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NarrenSprung: Eine wahre Geschichte
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eBook226 Seiten3 Stunden

NarrenSprung: Eine wahre Geschichte

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Über dieses E-Book

Fast schon unglaublich: NarrenSprung ist durch und durch eine wahre Geschichte. Die 260 Seiten sind prall gefüllt mit turbulenten, teils bizarren, aber immer authentischen Erlebnissen, die immer wieder auf überraschende Weise mit den
wunderlichen Ritualen der schwäbisch-alemannischen Fasnet verwoben sind. Etwas ganz Neues in der Literatur: Am Ende des Buches läßt der Autor seine Leser nicht allein-es geht in der Realität weiter.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum17. Dez. 2012
ISBN9783844235982
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    Buchvorschau

    NarrenSprung - Gerhard Seifried

    Imprint:

    NarrenSprung

    Eine wahre Geschichte

    Gerhard Seifried

    published by:

    epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    copyright: © 2012 Gerhard Seifried

    ISBN 978-3-8442-3598-2

    Der Adler kann nicht vom flachen Boden wegfliegen; er muß mühselig auf einen Fels oder Baumstrunk hüpfen: Von dort aber schwingt er sich zu den Sternen.

    Hugo von Hofmannsthal

    1

    Schömberg, im April 1948. Die Frühlingsluft an diesem Spätnachmittag ist frisch und rein. Es beginnen gerade die wenigen Minuten, in denen der Tag ganz behutsam von der beginnenden Dämmerung umfangen wird und das Licht die Eigenschaft annimmt, um Ecken zu biegen, und selbst riesige Baumkronen bis in ihre kleinsten Verästelungen sichtbar werden.

    Und es ist die Zeit, in der die Wunder geschehen. Dass Wunder etwas mit dem Himmel zu tun haben, das hatte mir, dem damals gerade neunjährigen Jungen, meine streng katholische Mutter längst beigebracht. Sicherlich, es gab auch die kleinen Wunder, die sich eher auf irdischer Ebene abspielten, zum Beispiel wenn wir in dem von unserer Familie bewohnten großen Bauernhaus wieder mal was verlegt hatten und meine Mutter ein kurzes, aber inbrünstiges Gebet an den heiligen Antonius richtete, worauf dieser verlässlich dafür sorgte, dass sich der gesuchte Gegenstand in Kürze wieder einfand. Das Kruzifix aber, das ich an diesem Spätnachmittag am hellblauen, mit wenigen Wolken durchsetzten Himmel erblickte, musste ein echtes Wunder sein, und natürlich konnte ich nicht wissen, was es für mich zu bedeuten hatte und dass von jetzt an nichts mehr so war, wie ich es kannte und so sehr liebte.

    Es schien mir, dass es kein besonderes Kruzifix war, eher eines von der schlichten Sorte, mit metallenem Christuskörper, dicken Nägeln und wuchtiger Dornenkrone, so wie sie im streng katholischen Schömberg in jeder Bauernstube hingen und täglich großzügig mit „Gegrüßet seist du Marias bedacht wurden, bisweilen allerdings auch derb-bäuerliche Flüche vom Kaliber „Himmelherrgottsakrament über sich ergehen lassen mussten.

    Es war also nicht das Kreuz an sich, das mich damals so sehr verwunderte und in eine seltsame Stimmung versetzte, es war das Kreuz an dieser ungewöhnlichen Stelle, hoch oben am Himmel, inmitten einer wie an der Schnur gezogenen dünnen Wolkenkette, die in der beginnenden Abenddämmerung purpurrot am westlichen Horizont stand.

    „Wie schön, wie wunderschön", dachte ich, und mein Herz schlug in großer Aufregung. Es war mir nicht möglich, den Blick auch nur eine Sekunde von dem leuchtendroten Himmelsbild zu lösen, und es schien mir, als würde der Gekreuzigte meinen Blick erwidern. Weil sich die Wolkenkette samt Kruzifix jetzt in Richtung Zimmern unter der Burg bewegte, rannte auch ich los, immer dem Kreuz nach und so schnell ich konnte. Alles vergebens, nach einigen hundert Metern hielt ich keuchend inne und musste zusehen, wie die Konturen des wunderlichen Bildes zerflossen und das Kruzifix innerhalb von Minuten wie beiläufig vom dunkler werdenden Abendhimmel aufgesogen wurde.

