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Verehrungswürdigste Mutter - Mein lieber Fritz …: Briefwechsel zwischen Friedrich Hölderlin und seiner Mutter Johanna Gock
Verehrungswürdigste Mutter - Mein lieber Fritz …: Briefwechsel zwischen Friedrich Hölderlin und seiner Mutter Johanna Gock
Verehrungswürdigste Mutter - Mein lieber Fritz …: Briefwechsel zwischen Friedrich Hölderlin und seiner Mutter Johanna Gock
eBook543 Seiten6 Stunden

Verehrungswürdigste Mutter - Mein lieber Fritz …: Briefwechsel zwischen Friedrich Hölderlin und seiner Mutter Johanna Gock

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Über dieses E-Book

Von Friedrich Hölderlin existieren rund 130 Briefe an seine Mutter. Die Briefe der Mutter an den Sohn sind – bis auf eine Ausnahme – leider verschollen. In diesem "Briefroman" hat die Autorin der Mutter, Johanna Gock, behutsam ihre Stimme geliehen und die Briefe an den Sohn neu geschrieben, während die des Sohnes den Originalen entsprechen.
So entsteht ein Bild des Dichters, das die vielen Biografien um eine mütterliche Perspektive ergänzt. Der Leser bangt mit der Mutter um die Gesundheit des Sohnes, erkennt früh die widersprüchlichen Stimmungen des jungen Dichters, staunt über das viele Geld, das er verbraucht ... Und während der Jahre im Turm ist die Mutter praktisch der einzige Mensch, dem Hölderlin noch schreibt.

Anlässlich des 250. Geburtstags wurde viel über den Dichter berichtet. Wann immer dabei der Name der Mutter fiel, musste man den Eindruck gewinnen, dass Johanna Gock ihrem Sohn das Leben schwer gemacht habe; mit mehr Verständnis auf ihrer Seite hätte der junge Dichter ein sorgenfreieres Leben führen können.
Die Briefe des Sohnes sprechen eine andere Sprache. Seiner jeweiligen Stimmung entsprechend klingen sie zärtlich liebevoll oder selbstanklagend und voller Selbstmitleid. Man kann hier das empfindliche Naturell, die depressive Veranlagung Hölderlins sehen, die die Mutter früh spürte und den Sohn dennoch niemals im Stich ließ. Sie hatte immer ein offenes Ohr, vor allem aber immer einen Platz in ihrem Haus für ihn. Selbst zu Sparsamkeit erzogen, bezahlte sie stets die Rechnungen des Sohnes, der zeitweilig auf großem Fuß lebte. Dreimal änderte sie ihr Testament, um sicherzustellen, dass ihr Fritz auch nach ihrem Tod versorgt sein würde.
Und wenn sie auch vieles nicht verstand, was ihr Sohn schrieb oder was er tat: Sie hat immer zu ihm gehalten.
SpracheDeutsch
HerausgeberSolibro Verlag
Erscheinungsdatum23. Sept. 2021
ISBN9783960790839
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    Buchvorschau

    Verehrungswürdigste Mutter - Mein lieber Fritz … - Ulrike Mross

    Johanna Gock

    wurde am 8. Juli 1748 in Frauenzimmern (Württemberg) geboren. Der Vater Johannes Heyn (Hein) kam aus einer thüringischen Bauernfamilie und hatte in Tübingen Theologie studiert. Die Mutter stammte aus der schwäbischen Ehrbarkeit, wo viele Söhne zum Pfarramt erzogen wurden.

    Johanna heiratete 1766 den Klosterhofmeister Heinrich Friedrich Hölderlin (1736 – 1772) aus Lauffen, wo die junge Familie auch wohnte. Hölderlin hatte in Tübingen Jura studiert und das Amt des Klosterhofmeisters von seinem Vater übernommen. Außerdem hatte er eine ansehnliche Landwirtschaft. Bei der Hochzeit war also Geld zu Geld gekommen.

    Erst 4 Jahre nach der Eheschließung kam das erste Kind zur Welt: der Sohn Johann Christian Friedrich. 1771 kam die Tochter Johanna Christiana Friderica (gestorben 1775), und Johanna war mit dem dritten Kind schwanger, als ihr Mann plötzlich 1772 starb. Zwei Monate später starb auch noch ihr Vater, sodass sie ihre Mutter zu sich nahm. Am 15. August kam die Tochter Maria Eleonore Heinrice zur Welt, von der Familie „Rike" genannt.

    1774 heiratete Johanna Hölderlin den Amtsschreiber Johann Christoph Gock (1748 – 1779) und zog mit ihm nach Nürtingen. Gock war Sohn eines Schulmeisters. Mit dem Geld, das Hölderlin ihr hinterlassen hatte, konnte Johanna in Nürtingen ein großes Haus kaufen, den sog. „Schweizerhof". Gock war ein tüchtiger Mann, baute einen Weinhandel auf (der allerdings nicht gut lief) und wurde zum dritten Bürgermeister gewählt. Bei einem Hochwasser-Einsatz holte Gock sich 1779 eine Lungenentzündung, an deren Folgen er wenige Tage später starb.

    Von ihm hatte Johanna noch 4 Kinder:

    •Anastasia Carolina Dorothea (18.8.1775 – 19.10.1775)

    •Karl Christoph Friedrich (1776 – 1849)

    •einen namenlosen Sohn (Nov. 1777)

    •Friederika Rosina Christiane (1778 – 1783)

    Weitere Todesfälle in der Familie (Schwager, Schwägerin) belasteten die junge Witwe.

