Kommen.«

    »Ich kenne deinen Auftraggeber nicht«, entgegnete Shiver. »Aber ich habe dich oft genug in meinen Träumen gesehen, um zu wissen, dass dies der Weg ist, den ich einschlagen muss.«

    Er packte die Lehne des letzten freien Stuhls und zog ihn mit einem lang gezogenen Schaben zurück. Astarra stand noch immer. Ihr Stab glühte in einem kalten Blau.

    Raythen räusperte sich, griff nach seiner falschen Hand und löste sie.

    »Ich beherrsche auch Magie«, verkündete er, zog die Prothese aus und offenbarte seine echte Hand, die er flach auf den Tisch neben die andere legte. »Seht ihr? Wenn ihr euch ein Zauberduell in einer winzigen Kammer liefern wollt, sollte ich euch beide warnen, dass ich mich nicht zurückhalten werde.«

    Cayfern lachte. Astarra blickte von Shiver zu Raythen, doch die Anspannung im Raum war gebrochen. Langsam verblasste das Licht in ihrem Stab. Raythen stellte fest, dass er auch seinen Atem nicht mehr sehen konnte.

    »Willst du den Elf nicht dafür tadeln, dass er zu spät kommt?«, fragte er Cayfern. Der Menschling ignorierte ihn, Shiver richtete allerdings den Blick seiner schwarzen Augen auf ihn.

    »Ich wurde mehrfach aufgehalten«, krächzte er. »Visionen im Wachzustand.«

    »Oh, na dann«, entgegnete Raythen. »Vielleicht kann Cayfern jetzt damit fortfahren, uns zu erzählen, warum wir hier sind, damit ich endlich diesen Auftrag ablehnen kann, bei dem ich mit euch beiden zusammenarbeiten soll.«

    Cayfern bedachte Astarra mit einem eindringlichen Blick. Sie setzte sich, behielt aber ihren Stab in der Hand.

    »Ich arbeite nicht mit Dunkelmagiern zusammen«, erklärte sie und beäugte Shiver finster. »Ich habe über die Jahre genug gelernt, um zu wissen, dass der Tod jenen folgt, die es tun. Dabei kommt nie etwas Gutes heraus.«

    »Shiver ist kein Dunkelmagier«, widersprach Cayfern. »Mein Auftraggeber bezahlt niemanden, der sich den unnatürlichen Künsten hingibt.«

    »Er fühlt sich aber an wie einer und er sieht auch so aus«, beharrte Astarra.

    »Und ich sehe aus wie ein absolut vertrauenswürdiger, ehrlicher Dunwarr-Soldat, bin ich aber nicht«, warf Raythen ein, der langsam die Geduld verlor. »Also, ich bin nicht in dieses … reizende Etablissement in dieser wundervollen Stadt gekommen, um herumzusitzen und über die Philosophien der Magie zu diskutieren. Könntest du bitte endlich zum Punkt kommen, Cayfern?«

    Der Mittelsmann betrachtete ihn einen Augenblick lang schweigend, bevor er das Wort ergriff. »Vor einem Monat hat Thelgrim, die uralte Stadt der Dunwarr, ihre Tore geschlossen. Seither gab es nicht den geringsten Kontakt zu den Einwohnern. Niemand ist hineingegangen oder herausgekommen. Auch sämtliche kleineren Ein- und Ausgänge aus dem Berg scheinen verschlossen zu sein. Die Stadt wurde abgeriegelt.«

    »Ich habe gehört, dass die Dunwarr den Kontakt abgebrochen haben«, sagte Astarra. »Wenn du allerdings wissen willst, warum, solltest du vielleicht einfach den Dunwarr fragen, der dir gegenübersitzt.«

    Raythen schnaubte. »Ich kann dir versichern, wenn ich auch nur die geringste Ahnung hätte, was im Kopf von Ragnarson und den anderen kurzsichtigen Narren vorgeht, die da das Sagen haben, wäre ich jetzt nicht hier«, log er. Er hatte nicht vor, sein Wissen über die Gedankengänge des Königs weiter auszuführen. »Ich habe seit fast zwanzig Jahren keinen Fuß mehr in die Stadt gesetzt.«

    »Niemand weiß, warum Thelgrim abgeriegelt wurde«, fuhr Cayfern fort. »Mein Auftraggeber hat sich überall umgehört und keine befriedigende Antwort erhalten. Deswegen hatte er euch zusammengerufen …«