    Ich stellte mir vor, wie alle Schömberger aufgeregt vor ihren Häusern stehen, um sich über die Erscheinung am Himmel auszulassen. Zu meinem Erstaunen konnte ich auf dem Heimweg aber nichts derlei feststellen. „Mal sehen, was die anderen dazu sagen, dachte ich jetzt. Die anderen, das waren meine fünf besten Freunde. Alle wohnten dicht beieinander „Auf dem Flügel, wie der Schömberger Ortsteil genannt wurde.

    „Hast du das Kreuz gesehen?", rief ich als erstem Alfons, dem Sohn des Bauern, der das Haus neben meinen Eltern bewohnte, schon von weitem zu. Dazu machte ich eine vielsagende Bewegung nach oben.

    „Klar", sagte Alfons, der zwar keine Ahnung hatte, um was es ging, dies aber wie immer nicht zugeben wollte.

    „Sag schon, wo genau hast du das Kreuz gesehen?" Alfons faselte etwas von einem französischen Militärflieger, der den Himmel über Schömberg aus Richtung Rottweil kommend überquert und durch seine breit abstehenden Flügel fast wie ein Kreuz ausgesehen habe. Also Fehlanzeige. Ich wollte jetzt schnell nach den anderen Freunden sehen, auf die hoffentlich mehr Verlass war. Aber weder Walter, der gerade vor seinem Elternhaus gegenüber der alten Sägerei an einem defekten Volksempfänger herumschraubte, noch Dieter und Bernhard, die sich am gusseisernen Dorfbrunnen langweilten, konnten mit einem Kruzifix am Himmel etwas anfangen - ja, die beiden Letzteren nahmen das, was ich gesehen hatte, sogar zum Anlass, mich zu hänseln und sich über Kruzifixe, die am Himmel rumschwirrten, lustig zu machen.

    Mir war nicht zum Spaßen zumute. Ich stand immer noch unter dem Eindruck meines Erlebnisses, das mich gewaltig beschäftigte und das ich unbedingt mit jemandem teilen musste. Leider war von Gertrud weit und breit nichts zu sehen. Wahrscheinlich musste sie mal wieder ihrer Mutter beim Nähen zur Hand gehen. Deshalb machte ich mich auf den Weg zu meiner Mutter, die von Natur aus recht neugierig war, und allein schon deshalb Augen und Ohren stets offen hielt. Sie hörte aufmerksam zu.

    „Hm, ein Kreuz am Himmel." Sie war sehr nachdenklich geworden und blickte mich lange an.

    „Weißt du, sagte sie schließlich und hielt meine Hände ganz fest, „viele Menschen tragen Bilder in sich, ohne es zu wissen, und manchmal kommen sie aus großer Tiefe hervor und man weiß nicht so recht, was sie bedeuten. Wenn so ein Bild dann plötzlich auftaucht, irgendwann, irgendwo, kann es keiner sehen außer demjenigen, dem es gehört.

    Meine Mutter war eine gottesfürchtige Frau. Sie kannte sich mit Bildern aus, ging jeden Tag in die Kirche, und wenn sie dann in tiefer Frömmigkeit ins Gebet versunken war, erschienen ihr oft Bilder, „die etwas zu sagen hatten", wie sie es ausdrückte. Wer allerdings Genaueres wissen wollte, bekam ausweichende Antworten.

    „Das geht nur den Herrgott und mich was an", pflegte sie zu sagen, und das musste man halt so akzeptieren.

    Die Geschichte mit dem Kreuz am Himmel beschäftigte sie noch einige Tage lang.

    „Es sieht so aus, als hätte ich meinem Jüngsten in dieser Hinsicht etwas vererbt", sinnierte sie, und je mehr sie darüber nachdachte, umso weniger konnte sie sich darüber freuen.

    Ich selbst musste mich schließlich damit abfinden, der einzige zu sein, der das Kruzifix am Himmel gesehen hatte. Mit dem, was ich von der Mutter erfahren hatte, konnte ich nichts anfangen. Das Bild am Himmel war mir fremd gewesen, also konnte ich es nicht in mir getragen haben, schon gar nicht hätte ich es dort oben an den Himmel bringen können, schließlich war es ohne mein Zutun plötzlich aufgetaucht und genauso plötzlich wieder verschwunden. In dieser kurzen Zeit hatte es mich aber seltsam berührt, so sehr, dass ich das Kruzifix am Himmel in meinem ganzen Leben nie mehr vergessen konnte.