    Dennoch brachte sie die Energie auf, für sich und die Kinder zu sorgen. Sehr klug verwaltete sie das Erbe, sodass ihr kranker Sohn Fritz bis zu seinem Lebensende gut versorgt war.

    Was Schwermut sei und worin ihr existentieller Sinn bestehe, ist nicht leicht zu sagen, denn ihre Äußerungen sind sehr vielgestaltig, und sie ist dem Leben wie dem Tode, dem Schaffen wie der Zerstörung benachbart. Der schwermütige Mensch ist zuinnerst gebunden; von einem Bereiche her, der vor dem gestalteten, handelnden und schaffenden Dasein liegt. Das meint nicht, er sei kalt oder stumpf; gleiche Begabung vorausgesetzt, steht er in einer tieferen Beziehung zum Leben als andere. Er empfindet stärker und zarter; seine Freuden sind leuchtender und seine Schmerzen wehtuender. Aber er ist vom Innersten her nicht ganz in eigenen Stand und eigenes Handeln freigegeben. Er ist fühliger für Form und Geschehnis als andere, erfährt tiefer den Sinn der Dinge und wenn er schöpferisch begabt ist, dann wird jener Zusammenhang mit den Urmächten gerade zur Quelle, die sein Werk speist; er selber wird dessen aber nicht eigentlich froh, denn in jede Stunde, durch deren Handeln und Leiden der Mensch sonst sich selber lebt, greifen die Mächte hinein und holen den Schwermütigen zurück. Er ist wissender als andere, mit dem Wissen des Eingeweihtseins in die Tiefe; aber das Wissen hilft ihm nicht viel, denn es formt sich nicht zu Werkzeug und Waffe, sondern gibt allem nur eine größere Schwere. Er strebt danach, in klare Gestalt und freies Handeln zu gelangen, das Tastende zu überwinden und ins Helle aufzusteigen; aber es gelingt nur immer schwer und für eine kurze Strecke. Wenn er freilich, von den Kräften des Geistes und einer selbstlos ihn meinenden Liebe getragen, durch beständige Überwindung zur Gelassenheit und Weisheit durchdringt, dann erscheint ein Menschentum, das höher steht, als das der von vornherein Freigegebenen, Erfolgreichen und Glücklichen.

    Hölderlin war ein schwermütiger Mensch, und die Überwindung blieb ihm versagt. Seine Schwermut hat in der Nacht geendet.

    In seinem Werke wird sie überall fühlbar. Sie ist es, die sein Empfinden so zart, zugleich aber so schmerzlich und gefährlich stark macht. Aus ihr kommt die tiefe Traurigkeit und auch die Lieblichkeit und wieder der unsägliche Freudenglanz seiner Sätze. Aus ihr die besondere Nähe, Dringlichkeit, ja Überwertigkeit, welche den in ihm herrschenden Vorstellungen eignet.

    Romano Guardini (Hölderlin, Weltbild und Frömmigkeit)

    Februar 1785

    Lieber Fritz,

    es ist nicht gut, dass Du Tadel oder Strafen bekommst. Halte Dich immer an die Vorschriften und Gebote, dann wird alles gut sein. Dass Du zwei Tage ohne Tischwein warst, ist ja nicht so schlimm. Ich hoffe doch, es wird nicht wieder vorkommen, dass Du wegen Vernachlässigung Deiner Pflichten getadelt werden musst. Oder – was Gott verhüte – dass Du wegen einer Missetat in den Karzer kommst!

    Mach Deiner Mutter (und Deinen beiden Vätern) keine Schande.

    Es liebt Dich innig

    Deine Mamma

    März 1785

    Lieber Fritz,

    mit Deinem Zeugnis bin ich recht zufrieden. Latein, Griechisch und Hebräisch wirst Du ja als Pfarrer brauchen, und wenn Du auch in Poesie ein „gut" bekommen hast, so kann das nicht schaden. Das Poetische hast Du von Deinem Herrn Vater. Er hatte eine lustige Ader und konnte manchmal aus dem Stegreif heraus ein Gedichtlein für mich machen. Aber er hat darüber nie seine Pflichten vergessen!

    Die Tante Friederike erwartet Dich in der Ostervakanz in Gröningen. Zuerst wirst Du aber heimkommen, schon wegen der Wäsche. Und weil wir Dich natürlich auch alle sehen wollen. Vielleicht fahren wir dann alle zusammen zur Tante und Du bleibst dort bis zum Ende der Vakanz.

    Wir freuen uns alle auf Dich, am meisten

    Deine Mamma

    Juni 1785

    Lieber Fritz,

    war der Herzog da zur Visitation? Schreibe uns doch darüber. Das ist sicher ein großes Ereignis, und Ihr müsst Euch alle von der besten Seite zeigen und dürft dem Herrn Prälat keine Schande machen. Nicht jedem ist es vergönnt, in einer Klosterschule lernen zu dürfen – Du hast also Grund zur Dankbarkeit.

    Mich plagen Zahnschmerzen, die Großmutter die Gicht.

