Fantastische Reise: Eine Kegelei
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Über dieses E-Book
Der Hohe Rat der Zauberer hatte sich zu seiner Unterhaltung als Meisterstück ein originelles Spiel von Primus gewünscht. Jedes Teil des Spiels sollte eine interessante Geschichte erzählen können. Primus kommt auf die Idee, dem Hohen Rat ein Kegelspiel mit höchst individuellen Kegeln, zum Beispiel einer verzauberten namenlosen Prinzessin, einem verzauberter Maulwurf, einer verzauberten Viola, zu präsentieren. Für sieben Kegel wählt er die Farben des Regenbogens, und flankiert sie mit einem schwarzen und einem weißen Kegel. Die Kegel verflucht ein erboster Kollege von Primus zu ewigem Kegeldasein. Primus kann den Fluch gerade noch auf einen unbestimmten Zeitraum abmildern. Die Kinder machen die „Fantastische Reise“, finden die Kegel in den verschiedenen Ländern und ...
Henning Hallwachs
Henning Hallwachs wurde 1943 in Österreich geboren. Nach diversen Schulbesuchen in Ost und West studierte er Psychologie. Schon als Kind machte er sich bei den Pflegegeschwistern seiner Gastfamilien, in denen er vorübergehend lebte, als Geschichtenerzähler beliebt. Zuhören und Erzählen waren seine Stärken, Lesen und Schreiben weniger; so wenig, dass er öfter schulisch an miserablen Deutschnoten zu scheitern drohte. Heute lebt er verheiratet in Hamburg und schreibt so dit und dat, geht auf fantastische und reale Reisen. Und Lesen ist inzwischen eines seiner Hobbies.
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Buchvorschau
Fantastische Reise - Henning Hallwachs
Für
Mela - Melinchen
Inhalt
Das Schloss des Zauberers
Der Wandergeselle
Stephanie und Stephan
Die Schöne aus Mascharia
McDonald‘s
Das schrumpfende Herz
Im Britischen Museum
Philipps Wanderschaft
Vom Untergang eines Reiches
Maulwurfsoldaten
In der Moskauer Metro
Schlappelino
Bei den Bouquinisten in Paris
Florie – Florence
Auf der Suche nach dem Schwarzen
Die Geschichte der verzauberten Kegel
Lehrjahre
Kegeleien
Am Ende des Regenbogens
Primus wird verhaftet
Der Hohe Rat
Im Kegelkeller
Primus erwacht
Alle Neune
Die Kegel
Das Schloss des Zauberers
Vor langer Zeit saß ein Zauberer in seinem baufälligen Waldschloss und langweilte sich. Er langweilte sich ohne Ende, denn die Menschen brauchten ihn nicht mehr. Sie glaubten nicht mehr an Zauberei, sie sprachen verächtlich von „faulem Zauber", machten sich über den Zauberer lustig, verspotteten ihn. Um den Zauberer war es still geworden. Keiner kam mehr, um ihn zu bitten, dies oder das zu zaubern; einen guten Menschen mit einem Sack voll Gold, wenn es das war, was er sich wünschte, zu belohnen, einen bösen zu bestrafen, ihn – wenn es sein musste – in ein Wildschwein oder Känguru zu verwandeln.
Die endlose Langeweile stimmte den Zauberer traurig, lag gewichtig auf seinen Schultern als habe er einen Sack voll nassen Mehls zu schleppen, sie malte ihm Furchen in die Stirn, Ringe unter die Augen, trübte seinen Blick, zerrte an seinen Mundwinkeln, dass sie herunterhingen wie die Enden eines Schals. Morgens mochte er nicht mehr aufstehen. Wenn überhaupt, tauschte er erst mittags, nachmittags, abends den fadenscheinigen Morgenmantel gegen den mit verblassten Sternen verzierten Zaubermantel aus ehemals azurblauer Seide.