    »Nein«, unterbrach ihn Raythen. Das Trio sah ihn an. Er hielt den Blick auf Cayfern gerichtet. »Wenn dein Herr und Meister glaubt, ich würde je wieder zurück nach Thelgrim gehen, hat er nicht richtig nachgeforscht«, fuhr er fort. »Ich dachte, du kennst mich besser, Cayfern.«

    »Du hast dort noch eine offene Rechnung«, erwiderte der Menschling. »Deswegen wirst du hingehen. Und das …« Er warf einen dicken Lederbeutel auf den Tisch. Er klirrte schwer. »Das ist nur die Anzahlung«, erklärte er. »Mein Auftraggeber verspricht mehr, sobald der Auftrag ausgeführt ist. Es wird genug sein, dass du deine Abende nicht damit vertrödeln musst, betrunkene Idioten in stinkenden, dreckigen Tavernen in Frostgate auszurauben.«

    »Vielleicht macht mir das ja Spaß«, gab Raythen zurück und weigerte sich, nach der vollen Börse zu greifen. »In welcher Währung wird bezahlt?«

    »In echtem Dunwarr-Silber«, erwiderte Cayfern. »Mein Auftraggeber verbürgt sich dafür.«

    »Da bin ich mir sicher«, meinte Raythen trocken.

    »Und wer genau ist dein Auftraggeber?«, fragte Astarra, die sich von dem prallen Geldbeutel auf dem Tisch herzlich unbeeindruckt zeigte. Shiver, der nicht mehr gesprochen hatte, seit er sich gesetzt hatte, nickte einmal knapp. Raythen hatte sich genau das bereits den ganzen Abend über schon gefragt, doch er hatte so was hier oft genug gemacht, um zu wissen, dass es sinnlos war, einem professionellen Mittelsmann wie Cayfern diese Frage zu stellen. Wer auch immer es war, er hatte auf jeden Fall eine Menge Zwergensilber und ein Interesse an Thelgrim, aber nicht die nötigen persönlichen Kontakte, um herauszufinden, was aus der unterirdischen Stadt geworden war. Raythen hatte überlegt, auf wen eine solche Beschreibung passen könnte, bisher war ihm jedoch niemand eingefallen. Seiner beträchtlichen Erfahrung nach konnte das nichts Gutes bedeuten.

    »Mein Auftraggeber möchte anonym bleiben«, erklärte Cayfern schlicht. »Alles, was ihr wissen müsst, ist, dass er bezahlen kann, und zwar sehr gut. Dafür verbürge ich mich.«

    »Verzeih mir, wenn ich das nicht gerade beruhigend finde«, entgegnete Raythen. »Nicht solange du uns nicht verrätst, was er denn jetzt eigentlich von uns will.«

    »Er will, dass wir nach Thelgrim gehen«, erklärte Astarra, als sei Raythen ein Idiot.

    Er lächelte sie herablassend an. »Und zu welchem Zweck bitte? Sollen wir ans große Tor klopfen, fragen, wie es Hauptmännin Lyssa Svensdottir geht und ob der alte Ragnarson gesund ist, und dann wieder zurückmarschieren, um unsere Reichtümer einzusacken? Ach bitte! Worum geht es wirklich, Cayfern? Erzähl uns die ganze Geschichte.«

    »Sobald ihr in der Stadt seid, werdet ihr zum Hauptquartier der Liga der Erfindungen gehen«, führte Cayfern aus. »Dort gibt es ein Objekt, das ihr der Bitte meines Auftraggebers gemäß einsammeln und hierherbringen sollt.«

    »Ich wusste es!«, rief Raythen und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ich wusste, du willst, dass ich was stehle!«

    »Nicht stehlen«, meinte Cayfern ruhig. »Die Liga weiß, dass ihr kommt. Ihr fragt nach Mavarin und er wird euch bereitwillig geben, was ihr braucht.«

    »Und was genau ist dieses Ding, für das wir bis nach Thelgrim müssen, um es abzuholen?«, fragte Astarra.

    »Es besitzt magische Eigenschaften«, antwortete Cayfern.

    »Ein runengebundenes Fragment?«, mutmaßte Astarra. Raythen bemerkte, wie ein Lichtimpuls durch ihren Stab zuckte, während sie die Worte aussprach.

