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Stolen: So retten wir die Welt vor dem Finanzkapitalismus
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eBook370 Seiten4 Stunden

Stolen: So retten wir die Welt vor dem Finanzkapitalismus

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Über dieses E-Book

So retten wir die Welt vor dem Finanzkapitalismus


Der Finanzcrash von 2008 war kein Fehler im System, er war ein Symptom der Finanzialisierung der Wirtschaft. Die Folgen dieser Verschiebung sind tiefgreifend: sinkende Löhne und steigende Schulden für die arbeitende Bevölkerung, hohe Gewinne und niedrige Steuern für die Besitzenden – und eine Politik, die von den Prinzipien des Marktes korrumpiert ist.


Grace Blakeley zeigt, dass es eine Alternative zu unserer krisenhaften Wirtschaftsweise gibt, und skizziert einen Plan, wie wir zu einer stabilen und nachhaltigen Ordnung kommen, die alle Menschen an den Erträgen der Wirtschaft beteiligt. Denn ein Finanzsystem, das dem Wohl der Vielen dient anstatt den Profiten der Wenigen, ist nicht nur möglich, sondern dringend nötig. Ein zukunftsweisendes Plädoyer für eine gerechte Wirtschaft.


Inhaltsverzeichnis von STOLEN


Einleitung
Kapitel I: Das goldene Zeitalter des Kapitalismus
Kapitel II: Die Aasgeier des Kapitalismus: Die Finanzialisierung der Unternehmen
Kapitel III: Sollen sie doch Häuser essen: Die Finanzialisierung der Haushalte
Kapitel IV: Thatchers größte Errungenschaft: Die Finanzialisierung des Staates
Kapitel V: Der Crash
Kapitel VI: Die Welt nach dem Crash
Kapitel VII: Der Weg nach vorn
Kapitel VIII: Das Ende des kapitalistischen Realismus

SpracheDeutsch
HerausgeberBrumaire Verlag
Erscheinungsdatum21. Juli 2023
ISBN9783948608309
Stolen: So retten wir die Welt vor dem Finanzkapitalismus

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    Buchvorschau

    Stolen - Grace Blakeley

    STOLEN

    SO RETTEN WIR DIE WELT VOR DEM FINANZKAPITALISMUS

    GRACE BLAKELEY

    Brumaire Verlag Brumaire Verlag

    Der Finanzcrash von 2008 war kein Fehler im System, er war ein Symptom der Finanzialisierung der Wirtschaft. Die Folgen dieser Verschiebung sind tiefgreifend: sinkende Löhne und steigende Schulden für die arbeitende Bevölkerung, hohe Gewinne und niedrige Steuern für die Besitzenden – und eine Politik, die von den Prinzipien des Marktes korrumpiert ist.

    Grace Blakeley zeigt, dass es eine Alternative zu unserer krisenhaften Wirtschaftsweise gibt, und skizziert einen Plan, wie wir zu einer stabilen und nachhaltigen Ordnung kommen, die alle Menschen an den Erträgen der Wirtschaft beteiligt. Denn ein Finanzsystem, das dem Wohl der Vielen dient anstatt den Profiten der Wenigen, ist nicht nur möglich, sondern dringend nötig.

    Erste Auflage, Januar 2021

    Brumaire Verlag, Erkelenzdamm 59/61, 10999 Berlin

    www.brumaireverlag.de

    Eine Übersetzung aus dem englischen Original:

    Stolen: How to Save the World from Financialisation

    Published by Repeater Books An Imprint of Watkins Media Ltd

    Unit 11 Shepperton House 89-93 Shepperton Road London N1 3DF UK

    www.repeaterbooks.com

    A Repeater Books paperback original 2019

    Copyright © Grace Blakeley 2019

    Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    Übersetzung: Thomas Zimmermann

    Lektorat: Astrid Zimmermann

    Satz und Layout: Andreas Faust

    Cover: Rory Witt, Andreas Faust

    Schriftarten: Lyon Text, Schampus, Akzidenz Grotesk Next

    Druck: Oktoberdruck GmbH

    Umweltfreundlich gedruckt auf 100 Prozent Recyclingpapier FSC-zertifiziert mit dem Blauen Engel

    Für meinen Großvater, der mir beigebracht hat, was es heißt, eine Sozialistin zu sein, und für meine Großmutter, die mich gelehrt hat, dass nur starke, intelligente und hart-näckige Frauen die Welt verändert haben.

    Daß du untergehst, wenn du dich nicht wehrst

    Das wirst du doch einsehen.

