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Barbara
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eBook243 Seiten3 Stunden

Barbara

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Über dieses E-Book

Es ist die Zeit um 300 n. Chr. in Izmit, Nikomedia. Das Leben der Griechen läuft den traditionellen Gang – in Badegrotten diskutieren, flanieren, Soldatenausbildung als eine der Hauptbeschäftigungen der Mächtigen. Inmitten dieser Welt der Verwöhnten und Einflussreichen wächst Elena, die Tochter des Maximinus Dioskoros heran, um mit einem Griechen ihres Standes verlobt zu werden. Aber da begegnet sie dem Perser Ramin, der ihr die Idee von Selbstbestimmung einpflanzt. Sie lernt die geistige Unabhängigkeit kennen, die freie Rede und die neue Philosophie jenes Mannes, der aus Nazareth kam. So wird aus Elena Barbara, "die Fremde", die der Vater des Verrats an seiner Sippe, ja, am ganzen Staatssystem anklagt. In Gloria Kaisers poetischer Skizze verschmilzt die heilige Barbara des Abendlandes mit dem traditionellen Bild der Brasilianer, denen Barbara als Naturgöttin Yansã erscheint, zu einer Gestalt, die für Aufbruch und Befreiung steht und zu einer Mittlerin zwischen Kulturen wird.
SpracheDeutsch
HerausgeberSeifert Verlag
Erscheinungsdatum26. März 2020
ISBN9783904123273
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    Buchvorschau

    Barbara - Gloria Kaiser

    predigte.

    1

    Vater unser – Dein Reich komme

    Die Morgensonne zeichnet Muster auf den Lehmboden, doch auch in den beleuchteten Flecken, in der Sonnenhelligkeit ist keine Wärme zu spüren. Die Kälte von Novembernächten lässt sich erst nach Stunden von der Sonne verdrängen.

    Sie zieht den Umhang über ihren Kopf, verkriecht sich darin, dass nur ihr Gesicht unbedeckt bleibt. Barbara friert. Sie könnte Romualdo um ein paar Klumpen Glut und ein paar Steine für die Sandgrube bitten; sie könnte dann ihre Hände, ihre Füße darüber halten, Wärme in ihren Körper dringen lassen.

    Sie wird es nicht tun, denn durch die Wärme von glutheißen Steinen würden die Krusten ihrer Narben aufspringen, zumindest würden die Schmerzen sie peinigen.

    Barbara – Elena.

    Sie ist in beide Namen hineingewachsen. Sie hat nicht den einen Namen, die eine Person abgestreift, versteckt und die andere Person übergezogen, wie man über ein verschlissenes Hemd ein neues, nicht abgenütztes zieht. Ihre Verfolger, ihre Peiniger suchen die Linie, den Tag – bis hierher war sie Elena gewesen, und ab diesem oder jenem Ereignis nannte sie sich Barbara. Nein, so war es nicht.

    Elena – Barbara.

    Es haben beide in ihr gelebt, sie wusste es lange nicht; doch mit den Jahren hatte sich die eine mehr und mehr zurückgezogen und die andere konnte sich in ihr ausbreiten, reifen, sich in ihr ausleben.

    Wahrscheinlich haben diese beiden in ihr lebenden Frauenmenschen sie aus der Zeitrechnung, aus der üblichen Zeitrechnung geworfen. Sie ist zwanzig Jahre alt, noch nicht ganz zwanzig, und in ihrem Haar glänzen schon weiße Fäden, und wenn sie die Bilder, die sich in ihr unablässig abspulen, aneinanderreiht, so glaubt sie ein Leben von einigen Jahrzehnten vor sich zu sehen.

    Aber in dem Zwischenreich, in dem sie sich befindet, gilt nicht die Zählweise von Maximinus Dioskoros – Jahre, Mondläufe, Tage, Stunden. Barbara ist umflutet von Zeiten, von jenen, die sanft vorüberstrichen, sodass sie sie gar nicht wahrnahm, die aber waren, denn sie wuchs vom Säugling zum Kind und weiter zum Mädchen. Und sie ist bedrängt, umklammert von jenen Zeiten, in denen die Ereignisse sie jagten. Auch jetzt noch, im Erinnern, haben diese Zeiten, diese Geschehnisse nichts von ihrer Kraft eingebüßt; im Gegenteil, Zeiten und Ereignisse schärfen und härten sich, sie fordern Erklärungen; Zeiten schmerzen.