    Als ich am nächsten Tag gegen 9 Uhr aufwachte, kurz nach dem Wetter blinzelte und danach flugs aus dem Bett sprang, war der ziehende Schmerz am Rücken wieder da, zwar nicht sehr stark, aber immerhin doch recht unangenehm. Es erschien mir ratsam, meiner Mutter nichts davon zu erzählen, denn schließlich waren mir meine drei Tage Stubenarrest wegen einer lumpigen kleinen Erkältung noch in denkbar schlechter Erinnerung. Meine Mutter nämlich, die „heilige Lioba, wie Nachbarn gern spöttelten, weil ihre Eltern sie mit diesem schrecklich altmodischen Vornamen einer heiliggesprochenen Nonne gestraft hatten, nahm selbst kleinste Anzeichen einer Krankheit ernst. Man war entweder krank oder gesund. Ein bisschen krank gab es für sie nicht. Auch kleine körperliche Signale, wie zum Beispiel Kopfschmerzen, eine heisere Stimme oder ein geschwollenes Fußgelenk, waren für sie „Hilferufe des Körpers, der uns etwas sagen will. Egal was nun tatsächlich dahinter steckte - das festzustellen war natürlich Sache des Dorfarztes Fricker — eines war aus ihrer Sicht immer richtig: der betroffenen Person respektive ihrem Körper einige Tage Ruhe zu gönnen.

    Um alles in der Welt: Ich legte wenig Wert darauf, gerade jetzt einige Tage Bettruhe einzulegen. Dafür war es draußen viel zu schön, mit einer so klaren Fernsicht, dass man an den beiden kahlen Steilhängen des drei Kilometer entfernten Plettenberges, dem 1005 Meter hohen Hausberg der Schömberger, mit bloßem Auge einzelne der kalkig-weißen Geröllbrocken erkennen konnte. Und — das war noch weit wichtiger — weil es gerade Osterferien gegeben hatte und man den lieben langen Tag zusammen mit den Freunden herumstrolchen und unendlich viel unternehmen konnte.

    In der Wohnküche der Seifrieds saßen schon Rudi, mein 10 Jahre älterer Bruder, und Elfriede, die jüngere meiner beiden Schwestern. Es fehlte wie üblich Gisela, die ohne zwingenden Grund nie vor 10 Uhr aus dem Bett kroch.

    „Einen recht schönen guten Morgen, die Herrschaften." Diese für Schömberger Ohren ziemlich albern klingende Begrüßungsformel von Onkel Christof, dem aus Wuppertal stammenden, etwas spinnerten Mann meiner geliebten Patentante Luise, war an diesen Tagen unter den Geschwistern gerade in Mode. Denn obwohl die beiden ihr Domizil seit vielen Jahren im schönen Uberlingen am Bodensee hatten, fanden sie sich zwei-bis dreimal im Jahr für ein paar Tage oder gar Wochen in Schömberg ein, was dann jedes Mal zur Folge hatte, dass es am Frühstückstisch und auch sonst wo im Haus der Familie Seifried mit ihren immerhin sechs Personen nicht nur etwas enger, sondern auch etwas vornehmer zuging.

    „Morgen, alter Stromer, sagte Rudi im gönnerhaften Ton des großen Bruders. Während er dabei von seinem „Schwarzwälder Bote erst gar nicht hochblickte, strahlte Elfriede mich an und zwinkerte zur Begrüßung kumpelhaft. Sie war seit Tagen gut drauf, weil sie sich mit ihren dreizehn Jahren mal wieder unsterblich verliebt hatte, diesmal in Willi Wuhrer, den Jüngsten aus der Sippe des Rössle-Wirtes.

    „Willi, so hatte Elfriede unter dem Siegel der Verschwiegenheit ihren wenig vertrauenswürdigen Freundinnen zugeflüstert, „Willi und ich werden heimlich in Frankreich heiraten, weil es den Franzosen nämlich egal ist, wie alt man ist, Hauptsache, du zahlst hundert Franken Traugeld.