„Das Leben macht keinen Spaß mehr, murmelte er vor sich hin und half dem Fuchs, der seit Urzeiten bei ihm wohnte, auf seinen Schoß. „Das wärmt! Tut den Knochen wohl, ich danke Dir, lieber Freund!
Seine unzähligen Zaubersprüche gegen seinen Rheumatismus, das Ziehen und Stechen in Beinen und Armen und Fingern, hatten nichts geholfen. Anderen hätte er Schmerzen lindern, Wunden heilen, die Pest oder AIDS¹ anzaubern können. Nur sich, sich konnte er nicht helfen – Zaubererschicksal.
Er litt und wurde von Tag zu Tag verzagter, sein früher einmal schwarzer Bart war ergraut, wurde weiß. Fast so fein wie Spinnennetzfäden wurden die Haare. Er hungerte, ohne es zu merken, wurde dünn und dünner, klein und kleiner. Der Zaubermantel umflatterte ihn wie eine Zeltplane, begrub ihn fast. Und eines Tages war er nicht mehr da, hatte er sich in Luft aufgelöst, war vielleicht sogar gestorben – wenn Zauberer sterben können. Sein Fuchs hielt einsam Wache bis ihn der Hunger in die Wälder zur Jagd trieb und ward – wie es in alten Märchen heißt – nie mehr gesehen.
Der Wandergeselle
Das Schloss zerfiel und die Ruine im wilden Wald geriet in Vergessenheit. Nur ab und zu suchten Wanderer oder Landstreicher oder Räuber², wüste Burschen, in ihrem Gemäuer Schutz vor Gewittern und Unwettern oder nächtigten dort. Einer von ihnen, ein Geselle auf Wanderschaft, erinnerte sich vage an Geschichten, Gerüchte von einem Zauberer, der hier in der Gegend in einem Schloss gewohnt haben soll. Weil er nichts anderes zu tun hatte, schaute er sich in der Ruine etwas um, kraxelte auf Mauern und Turmreste und fand, fast schon vom Waldboden verschluckt, hinter einem Gebüsch eine morsche Türe, die sich nach einigen vergeblichen Versuchen mit Kraft spaltbreit öffnen ließ.
Ein Moder-, Gruft-, Kellermief, eine üble nasskalte Luft strömte ihm aus dem Verlies entgegen. Trotzdem quetschte er sich durch den Türspalt. Dunkelheit empfing ihn so stockduster, dass er sich fluchtartig zurück nach draußen quälte. Eine Fackel wäre gut, dachte er, und da lag sie, direkt vor seinen Füßen, ein knorriger, harziger Knüppel von Unterarmlänge, trocken wie Zunder, obwohl ringsum das Laub am Boden ziemlich feucht war. Unheimlich, dachte er, ob das wohl mit rechten Dingen zugeht? Kaum hatte er Feuer an den Knüppel gehalten, entzündete er sich. Eine helle, ruhige Flamme leuchtete ihm den Weg. Hinter der Türe führte eine Steintreppe – nass und glitschig – in die Tiefe.
Schon bald hatte sich der Geselle an die dicke Luft gewöhnt, fast ebenso schnell hatte er sein mulmig ängstliches, beklemmendes Gefühl vergessen. Zwar noch längst nicht frohgemut aber beherzt stieg er hinab. Was sollte ihm schon geschehen? Wer glaubt denn noch an Geister, Kobolde, Hexen? Er nicht, nicht unbedingt aber – konnte er es wirklich wissen?