    Und trotzdem, Barbara ist davon überzeugt, für sie ist Milde vorgesehen, bald; sie hat Mandelbaumzweige nahe ihrer Schlafstatt, und sie fühlt deutlich die Wesen um sich, die ihr helfen, die Tag- und Nachtstunden zu überstehen. Diese Wesen sind nicht Hilfsgötter, die Zeus ihr geschickt hat. »Engel werden an deiner Seite sein«, hatte Lydia gesagt, als sie sich mit einer Umarmung von ihr verabschiedete.

    Barbara geht im Raum auf und ab; sie kann fünf-, sechsmal ausschreiten, sie hat Tageslicht, und wenn sie die Bretter der Bettstatt auf die beiden Holzböcke legt, hat sie ein Schreibpult. Sie lebt völlig abgeschlossen, das ist sie gewöhnt.

    Sie hat immer abgeschlossen gelebt, früher mit allen Bequemlichkeiten; Elena schritt über Teppiche, saß auf Polster, atmete Luft, in die Veilchenwasser gesprüht wurde. Draußen, vor ihrem Fenster, war die andere Welt. Sie hörte eine Prozession; singend und lachend gingen die Menschen hinter den Harfenspielerinnen; daran teilzunehmen, das war für sie nicht vorgesehen. Für Elena galt, den Stundenplan einzuhalten. Bei den Feiernden, die auf Holzbrettern und Silbertabletts die Opfergaben für die Götter trugen, war nicht ihr Platz. Auch gehörte sie nicht zu den Tanzenden, zu diesen fröhlichen und ausgelassenen Menschen, die eingehüllt von den süßen und scharfen Gerüchen der Opferspeisen, der Kräuter und Blumen um den Segen der Götter baten, und so die Götter versöhnen wollten. Später, in Jahren, das hatte Arsinoe ihr erklärt, würde Elena, unter einem Baldachin sitzend, solche Prozessionen vorbeiziehen lassen; sie würde zusehen, wie ihre Opfergabe, der kunstvoll gebaute Turm aus dem geschlachteten Kalb und den Früchten, als erste und größte Opfergabe hinter der Zeusstatue getragen wurde.

    Zwei Welten; die Stille und die Abgeschiedenheit, in der sie aufwuchs, und die Heiterkeit und die Gemeinschaft draußen. Die Fröhlichen, das wusste Elena auch von Arsinoe, ihrer Erzieherin, beneideten sie. »Hier im Hause Dioskoros lebt Elena; sie geht in edelsteinbesetzten Sandalen, und die Feigen werden ihr auf geschliffenem Achat serviert.«

    Genau so war es, und doch ist für sie die Erinnerung an dieses Wohlleben nicht angenehm. Sie war umhüllt von Seide und Brokat, doch in ihrer Welt lebte es nicht; das Weggesperrtsein empfand sie nicht nur als Mangel, manchmal fast als Schmerz; das Geschönte und Luxuriöse stand starr, es bedrückte.

    Das ist jetzt anders. Jetzt stimmt ihr Abgeschlossensein und Ausgeschlossensein mit ihrer Umgebung überein; kein Gegenstand schönt oder lenkt ab.

    Barbara fühlt sich wohl in ihrer Zelle.

    Jeden Morgen öffnet Romualdo, der Wächter, die niedrige Eisentüre, schiebt den Bottich mit dem Sand für die Notdurftecke und den Krug mit dem Wasser und die Schüssel mit der Suppe in den Raum. Dann kriecht er selbst durch die Türöffnung und schaut sich in der Zelle um: Ist alles unverändert? Ein paar Momente steht er vor den Mandelbaumzweigen. Er hatte Barbara die Mandelbaumzweige vom Baum gebrochen, als sie über den Gefängnishof geführt wurde und zum Blau des Himmels, zum Mandelbaum schaute.