    BRECHT

    INHALT

    Einleitung

    1. Das goldene Zeitalter des Kapitalismus

    2. Die Aasgeier des Kapitalismus

    3. Die Finanzialisierung der Haushalte

    4. Thatchers größte Errungenschaft

    5. Der Crash

    6. Die Welt nach dem Crash

    7. Der Weg nach vorn

    8. Das Ende des kapitalistischen Realismus

    Danksagung

    Quellen

    Über den Autor

    EINLEITUNG

    Der letzte Bank Run Großbritanniens vor 2007 ereignete sich zu einer Zeit, in der sich Österreich-Ungarn auf einen Krieg mit Preußen vorbereitete und die 37 Vereinigten Staaten von Amerika gerade die Sklaverei abgeschafft hatten. 1866 befand sich Overend, Gurney and Company – die »Bank der Banker« – in ernsthaften finanziellen Schwierigkeiten. ¹ Sie hatte sich von der Euphorie der industriellen Revolution mitreißen lassen, der britischen Eisenbahnindustrie zu viel Geld geliehen und damit einen spekulativen Boom ausgelöst, der sich über das gesamte Land ausbreitete. Doch als die Blase platzte, stand die Bank vor einem Haufen von Schulden, die sie nicht zurückzahlen konnte. Sie bat bei der Bank of England um finanzielle Unterstützung, stieß jedoch auf taube Ohren. Vor dem Hauptsitz von Overend bildeten sich Schlangen – und innerhalb einer Woche hatte die »Panik von 1866« das Land erfasst.

    141 Jahre später setzte die Panik von 2007 gerade erst ein, als der größte Hypothekenkreditgeber in Großbritannien, Northern Rock, feststellte, auf keine Mittel zur Refinanzierung mehr zugreifen zu können. ² Das Geschäftsmodell von Northern Rock basierte auf der Verbriefung von Hypothekenkrediten – also der Umwandlung von Hypotheken in Finanztitel, die auf den Kapitalmärkten gehandelt werden konnten. Das Unternehmen nahm Kredite mit kurzen Laufzeiten – oft sogar nur über eine Nacht – bei anderen Finanzinstituten auf und vergab Hypothekenkredite, die sich erst nach Jahrzehnten rechnen würden. Als die Finanzmärkte 2007 langsam ins Stocken gerieten, hörten die Banken auf, einander Geld zu leihen, wodurch Northern Rock seinen Zugang zu den internationalen Finanzmärkten verlor und seine Schulden nicht mehr zurückzahlen konnte. Am 13. September 2007 wurde bekannt, dass Northern Rock bei der Bank of England Nothilfe ersuchte – sie war damit die erste britische Bank seit Overend, die sich zu diesem Schritt gezwungen sah.

    In beiden Fällen war der plötzliche Ansturm auf die Banken Folge einer Vermögensblase – das eine Mal in der Eisenbahnindustrie, das andere Mal im Wohnungsbau. Sowohl Northern Rock als auch Overend konnten ihre Tagesgeschäfte nur durch Kreditaufnahme auf den Finanzmärkten finanzieren. Und beide waren schließlich gezwungen, die Bank of England um Hilfe zu bitten. Doch es gab auch bedeutende Unterschiede zwischen beiden Institutionen. Overend verlieh Geld an Unternehmen, die das britische Eisenbahnnetz bauten – ein Eisenbahnnetz, das bis zum heutigen Tag in Betrieb ist. Mögen sie es auch auf unkluge Weise getan haben, so haben sie doch in die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft investiert – also in die Fähigkeit der Menschen, Dinge zu produzieren, damals wie heute. Northern Rock hat nichts dergleichen getan. Einst eine Bausparkasse, verlieh Northern Rock ihren Kundinnen und Kunden Geld, um bereits existierende Immobilien zu kaufen. Die Bank geriet in die Kritik, da sie Hypothekenkredite mit extrem hohen Beleihungswerten ausgab – so gewährte sie etwa Hypotheken im Wert von 125 Prozent des Marktwerts der Immobilien. ³ Anstatt Vermögenswerte zu schaffen, schuf Northern Rock Schulden – und zwar in einem auf Dauer unhaltbaren Ausmaß.