    Es grüßt Dich Deine liebe Mamma

    September 1785

    Mein lieber Bub,

    danke für Deinen Brief und das Gedichtchen. Rike hat es uns vorgelesen, und wir waren alle sehr beglückt. Machst Du solche Dichtungen privatim oder gehört es zu den Pflichten? Dann pass nur auf, dass Du nicht zu viel Zeit für solcherlei Vergnügungen verbrauchst – und die wichtigen Aufgaben nicht zu kurz kommen.

    Uns geht es gut. Es gibt viele Äpfel dieses Jahr. Auch das Korn ist ordentlich gediehen. Nun heißt es die Wintervorräte anzulegen.

    Ich werde Dir bei Gelegenheit ein Körble Äpfel schicken – wenn Du mit Deinen Zimmergenossen brüderlich teilst, wird der Herr Prälat doch nichts dagegen haben. Du warst so blass bei Deinem letzten Besuch; ich mach mir schon bissle Sorgen. Sicher schläfst Du auch zu wenig. Ihr müsst nicht die ganze Nacht Gedichte vorlesen oder debattieren. Der folgende Tag ist ja immer lang genug.

    Immer Deine

    Dich liebende Mutter

    Dezember 1785

    Lieber Fritz,

    es ist schon spät, aber ich kam nicht eher aus der Küche. Neben der täglichen Arbeit heißt es jetzt Gutsle und Lebkuchen backen. Wir wollen es an Weihnachten doch recht hübsch haben.

    Auch hat die Schlachterei zusätzlich viel Arbeit gemacht. Und die Großmutter ist unpässlich, sodass ich doch recht viel schaffen muss.

    Aber ich will doch nicht versäumen, Dir einen lieben Gruß zum Advent zu schicken. Übe fleißig auf dem Klavier, damit Du uns an Weihnachten mit der Musik beglücken kannst. Rike übt auch. Sicher könnt Ihr dann zusammen vierhändig spielen. Karl zeigt nicht recht viel Liebe zum Musizieren, aber er hat eine schöne Stimme und wir singen recht hübsch zusammen.

    Mehr kann ich heute nicht schreiben, denn mein Kopf ist grad zu sehr von Weihnachtsgeschäften eingenommen.

    Wir freuen uns auf Deine Zeit bei uns

    und versichern Dir unsre Liebe

    Deine Mutter nebst Großmutter und Geschwister

    Liebste Mamma!

    Wann diesmal mein Brief etwas verworrener ist als sonst, so müssen Sie eben denken, mein Kopf sei auch von Weihnachtsgeschäften eingenommen, wie der Ihrige – doch differieren sie ein wenig: meine sind, ohne das heutige Laxier, Plane auf die Rede, die ich am Johannistage bei der Vesper halte, tausend Entwürfe zu Gedichten, die ich in denen Cessationen (vier Wochen, wo man bloß für sich schafft) machen will, und machen muß (NB. auch lateinische), ganze Pakete von Briefen, z. E. HE. Helfer, HE. Klemm, HE. Bilfinger, nach Altona, und was die Sachen als sind, und die Ihrigen sind, – was sie eben sind.

    Was die Besuche in den Weihnachten betrifft, so bin ich eher so frei, Sie hieher einzuladen, weil mich das Geschäft am Johannistage, wie gesagt, nicht leicht abkommen läßt. Die l. Geschwisterige werden sich wieder recht freuen; aber, im Vertrauen gesagt, ists mir halb und halb bange, wie sie von mir beschenkt werden sollen. Ich überlasse es Ihnen, liebste Mamma, wanns ja so ein wenig unter uns beim alten bleiben soll, so ziehen Sies mir ab, und schenken ihnen in meinem Namen. Der l. Frau Großmamma mein Kompliment, und ich wolle Ihr auch ein Weihnachtsgeschenk machen --- ich wolle dem l. Gott mit rechter Christtags-Freude danken, daß er Sie mir auch dieses beinahe vollendete Jahr wieder so gesund erhalten habe. Ohnerachtet meines Laxiers bin ich doch im übrigen recht wohl. Bei mir ists zwar nicht zu spät, wie bei Ihnen, doch weiß ich eben nichts mehr zu schreiben, als daß ich bin

    meiner liebsten Mamma

    gehorsamster Sohn Hölderlin.

    Hier schicke ich etwas, die Weihnachtsgeschäfte zu zerstreuen. Wann Sies ja nicht selbst lesen wollen, so lassen Sie sichs nur wenigstens von dem l. Geschw. vorlesen, es wird Ihnen recht wohl gefallen. Schickens Sies nur so bald als möglich zurück. Die anderen Teile sollen auch folgen. Auch die Bouteille bitte ich mir zu schicken, sie war entlehnt. HE. Harpprecht von Nellingen hat mich gestern besucht und mich um den 4ten Teil vom brittischen Museo gebeten.

    Weihnachten 1785

    Mein lieber Fritz,

    das wird ein trauriges Weihnachten sein, wenn Du nicht bei uns sein kannst. Aber wenn Du am Johannistag predigen musst, so geht das halt vor. Sicher hat Dein Durchfall damit zu tun: Du bist aufgeregt, hast ja einen Hang zur Schwermut und nimmst manchmal die Dinge zu ernst. Dabei müsstest Du in diesem Fall wirklich keine Sorgen haben, denn die Predigt wird Dir ganz sicher gelingen. Du hast ja überall gute Noten, Du kannst auch vor anderen Menschen vortragen – Du wirst sehen, es wird alles gut!