    »Wie prall die Knospen sind«, hatte sie geflüstert, »ob sie in diesem Jahr früher blühen?«

    Romualdo hatte die Striemen an ihrem Hals bemerkt, die blauen Flecken in ihrem Gesicht; er musste die Augen schließen, er wollte nicht alle Malträtierungen ansehen, er konnte sich vorstellen, welch verwundeten Körper Barbara unter ihrem Umhang verbarg. Wie viele Peitschenhiebe und Stockschläge hatten sich auf ihren Rücken, auf ihre Brüste, auf ihren Bauch, ihre Beine gezeichnet; trotzdem hatte sie sich gerade gehalten. Sie hatte aufgeschrien, doch diese Schreie waren aus ihrer Kehle gekommen, nicht aus ihrem Innersten, deshalb kamen auch keine Tränen.

    Lydia hatte ihr erklärt, Stunden bevor sie geflohen waren: »Wenn sie uns Schmerzen zufügen, dann lassen wir sie das tun, es werden Engel für uns weinen, damit wir vor Schmerz nicht umkommen; darauf kannst du vertrauen, Barbara.«

    Es war alles so schnell gegangen. Vor einem halben Jahr war Dioskoros aus Sizilien zurückgekehrt. Barbara hatte während seiner Abwesenheit ein drittes Fenster im Turm herausbrechen lassen, und mit dieser Neuigkeit war ihm Damaris, sein Verwalter, entgegengereist.

    Sie wollte Dioskoros mit diesem dritten Fenster mitteilen, dass sich in seinem Hause alles geändert hatte. Vielleicht würde Dioskoros das akzeptieren, immerhin hatte er selbst Lydia als Erzieherin und Vertraute von Elena bestimmt. Lydia hatte ihm nicht verschwiegen, dass sie aus Damaskus kam, und die Horchposten und Wachsoldaten mussten ihm doch mitgeteilt haben: »Damaskus! Das ist die Stadt von Paulus aus Tarsus!« Vielleicht war Dioskoros in den zwölf Mondläufen seiner Sizilienreise ein anderer geworden. Bis zu dem Moment, in dem sein Gefolge durch das Tor des Anwesens ritt, hatte Barbara gehofft, dass sich für sie nichts ändern würde. Weiterleben im Turm, mit Lydia; die Angst vor dem Unbekannten, vor der Welt außerhalb ihres Turmes hatte ihr dieses Wunschdenken vorgegaukelt.

    Doch die Wirklichkeit war ganz anders. Dioskoros konnte Damaris kaum folgen, was ihm berichtet wurde, das konnte nicht sein, das wollte er nicht glauben. Er hatte seine Geschäftsbücher, sein Gesinde, seine Soldaten, seine Wächter, seine Spitzel, sein ganzes Haus wohlgeordnet zurückgelassen. In einem Jahr, in kurzen zwölf, dreizehn Mondläufen konnte sich die Ordnung in seiner Welt nicht geändert haben. Er hatte auch Lydia selbst ausgesucht. »Sie spricht perfektes Griechisch! Sie bekommt die Oberaufsicht über die Erziehung von Elena.«

    Am Trupp der Vorhut von Dioskoros konnte Barbara seine Reaktion, seinen Befehl ablesen; denn sie kamen nicht im Trab, die Tücher mit den Initialen M.D. freudig schwingend, sondern stürmten mit aufgepflanzten Lanzen und im Galopp durch die Vorhöfe. Sofort schnürten Lydia und Barbara ihre vorbereiteten Bündel. Sie hatten alles besprochen. Lydia würde zurück nach Damaskus gehen, und Barbara würde sich Richtung Osten in die Berge wenden. Dort würde sie auf Schafhirten treffen, und mit denen könnte sie leben und weiterziehen bis zur nächsten Gemeinde ihrer Bruder- und Schwesternschaft, und dort würde sie auch Valentius treffen.

    Barbara floh, wurde gefasst, vor den Richter gestellt; es vergingen Zeiten, Zeiten, die voll waren von Qualen; dann wurde das Urteil gesprochen.

    Sie hatte auch beim Verlesen des Urteils nicht geweint.