    Ich wusste bestens Bescheid. Erst vorgestern hatte mir Wiltrud, die Tochter des Sägereibesitzers und Elfriedes beste Freundin, scheinheilig besorgt und bestimmt auch etwas neidisch alles brühwarm erzählt, wohl auch in der Hoffnung, ich würde es bei der erstbesten Gelegenheit meinen Eltern verraten und damit weitere Alleingänge von Elfriede stoppen.

    Von wegen! Ich teilte mit Elfriede ein geräumiges Zimmer. Wir kamen bestens miteinander klar, und das sollte aus gutem Grund auch so bleiben, denn gelegentliche nächtliche Ausflüge, die über das kleine schräge Dach und die anschließende Hühnerleiter hinter dem Schlafzimmer ihren Anfang nahmen, fielen im gegenseitigen Interesse unter das gemeinsame Geheimhaltungsabkommen.

    2

    Für die Familie Seifried hatten sich die ersten Monate des laufenden Jahres 1948 gut angelassen. Von der Schömberger Sparkasse war die lang ersehnte Nachricht gekommen, dass Josef Seifrieds Beamtengehalt schon bald wieder überwiesen werde. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte keiner gewusst, wovon man in der nächsten Zeit leben sollte und ob Josef Seifried überhaupt noch als Zollbeamter im Dienst war. Die Zeiten waren zwar immer noch recht lausig, es gab fast nichts zu kaufen, aber so schrecklich wie unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges, insbesondere im trostlosen Hungerjahr 1946, ging es nicht mehr zu. Als Nichtbauern hatten die Seifrieds in den zwei Jahren nach dem Krieg, in denen es ums pure Überleben ging, recht wenig zu lachen und noch weniger zu essen. Auch sie mussten sich mit Hamsterfahrten in die benachbarten Dörfer durchschlagen, und diverser Hausrat, aber auch einige der wenigen Schmuckstücke im Familienbesitz wechselten im Tausch gegen einen Sack Kartoffeln, einige Kilo Mehl oder ein paar Eier den Besitzer. Die Tauschbedingungen waren nicht immer fair, sie wurden diktiert von denen, die über das knappe Gut Lebensmittel verfügten. Am wenigsten kam meine Mutter mit dem Geschäftsgebaren einiger Bauern klar.

    „Ich weiß ja, sagte sie, „Geschäft ist Geschäft, aber Mensch ist Mensch, und schüttelte dazu den Kopf.

    Dass Josef Seifried ein geschickter Hufschmied war, wusste in Schömberg praktisch jeder. Als Vollwaise aufgewachsen, steckte ihn sein damaliger Vormund nach der Volksschule ohne viel Aufhebens zu einem Schmied in der Nähe von Karlsruhe in die Lehre. In jungen Jahren hatte Josef diesen Beruf so lange ausgeübt, bis der Erste Weltkrieg begann und er sich als Freiwilliger zum Kriegsdienst meldete.

    Leider gab es kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Schömberg nur noch drei Pferde, alle anderen hatte die Deutsche Wehrmacht zwischen 1939 und 1943 als kriegswichtig eingezogen. Das war natürlich Pech für meinen Vater, der mit seinem erlernten Handwerksberuf in dieser schwierigen Zeit bei den Bauern kaum etwas dazuverdienen konnte.

    Eine Chance, an Lebensmittel zu kommen, bot sich unserer Familie durch Tagelöhnerarbeit bei einzelnen Bauern. Vor allem in der Erntezeit waren Arbeitskräfte knapp, und als kräftiger junger Mann Jahrgang 1929 musste mein älterer Bruder Rudi nicht lange fragen — er war in Schömberg durchweg beliebt, und jeder wusste, dass er zulangen konnte. Was er heimbrachte, konnte sich denn auch in aller Regel sehen lassen, da ließen sich die Schömberger nicht lumpen.

    Bei allem Organisationstalent, das die Beamtenfamilie Seifried in dieser Krisenzeit an den Tag legte, wäre sie trotzdem kaum über die Runden gekommen, wenn ihr nicht zuweilen nette Nachbarn ein paar Eier, einen Liter frische Kuh- oder Geißenmilch oder gar ein Stück geräucherten Speck zugesteckt hätten. Das alte Bauernhaus an der B 27, das sie in Miete bewohnten, war zwar riesig, außer einem winzigen Kräutergärtchen an der Stirnseite des Hauses bot es jedoch keine weiteren Möglichkeiten, irgendetwas Essbares anzubauen.