    Der Rike habe ich in Deinem Namen ein feines Stück Stoff besorgt; sie kann daraus eine Haarschleife nähen oder ein Halsband. Dem Karl habe ich für seine Menagerie zwei Tiere dazu gekauft (ein Pferd und eine Kuh). Und für die Großmutter ein Stück Seife. Sie werden sich alle bei Dir noch eigens bedanken.

    Nun wünschen wir Dir alle von Herzen ein frohes Christfest.

    Bleib gesund, lerne brav und sei gewiss der Liebe Deiner

    Mamma, Großmutter und Geschwister

    März 1786

    Lieber Fritz,

    wie sehr freuen wir uns alle auf Dein Kommen! Sich sonntags ein Stündchen beim Spazierengehen zu sehen, ist doch herzlich wenig. Wie schön wäre es, wenn Ihr Seminaristen am Sonntag heimkommen dürftet – ich würde so gern was recht Gutes für Dich kochen. Du scheinst mir doch arg dünn zu sein, und die Buben in Deinem Alter, die noch im Wachstum sind, brauchen doch eine kräftige Kost. Also, wenn Du kommst, dann will ich Dich recht verwöhnen.

    Die Konfirmation findet am Sonntag nach Ostern statt. Ich habe der Rike mein Konfirmationskleid umgenäht – sie sieht ganz allerliebst darin aus.

    Die Gröninger und die Löchgauer werden kommen – das wird ein schönes Fest werden! Ich bin mit der Magd schon am Schaffen!

    Aber am meisten freue ich mich darauf, dass Du dann mal wieder für einige Tage bei uns bist.

    Bis dahin die liebsten Grüße von Deiner Mamma

    Oktober 1786

    Lieber Fritz,

    dies ist mein erster Brief an Dich nach Maulbronn. Das war doch noch mal ein größerer Schritt, ein weiterer Weg von uns fort. Nun wird es nichts mehr damit, sich sonntags auf ein Stündlein zu sehen, dazu ist die Entfernung zu groß.

    Ich hoffe, es gefällt Dir an diesem Ort besser als in Denkendorf. Und Du bist jetzt kein kleines Kind mehr, weißt so allmählich, worauf es ankommt und dass es wichtig ist, sich anzustrengen und an die Regeln zu halten. Wenn Dir auch manches streng vorkommt, so hat doch alles seinen Sinn. Viele Deiner Vorfahren sind diesen Weg auch gegangen, und es war gut so. Du wirst jetzt neue Fächer dazu bekommen, und sicher wird vieles Dich interessieren. Gedichte kannst Du ja trotzdem schreiben – zu Deinem und zu unserem Plaisier.

    Sei Gott befohlen

    Deine Mamma

    Dezember 1786

    Lieber Fritz,

    so sehr ich mich über Deine Briefe immer freue, so sehr sorge ich mich auch um Deine Gesundheit. Der Schultag ist anstrengend genug – da musst Du in der Nacht unbedingt schlafen. Auch gibt eine Kerze ja nicht viel Licht zum Lesen oder Schreiben, und Du sollst Dir nicht die Augen verderben.

    Neulich traf ich den Helfer Köstlin, und er fragte nach Dir. Es freut ihn sehr, dass seine Hilfe an Dir solche Früchte trägt und dass Du ihm so herzlich zugetan bist. Deine guten Zeugnisse nimmt er beinahe für seine Erfolge – was sie ja ein wenig auch sind. Wenn Du mir im nächsten Brief einen Gruß an ihn ausrichten lässt, wird er sich freuen; Du sollst seinetwegen nicht noch mehr (nächtliche) Arbeit haben.

    Dass Du Weihnachten nicht bei uns sein kannst, ist ja schon Gewohnheit – solche Opfer muss halt auch die Familie bringen. Die Großmamma und die Geschwister legen Dir eigens Briefe bei. Wir werden beim Singen und beim Essen aber ganz fest an Dich denken. Ich hoffe, im Kloster gibt es auch etwas Besseres als sonst.

    Von den 10 Gulden, die ich Dir beim Einzug mitgegeben habe, darfst Du Dir zu Weihnachten etwas kaufen – aber denke daran, dass dieses Geld noch lange ausreichen muss.

    Ich stelle mir vor, dass Ihr schöne Andachten haltet an den Festtagen, und dass Ihr auch einige Mußestunden habt. Jedenfalls wünschen wir Dir alle gute, gesegnete Christtage

    und behalten Dich im Herzen lieb

    Deine Mamma

    Januar 1787

    Lieber Fritz,

    ich mache mir Sorgen um Dich. In Deinem Alter sollten die Buben (oder besser gesagt die Jünglinge) doch vor Lebenslust jauchzen und springen – aber Du bist immer so traurig. Und unter den 28 Mitschülern findest Du keinen Freund? Vielleicht musst Du zuerst einmal auf einen zugehen, ihre Späße mitmachen – damit Du sie besser kennenlernst und sie Dich. Oder meiden sie Dich, weil Du manchmal so jähzornig wirst? Da müsstest Du allerdings auch noch an Dir arbeiten. Nicht nur mir und den Deinen machst Du damit oft das Leben schwer, sondern vor allem Dir selbst. Schau, es gibt niemanden der immer nur gute Tage hat. Im Leben eines jeden Menschen gibt es Dunkelheit. Wir Christen nennen das „Kreuz". Aber Gott lädt jedem Menschen nur so viel auf, wie er auch tragen kann. Vielleicht sind es auch Prüfungen. Oft denke ich an die Geschichte von Abraham: Gott hat von ihm verlangt, dass er seinen Sohn Isaac tötet. Und Abraham war bereit dazu. Diese Geschichte liegt mir schwer auf dem Gemüt und manchmal denke ich, dass beim Aufschreiben oder Übersetzen ein Fehler passiert ist – Gott kann doch nicht so grausam sein, von einem Vater das Töten seines Kindes zu fordern. Wenn Du mit Deinem Hebräisch-Studium zu Ende bist, dann musst Du mir mal diese Bibelstelle im Original vorlesen und erklären.