    Jedoch, als Barbara über den Gefängnishof ging und die prallen Mandelblüten sah, und das Blau, das tiefe Herbstblau des Himmels, da blieb sie stehen und weinte. Das erste Mal seit Mondläufen rannen Tränen über ihre Wangen. Sie wurde von Wachsoldaten gestoßen, sie fiel hin, sie wurde hochgerissen; sie schlugen ihr auf den Rücken, weitergehen, doch sie drehte sich neuerlich um; durch den Tränenvorhang sah sie die Knospen, und sie reckte die Arme, die Hände nach dem Baum, sie reckte sie hoch hinauf, dass der Umhang wegrutschte und die Wunden und Verletzungen, die Malträtierungen, sichtbar wurden. Mit einem Sprung hechtete Romualdo zum Baum, brach einige Mandelbaumzweige ab und drückte sie ihr in die Hand; und dann, nur weg mit ihr. Sie wurde geschoben, gezogen und geschleift, und sie rollten ihren Körper in die Zelle. Es sollte nicht heißen, dass die Tochter des Maximinus Dioskoros im Gefängnishof gestorben sei, und dass sie sterben würde, bald, in wenigen Stunden, davon waren alle überzeugt; auch sie selbst.

    Und jetzt steht Romualdo schon seit zwei Wochen jeden Tag vor den Mandelbaumzweigen und schaut und überlegt. Er hätte ihr die Zweige nicht geben dürfen; er fürchtet jeden Besuch des Richters Amaral; er fürchtet, dass ihm aus dieser Vergünstigung für die Gefangene ein Nachteil erwachsen könnte, am Ende wird er zu den Zellen mit den Ehebrecherinnen und Götterverleugnern abkommandiert, und diese Zellen meidet jeder Wärter, denn alle paar Tage muss ein halbtot geschlagener Körper herausgezogen werden; sie fallen übereinander her, aus Lust, aus Wut; ständig brauchen sie ein neues Opfer. Nur nicht die Aufsicht über die Zelle von Elena Dioskoros verlieren, und Romualdo überlegt jeden Tag, ob er die Zweige nicht besser ins Feuer werfen soll.

    Barbara sieht ihm seine Gedanken an, und sie ist erleichtert, auch dankbar, wenn er nickt, bevor er wieder aus der Zelle kriecht: »Alles in Ordnung, abschließen, bis morgen in der Frühe.«

    »Elena, Tochter des Maximinus Dioskoros, und damit Angehörige des Ersten Bürgerstandes, geboren im fünfzehnten Jahr des Herrschens von Valerius Diocletianus, erzogen nach den Grundsätzen des allmächtigen Gottes Zeus, privilegiert durch ihre Stellung als erste und einzige anerkannte Erbin und gemäß diesen Privilegien in der Astronomie, der Wissenschaft über die Götter, in der Poesie, im Tanz, in der Rhetorik, im Flötenspiel, im Bogenschießen und Speerwerfen unterrichtet und ausgebildet, schreibt ihre Geschichte, die auch die Geschichte ihrer Familie ist, auf.«

    Beim Wort »Familie« hatte der Richter fast erschrocken aufgeschaut; er hat keine Familie, er lebt allein in Izmit. Amaral hat aus Rom weder eine Frau noch Sklaven mitgebracht. Romualdo hatte Barbara erzählt: »Er braucht zu lange für ein Urteil, das sagen alle, er überlegt zu lange, das ist seine Herkunft. Er ist Römer, natürlich, das muss er sein für diese Position; aber in seiner Familie herrscht seit Generationen Unordnung, da gibt es Syrer, Juden und Griechen – und diese Unordnung hat er im Kopf.«

    Amaral besucht Barbara, um zu lesen, was sie geschrieben hat, und er schweigt tatsächlich lange und viel. Er ist so alt wie Dioskoros, glaubt Barbara; die Jahre sind ihm nur an den Augen anzusehen, die wie von einem Schleier überzogen sind. Sein Gang, seine Bewegungen sind jung wie jene von Ramin, und manchmal duftet er nach Rosenöl. Er trägt einen hellbraunen Mantel über seinem Richterkleid, die Fibeln sind mit Saphiren besetzt. Eigentlich dürfte er Barbara gar nicht besuchen, denn das Urteil ist gesprochen, es sollte längst vollzogen werden.