    Diese Gegenüberstellung stellt uns vor ein Rätsel. Wenn das Unternehmen Northern Rock so unproduktiv war, warum wurde es dann gerettet, während das Scheitern von Overend, Gurney and Company hingenommen wurde? Es stimmt, dass die Bank of England in der Zwischenzeit offiziell zur Kreditgeberin letzter Instanz in Großbritannien geworden war. Damit hatte sie also die Verantwortung auf sich genommen, notleidenden Banken unter die Arme zu greifen, wenn ihr Untergang die Stabilität des Finanzsystems gefährden könnte. Das wirft jedoch nur noch weitere Fragen auf. Wie konnte eine einst kleine Bausparkasse so wichtig werden, dass ihr Untergang den boomenden britischen Finanzsektor in die Knie hätte zwingen können? Wann ist der britische Finanzsektor so groß und so mächtig geworden, dass eine einzelne Bank den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern unter Androhung eines wirtschaftlichen Zusammenbruchs Milliardensummen abknöpfen konnte? Mit anderen Worten: Wie konnte das Finanzwesen zu einer so bestimmenden und bedrohlichen Kraft in unserer Gesellschaft werden?

    Dieses Buch verfolgt die These, dass Großbritannien seit den 1980er Jahren in eine neue Phase seiner Wirtschaftsgeschichte eingetreten ist. Ehemals die Werkstatt der Welt, verläuft die Hauptverbindung Großbritanniens zur Weltwirtschaft heute durch die City of London, eines der Zentren der globalen Finanzspekulation. Diese Transformation vollzog sich nicht langsam und stetig, sondern stoßweise – die Wirtschaft stürzte von einer Krise in die nächste und adaptierte dabei jedes Mal die Maßgaben der Mächtigen. Unser aktuelles Wirtschaftsmodell – das finanzgetriebene Wachstum – lässt sich bis in die 1980er Jahre zurückverfolgen, in denen aus der Asche der sozialdemokratischen Nachkriegsordnung ein neues System aufstieg. Seitdem haben sich die britische Politik und Wirtschaft – wie auch die der USA und einer Reihe weiterer fortgeschrittener Volkswirtschaften – »finanzialisiert«, mit Folgen, die erst mit der Krise von 2008 sichtbar wurden.

    Laut der geläufigsten Definition der Finanzialisierung beschreibt diese eine »Zunahme der Bedeutung von Finanzmotiven, Finanzmärkten, Finanzakteuren und Finanzinstitutionen für das Funktionieren von Binnen- und Weltwirtschaft« ⁴. Finanzialisierung heißt also, dass Finanzinstitute – von Banken über Hedgefonds bis hin zu Pensionsfonds – größer und zahlreicher werden und einen wachsenden Einfluss auf alle anderen Wirtschaftsakteure ausüben, insbesondere auf die Haushalte, die Unternehmen und die Staaten. ⁵ Das Wachstum des Finanzwesens hat zur Entstehung eines neuen Wirtschaftsmodells geführt. Die Finanzialisierung stellt also einen tiefgreifenden strukturellen Wandel in der Funktionsweise der Wirtschaft dar. ⁶

    Wenn es um Finanzialisierung geht, wird in den Wirtschaftswissenschaften für gewöhnlich auf die USA verwiesen, die in absoluten Zahlen den größten Finanzsektor der Welt beheimaten. ⁷ Auch wenn dieses Buch die Geschichte des finanzgetriebenen Wachstums aus britischer Perspektive nachzeichnet, so lassen sich die meisten Aussagen auch auf die derzeitige Supermacht der Welt übertragen. Im Vorfeld der Krise wurde auch die US-amerikanische Wirtschaft durch die Finanzialisierung von Unternehmen, Haushalten und dem Staat in Mitleidenschaft gezogen, wenn auch auf etwas andere Art und Weise. Es hat sich tatsächlich ein eigentümlich angloamerikanisches Wachstumsmodell herausgebildet, das durch einen wachsenden Finanzsektor, eine sinkende Lohnquote am Volkseinkommen, eine steigende Verschuldung der Haushalte und Unternehmen und ein klaffendes Leistungsbilanzdefizit gekennzeichnet ist. ⁸ Weitere Volkswirtschaften, die dieses Modell bis 2007 verfolgten, sind unter anderem Island und Spanien. Heute sind Australien und Kanada seine wohl enthusiastischsten Befürworter.