    Hast Du genügend warme Strümpfe? Oder fehlt Dir sonst etwas? Lass es mich immer wissen, was Du brauchst oder was ich für Dich tun kann

    Deine Mamma

    März 1787

    Lieber Fritz,

    wie sehr habe ich mich über die Nachricht gefreut, dass Du den Bilfinger in der Ostervakanz mitbringen möchtest. Es ist wichtig, einen lieben Freund zu haben, und natürlich ist er bei uns willkommen.

    Du sollst recht schöne Tage daheim haben. Auch die liebe Großmamma freut sich sehr auf Dich.

    Bis zu unseren Wiedersehen freut sich herzlich

    Deine Dich immer liebende Mamma

    April 1787

    Mein lieber Fritz,

    wie sehr danke ich Gott, dass er uns beiden das Herz und die Ohren geöffnet hat. Da Du ohne Vater aufwachsen musst, obliegt mir auch die Aufgabe, Dich auf Deinen Weg zum Manne zu begleiten. Und nun hatte ich den Eindruck, dass Du verstanden hast, warum ich das Pfarramt für Dich für das Richtige halte. Schau, in meiner Familie gab es immer Pfarrer, und das ist gut so. Deine Noten in diesen Fächern zeigen ja, dass Du die nötigen Voraussetzungen mitbringst. Das heißt ja nicht, dass Du Dich vor den Karren spannen lassen musst – jedenfalls nicht mehr als das in jedem anderen Beruf auch so wäre. Du hast ein herzogliches Stipendium und mit Deiner Unterschrift hast Du Dich dazu verpflichtet, späterhin in herzoglichen oder kirchlichen Diensten zu bleiben. Als Pfarrer hast Du noch relativ große Freiheit. Du bist derjenige im Ort, der das Sagen hat, der den anderen zum Vorbild dient. Und die Literatur hat im Pfarrhaus wohl auch ihren Platz. Dein Dichten musst Du gar nicht aufgeben. Aber Du musst ja Deinen Lebensunterhalt verdienen, eine Familie ernähren – das kannst Du vom Dichten schwerlich.

    So macht es mich sehr glücklich, dass Du frohen Mutes nach Maulbronn zurückgekehrt bist und Deinen Weg tapfer weitergehen willst.

    In Liebe

    Deine Mamma

    Liebste Mamma!

    Sie können mirs jetzt gewiß glauben – daß mir, außer in einem ganz außerordentlichen Fall, wo mein Glück augenscheinlich besser gemacht wäre – daß mir nie mehr der Gedanke kommen wird, aus meinem Stand zu treten. Ich sehe jetzt! man kann als Dorfpfarrer der Welt so nützlich, man kann noch glücklicher sein, als wenn man, weiß nicht was? wäre.

    Neulich stieg hier ein Luftballon, da kam auch HE. Pfarrer von Diefenbach herbei, und mit ihm einer von den Camerern, welcher wirklich Jura studiert – der kam geradewegs von Poppenweiler, und richtete mir tausend tausend Grüße aus und daß eben dem guten Mann herzlich verlange – mich auch diesmal wieder zu sehen. Jetzt muß ich zu ihm, ´s mag sein, wanns will. HE Pfarrer von Diefenbach war auch außerordentlich freundschaftlich gegen mich, er wußte bisher nicht, daß man anhalten müße, weil die Vorige gewiß alle Wochen, ohne daß er ein Wort mit HE. Prälat gesprochen hab, zu ihm hinüber gekommen seien. Meine Rede hab ich hingelegt – um sie Ihnen zu schicken, finde sie aber wirklich nirgends. Meine Haare sind in der schönsten Ordnung. Ich hab jetzt auch wieder Rollen. Und warum? Ihnen zulieb!

    Denn hier will ich weiters niemand gefallen. Dem l. Karl tausend Küsse! Was macht er dann als so allein bei seiner l. Mamma? Leben Sie wohl – ich eile, wie Sie sehn.

    Ihr gehorsamster Sohn

    Hölderlin.

    Liebste Mamma!

    Ich habe wirklich wieder Geschäfte die Menge auf dem Hals; und Geschäfte, wo die Geisteskräfte ziemlich stark angegriffen werden – ich will also nur so bei Gelegenheit gestehen, daß Bilfingers Kaffee, und mein Zucker, verbraucht sind, und daß ich mich inzwischen manchmal nach einem Frühstück gesehnt habe – bei dem frühen Aufstehen – und dem beständigen starken Angreifen des Kopfs – und neulich zwang ich mich wieder mit einem schröcklich leeren Magen zur Suppe, die Ihr hungriger Taglöhner ungern essen würde – und da wurde mir so weh, daß ich beinahe vor Ärger die Schüssel an die Wand geworfen hätte. Ein gutes, gutes Werk wäre also für den Fritz, wenn Sie ihm etwas Kaffee schickten.