    Niemand in der Stadt nimmt an, dass der Richter es wagen würde, diese Verurteilte zu besuchen, ihr zuzuhören, sie am Ende noch einmal zu befragen, ohne Zeugen. Würde Dioskoros davon erfahren, er würde rasen: »Sie haben bereits alle Positionen unterwandert! Sie sind eine verschworene Gemeinschaft. Wir haben übersehen, dass sie sich überall eingenistet haben, es ist auch den Richtern nicht mehr zu trauen. Zeus, Hermes, was habt ihr aus Izmit, aus Nikomedia werden lassen!«

    Amaral hört Barbara zu, mit halb geschlossenen Augen; er kennt ihre Geschichte aus den vielen Anhörungen des Dioskoros: »Sie hatte die besten Lehrer und Priesterinnen, der Garten für ihre Spaziergänge wurde jedes Jahr erweitert; ich ließ Grotten in den Fels schlagen für ihre Badeteiche; es fehlte an nichts, um Elena zur edlen Herrin des Hauses Dioskoros zu formen.« Doch Amaral will eine weitere Seite der Wahrheit hören, jene von Barbara, wenn sie in ihrer Zelle, ohne Furcht vor Züchtigern und Peinigern, ihre Erinnerungen abspult.

    Als Elena zehn Jahre alt war, ließ Dioskoros ein Festmahl veranstalten. Nach jenem Teil der griechischen Tradition, die Dioskoros anerkennt, gelten Erstgeborene mit zehn Jahren als erwachsen, als fertig erzogen, und als Erwachsene werden sie den Geschäftsfreunden, den Verwandten vorgestellt.

    Elena wurde auf diesen Tag sorgfältig vorbereitet; sie wurde in meerblaue Seide gekleidet; sie beherrschte längst den Tanz zum Flötenspiel und schwebte dabei geschmeidig im Kreis der halbwüchsigen Sklavenknaben; sie war unterwiesen in der Konversation bei Tisch und in der Konversation in den Räumen der Frauen; sie spielte Harfe, sang, in ihr honigfarbenes Haar wurden feine Goldketten gewunden, und endlich, am Tag des Festes überreichte ihr Dioskoros, ihrem Stand entsprechend, die mit Edelsteinen besetzten Brokatsandalen.

    Dioskoros hatte für seine erwachsene Tochter, zur offiziellen Vorstellung seiner Erbin, das Haus erweitern lassen. Wandelhallen waren angebaut worden, Springbrunnen zwischen Alleen gesetzt, Gräben für Wettkämpfe angelegt. Keiner seiner Gesinnungsfreunde sollte sagen: »An seiner Lebensführung ist es noch immer zu sehen, dass seine Vorfahren Krieger des zweiten Standes waren.« Diese Beleidigung hätte ihn zutiefst getroffen; welcher Makel wäre das, würde ein Gast sein Haus nur als eine Raststätte für einen Krieger empfinden, bevor dieser zum nächsten Feldzug aufbricht. Das Haus von Dioskoros war ein Ort der Muße, der Kultur des Müßigganges, der Zerstreuungen; zumindest sollten Gäste es so empfinden.

    Für den Festtag von Elena war das Haus auch besonders geschmückt; um die Zeusstatue im Innenhof rankten sich Blumen in Goldgelb und Weiß, aus Metallpfannen wölkte Myrrhedampf, überall standen silberne Wasserschalen, gefüllt mit Jasminwasser. Jeder der Sklaven und Diener musste an Festtagen zum üblichen Gruß zu Zeus – »Ich gehorche!« –, nicht nur das Knie beugen, sondern auch einige Tropfen Jasminwasser Richtung Zeus werfen. Nach wenigen Stunden tropfte dann von der Goldauflage der Statue das Jasminwasser, und es schlurften alte Sklaven aus den Gewölben daher, die sich ihr Essen und ihre Bettstatt mit Weissagungen und Wahrsagerei verdienten. An der Größe, der Dichte und der Form der Tropfen lasen die ausgedienten Sklaven den angeblichen Willen von Zeus ab. Selbstverständlich hatten die Weissagungen fast immer denselben Inhalt, denn die armen Alten mussten Dioskoros schmeicheln, also weissagten sie: Die Geschäfte von Dioskoros werden sich gut entwickeln, er wird sich eines Konkurrenten entledigen; er sei zu nachsichtig zu seinen Schreibern und Münzmeistern, überhaupt sei er zu milde zu allen Sklaven; Zeus erwarte mehr Gehorsam, mehr Münzen aus dem Handel mit Holz und mehr Mut beim Einsparen der Steuerzahlungen nach Rom.