    Der offensichtlichste Indikator der Finanzialisierung ist das dramatische Wachstum des Finanzsektors selbst. Zwischen 1970 und 2007 wuchs der britische Finanzsektor jedes Jahr um 1,5 Prozent schneller als die Gesamtwirtschaft. ⁹ Bei den Profiten der Finanzunternehmen zeigt sich diese Tendenz noch deutlicher: Zwischen 1948 und 1989 machte die Finanzintermediation, also die Vermittlung zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Kapitalmarkt, rund 1,5 Prozent der Gewinne der Gesamtwirtschaft aus. Bis 2007 war dieser Wert auf 15 Prozent gestiegen. ¹⁰ Der Anteil der Finanzwirtschaft an der Wirtschaftsleistung wurde jedoch noch durch das Wachstum der Vermögenswerte der britischen Banken in den Schatten gestellt: Diese verfünffachten sich zwischen 1990 und 2007 und erreichten 2007 fast 500 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. ¹¹ Im Verhältnis zu seinem Bruttoinlandsprodukt hatte Großbritannien vor der Krise außerdem eines der größten Schattenbankensysteme – ein Trend, der bis zum heutigen Tag anhält. ¹² Inzwischen hat sich die Consulting- und Beratungsindustrie in den glänzenden Wolkenkratzern der Londoner Finanzviertel breitgemacht. Zwischen 1997 und 2010 nahm der Anteil von Finanz- und Versicherungsdienstleistungen an der Wertschöpfung in Großbritannien stärker zu als der aller anderen Branchen – bis auf den staatlichen Sektor, der seinerseits von Steuereinnahmen aus dem Finanzwesen zehrte. ¹³ Gemessen am Verhältnis zur Realwirtschaft verfügte Großbritannien 2007 über einen der weltweit größten Finanzsektoren.

    Doch Finanzialisierung lässt sich nicht auf die zunehmende Bedeutung der Großbanken reduzieren. ¹⁴ Es ist nicht so, dass der Kapitalismus vom Finanzwesen »übernommen« worden wäre. Vielmehr hat dieser Bedeutungszuwachs jeden einzelnen Aspekt des wirtschaftlichen Lebens auf subtile, manchmal aber auch auf dramatische Weise transformiert. Früher war das wirtschaftliche Leben der Einzelnen auf Löhne und Lohnverhandlungen fokussiert, heute steht für viele das persönliche Schuldenmanagement im Mittelpunkt. Während Unternehmen in der Vergangenheit in erster Linie Güter produzierten und Dienstleistungen anboten, bei denen sie einen Wettbewerbsvorteil geltend machen konnten, konzentrieren sie sich heute wohl ebenso sehr – wenn nicht sogar noch mehr – auf ihren Aktienkurs, ihre Dividendenstrategie, ihre laufenden Kredite und die von ihnen abgeschlossenen Wetten auf Wechselkurse und Zinssätze. Es gab Zeiten, in denen die Staatsverschuldung durch eine restriktive Geldpolitik eingeschränkt war; heute können sich Staaten nicht nur weit mehr leihen, als sie erwirtschaften, sie können außerdem Privatunternehmen in ihrem Namen Ausgaben tätigen lassen.

    Historisch haben die Fürsprecherinnen und Fürsprecher des Kapitalismus argumentiert, dass dieses System Wohlstand für alle schaffen würde. Die Unternehmen würden Gewinne machen und diese in die zukünftige Produktion investieren, was wiederum Arbeitsplätze schaffen und damit den Lebensstandard für die Mehrheit der Bevölkerung erhöhen würde. Zwar könnte der Kapitalismus kurzfristig wachsende Ungleichheit befördern, doch indem die Unternehmen ihre Profite reinvestierten, würde irgendwann ein Trickle-Down-Effekt eintreten, also der Wohlstand auch zu allen anderen hindurchsickern. Auch wenn diese Auslegung der Funktionsweise des Kapitalismus zu allen Zeiten eine sehr optimistische gewesen sein mag, so schien sie in der Nachkriegszeit doch oft die Wirklichkeit widerzuspiegeln, zumindest im Gobalen Norden. Allerdings blockiert das finanzgetriebene Wachstum offensichtlich jene Kanäle, durch die der Reichtum von den Reichen zu den Armen fließen sollte. Denn die Investitionen gehen zurück, die Löhne sinken und die Profite – vor allem die der Finanzwirtschaft – boomen. ¹⁵