    Sie werden lachen, über meine weitschweifende Bittschrift, aber ´s war nur, daß Sie sich einen kleinen Begriff von unserem Klosterkreuz machen können. Denn das sind doch ordentliche Nahrungssorgen, wenn man so nach einem Schluck Kaffee, oder nur einem guten Bissen Suppe hungert, und nirgends, nirgends nicht auftreiben kann. Bei mir gehts noch gut; aber da sollten Sie andre sehen, die einige Pöstchen vom Winter her noch zu berichtigen hatten, und jetzt den halben Heller nimmer im Beutel haben – es ist zum Lachen,* wenn die Leute aus lauter Unmut nicht ins Bett gehen, und die halbe Nacht auf dem Dorment auf und ab singen.

    Auf, auf, ihr Brüder, und seid stark!

    Der Gläubiger ist da.

    Die Schulden nehmen täglich zu,

    Wir haben weder Rast noch Ruh,

    Drum fort nach Afrika – (das wär das Kap)

    und so gehts fast alle Nacht, da lachen sie am Ende einander selber aus, und dann ins Bett. Aber freilich ist dies eine traurige Lustigkeit!

    Und noch überdies hat HE. Prälat, der so gepriesne Weinland, wirklich so unbegreiflich wunderliche Launen, daß er Professoren, Studenten und Famulus, als einen vor des andern Angesicht, schon dergestalt abgewaschen hat, daß bald vollends Professoren und Studenten – und Studenten und Famulus zusammen heulen. So gehts eben in der Welt! Ich lerne mich, gottlob! immer besser in sie schicken! Ich kann Sie auf alles versichern, liebe Mamma, daß ich, der ich sonst der Unzufriedenste war, jetzt keiner mehr von den Unzufriedenen bin! Der l. Rike hab ich geschrieben – hab sie getröstet.

    Ich muß Ihnen sagen, ich hab geweint ob ihrem Brief – und da ich drauf Chor halten mußte, vor Ärger fast nicht reden können! Ich hätte mirs nie zugetraut, daß meine Liebe zu ihr so weit ginge! Aber gewiß, `s ist ein edles, herrliches Mädchen, die Rike! Gott wird ihr tausend Segen geben für ihre Tränen. Sie dürfen stolz sein auf so eine Tochter!

    Ihr

    gehorsamster Sohn

    Hölderlin.

    * Verzeihen Sie, daß ich so schlechtes Papier bringe!

    Juni 1787

    Lieber Fritz,

    ein sonderbarer Brief ist mir da von Dir ins Haus geflattert. Du bittest um Kaffee, wo Du doch weißt, dass das Kaffeetrinken im Kloster verboten ist. Gar so schlimm, wie Du es beschreibst, wird das Essen ja wohl doch nicht sein. Immerhin ist es dem Prälaten daran gelegen, dass seine Seminaristen alle gesund zum Studium kommen. Ich lege Dir aber 2 Gulden bei, sodass Du Dir gelegentlich etwas zukaufen kannst. Achte auch immer auf genügend Schlaf.

    Es rührt mich zu sehen, wie groß die Liebe unter Euch Geschwistern ist. Euer gemeinsamer Vater ist sicher ein starkes Band. Möget Ihr immer füreinander da sein!

    Immer Deine Dich liebende

    Mamma

    September 1787

    Lieber Fritz,

    stell Dir vor, was in Nürtingen passiert ist: Es hat nachts gebrannt, und zwar im Stall des Geißenhirten Glück. Und weil die Leute meinten, die Frau des Geißenhirten sei schuld an diesem Unglück, wollten sie sie nicht aus dem brennenden Haus rausholen, sondern sie jämmerlich darin verbrennen lassen. Erst als der Bürgermeister kam und darauf aufmerksam machte, dass hier doch ein Mensch eingesperrt sei, ließen die Leute diese arme Frau rauskommen. Ihr Sohn kam ums Leben sowie zwei weitere Angehörige der Familie Glück. Sonderbar, dieser Name bei einem solchen Unglück.

    Übrigens kam Herzog Karl persönlich und half löschen. Und weil er erkannte, wie schlecht die Nürtinger auf ein solches Unglück vorbereitet sind, hat er angeordnet, dass zukünftig jeder Haushalt einen Feuereimer anschaffen muss.

    Aber mir geht seither nicht mehr aus dem Kopf, wie grausam Menschen sein können. Und sich zum Richter aufspielen, obwohl wir doch ausdrücklich darauf hingewiesen werden: Nur einer ist euer Richter!

    Vielleicht kannst Du eine solche Haltung den Menschen einmal von der Kanzel aus – oder besser noch durch Dein Vorbild – vermitteln.

    In Liebe

    Deine Mutter

    Liebe Geschwisterige!