    »Ja«, sagte Cayfern.

    »Welches?«, wollte Astarra wissen; die Neugier in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

    »Ich weiß es nicht«, gestand Cayfern. »Das wurde mir nicht gesagt. Aber mein Auftraggeber will, dass er aus dem Besitz der Dunwarr zurückgeholt wird. Er hat bereits einen Handel abgeschlossen und jetzt muss er nur noch abgeholt werden. Bringt ihn her und ihr werdet alle großzügig bezahlt werden.«

    »Ich habe keine Verwendung für Geld«, sagte Shiver plötzlich. Der Tiefenelf war eine schweigende, brütende Präsenz gewesen, seit er sich gesetzt hatte, doch nun faltete er seine beängstigend langen schwarzen Klauenfinger vor sich auf dem Tisch und richtete seinen unnatürlich starren Blick auf den Mittelsmann. »Dein Meister hat nach mir gefragt, also muss er das wissen.«

    »Mein Auftraggeber sagte mir, dass dies hier von größerem Interesse für dich sein könnte.« Cayfern zog etwas aus der Tasche seines Fellumhangs, legte es auf den Tisch und schob es dem Elf langsam zu.

    Es war ein Vorhängeschloss, schwer und rostig an den Kanten. Auf den ersten Blick wirkte es vollkommen unscheinbar. Shiver betrachtete es eine Weile. In seinen schwarzen Augen war keinerlei Reaktion zu lesen. Dann streckte er langsam die Hand aus und nahm es vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger, als sei es ein seltsames, leicht verstörendes Insekt. Er hielt es sich vor die Augen und dann – sehr zu Raythens Belustigung – schnupperte er daran, bevor er es ebenso vorsichtig, wie er es aufgehoben hatte, wieder hinlegte.

    »Gibt es noch mehr?«, fragte er mit seiner kalten, toten Stimme.

    »Zwei, beide von größerer Bedeutung als dieses«, antwortete Cayfern. »Wenn du den Auftrag erledigst.«

    Shiver schwieg.

    »Ich arbeite nicht mit ihm zusammen«, beharrte Astarra, als würde der Tiefenelf nicht im selben Raum sitzen.

    »Dann ist das dein Pech«, entgegnete Cayfern mit einem gleichgültigen Schulterzucken. »Sowohl in der Gegenwart als auch in der Zukunft. Mein Auftraggeber hat mir mitgeteilt, dass er nach diesem sehr wahrscheinlich noch andere Aufträge zu vergeben haben wird, Aufgaben, die sich um weitere Runenfragmente drehen. Du könntest eine ganze Menge von ihm lernen. Seine Macht ist, in jeder Hinsicht, herausragend.«

    Raythen erkannte einen Bluff, wenn er einen sah, und der von Astarra war nicht gerade überzeugend. Cayfern war, wie er wusste, deutlich besser in diesem Spiel.

    »Wenn der Auftrag für keinen von euch von Interesse ist, werde ich meinem Auftraggeber Bescheid geben und er wird einen neuen Aufruf starten, um andere geeignete Kandidaten zu finden«, erklärte der große Mann und nahm den Sack mit dem Silber.

    »Ich denk drüber nach«, sagte Raythen. Es war spät und er war nicht in der Stimmung für weitere Ablenkungen, nicht heute Nacht. »Nein, weißt du was? Ich mache es. Aber ich brauche eine größere Anzahlung als die … relativ großzügige, die du gerade angeboten hast. Dein Auftraggeber weiß meine Fähigkeiten offensichtlich zu schätzen. Er wird in Frostgate keinen anderen Dunwarr-Zwerg mit meinen Fähigkeiten finden. Niemand ist für diese Aufgabe besser geeignet als ich.«

    Cayfern musterte ihn einen Moment lang, im Schein der flackernden Talgkerze war seine Miene nicht zu deuten. Dann griff er in seinen Umhang, zog einen weiteren Beutel heraus und warf ihn mit einem Klirren auf den Tisch.

    Ja, er war gut im Bluffen, aber nicht so gut. Raythen nickte und schenkte Cayfern ein Lächeln. »Ich nehme den Auftrag an.«

    »Genau wie ich«, sagte Shiver. Raythen merkte, dass er das alte Schloss in seine Roben gesteckt hatte, ohne dass er selbst es mitbekommen hatte.