    Zwar beruhen sämtliche kapitalistischen Systeme auf der Monopolisierung der Wachstumsgewinne durch jene Menschen, die die Vermögenswerte besitzen – allerdings wird diese Dynamik unter den Bedingungen des finanzgetriebenen Wachstums nochmals verstärkt. Solange die Wirtschaft im Aufschwung ist, mag das durch die steigende Privatverschuldung noch nicht ersichtlich sein. Doch sobald der Abschwung eintritt, zeigt sich, dass finanzgetriebenes Wachstum in Wirklichkeit auf einer Trickle-Up-Ökonomie basiert, bei der die Gewinne der Wohlhabenden direkt auf Kosten der einfachen Leute gehen. Das liegt daran, dass Finanzialisierung auch die Extraktion wirtschaftlicher Renten aus dem Produktionsprozess bedeutet – also die Ableitung von Einkommen aus bestehenden Vermögenswerten, ohne dass dabei etwas Neues produziert wird. Wenn beispielsweise eine Hausbesitzerin die Miete erhöht, ohne Veränderungen an der Immobilie vorgenommen zu haben, handelt es sich schlichtweg um eine Vermögensübertragung von den Mieterinnen und Mietern auf die Eigentümerin. Wer Land besitzt, kann eine Preiserhöhung nicht dazu nutzen, neues Land zu »schaffen«, das allen zugutekäme, sondern wird das Geld einfach in die eigene Tasche stecken. Dasselbe gilt für Zinszahlungen auf Schulden: Auch hier wird einfach Geld von Menschen, die kein Kapital besitzen, auf Menschen, die welches besitzen, übertragen. Durch steigende Haushaltsschulden, boomende Immobilienpreise, die Fokussierung auf Aktienwerte und die Finanzialisierung des Staates fließt Geld von denen, die keine Vermögenswerte besitzen, zu jenen, die sie besitzen – und das alles ohne dabei neue Werte zu produzieren.

    Es mag sein, dass der Finanzkapitalismus eine besonders extraktive Form der Wirtschaftsorganisation darstellt. Das bedeutet jedoch nicht, dass es sich bei ihm um die Perversion eines ansonsten vernünftigen Modells handelt. Es war vielmehr die Logik des Kapitals selbst, die den Prozess der Finanzialisierung angetrieben hat. Im Zuge der Entwicklung ihres Wirtschaftsmodells haben die Eigentümerinnen und Eigentümer von Kapital nach immer raffinierteren Wegen zur Ertragsmaximierung gesucht. Der finanzielle Extraktivismus bildet hier lediglich ihren neuesten Ansatz. In vielerlei Hinsicht stellt das finanzgetriebene Wachstum die vollkommenste Verkörperung des Kapitalismus dar – ein System, bei dem die Gewinne aus dem Nichts zu kommen scheinen, obwohl diese in Wirklichkeit nach wie vor nichts anderes sind, als von Arbeiterinnen und Arbeitern abgezogene Erträge.

    Interregnum

    Die Finanzkrise war der Anfang vom Ende des finanzgetriebenen Wachstums. In der Zeit nach 2007 hat Großbritannien die längste Lohnstagnation seit den Napoleonischen Kriegen erlebt. Die US-amerikanischen Arbeiterinnen und Arbeiter haben heute noch dieselbe Kaufkraft wie vor vierzig Jahren. ¹⁶ Der Beschäftigungsgrad mag zwar hoch sein, allerdings ist die Arbeit auch unsicherer geworden und der Grad der Erwerbstätigenarmut ist gestiegen. Die hohen Beschäftigungszahlen fielen außerdem mit einer Stagnation in der Produktivität – also dem Output pro Arbeitsstunde – zusammen, die in diesen Ländern seit der Finanzkrise anhält. Die Investitionsrate des öffentlichen wie des privaten Sektors ist in den USA und in Großbritannien nach 2008 gefallen und verbleibt bis heute unter ihrem Höchststand von vor der Krise. ¹⁷ In Großbritannien deuten der nachlassende Konjunkturoptimismus der Unternehmen, die Sprunghaftigkeit der Finanzmärkte und die Abflachung der Immobilienpreise darauf hin, dass eine Rezession kurz bevorsteht. In den USA ist die Verschuldung der Unternehmen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt heute höher als jemals zuvor. Es scheint, als gäbe es jede Woche einen neuen Wirtschaftsskandal, wonach überschuldete, ausbeuterische und monopolistische Unternehmen einen immer größeren Anteil an der Wirtschaftsleistung vereinnahmen, während die öffentlichen Dienstleistungen zusammenbrechen.