    Ihr werdet wohl Eurer lieben Frau Großmamma und Mamma recht viel Guts gewünscht haben – und aus redlichen, dankbaren Herzen für so viele zärtliche Sorgen und Bemühungen, die sie im vorigen Jahr mit Euch gehabt haben – nicht wahr, liebe Geschwisterige, da habt Ihr auch an mich gedacht, und mir auch etwas gewünscht, denn ich weiß, daß Ihr mich lieb habt, und das habt Ihr mir ja auch bewiesen, da Ihr mir neulich so viel geschickt habt. Und jetzt will ich Euch auch wünschen aus warmem, brüderlichen Herzen – Gehorsam und Liebe gegen den großen Gott – Gehorsam und Liebe gegen Eure liebe Frau Großmamma und Mamma, Tätigkeit in allem, und, wenn ich bitten darf – auch Liebe gegen Euren Bruder, so wie Ihr ihn immer geliebt habt, und er Euch liebt und immer lieben wird. Liebe Heinrike, lieber Karl – wenn ich jetzt auf etlich Augenblicke bei Euch wäre, und Euch küssen könnte – seid nur immer im Frieden beieinander, und wenn Ihr so vergnügt zusammen seid, so denkt an

    Euren

    Euch liebenden Bruder

    Hölderlin.

    Zu Neujahr 1788

    Mein lieber Fritz, mit dem Brief an die Geschwister hast Du auch mir große Freude gemacht. Ich kann es nicht oft genug betonen, wie wichtig die Liebe untereinander ist. Und dass Du sie zu Gehorsam gegen den lieben Gott sowie Gehorsam gegen die liebe Frau Großmamma und Mamma anhältst, rührt mich sehr. Und natürlich darfst Du der Liebe der Deinen auch Dir gegenüber versichert sein.

    Wir haben an Weihnachten alle Tränen der Rührung vergossen, so sehr haben wir Dich vermisst.

    Die 3 Gulden zu Weihnachten und die 5 Gulden für Bücher hast Du wohl bekommen?

    Schreib bald wieder Deiner Dich liebenden Mamma

    PS. Zerreiße doch die Gedichte nicht, wenn Du sie für nicht gut genug hältst. Wir hier werden sie immer zu schätzen wissen!

    Liebste Mamma!

    Schon wieder eine Bitte! Sie werden wissen, daß jetzt bald unseres Herzogs Geburtstag ist, der hier sehr festlich gefeiert wird. Prälat und Herren und Damen, und Jung fern und Studenten und Schreiber sind unter Musik und Redehalten und Gedichtedeklamieren den ganzen Nachmittag beieinander, und am Abend stellen sie eine Illumination an. Da nun alles außer uns zusammen auch für Essen und Trinken sorgt – so sitzen wir auch zusammen – Bilfinger und Efferenn und Hesler und Märklin und ich – dürfte ich da um ein paar Krüge Weins bitten, liebe Mamma. Für das Überschickte dank ich gehorsamst. In Ansehung Ihrer Vorschläge habe ich Ihre Klugheit recht bewundert – wann ich 60 Jahr alt werde, werd ich nicht so klug. Der l. Rike tausend Dank für ihren Brief. Diesmal hab ich der Geschäfte so viel, daß mir nicht ein Augenblick mehr zum Schreiben übrig bleibt.

    Ihr Hölderlin.

    Das nächstemal werden Sie Zerrissenes genug bekommen.

    Februar 1788

    Lieber Fritz,

    hiermit schicke ich Dir 3 Gulden, damit Du zu des Herzogs Geburtstag einen guten Wein kaufen kannst. Trinkt ihn aber in Maßen – Du weißt, zu viel Wein vernebelt den Verstand.

    Wirst Du wieder ein Gedicht vortragen? Schreib uns dann über das Fest.

    Deine Mamma

    Liebste Mamma!

    Verzeihen Sie, daß ich letzten Botentag nicht geschrieben habe. Sie werden wohl selbst daran gedacht haben, daß gerade am Tag, wo ich sonst Briefe schrieb, unsres Herzogs Geburtsfeier war. Ich hatte die Ehre, bei unserem Festin als Dichter aufzutreten.

    Weil ich Ihnen aber diesmal etwas schicke, das Sie vielleicht mehr freut als mein Gedicht, so will ichs bis nächsten Botentag sparen. Sie waren neulich zärtlich besorgt – in Anlehnung meiner Gesundheit. Da kann ich Sie versichern, daß mir den ganzen Winter kein Äderchen weh getan hat. Sie waren aber aus Gelegenheit des Weins noch zärtlicher, noch mütterlicher besorgt – da will ich Ihnen unter der Bedingung, daß Sie mich ja nicht für eigenliebig halten, einen augenscheinlichen Beweis beilegen, daß Sie von meinem Charakter gewiß nichts solches zu befürchten haben. Der Brief ist von HE. Pfarrer Rothacker in Hausen ob Verena. Ich muß Ihnen aber die ganze Sache erzählen. Rothacker ist arm. Einige Frauenzimmer von hier, die es wußten, und ihn gerne unbekannterweise unterstützen wollten, trugens mir auf. Die edle Haltung rührte mich. Beschämt nahm ich mir vor, ein Gleiches zu tun. Aber mein Beutel versagte mir damalen meine Freude. Aber – wenn ich ihn von liederlicher Gesellschaft abhalte, dachte ich, wann ich ihn in seinen Arbeiten unterstütze, ihm so viel wie möglich im Wissenschaftlichen beibringe (da Lehren ja ohnehin einst meine Hauptbeschäftigung werden soll) – gefällts dem lieben Gott nicht ebenso wohl, dachte ich, als Unterstützung mit Geld oder Kleidungsstücken? – Das übrige werden Sie aus dem Brief sehen. Das aber muß ich noch hinzusetzen, daß Rothacker damals in der schlimmsten Gesellschaft war – daß der Prälat seine Streiche dem Vater schrieb, daß er auf seines Vaters drohende Ermahnungen ihm alles mit reuigem Herzen bekannte, mit den Worten, daß er ganz anders geworden seie, und dies mir zu danken habe. Aber daß es nur sonst niemand erfährt, liebe Mamma! Man würde mich verlachen – daß ich meine Pflichten-Erfüllung zur Befriedigung meiner Eigenliebe mißbraucht hätte – Ihnen schrieb ichs bloß, weil Sie eine so zärtlich besorgte Mutter sind.