    Er blickte nach links zu Astarra. Die Zauberin starrte Shiver böse an, richtete jedoch langsam ihren Blick auf Cayfern und entspannte ihre Züge. »Sag deinem Auftraggeber«, verkündete sie entschieden, »dass die Runenhexe seine Bedingungen akzeptiert.«

    »Das werde ich«, bestätigte Cayfern. »Es gibt keinen schriftlichen Vertrag. Es wird erwartet, dass ihr zum ersten Vollmond nach dem Fest der Flammen mit dem Fragment wieder hier seid. Ich werde euch erwarten.«

    »Das sind nur knapp über zwei Monate«, stellte Astarra fest.

    »Was ausreichen sollte, um nach Thelgrim zu reisen, das Fragment zu holen und zurückzukehren«, entgegnete Cayfern.

    »Und wenn wir keinen Zutritt zum Berg bekommen?«, hakte Astarra nach. »Was, wenn wir aufgehalten werden?«

    »Seht zu, dass das nicht passiert.«

    »Die werde ich fürs Erste verwahren, nur zur Sicherheit«, verkündete Raythen und unterbrach damit das Schweigen, das sich nach Cayferns Ansage ausgebreitet hatte. Er griff über den Tisch und schnappte sich die zwei Beutel voll Silbermünzen. Zu seiner Überraschung versuchten weder Astarra noch Shiver, ihn aufzuhalten. Er zwang sich, eine ernste Miene zu bewahren, während er sie in einer der geheimen Taschen seines Rucksacks verschwinden ließ. Das würde einfacher werden, als er erwartet hatte.

    »Tja, es war nett, mit dir zu plaudern, Cayfern«, meinte er und nickte dem Menschen zu. »Aber ich sollte jetzt zurück in die Schenke gehen. Ich habe Slevchek versprochen, dass er seine Verluste zurückgewinnen kann.«

    »Hältst du das wirklich für klug?«, fragte Cayfern.

    Raythen erhob sich und verbeugte sich knapp. »Wäre ich würdig, dieses große Unterfangen anzutreten, mit dem du mich beauftragt hast, wenn ich Nein sagen würde?« Er wandte sich an die anderen beiden.

    »Es war mir eine Freude, euch beide zu treffen, und es wird sicher schön, euch im Verlauf unserer kleinen Expedition besser kennenzulernen. Wir werden zweifelsohne eine Menge Spaß haben.«

    »Morgen früh, vor der Schenke«, entgegnete Astarra eisig. »Ich breche bei Tagesanbruch auf, ob ihr da seid oder nicht. Ich will nicht, dass diese Sache länger dauert als unbedingt nötig.«

    »Keine Sorge«, entgegnete Raythen. »Ich denke, da sind wir uns alle einig.«

    2

    Raythen hielt sich an der Fensterbank fest und erbrach sich gegen die Wand. Der Schwall beißender, stinkender, widerlicher Galle brannte in seiner Kehle. Ohne loszulassen, richtete er sich auf und rang nach Atem.

    »Bei Fortunas Glückswürfeln«, brachte er schwach hervor.

    »Hast du letzte Nacht überhaupt geschlafen?«, fragte Astarra hinter ihm. In ihrem Tonfall schwang Ekel mit.

    »Ist nur ein kleines Ritual«, log Raythen, der sein Spiegelbild in der dreckigen Fensterscheibe betrachtete und sich klebrige Spuren von Erbrochenem aus dem struppigen schwarzen Bart wischte. »Eine Tradition. Jedes Mal, wenn ich zu einer neuen Reise aufbreche, kotze ich mir vorher die Seele aus dem Leib.«

    Er spürte, wie sich sein Magen erneut regte, und kniff die Augen zusammen, ohne dass Astarra es bemerkte. Er versuchte, das Rumoren in seinen Innereien, den kalten Schweiß und das Dröhnen in seinem Schädel mit reiner Willenskraft zu vertreiben. In diesem Zustand war es für ihn eigentlich undenkbar, sich auf eine einmonatige Reise zurück in die Stadt zu begeben, die ihm bereits so viel genommen hatte. Aber er wollte verdammt sein, wenn er das vor seinen neuen Gefährten eingestand.

    »Mir geht’s gut«, beharrte er, öffnete die Augen und zwang sich, tief und langsam

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