    Die Wirtschaftswissenschaft hat keine Erklärung für diese anhaltende Misere. Von manchen Seiten wurde argumentiert, dass wir eine Ära »säkularer Stagnation« erleben (wobei säkular langfristig bedeuten soll). Technologischer und demographischer Wandel hätten zur Folge, dass sich die westliche Welt an deutlich niedrigere Wachstumsraten als in der Vergangenheit gewöhnen müsse. ¹⁸ Andere behaupten, dass die Stagnation auf die wachsende Staatsverschuldung zurückzuführen sei, die für die produktiven Wirtschaftszweige eine Belastung darstelle und ausländische Investitionen abschrecke. ¹⁹ Wieder andere argumentieren, dass das alles auf eine Art »Wirtschaftspopulismus« zurückzuführen sei, der Regierungen dazu veranlasse, eine kurzsichtige Wirtschaftspolitik betreiben, um sich bei den Massen beliebt zu machen, anstatt auf die zeitlose und objektive Expertise der Wirtschaftsprofis zu hören. ²⁰ Ein altes Sprichwort besagt: Setze zehn Ökonominnen und Ökonomen an einen Tisch und du bekommst elf Meinungen. Treffender könnte man das verlorene Jahrzehnt seit dem Ausbruch der Finanzkrise kaum umschreiben. Die alte Garde ist nicht in der Lage, den Menschen zu erklären, was um alles in der Welt gerade vor sich geht.

    Nachdem sich die kapitalistischen Unternehmen bis zum Crash völlig maßlos selbst bereichert haben, ist nun langsam kaum mehr etwas übrig, das sie sich noch einverleiben könnten. Das ist die zentrale These dieses Buches. Wir durchleben zurzeit den Todeskampf des finanzgetriebenen Wachstums. So wie in den 1970er Jahren der Nachkriegskonsens in die Brüche gegangen ist, so vollzieht sich heute vor unseren Augen der Zerfall des Finanzkapitalismus – und hinterlässt dabei Chaos und Zerstörung. Und wie schon beim Nachkriegskonsens, so ist auch das Ende des finanzgetriebenen Wachstums unvermeidlich und vorhersehbar gewesen. Marx hat gezeigt, dass der Kapitalismus seinen eigenen Widersprüchen unterliegt: Spannungen, die sich aus der normalen Funktionsweise der Wirtschaft ergeben – also einfach daraus, dass Unternehmen nach Geld streben, Parteien auf Stimmenfang gehen und Menschen zu überleben versuchen. ²¹ Diese Dynamiken haben die Entwicklung des Kapitalismus Jahrhunderte lang geprägt. Jedes kapitalistische Modell läuft auf eine Krise zu. Doch Momente der Krise sind immer auch Momente der Anpassung. Und so trägt jede Krise auch immer die Möglichkeit einer Neuausrichtung in sich – die Möglichkeit, dass aus der Asche des alten Modells eine neue Wirtschaftsordnung erstehen kann.

    Doch wie der marxistische Theoretiker Antonio Gramsci betonte, sind Krisen immer auch Momente der Gefahr. Denn sie drohen nicht nur das vorherrschende Wirtschaftsmodell zu stürzen, sondern mit ihm auch die Institutionen zu Fall zu bringen, die Politik und Gesellschaft verwalten. Wenn der Status quo den Menschen nicht mehr zugutekommt, entsagen sie ihm ihre Unterstützung. Die Regierenden sehen sich dadurch angehalten, Stärke zu zeigen, und verteidigen ihr Modell auch dann noch, wenn es dem Großteil der Bevölkerung überhaupt keinen Nutzen mehr bringt. Beide Seiten gehen aufs Ganze und es entbrennen Kämpfe entlang mitunter überraschender Konfliktlinien, wobei jene am unteren Ende in der Regel den Kürzeren ziehen.

    Die britische Gesellschaft ist im Anschluss an die Finanzkrise in eine solche Phase eingetreten. Das Referendum zum Austritt aus der Europäischen Union im Jahr 2016 war die größte politische Umwälzung, die Großbritannien seit langem erlebt hat. Im ganzen Land nutzten die Wählerinnen und Wähler das Referendum, um ihre Unzufriedenheit über einen Status quo auszudrücken, der sie von den Erträgen des Wirtschaftswachstums ausgeschlossen hat. Die darauffolgenden Parlamentswahlen von 2017 brachten eine Regierung hervor, die ohne die bedingte Unterstützung einer der regressivsten Parteien in der britischen Politik – der Democratic Unionist Party (DUP) – weder regieren noch die ihr aufgetragene Erarbeitung eines Brexit-Abkommens bewältigen konnte. Angesichts der stockenden Finanzwirtschaft, der zeitgleich steigenden Verschuldung und Vermögenspreisinflation, der damit zunehmenden Ungleichheit und sinkenden Lebensstandards, konnten die neoliberalen Institutionen den Zorn der Mehrheit nur schwer eindämmen – geschweige denn kanalisieren. In der britischen Politik liegt eine allgegenwärtige Krisenstimmung in der Luft. Das alte Paradigma kann nichts Neues anbieten und die anhaltende Austerität und das schwache Wachstum werden die politischen und ökonomischen Probleme Großbritanniens nur noch verschärfen.