    Für Dioskoros galten diese Prophezeiungen als Mitteilungen von Zeus persönlich und wurden deshalb von ihm zur Eröffnung der Tafel verkündet. Er ließ seinen Becher mit Rotwein füllen, und mit einem Schluck aus dem Silberbecher, mit einer Verneigung vor Dioskoros wurden von jedem Gast Hausgesetz und Weissagung anerkannt.

    Der Beginn jedes Festes galt überhaupt der Reinigung und Vergeltung; saßen Kriegskameraden, Geschäftspartner am Tisch, die Dioskoros bei einer Holzlieferung benachteiligt hatten, die ihm einen Dieb in seine Bäder geschickt hatten, die ihm einen Wächter ausgetauscht hatten? Dann sank einer der Gäste nach der ersten Runde Wein röchelnd vom Stuhl. »Gift.« Doch keiner sprach dieses Wort laut aus. War mit dem soeben zu Boden Geglittenen der Zorn des Hausherren, und damit auch der Zorn von Zeus besänftigt, dann wurde nur rasch beiseite getreten, damit der Tote weggeschafft werden konnte.

    Dioskoros rief schon nach weiteren Wachen, die Speisen mussten von zwei Dienern vorgekostet werden, und er befahl, die Hermes-Statue mit Fackel- und Flötenbegleitung in den Speisesaal zu tragen.

    Den Götterboten Hermes fürchtete er mehr als Zeus; Hermes ist nicht zu trauen, er rächt sich für jeden Ungehorsam, verwandelt einen guten Rat in eine Falle, wenn Dioskoros nicht ständig nach einer Vermehrung seiner Güter trachtet. Bei Zeus reicht Gehorsam, bei Hermes ist Huldigung das oberste Gebot. »Möge ihr Geist wendig werden wie jener von Hermes«, hatte Dioskoros oft geflüstert, wenn er die Studierstube von Elena verließ, und er war sofort zur Statue gelaufen und hatte mit Verbeugungen und ausgebreiteten Armen um Wohlgesonnenheit gefleht.


    Beim Festmahl zu Elenas zehntem Geburtstag, zur Zeremonie anlässlich ihres Eintrittes in das Erwachsenenalter, wimmelte es im Speisesaal von Menschen. Es waren zwar nur drei Dutzend Gäste eingeladen, hohe Zollbeamte mit ihren Sekretären, Kapitäne mit ihren Geographen und Astronomen, der Inhaber der Schreibstube mit seinem Oberschreiber, der das Ägyptische, das Hebräische, das Aramäische, das Lateinische und Persische beherrschte, die beiden Advokaten, die für Dioskoros die Prozesse gegen Konkurrenten führten, der Oberste Stadtverwalter mit dem Steuereintreiber – doch alle waren mit ihren Wächtern gekommen. Dioskoros selbst hatte für dieses Fest die gleiche Zahl an Wachsoldaten befohlen, wie Gäste eingeladen waren, und nun waren die Wachposten bei weitem in der Überzahl. Diese schweigenden Männer in Dunkelblau und Dunkelgrau standen hinter den Gästen. Jeder Wächter, jeder Wachsoldat blickte in sich gekehrt auf seinen Herrn, beobachtete jede Handbewegung, jede Berührung, sei es das Weinglas, das Mundtuch oder die Hand des Sitznachbarn. Überall konnte Gift lauern oder ein feiner, scharf geschliffener Glassplitter verborgen sein, oder der Staub aus dem Pulver der Passionsfrucht, um die Sinne zu reizen und zu kühnen Reden und zu viel Offenheit aufzustacheln. Jeder Schluck Wein, jeder Bissen vom Fladen, vom Lamm, von den kandierten Früchten, die Feigen, die Weintrauben, die Mandeln, der Honig, alles wurde vorgekostet, in Windeseile wurden oft Essensgerät, Gläser, Teller ausgetauscht.

    An dieser Tafel saßen nur drei weibliche Menschen: Berenike, die Mutter von Elena, Lamia, die Schwester von Berenike, und sie, die zehnjährige Elena. Die anderen Frauen saßen separiert im östlichen Teil des Speisesaales.

    Nach den Trinksprüchen mit den Glückwünschen für Elena wurden die Speisen aufgetragen, und dann begann für Elena der Tanz. Mit Leiern, Harfen und Posaunen wurde der Reigen gespielt, und Elena bewegte sich

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