    Dem lieben, guten Karl laß ich tausendmal danken für sein Überschicktes – Ich würde ihm und der l. Heinrike schreiben, wann ich nicht noch ein halb Dutzend Briefe zu beantworten hätte. Leinen Tuch werden Sie vielleicht schon fortgeschickt haben, wann dieser Brief hinaufkommt. Ich muß eilen.

    Ihr gehorsamster Sohn Hölderlin.

    März 1788

    Mein lieber Fritz,

    dass Du einem verirrten Herzen den rechten Weg gewiesen hast, beglückt mich sehr. Das ist doch Deine Bestimmung: die armen und verirrten oder verwirrten Seelen zu führen. Seelsorger sein ist doch die öberste Pflicht des Pfarrers. Es zeigt sich immer deutlicher, dass dies der Weg ist, zu dem Dich unser lieber Herrgott berufen hat. Zweifle nicht daran, auch wenn Du immer wieder Steine auf diesem Weg finden wirst. Und so lange ich lebe, werde ich Dir eine liebevolle Begleiterin auf diesem Wege sein.

    Die Flöte beim Wollhaupter ist bestellt. Er kann aber nicht versprechen, dass sie bis Ostern fertig ist.

    Die Reise ins Unterland ist fest geplant. Wir wollen Tante Friederike in Gröningen besuchen, dann weiter nach Löchgau und Lauffen.

    Wir alle freuen uns sehr auf Dich.

    In Liebe Deine Mamma

    Liebste Mamma!

    Also in acht Tagen sind wir beieinander, es sei nun in Nürtingen oder im Unterland. Bestellungen weiß ich keine mehr zu machen. Ich glaube, wir werden, wann wir reisen, eine Reise haben wie auch einmal an Ostern. Ich bin auf alle Fälle gerüstet. Wenn Sie mir sagen lassen, oder schreiben, Sie bleiben in Nürtingen, so fahre ich in dem Unterboihinger Gefährt bis nach Boihingen – und Sie kommen mir entgegen – kommen Sie aber ins Unterland, so erwarte ich Sie am Dienstag nach dem Palmtag in Schwieberdingen, im Ochsen. Freilich hab ich mich in Ansehung der Kleidungsstücke ganz auf die Reise gerüstet, z. E. daß ich keine Schuhe mitnehme. Wir haben wirklich Schnee, bei dem aber demohngeachtet nicht so übel zu reisen wäre.

    Ich freue mich, bald in den Armen der Meinigen zu sein. An alle tausend Grüße,

    Ihr

    gehorsamster Sohn

    Hölderlin.

    April 1788

    Mein lieber, lieber Fritz,

    wie sehr tröstet es mein wundes Herz, das Du unserer lieben Tante so treulich beigestanden hast. Wie ein rechter Mann hast Du Deine eigenen Wünsche und Pläne hintangestellt und Dich der Sterbenden gewidmet. Deine Tante Friederike liebte Dich wie einen Sohn; Du hast sie wohl auch an ihren Bruder erinnert. Manches Mal sagte sie, wenn wir sie besucht haben: „Wie mein Heinrich!" Du musst in manchen Bewegungen, im Gesichtsausdruck Deinem Vater als Kind in vielem ähnlich gewesen sein. Ich verliere mit ihr die letzte direkte Angehörige Deines Vaters. Das schmerzt.

    Umso mehr danke ich Dir, dass Du der lieben Tante am Schluss so nahegestanden bist. Mit ihr gebetet hast. Dich vom Gedanken an Tod und Sterben nicht hast vertreiben lassen. Das ist vielleicht unser wichtigster Auftrag als Christ: dem Sterbenden beistehen. Und als zukünftiger Pfarrer war das für Dich eine sehr wichtige Lektion. Du hast sie sehr gut bestanden!

    In Liebe

    Deine Mamma

    Mai 1788

    Lieber Fritz,

    Rike hat uns heute Dein Gedicht** vorgelesen. Ich bin tief bewegt. Einmal mehr erkenne ich, dass Du zum geistlichen Stand berufen bist. Wer könnte ein tieferes Verständnis für die religiösen Dinge haben als Du!

    „Schön ist des Menschen Seele wenn sie von euch sich zu Gott erhebt … Und weg ihr Zweifel! Quälendes Seelengift … der Seele Jubel ist Ewigkeit."

    Ja, die Zweifel sind Seelengift. Das hast Du richtig erkannt. Aber kein Mensch ist davor gefeit. Selbst der frömmste Mensch wird von ihnen von Zeit zu Zeit geschüttelt. Das heißt es dann tapfer durchstehen und im Gebet nicht nachlassen.

    Eine andere Zeile in Deinem Gedicht hat mich aber zutiefst erschreckt:

    „… so mag der Sohn in seinem Elend Vater und Mutterherz durchbohren!"

    O Fritz, was deutest Du damit an? Wirst Du mir eines Tages mein

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