Nach wenigen Stufen stand er in einem schmalen, wie es bei dem begrenzten Schein seiner Fackel schien, langem Kellerraum oder Flur. Am Ende dieses Gelasses fand er aufrecht stehend einen roten Kegel und daneben eine Kegelkugel. Warum nicht, dachte er, hob die Kugel auf und wunderte sich kurz über deren Gewicht. Sie schien ihm schwerer, viel schwerer als übliche Kegelkugeln. Er ging zurück, erklärte den schmalen, länglichen Raum zur Kegelbahn, und warf die Kugel Richtung Kegel. Die Kugel pflügte sich geradezu durch den fingerdicken Staub auf der Bahn, rollte langsam aber stetig auf ihr Ziel zu und der Geselle dachte: Hier ist es kalt und dunkel wie in einem Grab. Ach, wäre ich doch in der warmen Sonne! In dem Augenblick erreichte die Kugel den roten Kegel: „Klick…, hörte er noch, dann war er weg, aus dem Kellerloch verschwunden. Das „-e di klack
erreichte ihn nicht mehr³.
Stephanie und Stephan
Wiederum Jahrzehnte später lud Stephanie ihren Freund Stephan zu einem Picknick ein. Sie fuhren mit Stephanies Eltern in der nicht mehr ganz neuen, eigentlich schon ziemlich klapperigen Familienkutsche, einem Peugeotkombi der älteren Bauart, die kurze Strecke zum Wald hinaus, zum so genannten Zauberwald. Dem war mit den Jahren die Stadt mit ihren gefräßigen Vorstädten ziemlich nah auf den Pelz gerückt. Das war ihm nicht gut bekommen. Wege und Picknickplätze hatten sich in ihm breit gemacht. Im nördlichen Teil hatten die Menschen ihm sogar ein Stück Autobahn zugemutet.
Aus einem Urwald war größtenteils ein langweiliger Nutzwald geworden. Nur in der Nähe des Picknickplatzes, den Stephanies Eltern ansteuerten, war ein Rest vom Wald unberührt geblieben, eine Urwaldoase. Darin soll es, wurde gemunkelt, spuken. Den Kindern drohte man mit bösen Hexen und Waldschraten, Kobolden und Trollen, die dort hausen sollten. Eigentlich wollte man sie nur davon abhalten, den Wald zu betreten, sie könnten sich in dem Dschungel zu leicht verlaufen. Stephanie und Stephan kümmerte das wenig. Einerseits waren sie für solche Gruselmärchen schon zu alt, andererseits fühlten sie sich zusammen stark, so richtig stark wie zwei von den drei Musketieren. Wer hätte ihnen schon was anhaben können?
Stephanie und Stephan waren ein Herz und eine Seele und das nicht nur ihrer Namen wegen. Als sie noch in einem Alter waren, in dem sie nicht nur mit dem Nintendo sondern auch noch „Heiraten gespielt hatten, hatten sie es „Liebe
genannt. Solche Inszenierungen hatten sie vorher geplant, ihre jeweiligen Rollen abgesprochen und sich Fantasienamen gegeben: „Lieben Sie mich, Fräulein Henriette? hatte Stephan als Herr von Hofmeister gefragt, und Stephanie hatte Henriette gemäß geantwortet, mit schüchtern abgewandten Gesicht und leicht zur Seite geneigtem Kopf gehaucht: „Ja, Herr von Hofmeister!
„Stephanie, mal im Ernst, liebst du mich? „Ja, doch!
, Fräulein Henriette leicht verärgert. „Du liebst mich wirklich, Stephanie? „Ja, nun lass uns endlich heiraten!
Der aus seiner Rolle gefallene Stephan erschrak, fand nicht zurück zu Herrn von Hofmeister. Stephanie begriff, lachte schallend und erzählte die Geschichte brühwarm ihrer Mutter. Das hätte die Freundschaft der beiden beinahe kaputt gemacht, wie ein Eisregen im Frühjahr Kirschblüten erstarren lässt.
Inzwischen machten die beiden keinen Hehl mehr aus ihrer Freundschaft auch wenn weder sie noch er bereit gewesen wäre, von Liebe zu sprechen. Wenn jemand auf der Straße oder dem Schulhof meinte, über ihre Zweisamkeit lästern zu dürfen,