    Geld befand sich in der Nachkriegszeit ausreichend unter den Leuten — Hitler hatte schließlich eine Menge davon drucken lassen - leider war die alte Reichsmark aber nichts wert. Kein Bauer ließ sich dazu überreden, dafür auch nur ein paar Kartoffeln rauszurücken - es sei denn, diese waren genauso wenig wert, weil sie getrieben oder infolge der Kälte eine blaugrüne Farbe angenommen hatten und somit kaum genießbar waren. Dass man mit der alten Reichsmark so wenig anfangen konnte, empfand man in meiner Familie als doppelt schade, denn davon gab es im Haus überreichlich. Das hatte nichts mit dem Salär des Josef Seifried zu tun, das für einen Beamten im Rang eines Zollsekretärs recht bescheiden war. Nein, den Reichsmark-Segen im Hause hatten wir Onkel Christof zu verdanken. Er sammelte die gute alte Reichsmark, nicht nur die kleinen Scheine, nein, er berauschte sich auch an den großen Banknoten, die schon gegen Kriegsende und natürlich noch mehr danach günstig zu haben waren. Eine Million, zwei Millionen? Die Geldsumme, die er gegen Wertgegenstände eintauschte, konnte sich sehen lassen, und garantiert war er auf dem Papier längst ein stinkreicher Mann. Er versteckte das Geld überall, auch bei uns auf dem weitläufigen Speicher unseres Bauernhauses, und wenn man ihn fragte, was er denn damit vorhabe, dann schmunzelte er geheimnisvoll und sagte, er habe so seine Pläne. Der kleine Mann mit Nickelbrille und blauem Siegelring am rechten Mittelfinger galt als intelligent, allerdings mit kauzigem Einschlag. Man ließ ihn gewähren.

    Nicht nur als Sammler von Reichsmarknoten, auch als Tüftler und Erfinder wurde Onkel Christof auffällig. Diverse seiner Erfindungen waren sicherlich ihrer Zeit voraus oder erfuhren einfach nicht die ihnen gebührende Wertschätzung. Volle Anerkennung zollte mein Vater, ein starker Pfeifenraucher, seinerzeit allerdings der technisch perfekten, halbautomatischen Tabakblätterschneidemaschine, die Onkel Christof anlässlich eines Besuches im Sommer 1947 als fix und fertigen Prototyp mitbrachte. Nicht nur die Technik der Maschine, auch die kaufmännische Idee, die dahintersteckte, war überzeugend: Mangels anderer Beschaffungsmöglichkeiten hatten sich in der Nachkriegszeit Millionen deutscher Pfeifenraucher in ihrem Schrebergarten oder notfalls auf dem Balkon eine Mini-Tabakplantage eingerichtet. Jeder davon — allein in Schömberg waren es mehrere hundert — kam deshalb als Käufer für die Christof’sche Wundermaschine in Frage. Leider erwiesen sich derlei Spekulationen wieder einmal als blanke Theorie.

    Eine Umfrage im Testmarkt Schömberg brachte es denn auch zweifelsfrei an den Tag: Die Tabakblätterschneidemaschine von Onkel Christof war viel zu teuer. Pfeifenraucher in Schömberg schärften lieber das große Küchenmesser und schnippelten sich ihre Mixtur von Hand zurecht — „alles Banausen", wie Onkel Christof knurrte. So ging der Prototyp dieser Monsterschneidemaschine mangels zahlungskräftiger Nachfrage zwar nie in Serie, kam aber immerhin im Hause Seifried zu Ehren und erfreute sich dort bei meinem Vater großer Beliebtheit.

    Es gäbe noch viel zu erzählen über Onkel Christofs Emsigkeit im Austüfteln bahnbrechender Erfindungen, unter anderem seine im Anschluss an einen stürmischen Wirtshausabend gemachte Erfindung einer seitenwindunempfindlichen Kopfbedeckung. Besondere Erwähnung verdient aber auf jeden Fall seine genial einfache, überaus menschenfreundliche Erfindung eines sogenannten Blähungsverhinderers. Mit einem kleinen Trichterröhrchen wollte er die Millionen Menschen, die an lästigen Darmblähungen litten, von ihrer Pein befreien. Dieses

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