    In den USA signalisierte die Wahl von Donald Trump im Jahr 2016 einen ähnlichen Backlash von der Basis, auch wenn seine Wirtschaftspolitik dazu beigetragen hat, die Ungleichheit noch zu vergrößern und dem Finanzsektor ungeahnte Mehreinnahmen zu ermöglichen. Sozialistinnen und Sozialisten innerhalb der Demokratischen Partei scheinen derweil davon profitiert zu haben, dass Trump die Interessen der Leute missachtet hat, die zu seinem Wahlerfolg beigetragen haben. In Europa fegt eine neue Welle der Fremdenfeindlichkeit über den Kontinent, der nur eine stetig wachsende Unterstützung für populäre sozialistische Alternativen entgegensteht. Die Volkswirtschaften, die einst als die großen Erfolgsgeschichten der liberalen, kapitalistischen Entwicklung galten, wurden von einer Krise nach der anderen heimgesucht – Länder wie Brasilien, Südafrika, Russland, Argentinien und die Türkei erleben politische und wirtschaftliche Turbulenzen. Und die ärmsten Staaten bleiben wie immer auf der Strecke. Mosambik, Ghana und viele weitere einkommensschwache Länder versinken in Schulden.

    Unterdessen bricht auch unsere Umwelt zusammen. Der Klimawandel schreitet in einem derart schnellen Tempo voran, dass schon in wenigen Jahren viele Regionen unseres Planeten unbewohnbar sein werden. Die letzten vier Jahre waren die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen; die wärmsten zwanzig Jahre haben allesamt innerhalb der letzten 22 Jahre stattgefunden. Durch die Zerstörung unserer Wälder und die Versauerung unserer Meere wird es nicht mehr lange dauern, bis wir eine Reihe von Kipppunkten erreichen, an denen die Auswirkungen des Klimawandels plötzlich und unvorhersehbar eskalieren. Die drohende Heißzeit wird uns mit Zuständen konfrontieren, wie wir sie bisher nur aus der Science-Fiction kennen. Und es ist nicht nur der Klimawandel, über den wir uns Sorgen machen müssen. Wir erleben gerade ein massenhaftes Artensterben: In den letzten fünfzig Jahren ist die Wirbeltierpopulation um 60 Prozent zurückgegangen. Insekten – insbesondere diejenigen, die für die Bestäubung vieler Pflanzenarten entscheidend sind – sind akut vom Aussterben bedroht und unsere Böden erodieren schneller, als wir sie regenerieren können. Mit anderen Worten: Wir stehen kurz vor einem ökologischen Armageddon.

    Doch auch diese langandauernde Krise könnte einen Wendepunkt erreichen. Überall auf der Welt versagen kapitalistische Volkswirtschaften nicht nur bei der Sicherung steigender Lebensstandards für den größten Teil ihrer Bevölkerung – die kapitalistische Produktionsweise beschleunigt außerdem den Zusammenbruch unserer wichtigsten Umweltsysteme. Das finanzgetriebene Wachstum trägt zu dieser Dynamik bei, indem es riesige, auf Dauer unhaltbare Booms erzeugt, die von ebenso massiven und verheerenden Zusammenbrüchen gefolgt sind. Wir können es uns nicht mehr leisten, unsere Volkswirtschaften nach der Logik des finanzgetriebenen Wachstums auszurichten. Unser Ziel sollte aber nicht sein, es durch ein neues, ebenso widersprüchliches Modell zu ersetzen. Stattdessen müssen wir diesen Moment der Krise als eine Chance begreifen – als eine Gelegenheit, den Kapitalismus vollständig zu überwinden. Aber dafür müssen wir jene Frage beantworten, die wir normalerweise nicht einmal stellen dürfen: Was kommt danach?

    Was ist die Alternative?

    Es war lange Zeit einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus – worunter wir ein Wirtschaftssystem verstehen, das auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln (den Hauptfaktoren des Produktionsprozesses) basiert, das Ziel der Profitmaximierung verfolgt, mithilfe des Staates private Eigentumsrechte durchsetzt und die Verteilung von Ressourcen über die Mechanismen des Marktes organisiert. Zwar ruft dieses System Ungleichheit, Arbeitslosigkeit, wiederkehrende Krisen und Umweltzerstörung hervor, doch die Alternative, so wurde uns eingebläut, sehe jedoch noch düsterer aus. Der Sozialismus – ein System, in dem sich Produktionsmittel in kollektivem Besitz befinden – habe immer nur zu Tod und Zerstörung geführt. Der Kapitalismus sei die schlechteste Art der Wirtschaftsorganisation – abgesehen von all den anderen.

    Die Kritikerinnen und Kritiker des Sozialismus scheinen zu glauben, dass die Grundvoraussetzungen für die Organisation von Wirtschaft und Gesellschaft zu jedem Zeitpunkt in der Geschichte die gleichen waren. In ihren Augen ist der Kapitalismus auf natürliche Art und Weise entstanden, weil er unseren selbstverständlichsten Verhaltensweisen entspricht; der Sozialismus dagegen wäre gescheitert, weil er wider die Natur sei. Aber so überraschend es auch sein mag: Der Kapitalismus hat nicht schon immer existiert. Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte wurden Gesellschaften auf Grundlage nichtkapitalistischer wirtschaftlicher und politischer Institutionen organisiert. Der Feudalismus wich dem Kapitalismus nur deshalb, weil die Macht des Staates groß genug wurde, um die ländlichen Kräfteverhältnisse zu brechen und ein landloses Proletariat zu schaffen, das im Produktionsprozess eingesetzt werden konnte. ²² Diese Art von Macht setzte die Existenz komplexer Gesellschaften und die Verfügbarkeit bestimmter Technologien voraus, ohne die die Anläufe zum Kapitalismus gescheitert wären.

    Heute sind die technologischen, wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen für die Errichtung sozialistischer Gesellschaften besser als je zuvor in der Geschichte. Ein großer Teil der Weltwirtschaft – nämlich die gesamte Wirtschaftstätigkeit innerhalb privater Unternehmen – wird dieser Tage eher von rationaler Planung als vom Markt beherrscht. ²³ Die Planungsprozesse riesiger internationaler Monopole, die gemessen an ihren Einnahmen um ein Vielfaches größer sind als moderne Nationalstaaten, verfahren nach Top-Down-Prinzipien und verwenden dazu in der Regel neueste Technologien.

    Neoklassische Ökonominnen und Ökonomen behandeln das Unternehmen als eine »Black Box«. In ihren Analysen beschränken sie sich – man könnte sagen zu ihrem eigenen Vorteil – auf jene Bereiche der Wirtschaft, die von Marktbeziehungen bestimmt werden, ganz so als wären die Verhältnisse innerhalb von Unternehmen nicht weiter beachtenswert. Das Management der meisten heutigen Unternehmen macht deutlich, dass eine rationale Planung durchaus möglich ist – vorausgesetzt, man verfügt über die nötigen Mittel und verfolgt die »richtigen« Zwecke. Was die Mittel angeht, so leben wir in einer Zeit beispielloser technologischer Entwicklung. ²⁴ Wir alle tragen Computer in unseren Hosentaschen mit uns herum, die leistungsfähiger sind als die Technologie, die den ersten Menschen ins All befördert hat. Wir produzieren unendliche Mengen an Daten über unsere Gewohnheiten, Verhaltensweisen und Präferenzen, die zusammengetragen und von Unternehmen wie Amazon genutzt werden können, um zu bestimmen, wie viel wovon produziert werden sollte. Aber das revolutionäre Potential dieser Technologien ist dadurch eingeschränkt, dass nur eine winzige Elite über sie verfügt und sie ausschließlich zur Maximierung ihrer Gewinne einsetzt.

    Damit kommen wir zum zweiten Thema: den Zwecken. Manche behaupten, es sei völlig nebensächlich, was in den Unternehmen vorgeht, solange sie nur nach der Logik der Gewinnmaximierung agieren. Damit würde ihre »Effizienz« sichergestellt und die optimale Zuteilung der begrenzten Ressourcen einer Gesellschaft ermöglicht. Doch das stimmt nicht. Viele Unternehmen agieren alles andere als effizient (weshalb sie teure Beratungsfirmen beauftragen, die ihnen sagen, was sie verbessern können). Vor allen Dingen aber produzieren sie eine Vielzahl gesellschaftlicher und ökologischer Missstände, von sozialer Ungleichheit bis hin zum Klimawandel. Eine Organisationsstruktur, die Leuten in Spitzenpositionen Anreize gibt, so extraktiv wie nur möglich vorzugehen, kann heute unmöglich die rationalste – geschweige denn die moralischste – Produktionsweise sein. Doch auch wenn sie zu anderen als diesen Zwecken

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